02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.04.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-04-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030425024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903042502
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- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-04
- Tag1903-04-25
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Schwerlich, denn auch das Zentrum hat sich — wenigstens in neuerer Zeit — wiederholt auf den Standpunkt gestellt, daß ein noch der gerichtlichen Untersuchung unterliegender Fall sich nicht zur Be sprechung im Reichstage eigne. Aber jetzt müssen Wahl aufrufe vorbereitet werden, in denen die Verdienste der Fraktionen um die öffentliche Wohlfahrt auszuzählen sind, und da macht es sich denn ganz gut, wenn auch eine Interpellation ausgeführt werden kann, die sich mit einem aufregenden Vorfälle beschäftigt. Und das Zentrum hat doppelte Ursache, sich „volkssreundlich" zu gebärden. Bet der Beratung des Phosphorgesctzes hat sich ein Teil seiner Mitglieder so gleichgültig gegen das Los der in den Phosphorstrcichholzfabriken beschäftigten Ar beiter gezeigt, daß es den Rednern der Sozialdemo kratie sehr leicht fiel, den gesamten Arbeitermassen gegen über die klerikale Arbeiterfürsorge in das düsterste Licht zu rücken. Da bot der Fall Hühner hochwillkommene Ge legenheit, mit der Sozialdemokratie um die Ruhmes- palme für Schirmer der öffentlichen Sicherheit zu ringen. Freilich ist cs sehr fraglich, ob die Herren Stötzel und Gröber Ursache haben, mit ihrem Erfolge zufrieden zu sein. Objektive Beobachter werden wahrscheinlich der Meinung sein, nicht die Zentrums-Interpellanten hätten den tieferen Eindruck auf die Bataillone außerhalb des Hauses gemacht, sondern Herr Bebel, an den kaum der freisinnige Abg. Lcnzmann mit seinen Angriffen auf Las System, das Leute a la Hützner großziehe, heranreichte. Die sozialdemokratische Fraktion hat jeden falls Anlaß, den Herren Interpellanten dafür dankbar zu sein, daß sie den Fall angeschnitten und den „Ge nossen" im Hause so schöne Gelegenheit zu aufwiegelndcn Reden aus dem Fenster gegeben haben. Immerhin kann man in einer Hinsicht mit dem Verlaufe der Besprechung zufrieden sein. Denn aus denMittcilungcn, dicdcrStaats- sekretär v. Tirpitz machte, ging klar hervor, daß Hühner seinen Instruktionen und den allgemeinen Bestimmungen zuwider gehandelt hat, die dem Vorgesetzten den Gebrauch der Waffe nur zur Abwehr eines bedrvhnchen Angriffes oder zur Erzwingung des Gehorsams in äußerster Not und bei dringender Gefahr gestatten. Und weiter ging aus den Mitteilungen hervor, daß die Empörung über den Vorgang in Marinekrcisen ebenso groß ist, wie in allen anderen Kreisen. Gerade hieraus kann man die Hoffnung schöpfen, daß an berufener Stelle alles ge schehen wird, was die Möglichkeit der Wiederholung eines solchen Falles tunlichst einschränkt, und daß man sich besonders mit der Frage beschäftigt, ob Leute, die notorisch durch Mangel an Selbstzucht zu Härten gegen ihre Untergebenen verführt werden, nicht zeitig entfernt oder wenigstens, wenn sie sich auf Urlaub befinden, nur mit Scheinwaffen ausgestattct werden sollen, mit denen kein Unheil angerichtet ivcrden kann. — Der Rest der gestrigen Sitzung wurde mit der ersten Beratung des Nachtragsetats, der, wie vorauszusehen war, der Buügetkommission überwiesen wurde, auSgcfüllt. Schon hierdurch wurde die Möglichkeit, den Schluß der Tagung und der Legislaturperiode schon heute herbeizuflihren, abgeschnttten. Das pharisäische Zentrum. Die „Kölnische Volkszeitung" hat die großartige Ent deckung gemacht, daß die nationalliberale Partei den Kampf gegen den Ultramontanismus als Wahlparole ausgebe, um die Aufmerksamkeit der protestantischen Be völkerung von den wirtschaftspolitischen Fragen abzulenken. Das Blatt schreibt: „Die Nationalliberalen haben alle Ursache, die genaue Kontrolle ihres Parteiprogranuns in wirtschaftlicher Beziehung zu fürchten, denn keine große politische Partei ist in wirtschaft lichen Fragen so zerfahren wie die nationalliberale Partei; die erbittertsten Gegensätze finden sich im Rahmen einer und derselben Partei zusammen, die Pferde sind teils vor, teils hinter den Wagen gespannt, keine deutsche Partei hat weniger inneren Zusammenhalt als die nationalliberale." So erinnere die Partei an den Ritter von der traurigen Gestalt, und damit nicht Tausende dieser traurigen Gestalt den Rücken kehrten, würden die kon fessionellen Le idensch asten angestachclt. „Der Name „Jesuit" genügt, und Tausende sind hypnotisiert und vergessen vor lauter Jesuitenangst die ganze Dürftigkeit des nationalliberalcn Wahlprogramms." Daß innerhalb der nationalliberalen Partei wirt schaftspolitische Gegensätze bestehen, wird gewiß nicht be stritten, aber das Zentrum hat gerade in dieser Hinsicht am allerwenigsten Anlaß zum Pharisäertum. Bei den Handelsverträgen von 1893/94 war das Zentrum voll ständig gespalten, die nationalliberale Partei hingegen einig; bei der Annahme des Zolltarifs im vorigen De zember waren die Nationalliberalcn ebenso einig wie das Zentrum. Der Unterschied war höchstens der, daß beim Zentrum die Einmütigkeit sehr viel mehr äußerlicher Natur war, als bei den Nationallibcralen. Beweis da für ist, daß das bayerische Zentrum alsbald nach der An nahme des Antrags Kardorff über die ungenügenden Zu geständnisse an die Landwirtschaft jammerte, während das preußische Zentrum mit dem Erreichten durchaus zu frieden war. Im übrigen dürfte sich bei den dem neuen Reichstage vorzulegenden Handelsverträgen noch zu zeigen haben, welche von beiden Parteien einiger ist. Will die „Kölnische Volkszeitung" vielleicht behairpten, daß die Abgeordneten Kirsch-Düsseldorf, Bachem, de Witt einerseits und die Abgeordneten Aichbichlcr, Gerstenbergcr und Heim anderseits in wirtschaftspoli tischer Hinsicht innerlich auf demselben Standpunkte stehen? Kommt man aber gar von dem wirtschafts politischen Gebiete auf das nationalpolitische — so schneidet bezüglich der Einigkeit das Zentrum erst recht sehr viel schlechter ab, als die Nationalliberalen. Eine der ersten Vorlagen, die den neuen Reichstag beschäftigen wird, dürfte eine HcereSforderung sein, und da wird cs mit der Einigkeit des Zentrums voraussichtlich schlimm auSschen, eS wäre denn, daß es in der N e g a t i o n einig sein wollte. Die konfessionellen Fragen als Maske vor zunehmen, hat also das Zentrum viel eher Anlaß, als die nationalliberale Partei. Tatsächlich hat ja auch gerade die „Kölnische Volkszeitung" erst vor kurzem gedroht, daß, wenn die angekünbigtc Aushebung des 8 2 des Jesuitengesetzes nicht alsbald erfolge, das Zentrum den Kampf gegen das Iesuitengesetz zur Wahlparole machen werde. Den Kulturkampf an die Wand zu malen, um die innere Zerfahrenheit zu verdecken, ist überhaupt in den letzten Jahren Taktik der klerikalen Presse gewesen, aber nicht der nationalliberalen Partei. Im übrigen konstatieren wir das Zugeständnis, daß die Jesuitensrage die evangelische Wählerschaft „hypnotisiere". Wenn dies wirklich der Fall ist, dann darf der 8 2 gewiß nicht auf gehoben werden, denn bann wären ja zwei Drittel der deutschen Bevölkerung Gegner der Aufhebung dieses Paragraphen. Oesterreich und die Balkauwirreu. Der „Pester Lloyd" wendet sich in einem offiziösen Artikel gegen die Auffassung der „Nowoje Wremja", daß es dem Einvernehmen Oesterreich-Ungarns mit Rußland in den Batkansragen an Klarheit und Bestimmtheit fehle. Ter „Pester Lloyd" schreibt, es sei unverständlich, wie be zügliche Aeußcrungen des Ministerpräsidenten v. Szell in Petersburg Mißverständnisse oder gar Eurpsindlichkeiten Hervorrufen könnten. Herr v. Szell habe es als eine der Grundlagen der Orientpolitik bezeichnet, daß keine Groß macht auf dortige Machtverhältnisse überwiegenden Ein fluß ausüben solle. Mit andern Worten habe Minister präsident v. Szell also dasselbe gesagt, was noch jeder Minister auf eine solche Anfrage geantwortet habe, seit dem Koloman Tisza als Ministerpräsident 1886 zur Zeit der Battenberg-Episode erklärt habe, daß die Monarchie ihr Bestreben darauf richten müßte, die selbständige Entwickelung der Balkan st aaten zu fördern und die Festsetzung eines in den Verträgen nicht be gründeten bleibenden Einflusses einer einzigen fremden Macht zu verhindern. Es wäre ein grober Anachronis mus, wollte man mutwilligcrweise das Gespenst jener Zeiten wieder herausbeschwören. Die Frage eines präva lierenden Einflusses einer Großmacht auf den einen oder andern Balkanstaat stehe gegenwärtig überhaupt nicht in Verhandlung. Heute handele es sich ausschließlich um die von Rußland und Oesterreich-Ungarn eingeleitete Re form aktion zur Herstellung erträglicher und geord neter Verhältnisse in der europäischen Türkei, und diese gemeinsame Aktion habe ihrer ganzen Anlage nach eine volle Parität der beiden leitenden Mächte zur Voraus setzung. Die Identität aller einzelnen Schritte zu verlangen, scheine ebenso unnötig, wie es irgend jemandem ein gefallen sei, Rußland zuzumuten, von jedem seiner Schritte Rechenschaft abzulegen. Der „Pester Lloyd" wendet sich hierauf gegen die Bemerkung der „Nowoje Wremsa", aus der hervorgcht, daß das Blatt die Möglichkeit eines Ein marsches österreichisch-ungarischer Truppen in Altserbicn vorausscyt, trotz der wiederholten bündigen Versiche rungen, daß niemand an dergleichen denke, und obwohl die ganze Konstellation klar dartue, daß Oesterrcich-Un- garn nichts unwillkommener sein könnte, als der Türkei die wenig dankbare Ausgabe abzunehmen, die wilden Albanesen zu Paaren zu treiben. Auch der Vorwurf deS russischen Blattes, daß Oesterreich-Ungarn ein Doppel spiel treibe, wird entschieden zurückgewiesen. Der Artikel des „Pester Lloyd" schließt, es sei schlimm, wenn selbst ein Blatt von der Stellung der „Nowoje Wremja" solchen Einflüsterungen Gehör schenke, die doch, wenn sie auch nur im geringsten auf Wahrheit beruhten, mit den ver trauensvollen und freundschaftlichen Beziehungen, wie sie gegenwärtig zwischen Rußland und der österreichisch-unga rischen Monarchie beständen, nnd erst unlängst in dem Schreiben des russischen Kaisers an den Grafen Kapnist gelegentlich der Verleihung deS Nlexander-NewskyordenS an denselben hervorgehoben worden seien, einfach unver einbar seien. Die englische Niederlage im Somaliland. Die Vernichtung der Kolonne Plunkett durch die Somalis eröffnet schon jetzt, ehe man noch über das Schicksal des Obersten Cobbe, ja des Generals Manning mit der Hauptmacht selbst beruhigt ist, für England die höchst unerfreuliche Aussicht auf einen ebenso lang wierigen wie kostspieligen neuen Feldzug zur Wieder herstellung der englischen Autorität, die andernfalls bei allen afrikanischen Völkern einen schweren Stoß erleiden würde. Besonders in den nächstbcteiligten Kolonial kreisen, die ihr Zentrum in Aden haben, drängt man auf eine energische Weiterführung des Unternehmens. Dem „Berl. Lok.-Anz." wird hierüber gemeldet: * London, 24. April. Ueber die Niederlage im Somaliland sind wenig neue Nachrichten eingetroffen. Aus Adener Mel dungen geht jedoch hervor, daß man über das Schicksal der ganzen britischen Expedition in nicht geringen Sorgen schwebt. Wie von dort telegraphiert wird, war der Feind, der PlunkettS Kolonne vernichtete, 10 000 Mann stark. Er gab keinen Par don. PlunkettS Kolonne bestand aus 220 indischen und afri kanischen Soldaten; jeder Mann hatte 100 Patronen. Nach den letzten Nachrichten ist eS noch nicht ganz sicher, ob wirklich alle Offiziere tot sind, da die Kunde nur von Afrikanern über mittelt wurde; von General Manning, der zur Befreiung deS Obersten Cobbe ausgerückt ist, liegt keine Nachricht vor; man fürchtet, daß der Feind ihn, ermutigt durch den erfolgreichen Coup gegen Plunkett, in großer Zahl angreifen werde. Obbia ist am 1k. April geräumt worden; General Manning kann daher seinen Rückzug nicht auf derselben Linie, auf der vor marschiert wurde, entlang dirigieren. Er muß sich nordwärts durchschlagen, oder die nördliche Kolonne muß sich den Weg nach Süden erkämpfen, um ihm im Falle der Not beizustehen. General Manning hat kaum 2000 Mann bei sich; ob die Messimer ihm helfen, ist unbekannt, aber man erwartet nicht viel von ihnen. Das Truppenschiff „Hardinge" wird sofort nach Bombay abgehen, um Truppenverstärkungen zu holen. Man ist in Aden der Ansicht, daß der Feldzug mit aller Energie durchgeführt werden muß. Alle im Hafen von Aden befind lichen britischen Kreuzer gehen sofort nach Berbers ab. Man hofft, daß Italien mehr Beihülfe leisten werde als bisher. Daß die Engländer gerade zwei Tage vor PlunkettS Katastrophe Obbia räumten, offenbar in der Meinung» her Feldzug sei so gut wie beendet, erweist sich jetzt als ein schwerer Fehler. Von diesem Punkte am Indischen Ozean, innerhalb des italien'scheu Interessengebiets, war bekanntlich General Manning mit Erlaubnis Italiens vor einigen Wochen ins Innere aufgebrochen, und diese BasiS fehlt ihm jetzt für den wahrscheinlich unvermeid lichen Rückzug. Anderseits ist, wie auch in vorstehendem Privattclcgramm erwähnt, der Anschluß an die andere englische (Spedition, die vom Roten Meere aus südwärts vorging, um Manning im Innern die Hand zu bieten» noch nicht erreicht, und die Hülfe der Abessinier, die von Nordwesten her demselben Ziele zustrcbten, ist noch ent fernt und wenig zuverlässig. So ist die Abteilung Mannings, schon vor der jetzt eingetretcnen KrisiS er schöpft durch Krankheiten, Hunger und Wassermangel, in einem der unwirtlichsten Wüstengebiete Afrikas, vorläufig auf ihre eigene Kraft angewiesen gegenüber einem zahl reichen, siegestrunken und offenbar ebensogut bewaffnetes wie geschickten Feinde. Feuilleton. - —- - wj Das Gold vom Mdwatersrand. Roman von F. Kiinck-LütetSburg. Nachdruck verboten. Wilm wußte von einer Erkrankung seiner Mutter nichts. Sie hatte ihm regelmäßig geschrieben, in derselben Weise, wie er es bei seiner früheren Anwesenheit in Johannesburg gewohnt war. In ihren Briefen war von jeher etwas gewesen, das erkältend auf den Sohn ge wirkt, und oft hatte er schmerzlich Worte vermißt, die ihm gesagt haben würden, daß eine Mutter die Trennung von dem Sohne als etwas Unerfreuliches ausfaßte. Ein plötz lich aufwallendes Gefühl wollte ihn bestimmen, eine Frage in Bezug auf sie an Stephan Mildler zu richten. Er hielt aber damit zurück. Nicht -er Fremde, der Vater mochte ihm Auskunft geben. Mildler aber fügte schon ungefragt hinzu: „Frau van Senden hat sehr darmtter gelitten, daß der Name ihres Sohnes auf eine so peinliche Weise mit der Flucht der Gattin des Generaldirektors Brandt in Ver bindung gebracht worden ist. Sie wollen es meiner freundschaftlichen Gesinnung für Ihre Familie zu gute halten, Herr van Senden, wenn ich hier ganz offen bin. Ich meine, es würde auch in Ihrem Interesse liegen, wenn diese fatale Angelegenheit sich in einer alle Teile befriedi genden Weise lösen würde." ,^>err Mildler, glauben Sie, daß mein Vater bald zurückkommen wird?" fragte jetzt Wilm in einem Tone, der keinen Zweifel darüber zulietz, daß er bas Gespräch nicht fortzusetzen wünschte. „Ich hoffe eS. Herr van Senden hat indessen den Be scheid zurückgelafsen, daß ich Sie, für den Fall, daß er in einem Zeiträume von dreiviertel Stunden nicht zurück sein würde, nach einem Hause in der Doornsonteinstraße bringen soll." Wilm befand sich in einer verdrießlichen Lage. ES dünkte ibn eine peinliche Aufgabe, noch etwa zwanzig Minuten in der Gesellschaft eines Mannes zu verbringen, der ihm nicht allein nnfnmvathisch war. sondern auch jeden, falls eine höchst zweifelhafte Rolle als Kundschafter ent weder für die Transvaal, oder die Kapregierung, oder auch für beide spielte. E» blieb ihm aber nur übrig, zu warten, und sich mit Stephan Mildler über Dinge zu unterhalten, die nicht dazu dienen konnten, die Neugierde eines wissensdurstigen Menschen zu befriedigen, als welcher dieser Mann ihm überall cntgegengetrcten war. Die Zeit verging; aber Mynheer Egnatius van Senden kam nicht. Selbst Stephan Mildler erschien von großer Ungeduld erfaßt. Wiederholt sah er nach der Uhr, und er hob sich endlich. „Wir werden gehen müssen", sagte er. „Mynheer van Senden wird uns nunmehr in der Doornsonteinstraße er warten." „Würde es nicht zweckmäßiger sein, mit meinem Vater zu mir zu kommen?" fragte Wilm plötzlich, einem rasch auf gestiegenen Argwohn nachgebcnd. „Ganz wie Sie wünschen, Jonkhcer van Senden", gab aber Stephan Mildler mit einer Ruhe zurück, die ein Er schrecken vollkommen verbarg, um so leichter, als Wilm, von den wiberstreitcndsten Empfindungen beherrscht, zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, um sein besonderes Augenmerk auf den Sekretär zu richten. „Ich möchte Ihnen nur zu bedenken geben, daß Herr van Senden in großer Eil« ist und mit dem Nachtzuge abreiscn will. Es könnte sein, daß es ihm unmöglich sein würde, Ihrem Wunsche zu entsprechen, und er sich genöt.igt sähe, von einem Meinungsaustausche mit dem Sohne Abstand zu nehmen, von dem er sich eine große Beruhigung ver- sprachen hat." Wilms Frage war nicht irgend einem in ihm auf steigenden Verdachte entsprungen. Er gab mit ihr nur einem Gedanken Ausdruck, der ihm unwillkürlich ge kommen war. Ohne weiteres erhob auch er sich jetzt, um mit Stephan Mildler das Lokal zu verlassen und ihm zu folgen. „Nehmen wir einen Wagen?" fragte dieser beiläufig, sich schon einer Fuhrwerkshaltestelle nähernd. „Ich denke, wir benutzen die Trambahn", versetzte Wilm, „wir kommen noch schneller hin." „Vielleicht doch nicht, sie ist zu dieser Zeit stets besetzt. Leben Sie?" Eben rollte der Zug vorüber. Die Wagen waren in der Tat voll besetzt, so daß nicht einmal an der nächsten Haltestelle, wo noch eine Anzahl Menschen aus Beförde rung wartete, gehalten wurde. Es blieb nur übrig, eine von den drei Droschken zu nehmen, die zur Verfügung standen. Kaum eine Stunde nach diesem Vorgänge betrat ein elegant gekleideter Herr die Villa van Senden und fragte nach der Dame des Hauses. Zu ihr geführt, stellte er sich als einen Vertreter von Lasser L Sons vor, der von Herrn Wilm van Senden beauftragt sei, die gnädige Frau zu bitten, ihm doch die sämtlichen Dokumente und Aktien aus- zuhändigen, die sich bei ihm vorfinden würden. „Ich weiß nun wirklich nicht, gnädige Frau, wo daS Verlangte zu finden sein wird", sagte der -Herr in einer ganz unverfänglichen Art, etwas lächelnd, indem «r Frau van Senden ein ihr wohlbekanntes Bund Schlüssel schein- bar zu überreichen beabsichtigte. „Nannte Herr van Sen den nun einen Schreibtisch oder ein Pult, ein Bureau oder etwas Derartiges, das kann ich wirklich nicht sagen. Jedenfalls sind Sie hinreichend orientiert, mir das Ge wünschte aushändigen zu können." Schon streckte Frau van Senden ihre Hand auS, die Schlüssel in Empfang zu nehmen, aber sic zog sie in hastiger Bewegung zurück. Was war das? WaS bedeutete diese sonderbare Zu- mntung? Sie sah dem Mann, der da vor ihr stand, forschend ins Gesicht, und er kam ihr bekannt vor, obgleich sie weder jemals seinen Namen gehört, noch ihn gesehen zu haben glaubte. Auf keinen Fall wollte sie indessen dem Verlangen dieses Herrn nachkommen, selbst nicht, wenn er damit den Wünschen ihres Neffen entsprach. „Ich bedauere lebhaft, Ihnen sagen zu müssen, daß ich nicht im stände bin, einem Fremden — Sie verzeihen — Dokimiente oder Papiere zu übergeben, die mein Neffe jedenfalls sorgfältig verwahrt hat, da ich nicht einmal etwas von ihrem Vorhandensein weiß. Ich möchte darauf verzichten, mich mit dieser Angelegenheit zu befassen." Der Fremde war sichtlich auf daS Unangenehmste be rührt. Es gelang ihm schlecht, seinen Verdruß zu ver- bergen, und nur mit äußerster Anstrengung konnte er einen unbefangenen Ton beibcbalten. „Aber, verehrte, gnädige Frau, ich möchte doch sehr bitten, sich in der Sache zu bemühen. Herr van Senden braucht die Dokumente unverzüglich, um den Abschluß eine- Geschäftes von großer Bedeutung zu ermöglichen." „Wo ist mein Neffe?" Die Antwort auf diese Frage, die den Fremden unvor bereitet traf, erfolgte nickt unmittelbar. Frau van Sen- denS geschärften Sinnen entging ein Zögern nicht, daS den Worten: „Bei KraScatt" voranging. „Ich werde soj^rt telephonisch anfragen, mein Herr." Mit diesen Worten schickte sich die Dame des Hauses be reits an, das Zimmer zu verlassen. Ein Blick voll gren- zenloser Wut folgte ihr. Als Frau van Senden nach einem Ablauf von kaum zehn Minuten in das Zimmer zurllckkehrte, war der Fremde verschwunden. Sie atmete erleichtert auf bei dem Gedanken, daß sie in der Tat einen beabsichtigten Betrug oder gar Raub verhindert hatte. Gleich darauf fühlte sie sich von einer großen Angst er griffen, die sich von Minute zu Minute steigerte, nachdem die Zeit des Abendessens vorüber und Wilm noch immer nicht nach Hause gekommen war. Der Fremde hatte seine Schlüssel gehabt und bei FraScati war ihr Nesse mit einem anderen Herrn gewesen, hatte sich aber daselbst nicht lange aufgehalten, sondern schon vor mehr als einer Stunde mit demselben das Restaurant wieder verlassen. Frau van Senden war überzeugt, daß ihrem Neffen ein Unglück zu gestoßen war. Nur mit Mühe zügelte sie ihre Unruhe so weit, daß sie biS gegen neun Uhr auf seine Heimkehr wartete. Darm begab sie sich direkt nach der Polizei, nachdem sie im Hause jede Vorsichtsmaßregel angeordnet, um einem etwaigen zweiten Versuch, sich gewisser Dokumente und Papiere zu bemächtigen, zu begegnen. Sie hatte sämtliche Jalousien und Läden schließen lassen und strengen Befehl gegeben, jeden Fremden, der Zutritt verlangen sollte, abzuwcisen — ohn« Rücksicht auf die Person. Frau van Sendens Anzeige auf dem Polizeiamt hatte bet dem wachthabenden Beamten einiges Befremden er- regt und er ihr die- auch ausgedrückt. Selbst ihre Mit teilung von dem Vorgänge in ihrem Hause, bei welcher Gelegenheit ein fremder Herr ihr die Schlüssel ihres Neffen hatte überbringen und sie zum HerauSgeben von Dokumenten veranlassen wollen, vermochte nicht, -en Beamten aus seinem Gleichmut zu bringen. „Sie können doch nicht annchmen, Mcfrouw van Sen den, daß der Fremde, von dem Sie sagen, daß er wie ein feiner Herr gekleidet war, ein Betrüger gewesen ist. So einem hätte doch Jonkheer van Senden nickt die Schlüssel gegeben. Das wird wohl ein Bekannter gewesen sein." „Und wenn er ihm die Schlüssel weggenommen hätte — mit Gewalt?" Der Beamte stutzte. Dann sagte er lächelnd: „Ach waSk Da wäre er doch nicht zu Ihnen gekommen, sondern hätte
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