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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.04.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-04-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030430010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903043001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903043001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-04
- Tag1903-04-30
- Monat1903-04
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Im Norden. Verberstr. 8, H. L. Kröger, Butterbdlq. 8624 Gneisenauftr. 12, B. Ühlich, i. Fa. Ida Hartmann, Papierbdig. Löhrftr 15, E. Heyer, Kolonialwarenhdlg. 979 Vorkftr. 82 (Ecke Berliner Straße), F. W. Kietz, Kolonialwarenhdlg. Im Osten. JohanntSgaffe 8, Hauptexpedition 222 vstplatz 4, Alfred Elfte Ranftschc Gaffe 6, F. Fischer, Kolonialwarenhdlg. Echützenstr. 5, I. Schümicken, Kolonialwarenhdlg. 1178 Tauchaer Str. 13, E. R. Reichel, Drogenhdlg. 8341 Im Süden. Arndtstr. 85, I. F. Canitz, Kolonialwarenhdlg. 3033 vayersche Etr. 45, H. Neumeister, Cigarrenhdlg. 3984 König-Platz 7, L. Lösche, Cigarrenhdlg. 7505 Nürnberger Str. 45, M.E. Albrecht, Kolonialwarenhdlg. Aettzer Str. 85, V. Küster, Cigarrenhdlg. Im Westen. Beethovenstr. 21, Tb. Peter, Kolonialwarenhdla. 3901 Frankfurter Str. 22 (Ecke Walvstr.), L. Sievers, Kolonialwarenhdlg. Ranstädtcr Stetnwcg 1, O. Engelmann, Kolonialwhdlg. 2151 Waldstr. 8st, G- Vetterlrm, Kolonialwarenhdlg. Weftplatz 32, M. Leißner, Cigarrenhdlg. 2402 Ja den Vor- und Nachbarorten. Anger-Erottcndorf, B. Friedel, Cigarrenhdlg., Zwei naundorfer Str. 6, O. Oehler, Bernhardstr. 29 Connewitz, Frau Fischer, Hermannstr. 23 Telephon - Fritz Koch, Pegauer Straße 17 Nr. Eutritzsch, Robert Allner, Buchhdlg., Delitzscher Str. 25 820 Gautzsch, Job. Wolf, Ecke Ring- und Oetzscher Str. Gohlis, Robert Altner, Buchhdlg., Lindenth. Str. 6 820 - Paul Schmidt, Brüderstraße 8 Kleinzschocher, G- Grützmann, Zfchochersche Str. 7» in L.-Plagwitz 2586 Leutzsch, Albert Lindner, Wettiner Str. 51 in L.-Lindenau Ltndeuau, Alb. Lindner, Wettiner Str. 51 in L.-Lindenau Möckern, Paul Schmidt, Brüderstr. 8 in 8.»GohliS Neustadt, Paul Kuck, Annonc.-Exped., Eisenbabnstr. 1 Neuschönrseld, Paul Kuck, Annoncen-Exp., Eisenbahvstr.1 Oetzsch, Carl Sckeffel, Ecke Ost- und Mittelstr. 6475 Plagwitz, G. Grützmann, Zfchochersche Str. 7a 2586 Probstheida, Reinhard Sachse, Buchbmdergeschäst NcuSuttz, W. Fugmann, Marschallstr. l 15l6 -- O. Schmidt, Koblgartenstr 67 1739 - Beruh. Weber, GabelSbergerstr. 11 Schlrutzig, G. Grützmann, Könneritzstr. 56 2586 Sellerhausen, O. Oehler, Anger-Crotteudorf, Bern- hardstraße 29, Part. Stünz, O. Oehler, Anger-Crottend., Bernhardstr. 29, p. Thonberg, R. Häntsch, Reitzenhainer Str. 58 Bolkuiarsdors, Paul Kuck, Ann.-Exped., Eisenbabnstr. 1 - Georg Niemann,Konradstr. 55 (Ecke Elisabethstr.) Wahren, Paul Schmidt, Brüderstr. 8 in L.-Gohlis Rußland in der Mandschurei. V. 8. Als im vorigen Frühjahr zwischen Rußland und China das Abkommen über die Mandschurei geschlossen wurde, da haben gewiß nur wenige geglaubt, daß damit die Streitfrage wirklich endgültig erledigt sei. Das Zaren reich hatte damals die Verpflichtung übernommen, seine Truppen in bestimmten Terminen aus dem umstrittenen Gebiete hcralrszustihren und China die Verwaltung zu rückzugeben. Man begann in der Tat nicht lange darauf mit der Zurückziehung des Militärs; aber das geschah in derart bemerkenswerter Weise, daß es eher einer Zusam menziehung der Truppen, als einer Räumung «des Landes ähnlich sah. Die Regimenter verließen die großen Städte; aber sie bezogen „Standlager" in der Nähe, die mit allem zur Kriegführung Erforderlichen ausgestattet waren und eigentlich nur russische Festungen in China darstellten. Wirklich preis-gegeben hat man nichts in der Mandschlrrei, und der zarische Einfluß ist dort jetzt noch ebenso maß gebend, wie vor der Unterzeichnung des letzten Abkom mens. Die russische Diplomatie verfolgte ihre Ziele ge duldig und ausdauernd, und es war vorauszusehen, daß ihr über kurz oder lang die volle Herrschaft über das Ge biet als reife Frucht in den Schoß fallen würde. Um so größer war deshalb die Ueberraschung, als die Ruffen plötzlich diese erfolgreiche und vorsichtige Taktik ver lieben. Der russische Gesandte hat bekanntlich kürzlich in Peking Forderungen erhoben, von deren Erfüllung das Petersburger Kabinett die endgültige Ränmung der Mandschurei abhängig macht. Die bedeutsame Note bringt Wünsche zum Ausdruck, die, sollten sie von China erfüllt werden, Rußland die wirkliche und formelle Herrschaft über die Mandschurei verbürgen würden. Alle Zollein nahmen in Niutschwang müssen in die russisch-chinesische Bank bezahlt werden; Rußland erhält seine eigenen Tele graphenleitungen. die Kontrolle über die sanitären Ein richtungen Niutschwangs; endlich sollen in der Mandschu rei keine neuen Vertragshäfen eröffnet und keine aus ländischen Konsulate gestattet werden, dagegen will man lediglich Russen in der militärischen wie civilen Verwal tung des Landes anstellen. Dem gegenüber klingt es wie Ironie, wenn schließlich die Zusicherung erteilt wird, die chinesische Verwaltung solle auf dem gegenwärtigen Zu stande erhalten werden. Was bleibt den Chinesen da über haupt übrig? Wie weit die Anaaben über die von Rußland gemach ten Vorschläge zutreffend sind, läßt sich zunächst mit voller Sicherheit nicht bestimmen. Im wesentlichen werden sie richtig sein, wiewohl wir annehmen, daß die Forderung betreffend die Sperrung der mandschurischen Häfen jeden falls übertrieben ist oder vom Zarenreiche sehr bald wieder fallen gelassen werden wird. Dasselbe gilt von weiteren Wünschen, nach denen Rußland angeblich verlangen soll, sämtliche Waren auswärtiger Staaten aus der Mandschu rei auszuschließen. Das wäre eine Forderung, welche sich niemals durchführen liebe und auf den Widerspruch aller in Ostasien interessierten Mächte stoßen würde. Zunächst sind es nur die Bereinigten Staaten, welche einen förmlichen Protest gegen eine derartige Abmachung »wischen Rußland und China erhoben haben. Ob man in Petersburg darauf gefaßt gewesen ist oder nicht, mag zu nächst dahingestellt bleiben; aber jedenfalls scheint man sich ernstlich um die Beruhigung der Union zu bemühen. Der Botschafter in Washington, Graf Cassini, der Urheber deS ersten, im Jahre 1896 geschloffenen Vertrages über die Mandschurei, hat sofort erklärt, daß Rußland durch seine neue Vereinbarung den Handel und Verkehr der Ver einigten Staaten in der Mandschurei nicht gefährden wolle. In der Tat würde die Stellung des Zarenreichs bedenk lich, wenn zu den beiden alten Gegnern, England und Japan, nun auch Amerika treten sollte. Den ostasiatischen Zweibund betrachtet man in Petersburg kaum als elne sonderliche Gefahr. Er hat so oft gedroht und geprahlt und trotzdem nichts Positives begonnen, daß er allmählich seine Schreckgestalt zu verlieren beginnt. Aber anders würde sich die Sachlage gestalten, wenn Amerika dem Bündnis beiträte und aus dem Zweibund sich ein Dreibund bilden würbe, der dem Umsichgreifen der »arischen Herrschaft ein energisches veto entgegenrufen könnte. Die russische Diplomatie hat so oft ihre Meisterschaft gezeigt, daß sie wahrscheinlich auch in diesem Falle der Sache eine günstige und vorteilhafte Wendung geben dürfte. Namentlich wird, wie wir erwähnten, sie suchen Amerika vom Widerspruche zurückzubringen, und das kann sie erreichen durch wirtschaftliche Zugeständnisse, auS denen die Union klar erkennt, daß ihr Handel keine Beeinträch- tigung in -er Mandschurei erleidet. Rußland wird seine Forderungen in dem Umfange, wie sie erhoben sind, schwerlich durchsetzen, und -arauf ist eS wahrscheinlich auch nicht abgesehen. Amerika will beson- ders die Bestimmung über die Vertragshäfen und die Be rufung russischer Beamten beseitigen, es wird sich zeigen, ob es der Union wirklich um die Streichung beider Punkte oder nur um die des ersteren zu tun ist. Läßt man an der Newa die Wünsche fallen, welche eine Bevorzugung deS russischen Handels in sich schließen, so bleibt noch immer ge nügend übrig, um dem Zarenreiche die Herrscherstellung in der Mandschurei zu sichern. Und das werden die Eng- länder und die Japaner schwerlich zu hindern im stände sein. Deutschland hat kein unmittelbares Interesse an den Vorgängen in der Mandschurei. Unser Handel ist dort recht gering, und politische Aufgaben haben wir dort nicht zu erfüllen. Natürlich kann eS uns nicht gleichgültig sein, wenn der ausländische Handel ganz von der Man- dschuret abgesperrt wird, aber Las wird das Zarenreich nie erreichen. Eine Auseinandersetzung mit -en übrigen Mächten wird darüber jedenfalls erfolgen. So können wir der Weiterentwickekung der Dinge mit Ruhe ent- gegenfehen und brauchen uns nicht darüber aufzuregen, ob Rußland oder Japan als Sieger aus dem Streite her vorgehen wird. Deutsches Reich. 6. U. Berlin, 29. April. (Männer und Frauen im Deutschen Reiche.) Bekanntlich wurden bei der letzten Volkszählung im Deutschen Reiche 27 737 247 oder 49,2 Proz. Personen männlichen und 28 629 931 oder 50,8 weiblichen Geschlecht» ermittelt. Wir haben also einen Frauen Über schuß von 892684 Köpfen, aus 100 männliche kommen 103,2 weibliche Personen. Ein Frauenüberschuß findet sich auch in den übrigen europäischen Ländern, mit Ausnahme von Serbien, Bulgarien, Rumänien, Griechenland, Cypern Feuilleton. Im europäischen Wetterwinkel. Reisebrief von PaulLindenberg. Rachvrull verbolen. VI. Bon Saloniki nach Monastir. — Geschichtlicher Boden. — Große Eindrücke. — Die Bewachung der Bahn. — Ankunft in Monastir. — Militärisches Leben. — Von der Ein wohnerschaft. — In den Straßen. — Beim General-Gou verneur Ali Risah - Pascha. — Wichtige Aeußerungen. — Allerhand Ansichten und Meinungen. — Bulgaren und Albanesen. — Ueberfälle. — Die Reformen. — Was wird werden? Monastir, 22. April. Es ist denkwürdiger, geschichtlicher Boden, über den uns die Bahn von Saloniki nach Monastir in zehn Stunden führt; die Heerscharen Philipps von Makedonien und Alexanders des Großen sammelten sich hier zu kühn gewagten Erorbcrungszügen, wie sie vor- und nachher nie die Welt gesehen. Und später, als nach kurzer Herrlich keit der fo plötzlich aufgcgangene Glanz erloschen, welch' verwirrendes, blutiges Getümmel sahen diese zu hoher Kultur gelangten Gebiete! Hier rangen die Byzantiner mit den kühn cmporstrcbendcn slawischen Völkerschaften, zumal den Bulgaren, um die Vorherrschaft am Balkan, bis die Osmanen erschienen und siegreich überall die Fahne des Propheten wehen ließen, nachdem auf dem Amsclfclde Sultan Murad die slawische Kraft gebrochen. Bon neuem aber sucht sich jetzt letztere emporzuringcn zu keckem Wagnis und zu selbständiger Machtcnfaltung. Die Losreißnng Griechenlands, Rumäniens, Serbiens, Bulgariens vom türkischen Staate hat die in Makedonien lebenden Zugehörigen jener Stämme mit gährendcm Gelbstbewußtsetn erfüllt, und läßt ihre Blicke sehnsüchtig über die Grenzen schweifen, von dort Hülfe erwartend. Aber von wem und für wen? Zu viel« sind's, die hier auf Beistand von draußen harren, von denen jeder für sich den besten Teil des fetten Bissens beansprucht. Uud keiner gönnte dem anderen auch nur das geringste. Die Griechen sagen: „Lieber tausend Jahre unter den Türken, alS zwei Jahre unter den Bulgaren", und ähnlich dürften Serben, Wala.chen, Albanesen denken. Niemand traut seinem christlichen Nachbarn vom anderen Stamme Gutes zu. ^Kommen die Bulgaren an die Spitze, so können wir schon gleich einpackcn und ver schwinden , meinen die Serben. Bor einem kräftigen Bul- garen hegt jedermann hier berechtigte Besorgnis, und man ist einig im Haß gegen den bulgarischen Großnmchtskttzel, während man andererseits Furcht hat vor allerhand „un bewußten" geheimen Plänen Rußlands, die in der Phan tasie der Bevölkerung, auch der türkischen, sowie in der politischen Unterhaltung der meist national sehr engbe- grenzten geselligen Kreise eine große Nolle spielen. Davon gelegentlich näheres. Blau schimmerte das Meer herüber und Helle Morgen- sonne lag auf dem flachen Weideland, als um die siebente Stunde unser Zug Saloniki verließ. Aus -en kleinen Dörfern ragten gleich Kastellen die Wohnstätten der wohl- habenden Grundbesitzer hervor, festgcmauerte Behau sungen mit turmartigcm Aufbau, der unten nur Schieß luken enthält und bei einem Ueberfälle den Bewohnern als Festung dient, in der sie sich so lange halten können, bis Unterstützung naht. Tenn ganz sicher ist's hier innncr noch nicht, selbst nicht in der nahen Umgebung von Saloniki, und ein guter Revolver, ein schußfertiges Ge wehr gehören zur nötigsten Ausstattung auf der „Cam pagna", dem Lande. Im Hinblick auf das bulgarische Bandenwesen ist die militärische Bewachung der Bahn sehr sorgsam; Patrouillen zu Fuß und zu Pferde erblickt man längs der Geleise, auf jeder Haltestelle Gendarmerie- Posten, jede Brücke und jeder Tunnel werden doppelt be wacht, in weißen Zelten, auch in schnell errichteten Lehm- und Reisig-Baracken sind die Soldaten urttergebracht, einzelne Ortschaften haben eine Einquartierung von 60 und mehr Mann erhalten. RcchtSseitlich der zweiten Station, Kerdjelae, führt der Weg zur Stätte der ehemaligen Pella, jener freudigen makedonischen KönigSstadt, in der Alexander der Große geboren wurde, von welcher aber nichts mehr erhalten geblieben ist, als geringfügige Trümmerrcstc. Und einige Stunden später, nachdem wir in dem mitten im Grün ge legenen Karaferia kurze Rast gemacht, berühren wir eine zweite ehemalige Residenz der Könige Makedoniens, Wodena, das alte Edessa, in dem Philipp, der Vater Alexanders, seinen gewaltsamen Tod gesunden. Auf trotzigem, aus Tropfstein gebildetem Bergvorsprung, von dem sich silberne Wasserfälle in die tiefe, grün besponncne Ebene ergießen, während auS der Ferne der Olymp weiß schimmernd, majestätisch herübergrüßt, ruht der Ort mit seinen weißen Häuschen so malerisch, so friedlich und idyllisch, daß sich unwillkürlich ein bewundernder Ruf auf die Lippen drängt. „Hier sollten Sie bet Ihrer Rückkehr Station machen", sagte mein kundiger, liebenswürdiger, auf einer Inspektionsreise begriffener Begleiter, Bau- Inspektor Hochgraßl, fast gar nicht besucht wird die Stadt von Touristen, und sie bietet doch so viel in jeder Be- ztehung." — „Gut, abgemacht, auf der Rückfahrt bleibe ich hier!" Hinter Wodena klimmt die unter umsichtiger deutscher Verwaltung stehende Bahn immer höher in das Gebirge hinein, durch zahlreiche Tunnel geht'S und über lange, rasselnde Eisenbahnbrücken, welche jähe Abgründe Über spannen. Dann plötzlich in der Einsamkeit ein liebliches Landschaftsbild: der weite Ostrowo-Sce mit seinen grün- lich-blauen Fluten und der massigen, schneebedeckten Fels kette als Abschluß, bald dahinter der Peterska-See, an seinen Ufern einzelne Dörfchen, deren Herden von be waffneten, in faltige, dunkle Mäntel gehüllten Hirten auf die Weide getrieben werden. Keuchend, dichte graue Dampfwvlkcn auspuffend, schleppt die Maschine langsam die schwere Last bergan; großartige Ausblicke eröffnen sich in ernste Gebirgstäler mit blinkerrden Sturzbüchen, von allen Seiten schieben sich die Berge zusammen, Eis umhüllt ihre Häupter und dichte Schneefelder erstrecken sich bis zu ihren Füßen, es ist eine Alpcnscenerie von wilder Wucht und überraschender Romantik. Und sie steht in schroffstem Gegensatz zu den wohlgepflcgtcn Getreidefeldern und den blütenüberschüttcten Lbstbäumcn der pelagonischen Ebene, in die jetzt unser Zug hinabrollt, und dort unten taucht nun Monastir auf, hinter ihm aber die lange, stolze Kette der eisumpanzcrten Neretschka-Blanina-Alpen, zwischen denen der 2300 Meter hohe Peristeri sein spitzes Haupt hoheits voll in die Wolken reckt. Br, man merkte bei der Ankunft in Monastir die Nähe der Eisriesen, es war bitterkalt, daß man sich fröstelnd in die Mäntel hüllte, und siehe da — Schneeflocken wirbelten lustig herab, und der grundlose Schmutz bestätigte die Mit teilung, daß am Morgen der Schnee hier noch 10 Centt- Meter hoch gelegen, für uns, die wir auS der südlichen Pracht Salonikis kamen, kein angenehmes Willkommen. Eine Viertelstunde von der Bahn entfernt liegt die Stadt. Drei umfangreiche Kasernenbauten und eine Kriegsschule, an denen man vorüberkommt, beweisen die strategische Wichtigkeit Monastirs, welches im Rücken Albanien, vor sich Makedonien hat. In -en engen, hol- prigen Straßen viel militärisches Leben, hier und da Patrouillen, gelegentlich ein Posten vor einem rot-weißen Schilderhaus«, einige Offiziere zu Pferde — eine Kom pagnie, unter Pfeifen- und Trourmelklang von einem Streifzuge zurückkehrcnd. 5000 Mann mit 100 Geschützen beträgt die ständige Garnison, die in den letzten Wochen wesentlich verstärkt war, aber dieser Tage eine Anzahl Truppen nach Albanien sandte, weil man dort ernstere Ereignisse befürchtet, als im eigentlichen Makedonien. Die Stadt selbst ist ein Gemisch deS echtesten Orients und des modernen Europa, denn neben -en elendesten Holz, und Lehmbaracken, die jede Minute einzufallen drohen, erheben sich nette steinerne HäuSchen mit farbigem Anstrich, vielfach im Besitz der Konsulate, neben Moscheen und ver- laffenen mohammedanischen Friedhöfen erblickt man eine kleine bulgarische und griechische Kirche, die aber, wie ich heute früh mich überzeugen konnte, die Gläubigen nicht mit feierlichem Glockenklang — dieses christliche Attribut ist in der Türkei verboten, und selbst die Bahnverwaltungen hatten große Mühe, die Signalglocken auf den Stationen einzuführcn! — zum Gebet rufen, sondern durch den Schlag eines Klöppels auf zwei harte Holzbretter, was übrigens weithin hörbar ist. Auf den engen Gaffen, von denen man meist einen herr lichen Blick auf die nahen, mit frischem Schnee umhüllten Gebirge genießt, viel lärmendes Hin und Her. Mit kurzen, melancholischen Rufen treibt ein Hirte seine schwarzen, starknackigen Büffel entlang, hochbepackte Eselchen traben an uns vorüber, Bulgaren haben dichte Schafpelze — das wollige Fell nach innen, über die Schultern geworfen, und führen einen regen Handel mit Milch, die sie auf Maultieren aus ihren Dörfern herein gebracht, Kawaffcn in der frauenartigcn, weißen Fusta- nella, ein ganzes Waffcnarsenal im Gürtel, stolzieren um her, schwarzberockte griechische Priester begleiten eine Schar Kinder, zerlumpte, verschmitzte Jungen drängen unS ihre Stiefelputzdienste auf, Jüdinnen zeigen sich in ihren pelz besetzten, dunkelroten Samtmänteln und dicht verschleierte Türkinnen huschen eilfertig dahin, als ob sie verfolgt würden, überhaupt tritt das türkische Element gegen das christliche erheblich zurück und haust im eigenen Quartier, nahe dem Dragor, der seine gelben Gewässer mit starkem Gefäll brausend durch die Stadt ergießt. Auch hier wieder bas bunteste Völkergemisch in der etwa 50 000 Seelen zählenden Einwohnerschaft, vor allem Bul- garen, Serben, Griechen, während die eigentliche euro- peitsche Kolonie, die Konsuln eingeschloffen, kaum zwanzig Personen zählt. Und jede Nation treibt Sonderpolitik und befehdet die andere, jede ist emsig bestrebt, durch Propa ganda, Gründung von Schulen usw., der anderen zuvor zukommen und schreckt nicht vor wüsten Aufhetzungen zu rück. Daher die mit dem Namen „Monastir" verbundenen häufigen Ausschreitungen, die sich lei-er nicht bloß auf politische und religiöse theoretische Auseinandersetzungen beschränken, sondern auch schon zu blutigen Zwisten ge führt haben. Wahrscheinlich kein freundliches Bild für die in vieler Beziehung religiös durchaus toleranten Türken, welche den „Giaurs" gern die Ausübung ihres Glauben- lassen, falls der ihrige nicht angetastet wird, liegen doch in der sogenannten Hauptstraße die recht statt lichen Gebäude der Amerikanischen Bibelgesellschaft an der französischen Lazaristen, und schallen kirchliche Gesänge auS den griechischen, bulgarischen, serbischen, rumänischen Schulen weit heraus. Und überall flattert irgend eine Konsulatsflagge in den österreichischen, französischen, russi schen, griechischen, serbischen, italienischen, englischen, rumä. Nischen, bulgarischen Farben, all' diese Staaten sind ja hier durch ihre Konsuln vertreten. Die armen Türken, der arme General-Gouverneü* der Provinz, denn wo so viele Köche sind, kann man da wkcht einen guten Brei erwarten? Bon dem General-Gouver neur Ali Risah - Pascha hatte ich schon viel Gutes in UeS-
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