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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.05.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030509023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903050902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903050902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-09
- Monat1903-05
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Tabellarischer und Ziffernsay entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung «0.—, mit Postbeförderung 70.—» Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgea-AuSgabe: NachmUtags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zn richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Tonnabend den 9. Mai 1903. 97. Jahrgang. politische Tagesschau. * Leipzig, 9. Mai. Ter Kaiserbesuch in Rom und der Klertkalismus. Längst sind die Zeiten vorüber, da ein Windthorst im Namen der Zentrumsfraktion vor versammeltem Reichstage die diplomatische Intervention des Reiches zu gunslen der Wiederherstellung des Kirchenstaates verlangen konnte. Aber die Generalversammlung der Katholiken Deutsch lands erklärt sich immer noch für die Notwendig keit der Wiederherstellung des Kirchenstaates; deshalb darf es nicht Wunder nehmen, wenn Kaiser Wilhelms Besuch inRom von derführendenZentrumspresse zur Verherrlichung des Papsttums auf Kosten des italienischen Königtums auSgeschlachtet wirb. So behauptet die „Köln. Bolksztg", in Nom sei der Papst und nicht der König der in jeder Hinsicht Ehrwürdigere, „und das wirb sich nie ändern". Das rheinische Zenlrumsorgan über sieht hierbei gänzlich, wie sehr die Ehrwürdigkeit des Papstes sowohl im allgemeinen wie im Vergleich mit dem Könige von Italien von den Persönlichkeiten abbängt» sowie von dem Geschicke, mit dem der Papst sein Amt gegenüber den „Ketzern" verwaltet. Denn zu dem päpstlichen Amte gehört es, gelegentlich die pontifikale Verdammnis über die akatholische Christenheit auszusprechen. Auch Leo XIII. hat dies getan; es sei nur an die Canisins» Encyklika und an die Zubiläumsbulle erinnert. Aber Leo XIII. beobachtete im ganzen wenigstens einige Zurückhaltung in dieser Hinsicht, sodaß ihm, zumal sein hohes Alter eine ver söhnende Wirkung auSübt, die grundsätzliche Gegnerschaft wider den Protestantismus von den Protestanten zum großen Teil nachgefebeir wirb. Wie leicht aber kann jene grundsätzliche Gegnerschaft bei eineln tempera mentvolleren Papste in ZelotiSmus ausarlen. Und bann bleibt für Protestanten von der päpstlichen Ehrwürdigkeit rein gar nichts übrig. Muß deshalb die erwähnte Behaup tung der „Köln. VolkSztg." als arge Uebertrcibung bean standet werben, so verdient die ionstige Herabsetzung deö italienischen Königtums zur größeren Eh>e des Papst tums vom Standpunkte deutscher BunbeSlreue aus die schärfste Zurückweisung. Nach dem tonangeben den ZentrumSblatle soll cs sehr wenig Jnteiesse er regen, ob ein Monarch beim Besuche Roms den König von Italien besucht und welche Aufnahme er im Quirinal findet; über die Feste und Trinksprüche werde berichtet und dann seien sie vergessen, während die Vorgänge im Vatikan noch lange erörtert würben. Ein deutscher Zentrumsmann in seiner konfessionellen Einseitigkeit und in seiner tiefgewurzelien Abneigung gegen den italienischen Einheitsstaat, der unter der Führung des Hanseö Savoyen der weltlichen Herrschast des Papstes ein Ende bereitete, wird sicherlich so denken und damit einen neuen Beweis für den konfessionellen Charakter der ZentrumSpartei liefern. Außerhalb des Zentrums aber verfolgt man in Deutschland mit dem größten Interesse jedes Zu sammentreffen des Reichsoberhaupies mit seinem hohen Ver bündeten und verfolgt mit nicht geringerer Teilnahme den ganzen Verlauf einer solchen Begegnung. Die beste Wieder legung der Geringschätzung, welche die „Köln. Volksztg." dem deutschen Volke betreffs des Besuches eines Hohen- zollern im Quirinal andichtct, ist die lebhafte Erinne rung an einzelne Scenen, wie sie z. B. während des Besuches unseres damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm Feuilleton. 8i Freiheit. Roman von Walter Schmidt-Häßler. Nachdruck verboten. Paul Theodor Röminger selbst war eine stille, etwas verträumte Natur, eine ächte seinbesaitete Künstlerseele von ungemein weichem und regsamem Gefühl. Künstler durch und durch, und zwar ein wirklicher, l-atte er von jeher keinen Sinn für Geld und anderes Materielle ge habt. So genau er alle Schwingungen seiner feinen Amati- geige kannte, so wenig konnte er berechnen, mi« lange wohl ein Hundertmarkschein, den er eben wechselte, reichen könnte. Dafür ging ihm nun mal das Berständnis voll kommen ab. Frau Anna besaß nun dafür das wunderbare Talent, eben solch einen Hundertmarkschein in eine ganz uner hörte Länge auszudehnen, als sei er von Kautschuk, und diesem gottgesegneten Talente verdankte das Haus Rö- minger seinen gediegenen, blühenden Wohlstand. Sie verstand die zwei größten Tugenden der Hausfrau aus dem Fundamente, das Erworbene zu erhalten und im Kleinen weife zu sparen. Daß unter solchen Umständen der Hausherr mit dank barem Vertrauen seiner Gattin alles Erworbene überließ und sie schalten und walten ließ, wie sic wollte, jpar nur natürlich, und es war wirklich für die regsame Frau keine Kleinigkeit gewesen, als sie den jungen Musiker ge heiratet hatte, in die wirren Bohömcvcrhältnisse Klärung und Ordnung zu bringen. Langsam und stetig, dank seinem großen Können, durch das er mehr und mehr erwarb, und dank ihrer Umsicht, mit der sie das Erworbene verwaltete, hatten sie sich in die Höhe gearbeitet, die Schulden seiner Jugendzeit bezahlt, und nach und nach ein Erkleckliches gespart, so daß die beiden in sich und mit sich zufriedenen Menschen ruhig in die Zukunft und auf ihre Kinder blicken konnten. Durch all das hatte Röminger sich im Laufe der Jahre daran gewöhnt, nichts ohne Beratung mit seiner Gattin zu tun, durchaus nicht etwa, weil er sich unter ihrem Ein fluß fühlte, sondern lediglich, weil er wußte, daß ihr Rat stets der klügste und zweckmäßigste war. sich abgespielt haben. Ganz abgesehen aber von Hohen- zollernbesuchen in Rom, ist festzustellen, daß bei einer An wesenheit des Kaisers von Oesterreich in der ewigen Stadt die allgemeine Aufmerksamkeit auf ven Verlauf seines Empfanges im Quirinal gerichtet sein würde. Auch der Besuch König Eduards am italienischen Hofe ist keineswegs mit Gleichgültigkeit zur Kenntnis genommen worden, und wenn der Kaiser von Rußland seinen Gegenbesuch in Rom macht, wirb ihm gleichfalls größte Beachtung geschenkt werden. Daß ein deutsches Blatt kein Bedenken trägt, so rücksichtslos, wie es in den oben wievergegebenen Wendungen geschieht, die Bedeutung des hohen Verbündeten Deutschlands berabzusetzen, weil bas Papsttum dadurch verherrlicht wird, lehrt auf das Deutlichste, daß unserem Klerikalismns konfessionelle Interessen über die nationalen gehen. Freilich muß zugegeben werden, daß die Form, in welcher der Kaiserbesuch im Vatikan erfolgte, un seren Klerikalen zu Kopfe steigen mußte und sie zu einer Ueberschätzung dieses Besuches veranlassen konnte. Hat doch diese Foim auch in Italien und in Frankreich zu Kom binationen Anlaß gegeben, denen man in den Berliner Kreisen, denen die „Norbd. Allg. Ztg." als Sprachrohr dient, ent- gegenlreten zu müssen glaubt. Tas ojfiziöie Blatt schreibt nämlich heule: , Geivisse politische Kreise im Auslände haben den Augenblick, in dem Se. Majestät der Kaiser den Boden Italiens wieder verlassen würde, kaum erwarten können, um ihre Treibereien zwischen Deutschland und Italien von neuem in Scene zu setzen. Nach einem Pariser Zeitungstelegramm verbreitet die „Agence Havas" aus Rom datierte Depeschen, die sich zu der Behauptung versteigen, die Art des Kaiser besuches beim Papst habe in offiziellen italienischen Kreisen einen peinlichen Eindruck gemacht, der immer mehr zuuehme. Infolgedessen sei die politische Wirkung der Reise Les Kaisers, soweit die italienische 'Regierung in Frage komme, gleich Rull. Ob die Verbreitung solcher Tendenz depeschen aus eine Irreführung der öfsentlichen Meinung in Frank reich berechnet ist, mag dahingestellt bleiben. Sollte damit die Ab sicht verbunden sein, in Italien gegen Deutschland Stimmung zu machen, so dürste der Versuch sein Ziel völlig verfehlen. Tatsächlich konnten die äußeren Formen des Beiuches Sr. Majestät beim Papst in Rom nur den gerade entgegengesetzten Eindruck erwecken, wie ihn die „Agence Havas" charakterisiert, da durch die Einhaltung feierlicher Formen bei der Fahrt nach dem Vatikan vor den Augen der Welt bezeugt wurde, wie wenig der Papst in dem Genuß der ihm zustehenden Rechte eines Souveräns beschränkt ist. Die erwähnten französischen Aus streuungen erhalten durch den Umstand ein eigenartiges Gepräge, daß sie in die Oessenttichkeit Lurch die „Agence Havas" gebracht werden, die bekanntlich in der Pariser Publizistik eine besondere Stellung einnimmt." Nach unserem Dafürhalten hätten auch einfachere Formen deö Besuches genügt, um aller Welt zu zeigen, daß der Papst im Genüsse feiner Souveränitälsrechte nicht beschränkt ist. Uno jedenfalls hätten solche Formen die Phantasie unserer und der ausländischen Klerikalen weniger erhitzt. Zentrum und Sozialdemokratie. Unter der Ucberschrift „Sozialdemokratie und S v z i a l re f o r in" veröffentlicht die „Germania" einen sehr interessanten Leitartikel, der den Beweis liefert, Und so hatte er ihr auch eines abends den Brief von der Freundin seiner Nichte, von der er noch niemals ge hört hatte, auf den Tisch gelegt und sie in dieser allerdings sehr verwickelten Sache um ihren Rat gefragt. Da war denn sie es gewesen, die nach kurzer Ucbcr- legung dafür gestimmt hatte, Ella kommen zu lassen und zwar so schnell als möglich, den armen gefangenen Vogel zu befreien. Ihre durch und durch selbständige Natur empfand ein tiefes und ehrliches Mitleid mit dem jungen Mädchen, dessen Selbständigkeit hier systematisch unterdrückt wurde, und ganz im Stillen war es auch ein leises, echt weibliches Gefühl, das ihr zu dieser Entscheidung riet. Sie liebte ihren Mann schwärmerisch, und empfand des halb eine instinktive Bitterkeit gegen seinen Bruder, der ihm stets feindselig und gehässig gewesen war, der sich in blödem, spießbürgerlichem Unverstände einst losgesagt hatte von dem genialen Künstler, statt ihm zu helfen, wo er es doch gekonnt hätte. Noch unsympathischer aber war ihr die herzlose und kokette Frau Schwägerin, die aus ihrem an und für sich schon so unbedeutenden Manne einen wirklichen Pantoffelhelden gemacht und jedenfalls mit bos hafter Berechnung alles brüderliche Empfinden nach und nach in ihm erstickt hatte, wenn es sich ab und zu geregt haben sollte. Und nun gab es im Hause dieses Mannes auch eine junge Seele, die nach Freiheit schrie von dem unerträg lichen Zwange engherziger Kleinstädterei, und daß diese Rettungsuchende gerade zu ihnen sich flüchten sollte, er schien ihr wie eine Art Genugtuung, die der Himmel ihr für alles zu geben gedachte, was dieses Haus an ihrem. Gatten verschuldet. Diesem jungen Wesen die ersehnte Freiheit zn geben, ihr, der seelisch Einsamen die Liebe eines wirklichen Elternhauses zu schenken, ihrem inneren Leben das feine, nie gekannte Verständnis entgcgenzubringen, erschien ihrem gütigen Herzen als eine lohnende Aufgabe. Und so ward denn in diesem Sinne entschieden, und der Brief geschrieben, der Ella eine Zuflucht und eine neue Heimat anbot. Und Ella kam. Der alte Röminger holte sie vom Bahn hofe ab. Unter Tausenden hätte sic ihn hcrauscrkaunt mit dem feinen Kttnstlerkopfe, den die stark ergrauten Haare um rahmten, und ans dem ein Paar unendlich gutmütige und kluge Augen leuchteten. Auch er erkannte sie sofort. So daß es in der Zentrumspartei doch auch Leute gibt, die den Liebesdienst, den die Zentrumssraktion unmittelbar vor Schluß des Reichstages der sozialdemokratischen Fraktion in Sachen der K r a n k e n v e r s i ch c r u n g s n o v e l l e leistete, als zweckwidrig erkennen und eine andere Taktik der Sozialdemokratie gegenüber für notwendig halten. Der Schluß des bemerkenswerten Artikels lautet nämlich: „Was ergibt sich für das Zentrum und für die bürgerlichen Parteien aus diesem Rückblick? Wir sprechen nur unsere per sönliche Ansicht aus. Im neuen Reichstag wird man sichzu überlegen haben, ob das Zentrum und die Reichstagsmehrheit überhaupt noch ein sozialpolitisches Gesetz verabschieden soll, dem die sozialdemokratische Fraktion die Zu - stimmung verweigert. Eine solche Taktik würde zwar für die Arbeiter sehr hart wirken; aber das Zentrum könnte wie die Sozialdemokratie sagen: Da nicht alle unsere Anträge Gesetzeskraft erhielten, lehnen wir alles abl Die Folge dieser Taktik würde eine momentane Stockung in der Sozialreform herbciführcn, aber auch nur eine momen tane. Die sozialdemokratischen Arbeiter würden ihrer parlamentarischen Vertretung dermaßen einheizen, daß diese es nicht mehr riskieren könnte, Gesetze wie die jetzige Kranke nvcrsicherungsnovelle über Bord zu werfen. Die sozialdemokratischen Arbeiter würden dann selbst erfahren, wohin die Taktik der Genossen im Reichstage führt, nämlich zum Schaden dec Arbeiterwelt I" Bekanntlich wurde der gleiche Vorschlag vor der Ent scheidung über die Krankenkasscnnvvelle von anderer Seite gemacht, aber von dem „ausschlaggebenden" Zen trum ignoriert, das besonders weise zu handeln glaubte, wenn es den sozialdemokratischen Führern die Möglichkeit verschaffte, zwar gegen die Novelle zu stimmen, ihre An nahme aber geschehen zu lassen. Wahrscheinlich wurde dieser Liebesdienst geleistet, um jene Führer zu Gegen diensten bei den Wahlen geneigt zu machen. Der Ver fasser des mit I?. gezeichneten „Germania"-Artikels ent behrt solche Gegendienste vielleicht auch nur ungern, aber er ist sich augenscheinlich auch der Gefahr bewußt, die dem Zentrum selbst droht, wenn cs fernerhin dazu beiträgt, den Nimbus der sozialdemokratischen Führer in den Augen der Nrbciterwelt zu erhöhen, statt zu zerstören. Man kann nur wünschen, daß auch seine Parteigenossen diese Gefahr rechtzeitig erkennen. Tatsächlich beruht die angesehene Stellung des Zentrums ganz wesentlich daraus, daß cs bisher noch immer größere Jgdustriearbeitermassen bei der Fahne zu halten und vor der sozialdemo kratischen Verseuchung zu bewahren gewußt hat. Das Zentrum aber und im besonderen die rheinländischen Zen- trnmSblättcr mögen es sich gesagt sein lassen: Die Gefahr, daß die katholischen Arbeiter zur Sozialdemokratie ab schwenken, besteht schon sitzt und wächst in demselben Maße, in dem das Zentrum den sozialdemokratischen Führen unter die Arme greift. Diese werden, wenn es nötig erscheint, nicht davor zurückschrecken, sich ein bischen katholisch zu „mausern". Der Sozialdemokratie sind die Zentrumsarbeiter wahrhaftig „eine Messe wert". Gehen aber auch diese Arbeiter mit fliegenden Fahnen zur Sozialdemokratie über, so ist es auch bei den Regieren- d e n, die sich von der Furcht vor dem Anwachsen der sozial demokratischen Gefahr in die Arme des Klertkalismus flüchten, für immer mit dem Vertrauen auf die klerikalen „Thronstützen" vorbei. Das Zentrum möge sich also beeilen, seine Arbeiter über den politisch-revolutionären Charakter der Sozialdemokratie aufzuklären und jede Ge legenheit beim Schopfe zu fassen, bei der die führenden Ge nossen im Begriffe stehen, durch Opposition gegen sozial politische Reformen ihr wahres Gesicht zu enthüllen. Sonst kommt der Augenblick, in dem es zur Aufklärung zu spät ist. Die Absichten des Fürsten Ferdinand von Bulgarien» Aus Paris wird der „Intern. Korresp." geschrieben: In den Kreisen der hiesigen russischen Kolonie behauptet man, Fürst Ferdinand wolle die Vermittelung Frank reichs nachsuchen, damit dieses den Zaren zu einem ent scheidenden Eingreifen für Bulgarien veranlassen möge. Die Abreise des Fürsten von Bulgarien fei jedenfalls im Hinblick auf die beabsichtigten Dynamittaten des bulgarischen Comitös erfolgt. In Sofia habe man ge naue Kenntnis von den Vorbereitungen gehabt, die in Saloniki getroffen wurden; Kürst Ferdinand-sei völlig ohnmächtig gewesen, die Taten zu ver hindern, und er wisse auch, daß das Comits mit Unter stützung der bulgarischen Armee seine Tätigkeit so lange fvrtsetzen werde, bis die Türkei Bulgarien den Krieg erkläre. Dies sei das Ziel aller Bul garen, und es sei zwecklos, sich demselben noch ferner zu widersetzen. Der Fürst hatte daher feine Familie schon früher aus Bulgarien fortgesandt, und dann fuhr er ab, um diese „zu besuchen". Er wird jedoch so lange fort bleiben, bis Rußland seine bisherige Passivität aufgibt. Entweder müsse Rußland in Bulgarien militärisch ein greifen, etwa einen Hafenplatz besetzen und einen mit großen Vollmachten ausgestatteten Kommissar nach Sofia senden, welcher die bulgarischen Minister zwinge, die makedonische Propaganda tatsächlich zu unterdrücken, oder Rußland solle sich verpflichten, nach erfolgter Kriegserklärung durch die Türkei einen rus sischen General als Oberbefehlshaber der bulgarischen Armee einzusetzen. Der Fürst hoffe, durch Vermittelung des Präsidenten Loubet, dem er die Lage offen dargelegt habe, Rußland zur Annahme eines der beiden Anträge zu bewegen. In panslawi stischen Kreisen begünstige man diesen Wunsch allerdings, in verantwortlichen Kreisen der russischen Regierung sehe man jedoch den einen Weg als ebenso gefährlich an wie den anderen. Rußlands Vorgehen iu der Mandschurei. Im fernen Osten hat sich die Lage plötzlich verschärft, was nach den letzten, dem Zwecke der Beschwichtigung dienenden Erklärungen, die Rußland über sein Ver bleiben in der Mandschurei nach allen Seiten abgegeben hatte, überraschen könnte. Die Petersburger Versiche rungen, daß man nicht daran denke, dem Handel anderer Nationen in der Mandschurei irgend welche Schwierig keiten in den Weg zu legen, hatten in Washington und London wenigstens einigermaßen beruhigt. Zu der faktischen dauernden Besetzung der Mandschurei durch Rußland gab man natürlich nicht sein Ja und Amen, aber man ließ es bei papiernen Protesten bewenden, da man, ohne einen Weltkrieg zu entflammen, an dem kait acoompli ebenso wenig etwas ändern konnte, wie die Besetzung Aegyptens durch die Engländer je wieder rück gängig zu machen ist. Wenn nun trotzdem Rußland plötzlich die bereits verlassenen wichtigsten militärischen Stellungen in der Mandschurei wieder besetzt und an geblich sogar nicht unerhebliche Truppenmassen nach Korea vorschiebt, so muß man die Erklärung hier ¬ hatte seine schöne Mutter in ihrer Jugend ausgesehen, so schlank und hoch, und dabei so voll mädchenhafter Anmut. Als sic an seinem Halse lag, weinte sie bitterlich, zum ersten Male seit ihrer Flucht aus dem Elternhanse. Dann fuhren sie heim in das stille Haus, das von nuy an ihre Heimat werden sollte. Auch Frau Anna schloß sich sofort mit warmer Zärt lichkeit an die junge Nichte an, die ihr ganz außerordent- lich vom ersten Augenblick an gefiel. Sie war weder überspannt, noch irgendwie excentrisch, was sie anfänglich wohl ein wenig gefürchtet hatte, sondern alles an ihr war klar und verständig. Die kluge Frau fand in dem jungen Mädchen ein Stück ihres eigenen Selbst wieder, und das zog sic unwiderstehlich an. Die beiden Kinder des HauseS kamen dem neuen Gaste gleichfalls mit warmer, echt ge schwisterlicher Liebenswürdigkeit entgegen, so daß sich Ella schon nach den ersten Stunden völlig zu Hause fühlte. Hier berührte sie alles lieb und wohltuend, der herzliche Hauch, der das ganze Hauswesen durchwehte, ging auch auf sie über und legte sich mit einschmeichelnder Innigkeit als festes Band um ihr wundes Gemüt. Schneller, als es sonst ihrer Eigenart entsprach, ge wann sic zu diesen Menschen das vollste Vertrauen, öffnete jedem mit kindlicher Bereitwilligkeit ihr Herz, so daß alle schon nach kurzer Zeit genau wußten, welch ein prächtiger Mensch in diesem jungen Mädchen steckte, und wie wohl getan es war, ihr aus den Sklavenkettcn einer erdrücken den Umgebung zu helfen. Sie blieb nun auch nicht müßig auf dem einmal betrete, nen Wege stehen, sondern erklärte schon am zweiten Tage ihrem Onkel mit aller Festigkeit, daß cs ihr unumstößlicher Wille sei, sich so schnell als möglich eine selbständige Stellung in der Welt zu schaffen. „Zum Heiraten habe ich kein Talent!", sagte sie mit einem bitteren Zucken um die Mundwinkel, „so muß ich denn versuchen, meinen Beruf, der großen Allgemeinheit zu nützen, auf andere Meise zu erfüllen!" Und anschließend an dies große Wort ging man nun daran, Pläne zu entwerfen. Ellas sehnlichster Wunsch wäre ja gewesen, zur Bühne zu gehen, all die Jdcalgestalten dichterischer Fantasie selbst zu verkörpern. Aber dazu schüttelten Herr und Frau Röminger in vcr- blüffendcr Uebcreinstimmung die Köpfe. „Wenn ich zehn Jungens hätte", sagte der Onkel, „und sie hätten Talent fürs Theater, ich ließe sie bedenkenlos hinausziehen in die große, geheimnisvolle Welt der Kunst — alle zehn! — Mögen sie sich den Sturm, der dort immer weht, um die Ohren brausen layen, mögen sie sich ihre Enttäuschungen holen, ihre Kämpfe ausfechten und müh sam hinaufklettern zu den ersten Lorbeeren. Es find Männer — und die können einen Puff vertragen. Aber ein Mädchen würde ich nun und nimmermehr da hinauf- lassen, in dieses Reich von blendendem Licht, Flitter und Truggold. Ein Weib ist doch nun mal anders geartet, als ein Mann, und was dem einen gut ist, märe für den andern eine Kette unabsehbaren Leids, wenigstens in diesem Berufe. Ich hab ja mehr als mein halbes Leben da unten gesessen zwischen den Notenpulten, und so unend lich vieles erlebt, was mir genügt, ein so ahnungsloses junges Ding, wie du bist, vor diesem Entschlüsse ehrlich und mit voller Ueberzeugung zu warnen!" Und Ella war klug genug, zu verzichten, ihre bunten Träume vor dem nüchternen Lichte, mit dein der erfahrene Mann sie beleuchtete, zerrinnen zu lassen, wie Seifen blasen. Ruhig suchte man also weiter. Nach einigen Tagen erschien in der „Bofsischen Zeitung" und im „Berliner Tageblatt" die Annonce: „Junge Dame aus guter Familie sucht in vornehmem Hause dauernde Position als Gesellschafterin. Englisch, Französisch, Italienisch perfekt. Beste Referenzen. Ge fällige Offerten bei der Expedition " Aber es meldete sich niemand. „Nur den Mut nicht sinken lassen!" sagte Frau Anna tröstend. „Dann wird eben in 14 Tagen eine neue An nonce gemacht!" Inzwischen half Ella ihrer Tante im Haushalt soviel sie konnte, und abends, wenn sic in ihrem Zimmer mit einem guten Buche gesessen l-atte, durfte sie sich ohne Zwang, ohne Furcht vor den Strafpredigten der Eitern oder dem Hohn der oberflächlichen Schwestern ihrer Lieb lingsbeschäftigung überlassen, zu schreiben, ihren Ge danken Form, ihren Fantasien Morte zu geben, sie hatte ihre kleinen Erstlinge heiworgeholt, daran herumgemodelt und verbessert, und halte angefangcn, Neues zu schreiben, Das Schreiben machte ihr Freude, wirklickw tiefe Freude, ja noch mehr, es war ihr geradezu Bedürfnis, ihre Ge danken niederzulcgen, das auszusprechen, was sie em pfand. Eines abends wagte sie cs, nachdem sie lange mit sich zu Rate gegangen war, ihren Verwandten, zu denen sie
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