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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.05.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-05-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020526026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902052602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902052602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-05
- Tag1902-05-26
- Monat1902-05
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbefördermrg 70.—. Jinnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr, Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. Nr. 262. Montag den 26. Mai 1902. 96. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Friede» k Man schreibt uns au- London, 24. Mai: Das geduldige englische Publicum ist wieder einmal grausam enttäuscht worden- Alles schien bis gestern Nachmittag daraus binzudeuten, daß eine unmittelbare Entscheidung mit Bezug auf die Beendigung deü Krieges in Südafrika bevorstehe und die Londoner Presse batte in übergroßem Eifer und mit der Unverfrorenheit des habi tuellen Besserwissers bereits haarscharf nachgewiesen, daß da- Resultat des für gestern Nachmittag einbrrufenen Minister» rathes nichts Anderes sein könne, als eine definitive Ent scheidung in Sachen deS Friedens. Die meisten Morgen» und Abendblätter wollten sogar wahrhaben, daß der Friede innerhalb der nächsten 24 Stunden proclamirt werden würde, und fanden für diese Annahme eine ganze Reihe angeblich schlagender Beweise. Bis 5 Uhr Nachmittag-, daS beißt bis zum Schluß der Cabinetssitzung, blieb selbst im Clublanv die Ansicht vorherrschend, daß der Abend noch eine große Ueberraschung bringen würde, die von Downingstreet auS» gehen sollte. Um so schmerzlicher und bitterer war daher die allgemeine Enttäuschung, als sich speciell angesichts des hart näckigen Stillschweigens der Negierung die Thatsache nicht mehr leugnen ließ, daß der so eilig zusammenberufene Minister rath nur die letzten Resultate der Verhandlungen zwischen den Boerensührern und Kitchener und Milner in Pratoria zu discutiren und in Erwägung zu ziehen hatte, oder auch vielleicht eine Erweiterung der den Boeren bereits gemachten Eoncessionen nolons volon8 vornehmen und die entsprechende Er mächtigung nach Prätoria binüberzeben mußte. In Regierungs kreisen sprach man sich denn auch gestern Abend noch ganz offen dahin aus, daß dieser EabinelSsitzung noch eine ganze Reihe anderer folgen würden, bevor ein thatsächlicheS Resultat in den Friedensverbandlungen verzeichnet werden könne. Man kommt eben immer mehr zu der Ueberzeugung, daß die ganze Lage in Südafrika für die Engländer doch durchaus nicht so günstig ist, als man hier gerne glauben machen will, und daß die englische Negierung sich nicht ohne zwingende Gründe auf diese langwierigen Unterhandlungen mit einem Gegner ein läßt, der doch eigentlich längst officiell besiegt und zu Boden geworfen ist. Der gewöhnliche Mann kann cS bei allem Ravau- PatriotiSmus und bei aller Verehrung für seine Negierung nicht fassen, daß man nach all den schönen großen Redens arten, die seit fast drei Jahren sozusagen sein tägliches Brod gewesen sind, nun doch so umständlich mit denBoeren verhandelt, anstatt ihnen einfach das Ultimatum zu geben: „Sofortige bedingungslose Capilulation — oder Fortsetzung deS Kampfes bis zur völligen Vernichtung des Gegners." Diese- Princip ist doch vom ersten Tage der Feindseligkeiten an in allen Phasen deü Krieges von der Regierung und ihren obersten militärischen Vertretern in Südafrika bochgehalten worden, um jetzt mit einem Male dieser milderen und bescheideneren Auffassung der ganzen Lage Platz zu machen. In der hiesigen Presse wird bereits energisch dagegen gewettert, daß den „be siegten" Boeren vielleicht daSZugestäiidnißgemachr werden könnte, daß sie die Waffen überhaupt nicht zu strecken brauchen, sondern einfach als gleichberechtigte Partei mit den Engländern Frieden schließen. John Bull verbeißt sich eben auf den seine Eitelkeit kitzelnden Gedanken, daß der Boer unter allen Umständen den Engländer als den Sieger anerkennen und ihn al- solchen huldigen muß — worauf sich Bruder Boer natürlich nicht einlafsen will, weil er dazu auch nicht die ge ringste Veranlassung hat. * Wellington, 25. Mai. Der stellvertretende Premierminister hat von dem zur Zeit in Südafrika weilenden Premierminister Seddon »in Telegramm erhalten, in dem dieser von einer Be sprechung mit Lord Kitchener und Milner berichtet und dann mitthcilt, daß beide die Entsendung eines neuen Con- tingentS nicht für nöthig halten. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. Mai. Wie bereit» mitgetheilt, hat die Linke deS Reichstages durch einen der Führer der deutschen Freibandelsbewegung in der „Neuen Freien Presse" verkünden lassen, daß sie alle ihre ObstructionSpläne nunmehr aufgegeben habe und einen möglichst raschen Abschluß der Co mm iss io ns- berathungen über den Zolltarif wünsche. Das war nicht immer so; denn an der übermäßigen Ausdehnung der Commission-berathungen trägt die Linke einen be trächtlichen Theil der Schuld. Insbesondere bat der Vertreter der freisinnigen Vereinigung, Abgeordneter Göt ti ein, durch Anträge, deren Aussichtslosigkeit von vornherein feststand, und Dauerreden sehr wesentlich dazu beigetragen. Daß Herr Gothein zum Danke für diese Thätigkeit von dem erwähnten Parteigenossen ausdrücklich als nicht zu Len be deutenden HandelSpolitikeru der Linken gehörig bezeichnet wird, ist eine Sache für sich, über die die beiden Parteigenossen sich auseinandersetzen mögen. Worauf cS aber ankommt, daS ist, daß in jener Kund gebung der Verzicht auf die ObstructionStaclik allein für die CommissionSberathung in Aussicht gestellt ist. Für die Plenarverbandlungen wird nicht nur, wie zugleich in jener Zuschrift an die „Neue Freie Presse" an- gekündigt wird, mit einer möglichst agitatorischen Führung der Verhandlungen seitens der Linken, sondern mit einer planmäßigen Obstruktion zn' rechnen sein. Gerade wenn für die Commissivnsverhandlungen auf weitere taktische Verschleppung-Manöver verzichtet und so der Schwerpunkt des Kampfes gegen den Zolltarif in die Plenar- berathung verlegt wird, darf sich die Mehrheit darauf gefaßt machen, daß alle Mittel der Geschäftsordnung Anwendung finden werden, um die Mehrheit an der Beschlußfassung zu hindern. Darauf deutet auch die Ankündigung einer mehr zum Fenster hinaus und auf die großen Massen berechneten Führung der Verhandlungen bin. Diese Art der Verhandlungen zielt offenbar auf die bevorstehenden Wahlen zum Reichstage ab und gewinnt besondere Bedeutung dann, wenn es gelingen sollte, die Verabschiedung der Zolltarifvorlage in dem jetzigen Reich-tage zu verhindern. Die Mehrheit des Reichstages wird sich daher für dir im Herbste bevorstehenden Plenar- berathungen der Zolltarifvorlage mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln auf die Ueberwindung der Obstructionstactik der Linken einrichten müssen. Daß dazu vor Allem Einheit und Geschlossenheit gehört, um stets das volle Gewickt der Ueberzahl an Stimmen in di« Waagschale werfen zu können, i ist selbstverständlich. Ebenso, daß eS zur Durchführung dieses I Kampfes von Bedeutung ist, wenn die Mehrheit ihre ganze I Kraft nach der Seite der freihändlerischen Opposition concentriren kann und von nun an ihr Augenmerk weniger auf das agitatorische Moment als auf das Er reichbare an Schutzzöllen richtet. Unter diesem Gesichts punkte ist eine tbunlichst baldige Verständigung zwischen der Regierung und der schntzzöllncrischeu Mehrheit des Reichs tages für die taktische Durchführung der Zolltarifverhand lungen auch in den Plenarverhandlungen vom größten Wcrthe. Ob die Ankündigung, daß von der Obstruktion abgesehen werden solle, den Zw^ck verfolgt, die Mehrheit für die Plenar- berathungcn einzujckläfern, ^nag dahingestellt sein. Hoffentlich wird der freihändlerische Schachzug den umgekehrten Erfolg haben, nämlich dazu beitragen, daß die schutzzöllnerische Mehr heit bei den Plenarverbandlungen nur um so mehr auf ihrer Hut ist. AuS Russisch-Polen erhalten wir den Wortlaut eines Schreibens, das die Bleistiftfabrik vormals Johann Faber A.-G. in Nürnberg an dortige polnische Kauf leute gerichtet hat. Von der Ermächtigung, dieses Schreiben zu veröffentlichen, machen wir um so lieber Gebrauch, je schärfer der Gesinnung entgegengctreten werden muß, von der es dictirt ist. DaS Schreiben lautet: „Nürnberg, den 5. Februar 1802. Hochgeehrter Herri Wir hören zu unserm Bedauern, daß sich in Ihrer Stabt eine gewisse antt-preußischr refp. anti-deutiche Be- weguug bemerkbar macht und die polnischen Zeitungen sowohl Con- sunienten als such Händler aussordern, Erzeugnisse deutschen Ur sprungs nach Möglichkeit zu meiden und dieselben durch inländisches Fabrikat oder solches anderer Läudrr zu ersetzen. Wir hören ins besondere, daß die Warschauer Schreibmaterialienhändler kürzlich in einer Versammlung beschlossen haben, in dec Zukunft Maaren deutschen Ursprungs nicht mehr zu führen. Fall- sich dieser Entschluß auch auf Blei- und Farbstifte und verwandle Artikel erstrecken sollte, möchten wir ganz ergebenst nachstehende Erklärung abgeben: Die anti preußische resp. anti-deutsche Bewegung ist wohl als eine Folge ge wisser Vorfälle in Preußisch-Polen anzusehen, für welche die deutsche Industrie nicht verantwortlich gemacht werden kann, schon um des- willen nicht, weil sie derlei Vorfälle gar nicht zu beeinflussen in der Lage ist. Nicht die deutschen Industriellen, sondern die königlich preußische Regierung ist dafür verantwortlich. Die Bleistift industrie ist aber eine specifisch bayerische und wird ausschließlich in und bei Nürnberg betrieben. Bayern ist ein selbstständiges Königreich, und die bayerische Regierung hat gar nicht daS Recht, in Ange legenheiten zu interveniren, welche im Königreich Prenßen vorkommen. Unsere politische und geographische Lage giebt uns die Selbstständigkeit nur für die Angelegenheiten unseres Königreiches, und was in Preußisch-Polen vorgeht, erfahren wir nur durch die Zeitung. Wir Bayer» können gewisse Vorkommnisse zwar be klagen, aber in keiner Weise beeinflussen. Erstreckt sich daher der Beschluß LeS Schreibmalecialienhaudels, keine deutschen Maaren mehr zu führen, auch auf die bayerische Industrie, so ist erwiesen, daß dieselbe ganz nnschuldigerweise in Mitleidenschaft gezogen, aber möglicherweise gezwungen wird, zu einer Sache Stellung zu nehmen, welche ihr seither ganz fremd war und bleiben sollte. Das braucht nicht zu geschehen, namentlich nicht unter Berücksich tigung der langjährigen und, wie wir annehmen, gegenseitig angenehmen Geschäftsverbindungen. Die polnische Presse wäre daher daraus aufmerksam zu machen, einen Unterschied zu machen -zwischen anti-preußisch und anti-bayerisch, damit nich. I solche Betriebe in Mitleidenschaft gezogen werden, welche sich um Politik nicht kümmern, sondern nur darauf ausgehen, ihre Abnehmer coulant und solide zu bedienen. Unter solchen Umständen rechnen wir mit einiger Sicherheit darauf, daß Sie nach wie vor Ihren Bedarf in Bleistiften und dergleichen durch die bayerische Industrie decken werden, und in dieser Erwartung zeichnen wir hochachtungsvoll Bleistift-Fabrik vorm. Johann Faber, A.-G. gez. L. Takel." Mit weniger Scheu kann der Mangel an natio nalem Ehrgefühl kaum bekundet werden. Eine Frage, welche, wie die preußische Polenpolitik, eine nationale Angelegenheit ersten Ranges ist und als solche das gesammte deutsche Volk auf das Dringlichste angeht, ist dem Briefschreibcr „fremd". Aber trotzdem bringt er eS fertig, „gewisse Vorkomm nisse" zu „beklagen"; trotzdem verräth er in jeder Zeile den Schmerz darüber, daß die Industrie „derlei Vorfälle" nicht beeinflussen, die bayerische Regierung dabei nicht „interve niren" kann! Bar jedes Anfluges von deutschem Ge- meinsinn, bettelt er darum, einen Unterschied zwischen anti preußisch und antibayerisch zu machen, weil die Bleistift- Industrie eine specifisch bayerische ist! So würdelos dieses Gebühren vom nationalen Standpuncte aus erscheint, so kurzsichtig ist es unter rein geschäftlichen Gesichtspunkten. AuS der im vorliegenden Falle gewiß unverdächtigen „Kölnischen VolkSztg." weiß man, daß der polnische Boycottversuch sich als undurchführbar erwiesen hat. Tschechische Kaufleute mußten nach derselben klerikalen Quelle von dieser Thatsache zu ihrem Leidwesen sich überzeugen. Auch das Len Handeisinteressen sicherlich nicht abholde „Ber liner Tageblatt" hat daS Gleiche ausführlich und mit Schärfe festgestellt. Nun läßt sich eine große deutsche Firma herbei, einen so unwürdigen Schritt zu thun! Solchem Ver halten gegenüber muß auf das Ernsteste darauf hingewiesen werden, daß eö in nationalen Angelegenheiten weder einen specifisch preußischen noch einen specifisch bayerischen Standpunct giebt und geben darf, sondern allein einen deutschen. Die Wahrung dieses deutschen Standpunktes unter allen Umständen ist jedes Deutschen selbstverständliche Pflicht. Dem sattsam bekannten unerfreulichen Bilde des öster reichischen Parlamentarismus fügt ein Wiener Corre- spondent der „Schles. Ztg." noch einige wenig einnehmende Züge hinzu. Endlich, schreibt er, ist die Berathung des StaatSvoranschlages für das laufende Jahr zu Ende geführt worden, nachdem die zweite Lesung deS Budgets allein nahezu vier Monate in Anspruch genommen hatte. Allerdings ist seit vier Jahren zum ersten Male wieder eine Budgetdebatte durch geführt worden, und da erscheint es begreiflich, daß sie auch außer gewöhnliche Dimensionen annahm; daß sie jedoch wie ein dünner Brei auseinanderlief, daran trägt die außerordentliche Verflachung schuld, die der österreichische Parlamentarismus erfahren hat. Tie heftigen innerpolitischen Kämpfe der letzten Jahre haben keineswegs dazu beigetragen, die geistige Potenz der parlamentarischen Parteien zu erhöhen, sondern im Gegentheil: das Abgeordnetenhaus ist mit Abgeordneten gefüllt, die zum größten Theile weit unter dem Mittelmaße politischer Bildung stehen. Mit dem Eigensinn und der Eitelkeit, wie sie allen kleinen Leuten eigen ist, die der Zu fall mir der Ehre eines Mandate- bedenkt, wurde in der Feuilleton. is Gesellschaftssiinden. Von Irmgard Sorrau. A2e verbkbalten. „Sie haben wirklich zugcsagt! Die ganze Clique vom Lande kommt morgen Abend zur Concordia", rief die dicke DoctorlSgattin ihrer schwerhörigen Freundin ins Ohr. Die schüttelte halb erstaunt, halb ungläubig den Kopf. „Wahrhaftig? Nein, so was? Weißt Du denn noch etwas Genaueres darüber, Cläre? Ich meine die Namen und Alles, waS man doch gern wissen möchte?" „Darin solltest Du mich doch kennen, Alwine. Glaubst Du, ich würde der Lache nicht auf den Grund gehen? Als ich so etwas läuten hörte, bin ich natürlich sofort zur Fran Lehmann gegangen, ich hatte einen Grund dazu, ich wollte sic schon lange um das Recept zur Hagebutten suppe bitten. Also, cs paßte mir ganz gut, daß ich bas gleich mit erfahren konnte, und ich sagte mir, wenn Jemand etwas weiß, dann weist es gewiß die Lehmann, weil ihr Mann Vorstand ist. Also erstens kommen Fcr- mann's aus Werben, Mann, Frau, Tochter Lisbeth und die Nichte, die immer im Sause ist, dann Ukenkühl's auf Memmingen mit zwei Töchtern, 18 und 18 Jahre alt, zu letzt Baron Altenburg mit seiner Frau und auch zwei Töchtern, 19 und 17 Jahre. Dast Fcrmann's Nichte reich ist, weißt Tn ja, sie soll aber sehr häßlich geworden sein und dazu auch noch unlicbenswürdtg. Die Anderen alle, außer der Nichte, sind arm, ob sie hübsch sind, konnte mir die Lehmann nicht sagen. Seit die Mädel- erwachsen sind, hat sie ja auch noch Niemand von uns richtig zu sehen bekommen, cs ist ihr erster AuSgang in Schwetz- stedt. Na, wie's auch sein mag, eine Abwechselung für uns ist's auf jeden Fall!" „Ja, ja, natürlich, Cläre. Nein, was Du nicht sagst! Die Nichte ist also häßlich, und Baron Altenburg s kommen auch? Ja, die werden wohl mit Ukenkühl's zusammen recht aparte thun und die feinen Nasen über unsere Con cordia rümpfen. Ich kenne das, bas ist immer so bei solchen, sie wollen mehr wie nnscrcins sein." „Schadet nichts, Alwine, wir bekommen dafür viel zu sehen, — und, weißt Du, Geheimraths Beiden, denen gönne ich's nach den zehn Jahren Alleinherrschaft. Die werden sich 'mal über das junge Volk ärgern." „Freilich, die können ganz still ihr Tanzklcidchen ein packen! Aber gönnen thu' ich's ihnen auch, den dummen Gänsen! Da, denk' Dir, erzählt mir heute die Bäckers, frau nur so im Vorbeigehen, 's wär' wahrhaftig wahr, ihre Lina hätt's ganz genau gesehen, neulich, am Montag, hätte Geheimraths Aelteste gelächelt, wie sie mich gesehen hätte und wäre schnell in einen Laden gegangen. Ich stand gerade auf der Straße und sagte einem vorüber- fahrenden Knecht meine Meinung, weil er nach Amychcn mit der Peitsche geschlagen hatte, und das arme Thier hatte doch nur ein bischen die Pferde angebellt. Der Kerl wurde auch noch grob, als ich's ihm vorhielt. Ueber so eine Gemeinheit noch zu lachen, das vergeß ich dem albernen Ding so bald nicht!" „Nein, das kannst Du auch nicht, Alwine, so etwas ver windet man nicht so leicht. Die Strafe ist aber diesmal schon da. Zehn Jahre als einzige ständige junge Damen in Gesellschaften gehen, mit den jungen Herren tanzen, sich fein putzen und immer nach einem Mann fahnden und doch keinen kriegen, wo's doch die einzige Auswahl hier war, daS ist 'ne Schande, Alwine! Ich möchte die nicht erleben." — Droben klappte ein Fenster. Mit Falkenblick streifte die Doctvrin die Häuserreihe. Natürlich, da bewegte sich ein Vorhang und dort ver- schwand eilig eine Gestalt ins Innere des Zimmers. Die Doctvrin gab deshalb ihrer Freundin einen kleinen Stob und fuhr laut und nachdrücklich fort: „Na, wie's auch ist! Sonst sind Gehcimraths zwei reizende junge Damen, einen kleinen Fehler hat schließlich Jeder — auch wir, Alwine!" Daraufhin setzten sich die beiden Würdigen in rasche Bewegung und sahen nichts mehr von den neu gierigen Augen, die sie so lange verfolgten, bis die nächste Straßenecke sie jedem Blick entzog. Am nächsten Abend versammelten sich die Mitglieder der Concordia besonder- zahlreich, sogar die jungen Herren kamen diesmal nicht als die Letzten, sondern standen bereits abwartend umher. Sic waren alle «in wenig erregt, und das war natürlich, mehr ober minder stammten sie aus größeren Städten und hatten sie sich schwer an daS eintönige Leben in dem kleinen Nest gewöhnen können. Heute sollte einmal eine Abwechselung kommen, und das belebte sic im Voraus. Biele vom jugendlichen Element waren eS nicht, immerhin für eine kleine Stadt genug: ein Aorstafsessor, »wct Referendare, et« junger -k-t, der Provisor au- der Apotbeke, ein Student, einige Postbeamte und mehrere Landwirthe, die eben noch dabei waren, ihre rothen, ausgearbeiteten Hände in weiße Glaces zn pressen. Die Gehcimraths- töchtcr unterhielten sich mit dem gefürchteten Amtsrichter, der ihnen als Freund ihres Vaters stets die Stange hielt. Die Beiden gingen ganz gleich angezogen, in nagelneuen weißen Mullkleidern mit reichlichem feuerrothen Sciden- ausputz, letzteres auf den Rath der langjährigen Schneiderin, welche immer sagte, roth verjünge, da cs einen rosigen Schein aufs Gesicht werfe. Dazu trugen sie an Busen, Handgelenken und in den Haaren silbrigen Kiligranschmuck, der bei jeder leisen Bewegung hin und her schwankte. Trotz aller dieser Anstrengungen fühlten sich die Beiden unbehaglich, sie wurden kritischer und, wie cs schien, mitleidiger gemustert wie sonst. — Die Doctvrin ricth eben ihren diesmaligen Intimen, doch ja aufzupasscn, ob Herr Lentze, der auswärtige Doctor, wirklich nicht die Polonaise und den ersten Walzer mit seiner Frau tanzen würde, es hieße immer, er und seine Frau ständen nicht gut zn einander, aber aus diesem Anßerachtlassen jeder schuldigen Rücksicht würde man am genausten sehen, wie die Sache stünde, als der Kellner den Vorständen meldete: „Die Wagen sind eben vorgcfahrcn." Die beiden Herren richteten sich daraufhin mit einem Ruck kerzengerade in die Höhe, rückten wie auf Verab redung nochmals an Schlips und Kragen, strichen den Bart, sahen die Anderen herablassend und ermnthigcnd an und postirtcn sich an der Eingangsthür. Die drei Familien vom Lande halten fast zn gleicher Zeit ihren Einzug in den Saal. Am Eingang ein Durch einander von rauschender Seide, Hellen Stoffen und schwarzem Tuch, dann ein langsames Sichten, Ordnen, ein familienweiscs Borstcllen. Außer den Vorstands frauen nahmen sich zwei bis drei der Stadtdamcn der Neulinge an, die ttebrigen verbeugten sich rcscrvirt, ant worteten rescrvirt und schlossen sich gruppenweise fest zu sammen wie zur Vcrthcidigung: „Wir gehören zu sammen, wir von der Stadt, wehe, wenn Ihr vom Lande Euch uns alb Eindringlinge nahen wollt!" Gehcimraths Lore und Minnte blickten verstohlen auf die Concurrentinncn und senkten entmuthigt die Köpfe. WaS sie da sahen, war niederschmetternd. Alle die sechs waren hüsch, selbst die Nichte schien ihnen nicht so ab schreckend, wie sic erwartet hatten, einige von den Mädchen waren sogar sehr, sehr hübsch und noch etwas besaßen auch alle diese Neuen, etwas, was ihnen selbst mit der Zeit verloren gegangen war und was kein rosiger Wider schein ihnen mehr geben konnte, — den Charm -er frischen, unberührten Jugend. — Beide thaten das Beste, was sie thun konnten, sie begrüßten die jungen Mädchen ein bischen würdevoll-freundlich und setzten sich, als sei dies schon seit Jahren nicht anders Sitte, zu den ver- hetratheten Frauen, der Jugend dadurch freiwillig das Feld räumend. Doctor Sentcn, der Salonlöwe, und das enkaut Schwetzstcdt's, brach jetzt seine Unterhaltung mit der Fran Amtsrichter ab: „Ich möchte mich wohl vorstellcn lassen, gnädige Frau." Er verbeugte sich, setzte den goldenen Klemmer auf und versuchte, eines Vorstandes habhaft zu werden. Plötzlich stutzte er, nicht weit von ihm standen zwei junge Mädchen im Gespräch mit dem Forstassessor, das eine braun und kleiner, das andere blond, mittel groß, schlank gewachsen, diese ganz in Weiß, bis auf daS Diadem von Vergißmeinnicht auf dem stolzen Köpfchen. Er sah sie aufmerksam an, sie sah sehr einfach, aber sehr vornehm aus, und auf dem Gesicht lag ein Zug von Heiterkeit, Güte und sinnendem Ernst zugleich. Er fand sic entzückend. Gott, wie lieb sie aussah, so etwas glaubte er sein Lebtag noch nicht gesehen zu haben, und er hatte doch schon 28 Jahre zu tragen nnd war kein Frauenver ächter gewesen. Er hatte seine Schüler-, seine Studenten liebe gehabt, wie jeder Andere auch, er hatte Diese und Jene verehrt, hatte zeitweise geglaubt, sich wegen un glücklicher Liebe erschießen zu müssen, und hatte sich nach einiger Zeit getröstet. In den letzten Jahren war ein Stillstand eingctrcten, er hatte sich schon zn alt für der artige Thorhcitcn gefühlt, hatte Frauen Frauen sein lassen nnd sich nur seinem juristischen Studium gewidmet. Er hatte gelernt, gestrebt, viel erreicht und immer ge dacht, als braver Junggeselle recht bequem weiter zu leben. Noch der heutige Abend sollte kunterbunt Alles über den Haufen werfen, was er an solchen Grundsätzen besaß. Die Vorträge sollten gleich beginnen, vorher liest er sich noch Allen vorstellen, auch der Dame in Weiß. „Charlotte, Baronesse Altenburg", wiederholte er in Ge danken, als er nach wenigen flüchtigen Worten mit ihr an seinen Platz neben der Frau Amtsrichter zurückging. Während ein Clavicrspieler Musikstücke von Liszt, Schubert und Wagner vortrügt, beobachtet er das junge Mädchen, nimmt sich fest vor, jetzt sichst Dn fort, Du wirst doch nicht so schwach sein, sieht geradaus ans Ge- Heimraths und zwischen denen durch in den Spiegel. Hinnncl, wie blaß er aussah, wie eine Leiche. Zn dumm!
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