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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.06.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-06-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020614023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902061402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902061402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-06
- Tag1902-06-14
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Sie widerlegt zunächst alle jenen klugen Leute, die sich in der Presse dahin ausgesprochen haben, als könne die Parteileitung der Gesainmt- heil ihrer Angehörigen überhaupt nicht mehr gegenüber treten, weil das zu Auseinandersetzungen führen würde, die das Ende der Partei zu bedeuten hätten. Die Einen wußten es ganz genau, daß ein tiefer Riß zwischen den socialpolitisch positiven Elementen und denjenigen Gruppen bestehe, die einen socialpolitischen Fortschritt nicht mehr mitzumachen geneigt seien, weil sie zunächst hauptsächlich in der nach drücklichen Abwehr der socialrevolutionären Umtriebe die Aufgabe des Staates und des BürgcrthumS zu erkennen ver möchten. Wieder Andere glaubten, daß die Kluft der wirtb- schaftSpolitischen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Partei zu tief sei, als daß man darüber vor der Oeffent- lichkeit sich auseinandersetzen könne. Wieder Andere wußten andere Todeskeime der Partei zu constatiren. Alle diese phantasiereichen Darstellungen haben nun schon eine erste Entkräftung erfahren. Die Partei denkt nickt daran, um der Gegensätze willen, die in jeder großen Mittelpartei vor handen sind und vorhanden sein werden, auf ihre Fort existenz zu verzichten. Sie hat im Gegentheil den Wunsch, mit den Parteivertretern aus allen Theilen des Reiches über das, waS sie einigt, und über das, was man als Meinungs verschiedenheiten dulden kann, und wie weit man eS dulden kann, sich zu verständigen. Dabei wird ohne Zweifel zu Tage treten, daß die Momente der Einigung, das Bewußt sein eines gemeinsamen Besitzes an idealen und nationalen Gütern und an liberalen Aufgaben, alles Andere weit über ragt, daß die Differenzpuncte zwar vorhanden sind, aber daß ihnen nur im Rahmen der Parteibetbätigung eine einzelne Stelle zukommt, nickt daß sie selbst der Nahmen dieser Partei- bethätigung sind. Unseres Wissens hat der letzte Delegirten- tag im Jahre 1896 stattgefunden, also vor 6 Jahren. Ingber Zwischenzeit hat sich Vieles verändert, ist Vieles gearbeitet worden, sowohl auf dem Boden des Reiches, wie auf dem der Einzelstaaten, die Partei selbst hat in der Zwischenzeit eine lange Kette von Wahlkämpfen durch laufen, ihre Beziehungen zu den anderen Parteien und zur Regierung haben sich vielfach umgestaltet, ihr Ansehen als ein ausschlaggebender Factor im Parlament ist jedenfalls nicht geringer geworden. Schon dies Alles läßt es hohe Zeit erscheinen, daß der Gesammtheit der Partciangehörigen wieder einmal Bericht erstattet wird über die Ver gangenheit seit dem letzten Delegirtentage und daß die Ver treter auS den verschiedenen Theilen deS Reiches Gelegenheit erhalten, Kritik zu üben und ihren Einfluß geltend zu machen, wo etwa andere Richtpunkte bezeichnet werden sollen. Wesentlich ist aber insbesondere auch, daß seit dem letzten Parteitage die großen Führer auSgeschiedeu sind, unter deren Leitung die Partei den ersten großen Abschnitt ihres Da seins durchleben durfte, und daß jetzt, namentlich seit dem Rücktritte des Herrn v. Bennigsen aus dem parlamen tarischen Leben, ein neues Führerthum allmählich sich heraus gebildet hat, dem es jedenfalls selbst darum zu thun ist, am Abschlüsse der ersten Legislaturperiode des Reichstages, die ohne die Mitwirkung der alten Führer ihren Verlauf genommen hat, sich zu vergewissern, ob und wie weit zwischen den Nachfolgern der großen Männer und der Masse der Partei die Uebereinstimmung noch vorhanden ist. Sicher ist dabei eine Aussprache zu erwarten sowohl über Umfang und Tempo der social reformatorischen Arbeit, wie über Mittel und Wege des Kampfes gegen die socialrevolutionären Umtriebe, sowohl über die Grenzen der Freiheit in wirthschaftlichen Dingen, wie über die Mitarbeit der Fraction im Reichstag an den verschiedenen großen Wirthschaftszesetzen. Aber es ist kaum zu bezweifeln, daß, so gut die Fraction selbst ihr freund schaftliches Einvernehmen über alle diese Schwierigkeiten hinweg bewahrt hat, auch die Gesammtheit der Partei Ziel und Aufgabe darin erkennen wird, daß man sich um solcher Differenzen willen das Leben gegenseitig nicht schwerer macht, sondern daß man auf die widerstreitenden Meinungen nach wie vor vermittelnd einwirkt, um auch den großen Aufgaben gewachsen zu bleiben, die im nationalen Staate für eine nationale Partei, im Verfassungsstaate für eine liberale Partei, im modernen Staate für eine culturfrcundliche Partei stets vorhanden sein werden. Und über diese Aufgaben rechtzeitig vor Beginn des nächstjährigen Wahlkampfes wieder belehrt zu werden, kann der Gesammtheit der nationalliberalen Partei nur von hohem Nutzen sein. Der Papst ist durch seine Allocution vom 9. d. Mts. dem „toleranten" deutschen Cent rum so in die Parade ge fahren, daß ein Centrumsblatt sich zu dem Versuche veranlaßt sieht, die Allocution abzuschwächen. Während nämlich das „Wolff'sche Bureau" berichtet batte, daß der Papst seiner Trauer über die Entchristlichung Italiens durch die Ausbreitung der Ketzerei und des Pro testantismus Ausdruck gegeben habe, beruft sich das Cenrrumsblatt ans den Wortlaut der Allocution, wie er im „Osservatore Romano" vorliegt, und behauptet, vom Protestantismus sei in der ganzen Allocution nicht die Rede. Selbst wenn der „Osservatore Romano" entsprechend über die Allocution Bericht erstattet, ist damit für die Hal tung Leos XIII. gegenüber dem Protestantismus gar nichl? bewiesen. Es kann ganz dahingestellt bleiben, inwieweit der Papst für die Berichterstattung im „Osservatore Romano" von der Wohlthat des revidirten Stenogramms Gebrauch machte: in dem Briefe, den Leo XIII. am 19. August 1900 an den Cardinal Nespighi gerichtet bat, zeigt sich seine Toleranz in geradezu blendendem Lichte. Es heißt da: „Es ist nunmehr durch die Evidenz der Thaisachen allgemein bekannt, daß der von den häretischen Serien, diesem viel- gestaltigen Ausflüsse des Protestantismus, gefaßte Plan darin besteht, die Fahne der religiösen Unordnung und Rebellion auf der Halbinsel, vor Allein aber in dieser hehren Stadt aufzu- vslanzen . . . Nachdem die vorgenannten Secten in die Gemüther ihrer Anhänger Len eisigen Hauch des Zweifels, der Trennung und des Unglaubens gelegt — ein ungeheures Verwüstungswerk —.haben sie sich in diesen auserlesenen Weinberg des Herrn eingeschlichen zu dem Zwecke, hier ihre verhängnißvolle Zerstörungsarbeit sortzusetzen. Und da sie auf die Kraft der Wahrheit nicht rechnen können, so machen sie sich . . das wehrlose zarte Alter, ungenügende Bildung, die Bedrängnisse der Noth und die Schmeicheleien, Lockungen und Verführungen zugängliche Einfalt Vieler zu nutze. Gegenüber diesen Thatsachen fühlen wir. . das Bedürsniß, öffentlich zu er klären, . . wie peinvoll die dem Oberhaupte der katholischen Kirche bereitete Lage ist, das da gezwungen ist, der freien und fortschrei tenden Entwickelung der Häresie in Lieser heiligen Stadt zu- zusehen..." Die Berliner „Germania" bat den im Vorstehenden aus zugsweise wiedergegebenen Papstbrief „ein hochbedeutsames päpstliches Document" und ein Schreiben „von allgemeinem Interesse" genannt, „weil der heilige Vater in dem selben überhaupt über den Protestantismus spricht". Die Klage Leos, der Entwickelung der „Häresie" in Rom „zusehen" zu müssen und nicht die Ketzerei „auS- rotten" zu können — etwa nach den Recepten des Jesuitenpaters de Luca —,Paßt allerdings zudem „Toleranz antrage" der deutschen Centrumöparlei so wenig, daß ein deutsches Centrumsblatt zur Abschwächung der neuesten päpst lichen Kundgebung gegen den Protestantismus sich Wohl ver sucht fühlen konnte. Aber solche Versuche werden die That sachen nicht zu verdunkeln vermögen. Allem klerikalen Toleranzgerede zum Trotze bleibt es dabei, daß nichts in der Welt unduldsamer ist, als die vatikanische Kirche und ihr Oberhaupt in Rom. In den Erörterungen über die Folgen des Friedens schlusses in Südafrika ist schon mehrfach hervorgehoben worden, daß der Friede auch internationale Bedeutung habe. Verschiedene Mächte, z. B. Deutschland, haben Verträge mit Transvaal abgeschlossen. Diese sind jetzt hinfällig; die Ge sandtschaften bei den meisten europäischen Regierungen und die Consulate der Republik müssen eingehen. Die wichtigste Frage aber, die einen internationalen Charakter trägt, ist die: was wird nun aus der Delagoabai? Nach ihrer Er werbung strebte England schon seit drei Jahrzehnten. Als aller hand friedliche Versuche, in den Besitz der werthvollen Bai zu gelangen, erfolglos blieben, hatte man sich 1894 schon zu einer Art Gewaltstreich entschlossen. Damals er schienen mehrere englische Kriegsschiffe, und unter dem Vor geben, die Stadt und ihre Umgebung vor den aufständischen Eingeborenen zu schützen, bie von Rhodes Waffen und Munition erhallen batten, wurden 200 englische Matrosen in Lourenyo Marques gelandet. Der portugiesische Gouverneur, der mehrere tausend Mann zur Verfügung batte, nahm aber eine so drohende Haltung an, daß diese Mannschaft sofort wieder auf die Schiffe zurückgezogen wurde. Portugal hat jedoch seitdem, namentlich während des Krieges, seine Haltung völlig geändert. Es hat seine Neutralität unbedingt aufgegeben, indem es englischen Truppen ge stattete, durch sein Gebiet zu ziehen, jhatsäcklich wurde die britische Herrschaft über die Delagoabai und das angrenzende Gebiet hergestellt, soweit sie für die Kriegführung und die sonstigen Interessen der Engländer in Frage kam. Portugiesische Blätter behaupteten Ende 1900, eS sei ein Vertrag zwischen England und Portugal abgeschlossen worden und zwar folgenden Inhalts: 1) Portugal willigt ein, daß die Eisenbahn von der Küste bis zur Transvaalgrenze unter englische Verwaltung gestellt wird; 2) Portugal stimmt der Bildung einer britisch-portugiesischen Quaigesellschast zu, welche die Hafenanlagen in Lourentzo Marques in großem Maßstabe aussühren soll. Mehrere Mächte sollen aber ihr Interesse daran kundgegeben haben, daß die Delagoabai portugiesisch bleibt, da sie der einzige Hafen von Bedeutung in Südafrika ist, der sich nicht im englischen Besitze befindet. Die Sache geht in erster Linie Frankreich an, welches durch die Annection der Insel Madagaskar an allen Vorgängen in Südafrika 96. Jahrgang. hervorragend interessirt ist. Die Engländer dürften freilich kaum geneigt sein, die an der Delagoabai erlangte Position wieder aufzugeben. Vor kurzer Zeit ist in Cleve land die Gründung eines Tcutsch-amcrikanischcn kentralbundcS von Ohio erfolgt. Es ist dies ein weiterer erfreulicher Schritt in der durch den Besuch des Prinzen Heinrich angeregten Bewegung zum festeren und allgemeineren Zusammenschluß der Deutsch- Amerikaner. ES giebt, wie die Mittheilungen des „Allg. Deutschen Schulvereins" schreiben, unter den Deutsch- Amerikanern selbst leider noch Viele, die dieser Bewegung mit einem halb ungläubigen, halb ironischen Lächeln zuschauen. Sogar in vereinzelten deutsch - amerika nischen Preßstimmen kommt das zum Ausdruck. Hauptsächlich wird dabei an die vielen und weitgehenden Meinungsverschiedenheiten angeknüpst, die sich bei den Gründungöverbandlungen an manchen Orten ergaben. Man sollte doch bedenken, daß das auch, abgesehen von der Neigung des Deutschen zu solchen Auseinandersetzungen, in diesem Fall in der Natur der Sache liegt. Der National bund ist keine Sänger-, Turner-, Krieger- oder Schützen- Vereinigung, die schon ein halbes Jahrhundert besteht. Mit ibm ist eine neue Aera angebrochen, deren Zweck eS ist, zurückzuerobern, WaS sich die Deutsch-Amerikaner entreißen ließen, zu sckützen, was sie noch haben, und zu erlangen, WaS ihnen zukommt. So kennzeichnet ein deutsch-amerikanisches Blatt diese Dinge. Dasselbe Blatt warnt vor einem anderen Fehler, der öfters die Bewegung zu schädigen droht, indem es schreibt: „Es ist ein großer Fehler, in der Nationalbund- Bewegung eine Bewegung zu Gunsten irgend einer politischen Partei zu sehen. Nach langer Heit der Zer rissenheit und Uneinigkeit müssen die Deutfch-Amerikaner lernen, sich, wenn es die Erstrebung gemeinsamer Interessen gilt, nicht als Republikaner oder Demokraten gegenüber zu stehen, sondern als Deutsch-Amerikaner zusammen stehen." Wenn der Nationalbund sick dem gemäß aller Parteipolitik fern hält, so wird es hoffentlich bald gelingen, auch die letzte Möglichkeit eines Zweifels an seiner Loyalität Amerika gegenüber zu zerstreuen, ohne daß man sich darum so ängstlich bemühen muß, wie man da« bis jetzt ost zum Schaden der Sache zu thun scheint. Man geht darin so Weik, daß die „prominent deutscken Vereine", wie die dortigen Zeitungen sich nicht eben sehr schön auödrücken, ost fernbleiben. So gehören den „Ver einigten deutschen Gesellschaften von New Uork", die mit dem Centralbund in Uebereinstimmung handeln, die jenigen Vereine nicht an, in denen das „prominente Deutsch- tbum" zusammenkommt, also „Liederkranz", „Arion" unv „Deutscher Verein", während der nur aus amerikanischen Studenten zusammengesetzte „Deutsche Verein der Columbia- Universität" Theil nimmt. Dadurch geräth die nationale Tendenz der Bewegung, die ihr auch bei uns berechtigte Theilnahme sichert, in Gefahr, beinträchtigt zu werden. Deutsches Reich. X. Berlin, 13. Juni. (Schluß des Landtags.) In beiden Häusern deS Landtages herrschte heute Ungewißheit darüber, ob nächste Woche noch Sitzungen stattfinden werden oder nicht, d. h. mit anderen Worten: obschon morgen der Landtag geschlossen werden kann. Obwohl gestern der Vice- Präsident deS Herrenhauses, Herr von Manteuffel, erklärte. Feuilleton. iS, Verfehlte Liebe. Roman von E. Hein. Nachdruck verboten. An einem kleinen Tischchen saßen Friedrichs mit Merkel. Durch ihren längeren Aufenthalt waren Friedrichs, wenigstens Minna, und Merkel so ziemlich bekannt geworden. Man be grüßte sie und sie grüßten wieder, und wer sie nicht kannte, dem fiel Minna's klassischer Kopf, ihr weißes, von gesundem Roth gefärbtes Gesicht mit dem dunklen Haar auf. Auch wenn sic saß, hob sich ihre schlanke Figur Vortheilhaft vor den Anderen hervor. Sie und Merkel waren ein elegantes Paar, das Urtheil konnte man aus vieler Munde hören; aber auch Vater Friedrich fand mit seiner kernigen Gestalt und seiner seit einiger Zeit zur Schau getragenen straffen Haltung manches begehrliche Auge junger und alter Wittwen auf sich gerichtet, um so mehr, als die geschwätzige Fama ihm Reichthum andichtete, den er sich nicht erträumte. So geht es. Erst hatte man sie, weil sie nicht protzten, sondernbescheidentlich lebten, füögewöhnliche Mittelwaarq gehalten, als sie nun konsequent diese bescheidene Haltung be wahrten, ohne ihre Ausgaben zu beschränken, fing man an, sich für sie zu interessiren und ihre Bescheidenheit als die Maske eines ungeheuren Reichthums zu betrachten. Etwas müssen die Leute immer zum Reden haben. Von Merkel aber verbreiteten die jungen Leute, mit denen er das eine oder das andere Mal zusammengekommen war, in Iffezheim beim Rennen, beim Spiel, im Tingeltangel Märchen von seiner Freigebigkeit und seinem Reichthum. Außerdem wußte man ja auch, daß er einer sehr reichen Vater sein eigen nannte. War so «in Paar nicht wie für einander geschaffen? . Merkel und Minna unterhielten sich lebhaft. Di« flaue Stimmung vom Vormittag war verflogen. Sie sprachen über Alles und Jedes, am meisten über ihre lieben Mitmenschen. Da bei lachten sie und zeigten eine Fröhlichkeit, di« auch Friedrich mit ansteckte. To schön und begehrenSwcrih wie heut«, war Merkeln Minna noch nie erschienen, und wenn sein Blick im Lauf« der Unterholtimg über ihre Gestalt glitt, kam eS über ihn wie Frühlingswehen, eine süße Hoffnung zog in sein Gemüth ein, frischer Muth strömt« durch die Glieder, und immer mehr concentrirt« sich sein Wunsch: Du mußt gesund werden, weil du sie besitzen willst. Minna konnte di« fröhliche Stimmung ihres Begleiters nicht entgehen. Er war heute ein ganz anderer Mann. Das war ja gar nicht der pessimistische, über sättigte junge Greis. Zwar der bissige und geistreiche Jurist war es noch, aber doch ein lebensfroher Mann, der neben ihr saß. Die Sonne hatte sein« Wangen gefärbt, er sah nicht mehr so kränklich aus,sein Geist erging sich in den lebhaftesten Sprüngen und sein Witz sprudelte wie ein thaufrischer Quell. Mehr als einmal blickte sie, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, nach ihm und seine durchgeistigten Züge, seine lebhaften Augen ver schleierten immer mehr die Erinnerung an Krüger, und von Neuem durchströmte cs sie, und ganz leise, unbewußt spann sich eine Brücke zwischen Beiden, und um sie nicht zu zerstören, ver mieden sie es mehr und mehr, sich anzusehen. Der zweite Theil deS Concerts begann. „Morgenblätter", Walzer von Johann Strauß. Minna laS es . . . . In diesem Augenblick« drängte sich eine große, kräftig« Männergestalt durch die Um stehenden, gerade auf Friedrich zu. Es war der einzige Tisch, wo noch ein Stuhl frei war. „Ist der Stuhl frei?" fragte er. Minna und Merkel sahen sich an, es war ein Blick, in dem Frage und Antwort lag. „Ja, ja", beeilte sich Friedrich zu sagen. „Tann darf ich wohl Platz nehmen?" Mit vollendeter Höflichkeit grüßt« Krüger und heuchelte eine plötzliche Erkennungssoene, indem «r ausrief: „Täusche ich mich nicht? Fräulein Friedrich und Herr Friedrich? . . . Polizeirath Or. Krüger." Bei den letzten Worten faßte er Merkel scharf ins Auge. Dieser war augenscheinlich wegen des Ueb:rfall«s veifftimmt. „Wir hatten schon einmal daS Vergnügen, Herr Assessor .. . entschuldigen Sir, Herr Polizrirath . . . man darf wohl qratu- liren?" Minna hatte ihre ganze selbstbewußte Haltung wiederge wonnen. Da gerade das Vorspiel zum Walz«r begonnen und allgemeine Stille «intrat, so stockte auch das Gespräch an Friedrichs Tische. Während dieser Pause verglich Minna beide Männer. Das braun«, kräftige Gesicht Krüger'S mit der Hochquari hatte nichts so sehr anziehend Seelenvolles, als das Merkel's, das jetzt wieder recht blaß geworden war. Endlich begann man wieder das Gespräch. Es dauerte freilich lange, ehe die Unterhaltung in Fluß kam. Auf Befragen erzählt« Krüger etwas aus M. und Minna fragte nach einigen belanglosen Dingen. Friedrich interesstrte sich für den Bau der Straßenbahn und so geschah es ganz unbewußt, daß Merkel für einige Zeit von der Unterhaltung ausgeschlossen war. Er merkte es aber fast gar nicht. Er war zu verdrossen und ge- nirte sich nicht, diese Verdrießlichkeit anzudeuten. Krüger da gegen suchte in dieser Zurückhaltung Anderes. Auf einmal wandt« sich Minna zu Merkel, legi« unbewußt ihre Hand auf seinen Arm und wies mit der anderen nach einer Dame, di« im Nebengange vorbeikam. „Das ist schick, die Dame versteht sich zu kleiden." Merkel war von der Berührung ganz verwirrt, er sah in die Richtung, ebenso Krüger und Friedrich. Da drehte sich die Dam« herum. Es war gut, daß Keiner Friedrich beobachtete; er wurde feuerroth. Es war Margot. Sie grüßte mit einem halb verbindlichen, halb vertraulichen Lächeln nach dem Tische. Nur Friedrich lüftete den Hut. „Wer war die Dame, Herr Referendar? Sie kennen sie doch?" fragte Minna. „Eine schöne Erscheinung", konnte sich Krüger nicht Ver halten, zu bemerken. „Sie sieht Ihnen spr«chend ähnlich, gnädiges Fräulein", setzte er verbindlich hinzu. „Meinen Sie?" „Ganz g«wiß. Sie ist jedenfalls älter, als Sie . . . aber sonst, die Eleganz, der Schick, man könnte Sie für Schwestern halten." „Ich weiß nicht, ob das gnädige Fräulein damit zufrieden wäre", bemerkte Merkel beißend. „Soviel ich weiß, ist die Dame eine Kellnerin aus dem „Goldenen Krug". . . . Nicht wahr, Herr Friedrich?" »Ja, ja", stotterte d«r nach einer kleinen Pause. „Ach, das ist interessant", lachte Minna. „Da müssen Sie mich einmal hinführen, Herr Refenndar!" Krüg«r biß sich auf die Lippen. Plötzlich durchschoß ihn ein Gedanke. Sie waren Beide so intim. Sollten sie wirklich erst hier bekannt geworden sein? Dte Eifersucht plagte ibn. Endlich hatte er eS. War nicht damals beim Einbruch eine Spur gewesen, die durch di« Fenster leitete. Merkel weidete sich einige Zeit lang an seinem Siege. Dann begann er boshaft: „Man täuscht sich sehr oft in dem Aussehen der Menschen. Es giebt wohl nichts, was einfacher erscheint und doch schließlich schwierig ist. Man geht wohl nie öfter fehl, als wenn man die Leute nach ihrem Aussehen beurtheilen will. Ich rede natürlich nicht von dem gewöhnlichen Tric, hinter jedem geck gekleideten Menschen einen Verbrecher, hinter jedem auffallend gekleideten Weibe eine Dirne zu suchen, nein, ich meine, daß auch die Physiognomien uns recht oft täuschen. Ich habe einmal einen dreifachen Mörder g«seh«n, der das gutmüthigst« Gesicht von der Welt hatte und einen sorgenden Vater, der sich auf ehrlichem Woge so scher: benvhm, als ob er auf Diebespfaden schliche. Ich hab« einmal einen armen HandwerlSburschen vor Gericht ver- theidigt, der, weil er ein Hemd und ein Paar Stiefel von einem Vorsaal gestohlen hatte, solche Angst hatte, als ob er geköpft würde, und dann einen Bankier, der mit der lachendsten Miene von der Welt die Depots von Wittwen und Waisen annahm, die er zu unterschlagen gedachte. Man kann sich sehr täuschen, nicht wahr, Herr Polizeirath?" Krüger merkte wohl die Bosheit, aber er lächelte nur ver bindlich, als er antwortete: „Gewiß, Herr Referendar, ich habe ja vorhin dm besten Beweis gegeben." „Ich wüßte nicht, wie so?" fuhr Merkel fort, „damit, daß Sie die Kellnerin, Fräulein .... na ... . Fräulein . . . ." „Margot", sagt« Friedrich. „Ach, Sie wissen, wie sie heißt. . . Also Fräulein Margot für «ine Dame ansehen Warum sollte sie keine sein . . . oder gewesen sein. . . . Findet man nicht oft äußeren Schick auch bei Leuten, die nicht zu den oberen Zehntausend zählen? Und dann schließlich, ist denn eine Kellnerin etwas so — na so .... ich weiß Nicht, Wie ich sagen soll . . . ." „Ich meine", bemerkte Minna, „daß doch ein solches Mädchen durchaus ehrbar sein kann. Es ist doch durchaus keine Schande, zu bcwirthen oder Gäste zu bedienen. Ich liebe die Leute nicht, die über jedes Mädchen, das sich ehrlich durch Vie Welt schlägt, die Nase rümpfen." „Habe ich sie gerümpft, gnädiges Fräulein?" „Nein, mein Herr Polizeirath, das haben Sie nicht." Man sprach noch Einiges über dieses Cavit«! aus der socialen Frage, schließlich bemerkt« Minna: „Ick glaube, daß die viel angefeindete Frauenarbeit sich ge rade auf ihrem ureigensten Gebiete des Dienens am besten be währen kann. Die Frauen dringen in viele Gebiete ein, die den Männern Vorbehalten sein sollten und machen sich dort breit. Bleibt aber ein Mädchen beim Dienen, so sagt man von ihm: es ist nur ein Dienstmädchen, es ist nur eine Kellnerin." Mit steigendem Interesse hatte Friedrich seiner Tochter zu gehört. Als sie geendet, nickte er ihr Beifall zu: „Gerade das Fräulein .... Fräulein Margot kenne ich genau", als «r di« erstaunten Gesichter sah, wurde er etwqS ver-
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