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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.04.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-04-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030428015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903042801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903042801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-04
- Tag1903-04-28
- Monat1903-04
- Jahr1903
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offerteuaunahme LS H (epcl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), u«? mit oer Morgen »Ausgabe, ohne Postbesörderunu 80.—, mit Postbesörderung 70.—» Äuuahmeschlub für Anzeigen: Abeud-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige« sind stet» an di« Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von t. Polz in Leipzig. Nr. 212. Dienötag den 28. April 1903. 97. Jahrgang. AerMcher Geruf und Rechtspflege. k. So lange wir leben, schwimmen wir im Meere de» Irrtum», und selbst ein Alldurchdringer wie Goetbe bekennt: »Es irrt der Mensch, so lang' er strebt." Und die Männer der Wissenschaft irren bei der Ausübung ihres Berufes nicht minver als die gewöhnlichen Sterblichen, die nicht so tief in deSWissen» Meer hinabgetaucht sind. Korrigiert doch im Laufe der Jahre eine Idee die andere, verschlingt doch eine Auf fassung die andere, ohne daß wir ahnen können, wann in diesen fortdauernden Umbildungsprozessen das Endurteil verkündet wird. Am verhängnisvollsten macht sich der Irrtum da geltend, wo er bei Eingriffen in das menschliche Leben seine Macht entfaltet. Da, wo Rechtsirrtümer zu falschen Urteilen führen und da- Vermögen, wohl gar da« Leben (Justizmorde) eines Staatsbürgers bedrohen, ja schädigen und vernichten. Und nicht minder da, wo der hülfsbedürftige Kranke sich dem Arzte anver traut und diesem bei der Behandlung de« Kranken ein Irrtum unterläuft. Wenn das bürgerliche Recht heute zwischen entschuldbarem und unentschuldbarem Irrtume keinen Uaterschied mehr macht: hier ist er noch gegeben, denn nur rin unentschuldbarer Irrtum de» Arzte«, ein sogenannter „Kunstfehler", kann zu Schävenforderungen Anlaß geben. Ist die Diagnose mit aller Vorsicht und Einsicht gestellt, hat die Untersuchung de» Kranken mit aller Sorgfalt statt gefunden, sind di« den neuesten Forschungen der ärztlichen Wlssenschasl entsprechenden Mittel angewandt worden, so hat der Arzt getan, waS er tun konnte. Läuft dennoch ein Irrtum unter, so kann er ihm nicht mehr zur Last gelegt werden. Da» Lrraxz nuiuanum euk will auch hier sein Recht haben! Daß Fälle Vorkommen, bei denen die Fahrlässigkeit de» Arzte« die Krankheit verschlimmert oder wohl auch de» Tod Hrrbeiführt, ist nicht zu leugnen und geht aus manchem Strafprozeß hervor, in welchem «ine Verur teilung de» Arztes «intrat. Weit zahlreicher aber sind die Fälle, wo dem Arzte der unglückliche AuSgang der Krankheit in die Schuhe geschoben wird, ohne daß diesem ein Verschulden beizumessen wäre. Leichtfertig gehen di« Beschuldigungen: »Der Arzt hat ihn falsch behandelt", „An dem Tode ist nur der Arzt schule" usrv. von Mund zu Munv, statt daß dem behandelnden Arzte, der ge treulich seine Pflicht erfüllte, aber va« Unmöglich« nicht möglich machen konnte, der Dank der Angehörigen zu teil würde. Allerdings bat der Arzt mit dem Lehrer gemein, daß er auf Dankbarkeit nicht rechnet, sondern seinen Hauptlohn in dem Bewußtsein trägt, der Menschheit gedient zu haben. Aber e« ist unter Umständen nicht einmal mit dem mangelnden Danke abgetan. E» kann kommen, daß der unglück liche AuSgang einer Krankheit dem schuldlosen Ärzte sogar noch einen Prozeß einbringt, der ihm zum mindesten Aufregung«» und Zeitverluste verursacht, meist aber sogar Heldopfer nach sich zieht. Da» hat der Berliner Pröfesfor der Rechte Vr. Kohler, dem man nachrühmea muß, daß er hei feinen rrchtlichen Untersuchung«« immer in- volle Menschenleben hineingreift, jetzt in einem Aufsatz „Der ärztlich« Beruf und di« Rechtspflege" in der Zeitschrift „Die Krankenpflege" (Bb. II., Heft 7) NN einrm Falle dar getan, der keineswegs vereinzelt dasteht. Eine arme Frau »urvi tm Krankrnhause b,hanv«lt und virliiß es angeblich gehellt. Im Laufe kurzer Zeit stellt» sich Luugrnkatarrh ei«, und »» zetgten sich dl» Er ¬ scheinungen der Tuberkulose. Natürlich wird die Ursache in der Behandlung im Krankenhaus« «rblickt. Der Arzt ist schuld. „Wird «in Kranker nicht geheilt ober tritt «in« Erschwerung »der »ene Krankheit ein", sagt Kohler, „flug« sind die Aerzt« schuld daran und sollen dafür büßen. Man b«acht«t nicht ihr opservolles Bemühen, schützt nicht ihren dornenvollen Beruf. Und wenn jeder M«nsch irrtumSfähig und all unser Wissen Stückwerk ist, f» soll gerad« dtr Arzt verantwortlich sein für alle Fäll« «iuer falsch«» Diagnose oder eines unglücklichen Moment», wo ihm la setvrm arbeitsvollen Leben einmal di» nötige Spannkraft fehlte." Die Frau verklagt den Vorstand d«» Krankenhauses auf 10 000 Schadensersatz und zwar im Armenrecht. D«r Beklagte muß rinru laogru, aufregenden Prozeß mit Beweisaufnahmen durchführen, er gewinnt schließlich den Prozeß, muß aber, da die Klägerin da« Armrnrecht hat und kein« Kosten «rstatten kann, sein«» Anwalt selbst mit rund 400 honorier«». E« ist die» ein typischer Fall. Kohler meint, daß da» Unrecht, welche» auf diese Weise geschaffen werde, sich durch eine richtigere Anwendung der Prozeßgrnudsätz« beseitigen lasse. Ehe da» Armenrecht erteilt wird, soll da» Gericht nicht nur die Bedürftigkeit prüfen, sondern auch die Frage aufwerfen, ob „die beabsichtigt« Recht-Verfolgung »der Rrcht»v«rl«idigung nicht mutwillig oder au»stchi»loS erscheint." Kohler bezeichnet e» al» eine 8eben«frage für unsere s»zial»n Verhältnisse und namentlich für den Mittelstand, der nicht ar« genug ist. um zum Armenrecht, zugelassen zu werd«», »nd nicht reich genug, um derartig» E)pfr» leichthin zu tragen, daß von dieser Prüfung ein sehr scharfer Gebrauch gemacht wird. Wenn vor Erteilung deS Armenrechies immer erst in eine Prüfung ber Frage der ärztlichen Beruföverletzung eingetreten würde, so würde sich ost genug ergeben, daß die Klage mut willig oder doch ohne ausreichenden Anhalt eingereicht ist, und daS Armenrecht wäre zu versagen. „Ei folgt eine solche Auslegung der Prozeßbestimmungen in der richtigen Weise, dann kann viel Unheil erspart weiden und Dinge, di« die sozialen Gegensätze nur schärfen, können unterbleiben. Die Ruhe und da- Glück des schon schwer unter seinem Berufe seufzenden ArzteS bleibt gewahrt und empfindliche, vielleicht völlig verderbliche Verluste werden vei mieden. Wie man sieht, ist eS eia ganz unrichtiger Grundsatz, wenn man zu freigebig mit dem Armenrecht ist, denn was man dem einen Teile Gutes erweist, gereicht dem anderen zum Verderben." Und noch auf eine andere Handhabe des Richters im Prozesse weist Kohler hin. Wenn der Beklagte rin Termin nicht erscheint, so werben die Tatsachen der Klage als fest stehend erachtet, auch ohne jeden Beweis, und darauf hin wird da« Urteil gefällt. Das Versäumnisurteil soll ergehen, wenn die behaupteten Tatsachen zu einer Verurteilung auSreichea. Auch in dieser Beziehung müßte schärfer geprüft werden. Kohler verlangt bekanntlich, was nicht unbestritten ist, daß das Gericht selbst in eine Würdigung deS ursächlichen Zusaminenbanges zwischen dem Schaden und den vorgebrachten Tatsachen eintreten und auch die Höhe deS Schadens abschätzen muß, ehe es ein Urteil fällt. Die Einwendungen dagegen, meint er, seien lediglich formaler Natur. Die ungeheure soziale Tragweite der ganzen Frage habe man nicht erkannt und gewürdigt. Man hänge ängstlich an dem Wortlaute veSGesetzes und an den Vorarbeiten zu demselben. Wäre der Arzt sicher, daß er auf «ine sorgsame Prüfung der Kausalität rechnen tonnte, so würde er oft den Prozeß gar nicht aufzunehm«» brauchen, da er dann auch sicher sein könnte, daß sein Gegner mit der Klage, gemäß ß 33l, Abs 2 der (Zivilprozeßordnung, abgewiesen würde. Kohler schließt seine Abhandlung mit folgenden „goldnen Worten": „Die Jurisprudenz muß sich nur allem frage»: welche Ansicht ist die der Gerechiigkeit förder lichere und welche sührt zum Verderben. Diese Gesichtspunkte sind viel wichtiger als alles, WaS man auS den Vorarbeiten der Gesetze oder aus dem Wortlaute oder auS trockenen Abstraktionen entnehmen könnte. Denn dir Rechts wissenschaft ist vor allem eine Wissenschaft zur Förderung der Interessen menschlicher Kultur." Die Wissenschaft, sagt er weiter, Hal die vollste Ver anlassung, Vie Prozeßsätze so zu fassen, daß sie am besten geeignet sind, dir wichtige Aufgabe der RechtS- verwitklichung und deS sozialen Friedens zu erfüllen. „Man kann nicht sagen, daß die Prozeßwissensckast stets diesen Umständen Rechnung getragen habe; denn gewöhn lich bleiben bei den prozessualischen Erörterungen derartige Gesichtspunkte ganz außer Betracht. Man streitet über die größere oder geringere Begriffamäßigteit, über die größere oder geringere Aestbelik der Nechlseinxichtungen, als ob es sich beim Civilprozeß lediglich um ein interessantes Formen gebilde handelte, als ob an der Gestaltung des Eivilp,ozesses nicht da« Herzblut deS Volke«, nickt zum guten Teil das Wohl uav Wehe der Menschheit hinge". VtedtutscheSorialdemokratieunddieLejuilen. Wenn man sieht nnd hört, mit welchem Eifer unsere Sogtaldemokraten sich der Jesuiten annehmen, ist man ver sucht, an das französische Sprttchwort zu denken, nach dem die Extreme sich berühren. Aber wer die einen und die andern genau kennt, wird dessen Anwendbarkeit auf die roten und die schwarzen Herren rätselhaft finden. Denn sie gehen, sowohl in der Theorie, al- auch in der Praxis, nicht so weit auseinander, daß man in ihnen prinzipielle Gegner sehen dürste. Sie sind vielmehr Geistesverwandte und haben so viel Gemeinsame», baß sich die nur auf den ersten Blick befremdliche Tatsache damit genügend erklärt. Gang gleich ist bei den einen und andern 1) die Unfreiheit deS einzelnen gegenüber der Parteileitung, durch die Verpflichtung jedes einzelnen zum unbedingten stummen Gehorsam. „Wer nicht pariert, fliegt hinaus!" Dieser Grundsatz gilt in der Sozialdemo kratie wie in der Gesellschaft Jesu, und die Genossen der «inen wie der andern bekennen sich dazu. Wer nicht da» „Sacrificium de» Intellekts" zu bringen bereit ist, kann nicht Jesuit werben, wer sich nicht zu demselben Opfer ver- steht, kann nicht Sozialdemokrat sein. Damit hängt zu- sammen — genauer: ist die selbstverständliche Folge — 2s die Intol« ranz geaen alle Andersgläubigen und Andersgesinnten. Der Jesuit wähnt sich im Vollbesitz der Wahrheit, die ihm eine und unteilbar ist. Ebenso der Sozialdemokrat. Die auch nur teilweise Wider sprechenden sind Ketzer und Bourgeois und müssen als solche bekämpft werden. Tine weitere Aehnlichkeit ist 8s (man verzeihe das bar barische Wort!) ihre Jnternationalität. Der Jesuit hat al» solcher kein Vaterland, dem er sich auf be- sondere Weise verpflichtet fühlte, der deutsche Sozialdemo, krat ldas tun bekanntlich nicht alle Sozialdemokraten; des halb habe ich mich in der Ueberschrift diese» Artikels auf die deutschen beschränkt) nimmt sogar meist Partei gegen da» eigen«. Di« Begriffe: nationale Selbständigkeit, na- tiouale Ehre, Würd« und dergleichen mehr, sind dem einen wie dem andern völlig fremd. Mag dahin gestellt bleiben, ob der Grundsatz: „Der Aweck heiligt die Mittel", buchstäb lich in jesuitischen Schriften gefunden wird oder nicht: Tatsache ist, daß die Jünger Loyolas in zahllosen Fällen danach gehandelt und die Ihrigen, die es getan, damit ver teidigt haben. Und das ist wieder eine Aehnlichkeit, die ich 4) als Laxheit auf moralischem Gebiete bezeichnen muß. Daß man den Jesuiten mit dem Borwurfe der laxen Moral nicht Unrecht tut, wird niemand bestreiten. Sie ist es ja, die sie in aller Welt, und zuerst in katholischen Ländern, verrufen gemacht und wiederholt zu ihrer Ver bannung geführt hat. Aus Frankreich allein sechsmal! Für den Königsmord haben sie 75 Autoritäten und eine große Zahl für jede Gesetzesübertretung, wenn diese all musorem ckoi reloriam, d. h. zum Heil der ötirche oder des Ordens, notwendig zu sein scheint. Die Frage, ob sie notwendig ist, hat der Vorgesetzte zu entscheiden. Ist die Praxis der Sozialdemokratie davon wesentlich verschieden? In diesem Punkte jedenfalls nicht; denn üs in der G c s ch i ch t s f ä l s ch ung leistet die sozial demokratische Presse genau so viel, wie die jesuitisch-ultra- montane. Wie viel Belege könnten dafür beigebracht werden! Aber es genügt, den Leitartikel der „Leipziger Volkszeitung" in Nr. 81: „Die Jesuiten im Wahlkampfe", tiefer zu hängen. Nach ihm sind Luther und der Stifter der Gesellschaft Jesu gleichwertige Individuen; der wirk liche Unterschied war nur, daß Luther ein deutscher Mönch und Loyola ein spanischer Soldat war". Hier hat man Anlaß, die bona kickes -es Artikelschreibers zu be zweifeln. Denn so unwissend kann der Mann, der Pascal- erwähnt, nicht sein, daß er nicht um andere, „wirk- l-ci"" Unterschiede und selbst um den nicht missen sollte, daß Luther das deutsche Volk von Rom freigemacht und Loyola mit seinen Nachfolgern einen großen Teil desselben in die Knechtschaft des ausländischen Herrschers zurückbekehrt hat. Ja, das weiß der Artikel schreiber der „Volkszeitung", und der Knlturunterschied zwischen den romanischen und den germanischen Völkern seit der Reformation wird ihm auch nicht ganz unbekannt sein. Was er nicht weiß, nicht zu wissen scheint, und wo zu ich ihm deshalb verhelfen möchte, ist die Tatsache der großen Seelenverwandtschaft zwischen Sozialdemokratie und JesuitiSmus. v. Deutsches Reich. lH Berlin, 27. April. Ueber den Verzicht der Kawerin auf die Romfabrl schreibt man der „Deutsch, evang. Korr.": „Bekanntlich sollt« die deutsche Kaiserin ihren hoben Gemahl auf seiner geplanten Romsahrt in den ersten Tagen des Mai begleiten. Am 27. März dieses Jahres sturste die Kaiserin auf einem Spazier ritte im Grünewald mit dem Pferde und zog sich einen Aimbruch zu. Die Heilung des Bruchs vollzog sich unter der sorgsamen ärztlichen Aufucht schnell und ohne Komplikationen. Das Allgemeinbefinden der hohen Frau er litt, abgesehen von den ersten Tagen nach dem Unfälle, kaum eine wesentliche Beeinträchtigung. Bereits am 10. April, dem Karfreitage, begleitete die Kaiserin am Nach mittage ihren hoben Gemahl auf einem fast zweistündigen Spaziergange durch den Tiergarten. Seitdem hat die Kaiserin ununterbrochen ihren repräsentativen Pflichten teils allein, terls an der Seile des Kaisers obgelegen. Im Vatikan glaubte man daher auch noch bis in die Mitte dieses Monats hinein an die Beteiligung der Kaiserin an der geplanten Romsabrt. Um so auffälliger mußte es daher erscheinen, als am lk. April er. plötzlich bekannt gegeben wurde, daß die Kaiserin infolge ihre« Armbruches „auf ärztlichen Rat" sich entschlossen habe, die Reise nach Italien aufzugeden. Da die Kaiserin ibren repräsentativen Pflichten bis zur Stunde gewachsen war, eine besondere Begründung d«s ärztlichen Raiscklages ferner nicht erfolgte, so mußte diese Entlcheidung um so größeres Aufsehen erregen, als die Pflichten der Repräsentation in Rom in erster Linie aus den Kaiser allein enlsalleu dürften. Schwierigkeiten in der Etikettenfrage für den Besuch am Quirinal lagen ebenfalls nicht vor; denn sonst wäre der Besuch der Kaiserin in Rom Nicht erst ausdrücklich angemelvrt woiven. Allen diesen Vermutungen und Zwei feln wirb ein Ende gemacht, wenn man den ursprüng- jichen Plan des gemeinsamen Besuchs de« Kaiser paares beim Papste in Rechnung zieht. Der Kaiser stände dem Papst als Herrscher gegenüber und sein Besuch wäre eine politisch-diplomatische Aktion. Die Kaiserin aber, di« ohnedies als Frau den ersten Besuch nicht zu machen, sondern zu erwarte» bätle, stände dem Oberhaupt« der rvmisch-tatbolischen Kirche ausschließlich als evangelische Frau gegenüber mit all den Em pfindungen, vir ein evangelischer Edaralter beim Anblicke des Papste« durchleben muß. Die bekannte Standhaftigkeit der Kaiserin in dieser Beziehung gegenüber mancherlei andersartigen Strömungen in der Hosgrsellschast ist es den» auch tatsächlich gewesen, die ihr den Verzicht auf die Teilnahme an der Romfahrt nahegelegt und erleichtert hat. Der „Rat der Aerzte" erscheint nur mehr als eine formale Einkleidung der Absage auS Gründen der Höflich keit. WaS jetzt zwischen Kaiser und Papst verhandelt wird, verliert jede konfessionelle Bedeutung. Stellt mau sich, wie augenblicklich der preußische Staat, auf den Standpunkt, im Papst« einen weltlich-politischen Herrscher zu sehr», so mag der Besuch eine politische Bedeutung haben. Andernfalls mag man ihn auch als «ine rein persönliche Aufmerksamkeit betrachten unter der Voraus setzung, daß dem deutschen Kaiser nicht schärfere Empfangs- dromgungen gestellt werben, als dem Könige von England. Da« druitche piotrstaatische Volk wird seiner Kaiserin jrven- sall» Dank wissen für ihre» mutigen Verzicht auf die Rom fahrt. Den Ersatz für eine Aufmerksamkeit de« Papstes, dem za selbst dir Verleidung der „Goldenen Tugendrose" zusteht, wird Deutschlands Kaiserin ,n der Liebe ve« evangelischen Volkes finden, da« ihr d,e Blüten herzlicher Zuneigung und Verehrung auf ihren int Dienste »er Bolk«wohlsahrt oft Ichwerea Pfad streuen wird." --- Berlin, 27. Zlpril. lAlkoholismus und Agrarfanatismus.) Das Organ der katholischen Agrarier am Rhein macht dem Internationalen Antialkoholkongrcß zum Vorwurfe, bei der Er- örterung der Alkoholfrage kein Wort von dem gesagt zu haben, was es offenbar für das wesentlichste Stück der Alkvholfrage hält: nämlich davon, daß der „A l k v h o l i s - mus der Zwillingsbruder des In - dustrtealismus und des Welthandels ist." Das Stadtleben hat, so meint die „Rheinische Volksstimmc" wetter, den Alkoholismus zum Feinde der Menschheit ge macht, die landwirtschaftliche Tätigkeit aber sei der natür- liche Schntzwall gegen jeden unmäßigen Genuß alko- holischer Getränke. Man kann zugeben, daß die land wirtschaftliche Tätigkeit ihrer Natur nach die Folgen des Alkoholismus vermindert. Aber die landwirtschaftliche Tätigkeit schlechthin als „Schutzwall gegen jeden un mäßigen Genuß alkoholischer Ertränke" auszugebcn, das bringt doch nur die tendenziöseste Einseitigkeit fertig. Man denke bloß an die Klagen, die von geistlicher Seite im Hinblick auf die Kirchweihfeste und dergleichen erhoben werden; man vergegenwärtige sich bloß jene Gruppe von Gerichtsverhandlungen, die in ländlichen Distrikten, wie Oberbayern, leider so häufig sind — und man erkennt ohne weiteres die Grundlosigkeit der von der „Rheinischen Volksstimmc" ausgestellten Behauptung. Was die „Rhei nische Vvlksstimme" ihrerseits als Heilmittel im Kampfe gegen die Trunksucht empfiehlt, gehört überwiegend in das Gebiet des Kounschen. Denn das agrarische Blatt verspricht sich von einer „Organisation der Be- rufsstände" auch für die Müßigkeitsbestrebungen goldene Berge. Das heutige Schankgewerbe sei dadurch zu beseitigen, daß jede Innung, jeder Arbeiterverband und jeder landwirtschaftliche Ortsverband seine eigene tzkst- wirtschaft erhalte. Was ist damit für die Müßigkeit er reicht? Auch heute gibt es bekanntlich Stände, die ent weder ihre eigene Gastwirtschaft haben oder doch wenigstens als geschlossene Gesellschaften Geselligkeit nach bestimmter Standessitte pflegen, z. B. unsere Offiziere und unsere studentischen Korporationen. Daß aber diese beiden Kategorien trotz ihrer Bildung als Förderer der Mäßigkeit gelten dürften, läßt sich ganz gewiß nicht be haupten. Im Hinblick auf derartige Erfahrungen ist es eine Illusion, sich von besonderen Jnnungs-, Arbeiter und sonstigen Gastwirtschaften als solchen Fortschritte der Mäßigkeit zu versprechen. Auch die Erfahrungen, die man in früheren Jahrhunderten im Punkte ständischer Gesellig- keitspfleqe gemacht hat, beweisen zu gunsten -er -„Rhein. Volksstimme" gar nichts. 0. ü. Berlin, 27. April. (Jahresbericht des Deutschen B e r g a r b e i t e r v e r b a n d es.) Der Deutsche (sozialdemokratische) Bergarbetterverbaud ver öffentlicht soeben seinen Jahresbericht für 1802, der ganz interessante Schlaglichter aus die so viel Staub aus wirbelnde Bergarbeiterbeweguug wirft. Zunächst sei mit geteilt, daß die deutschen Bergleute aus dem Berichte mit Bedauern ersehen können, daß hohe Lummen deutschen Geldes ins Ausland wandern. „Den streikenden Kame raden in Frankreich und Amerika wurden je 0000 ./f ge sandt, um sie in ihren langwierigen Streiks zu unter stützen und eine wirkliche internationale Solidarität zu bekunden." Der sozialdemokratische Bergarbetterverbaud hat im Vorjahre ganz bedeutend au Mitgliedern zu genommen, er wuchs von 38 042 auf 48 278; von diesen kommen 82 832 auf das Ruhrgebiet, 2008 auf Schlesien, 1838 auf Bayern und 4527 auf das Königreich Sachsen. DiesesWachstum desVerbandeS hat in diesem Jahre weiter angehalten, 6700 neue Mitglieder sind hinzugekommen, die 50 000 ist also längst überschritten. Lehr bemerkens wert wäre es, wenn, wie der Bericht behauptet, sehr viele Mitglieder des christlichen Gewerkvereins zu dem sozial- demokratischen Verbände übergetreten wären. Die Agi tation soll unter dem Mangel an rednerischen Kräften gelitten haben, man hofft aber, diesen Uebelstand in ab sehbarer Zeit zu beseitigen. Der sozialdemokratische Reichs tagsabgeordnete für Berlin III, Heine, hat in Dort mund den ersten Lehrvortrag für Berggewerbegerichts- bcisitzer gehalten, man will diese Angelegenheit weiter im Auge behalten und hofft, daß es möglich sein werde, zu nächst für größere Reviere von neuem solche Lchrvorträge zu veranstalten. 300 000 Flugblätter, darunter auch solche in polnischer Sprache, sind in diesem Herbst verbreitet worden. Sie behandeln die Frage: „Warum geht es dem Bergmann so schlecht?" Alles in allem sieht man auS dem Jahresberichte, baß der sozialdemokratische Bergarbeiter verband im Wachsen ist und sich rührt. Da die Leiter des Verbandes nie ein Hehl daraus gemacht haben, daß sie eventuell vor einem Generalstreik nicht zurückschrecken würden, und da es in den Kohlenrevieren des Ruhr gebietes schon einmal zu einem solchen gekommen ist, so hat man alle Ursache, die sozialdemokratische Bergarbeiter bewegung beständig im Auge zu behalten. T Berlin, 27. April. (Telegramm.) Der Kaiser bvrte deute morgen den Vortrag d«» EhefS des CivilkabinettS Or. v. Lucanu«. (-) vrrli«, 27. April. (Telegramm.) Der „Reich». an,eiger" meldet: Die Beratungen der Kommissare der am Eijenbabnwesen beteiligten Bundesregierungen über den im Reichseisenbabnamte aufgestellten Entwurf einer vstsen- »ahnbau- und Betriebsordnung sind am 25. April »«Ende gegangen. Sie haben zu einer Verständigung über alle wesentlichen Punkte geführt. Die zweite Lesung konnte erst für den Herbst in Aussicht genommen werden, weil bi« da- bin noch einige Untersuchungen, die sich al» erforderlich herausstellten, erledigt werden sollen. — ReickStagSwablkandtdaturen: Au- dem Wahlkreise Oletzko-Lyck-Iohanni-burg wird der „König«b. Hart. Ztg." berichtet, daß di« ««ueralversammlunq de« Bunde« der Land wirte dem bisherigen Vertreter «rasen Udo zu Stolberg, dem Vizepräsidenten de» Reichstag», wegen seiner Haltung gegenüber dem ftolltarif ein förmliche» Mißtrauensvotum erteilt und beschlossen habe, in seine Wiederwahl nur zu willigen, wenn er sich «'pflichte. bei d«n bevorstehendea Handel-verttag-verhandlungrn voll für die Forderungen de» Bunde« »inzutreten. Sollte er auf dies« Anforderung k«iu« b»friedig«nd« Antwort erteilen, so würd«
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