02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.05.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030505023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903050502
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903050502
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Nachr." auf die Nerven gefallen, denn er schließt aus ihr gleich uns darauf, daß die Zentrumswähler bei Stichwahlen zwischen Sozialdemo kraten und Gegnern der Abbröckelung des Jesuiten gesetzes den Ausschlag zu Gunsten des „Genossen" auch dann geben werden, wenn der andere Kandidat ein Mann von der Art und Farbe des Herrn v. Kardorff ist. Und hieraus schließt Herr Schwcinburg weiter, daß das Zentrum auf dem besten Wege sei, durch die Unter stützung von Sozialdemokraten eine bedenkliche Anzahl von Gegnern von Handelsverträgen auf der Basis des neuen Zolltarifs in den zu wählenden Reichstag zu bringen. Herr Schwcinburg beschwört daher das Zen trum, die Aufhebung des 8 2 des Jesuitengesctzes nicht zur Wahlparole zu machen, und fährt dann fort: „An sich ist die Frage der Aufhebung des 8 2 des Jesuiten gesetzes von außerordentlich geringer prak tischer Bedeutung. Auch wenn diese Aufhebung bereits jetzt erfolgt wäre, würde dadurch weder die Sicherheit des Reiches bedroht, noch der konfessionelle Friede innerhalb desselben gefährdet worden sein. Die Erregung, die sich eines großen Teiles der pro testantischen Bevölkerung aus Anlaß der Erklärung des Reichs kanzlers, daß die preußischen Stimmen im Bundesrate für die Aufhebung des 8 2 abgegeben werden sollen, bemächtigt hat, schießt daher weit über das Ziel hinaus und kann bei ruhiger und unbefangener Würdigung der Sache nicht entfernt als berechtigt angesehen werden. Auf der anderen Seite ist es auch für die katholische Kirche und für die Katholiken praktisch kaum von Bedeutung, ob die Aufhebung dieses Gesetzesparagraphcn alsbald erfolgt oder ob noch einige Zeit bis dahin vergeht; denn daß, wenn erst die Gemüter sich wieder beruhigt haben und an Stelle der jetzigen Erregung erst wieder kaltes Blut und ruhiges Urteil getreten sein werden, die Erfüllung des Wunsches des Zentrums in Bezug auf den 8 2 des Jesuitengesctzes mit Sicherheit zu er warten ist, kann ernstlich nicht bezweifelt werden. Ebenso wenig, daß, wie im jetzigen Reichstage eine überaus starke Mehrheit sich für die Maßregel ausgesprochen hat, auch im nächsten sich eine gleiche dafür finden wird. Es ist daher auch für die Aufhebung jenes Gcsctzcsparagraphen ziemlich unerheblich, ob noch einige Anhänger der Maß regel mehr in den Reichstag gelangen oder nicht." Herr Schwcinburg ist ja nicht immer offiziös. Daß er aber in diesem Falle nur schreibt, was Graf Bülow denkt, unterliegt für uns keinem Zweifel. Steht doch das Versprechen des preußischen Ministerpräsidenten, an seiner Stelle für die Aufhebung des 8 2 des Jesuitengesetzes zu wirken, nicht für sich da, sondern ist lediglich ein Bestandteil seiner inneren Gesamtpolitik, zu deren Durchführung er die Unterstützung des Zentrums bedarf. Es entspricht seiner ganzen Denkungsart, die Bewegung gegen die Ab bröckelung des JesuitcngesetzeS nicht tragisch zu nehme» und kühl eine günstigere Gelegenheit zur Durchsetzung seines Planes abzuwarten. Wahrscheinlich wird er diese Gelegenheit für gekommen halten, wenn es sich um die An bahnung einer die Einzelstaaten gegen Ucberlassung sichernden Reichsfinanzreform handelt. Dann, so dürfte er rechnen, werden die jetzt der Abbröckelung des Jesuitengesctzes abgeneigten Regierungen wohl bereit sein, die Zustimmung des Zentrums zu der ersehnten Reform durch Verstümmelung jenes Gesetzes zu erkaufen. Eben deshalb glaubten wir darauf dringen zu müssen, daß diese Bundesstaaten die Frage dieser Verstümmelung im Bundesrate nicht verschleppen ließen und eine schleunige Lösung herbeiführten. Daraus, daß diese Verschleppung erfolgt ist und daß die „Le ipz. Ztg." die Versicherung abgcben konnte, cs habe keine der verbündeten Regie rungen ein Interesse daran, die Entscheidung zu beschleunigen, muß man leider schließen, daß Graf Bülow die Festigkeit der ihm setzt nicht willfährigen einzelstaatlichen Regierungen nicht überschätzt, daß diese in der Tat für die Zukunft freie Hand behalten und die Verstümmelung des Jesuiten gesetzes als „Kompensationsobjekt" sich reservieren wollen. Es könnte daher von weittragenden Folgen sein, wenn die Gegner der Verstümmelung in trügerische Sicherheit sich einwiegen lassen wollten. Denn daß diese Verstümmelung nicht so bedeutungslos ist, wie die „Nordd. Allgem. Ztg." hat glauben machen wollen uno jetzt die „Berl. Polit. Nachr." versichern, ergibt sich schon aus der Bedeutung, welche das Zentrum der Verstümme lung beimißt. Der Schweinburgsche Versuch, das Zen trum zu beschwichtigen, ist also zugleich eiu Weckruf für alle, die mit Sorge deu immer mehr wachsenden Ein fluß des Zentrums auf die innere deutsche Politik be trachten und in der Absicht der Preisgebung des 8 2 des Jesuitengesctzes einen weiteren Schritt auf dem Wege zur Etablierung eines klerikalen Regiments im Reiche erblicken. ,e Der Wahlaufruf der braunschweigischen Welfen, gemeinsam von den Vorständen der »/Braunschweigischen Landes-Rechts-Partei" und der „Braunschweigisch-welfi- schcn Partei" erlassen, verzichtet auf die Reserve, die das braunschweigische Welfcutuni während der letzten Wochen aus w a h l t a k t i sch e n Gründen sich aufcrlcgt hatte. Nachdem die nationalen PaMcien im 1. braunschweigischen Wahlkreise den Kreisdirektor Langerfeldt, der im Landtage gegen die authentische Interpretation des Re gentschaftsgesetzes stimmte, und im 3. braunschweigischen Wahlkreise den welsischen Herrn von Dam m aeceptiert haben, ist solche Reserve auch nicht mehr von nöten. Mit großer Genugtuung weist der Wahlaufruf auf jene beiden Kandidaturen zur Erhärtung des Umstandes bin, daß der „vaterländische", will sagen der welfische, Gedanke der „beherrschende" in Braunschweig geworden sei, und fol gert daraus die Notwendigkeit, auch im 2. braunschweigi schen Wahlkreise, den bisher der Nationalliberale von Kaufmann vertrat, einen Welfen aufzustellcn. Der Name des letzteren — es ist der des Rechtsanwalts Her mann Dedekind — trägt zur Charakteristik der braun schweigischen Welfen beinahe ebensoviel bei, wie die Er klärung im Wahlaufrufe: „Wir sind uns bewußt, daß . . . wir niemals deutscher fühlen, niemals deutscher handeln können, als wenn wir in alter niedersächsischer Treue und Zähigkeit am Stamme Heinrichs des Löwen festhalten, unser hochsinniges angestammtes Fürstenhaus gegen seine Widersacher und das leider immer noch gebeugte Recht gegen die Gewalt verteidigen!" — Hier wird also der ver fassungsmäßige Zustand eines deutschen Bundesstaates als „gebeugtes Recht", als „Gewalt" behandelt. Ta ein preu ßisches Blatt, wie die „Kreuzztg", von der „so genannten" (!) welsischen Bewegung in Braunschweig heute sagt, daß sie im Gegensätze zur hannoverschen einen „durch aus lonalen Charakter habe", verdient die obige Stelle aus dem gemeinsamen Wahlaufrufe der beiden braun schweigischen Welfenparteien niedriger gehängt zu werden. Grade in der „Kreuzztg." eine derartige optimistische Auf fassung des braunschweigischen Welfentnms zu finden, muß um so seltsamer erscheinen, je nachdrücklicher dasselbe Blatt im vorigen Jahre die welfische «Agitation in Braunschweig an der Hand des „Altbraunsclnveigischen Volkskalenders" znrückgewiesen hat. „Es handelt sich", schrieb damals u. a. die „Kreuzztg." wörtlich, „um eine Agitation, die künstlich nach Braunschweig hinüber gepflanzt ist, deren eigentlicher Herd aber in Hannover lieat." Die Gleichartigkeit der welsischen Bewegung in Braunschweig und in Hannover wird auf das drastischste durch einen Bericht beleuchtet, den das gemeinsame Organ beider Welfenparteien Braun schweigs über den Verlauf einer am 28. April d. I. vom „Alten Klub Welf" in Braunschweig veranstalteten Versammlung veröffentlicht. Diesem Berichte zufolge hat der Referent des Abends, ein Herr Bühre, die Verhältnisse vom Jahre 1866 völlig in welfischer Tendenz behandelt und am Schluffe seiner Dar stellung sich wie folgt ausgelassen: „Anknüpfend an die Ge rüchte, die sich anläßlich des kaiserlichen Besuches in Kopenhagen erhoben, weist Redner darauf hin, worin allein eine wahre Versöhnung, eine Sühne bestehen könne, und spricht die Hoffnung aus, daß Preußen noch den Weg zik dem von ihm bisher verweigerten Friedensschlüsse finden werde." — Zweifelt etwa irgend jemand daran, daß Herr Bähre die Wiederherstellung des K ö n i g r e i ch s H a n n o v e r als alleinige Versühnung und Sühne bezeichnet habe? Denselben unversöhnlichen Prenßenhaß atmet ein anderer Artikel der gleichen Nummer des braunschweigischen Welfenblattes, der u. a. die Frage des Zusammenschlusses der evangelischen Landeskirchen in Deutschland erörtert. Darin wird wört lich verlangt: „Ein planmäßiger Masse naus tritt aus der Landeskirche mnß schon erfolgen, wenn auch nur der gelindeste Versuch einer Anion unserer lutherischen Kirche mit einer nichtlutheri schen gemacht wird." — Diese Maßlosigkeit, die verbunden ist mit der gehässigsten Entstellung des Unionswerkes Friedrich Wilhelms III. und mit der groben Geschichts fälschung, daß der große Kurfürst um des Gewinnes von Jülich-Clcve-Berg willen von der lutherischen zur refor mierten Kirche übergetreten sei, ist ebenfalls Geist vom Geiste des hannoverschen Welfentums und deshalb eben falls kennzeichnend für die Loyalität der Welfen Braun schweigs. Das Berliner Deutsche Theater in Pest. Es ist für die weit über 100 060 Deutschen Pests alljährlich ein willkommenes Fest, wenn das Berliner Deutsche Theater seinen Ausflug in die ungarische Me tropole macht und hier vor stets erdrückend vollen Häusern seine ausgezeichneten Vorstellungen gibt. Interessant ist das Verhalten der Presse in diesem Falle. Ein Teil derselben bespricht die Vorstellungen sehr sym pathisch, einzelne Blätter, so z. B. der mächtige, viel gelesene „Budapesti Hirlap", schweigt die Anwesenheit des Deutschen Theaters tot. Sein Theateranzeiger weist auch beim diesjährigen Gastspiel an der betreffenden Stelle nur die vielsagende lakonische Bemerkung auf: „Deutsche Vorstellung". Die Blätter der ultramagya rischen Dunkelmänner endlich krauen sich bedenklich hinter den Ohren, reden von den Gefahren der Invasion einer mächtigen fremden Kultur und fürchten sich, wie das ja zu ihrem Metier gehört, vor der Germanisation. Die Nachricht, daß auch das Berliner „Kleine Theater" in Pest einen Besuch abstatten, und zwar seine Gastspiele im „Magyar Tzlnhäz" (Magyarisches Theater) geben werde, hat dem Kossuthistenblatt „Függethen Magyaroszäg" einen furchtbaren Schrecken eingejagt. Es bringt unter dem Titel „Heuschreckenplage" einen Artikel, in dem es die germanische Gefahr in den schwärzesten Farben malt und hinter den Berliner Mimen schon die preußischen Pickelhauben anrücken sieht. Es klagt darüber gar be weglich und — naiv, daß die Vorstellungen des Deutschen Theaters in Pest immer volle Häuser erzielen, während im magyarischen Nationaltheater nur die Inhaber von Freibillets sich herumtummeln, um dort die politischen Tagesereignisse zu besprechen. Darum werde es sich, rät das Blatt, empfehlen, wenn noch ein Berliner Theater Pest belästigen wolle, die Leute „beim Kragen zu packen und hinauszukomplimentieren". Da haben wir schon den direkten Appell an die Adresse des Straßenpöbels. Z» den Balkannurnhe«. Gegenüber den irrigen Auslegungen, welche das Er scheinen der österreichisch-ungarischen Kriegsschiffe in Saloniki erfahren könnte, wird der „Pol. Korr." von maßgebender Seite mitgeteilt, daß die Maßregel haupt sächlich bezweckt, den österreichisch-ungarischen Staats angehörigen Schutz und nötigenfalls Zuflucht zu bieten. Zu diesem Schritte trug auch die Rücksichtnahme auf die beträchtlichen Handelsinteressen Oesterreich-Ungarns in Saloniki bei. Jede politische Deutung der Maßregel wäre vollständig falsch. Der Besuch der österreichisch-ungari schen Kriegsschiffe in Saloniki ist übrigens schon seit einiger Zeit beschlossen. Daß dieselben die ersten in Sa loniki waren, erklärt sich aus dem zufälligen Umstande, daß die Schiffe sich in -er Nähe befanden. Durch die gleichen Motive wie Oesterreich-Ungarn wurde offenbar auch Italien zu einer derartigen Vorkehrung ver anlaßt, und es erscheint nicht ausgeschlossen, daß aus den selben Gründen auch andere Staaten Schiffe nach Sa loniki entsenden, falls es in der nächsten Zeit nicht gelänge, die Ruhe wiederherzustellen. Ganz unberechtigt wäre es, in der Entsendung einiger fremder Kriegsschiffe das ernste Anzeichen einer von den Revolutionären Make doniens angestrebten Intervention der Mächte zu suchen. Die Mächte denken nicht an eine Intervention und halten an der Ueberzeugung fest, daß die Pforte zu nächst berufen ist und auch die Kraft besitzt, der makedoni schen Schwierigkeiten Herr zu werden. Die Anwesenheit der fremden Kriegsschiffe wird nur so lange dauern, wie es die Sicherheit der fremden Staatsbürger erheischt. — Von aktuellen Meldungen ist nachstehendes zu verzeichnen: * Paris, 5. Mai. (Telegramm.) „Agence Hcwas"' berichtet aus Ristowatz (Serbien): In Saloniki ver suchte gestern mittag ein als türkischer Priester verkleideter Aufständischer das Telegraphenamt in die Luft zu sprengen; er wurde sofort getötet. Die Professoren des bulgarischen Gymnasiums, welche, wie man Feuilleton. 4, Freiheit. Roman von Walter Schmidt-Häßler. Nachdruck verboten. „Der Herr Reinhardt!!" platzte die jüngste Schwester Beate heraus mit einem kurzen höhnischen Gelächter. „Ja, der Herr Reinhardt", bestätigte Ella und richtete sich hoch auf, als gewährte es ihr eine beispiellose Ge nugtuung, endlich einmal auszusprechen, was sie so lange heimlich im Herzen getragen hatte. „Wer?!" fragten der Vater und die Mutter zugleich. „Ich habe wohl nicht recht gehört", fuhr Herr Röminger, jetzt ernstlich aufgebracht, fort. „Der Farbenklexer, der kaum so viel verdient, -aß er sein Leben fristen kann, der nichts gelernt hat, was irgend welchen praktischen Sinn hat? — Glaubst du im Ernst, wir würden jemals unsere Einwilligung geben zu einer Heirat mit einem Menschen, dessen Eltern in unserem Hause vier Treppen hoch nach hinten hinaus gewohnt haben und ihr Lebtag nichts zu erübrigen verstanden?" „Du willst uns wohl in der ganzen Stadt lächerlich machen, meine Liebe?" schrie Frau Bertha förmlich auf in maßlosem Entsetzen. „Ich könnte ja keiner meiner Be kannten mehr unter die Augen treten, könnte es nicht mehr wagen, mich in der Oeffentlichkeit zu zeigen. — Ein Künstler als Schwiegersohn in ein ehrsames Fabri kantenhaus?! Das fehlte noch!" „Dann heirate ich eben gar nicht!" erwiderte Ella, indem sic sich erhob und ihren Stuhl zurückschob.' Sie war fest entschlossen, ihre Liebe bis aufs äußerste zu ver teidigen, denn sie fühlte, daß sic verloren war, wenn sie auch nur um eine Linie nachgab. — Sie wußte genau, daß jetzt eine Scene erfolgen mußte, wie sie im elterlichen Hause noch keine erlebt hatte — und sie hatte sich nicht getäuscht. Die Mutter brach in Tränen aus, schon weil sie wußte, daß dies ihren Mann aufs höchste erregte und zur Wut aufstacheln konnte, denn so unterdrückt der gute Herr Röminger auch war, so wenig er einen eigenen Willen kundgeben durfte, so heftig war er auch — wie alle im Grunde gutmütigen Menschen — wenn er durfte! — Und so steigerten denn die stromweis fließenden Tränen der Mutter und der starre Trotz Ellas den schwachen Menschen nach und nach in eine so hochgradige Erregung hinein, daß er sich tatsächlich als Herr im Hause vorkam und sich in dieser Täuschung bis zur Kopflosigkeit berauschte. Aber Ella blieb fest. Ohne mit einer Wimper zu zucken, lieb sie den ganzen Strom des entfesselten Zornes über sich ergehen» und beharrte auf ihrer Weigerung, ließ nicht ab von dem einmal gefaßten Entschluß, bis sie endlich das Zimmer verließ und sich in ihrem Zimmer einschloß. — Erst dort löste sich der Krampf, der ihre Brust wie iu einen Schraubstock gepreßt hielt, in einen Strom heißer, ohnmächtiger Tränen, und in fassungsloser Verzweiflung brach sic auf dem Sofa zusammen. Sie war nie eine schlechte Tochter gewesen, im Gegenteil, von den drei Mädchen hatte sie ganz entschieden den reichsten Fonds an Herz und Gemüt, und hing an ihren Eltern mit auf richtiger Ergebenheit. Sie war klug geuug, all die harte Verurteilung ihres so ganz anders gearteten Geisteslebens dem beschränkten Horizont der Eltern, den beengenden Verhältnissen der entsetzlich spießbürgerlichen Stadt zuzu messen; aber in diesem Falle nachzugeben, wäre ihr wie ein Verbrechen, wie eine frivole Entheiligung ihres Selbst erschienen, und so sehr sie sich quälte, einen rettenden Aus weg zu finden in langen, martervollcn Stunden des Alleinseins, sie fand nur das Eine — fest zu bleiben, un beugsam fest bis aufs äußerste! — Von diesem Tage an begann für sie eine schwere Zeit des härtesten Druckes, der grausam ihre ganze Seele ver wundete. Die strenge Kontrolle über ihr Tun und Lassen steigerte sich bis zur Unerträglichkeit, sodaß sie oft nahe daran war, physisch und seelisch zusammcnzubrcchcn. ES war ein erbitterter Kampf zwischen ihr und der Familie, die sich die Aufgabe gestellt l>atte, ihren Willen zu brechen, während sie den festen Entschluß gefaßt hatte, sich um keinen Preis ihrer Liebe abwendig machen zu lassen. Der Besuch des Theaters, ihre einzige Freude, die sie über das traurige Niveau des Alltagslebens erhob und sie auf Stunden freundlich über alles Leid hiuwcgtäuschte, wurde ihr ein- sür allemal untersagt, jede Möglichkeit, sich Lektüre zu verschaffen, wurde ihr «-geschnitten, und selbst auf ihren Spaziergängen war sie von der Mutter oder einer der Schwestern begleitet. — Sie lebte, wie eine Ge fangene, und litt buchstäblich Qualen, die allmählich ihre zarte Gesundheit untergruben; aber ihr Wille beugte sich nicht! — Dem Geliebten eine Nachricht zukvmmen zu lassen, war unmöglich; denn im ganzen Hause hatte sic niemand, der Mitleid mit ihr oder Verständnis für sie gehabt hätte. Ihre Schwestern, denen ihre geistige Supcriorität stets ein stummer Vorwurf für ihre eigene Minderwertigkeit ge wesen war, freuten sich ihrer Demütigung und waren nicht nur willenlose, sondern dienstbereite Werkzeuge in den Händen der Mutter. Reinhardt war unglücklich im höchsten Grade. Seit jener flüchtigen Begegnung auf der Parade hatte er die Geliebte nicht wieder gesehen, und so sehr er nach einer Gelegenheit suchte, so eifrig er überall forschte, wo sich eine Möglichkeit bieten konnte, Ella zu begegnen, so erfolglos blieb sein Bemühen. — Eines Morgens, als Baron Remmingen eben aufge standen war und sich im Speisezimmer seiner eleganten Gar<?onwohnung beim Frühstück befand, wurde ihm der Besuch seines jungen Freundes gemeldet, und einen Augenblick später trat Reinhardt ins Zimmer, blaß und mit einem so unbeschreiblichen Ausdruck des Schreckens in dem sonst so heiteren Gesicht, daß Franz unwillkürlich aufs höchste bestürzt von seinem Sitze aufsprang. „Um Gottes Millen, Mensch!" rief er aus, „was ist denn vorgcfallcn, du sichst ja aus, daß ich dich kaum wieder- erkennc? — Vor allen Dingen setz dich, trink ein Glas Wein und dann erzähle!" — Reinhardt sank auf den nächsten besten Stuhl; das dargcreichte Glas schob er zurück und starrte, wie geistes abwesend, vor sich hin. Remmingen setzte sich neben ihn, legte den Arm um seine Schulter und sprach ihm mit herzlichstem Tone zu: „Komm, mein armer Freund, sprich dich aus, wie du es doch immer getan hast, denn deshalb bist du doch zu mir gekommen! Was hat's denn so Furchtbares gegeben, das dich, den Ruhigen, den allezeit so Heiteren, so aus der Balance bringen konnte?!" — „Franz —" begann Reinhardt, indem er die Hand deS Freundes ergriff. „Ich komme zu dir, weil ich keine klaren Gedanken mehr fassen, mich nicht mehr beherrschen kann. Ich brauche einen Mcnslkxn, an dessen mitfühlende Brust ich mich werfen kann, der mich aufrichtet, wenn ich nicht zu Grunde gehen soll! —" Und in ausbrechender Verzweiflung schlug er beide Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen wie ein Kind. Remmingen war aufs tiefste erschüttert. Er kannte seines Freundes leicht erregbares Gemüt, wußte nur zu gut, daß diese flexible Künstlerseele den wechselvollsten Er- regungen zugänglich war. Er hatte ihn ja schon oft mutlos, verzagt, oder auch recht unwillig gesehen, wenn ihm dies oder jenes mißglückt war; aber Tränen hatte er noch nicht in seinen Augen gesehen, und nun gar Tränen wie diese, die so offenbar aus den tiefsten Tiefen seines Herzens kamen. „Fasse dich, Reinhardt", sagte er leise, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte, „und sei ein Mann! — Nimm dich zusaimnen, so gut es eben geht, und sage mir alles, was du auf dem Herzen hast. Du weißt ja, mein Kopf ist bereit, zu jeder Stunde, für dich zu denken, wenn du selbst in der Erregung nicht dazu fähig bist. — Sag' mir, was vorgefallen ist, und wir wollen dann gemeinsam miteinander beraten! Komm!" — Eine kleine Pause trat ein, bis Reinhardt ruhiger gc- worden war, dann stand er auf, strich sich die Locken aus der Stirn, und während er erregt im Zimmer auf und nieder ging, begann er in abgerissenen Sätzen zu er zählen! — „Vorhin — auf der Promenade —, wie ich gerade zu meinem Atelier hinunter will — kommt mir Ellas Schwester entgegen, die jüngste, das boshafte Geschöpf, die ich nie habe ausstehcn können! Mit höflichem Gruß wollte ich an ihr vorübergehen; aber sie blieb stehen, was sic noch nie getan hat, und sing an, mit mir über alles Mögliche zu sprechen. Mit einem Male sagte sie, und ihre grüncN Augen fingen dabei ordentlich zu funkeln an vor Vosheit und Schadenfreude: „Uebrigens können Sie meiner Schwester Ella gratulieren, Herr Berning. Sic bat sich vor einigen Tagen mit Herrn Doktor Ellrich verlobt!" — Wenn der Blitz vor mir niedergefahrcn wäre — ich hätte kein erschrockeneres Gesicht machen können. Ich war völlig fassungslos und habe, glaube ich, der l^ans die Freude gemacht, ihr diesen tödlichen Schrecken zu zeigen; denn sie fuhr fort, ohne meine Antwort abzuwarten: „Ja, ja, es ist uns allen auch recht überraschend gekommen. Aber wir freuen uns alle begreiflicherweise sehr; denn sie macht wirk lich eine ausgezeichnete Partie. Sic kennen ja den Herrn Doktor! — So jung, wie er ist, und schon so eine ausgezeichnete Praxis!" — Mehr habe ich nicht gehört; denn ich habe sie einfach stehen kaffen und bin davonge- laufen, als wenn mir die wilde Jagd auf den Fersen wäre! Ich hatte nur einen Gedanken, zu dir zu kommen, so rasch wie möglich. Und nun rate mir, hilf, wenn du einen Funken von Freundschaft für mich übrig hast.? (Fortsetzung folgt.)
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