Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.05.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-05-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020528029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902052802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902052802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-05
- Tag1902-05-28
- Monat1902-05
- Jahr1902
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezug-»Preis di der Hauvtexpedition oder den im Dtadd- bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich.-i 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau- 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich 6, für die übrigen Länder laut Zeitung-Preisliste. Redaktion und Erpedition: IohanniSgasse 8. Fernsprecher 153 und 222. Filialrrprditionrrr: Alfred Hab«, Buchhandlg., Universitätsstr. 3, L. Lösche, Katharinenstr. 14, u. Köuigspl. 7. -»-k> Haupt-Filiale Dresden: Strehlenerstraße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. . Haupt-Filiale Serlin: Königgrätzerstraße 116. Fernsprecher Amt VI Nr. 3393. Abend-Ausgabe. MWUrTaMalt Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Motizei-Änrtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen »Prei- dte 6gespaltene Petitzeile LS H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertrnannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgeu-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Iiunahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr- Anzeigen sind stets an dle Expedition zu richten. Die Erpedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Berlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 266. Mittwoch den 28. Mai 1902. 96. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Die Stimmung der Boercnvertreter in Holland. Der Berichterstatter eine- Berliner Blattes meldet aus dem Haag: „Während man in England, Wohl mit Rücksicht auf die bevorstehende Krönungsfeier, zur sanguinistischen Auslegung der letzten Nachrichten aus Pretoria geneigt ist, bleibt man in holländischen Boerenkreisen nach wie vor der Mei nung, daß die Boerenführer sich noch keinesfalls, wie man in England meint, zur Preisgabe der Unabhängigkeit entschlossen haben. Der längere Aufenthalt der Delegirten in Pretoria wäre somit nur daraus zu erklären, daß sie die Absicht baden, dort zu sondiren, welche Concessionen England gegenwärtig zu machen bereit wäre. Auch meint man hier, daß es zunächst nicht zum Friedensschluß kommen kann. Daß die im Felde stehenden Boeren augenblicklich keinen Frieden ohne Unabhängig keit für möglich hallen, war übrigens zu ersehen aus Briefen aus Westlransvaal, welche Anfangs April nach den Gefechten von Tweebosch und Nooiwal geschrieben waren. Einer der dortigen Commandanten fragt darin, wozu Friedensverhand lungen dienen sollten, so lange die Engländer noch ihrerseits „Bedingungen" stellten. Er sagt weiter, daß Alles schon fertig sei zur Fortsetzung des Winterseldzuges. Die Pferde, welche während des Sommers benutzt waren, seien weggeschickt und durch frische ersetzt. Weiter habe er an unzugänglichen Orten große Mengen Proviant aufgesperchert, welche für den Winter völlig ausreichen. DaS Nämliche gilt von den anderen Commandos. Aus diesen und anderen gün stigen Meldungen, welche hier eingetroffen sind, schließt man, daß die freudigen Töne der Friedensschalmeien in England noch keine Berechtigung haben. Jedenfalls befürchtet mau keineswegs einen übereilten Beschluß betreffs Preisgabe der theuer erkämpften Unabhängigkeit. Andererseits betrachtet man hier mit Besorgniß die Bereitstellung und Neuaus rüstung englischer Eolonnen, weil diese vielleicht in ver- rätherischer Absicht benutzt werden könnten, nm nach Ab- lehnung der Bedingungen gegen die von der Conserenz zurück kehrenden Boerenführer einen Coup zu unternehmen." * London, 28. Mai. (Telegramm.) Nach einer Depesche der „Times" aus Pretoria hat sich gestern bei Balmorat die gejammte Mannschaft von Hindon's Commando, 81 an Zahl, ergeben. politische Tagesschau. * Leipzig, 28. Mai. Die erste Lesung der ncnen Polenvorlage im preußischen Abgeordnetenhause ist überraschend schnell erledigt worden; ein einziger Sitzungstag genügte. Das dürfte hauptsächlich auf die eingehende Rede zurückzuführen sein, mit der der Ministerpräsident Graf Bülow die Borlage begründete und in der er manchen Einwurf, der sonst Wohl aus der Mitte deS Hauses laut geworden wäre, von vorn herein abschnitt. Besonderen Eindruck schien seine Er klärung zu machen, daß die Regierung deshalb eine so große Summe fordere, um dadurch ihren festen Willen zu bekunden, nicht zu ruhen, bevor sie ihr Ziel erreicht habe. Allerdings werden auch trotz dieser Er klärung die Gegner der sofortigen Bewilligung der ganzen Summe sagen können, die Regierung vermöge ihre Cousiquenz auch ohne diese Bewilligung dadurch zu zeigen, daß sie Jahr für Jahr die ihr nöthig erscheinenden Mittel fordere. Aber nachdem man so ost über Mangel an Regierungöeonscguenz geklagt, wird sich die Mehrheit des Hauses doch vielleicht für die Bewilligung der ganzen Summe erwärmen, durch deren Forderung die Negierung sich selbst festnagelt. Glücklich war auch die Versicherung des Grafen Bülow, daß er die An- siedelungScommission von bureaukratischer Engherzigkeit und Schwerfälligkeit fern halten und außerdem so bald al- möglich mit weiteren Vorlagen zur Stärkung des Deutschthums hervortreten werde, nachdem der Finanz minister sich bereit erklärt habe, in dem nächst jährigen Etat die Mittel zur Gewährung von Zulagen an die Beamten und die Lehrer der Ostmark einzustellen. Auf die Gegner der Vorlage machten diese Versicherungen nach haltiger Consequenz sichllich liefen Eindruck, denn ihre Aus führungen waren auffallend „zahm"; selbst der Centrums redner sprach für Verweisung der Vorlage an eine Com mission. Diese wird nun allerdings schwerlich die unveränderte Annahme deS Entwurfes beantragen, nach dem Eindruck der gestrigen Debatte aber darf man doch schließen, daß die Vorlage ohne tief greifende nnd abschwächente Veränderungen an daö Plenum zurückkehrcn werde, selbst wenn Herr Eugen Richter in die Commission gewählt werden sollte. Denn in dieser verfangen die Mittelchen nichts, die im Plenum immer einigen Eindruck machen. — Gerade rechtzeitig, um der preußischen Regierung sowohl, wie den nationalen Parteien zu zeigen, von welcher Seite die großpolnischc Agitation am meisten und erfolgreichsten geschürt Wird, trifft übrigens folgender Bericht auS Posen über die vorgestern dort ab gehaltene Papst feier ein: Die heutige polnische Papstfeier war, wie Erzbischof Stablewski treffend sagte, nicht nur eine Manifestation der Gefühle der prenßijchcn Polen, sondern auch eine Demonstration, eine, das muß zugegeben werden, wirkungsvolle Heerschau. Uever 3000 Personen waren anwesend, die beiden Domcapitel mit den Weihbischöfen, polnische Parlamentarier, der Adel und die Intelligenz, Polen aus Galizien und dem Weichselgebiet. Fürst Ferdinand Radziwill als Vorsitzender brachte ein Hoch auf den Papst aus. Vorgetragen wurde die Cantate, die der Papst znr Jahrhundert wende verfaßt hat, unter Leitung des Componisten, Propst I)r. Sur- zynski. Die Redner feierten den Papst als Kirchcnsürsten, als socialen Reformer, als Politiker — immer aber als Freund der Polen. Prälat Jaskulski meinte, wie dereinst die polnischen Ritter mit dem Rosenkranz auszogen, um das Christenthum zu vertheidigen, müßten heute die Polen mit dem Rosenkranz an dieArbeit gehen, denn dieWaffen seien ihnen entwunden. Rechtsanwalt Wolinski begann seine Rede, als Erzbischof v. Stablewski, mit fast frenetischem Beifall empfangen, den Saal betrat. Ter Redner schilderte die Zuneigung der Päpste zu den Polen, die immer gleich groß geblieben sei. Gegen die Theilung Polens habe nur der Papst prote- stirt. Leo XlH. betrachte die Polen trotz der politischen Grenzen als eine einzige untrennbare Nation, wie das sein Rundschreiben „an die polnischen Bischöfe", seine Rede an die polnische Deputation, seine Ehrung LedochowskiS bewiesen. Noch heute wird für das roxnum kololliuo gebetet. Die Polen müßten also am Papst« thum festhalten, da nur von dort ihnen die Hoffnung winke, daß sich ihre Lage ändern könne. An der Religion und Sprache ihrer Vorfahren würden die Polen unverbrüchlich sesthalten bis ans Ende aller Tage. Nach Reden des Grasen Mielzynski-Köbnitz und eines hiesigen polnischen Arbeiters verlas Domherr v. Szoldoski eine „Ermunterung" des Erzbischofs, ein diplomatisch stilisirteS Schriftstück, darauf berechnet, in möglichst unverfänglicher Form doch den Polen zu sagen, daß ihr Primas mit ihnen fühle. Der Erzbischof bete lediglich zu Gott, er möge Kraft geben, das schwere Kreuz, das er trage, noch länger zu tragen zum Wohl und Heil seiner Diöcesanen. Niemand könne wissen, wann die Leiden aushören würden. Der Erzbischof selber führte diesen Gedanken weiter aus. Wenn er gesünder wäre, würde er sich lebhafter am öffentlichen Leben betheiligen. Die heutige Versammlung solle nicht nur eine Demonstration, sondern auch eine Be kundung der Gefühle der Anwesenden sein. Sie sollten sich lieben, wie seinem oberhirtlichen Herzen — ohne Unterschied ter Nation — alle Diöcesanen gleich lieb und theuer seien. — ES mag hervorgehoben weiden, daß deutsche Katholiken, entsprechend dem rein polnischen Charakter der Ver anstaltung nicht bemerkbar wurden, auch kaum der Versammlung beiwohnten. — Die preußischen Polen wollen eine Pilgerfahrt veranstalten, um dem Papst die Gefühle ihrer Anhänglichkeit zu Füße» zu legen. — Dec Jestzug nach dem Zoologischen Garten, wo die Versammlung stattfand, er hielt durch die Betheiligung der polnischen Innungen und Vereine mit ihren Fahnen einen besonders festlichen Anstrich. Auch die Schützengilde, deren etwas größere Hälfte aus Polen besteht, nahm an dem Auszuge officiell Tbeil. Es ist bedauerlich, daß dieser Bericht nicht gestern schon im Abgeordnelenbanse bekannt war. Sonst würde Wohl von freiconservaliver oder nationalliberaler Seite die Anfrage an den Grasen Bülow gerichtet worden sein, ob er glaube, daß eine erfolgreiche preußische Polenpolitik sich vertrage mit Zaghaftigkeit gegen den Ult ramontanismus, und ob er in seinem ganzen Arsenal nicht eine Waffeausfindigmacheu könne, deren Verwendung der römischen Curie und ihren Trabanten in Deutschland die Lust an der Aufstachelung der Polen verderben könnte. Wir haben gestern auf einen sehr scharfen Artikel hin- gcivicscn, den das Organ der katholischen nicderrheinischen Bauernvereine, die „Rheinische Volksstimmc", gegen das Ecntrum gerichtet hat. weil der Reichstagsabgcordnete I>r. Spahn in einer Versammlung zu Bonn für ein Comprvmiß mit der Regierung in der Frage der Biehzöllc cingetreten war. Dieser Angriff wird noch verstärkt in einer Zuschrift, die das Blatt von einem rheini schen Lar.dwirthc erhält. Diese Zuschrift beklagt es bitter, daß die in der Versammlung anwesenden Mitglieder des Bauernvereins sich nicht gegen Spahn gewendet und er klärt hätten: „Werden die berechtigten Forderungen des rheinischen Bauernvereins nicht bewilligt, so verzich ten wir auf Handelsverträge". Wenn die Bauern in der gegenwärtigen entschcidungsvollen Zeit sich passiv verhalten wollten, so müsse man entweder sagen, ihre Klagen seien eitel Humbug, oder aber, die Bauern seien werth, schon morgen von ihrer Scholle weg gejagt zu werden. Dieser Schlußausfüyrung stimmt die „Rhein. Volksstimmc" durchaus zu, indem sie schreibt: „Dazu (nämlich zu einem Tarif im Sinne des Blattes) ge hört allerdings, daß die Bauern sich rühren und mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berge halten. Wer nicht schreit, wird nicht gehört." Sollte diese Parole von der katholischen rheinischen Bauernschaft ausgenommen werden, so würde das Centrum sehr bald Ohrenschmerzen bekommen, denn dann würden wohl auch die katholischen Kaufleute und Fabrikanten in Krefeld, Gladbach und Köln zu schreien anfangen und nicht minder die katholischen Ar beiter in Düsseldorf und Königshütte. Dieses Schreien aber würde vor aller Welt documentiren, auf wie unsolider Basis eine Partei steht, die nur durch den Cement -er ge meinsamen Confessio» in ihren Bestandthetlen zusammen gehalten wird. Der Umstand, daß in den Sitzungen einzelner Sub- comitös der ungarischen Delegation einzelne Mitglieder mit dem gemeinsamen Minister -es Aeußern Golu- chowski behufs leichterer und rascherer Verständigung — sonst kommt ein Dolmetsch in Verwendung — deutsch sprechen, hat in diesem Jahre den Zorn der waschechten „äußcrstlinkcn" Magyaren erweckt, nachdem sie es 35 Jahre lang mit Lammesgeduld ertragen haben. Und damit diese „nationale Demüthigung" ein Ende finde, versuchten die Herren, in die Sitzungen dieser Subcomitss als „stille" Zuhörer einzudringen. Nachdem sie zuerst durch -en Vorsitzenden des Heeresausschufses, Grafen Julius Szapary, an ihrem Vorhaben gehindert worden (bisher waren die Sitzungen dieser Unterausschüsse nicht öffentlich), beschloß unter offener Mithilfe der Regie rung das Plenum der Delegation die Öffentlichkeit, mit Ausnahme der ausdrücklich als geheim erklärten Sitzungen. So kann denn die äußerstlinke Controle, ob man mit Herrn Goluchowskt nur mittels Dolmetsch oder auch unvermittelt deutsch rede, beruhigt weiter geübt werden. Im Abgcordnetenhause aber wird stürmisch ver langt, Herr Goluchowskt solle Magyarisch lernen. Wenn das den Ausgleich retten sollte, wird er als gewiegter Staatsmann und transactionsfähiger Oesterreicher gewiß nicht zögern, seine Sprachkenntniffe in der verlangten Richtung schleunigst zu erweitern. Die Liga der Patrie Franeaise ist um einen ihrer Prä sidenten ärmer, den Ehrenpräsidenten Franeois Coppse, der sich zurückzieht, weil sein lieber Freund Jules Lemaktre, der Präsident der Liga, ihm den guten Rath erthcilen mußte, einer Versammlung der nativ- nalistischcn Abgeordneten nicht beizuwohnen, weil diese an dem strengen Katholicismus, -en Coppse überall zur Schau trage, Anstoß nehmen würde. Wie begreiflich, fühlte Coppöe sich dadurch verletzt und erklärte seinen Rücktritt in einem offenen Schreiben an Lemaltre, der die Demissivnser- klärung mit Phrasen des Bedauerns und mit dem Hinweis darauf, daß die Nationalisten jetzt praktische Politik zu treiben hätten und sich daher nicht dem Vorwurf einer allzu klerikalen Gesinnung aussetzen dürften, angenommen hat. Dieses Benehmen des tatsächlichen Präsidenten der Liga gegenüber dem Ehrenpräsidenten wird, wie man der „Münch. Allgem. Zig." aus Paris schreibt, auch von den Gegnern Coppec's scharf gerügt und dieser wird, wenn er die ihm sonst durchaus nicht holden republikanischen Blätter liest, darin die Versicherung finden, daß er sich um die Gründung der Patrie Francaisc und um das Aufblühen der Rcaction Verdienste erworben habe, die man mit schnödem Undank lohne. Jules Lemaitre ergeht eS bei dieser Gelegenheit weniger gut: Nieman- wagt, ihn in Schutz zu nehmen, und -cs Hohnes über seine Charakterlosigkeit, seine Heuchelei und Feigheit ist kein Ende. Er wird von Feuilleton. 3j Gesellschaftssimden. Von Irmgard So r rau. Alle Rechte vorkcbalttn. Noch am selben Tage ging cs wie ein Lauffeuer durch die Stadt, „Charlotte Altenburg ist abgcreist, pfui, wie ge mein, den ganzen Winter lang mit dem armen Doctor zu spielen und dann, wenn's Ernst werden soll, schnell ab- zurciscn! Lächerlich, dieser Grund, konnte nicht die Schwester ebenso gut reisen? So sind sie aber Alle, die von der hvchmuthigen Lippe'." Und durch die ganze Stadt ging der Zug sittlicher Entrüstung — Charlotte Attenburg war vcrfehmt.— Alles, was man Ungünstiges bemerkt hatte, wurde ans Tageslicht gezogen und dem bcdaucrnswerthen Doctor — als Trosttropfen — rathcnwcis gegeben. Er wehrte sich dagegen, er wollte an die glauben, die ihm rein und edel erschienen war, aber das Gift der Verleumdung blieb zuletzt nicht wirkungslos. Er ließ sich versehen, vor her aber schrieb er doch noch an das junge Mädchen, daß er sic noch einmal in Schwctzstcdt zu sehen hoffe. Als cs wieder Frühling wurde, kehrte Lotte ins Eltern haus zurück. Zur ersten Gesellschaft der Concordia ging sic >nit ihren Eltern. Welcher Unterschied! Keiner der Herren wagte zunächst sich mit ihr zu unterhalten, geschweige denn mit ihr zu tanzen, man ließ sic einfach sitzen, die Damen dankten sehr von oben herab, machten spöttische oder un zarte Bemerkungen und ließen deutlich ihre Nichtachtung fühlen, einige, aber wenige alte Damen waren unverändert freundlich zu ihr. Die Doctorin sprach sie, oh Wunder, auch einmal an; am Schluß ihrer Rede sagte sie so nebenbei: „Wissen Sic denn auch das Neueste, liebste Baroneß?" „Nein, Frau Doctor, ich bcdaure sehr." „Oh, dauu kauu tch's Ihnen ja sagen, natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Unser reizender, allbe- licbtcr Doctor Leuten, Tie kennen ihn ja auch ganz gut, soll sich lebhaft für ein junges, reiches Mädchen ans Nstadt intcreksiren, die Sache soll ausnchtsvvll sein! Reizend, nicht? Sie freuen sich gewiß auch sehr darüber!" Sie wartete gar keine Antwort ab, nickte nur dem jungen Mäd chen liebevoll zu. „Aber reine» Mnnd halte», Baroneß, bitte, bitte!" Damit wandte stc sich um uud ging zu ihren diesmaligen Bekannten: „Der Kleinen habe ich cs aber ordentlich gegeben, cs ist ihr doch nahe gegangen, sic ist ganz blaß geworden." „Wenn's nun heraus kommt?" „Pah! Durch wen? „Sie" schweigt. Ich habe auch nur gesagt, er „soll" sich interessireu." Manche fanden die Art doch nicht richtig, aber es wagte Niemand zu oponircn. Die Doctorin war gefürchtet. Sic konnte schaden — wem sic wollte. — Diesem Kreise gegen über stand jetzt ein einzelnes Mädchen, ein junges Ding von kaum achtzehn Jahren. Fröhlich, mit einem freien Ge wissen und einer tiefen Wicdersehensfrcude in sich war sic hierher an den bekannten Ort gekommen, und nun war sie wehrlos und unerwartet all den versteckten Giftpfeilen preisgegebcn, die gegen sie anflogen. Sie war vor Kurzem erst aus einem Leben zurückgekommcn, das ihr Alles ge boten hatte, was eine feinfühlige, ideal veranlagte Natur nur wünschen konnte: edle, zartsinnigc Verwandte, eine Atmosphäre von Schönheit, Glanz und Reichthum, Umgang mit geistreichen Leuten, ein Kreis warmer Freunde, Herren, die sie verwöhnten und verehrten, geistige und gesellige Anregung. Zum ersten Mal hatte sie einen Blick in das interessante, glänzende Leben gcthan, das außerhalb ihres einfachen Elternhauses lag. Lie hatte den Werth dieses Lebens voll geschätzt und doch hatte sic sich zurückgcsehut, weil ihr darin der Eine fehlte, den sie liebte. — „Fliegt denn ihr Pfeile, fliegt und verwundet, ich fühle, ich bin zu schwach, um Euch zurückzugcbcu, und wenn ich's könnte, ich würde cs doch nicht thun mögen. Arme kleine Menschen, Ihr thut mir leid. Ein trauriges Leben, das Ihr führt oder — führen müßt, ein Leben, zusammengesetzt aus Klatsch und Mißgunst, aus Vorurtheilen, ohne zu kennen oder nnr kennen zu wollen, an das Schlechte im Menschen apellirend, anstatt an das Edle und Gute. Arme Menschen, noch ärmer als ich!" „Minnic, die Baroneß Charlotte thut mir leid, sie hat so traurige Augen. Was meinst Dn, soll ich zu ihr hin gehen?" „Willst Du Dich emancipircn, Lore", frug die ältere Lchwester. „Ja, ich will cs." „Ich fiir meine Person habe nichts dagegen einzu wenden, ich würde Dir nach einer kleinen Weile sogar Nachkommen, nur nicht gleich, denn alles Auffallende muß man vermeiden. Bedenke aber vorher etwas, Lore. Mau wird über Dich reden!" „Oh, das bin ich gewöhnt, einmal mehr oder weniger. was kann das mir noch schaden. Die Zeit ist vorbei, wo es mir weh that!" Das alte Mädchen ging zu dem jungen hin und die Beiden unterhielten sich eine ganze Weile zusammen. Sie sprachen von allem Möglichen, — nur nicht von den Schwetzstedtcrn. Attenburg's waren entrüstet, die gcsammtc Familie stand auf. Da hatte man es nun, das mar die Folge von Charlotten's thörichtcr Liebe, darum hatte sie so verzweifelt gegen sie gekämpft, darum war die Familie zusammen ge trommelt worden, nur damit solch ein Keucrkopf seinen Willen durchsetzte, und nun ließ man eine Baroneß Alten burg, den Stolz ihrer Familie, einfach sitzen. Das junge Mädchen sah zunächst böse Tage, dann wurde man rück sichtsvoll gegen sic, sic litt selbst so sehr unter den Verhält nissen, wurde krank nnd elend, und sie war ja noch so jung. „Kind, nun wollen wir das thun, was noch zu thun ist in der Sache! Du darfst auf keinen Fall sofort vom Schauplatz in Schwctzstcdt verschwinden, cs sähe so aus, — hm, — cs sähe so aus, als grämtest Du Dich über Doctor Scnten. Ein paar Mal mußt Du unbedingt noch hingehen. Wir verabreden gemeinsames Dortsein mit Ukcnkühls und womöglich mit Fermann's, einige bekannte junge Herren schicken wir mit denen hin, so daß Du mit dem Tanzen ge sichert bist. Sidonie geht nicht mit, sic ist als Grllneberg's Brant hinreichend entschuldigt." Dies Alles schlug der Hof marschall sciuer Nichte vor. Trotz und Stolz erwachten in Charlotte. „Ich gebe Dir vollständig recht, lieber Onkel. Ich bin zu Allem bereit, was Du mir räthst." „Gut, mein Kind, ich kenne Dich ja! Bist ja doch ein echtes Reis von unscrm Stamm. Und wenn Du weiter so vernünftig bleibst, ist bald Alles wieder gut." „Bald ist Alles wieder gut", wiederholte sie seine letzten Worte. „Und wenn nicht?" „Liebe Charlotte, es ist Deine Jugendliebe! Fast jede Jugendliebe muß sterben, sieh Dich in der Welt um, wie selten ist es, daß eine ihre Erfüllung findet. Und doch leben alle diese anderen Menschen ruhig weiter und sind am Ende noch ganz zufrieden und glücklich. So wird cs Dir anch gehen, Du bist jung, viele andere, nene Eindrücke werden kommen. Dn wirst vergessen." „Wenn ich aber nicht vergessen kann, Onkel?" „Man kann, was man will, und Du mußt wollen. Wolle nur, was Du sollst, so kannst Du, was Du willst!" Willst Du cs besser wissen, meine Kleine, als die berühmten Leute! Deine Liebe muß aufhören zu leben!" Der alte Mann, der auf der Höhe des Lebens stand und -er nun seinen Weg langsam abwärts ging und das junge Mädchen, das eben erst als selbstständiges Glied in das Leben getreten war, standen innig umschlungen und blickten schweigend hinaus in die lachende, blühende Frühlings pracht. Plötzlich sank das blonde Köpfchen an deS Alten Brust: „Onkel, warum stirbt sich's so sehr schwer, wenn man noch jung ist?" Charlotte ging drei Mal nach Schwctzstcdt, lachte, scherzte, ließ sich den Hof machen von jedem, der dazu Lust hatte, warum auch nicht, sic war doch viel zu stolz, um die Nolle der trauernden Verlassenen zu spielen. Die bösen Zungen klatschten im Verborgenen weiter: „Seht, wie kokett sie ist, jedes Mal hat sie einen anderen Verehrer. Den Doctor scheint sic gar nicht geliebt zu haben, und es war doch solch ein angenehmer, reizender Mann!" Acußerlich wurde jedoch die Haltung gewahrt, die Baro nesse hatte wieder Freunde da, die sich ihrer angenommen haben würden. „Kommen Sie bestimmt zum nächsten Concordia- Abend? fragte die Frau Bürgermeisterin. „Jawohl, gewiß, gnädige Frau." „Also wirklich, das ist recht von Ihnen, meine liebe Baroneß"; die gute, freundliche Frau nickte ihr er munternd zu. Auf dem Nachhausewege konnte Charlotte diese Worte gar nicht vergessen, die die dringende Frage enthielten: „Kommen Sie bestimmt?" Sie wußte, daß Doctor Scnten viel bei Bürgermeisters verkehrte, denn er war mit ihnen befreundet gewesen. Sollte er doch etwa nach Schwctzstcdt kommen? Eine innere Ahnung antwortete ihr mit „Ja". Soll ich gehen, soll ich hingchen? quälte sie sich. Ja, - nein, — ja. Der Tag kam heran, und ihr Trotz siegte. „Ec hat mich so lange vergessen, er interessirt sich für eine Andere, er hat mich erst in diese entsetzliche Lage gebracht. Nein, ich gehe nicht hin, ich bleibe fort, verreise oder bin krank!" — Und er war dagcwesen — blaß, überarbeitet und — un verlobt, — sie erfuhr cs zu spät durch eine ihrer Freun dinnen. Sic hätte diesen Tag aus ihrem Leben streichen mögen, vergeblicher Wnnsch, er blieb, ebenso wie die wahn sinnige Angst: nnn ist Alles ans, »nd Du trägst auch mn die Schuld daran durch Deinen Trotz nnd durch Deinen Stolz. —
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite