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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.05.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-05-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020526026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902052602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902052602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-05
- Tag1902-05-26
- Monat1902-05
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V7VV Budgetdebatte »eh« Mak, hundert Mak dasselbe gesagt, denn die „neuen Manner" hatten sich sorgfältig vorbereitet, Alles, waö Gevatter Schuster und Schneider an der Politik der Regierung schlecht findet, gewissenhaft notirt und, unbekümmert darum, daß der College A und B bereits ganz dasselbe be- sprocheu hatten, von ihrem einige Pfund schweren Manu- scripte abgelesen, obgleich derlei eigentlich gar nicht statthaft ist. Eine Debatte war also die eben zu Ende geführte Budgetdebatte nicht. Bedenklicher als das war eme andere Erscheinung: nämlich die immer mehr um sich greifende Theilnahmlosigkeit der Abgeordneten, die wiederholt die Beschlußunfähigkeit des Hauses ver ursachte, und zwar trotz der reichlichen Diäten, die den Ab geordneten die gegenwärtige Session gewährt. Allerdings beruht diese Theilnahmlosigkeit nicht nur auf der Bequem lichkeit vieler Abgeordneten, sondern — was vielleicht noch schlimmer ist — auf dem Mangel an Verant- wortlicbkeitSgefühl und dem Mangel an Muth, Ja oder Nein zu sagen. So fehlten z. B. bei der Endabstimmung über daS Budget, die 154 Stimmen für und 114 Stimmen dagegen ergab, nicht weniger als 151 Abgeordnete, also mehr als ein Drittel des ganzen HauseS! Die meisten von diesen 151 Erwählten des Volkes hatten sich doch nur abseutirt, weil sie nach ihrer Ueberzeugung für das Budget hatten stimmen müssen, jedoch nicht den Muth hatten, eS zu thun. — In der laufenden Session — es bleiben nur noch knavpe vierzehn Tage zur Verfügung, da diese von den Dele- gationSberathungen in Anspruch genommen wird — soll außer einigen kleinen Vorlagen auch noch der Gesetzentwurf, be treffend daS Verbot de« Getreideterminhandels, er ledigt werden. Ob eS dazu wirklich kommen wird, ist jedoch nach der Lage der Dinge einigermaßen fraglich. Deutsches Reich. 6.8. Berlin, 25. Mai. Die vor Wochen angekün digte Anarchlstenconfereuz hat während der Pfingst- feiertage in Mannheim getagt. Die Anarchisten hatten bekanntlich den Ort der Confrrenz nicht öffentlich be- kanut gegeben; sie hatten einen Ort im Badischen deshalb für ihre Conferenz gewählt, weil nach dem ba dischen Gesetz politische Versammlungen nicht der Behörde angemeldet zu werden brauchen; diese hat freilich trotz dem das Recht, durch zwei Beamte die Versammlungen überwachen zn lassen. Nach anarchistischen Quellen hatte die Polizei von der Conferenz Kenntniß erhalten und kurz nach Eröffnung derselben stellte sich ein Polizeicommissar und ein Wachtmeister ein. Am frühen Morgen hatte die Polizei schon eine Gasthausrevision vorgenommen und durch dieselbe die Gewißheit erlangt, daß eine Anzahl Anarchisten in Mann heim eiagetroffen waren. Der Mannheimer Polizeicommissar erklärte nach dem anarchistische« Blatte „Neues Leben", daß er keineswegs beauftragt sei, die Verhandlungen zu verbieten oder aufzuheben. Die Conferenz soll dann ruhig zu Ende geführt worden sein. DaS „Neue Leben" theilt weiter mit, daß im Anschluß an diese Conferenz eine Anzahl Com missionen getagt haben und zwar ohne polizeiliche Ueber- wachung. Die Anzahl der anarchistischen Delegirten mit Mandat soll 29 betrage« haben. Es sei daran er innert, daß im Sommer 1900 in Paris die inter ¬ nationale Anarchistenconferenz stattfindeu sollte; sie wurde verboten; eS soll aber trotzdem den Anarchisten gelungen sein, ihre Zusammenkünfte in Paris heimlich abzuhalten. Eine gegen Weihnachten 1900 nach Berlin einberusene Anarchisten konferenz wurde ebenfalls verboten, worauf zu Ostern 1901 eine solche in Bietigheim stattgefunden, resp. begonnen haben und dann, nachdem die Polizei Wind bekommen, an einem andere« Orte zu Ende geführt worden sein soll. Hieraus muß man allerdings schließen, daß mit dem Verbot und der Schließung anarchistischer Versammlungen nicht viel erreicht wird. WaS in der Mannheimer Versammlung beschlossen wurde, ist noch nicht bekanul; die öffentliche Conferenz wird aber auch wenig Bedeutung gehabt und der Schwerpunkt in den Commissionsberathungen gelegen haben. * Berit«, 25. Mai. (Deutsche Briefe unter euy- lischer Censur.) Schon kürzlich war in einer Zuschrift an die „Tägl. Rundsch." Beschwerde darüber geführt worden, daß die von Deutschland aus nach den unter englischem KriegSrecht stehende« südafrikanischen Ländern gesandten, ebenso wie die von da nach Deutschland kommenden Briefe von der englischen Censurbehörde geöffnet und geprüft würden, gleichviel ob sie an Engländer, Boeren, Deutsche oder Angehörige sonstiger Nationalität gerichtet wäre«. Heute fÜAt das genannte Blatt dieser Zu schrift Folgendes hinzu: Die Zuschrift irrte, wenn sie glaubte, in der Oeffnung des einen oder anderen Briefe« eine „immer noch" hier und da vorkommende ver einzelte Rücksichtslosigkeit erblicke« zu sollen. England hat eS als sein Recht in Anspruch genommen, alle Briefe zu öffnen, die aus den von ihm occupirten Gebieten auSgehen oder dahi« gelangen. Jeder Brief kommt in die Hände he« Ceasor« und erhält seinen Vermerk: geöffnet werden stur Stichproben. Da gegen dieses Verfahren keine Macht protestlrt hat, haben wlr vn« damit llkngst abgefunde«. Etwas Anderes ist die Oeffnung von Briefen, die au« deutschen Gebieten nur im Durchgangsverkehr englische« oder von den Engländer« occupirte« Gebiet berühre«. Auch solche Briefe sind in direkter schwerster Verletzung de« inter nationalen PostrechtS der englische» Censur unterworfen worden. Die „Tägl. Rdsch." hat seinerzeit energisch da gegen protestirt. Die englische Regierung suchte die Ver letzung deS Briefgeheimnisse« al« vereinzelte Ausnahmefälle hinzustellen. Wir konnten daraufhin au« drei ver schiedenen Monaten solche Briefe vorlegen, die dann von der deutschen Regierung eingefordert und al« Beweis stücke verwendet wurden. Gehört hat man seitdem nichts mehr darüber; vermuthlich hat England zur Er ledigung solcher unwichtigen Fragen gerade keine Zeit. Besonders hat daS Ansehen de« deutschen Reiches der Umstand zu stärken vermocht, daß die au- deutschem Gebiete in fremde Länder versandten Briefe unterwegs von der englischen Behörde geöffnet wurden. So konnte doch daS gesammte Ausland sich gleich schwarz auf weiß überzeugen, daß England uns „über" ist und un« zu controliren sich herauSnrhmen darf. Seitdem sind un- noch schwerere Ver letzungen deutscher Rechte auf diesem Gebiete z« Gesicht ge kommen. Auch Briefe au« Deutschland, und ebenso au» England, nach den deutschen Gebieten in Südafrika sind der englischen Censurbehörde vorgelegt und je «ach Gutdünken geöffnet worden oder nicht. Dor un- liegt ei» Brief au» Barmen, der in Gibeo» in Deutsch-Südwestafrika am 20. Januar 1902 eingetroffen ist mit dem schöne» Stempel „?L88ecl kross Oensor" und ein Brief aus England, der am 21. Januar 1902 in Gibeon eingetroffen ist, nach dem er am 11. December in Capstadt geöffnet und unter der stolzen Flagge „Opsnock unäor dlartial weiter gesandt war. Die liebenswürdige Aufmerksamkeit, die Eng land der deutschen Post widmet, gehört mit zu den stolzen Erinnerungen, unter denen einst der Boerenkneg in der Ge schichte fortleben wird. — Bei Ertheilung deS Zeichenunterrichte« in den Schulen haben sich, wie kürzlich vorgenommene Revisionen zeigten, erhebliche Mängel herau-gestellt. CultuSminister Vr. Studt hat daher durch eine neuerliche Verfügung die Provinzialschulcollegien veranlaßt, dem Zeichenunterricht be sondere Aufmerksamkeit zuzuwenden und dafür zu sorgen, daß dieser Unterricht nach folgenden Gesichtspunkte» er- theilt werde: Im Freihandzeichnen kommt «S vor allen Dingen darauf an, daß die Schüler selbstständig beobachten und darstelle« lernen; Zeichnungen, die unselbstständig oder rein mechanisch oder nach irgend einem Schema hergestellt sind, verfehlen ihren wahren Zweck. Die Schüler sollen Studienblätter liefern, auS denen ihre eigene Arbeit klar zu rrseheu ist. Zunächst sollen die Schüler flache Formen frei auffassen und wirdergeben lernen. ES ist dabei sowohl an Gebrauch-gegenstände, als auch namentlich an Natur formen (Blätter, Schmetterliug« u. s. w.) gedacht; Borlageblätter sind hierbei ganz ausgeschlossen. Zeichnungen an der Schultafel sind von dem Lehrer nur zur Erläuterung der Aufgabe zu entwerfen, nicht aber al- Vorbilder zum bloßen Nachzeichnea. Die Schüler zeichnen entweder »ach dem Gegenstände oder au» dem Gedächtoiß. Der Aufgabe soll eine anschauliche und möglichst kurz« Besprechung über den Gegenstand, der gezeichnet werden soll, vorangehen. Die einzelnen Aufgaben müssen von den Schüler» frei, d. h. thunlichst ohne Auwrudllng von Hilfslinien und HilfSmaßen gelöst werden. Die Schüler müssen di« zu zeichnende Form oder Linie möglichst in einem Zuge rasch ausführen und daS Verfehlte in unausgesetzter Uebung durch da» Richtige ersetzen. — Z« der officiösen Aeußernng der „Nordd. Allg. Zig.", „daß bereits am 14. d. M. der Commission die amtliche Ausgabe der Conferenzprotokolle zugegangen sei", wird der „Germ." von emem Mitgliede der Zucker- com Mission geschrieben: Die i« Wien erschienen« Ausgabe der Protokolle nebst einem Sachregister ist mir heute, am 23. Mai, mit Poststempel Berlin vom 22. Mai durch das Bureau des Reichstag« zugegangen, ein« sonstige amtliche Ausgabe ist mir dagegen bi- jetzt nicht zu gekommen. Die „Germ." fügt hinzu; Wir hatten demnach vollständig Recht, al- wir am 20. Mai schrieben» daß die am 6. Mai vou der Commission verlaugteu Protokolle den Mitglieder« noch nicht zugekommeu seien. Wen die Schuld daran trifft, können wir natürlich nicht feststellen; wenn die Protokolle dem Büreau deS Reichstag» schon am 14. Mai zuge- gangeu wären, so würde diese» mit der Bettheilung doch wohl.kaum bis zum 22. d. M. gewartet haben? Die ganze Angelegenheit ist bisher „regierungsseitig" (um den Ausdruck der Begründung zur Vorlage zu wählen) sehr wenig als Eilfall behandelt worden, und eS wrrLeu sich daraus auch für den Reichstag entsprecheude Consequeuze« ergeben. — Zur rüstigen Alter von 56 Jahre« ist heute der erst jüngst zum Präsidenten deS Oberverwaltungsgerichts ernannte Geheimrath vr. Kügler, der langjährig« Leiter der Volk»- schulabtheilung de» preußische« Unterrichtsministerium» ge storben. Nur wenig« Monate hat er seme Verpflanzung au« der Thätigkeit, in der er wurzelte, in ei« vielleicht bequemeres, aber seinen Fähigkeiten und Neigungen nicht das rechte Feld bietrude» Amt überlebt. Zwar hieß e», er selbst bade diesen Wechsel in seiner Tbätigkeit gewünscht; auch hat er eS zu- gestandeu; aber freiwillig war dieser Wunsch nicht: Er ging, der Noth gehorchend, nicht dem eigenen Triebe. Die preußische Volksschule verliert in ihm einen treuen uud charakterfesten Verfechter ihrer Interessen; in de« Kreisen der Lehrer und aller Derer, die an der Freiheit der Schule festhalten, wird sein Andenken in Ehren bleiben. — Der erblindete, aber geistig noch so frische Wirkt. Geh. Rath Professor vr. Plank hat soeben den großen „Kom mentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch" vollendet und abgeschlossen. Der greise Gelehrte hat an diesem Werke seit 1898 rastlos und ungeachtet schwerer persönlicher Heim suchungen gearbeitet; die noch lebenden Mitarbeiter hatte er, wie die „B. N. N." berichten, am letzten Mittwoch, um sich versammelt, um den Abschluß des Werkes zn feiern. Mit arbeiter waren: der inzwischen verstorbene ReichSgrrichtS- rath a. D. Achilles, Professor vr. Andrä in Marburg, Geh. Zustizrath M. Greiff, d»e Amtsrichter Ritgen und Strecker, sowie RegierungSrath vr. Unzner. — Im Jahre 1904 soll, wie ein Berichterstatter wissen will, eine allgemeine deutsche Schulstatistik veranstaltet werden. — Der Oberstaatsanwalt zu Königsberg hat, dem „Ge selligen" zufolge, nach eingeholter Entscheidung deS Iustir- mintsterS gestattet, daß zum Besuche der weiblichen Sträf linge in den GerichtSgefäugnissen — nicht den Zucht häusern — geeignete Damen zum Zweck sittlich.religiöser Einwirkung zugelaffen werden können. Bei der Zulassung solider Damen sei mit größter Vorsicht zu verfahren. Es müsse darauf gesehen werden, daß die Damen nicht bloS die für de« edlen und bedeutsamen Zweck erforderlichen Eigen- schäfte« des Herzen« uud deS Geiste» besitzen, sondern daß ihnen auch der erforderliche Tact und namentlich strengste Verschwiegenheit eigen ist. — Wegen Beleidigung deS Ostmarkenvereins ist bekanntlich am 12. Mai von dem Berliner Schöffengerichte der verantwortliche Redakteur deS „Goniec WielkopolSki", Jacob KlonowSki, verurtheilt worden. Jetzt berichtet die „Ostmark" über den Proceß Folgendes: In diesem polnischen Blatte waren im November v. I. zwei Aufsätze erschiene«, welche die gröbsten Schimpfereien gegen die „Hakatisten" enthielten. Diese, so hieß e» z. B. „betreiben heidnische Barbarei", die „auf gleicher Höh« stände mit der Schänd- lichkeit der wilden Hunnen". Alle» thäten sie nur „in der Hoffnung auf Gratifikation", „ihr Patriotismus sei mit Geld gekauft", sie hätten einen „gemeinen Charakter", sie seien „CarriSrereiter", sie wollten „auf polnischem Grund und Boden ei« urdeutscheS HauS erbauen, nm darin billiges Bier zu trinken". Die Polen könnten mit vollster Befriedigung auf die „Sittenlosigkeit ihrer Gegner, auf ihre geistige Verderbuiß und Fäulniß blicken". Der erst einundzwauzigjährige Angeschuldigte hatte auf die Klage nicht« zu antworten, als daß „daS alles wahr" sei. Auf die Aufforderung des Vorsitzenden des Gerichts, dafür Beweise zu erbringen, war er nicht im Staude, auch nur eine einzige Thatsache anzusühren. DaS Gericht verurtheilte de» Redakteur zu der höchsten Geldstrafe vou 1500 Mark oder 100 Tage Gesängniß. Der Vorsitzende de» Gericht- führte in seiner Begründung an, daß die Beleidigungen dazu angethan wären, auf eine Gefängnißstrafe zu erkennen, es liege aber nahe, daß der Angeklagte, zumal bei seiner Jugend, ebenso wie andere Redakteure polnischer Zeitungen, ein Strohmann sei. Der Gerichtshof habe daher eine Strafe gewählt, die auch die etwaigen Hinter männer treffe. — Am 7. Mai wurde von Breitkopf und Härtel i« Leipzig der 8. Band deS Werke» deS Grafen von HoeuS- broech:„DasPapstthum in seiner social-kulturellen Wirksamkeit" auSgegeben, und zwar mit Rücksicht auf den großen Erfolg deS I. Bandes gleich in drei Auflagen. Diese drei Auslaß» sind jetzt schon vergriffen, so daß die 4. Auflage, die in Voraussicht der starken Nachfrage gleich mitgedruckt war, anSgegeben worden ist. Ein wohl selten zu verzeichnender Erfolg. — Eine durch Gewährung freier Wohnung ver- gütete Thätigkeit, insbesondere von HauSremigern, Pförtnern rc., ist ungeachtet deS tz 3 Abs. 2 des Invaliden- Versicherungs-Gesetzes nach einer Entscheidung des Neichs- BerstcherungSamteS versicherungspflichtig, wenn die freie Wohnung nach den Umständen deS besonderen Falles über den persönlichen Bedarf des Beschäftigten hinaus einen selbstständigen VermögenSwerth darstellt. Dabei kann auch daS Wohnbedürfniß von Familien angehörige» (de» Ehegatten, unerwachsener Kinder) mit in Be tracht kommen, soweit deren Erhaltung einen Theil und Aus fluß der eigenen SelbsterhaltuugSpflicht des erwerbenden Famillenhaupte« bildet. Die Gewährung der freie« Woh nung in der Form, daß ein Theil de» vereinbarten Mieth- zinse« oder der ganze Miethzin» gegen da» Arbeitsentgelt vertragsmäßig ausgerechnet wird, schließt die Anwendung de» tz 3 Abs. 2 des Invaliden-VersicherunaS-Gesetze» nicht au»; ob ia solchem Falle da» Maß deS WohnbedürfniffeS überschritten wird, bestimmt sich bei theilweiser Anrechnung de» Miethzinse« nach dem Umfange einer dem angerechneten Betrage entsprechenden Wohnung. Die Zahlung eine« ge- ringSfügigen BaarbetraaeS ohne selbstständigen VermögeuS- werth neben der Gewährung freier Wohnung begründet für sich allein die Versicherungspflicht noch nicht. — DaS Iohanniterfest auf der Marienburg findet, wie der Graudenzer „Gesellige" auf Grund einer Mittheilung de» Ober-Hofmarschallamte» bestätigt, in vollem geplanten Umfange statt. Veranlassung zu dem unbegründeten Gerücht von einer Verschiebung de» OrdenScapitel» hat vermuthlich der Umstand gegeben, daß der Kaiser im Herbst für die gesammten Ritter-Orden Festspiele zu veranstalten gedenkt, nach Art der vor Kurzem in Wiesbaden abgehaltenen, und daß für diese Festspiele u. A. Vorführung von Turnieren ins Auge gefaßt sind. Bei seiner jüngsten Anwesenheit in Wies baden hat der Kaiser jene Idee mrt dem dortigen Hoftheater- Intendanten v. Hülsen besprochen und diesen beauftragt, Vor bereitungen zu treffen. Ueber eine Vorbesprechung hinaus ist diese Angelegenheit jedoch noch nicht gediehen. Zu den Marienburger Festlichkeiten sind, wie ferner aus Danzig be- richtet wird, sämmtliche RechtSritter deS Johanniter-Ordens geladen. Ferner betheiligen sich Deutsch-OrdeuSritter der Balley Utrecht und eine Abordnung englischer Johanniter ritter. Nach dem kirchlichen Act findet ein Frühstück statt in den Gastkammern des Mittelschlosses. Der Kaiser trifft am 5. Juni Morgen« von Berlin in Marienburg ein und empfängt zunächst im großen Remter die gesammte Ritter schaft. Nachmittags 4 Uhr reist der Kaiser nach Kabinen ab. — Professor AloyS Schulte, der bisherig« kommissarische Direktor de» historischen Institut- in Rom, hat nach der „Germania" heute Rom verlassen, um nach Breslau zurückzu kehren und seine Vorlesungen wieder aufznnehmen. An seine Stelle in Rom soll, wie verlautet, der Professor Kehr in Göttingen im Verein mit dem katholischen Historiker Baumgarten in München berufen werden. Professor Kehr hat in der letzten Zeit dadurch von sich reden gemacht, daß er vom Fürstbischof Cardinal Kopp eine Subvention zur Herausgabe von päpstlichen Urkunden erhielt und daß er zum Dank für diese Unterstützung die Er nennung de» Cardinais zum Ehrenmitgliede der Göttinger Akademie der Wissenschaften veranlaßte, was wiederum den Professor Leh mann zum Austritt aus der Akademie und zu heftigen Augriffen auf den Index bewog. — Der hiesige württembergische Gesandte Freiherr v. Varn- büler hat einen kurzen Urlaub angetreten. Während seiner Ab wesenheit führt der württembergische Militärbevollmächtigte General- major v. Marchtaler die Geschäfte der Gesandtschaft. * Osnabrück, 24. Mai. In der Nähe von Osnabrück, bei Haste, wird zur Zeit ein großes Ursulinerkloster errichtet, welches dreiställig ist uud einen großen Complex umfaßt. Eine Niederlassung der Ursuliner ist bereits in Osnabrück, woselbst sich auch ein großes neues Nonnen kloster ,Lur ewigen Anbetung" befindet, welches zu Zeiten des CulturkampfeS zeitweilig nach Belgien übersiedeln mußte. * Honnef, 25. Mai. König Oskar von Schweden und Norwegen, der gestern hier eingetrofsen ist, wohnte beute Vormittag dem Gottesdienste bei, den Oberhofprediger Dryander abhielt. * Mannheim, 23. Mai. Die von der badischen Regierung für das Großherzogthum projectirte kommunale Maaren- Haussteuer findet nirgends Freunde. Die Handelskammern erklären sich gegen dieselbe, weil sie der Ansicht sind, daß das vorgeschlagene Gesetz dem Kleinhandel den erwünschten Schutz gegen die Uebermacht der Waareuhäuser nicht bringen werde. Auf der anderen Seite gehen den kleinen Kaufleuten die von der Regierung vorgeschlagenen Bestimmungen nicht weit genug. ES wurde in einer in Karlsruhe abgehaltenen Sitzung deS GesammtvorstandeS deS Verbandes selbstständiger Kauf leute und Gewerbetreibender beschlossen, an Regierung, Ab geordnete und Handelskammern eine gemeinsame Eingabe zu richten, die den Regierungsentwurf als ungenügend bezeichnet und gleichzeitig Vorschläge eines wirksameren und besseren Entwurfs zum Sckutze deS Kleingewerbes macht. * Kürzel, 25. Mai. Heute Vormittag besuchte der Kaiser mit dem Gefolge den Gottesdienst in der hiesigen Kirche, zu dem sich auch mehrere Vereine aus der Umgegend eingefunden hatten. Nach dem Gottesdienste fuhr der Kaiser in daS Wilhelm-Victoria-Stift zu Kürzel und kehrte alSdan« nach Schloß Urville zurück. * Urville, 25. Mai. Nach der Rückkehr auS Kürzel hörte der Kaiser den Vortrag des Kriegsministers Generals der Infanterie v. Goßler, hierauf den gemeinsamen Vortrag des commandirenden Generals General-Obersten Grafen v. Häseler, deS Gouverneurs von Metz Generalleutnants Stötzer uud des FestungS-Inspecteurs Generalleutnants Wagner, die sämmt- lich mit dem kaiserlichen Gefolge zur Mittagstafel geladen wurden. Nachmittags machte der Kaiser bei schönem Wetter einen längeren Spaziergang im Schloßpark. Zur Anderthalb Jahr langweilt er sich bis zur Verzweiflung in der Üetnen Stadt, fährt gestern endlich zu einem Riesen diner in die Hauptstadt und weiß im Voraus, wie er am nächsten Tag aussehen wird. Der Gedanke, welchen Ein druck er in der Concordia machen wir-, läßt ihn völlig kühl, es ist bis jetzt niemals Jemand dort gewesen, dem er hätte gefallen wollen. Und heute? Daß er auch ge rade heute so aussehen muß. Er ärgert sich maßlos über sich selbst. „Ob sie mich denn auch so häßlich findet?" Nachdenklich sucht er in ihren Zügen zu lesen, bis ihr be- segnender Blick ihn daran hindert und er fortsehen mutz. Ein Weilchen später fährt's ihm durch den Sinn: „Ich möchte wohl 'mal sehen, was für ein Gesicht sie eben macht und ob der Vortrag ihr gefällt." Immer wieder ist's etwas Neues, was ihm wissenswerth erscheint und, als in ihm immer mehr Fragen auftauchen, versucht er gar nicht mehr, gegen sein Interesse für sie anzukämpfen, sondern ergiebt sich. Nach den Vorträgen soll soupirt werden. — Stets war eS stillschweigendes Uebercinkommen in Schwctzstedt ge wesen, daß man familienweise an kleinen Tischen saß, die jitngen Herren für sich, die etwaigen jungen Damen bei ihren Eltern oder Verwandten. Die vom Lande schienen nicht über diese Sitte ortentirt, wenigstens stand die Jugend noch in einer Gruppe und schien auf etwas zu warten, was nicht kam. Die Tische wurden belegt, man ließ sich bereits nieder, die jungen Herren entfernten sich einer nach dem anderen nach ihrer Tafel, von dort aus sahen sie zü, wann wohl die jungen Damen zu ihren Eltern geben würden, sie konnten -och nicht immer stehend weiter reden wollen. Plötzlich wurde es zuerst dem Doctor Senten klar, man müsse wohl die Damen, wie es in jeder größeren Stadt Sitte sei, nur hier nicht in Schwctz stedt, zu Tisch führen. Dies erschien auch den meisten Anderen das Richtige, nur Einige wollten noch vor dem Schritt über Schwetzstebts Sittenmauer zögern. Während man noch diScutirte, kam Bewegung in die besprochene Gruppe, und alle sechs Mädchen stürmten auf den letzten freien Tisch, gegenüber dem der jungen Herren, zn. Fatal, äußerst fatal, alle sechs ein übermüthigcs Spott lächeln auf den rothcn Lippen, einer der Herren, der Forst assessor, dessen Ohr besonders fein war, glaubte sogar von einem Paar derselben den Ausspruch zu hören: „Kinder, hier in Schwctzstedt scheidet man die Schafe von den Böcken, bringt auch Ihr der guten Sitte dies Opfer." Sine Art Beschämung kam über die Unschlüssigen, nein, diese Blamage in den Augen der Damen, und nun zu spät noch engagiren zu wollen, sie hätten sich damit noch lächerlicher gemacht wie ohnedem. Doctor Senten war wüthend und verwünschte sich und alle Kameraden au- tiefster Seele. So etwas passirte ihm, dem firmen Ge sellschafter mit den tadellosen Allüren, und gerade solch' reizenden Damen gegenüber. Während die Herren ziem lich schweigsam und fast ausnahmslos mit verbissenem Grimm ihr Souper verzehrten, sich ärgerten, daß sie um die Gesellschaft der Damen gekommen waren und nur zu letzt in eine lebhaftere Debatte darüber gericthen, welche der Damen wohl am besten aussähc, denn Jeder fand außer der jüngeren Baroneß, die allgemein als die Schönste erklärt wurde, eine Andere am nächsthübschesten, ging es VW L vis sehr lustig zu. Die Unterhaltung stockte nicht einen Moment, die jungen Lippen sprudelten nur so von Lebhaftigkeit, sie Alle wollten sich halbtodt über die Witze von Sidonie Attenburg und Emma Ukenkühl lachen. Das Anklingen -er Gläser hörte überhaupt nicht auf, denn kaum verklungen, hatte Jede wieder einen neuen stichhaltigen Grund dafür in Bereitschaft. „Seht doch, wie die Herren sich langweilen, stumm wie die Fische sind sie.^ „Ob die überhaupt reden könnend „Aber ja, natürlich, Else/l „Sie sind zu sehr Mit dem Souper beschäftigt, Kinder!" „Richtig, Emma, Du hast'S wieder einmal erfaßt " „Hurrah, hurrah! DaS vw L vis soll leben!" rief Charlotte Attenburg und schlug klingend an ihr GlaS. „Hurrah, hurrah!" echote begeistert der Chor, und sechs schadenfroh lächelnde Lippenpaare tranken aufs Wohl der Schüchternen. ES war ein Hauptspaß. Sofort nach dem Essen steuerte Doctor Senten als Erster zu den Damen, wofür ihm noch am selben Aben de» Name „der Unternehmende" angehängt wurde, die anderen Herren folgten alsbald, und die Scheidewand war gebrochen. Der Doctor fing an, Charlotte zu erzählen, wie schreck lich einsam und geisttödtend eS für ihn in Schwetzstedt sei, da er doch Großstadtleben gewohnt wäre, wie man hier lächerlich auf daS Althergebrachte hielte, welcher Kasten geist hier herrsche und wie immer ein Theil der Be völkerung verfeindet sei, man wisse aber nie genau, welcher, denn Freundschaften und Feindschaften wechselten mit dem jeweiligen Klatsch, der ihnen zu Grunde läge. Die junge Baronesse nahm lebhaften Anthcil an seinen Mit- theilungcn und die Unterhaltung wurde bald eine recht rege. Die beiden jungen Leute schienen sich henlich zu amüsiren. Der Doctor engagirte die junge Baroneß immer wieder zum Tanz. Damit es nicht auffiel, tanzte er zwischendurch auch 'mal mit den anderen jungen Mädchen, er war aber froh, wenn diese Touren vorüber waren, so -atz er wieder zu ihr kommen konnte. Ver zweifelnd überwand er sich, wie er ihr erzählte, auch zu den Pflichttänzen mit Gchetmraths Minnie und Lore, als er von ferne deS Amtsrichters drohende Miene gewahrte. Auch während dieser Augenblicke ließ er Charlotte nicht außer Acht, eS entzückte ihn, wie sie sich graziös bewegte, wie sie tanzte, lachte, sprach, wie -er Helle Uebermuth aus ihren Augen leuchtete, so daß vor Erregung die Pupillen immer größer wurden und die Augen dadurch immer mehr an Ausdruck gewannen. Welch' eine Welt von Güte lag auf -cm blassen, feinen Gesicht, wenn sie zum Beispiel mit der Schwester oder mit den Freundinnen sprach. Dem jungen Mann wurde eS zu Sinn wie einem Trunkenen, er, der Vorsichtige, der Ueberlegendc, er sah nichts mehr, alS jene schlanke, biegsame Gestalt und den blonden Kopf vor sich mit dem Vergißmctnnichtkranz, er achtete eS nicht, -aß sein Benehmen auffiel, daß die Schwetzstedter schon längst die Köpfe zusammensteckten und Grund hatten, gehetmnißvoll zu tuscheln. Die Räthin un- die Doctorin saßen natürlich neben einander, sie hatten viel zu sehen und noch viel mehr zu reden. „Charlotte heißt sie und ist erst siebzehn Jahre alt", sagte die Letztere, „man sieht eS ihr nicht an, sie ist so fertig in ihrem Benehmen." „Ja, daS ist sie und eingebildet ist sie auch nebenbei, unS sieht sie ja kaum", setzte die Räthin hinzu, und die Nachbarinnen gaben ihr Recht; sie Alle vergaßen in dem Augenblick, daß sie selbst als so junge Dinger sich eben falls nicht um die älteren Damen gekümmert hatten, weil sie völlig genug zu thun hatten, sich dem noch ungewohnten Vergnügen deS Tanzens hinzugeben. „Sie ist schön", meinte die Dritte. „Ja, aber sie weiß eS auch, deshalb lacht sic so viel, eS kleidet sie gut, meinte die Vierte. „Und wie dünn sie ist, wie ein Faden, und das blasse Gesicht", flocht die Doctorin wieder ein und betrachtete selbst wohlgefällig im Spiegel ihre stattliche Figur und ihr blühendes Gesicht. „Das Kleid ist doch gesucht einfach, kein Band, keine Spitze, nur Fältchen, und die Schleppe! Reckt anspruchs voll übrigen- für ein junges Mädchen, in meiner Jugend ging man fußfrei und in Kattun, nicht in Tuch", spöttelte die Apothekerin. „Es ist nur ein leichter Wollmousielin", wagte eine sanfte Kaufmannswittwe zu sagen. Die Anderen sahen sie erstaunt und geringschätzig an. Das wäre ganz gleich, sie könnte trotzdem Kattun tragen oder doch Mull wie Gcheimraths. „Die anderen Mädchen tragen auch nicht Kattun, und sie sieht doch so bildhübsch und einfach aus", wollte Frau Thun noch einmal vertheidigen, aber die Anderen thaten, als hörten sie überhaupt nichts, Keines antwortete, und es entstand eine Pause, die so lange währte, bis die Frau aufstand und quer über den Saal zur Frau Bürger meisterin ging, die niemals scharf im Urtheil und zu Allen freundlich war. Die Zurückbleibenden zogen nun sofort über die Weggehende her und wandten dann ihr Augen merk wieder auf das interessante Paar: Charlotte Atten burg und ihr Doctor. So kam cs, daß die junge Baronesse vom ersten Gc- sellschaftstagc au der Zielpunct aller beobachtenden Blicke wurde, selbstverständlich, denn das eittant gLts intercssirte sich ja für sie. Hätte sie cs in ihrer Unerfahrenheit und die Eltern in ihrer harmlosen Weltanschauung geahnt, welche Tragweite ein derartiges Interesse für das Geschick eines Menschen an sich haben kann, sie wären niemals wieder nach Schwctzstedt gekommen. So amüsirten sich die Töchter, und die Eltern freuten sich, daß ihre Kinder gut gefielen und daß sie sich an genehm unterhielten. „Baroneß scheinen sehr selten nach Schwctzstedt zu kommen. In dem drciviertel Jahre, das ich hier vege- tire, habe ich noch nie das Glück gehabt, Sic zu sehen." Ach, sehr selten kämen sie her; höchstens 'mal zu der einen Schneiderin, sonst führen sic zu Besorgungen nach dem größeren Gcntcn oder auch gleich nach der Hauptstadt. Hier gäb's nicht viel zu holen, und nicht einmal eine Con ditorei sei da, in der man sich bei Rcgcnwctter aufhalten könne. „Aber es giebt -och Hotels; wir haben zum Beispiel in dem einen ein rescrvtrtes Zimmer, und wenn Sic das benutzen wollen, wird es Allen eine Ehre sein!" „Sehr freundlich, Herr Doctor, aber nützen kann ünS auch das nichts. Zu Besorgungen fahren immer nur wir Damen allein, ohne Vater, und können also nicht in Hotels gehen." (Fortsetzung folgt.)
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