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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.05.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-05-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020514023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902051402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902051402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-05
- Tag1902-05-14
- Monat1902-05
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Bezug--Preis I« der Hauptexpedition oder den im Stad» bezirk und den Bororten errichteten Au», gabestellen abgeholt: vierteljährlich4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus./i 5.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland u. Oesterreich vierteljährliches, sür die übrigen Lander laut Zeitungspreisliste. Nedaction un- Expedition: IvhanniSgaffe 8. Fernsprecher 153 und 222. Filial*vprditt»«r« r Alfred Hahn, Buchhandlg , Universitätsstr. s, L. Lösche, Katharinenstr. 14, u. KönigSpl. 7. — Haupt-Filiale Dresden: Strehlenerstrabe 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. — Haupt-Filiale Berlin: Königgrätzerstraße 116. Fernsprecher Amt VI Nr. S3SL. Nr. 242. Abend-Ausgabe. NIMM Tageblatt Anzeiger. Amtsblatt des Hömgkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Notizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Mittwoch den 14. Mai 1902. Anzeige«-Pret» die 6gespaltene Petitzeile LS H. Reklamen unter dem RedactionSsirich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbesörderung ^l 70.—, Annahmeschlnß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeige« sind stets an dle Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 96. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Die FricSenSverhau-lungcn. Aus Amsterdam wird der „Tägl. Rundscb." depeschirt: Eingeweihte Boerenkreise bezeichnen alle englischen Preß- melcungen über den voraussichtlichen Berlauf der Versammlung der Boerenführer in Bereeniging als müßiges Gerede. Es steht fest.daßvor wie nach alle BocrencommandoS in der Frage der Amnestie und der Unabhängigkeit nicht ein Iota nachgeben. Wenn die englische Regierung in diesen Fragen kein Entgegenkommen zeigt, soll die Unterhandlung über die Friedensvorschläge eingestellt und die Kriegsoperalionen sollen wieder begonnen werden. Nach Allem, waS bisher bekannt geworden, ist keine Aussicht vorhanden, daß ein Abschluß dcS Friedens bevorsteht. * London, 13. Mai. „Reuter's Bureau" berichtet auS Harri« smith unter dem 12. Mai: Louis Botha, General Wessels und andere Boereuführer sind gestern hier eingetroffen und heute früh zu einer Zusammenkunft der Boerendelegirten in Bereeniging weitergereist. Der Kaffern-Ueberfall bei SchreperSneck. DaS Reuter-Telegramm aus Vryheid (im Südosten von Transvaal) vom 8. d. M. giebt genügenden Anhalt, um sich eine Vorstellung davon machen zu können, wessen man sich von den Kaffern, den Bundesgenossen und Werkzeugen der Engländer, im Kriege gegen die Bocren noch Alles zu versehen hat. Nach Reuter's Darstellung wären die schwarzen Bestien auf eigen; Faust, also nicht geführt von englischen Ossicieren, ausge zogen, um ihr von den Boeren geraubtes Vieh wieder zurück zuholen. Angenommen, daß das wirklich der Beweggrund zu dem Ueberfalle war, so werden ihnen die Boeren jeden- salls in Bälde unzweideutig klar machen, daß sie, wenn sie in den Reihen der Engländer kämpfen, es sich auch gefallen lassen müssen, daß man ihr Eigenthum als Kriegsbeute weg führt. Von „Rauben" kann aber keinesfalls die Rede sein. Denn wenn die Engländer den Boeren Vieh abnehmen, haben sie es ja auch nie geraubt, sondern stets erbeutet. Die Kaffern hätten cs aber, immer vorausgesetzt, daß ihr Beweg grund zu dem Ueberfall thatsächlich die Wiedererlangung ihre« Viehes gewesen und die Darstellung des Vorfalls kein Kaffernbericht ist, jedenfalls nie gewagt, in der von Reuter geschilderten Art gegen die Boeren aufzutreten, wenn sie nicht von den Engländern bewaffnet worden wären und in ihnen ihre Schutzherren und ihren Rückhalt sähen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 14. Mai. Die „Berl. Polit. Nackr", die schon öfter Klagelieder über die finanzielle Lage des Reiches angestimnit haben, fühlen sich heule durch einen Ausblick auf das nächste Finanzjahr zu einem beweglichen Stoßseufzer veranlaßt, den sie jolgender- maßen begründen: „Das Reich hat schon den Etat des laufenden Jahres nur durch Ausschreibung von 25 Millionen Mark ungedeckter Ma« tricularumlagen bei gleichzeitiger Zurückstellung einer ganzen Anzahl von minder dringlichen Ausgaben und unter Zuhilfe, nähme von nicht unbedenklichen finanziellen Manipulationen, wie der Erhöhung des Etatsolls der Zölle über den auf der Grundlage dcS Durchschnitts ausgestellten Voranschlag hinaus, zu bilanziren vermocht. Abgesehen davon, daß die Ursachen, welche zu der ungünstigen Gestaltung der Einnahmen deS Reichs in den letzten Jahren geführt haben, noch sortwirken, kommt für 1903 in Betracht, daß in diesem Jahre der hohe Fehlbetrag aus dem Rechnungsjahre 1901 zu decken sein wird. Während dem Etat deS laufenden Jahres aus 1900 nur ein Fehl« betrag von etwas über 2 Millionen Mark zur Last liegt, wird man sich sür 1903 auf die Nothwendigkeit der Deckung eines Fehl betrages von etwa fünfzig Millionen Mark gefaßt machen müsse». Diese Zahl genügt allein schon, um erkennen zu lassen, um wieviel LaS Berhältniß zwischen Ausgaben und Einnahmen im Jahre 1903 gegenüber dem laufenden Etat sich verschlechtern wird. Es liegt auf der Hand, daß, wenn man zur Her- stellung des Gleichgewichts im Reichshaushaltsetat nicht zu außer« ordentlichen Hilfsmitteln greifen will, wie sie von den verbündeten Regierungen für 1902 in Aussicht genommen waren, aber nicht die Zustimmung des Reichstages gefunden haben, diese Verschlechterung des Verhältnisses der eigenen Einnahmen dcS Reichs zu seinen Ausgaben zu einer beträchtlichen Mehrbelastung der Bundesstaaten mit Matricnlar umlagen führen muß. Schon die Summe von 25 Millionen Mark Lurch Ueberweisungen nicht gedeckter Matricularumlageu, welche für 1902 ausgeschrieben werden mußte, dient den meisten Bundesstaaten zum schweren Bedruck, und eine weitere beträchtliche Erhöhung derselben würde für die Finanzen einer ganzen Reihe von Bundes staaten eine geradezu unerträgliche Last bilden." Neu ist das ja nicht, aber eben deshalb ist und bleibt es für uns unfaßbar, daß die schon jetzt bedrückten Einzelstaaten die finanziellen Ergebnisse der Zolltarifreform abzu warten fick entschlossen haben, bevor sie an eine gründ! iche, die Einzelstaaten vor übermäßigen Ansprüchen des Reiches sichernde Reichsfinanzreform bcrantreten. Da aber dieser Entschluß festzustehen und unerschütterlich zu sein scheint, so sollten wenigstens die Einzelstaalen, für die bei der Fortdauer ihrer Finanzcalaniität eine weitere wesentliche Erhöhung der Matricularbeiträge eine „geradezu unerträgliche Last" bilden würde, mit der größten Energie daran gehen, ihre Finanzen so zu verbessern, daß sie die in Aussicht stehende neue Last zu tragen vermögen. Eine besonders eindringliche Mahnung bedeutet die Darlegung der „Berl. Polit. Nachrichten" für uns in Sachsen und die seit gestern in Dresden zu einem Einigungsverfahren zusammengetretenen Mit glieder beider Kammern. Wir geben gern zu, daß eine Ver ständigung über die Vermögenssteuer nicht nur ungleich schwieriger ist als eine Einigung über die Ein kommensteuer, sondern auch, an und für sich betrachtet, für viele der „Einiger" ein großes Maß von Opfer willigkeit fordert. Wir bekennen auch, daß wir die geplante Vermögenssteuer keineLwez sür das Ideal einer Steuer halten. Aber wenn wir unS vergegenwärtigen, in welche Lage Sachsen kommen würde, wenn ihm die von den „Berl. Polit. Nachr." in Aussicht gestellte und voraussichtlich gar nicht abwendbare neue Last auferlegt würde, bevor die geplante Reform der Einkommensteuer sammt der Vermögens steuer zu Stande gekommen wäre, so können wir uns der Ueberzcugung nicht verschließen, daß die Gegner einer Einigung eine überaus' schwere Verantwortung auf sich laden und, sofern sie die Mehrheit bildeten, das Land in un übersehbare Wirren stürzen würden. Es war vorauszusehen, daß die polenfreundlichen Klerikalen die Aufhebung des Dictaturparagrapben benutzen würden, um Vergleiche zwischen dem Schicksale der Vlsatz- Lothringer und dein der Polen zu ziehen. Selbstverständlich marichirt dabei das klerikale Polenblatt am Rhein an erster Stelle. Es schreibt: „Im Osten wird gekämpft und im Westen hat die Regierung offenbar die ernste Absicht, zu ver söhnen ... So sind also nächst den Socialdemokraten zu nächst die Elsaß-Lothringer ihr Ausnahmegesetz losgeworden. Die Polen werden darauf noch warten müssen." Es ist uns bis jetzt noch nicht bekannt geworden, daß die Polen unter einem Ausnahmegesetze stehen. Die Provinzen Posen und Ostpreußen kennen keinen Dictaturparagrapben, der der Auf hebung harrt. Oder meint die „Köln. Volksztg." das An siedelungsgesetz? Wir wüßten nicht, daß die Polen sich durch dieses Gesetz getroffen zu fühlen brauchten, denn eS kann auch nicht auf den kleinsten polnischen Bauern durch dies Gesetz ein Druck ausgeübt werden, seinen Grund und Boden zu ver kaufen, sondern eS wird nur demjenigen Polen, der freiwillig oder aus wirthschaftlicher Nothlage seinen Grundbesitz nicht behalten mag oder kann, Gelegenheit gegeben, ihn zu einem Preise zu veräußern, der oft über den Preis binauSgeht, den er, wenn es keine Ansiedelungscommissivn gäbe, erhalten würde. Was aber das Vorgehen der Staats anwaltschaft gegen hetzerische und landesverrätherische Artikel polnischer Blätter oder gegen revoltirende polnische Unterlhauen anlangt, so befinden sich in diesem Falle die Polen keineswegs in einer ungünstigeren Lage, als die Elsaß- Loihringer sich auch nach der Aufhebung des Diclaturpara« graphen befinden werden. Denn selbstverständlich würden landesverrätherische Umtriebe in den RcichSlanden mit voller Strenge verfolgt werden. Wenn aber ein derartig strenges Vorgehen in den RcichSlanden seltener erfolgt, so liegt dies eben daran, daß die Elsaß-Lothringer sich entweder besser in die bestehenden Zustände luneinzefunden haben als die Polen, oder daß sie zum mindesten klüger sind und ihrem Tempera mente Zügel anzulegen verstehen. Wenn die Polen nicht immer wieder von ihren klerikalen Freunden aufgemuntert würden, so würden vielleicht auch sie etwas vorsichtiger sein und sick dabei Wohler befinden. Die Saat des Hasses, die in Frankreich Antisemiten nnd Nationalisten gegen die nicht katholischen Franzosen ausgestreut haben, ist üppig in die Höhe geschossen. Die gellenden Ruse: „Nieder mit den Hugenotten!" haben einen ebenso starken Widerhall gefunden, wie die: „Nieder mit den Juden!" und verschiedentlich war bereits von Belästigungen protestantischer Gemeinden in einzelnen Theilcn Frankreichs berichtet worden. Während der Wahlperiode ist es nun in den Cevennen zu einem offenen Ausbruche des klerikalen FanauSmuS gegen die Protestanten gekommen, über den folgende Meldungen aus Privas vorliegen: „Die Gerichtsbehörden von Tournon haben eine Untersuchung über sehr gefährliche Zwischenfälle eingeleitet, die sich in dem District von Saiiit-Agröve.in der Berggegend, die den Nordtheil Les Departements Ardöche von der Haute-Loire trennt, abgespielt haben. Ter religiöse Fanatismus, der während der Wahlperiode geschürt worden war, ist nach der Abstimmung in der Umgebung der 3000 Einwohner zählenden Gemeinde Agreve, die 54 Kilometer von Tournon entfernt liegt, zum Ausbruche gelangt. In Roche« Paule, einer ziemlich bedeutenden Ortschaft, sammelten sich zwei« hundert mit Flinten, Aexten und Messern bewaffnete Katholiken vor dem PfariHause an und verlangten stürmisch von dem Pfarrer, er solle die Vernichtung der Ketzer anordnen. Tie Gendarmerie brigade von Saint-Agröve wurde in aller Eile herbeigeholt und mußte zwei Tage in der Gemeinde bleiben, um die Protestanten gegen den Fanatismus der haßerfüllten Menge zu schützen. In zwei anderen Gemeinden, Sainte-Jeure-d'And aure und Saint-Romain«le«DSsert spielten sich ähnliche Auf tritte ab. Di« Menge hatte Ziegen auf die Plätze getrieben, die sie mit Petroleum übergoß und lebendig aus Scheiterhaufen verbrannte, während die Fanatiker um die Brandherde herum tanzten und die Ruse ausstießen: „Verbrennt die Ketzer! Tod den Hugenotten!" Nach diesem scheußlichen Inter« mezzo wurde eine Gliederpuppe, di« dir Republik dar stellte, durch die Straßen geschleppt und verhöhnt und angespieen. AuS mehreren anderen Ortschaften werden gleiche Zwischenfälle gemeldet. ES ist ein wahres Wunder, daß kein Blut dabei geflossen ist. Im Verlaufe der eingeleitrten Untersuchung ist es den Gerichtsbehörden gelungen, gewisse Verantwortungen sestzustelle». ES sind sehr schwerwiegende Thatjachrn gegen einige Persönlichkeiten, die in diesen Bezirken eine angesehene Stellung einnehmen, ermittelt worden. Trotz der Anwesenheit der Gerichts behörden und der Gendarmen bleibt die Lage sehr gespannt und der geringste Anlaß würde genügen, um einen furchtbaren AuSbruch des religiösen Hasses hervorzurufen. Die protestantische Bevölke« rnng, obgleich sie in der Ueberzahl ist, bleibt in ihren Wohnungen; aber es ist vorauszusehen, daß sie, wenn diese Aufreizungen und Drohungen fortdauern, die Geduld verliert. Man trifft daher di« energischsten Vorbeugungsmaßregeln gegen blutige Zusammenstöße, die allgemein befürchtet werden." Und angesichts dieser Thatsachen, die eine würdige Er gänzung der Indenhetzen in Algerien und Paris bilden, wagen es die Klerikalen noch immer, sich als unschuldig ver folgte Opferlämmer der gottlosen Regierung auszuspielen! Deutsches Reich. /X BeLliv, 13. Mai. (Staatsrechtlich« Probleme.) Im Zusammenhänge mit einer augen scheinlich autvrisirten Besprechung der Erwägungen, welche für die eigenste Anregung des Kaisers wegen Auf hebung des Dictaturparagraphen maßgebend waren, wird gesagt: Der übrig bleibende Wunsch nach einer später erfolgenden Gewährung einer eigenen Vertretung der Reichslande im Bundes rat h e sei Sache der NeichSverfassung. Thatsächlich bildet Elsaß - Lothringen in staatsrechtlicher Beziehung ein Monstrum politieum. Es giebt nahezu ein Dutzend ver schiedene Theorien über die juristische Natur des Reichs landes. Wie ist eine andere Regelung der staatsrechtlichen Beziehungen zwischen dem letzteren und dem Reiche her- bcizuführcn? Die Lösung des Problems auf dem Wege einer Acndcrnng und Ergänzung der Reichsverfafsung war schon in 8 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 9. Juni 1871 in Aussicht genommen, über dessen provisorische Bedeutung seine Urheber niemals im Zweifel waren. Der Kaiser führt bekanntlich die Regierung im Reiche und im Reichs lande „im Namen des Reiches", also nicht im eigenen Namen, sondern im fremden Namen, im Namen der ver bündeten deutschen Fürsten und freien Städte. Während dem Kaiser die Regierung, die er im Reiche führt, gegen seinen Willen niemals entzogen werden kann, da er als Inhaber der siebzehn preußischen Stimmen gemäß Art. 78 Frnilletsn. iij Der Militärcurat. Roman von Arthur Achleitner. N.iüidnick vkibot«'. Die geistlichen Herren waren in die kahle, dürftige Stube getreten, wohin Eorazza in den tropfnasscn Kleidern und Stiefeln eine feuchte Fährte zog. Kaum hatte der Militärcurat den Finger in das Weihwasser-Kcssclchcn neben der Thür gesteckt und sich bekreuzt, da sauk das Kerzcnstummclchen zusammengcschmolzen durch den Hals in die Flasche, flackerte ein letztes Mal ans und erlosch dann, worüber Osti zu jammer» begann. Eorazza griff nach einem Zündhölzerschächtelchcn und gab Schnellfeuer, in der Meinung, daß der Pfarrhcrr eine andere Kerze bereit halten werde. „Loco kuoco!" „6rL2io tuuto! Aber ich habe keine andere Kerze!" „So! Auch gut! Dann werden wir klassisch — im Schatten kämpfen!" lachte Eorazza. „Komm' mit, Herr Amtsbruder, in die Küche; wir werden Spanfeucr machen und das Fleisch schnell rösten!" rief Osti, tastete nach der Hand des Curatcn nnd führte ihn durch die finsteren Räume in die Küche, wo dann Eorazza mit Zündhölzern anshelfen und einen Kienspan anzünden mutzte. „Nun sind wir fein heraus!" meinte Osti, und begann als Köchin zu hantiren, während Eorazza Späne schnitt nnd anzündcte, die dann in eine Nische -er Herdmaucr gesteckt wurde». Allmählich empfand aber Eorazza doch Sehnsucht nach trockener Kleidung nnd äußerte einen darauf bezüglichen Wunsch. „Lrontv! Willst Du inzwischen kochen, hol' ich gern das Nöthige!" rief Osti und lief aus der Küche. Mit Leibwäsche und einem Talar kam der alte Pfarrer alsbald wieder, beteuernd, daß er mit einem anderen Kleidungsstück nicht dienen könne. Um deS Spanlichtes nicht entbehren zu müssen, das ciuen Ncbeuraum der rauchgeschwärzten Küche zur Noth erleuchtete, nahm Eorazza die Umkleidung in dieser Kammer vor und erschien daun lachend wieder beim Amts bruder, dem er die zu kurzen Acrmcl vorzcigtc. „Goliath in Davids Gewand, Bruder!" „Nieitto cki Mills, ich habe nichts Anderes! Doch ist das Zeug wenigstens trocken!" meinte Osti, und klopfte das Fleisch. Humorvoll fand sich Eorazza in die eigenartige Situation und half nach Kräften mit, auf daß doch ein warmer Bissen in den Magen kommt. Da schließlich Osti erklärte, cs werden an zehn Liter Meßwein vorhanden sein, bat Eorazza um ein Gläschen Wein, mit der Versicherung, daß er gleich morgen nach San Giorgio um Besorgung eines Füßcheüs Meßwein schreiben werde. So speisten denn die geistlichen Herren gleich in der Küche unter primitivsten Umständen und genossen ein Gläschen Wein dazu, wobei der alte Dorfcurat in innigster Weise seinen Dank aussprach für die opferwillige Aus hilfe, wie für die generöse Flcischspcnde. „Nichts zu danken, Herr Amtsbrudcr! Reise morgen glücklich und mit Regenschirm über die Grenze, und komme bald wieder! Weißt, Bruder im Herrn, übermäßig lang möchte ich in diesem „Palazzo"" doch lieber nicht residircn!" „Glaub' ich gerne! Ich bin es gewohnt und will es nimmer besser haben! Es soll meine letzte Reise sein, die schwerkrankc Schwester möcht' ich noch im Leben sehen. Die nächste Fahrt geht ins Jenseits, frachtfrei und hoffentlich nck alturn! Und nun kclicm-nma notte!" Nach kurzem Tischgebet begaben sich die Herren, jeder einen Kicnspan in der Hand, zur Ruhe. Eorazza erhielt daS Fremdenzimmer zum Nachtquartier angewiesen, einen Raum, der noch dürftiger möblirt ist als sein eigenes Schlafgcmach zu Hause. Ununterbrochen strömte das himmlische Naß zur Erde, und der Bcrgwind heulte im Gcschröff. „Wenigstens bin ich trocken unter Dach!" flüsterte Eo razza, drückte den Spanstnmmel vollends aus und legte sich ins krachende Bett. Am frühen Morgen, als der Sagrcstano den trüben regnerischen Tag anlüutetc, war der Dorfcurat reisefertig und bereitete noch schnell sein Frühstück. Eorazza kam alsbald hinzu und nahm Abschied vom Amtsbruder, um sich dann zum Mcsselescn in das Kirchlein zu begeben. Die letzten Worte des abmarschirendcn'Dors geistlichen galten nochmaligem Dank und enthielten die Versicherung, daß es nicht so gefährlich wegen der Pocken sei. Das hatte Eorazza völlig vergessen, er empfand deshalb auch keinerlei Furcht, dafür umsomehr Mitleid mit den armen Bewohnern dieses Dörflcins, und beschloß, sich über den Stand der zweifellos tristen Verhältnisse durch einen Nundgang zu informircn und wo immer nach bescheidensten Kräften möglich Hilfe oder Erleichterung zu bringen. Was der opferwillige Priester in den Hütten an Elend und Jammer zu sehen bekam, mußte selbst den erfahrenen Geistlichen aufs Tiefste erschüttern. Ganze Familien sind von der Krankheit ergriffen, liegen auf faulem Stroh, hungern, dulden und siechen dahin. Wer da von der Nach barschaft Hilfe brachte, trug den entstehenden Krankheits keim in die eigene Wohnung. Das halbe Dorf ist bereits von den Pocken gefährlicher Art befallen. Nicht um seiner Person willen fand cs Eorazza tadelns- wcrth, daß der Dorfcurat keine ärztliche Hilfe gefordert habe, die Sorge um die anvertraute Gemeinde hätte Osti hierzu veranlassen sollen. Doch je mehr Eorazza nach dachte, desto mehr entschuldigte er den Amtsbruder. Ein Bcttlerdoiff kann ja den Arzt nicht lohnen, und möglicher weise hatte Osti keine Ahnung davon, daß die Krankheit so weit schon um sich gegriffen habe. Es muß aber Hilfe rc- qutrirt werden, so nicht das Torf rettungslos verloren sein und ausstcrben soll. In fliegender Hast schrieb Eorazza einen Brief an das Oapitanato cki-üritmslo und schickte den Brief durch einen Burschen ins Städtchen hinunter. Große Sorge bereitete dem Euratcn auch das durch fort währenden Regen verursachte Anschwcllcn der Bcrgbäche in geradezu bedrohlicher Weise. Schon läuft ein entfesselter Gietzbach mitten durch das Dorf und schleppt Kies, ja ein zelne Fclsblöcke mit sich. Die kargen Felder und Wiesen sind bereits überschwemmt und vcrmnhrt, mit Geröll über deckt, vernichtet. Und immer gewaltigere Wassermassen stürzen herab. Ter Weg vom Widm» zur Kirche ist abge- schnitten, ein Wildbach strömt gurgelnd darüber nnd schießt in die Häuser. Eorazza sieht die Katastrophe kommen und eilt durch den brausenden Bach zur Kirche, deren anliegender Friedhof auch schon unter Wasser steht un- zieht selbst die Stränge der Glocken zum Alarm. Wenige Männer stürzen herbei, schreiend, verzweifelnd angesichts des neu hereinbrechenden Elends. Die «kranken können die überschwemmten Hütten nicht verlassen und retten sich mühsam auf die Dächer. . Schutt und FclStrümmer stauen sich in erschreckender Weise an, schon sind einzelne Häuser thürhoch vermuhrt und gierig schießen die Wogen durch die Fenster ins Innere. Eorazza mit einem glücklich erwischten Enterhaken greift an den bedrohtesten Stellen ein, unterstützt von den wenigen Männern, um dem Wildwasser einigermaßen Abzug zu verschaffen. So mag der Weltuntergang beginnen! So weit das Auge reicht, sind Wiesen und Felder vermuhrt, breite Wildbüche schießen darüber hinweg zu Thal, Hänge mitreißend, in deren klaffende Runsen das Wasser brausend uicderstürzt und mit elementarer Wucht weiternagt. Und der Regen wird zum Wolkenbruch, der verheeren den geringen Waldbestand ins Wanken bringt. Es rächt sich, daß die Dörfler seiner Zeit den Bancko boscbivo (Bann wald) nicht respcctirtcn und heimlich Holz fällten den Winter hindurch. Die Lücken im Walde sind jetzt will kommene Angriffsstcllen für den entfachten Sturm, der die schwachgründigen Bäume entwurzelt, Windbruch erzeugt, -en die Wogen kraftvoll unterstützen. Schon kommen ganze Bäume herunter, legen sich quer vor die Häuser, Felsblöcte werden eingeklemmt, neue Stauungen bilden sich, cs brechen die aufgehaltcnen Wogen seitlich aus, das schaurige Ehaos vermehrend. Holzhütten brechen zusammen, die brausende Fluth schwemmt deren Tbcile mit Mensch und Bich hinweg. Im furchtbaren Sturm ersticken die Jammerrufe der dem Untergang geweihten Dörfler. Es giebt keine Rettung mehr. Ohne Rücksicht auf sich selbst, eilt Eorazza, soweit cs durch die Wogen noch möglich ist, den verzweifelnden Leuten zu Hilfe und ruft ihnen zu, auszuharren im Gottvertraucn. Mit dem Wasser steigt das Steingeröll zur Dachhöhc. Eo razza muß nun selbst das nächste Dach erklettern, so er nicht weggerissen werden will. Seine letzte Hoffnung richtet sich auf Gott nnd die braven Jäger tief unten in der Thalung. In San Giorgio hatte sich das Gerücht von der im Gebirge herrschenden Epidemie sehr schnell verbreitet un heillosen Schrecken hervorgcrufen. Welsche Todesfurcht veranlaßte viele ängstliche Leute, sich ganz abzuschltcßeu, jeglichen Verkehr mit Leuten aus dem Gebirge abzubrcchcu. Der Victnalienmarkt verödete, die Gebirgler konnten ihre Waarcn nicht absctzen und mußten sie wieder hcimtrageu oder in der Vorstadt verschenken, was selbst bei ganz arme» Leuten Schwierigkeiten hatte wegen der Furcht vor An steckung. Die Aufforderung zur Impfung von Seiten der Stadt verwaltung nebst der Warnung vor dem Verkehr mit der Gebirgsbevölkerung konnte die allgemeine Angst nur
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