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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.04.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-04-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030422020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903042202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903042202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-04
- Tag1903-04-22
- Monat1903-04
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Da bemüben sich nun die Offiziösen, die bürgerlichen Parteien zu einer kompakten Masse ,u>ammenzuschweißen, die mit der Parole „Wider die Sozialdemokratie" in die Wahlschlacht rückt und die von den Herren Singer und Bebel geführten Bataillone erdrückt, — Graf Posadowsky aber, der Staatssekretär des Innern, benutz! eine der letzten Sitzungen de- allen Reichstags dazu, den „Genossen" die zündende Wahlparole „Für die geheime Wabl" in den Mund zu legen! Es bat sich ja schon bei verschiedenen Ge legenheiten — wir erinnern nur an die 12 OOO-Mark-Affäre — gezeigt, daß der kenntnisreiche und unermüdliche ff ach» Politiker Posadowsky kein W a bl Politiker und Taktiker ist. Aber vaS batte man doch nicht erwartet, daß er angesichts der bevorstehenden ReichSkagswablen bei der Beratung der BuudeSratSverordnuog, betreffs Abänderung des Wahl reglement-, ohne jede Nötigung, vollständig auS dem Handgelenk einen Hieb gegen die Worte der Verfassung „in geheimer Abstimmung" führen und den Mann preisen würde, der einen Antrag auf Streichung dieser Worte «inzubringen den Mut dätte. Er merkte zwar, als der Abg. Himburg die konservative Partei vor dem Verdachte wahrte, in ihren Reihen Viesen mutigen Mann zu verbergen, daß er einen ffeblbieb getan, und suchte diesen als barm» und zwecklose Pauksimpelei erscheinen zu lassen. Da- wird aber nicht verhüten, daß die ganze sozialdemokra tische Presse und daS ganze Heer sozialdemokratischer Agi tatoren mit geheucheltem Schrecken und stiller Freude das „Proletariat" auf die Schanzen ruft, um das Zustande kommen eines Reichstags zu verhüten, der die Sehnsucht veS Staatssekretärs des Innern nach Streichung dcr Wpxt« „in geheimer Abstimmung" erfülle. Daß der RtichSkauzler Graf Bülow sich dem Herrn Staats- stkretär für birst Prägung einer sozialdemokratischen Wahlparole zum Danke werde verpflichtet fühlen, ist jedenfalls nicht wahrscheinlich. Diese Ueberraschung war übrigens nicht die einzige, welche die gestrige Reichs- tagSsitzung brachte. Nack einer Ankündigung der „Konserv. Korr." dätte man erwarten müssen, daß die konservative Fraktion nicht nur Abänderungsanträge zu der BundeSratS- verordnung betreffs Abänderung des WahlreglementS stellen, sondern auch den BeraluugSgegenstand zu dem Versuche benutzen werde, aus den anwesenden Vertretern des BundeSratS allerlei Ausklärungen herauszupressen. Aber nichts von alledem. Die Herren G a in p und Him burg als Sprecher der Reichöpartei und der Deutsch konservativen halten zwar überaus viel an der Vorlage aus- zuseyrn und kritisierten sie in der schärfsten Weise; aber sie beantragten nicht einmal dreimalige Lesung, geschweige denn «ine Abänderung. Und da die übrigen Fraktionen die Furcht der genannten Redner vor den entsetzlichen Folgen der vor geschlagenen Aenderung nicht teilten und Sehnsucht nach baldigem Schluffe der Legislaturperiode empfanden, so wurde eia Zentrumsantrag auf nur einmalige Beratung mit großer Mehrheit angenommen und dann nach einer Debatte, in der nicht- bemerkenswert war, als die Fuicht der Redner der beiden konservativen Gruppen vor den Folgen einer Ein richtung, die in Württemberg und Baben seit Jahren besteht Und zu keiner Beschwerde Anlaß gegeb«» hat, die ganze Vor lage. Nur ein kleiner Zwischenfall verdient noch bemerkt zu werden. Er spielte sich ab zwischen dem Präsidenten Graf Balle st rem und dem Welsen v. Hob en- berg, der den Beratungsgegenstand zu einer welfischen Demonstration benutzte. Bei dem früheren Verhältnis des Zentrums zu deu Welfen würde es ein aus den Reihen der ersteren Fraktion bervorgegangener Präsident sicherlich einem der BundeSratsvertreter überlassen haben, De> Wahrung gegen eine derartige Demonstration einzulcgen. Gestern übernahm der Präsident selbst die Zurückweisung und zwar in einer Weise, die ihm die beiondere Anerkennung deS Grafen Posa dowsky eintrug. Auch ein Zeichen der Zeil. Das Haupt zeichen aber ist die Müdigkeit und Slerbesehnsucht des Reichs tags. Erledigt er in dieser Sehnsucht alle ihm noch vorliegenden Arbeiten mit eben solcher Enthaltsamkeit von eigenen An trägen, die er gestern üble, so wird mit dieser Woche auch die Tagung und die Legislaturperiode ihr Ende erreichen. TaS Volk und das Heer. Von der Irreleitung des Volkes sühlt sich die sozial demokratische „Sächsische Arbeiterztg." „fast tragisch" angemulet. Spotiet ihrer selbst, und weiß nickt wie! Denn in unmittelbarem Anschluß an jene tragische Anmuiung tut bas Dresdner Sozialistenorgan nickt nur so, als ob das Heer lediglich aus Angehö'igen der Arbeiterklasse bestände und als ob die indirekten Reichssteuern, aus denen der HeereS- aufwand bestritten wird, ausschließlich von der Arbeiterschaft getragen würden, sondern es sögt noch hinzu: „Wer ist denn jener innere Feind, gegen den die Soldaten mehr noch als gegen irgend einen landfremden Gegner ausge- bildet werden? ES ist dasselbe Volk, Las die Mannschaften stellt, das die Kosten trägt." Eine unsinnigere Hetzerei als die vorstehende kann nicht erdacht werden. Und ein Blatt, das solche Hetzereien in die Well schickt, klagt über die Irreführung des Volles! Für jede» Menschen mit gesundem Verstände bedarf es keines Nachweises dafür, daß bas Heer in erster und in letzter Linie Schutz wider landfremde Gegner gewähren soll. Selbst Leute, die im Unfrieden aus dem Heere geschieden und unter die Sozialdemokraten gegangen sind, stellen das nicht in Ab rede, ja, sie fübren den „Genossen" nachdrücklich vor Augeu, welches Interesse gerade die Arbeiterschaft daran bat, unser Heer als Sieger ans einem Kampf- hervorgehen zu jeden. Der frühere bayerische Oberleutnant Rudolf Krafft hat sich hierüber in dem sozialvemokratilchen „Weckruf der Eisenbahner" sehr unzweideutig geäußert, indem er u. a. ausführt: „Dem Arbeiter ist es durchaus nicht gleichgültig, ob sein Vater land in einem Feldzuge unterliegt, vorausgesetzt, daß er von den herrschenden Klasse» nicht so infam geschunden wird, daß er in dem eindringenden Feind einen Befreier erblickt. «Als „Befreier" werden die deutschen „Genossen" weder die Russen noch die Franzosen betrachten. Red.) DaS unbeschreibliche Elend, das dann entsteht, wenn Las eigene geschlagene Millionenheer ins Land zurückflutet und ihm auch noch die siegreichen Millionen des Gegners folgen, wird gerade da? Proletariat am härtesten treffen, weil es nicht die nötigen Mittel besitzt, um auch nur die unentbehrlichsten, trotzdem aber horrend verteuerten Nah- rungsmittel kaufen zu können. Ferner sind etwa 50 Proz. der Armee Industriearbeiter, denen es durchaus nicht egal sein kann, ob sie siegen oder nicht; denn dcr geschlagene Teil hat stets größere Verluste an Toten und Verwundeten zu beklagen, und außerdem Feiiilletoi». 17) Das Gold vom Mdwatersrand. Roman voa F. Klinck-Lütet-burg. Nachdruck verbaten. AVer UM so größer war auch ihre Furcht, baß man sie veranlassen könne, nach Kapstadt in das Haus des Generaldirektors Brandt zurückzukehren. Sic schauerte ftüstelnd zusammen, indem sie sich eine solche Möglichkeit vor Augen führte, und eine unsagbare Angst trieb ihr da» Blut in daS Gesicht. Bon Unruhe gequält, sprang sie plötzlich auf. „Ich kann nicht — ich will nicht! Nie — nie!" „WaS ist Ihnen, Lisa?" fragte Cato, sich nun gleich fallt erhebend. Sie ging auf die Erregte zu, die sie, wie aut einem Traum erwacht, anstarrte. „Ach, verzeihen Sie, Cato, mich quälten dumme Ge- danken", entgegnete sie mit einem Versuch, zu lächeln, der aber mißlang. Wie ein Schluchzen kam es aus ihrer Brust. Die glaubte, die Pein nicht mehr ertragen zu können. Und doch durste sie nicht verraten, was in ihr vorging. ,Zch habe viel auSgestanden", fuhr sie fort, „und da kann ich nicht gleich vergessen. Gerade die Liebe, die Ähre Mutter und Sie mir bezeigen, macht eS mir so recht klar, wie daS Unglück mich verfolgt hat. Was alles habe ich entbehrt und in welche Lage bin ich gebracht worden!" „Aber nun, Lisa?" versuchte Cato zu trösten. Ihr Herz schlug der jungen Frau ffokk Liebe und Mitleid ent gegen. Ts hatte gewiß nicht bkr Bitte der Mutter be durft, sich ihrer anznnehmen. „Sie werden, wenn Sie wollen, bald für immer bei uns sein. Wilm will zu nächst den Versuch machen, den Generaldirektor zu be wegen, Sie einstweilen hier zu lasten. Ihm kann nicht daran liegen, daß die Leute von der Sache erfahren." Lisa Brandts Mund umspielte ein bitteres Lächeln. Nie wenig kannten diese Menschen ihren Gatten! Sie ahnten nichts von den entsetzlichen Scenen, die zwischen ihr und dem Manne seit dem Tage stattgefunden hatten, an welchem sie erfahren, daß ihr unglücklicher Vater, von dem man ihr gesagt, daß er lange gestorben sei, durch einen Selbstmord sein Leben beendet habe. Sie wußten nichts von dem Haß eines Menschen, der seine Leidenschaft verabscheut gesehen und dafür sich zu rächen geschworen hatte. Aber sie wußten, daß der Mann, in dessen Gewalt man sie zurückgebcn wollte, ihr ein furchtbares Schicksal zu bereiten beabsichtigte, das schlimmer sein würde, als der Tod, und sie kannten Joseph Brandt schlecht, wenn sie sich der Meinung Hingaben, daß irgend Etwas im stände sein würde, ihn von einem einmal gefaßten Ent- schluß abbringen zu können. Für ihn gab es wahrlich der Mittel und Wege genug, seine Pläne zur Ausfüh rung zu bringen. Er hatte keinen Grund, in seiner Stellung in der Gesellschaft ihr Urteil zu fürchten. Ein Wort auS seinem Munde würde ausreichen, jede gegen ihn sich erhebende Stimme zum Schweigen zu bringen. „Wir wollen hoffen, Cato, daß alles nqch Wunsch ieht", sagte sie, obwohl sie bereits den Entschluß gefaßt, ich nicht den Anordnungen Wilm van Sendens zu fügen, ondern noch einen Versuch zu machen, sic vor dem Schrecklichsten zu schützen, das es für sie in der Welt geben konnte. Sie, die Verwöhnte, die Unselbständige, kannte keine Furcht mehr. Jede in ihr schlummernde Fähigkeit, sich gegen ein grausames Schicksal zu wehren, war geweckt, und die Verzweiflung gab ihr einen Mut, den sie nicht zu besitzen geglaubt. Sie ließ die junge Krau, an der vor Aufregung jede Fiber zitterte, Ruhe bcnchcltt, und befähigte sie mit Cato über Dinge zu sprechen, die weitab von den Ge danken lagen, mit welchen ihre Seele sich beschäftigte. ES gelang ihr auch, Cato vollständig zu täuschen und sich den Anschein zu geben, als billige sie Wilm van Sendens Absichten, die er in Bezug auf ihre nächste Zu kunft hatte. Im Verlaufe des GesvrächS äußerte sie den Wunsch, ihre Kleidung zu wechseln. „Wir sind nicht einer Größe, Cato, aber es macht nichts. Jedes Kleid ist mir lieber, als diese Toilette." Das junge Mädchen führte Lisa bereitwillig in da zwischen ihrem Schlafzimmer und dem Fremdenzimmer belegens Ankleidekabinett. Cato brachte ihr ein Haus kleid. „Sie erlauben, daß ich cS mit hinübernehme", sagte Lisa. Dann, wie sich besinnend, sügte sic hinzu: „Vielleicht — ach, Cato, ich möchte nicht in der Toilette reisen, man wird so an-estaunt — darf ich mir noch ein andere» Kleid für die können die Jnvalidenpensionen nach einem gewonnenen Feldzuge natürlich höher beinessen werden, alS nach einem verlorenen . . . Wir sehen also, daß der Arbeiter unter Halbwegs anständigen Ver hältnissen am Siege seines Landes selbst sehr interessiert ist." Die Schlüssigkeit dieser Auseinandersetzung, deren sozial- demokratische, oben bereits gewürdigte Verilausulierung prak tisch nicht ins Gewicht fällt und die schlechterdings nichts von der Rücksicht auf den inneren Feind weiß, kann auch von der „Sächs. Arbeiterztg." nicht bestritten werden. Aber dem Dresdner Sozialistenblatte kommt eS ja nur darauf an, im Hinblick aus die kommende ReichStagSwahl eine Hetzerei mehr unter die Mafien zu werfen. Likör und politische Ränke. Der Feldzug, den die regierungsfeindliche franzö sische Presse im Anschluß an die Abweisung des Ermächti- gungsgesuchcs der Karthäuser durch die Kammer gegen das Kabinett Combes und seine Mehrheit unternommen hat, bietet ein widerwärtiges Schauspiel. Zwei Er pressungsversuche gegen die Karthäuser werden fingiert. Im ersten hätte des Ministerpräsidenten Sohn und Kabinettschef, Edgard Combes, durch Vermittelung Bervoorts und Mazets von dem Journalisten Besson die Zahlung von 1 Million Franken aus der Kaste dcr Karthäuser gefordert und dafür versprochen, daß sein Vater bei der Abstimmung über das Ermüchtigungsgesuch des Likörordens nicht die Vertrauensfrage stellen und so das Zustandekommen einer dem Orden günstigen Mehr heit ermöglichen würde. Beim zweiten Hütten die Ver trauensmänner einer größeren rninisteriellen Kammer gruppe für ihre Wahlkasse 2,3 Millionen Franken von dem Obern der Karthäuser, Dom Michel, und dem angeblichen Eigentümer der Fabrikmarke des berühmten Likörs, Pater Rey, zu erhandeln versucht und als Gegenleistung die Stimmen ihrer Partei f tt r die Genehmigung des Ordens gesuchs verheißen. Män beachte zunächst, daß jede dcr beiden Geschichten ein besonderes Berdüchtigungsziel hat: bei der ersten gilt es, über den Kopf Edgard Combes' weg den M i n i st e r P r ä s i d e nt e n selbst und damit den Fortbestand seines Kabinetts zu treff«»; bei der zweiten gilt es die Erschütterung des ministeriellen Blocks. Der Angriff gilt also just den beiden Gewalten, die bisher einträchtig und nachdrücklich auf die Beseitigung des OrdcnSwesens hingearbeitet haben, und deren gleichzeitige Unschädlichmachung sofort das Ende des „Kulturkampfes" bedeuten würde. Und eben weil die Angriffe so durchaus zielsicher sind, eben weil das angebliche Tatsachcngerüst so schön gefügt ist, daß, wenn die vorgebrachten Dinge sich bestätigten, der Erfolg des Ansturms bis in den Grund vernichtend fein müßte, drängt sich einem, so schreibt die „Köln. Ztg.", der Verdacht auf, daß nicht der Alltagsver lauf des Lebens den Klerikalen die Waffen in dieser Voll- kommenheit in die Hände lieferte, sondern daß diese Waffen für den verfolgten Zweck in eigener Werkstatt be sonders geschmiedet wurden. Was insbesondere den ersten angeblichen Erpreffnngsversuch angeht, so ist dem gerad stirnigen Ministerpräsidenten und feinem Sohne aufs Wort zu glauben, daß sie nicht das Geringste mit dem un- säubern Handel zu tnn gehabt haben. Ebenso darf man «»nehmen, daß nicht die Mönche selbst die Fabel ersonnen haben. Wohl aber ist es denkbar und bei den verrotteten politischen Sitten erklärlich, daß die Feinde des Kabinetts, welches das Vereinsgesetz mit harter Hand durchführt, sich eines naiv-ehrlichen und eines moralisch-anrüchigen Journalisten bedient haben, nm mit deren Hülfe eine Er- prcffungskomödie zu konstruieren und so dem Minister ein Bein zu stellen. Besson, ein ehemaliger Unteroffizier bei den Kolontaltruppen, der dann als Zeitungsschreiber von der Pike auf diente, ist der gutgläubige Provinz journalist, der mit ehrlichem Eifer die Notwendigkeit der Karthause für den Wohlstand des Jseredcpartements ver ficht. Auf ihn hetzt man den geriebenen, von keinen Skrupeln geplagten Schwager Rocheforts, Vervoort, von dem man weiß, daß er als Leiter des „Soir" Zugang zum Kabinett des Ministerpräsidenten hat. Vervoort spricht von seinem Einfluß bei Edgard Combes, Geldfragen wer den angeschnitten, und der biedere Besson ist bald über zeugt, daß man ihn benutzen will, um den Karthäusern ein Milliönchen abzuzwacken. Er erregt sich darob und hängt die Geschichte an die große Glocke. Die Komödie ist fertig, ohne daß der Hauptspieler merkt, daß er nur Marionette war. Eine ähnliche Erklärungsmöglichkeit liegt auch für den zweiten Fall nahe, wo der Angriff gegen die ministe rielle Kammermehrheit gerichtet ist. Der Ministerpräsi dent hat bereits eine gerichtliche Untersuchung beider „Erpressungsversuche" angeordnet. Vielleicht wäre es politisch klüger gewesen, wenn sein Sohn mit einer Ver- leumdungsklagc gegen Besson vorgegangen wäre. Tas hätte schneller Licht geschafft. Denn wenn auch der Unter suchungsrichter de Valles zu dem Ergebnis kommt, daß eine Erpressung gegen die Karthäuser von niemand ver sucht worden ist, so bleibt doch der Oppositionspreffe die Ausrede, Herr Combes habe den Prozeß nur gescheut, weil er Furcht vor der Öffentlichkeit habe und der Auf deckung sträflicher Machenschaften seiner Freunde. Deutsche Auswanderung ans Rußland. Die Auswanderung der deutschen Kolonisten aus den südwestlichen Teilen Rußlands, namentlich aus Wol- hynien, hat jetzt im Frühjahr stark eingesetzt. Wie die Wolhynischen Zeitungen berichten, veröden infolgedessen manche Bezirke vollständig. Namentlich ist das in den Kreisen Shitoma und Tubensk der Fall. Neuerdings geben auch die Deutschen des Kreises Luyk die Absicht kund, aus Rußland fortznziehen und sich ebenso wie ihre früher abgereisten Stammesgenosten in den östlichen Teilen Preußens, namentlich in Posen, anznsiedeln. Auch in früheren Jahren sind einzelne Familien fortgezogen, aber das waren doch immer nur verhältnismäßig wenige, während die gegenwärtige Auswanderung einen allge meinen Charakter angenommen hat. Man verläßt das Land nicht mehr Familien- sondern Dorfweise. Die pan- slavistischen Blätter suchen sich mit dieser Tatsache so gut es geht abzufinden. Sie erklären, daß man keinen Anlaß habe, die Auswanderung der Deutschen zu be klagen, ebenso wenig wie die der Tataren aus der Krim. Sie erwarten, daß die Regierung einen Teil der inner russischen Uebersiedler nun nach Wolhynien und ins West gebiet lenken werde, um Ersatz für die verlorenen Bauern zu gewinnen. In der Tat ein herrlicher Ersatz! Man braucht nur einer Blick nach Sibirien zu werfen, um zu erfahren, wie die russischen Bauern sich zur Kolonisation eignen. Wolhynien, das bisher durch die Deutschen blühte, wird bald eine ähnliche Wüste, wie ein großer Teil Jnnerrußlands sein. Deutsches Reich. Berlin, 21. April. Das„R ei ch s - A r S ei t s b l att" sherausgegcben vom Kaiserl. Statistischen Amt, Abteilung für Arbeiterstatistikj ist mit seiner ersten Nummer pünkt lich, wie angekündigt, heute erschienen. Eine zweifellos Fahrt aussuchen? Ich werde Sorge tragen, daß Sie es so bald wie möglich zurück erhalten." „Wählen Sie, Lisa, alles, was Sie wollen", beeilte sich Cato zu entgegnen. „Hier ist ein dunkelblaues Kostüm, es ist noch neu; aber wegen der Trauer zurückgesetzt. Viel leicht können Sie es gebrauchen. Wollen Sie es einmal anprobieren?" Die junge Frau zeigte einen Eifer, der Cato auffiel, wenn sie auch keine Erklärung dafür fand. Es befremdete sie nur, daß Lisa in ihrer wenig beneidenswerten Lage Interesse für Aenßerlichkeiten hatte. Ihr war an scheinend nicht darum zu tun Lkwcsen, eine unbequeme und auffallende Besuchstoilette mit einer bequemen und ein fachen zu vertauschen. Sic vrobierte vor dem Spiegel und machte ganz den Eindruck, als ob sie mit Leib und Seele dem Mustern ihrer Erscheinung sich hingäbe. „Haben Sie einen passenden Hut für das Kostüm?" fragte sie mit einem befriedigten Kopfnicken. ,-Der Rock ist ein wenig lang, aber man kann ihn aufheben. Die Taille freilich komme ich Ihnen nicht stärker darin vor?" Das junge Mädchen mußte es bestätigen. Sie brachte darauf einen Hut und eine Toque. Lisa entschied sich ohne Besinnen für den ersteren, weil er einfach sei. Dann schien sie mit einem Male die Lust verloren zu haben, sich noch länger um ihre Toilette zu kümmern, sondern sprach nur den Wunsch aus, das Hauskleid an- legen zu dürfen. „Hoffentlich werde ich diese Reisetoilette vorläufig nicht nötig haben — ich meine, wenn ich nicht nach Kapstadt brauche", sagte sie. „Darf ich die Lachen wieder an ihren Platz bringen?" Cato beeilte sich, ibr zuvorzukommen Lisa beobachtete jede ihrer Bewegungen und merkte sich genau den Kleider haken für das Kostüm. Sie war überzeugt, es im Dunkeln zu finden, ebenso den Hut. den sie an seine Stelle brachte. Etwa noch eine halbe Stunde blieben beide beisammen. Dann erklärte Lis«, daß sie sehr ermüdet sei und auSruhen wolle. Tie nabm zärtlichen Abschied von Cato und schloß sie wiederholt in ibre Arme. „Nehmen Sie Dank für alle Liebe, mit der Sie mir be gegneten, obwodl ich Idnen eine Fremde war", sagte sie noch mit einer Feierlichkeit, di« Cato erst viel später auffiel. Dann wendete sie sich rasch ab, um die Tränen zu ver bergen, die sich in ihre Augen drängten und wieder her- vorzustürzen drohten. Aber mit einer energischen Be wegung des Kopfes schien sie jede Schwäche abgeschüttelt zu haben, von welcher sie sich noch einmal ergriffen ge fühlt, und als die Tür sich hinter Cato geschlossen hatte, stand sie gespannt aufhorchend. Ein leises Geräusch ver riet, baß auch die andere Tür ins Schloß gefallen war. Lisa Brandts Gesicht nahm mit einem Male einen durchaus veränderten Ausdruck an. Auch die letzte Spur einer zur Schau getragenen Ruhe war daraus ver schwunden und an ihre Stelle eine nervöse Hast getreten. Sie begann das Zimmer zu durchkreuzen; aber schon im nächsten Augenblick stand sie wieder. Nicht das leiseste Geräusch durfte sie verraten. Sie mußte sich beherrschen, um ihre Absicht gelingen zu sehen. Und sie meinte, man müsse diese erraten haben. Viel leicht wurde sie heimlich beobachtet, genau so, wie im Hause des Generaldirektors. Sie ging an die Türen und horchte. Sie löschte das Licht, um an die Fenster gehen und hinauS- schauen zu können. Erst als sie sich überzeugt, daß rings um tiefste Ruhe herrschte, sah sie die Möglichkeit vor Augen, ihre Vorbereitungen zu treffen, um mit Tages anbruch das Haus zu verlosten. Am liebsten würde sie gleich gegangen sein, aber daran war für die mit den Gewohnheiten der Hausbewohner unbekannte Fremde nicht zu denken; so »rußte sie den Zeit- punkt erwarten, wo das erwachende Leben im Hause ihr anzeigen würde, daß die Dienerschaft aufgestanden sei. Erst allmählich gelang es ihr, sich ganz zu fasten. Ihr Geld verwahrte sie sorgfältig. Eine gütige Vorsehung ließ sic darauf Bedacht nehmen, sich damit zu versehen; denn sie hatte gewiß nicht daran gedacht, in eine Lage zu kommen, in welcher es ihr von unschätzbarem Werte sein würde. Das Blut ergoß sich heiß in ihre Wangen, indem sie daran dachte, wie wenig die Wirklichkeit ihr von dem gehalten, was eine hoffnungssrohe Phantasie ihr vor die Seele ge- führt. Schutzlos, wie sie gekommen war, nein — schütz- loser noch, verlieb sie das Haus, wo sie so viel zu finden erwartet. Woitte — Versprechungen für die Zukunft konnten ihr in ihrer gegenwärtigen Lage nichts nützen, und Lisa war nicht in einer Stimmung, Wilm van Lendens Absichten gerecht zu werden. Verzweiflung hatte ihr in der höchsten Not den ein- zigen Weg gezeigt» der ihr zu gehen noch übrig blieb. Schlug auch ihr Herz schneller bei dem Gedanken an die
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