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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.05.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030512020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903051202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903051202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-12
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ständigtc. In Einem schien sich dieses Mai die sorgen volle Mutter zu ihrer großen Freude gründlich getäuscht zu haben, und das war Egon, der Lohn des Hauses. Als er an dem ersten Abend, wo Ella bei Tisch die Honneurs machte, im Lpeisczimmer erschien, hatte ihr wohl ein ganz klein wenig das Herz schneller geschlagen, wie einem Kinde, dem etwas Unheimliches entgegentritt, vor dem man es gewarnt hat. Er stellte sich mit ritterlicher Zuvorkommenheit sofort vor, bot dann seiner Mutter den Arm und führte sie zu Tisch, wo er Ella gegenübersaß. Er war schön, so schön, wie das junge Mädchen selten oder nie einen Menschen gesehen hatte, mit dem kastanien braunen lockigen Haar, den großen dunklen Augen und dem feingeschnittenen Gesicht der Mutter. Sie konnte sich ganz gut denken, daß junge Weiber, die nichts Besseres und nichts Ernsteres zu tun hatten, sich in diesen eleganten jungen Menschen Hals über Kopf verliebten, und daß dieser Mann bei Frauen im all gemeinen viel Glück haben mußte. In seinem Wesen hatte sie sich diesen jugendlichen Don Juan aber anders vorgcstellt. Er sprach während des Diners nur wenig, richtete an sie kaum zwei- oder dreimal ganz oberflächlich das Wort und unterhielt sich ausschließlich mit der Gräfin über gleichgültige Dinge, Er war gegen die Mutter von aus gesuchtester Höflichkeit, und als er sich nach dem Lpeisen zurückzog, sah er Ella kaum an. So blieb es einige Zeit. Die neue Gesellschafterin schien ihm nichts weniger als sympathisch zu sein, denn wenn er sie mit seiner Mutter im Salon wußte, kam er niemals dazu, vermied es sogar auffallend, ihr zu begegne^. Einmal sogar hatte dieses Vermeiden für sic etwas direkt Beleidigendes gehabt. Sie war die Treppe zum ersten Stock, wo die Fremdenzimmer lagen, hinaufgegangen, und Egon war vom zweiten Stock schnell hernntergcgangen, um auszu gehen. Anstatt ihr nun zu begegnen nnd an ihr vorüber- zugchen, hatte er sich schnell umgewandt und war die Stufen wieder förmlich hinaufgesprungen. Oben am Treppenabsatz war er stehen geblieben und hatte gewartet, bis sie im Korridor verschwunden sein mußte. Dann erst war er schnell heruntergekommen nnd hatte das Haus verlassen. Ella hatte all dies sehr wohl bemerkt, nnd dies seltsame Manöver hatte ihren Stolz aufs tiefste verletzt. Als er zwei Stunden später zum Diner erschien und sie mit gewohnter kühler Höflichkeit seinen Gruß er widerte, flammte über sein schönes Gesicht ein so tiefes, purpurnes Not und aus seinen Augen traf sie ein so seltsamer, langer Blick, daß sie jäh zusammenschrak und gleichfalls zu ihrem höchsten Aerger flüchtig errötete. Darüber waren Wochen vergangen, und so sehr sie sich bemühte, die kleine, an sich mehr als unbedeutende Episode zu vergessen, immer fiel ihr wieder der eigen artige Blick aus den großen, wundersamen Augen ein und ließ sie wider ihren Willen nachdenken, um einen Grund für sein seltsames Benehmen zu finden. Aber so sehr sic auch grübelte, sie fand absolut keinen Zusammenhang zwischen dem mehr als reservierten Be nehmen des jungen Grafen und diesem Augenblicke ver legenen Errötens, wie eines Schulknaben, den man auf etwas Unerlaubtem ertappt. So kam die Saison der großen Gesellschaften, und eine Menge häuslicher Beipflichtungen nahm Ellas ganze Spannkraft in Anspruch, denn das Haus Drontheim war jetzt der Sammelpunkt großer Geselligkeit, und mit echt aristokratischer Gastfreundschaft öffnete sich die lange Reihe der glänzenden Salons einer Menge fröhlicher und lebenslustiger Freunde. Bon auswärts kam Besuch, die Fremdenzimmer im ersten Stock waren besetzt von einer französischen Familie aus Wiesbaden, mit der die Gräfin seit Jahren be freundet war. Es mar eine Madame de Varonnc mit ihrer Tochter und ihrem Sohne, einem langausgeschossenen, etwa 2ljllhrigen jungen Menschen, mit schwarzem, echt pro- vciwalischem Typus, einem malitiöscn Mund, der fabel haft cynrsch lächeln konnte, und einem Paar dunkler tückischer Augen. Der große Eichentisch im Speisezimmer war allabend lich von vielen Menschen besetzt, und der junge Franzose hatte seinen Platz neben Ella, was ihr nichts weniger als sympathisch war, da seine dreiste Art, sich mit ihr zu unterlmlten, ihr in höchstem Grade mißfiel. Dabei hatte er die Manier, bei jeder Gelegenheit ihre Hand oder ihren Arm wie zufällig zu streifen und dann mit seinem frivolen Lächeln ostentativ „Pardon" zu sagen. Je lauter und lebhafter am Tisch die Konversation geführt wurde, desto leiser unterhielt er sich mit ihr, sagte ihr eine fade Schmeichelei über die andere und schien eine wahre Freude daran zu haben, sic fortwährend in Verlegenheit zu bringen. Einmal, als ihr Blick hülflos über den Tisch ins Leere glitt, während er auf sie einsprach, sah sie Egons Gesicht gerade sich zugewendet und seine Augen mit einem so seltsamen Ausdruck fest auf ihren Nachbar gerichtet, daß sie unwillkürlich zusammenschrak. Sein Gesicht war blaß, seine Lippen aufeinandergepretzt in mühsam verhaltener Leidenschaft, und während zwischen seinen Brauen sich eine tiefe Furche zusammenzog, funkelte aus den dunklen Augen ein Blick maßloser Wut herüber zu dem arglosen Herrn de Varonne, der lächelnd in seiner pikanten Plauderei fortfuhr. Ella atmete auf, als man sich erhob. Und nun geschah etwas ganz Unerwartetes. Egon stand plötzlich neben ihr, begann eine Unterhaltung über ein neues Buch, das er im Salon seiner Mutter hatte liegen sehen, und wich den ganzen Abend nicht von ihrer Seite. Er plauderte leicht und ungezwungen mit ganz aus gezeichneter Sachkenntnis, bewegte sich dabei in den strengsten Grenzen gesellschaftlicher Höflichkeit, fern von jeder Vertraulichkeit, und als die Gesellschaft sich empfahl und Ella sich in ihr Zimmer zurückzog, mußte sie sich ge stehen, selten so angenehm und geistig anregend sich unterhalten zu haben. Dieser Mensch, vor dem die eigene Mutter sie gewarnt hatte, war ihr ein Rätsel, je länger sie ihn kannte. Sie konnte sich absolut nicht vorstellen, wie gerade dieser junge Mann, der sich ihr gegenüber stets in einer Weise benahm, die mehr nach Befangenheit und Ver legenheit aussah, gegen ein weibliches Wesen dreist oder gar zudringlich sein konnte. Vom sieghaften Verführer hatte er wahrhaftig auch nicht das Geringste an sich Am nächsten Tage sollte die französische Familie wieder abreisen, und mit geheimem Behagen sah Ella diesem Augenblicke entgegen. . Ja, sie zählte die Stunden förmlich bis dahin, denn sie konnte das beengende CKfülil nicht los werden, als müßte sich vorher noch irgend etwas Unangenehmes er eignen. , . Am Nachmittag war die Gräfin mit Madame de Varonnc und ihrer Tochter in die Ausstellung ge» ^Ella war mit den Arrangements für den Abend zu Ende und saß ein Stündchen in ihrem Zimmer über einer angefangenen Arbeit, die sie vollenden wollte. Sic kam jetzt so wenig dazu, zu schreiben, daß sie ihre Gedanken 3»ek oll" doil»' llür". cL verdotsoa »mit >^<t on !k« 0,W>. V.6Y. ,-riodt.- 0i» »r»dttrt» »llk - llLlln-urssr 1 im xLursll »llltoa VLroll t82.sc> iss.— 107 75 103.75 204,10 1395 363.— SS, 101, 2t4, »0, llSdr.s SS, v»ll»! 100,»0 I»t» U»m- , Ltvdur.t od» 0,04). 0M. 211,— 628,— «tr. 199.— 1272,- rdstr S' A er pp«r rtLr-ii. St--ck 92,— Lt.-t 0 101,49 Lat. 10460 ttsot «- 00,60 »<1>tl b 100,— 102,60 7n8(» 00»b -- — i-sod 71,— ?ck,tr> ckisu »SrtvQ 92,90 I 16,28 IN« 121,— ttLvK —— pckoa - , 1S2,1O a-vck — Uluiii 129 60 >.vkv 12635 ttüLals 17,10. öl»» 101,30 Uoiar. 108,— » - ld. 176,50 i-ok.pr. 3 ISO ck-'O. ovck »ük. 152,40 103,75 150,- >b.8s<1 113,90 sn-eü. 101,35 s-odl. 49,20 133,10 t'sltsr 128,— 185,50 164,10 206,30 214 — oktbr. 150,90 Vodl. — ,V.-ck 91,75 127,— >-tt>u. 205.25 birud. 411 25 klktr 98,25 lLl-Kv 130,— lwL8P 166,— .->L-ck 137,75 llSN 68,75 -stkd. — — »okto. — UKlM 216,50 .u-o-l !55.— stkosw. 99.25 «t«mp. 73,25 'S- rüst»« 236,25 85,35 »» t v I. —— 13,80 -'l>. —— LirLll. 85,30 <to. i 16,05 '««r. 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Haupt-Filiale Lerlin: Earl Duncker, Herzgl.Bayr.Hosbuchhandlg^ Lützowstraße 10. Fernsvrecher Amt VI Nr. 4603 Abend-Ausgabe. Ucip,;igcrIagMM Anzeiger. Amtsblatt des königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Nates und des Nolizeiamtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Pelitzeile LS H. Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) bO H. Tabellarischer und Zisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (rxcl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung >4 70.—» Änna^meschluß für Anzeigen: Abead-AuSgab«: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr- Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 239. Dienstag den 12. Mai 1903. 97. Jahrgang. politische Tagesschau. * Leipzig, 12. Mai. Abg. Basscrmanu über Vie Sozialdemokratie. Dem Abgeordneten Bassermann ist wiederholt und noch in diesen Tagen hier und da in der Presse der Vorwurf ge macht worben, daß er zu den Jllusionspolitikern gehöre, die an die „Mauserung" der Sozialdemokratie glauben, und daß er in solchem Sinne seinen Einfluß inner halb der nationallibcralen Partei gellend macke. Wir können nun mitteilen, daß diese Annahme bezüglich ter Stellung des Herrn Bassermann zur Sozialdemokratie nicht zutreffend ist. Es liegt uns ein Bericht über die einleitende Ansprache des Abg. Bassermann auf dem nationalliberalen Delegiertentage vor, der am 3. Mai in Berlin zwecks Be schlußfassung über den nationallibcralen Wahlaufruf abge halten worben ist. In dieser Aniprache führte Abg. Basser- mann hinsichtlich der Sozialdemokratie auS: „Auf der Seite der Gegner stehe die Sozialdemokratie in erster Reihe. Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, zu verkennen, daß diese Partei nach wie vor durch aus anti- und international sei. Ein einziger Blick in den „Vorwärts" zeige zur Genüge, daß eine Aussicht auf Wandlung im nationalen Sinne nicht bestehe. Tie Sozialdemokratie sei die Feindin der Monarchie und werde nicht müde, das zu beteuern. Sie sei die Feindin des Privateigentums, eine Klassen partei und als solche durch und durch illiberal.... Die Sozial demokratie sei bereit, den Mittelstand zuGrunde gehen zu lassen und den Bauer dazu. Die sozialdemokratische Pro paganda sür das Milizsystem sei durch die Erfahrungen des Boerenkrieges hinreichend ucl ab8uräum geführt. Richtig sei es nicht, daß die Sozialdemokratie harmloser geworden sei. Zur Zeit sei von „Mauserung" nichts zu bemerken. Denn in den entscheidenden Momenten, und namentlich, wenn Katastrophen sich vorzubereiten scheinen, gestatte die Partei niemals ihren gemäßigteren Vertretern das Wort. Dann seien die Extremen überall voran. So habe man auch beim Kampf um den Zolltarif nichts mehr von Schippel, Calwer usw. bemerkt, sondern da sei die Tonart immer nur von Bebel, Singer, Stadthagen, Bändert usw. angegeben worden. Es sei zu erwarten, daß die Soziatdemokralie als Klassenpartei noch an Terrain gewinne, denn die Lurch die Agitation künstlich groß- gezogene Erbitterung greise noch um sich. Das zeige den ganzen Ernst der Situation und die Notwendigkeit nie versagender Wachsamkeit!" Im weiteren Verlaufe seiner Ausführungen bemerkte Herr Bassermann ferner sehr zutreffend und in klarer Eikenntnis der Sachlage, daß das Treiben der Sozialdemokratie noch eine andere schwere Gefahr in sich berge: „es ge fährde den Bestand der Verfassung und da mit das Wahlrecht". Mit solchen Ausführungen hat sich Abgeordneter Bassermann doch unzweifelhaft von den Mauserungs-Illusionisten losgesagt, falls er ihnen überhaupt einmal vorübergehend angebört hat, — was ja bekanntlich von recht vielen Politikern und Staatsmännern, so besonders von dem verstorbenen Finanzminister Or. v. Miquel gilt, der nach dem bekannten Empfange der „Kaiserdeputierten jahrelang glaubte, noch die Zeit zu erleben, in der die Sozial demokratie sich unter der Führung dieser Deputierten in eine fest auf dem Boden unserer Staats- und Gesellschafts ordnung stehende Reformpartei mit monarchischen Grundsätzen verwandeln werbe. Tas Zentrum und Vic RcichSfinanzreform. Der Wahlaufruf des Zentrums enthält bekanntlich nichts über die Reiwsfinanzresorm. Das ist bei der bekannten Ab neigung der Zeutrumssraktion gegen diese dringliche Reform nicht ausfällig; die „Köln. Volkszeitung" hält es aber dock sür nötig, die ablehnende Haltung der Partei zu begründen. Das genannte Blatt schreibt nämlich: „Das Zentrum will von einer Reform, wie sie bisher gedacht war, nichts wissen, weil es den Einfluß der Bundes staaten auf die Ausgaben des Reichs nicht schwächen will. Diejenige Reichsfinanzresorm, welche das Zeutrum will, ist übrigens in dem Wahlaufruf deutlich genug gekenn ¬ zeichnet: man übe größtmögliche Sparsamkeit, dann werden die Einzelstaaten sich über die Anforderungen des Reichs nicht beklagen können, und zu sonstigen „Reioim'-Forderungen liegt kein Bedürfnis vor. Wenn erst der neue Zolltarif feine Wirkung geltend macht, so ist unter dec Voraussetzung, daß wir die Ausgaben nicht „entsprechend" erhöhen, darauf zu rechnen, daß Las Reich aus den Finanz nöten der letzten beiden Jahre von selbst herauskomme. Sollte aber die Erschließung neuer Einnahmequellen ganz unver meidlich sein, so Hal auch für diesen Fall das Zentrum sein Programm längst bekannt gegeben: keine neuen Steuern, die den Massenverbrauch belasten. Sollen die neuen Steuern im Reiche selbst eingesührt werden, so wird man sich, mag es sich um direkte oder indirekte Steuern handeln, eine Forin wählen müssen, die lediglich tue wohlhabenden Klassen belastet. Will Reich sich an die Matrikularumlagen halten, jo mögen die Eiuzelst.iaten, falls sie Las Geld nicht zur Verfügung haben, die größeren Ein kommen und Vermögen stärker heranziehen." Das alles ist Spiegelfechterei. Inwiefern könnte denn der Einfluß der Bundesstaaten auf die Ausgaben des Reiches durch eine RcichSfinauzceform geschwächt werden? Auch nach einer solchen Reform unterliegt der im NeichSschatzamle aufzustellende Etat vor seiner Einbringung im Reichstage der Prüfung und der Genehmigung des Bundesrats, und hat dieser seit einer Reihe von Jahren trotz der finanziellen Notlage vieler Einzelstaaten seine Zustimmung zu großen Reichsausgaben nicht zu vertagen vermocht, so wird er in seinen Entschlüssen eher freier als gebundener, wenn die Einzelstaaten vor übergroßer Jnan- iprucknahmc gesichert sind. Besonders aber ist die Verweisung auf die Wirkung des neuen Zvlltaiifs eitel Spiegelfechterei. Wer hat es denn dahin gebracht, daß der giößle Teil der zu erwartenden Mehreinnahmen aus den Zölle» für die Wit wen- und Warsenversorgung festgelegt uuv dadurch der Verwendung für allgemeine Reichszwecke entzogen worden ist? Doch wohl das Zentrum. Es klingt daber wie Hohn, wenn die „Köln. VolkSztg." die Einzelstaaten auf diese Mehr einnahmen vertröstet. Jedenfalls geht mau nickt fehl mit der Annahme, daß das Zentrum von einer Rcichsfinanzresolm deshalb nichts wissen will, weil der Mangel einer solchen Reform der Fraktion Gelegenheit giebl, durch Bewilligung oder Nichtbewilligung großer Reicksausgaben die Enischeidung über djc finanzielle Lage der Einzelstaalen in der Hand zu behalten und dadurch seine Macht auch solchen Staaten fühlbar zu machen, in denen der Ultramonlanismus sonst nichts zu sagen hat. Nicht auf Stärkung des Einflusses der Bundesstaaten kommt es der „Köln. VolkSztg." und ihren Hintermännern an, sondern auf Schwächung ihres Wider standes gegen klerikale Einflüsse. Man kann daher getrost eine Wette darauf eingehen, daß, wenn die Frage der Aus hebung des H 2 des Jesuitengesetzes nicht früher gelöst wird, das Zentrum seine Stellungnahme zur Reichsfinanz reform von der größeren oder geringeren Neigung derEinzel- staaten zur Nachgiebigkeit in der Jesuitenfrage abhängig macht Und es scheint ja, als ob der Herr Reichskanzler die Ab sicht hegte, die Entscheidung über den K 2 des Jesuitengesetzes so lange zu vertagen, bis daS Zentrum Gelegenheit erhält, den Richtpreisen im Bundesrate nach berühmtem Muster zuzurufen: „Keine Jesuiten, keine Reichs- sinan zreform!" Der Uebertritt eines ganzen französischen Dorfes znm Protestantismus hat sich dem „Malin" zufolge am Palmsonntage im Departement Haute-Loire vollzogen. Ein von der Haupt stadt des Kantons, le Puy, drei Kilometer entfernt ge legenes Torf Malataverne wünscht seit Jahren, um sich den Weg nach der bischöflichen Kathedrale in Puy zu ersparen, im Besitze eines eigenen Gotteshauses zu sein. Man baute munter darauf los, und als die Kirche unter Dach und Fach gekommen war, bat eine Deputation des Fleckens den Bischof um die Anstellung eines Priesters. Der geistliche Oberhirt wies das Gesuch ab; erneute Ver suche führten ebenso wenig zum Ziele. So vergingen zehn Jahre. Endlich wurden es die Leute von Malata- verne müde, noch länger auf einen katholischen Priester zu warten nnd wandten sich an das protestantische Kon sistorium von Saint-Etienne mit dem Gesuche um einen Geistlichen. Ihr einmütiger Wunsch ist nun erfüllt worden. Am 5. April weihten drei protestantische Pfarrer die Kirche ein, und das ganze Dorf nahm an der Feier teil. Nur vier Personen sind katholisch geblieben; die ganze übrige Bevölkerung von Malataverne ist unter ihrem neuen evangelischen Pfarrer zum Protestantismus übergetreten. Die Lage in Marokko. Ans Madrid, 11. Mai, schreibt man uns: Nach Meldungen aus Eeuta hat der Thronbewerber Bu Hamara während der letzten Woche umfassende Vorbereitungen zu einem Vormarsch getroffen. Er hat von den Gebirgs stämmen der Nifküste soviel Unterstützung erhalten, daß seine Truppenmacht wohl auf 8000 Mann geschätzt werden kann. Diese wird offenbar in kleineren Abteilungen vorrücken, einerseits, um den Sultan hinsichtlich des An griffes im Unklaren zu lassen, und andererseits, um die Verpflegung zu erleichtern. Zwei Abteilungen, vielleicht in Stärke von je 600 Mann, sind bereits aufgebrochen. Man glaubt jedoch, daß diese die Aufgabe haben, die Rück- zugslinic des in Tetuan befindlichen Prinzen Mnley Arafa abzuschneiden. Letzterer verfügt nur über eine sehr unbedeutende Streitmacht, und es gelang sogar Bu Hamara, von einer aus Frankreich kommenden Sendung von Gewehren und Patronen, ehe sie Tetuan erreichte, den größeren Teil abzufangen. Jedenfalls verfügt der Prätendent über einen sehr gut organisierten Nachrichten dienst, der ihn über Bewegungen der Anhänger nnd der Truppen des Sultans auf das Schnellste unterrichtet. — Auch sonst liegen Meldungen vor, welche sehr zn Nngunsten des Sultans lauten und schon von der völligen Besiegung Mnley Araias wissen wollen. So berichtet man uns: * Gibraltar, 11. Mai. (Reuters Bureau.) Das bri tische Schlachtschiff „Reneron" ist heute aus Tetuan mit dem dortigen britischen Vizckonsul und einer An zahl Flüchtlingen hier eingetroffen. Die Flüchtlinge sagen aus, daß man in Tetuan einen Angriff auf die Stadt be fürchte. Aus privater Quelle hier eingetroffene Nachrichten besagen, daß Muley Arafa vollständig geschla gen sei. Die Aufständischen hätten die Dörfer der Benider- Kabylen niedergcbrannt. * Madrid, 11. Mai. Ein Telegramm der „Correspondencia de Espagna" meldet, daß die Soldaten, welche sich weigerten, nach Tetuan abzugehen, nach Fez marschieren werden, da sie ihren Sold nunmehr erhalten. Englisch-japanische Handelsbeziehungen. Der im vorigen Jahre erfolgte Abschluß des englisch japanischen Bündnisses zum Zwecke der Aufrechterhaltung der beiderseitigen Machtstellung in den ostasiatischen Ge wässern scheint auch wirtschaftliche Nachwirkungen haben zu sollen. Es ist Aussicht vorhanden, daß eine japanische Ausstellung, in London im Jahre 1005 zu stände kommt. Der Plan wurde schon vor längerer Zeit durch die Japanische Gesellschaft in England angeregt, und zwar sollte das Unternehmen be reits im Jahre 1004 zur Ausführung gelangen. Mit Rücksicht aber auf die in diesem Jahre stattfindende Welt ausstellung in St. Louis hat man den Zeitpunkt der ge planten Ausstellung um ein Jahr hinausgeschvben. Das Projekt findet naturgemäß in England lebhaften Beifall, da sich den britischen Handelskreisen angesichts der wachsenden Konkurrenz der Bereinigten Staaten und Deutschlands auf dem Weltmärkte immer mehr die Notwendigkeit anfdrängt, Ersatz für das Verlorene zu suchen oder für die Sicherstellung der Absatzfähigkeit der britischen Ausfuhrerzeugnisse die erforderlichen Vor bedingungen zu erfüllen. Daß die japanischen Interessenten Anlaß hätten, sich gleichfalls mit Be geisterung und Tatkraft für die Sache einzusetzen, darf bezweifelt werden, da die aus dem englisch-japanischen Handelsverkehr resultierenden Vorteile ganz über wiegend auf britischer Seite liegen. England steht unter den an der Einfuhr in Japan beteiligten Staaten an erster Stelle, dagegen ist die Ausfuhr japanischer Er zeugnisse nach England verhältnismäßig sehr gering, während anderseits die Vereinigten Staaten und Frankreich mit Recht als die kaufkräftigsten und tatsächlich besten Abnehmer japanischer Ausfuhr waren gelten. Auch die Vertretung Englands auf der im März eröffneten Ausstellung in Osaka ifl keineswegs derartig, daß dadurch die Veranstaltung eines größeren japanischen Ausstcllungsnnternehmcns in London ge rechtfertigt würde. Immerhin ist es nicht ausgeschlossen, daß die japanische Regierung in der Hoffnung, für den Absatz japanischer Waren, besonders für Erzeugnisse der Seidenindnstrie, mehr als bisher in England Entgegen kommen zu finden, dem Projekte eine wohlwollende Be rücksichtigung und Förderung zu teil werden läßt. Deutsches Reich. Berlin, 12. Mai. (Die Berliner Wahlen und das Zentrum.) Das leitende Zentrumsorgan frohlockt 'darüber, daß in der Reichshauptstadt kein An hänger von 8 2 des Jesuitengesetzes gewählt werden wird. Das ist allerdings zu erwarten, da weder Sozialdemokratie noch Freisinn, die allein für Berlin in Feuilleton. wj Freiheit. Roman von Walter Schmidt-Häßler. Nachdruck verboten. Für ihre Familie war sie tot und begraben, wohin sie sich gewendet hatte, war den zärtlichen Verwandten vollständig gleich. Man hatte sie aufgegeben, hatte sich von ihr vollständig losgesagt. Und als ein Jahr vergangen war, hatte auch der heilige Klatsch längst kein Interesse mehr an ihr, die guten Mitbürgerinnen und geschwätzigen Freundinnen hatten sie lange schon über andern pikanten Skandalen ver gessen, die Schwestern angelten mit der alten Geschäftigkeit nach Männern mit Geld und Titel, und die oberflächliche Mama rauschte wieder wie sonst durch alle Wohltätigkeits bazare, von dem Wunsche beseelt, ein Lächeln der Landes mutter als höchste Auszeichnung zu erhaschen. Ellas Herz war vollkommen ruhig darüber geworden, die wehmütigen Anwandlungen, die sie anfänglich beim Gedanken an ihre Familie beschlichen l-atten, waren energisch niedergekämpst, nichts fesselte sie mehr an die Heimat. Erna hatte auch auf dem Pvstamte in regel mäßigen Zwischenräumen nach einem Briefe unter der Chiffre gefragt, die Reinhardt angegeben war — aber nichts war gekommen! — Ella hoffte nicht mehr! Als dann ihre Freundin Erna sich verheiratete und die kleine Residenz mit ihrem Gatten verließ, wurde selbstverständlich auch die Korrespondenz seltener, denn wenn die wahre Liebe beginnt, in einem Frauen herzen cinzuzieben, schleicht die Mädchensreundschaft ge wöhnlich durchs Hinterpförtchen hinaus. So hörte denn der dürftige Briefwechsel endlich ganz auf, und damit war auch die letzte Brücke zwischen Ella und dem Vatcrhaufc endgültig abgebrochen. Im Drontheimschen Hause hatte es Ella verstanden, vom ersten Tage an alle Angehörigen desselben gegenüber sich die richkigc Position zu geben. Es dauerte nicht lange, so erschien sie allen nicht mehr als die bezahlte Gesellschafterin der Hausfrau, sondern als ein von der Gräfin ganz mit Recht bevorzugtes Wesen, das von jeher gefehlt hatte, und dessen Vor handensein nur die Harmonie des Ganzen vervoll-
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