02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.05.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030515024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903051502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903051502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-15
- Monat1903-05
- Jahr1903
-
-
-
3528
-
3529
-
3530
-
3531
-
3532
-
3533
-
3534
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-PreiS t> der Hauptexpedtttou oder deren Ausgabe stellen abgeholt: vierteliährlich 3.—, del zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau- X 3.7k». Durch die Post bezogen für Deutsch» land u. Oesterreich vierteljährlich 4.KO, für di« übrigen Länder laut ZeitungSpreiSliste. Nedaktion und Expedition: JohanniSgaffe 8. Fernsprecher IK3 und 222. Filialerprditionen: Alfred Hahn, Buchhandlg., Universitätsstr.3, L. Lösche, Katharineastr. 14, ll. KöuigSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Marienstraße 84. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Serlie: Earl Duucker, Herzgl. Bayr. Hosbuchhandlg, Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4603 Abend-Ausgabe. UnMgcr TllMlllt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Nolizeiamtes der Stadt Leipzig. Anzeigen. Preis die 6 gespaltene PeNtzeiie 25 H. Reklamen unter dem Redaktionsstrich l4 gespalten) 76 vor den Familieonach- richten (6 gespalten) KO H. Tabellarischer und Ziffenisay entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postdesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abeud-Ausgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abeudS 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig. Nr. 245 Freitag den 15. Mai 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. Mai. Weftmark, Ostmark und der Vatikan. Die Mitteilung der „Germania", datz die B e st c l l u n g des Kardinals Kopp zum päpstlichen Le gaten bei der MevcrDom feier nicht auf Grund einer Anregung von deutscher Leite erfolgt sei, sondern der persönlichen Entschließung des Papstes entstamme, und daß dieser vatikanische Akt als besondere Anerkennung der Reichslande als deutschen Besitzstandes gelten dürfe, ver dient beachtet zu werden. Denn jene Mitteilung der „Ger mania" bestätigt in der wünschenswertesten Weise, in wie hohem Grade die Bestellung «des Kardinals Kopp zum päpstlichen Delegaten als Mittel zur Förderung ausge sprochen vatikanischer Ziele aelten muß. Selbstver- ständlich ist für die Zugehörigkeit von Elsaß und Lothringen zum Reiche eine derartige päpstliche Anerkennung nicht von Belang. Dagegen er scheint 'die demonstrative Art der Teilnahme des Vatikans an einer deutschen Feier in den Reichslanden nach der französischen Leite hin von wesentlich größerer Bedeutung. Es wird Frankreich da mit zu verstehen gegeben, welchen tiefen Groll die fran zösische Kirchenpolitik bei der Kurie erregt hat, und so in höchst wirksamer Form auf einen Umschwung der Kirchenpolitik Frankreichs hingeavbeitct. In gewissem Maße kommt ferner die Bestallung des Kardi nals Kopp auch der Zentrumspartei zu statten. Neigen doch diejenigen klerikalen Kreise des Reichslandes, die dem Anschluß an die Zentrumspartei des Reichs wider streben, den prvtestlerischen Elementen Elsaß-Lothringens zu. Mit der Aktivität der vatikanischen Politik in der West mark des Reiches kontrastiert sehr ausfallend das passive Verhalten, das die Kurie in Bezug auf 'die O st m a r k Deutschlands beobachtet. Daß im deutschen Osten zur Zeit das polnische Protestiert»:« unendlich gehässiger gegen die Zugehörigkeit zu einem deutschen Staate wirkt, als das Protestlertum in den Reichslandcn, ist eine Tatsache. Gleichwohl hat sich 'die Kurie immer noch nicht dazu ver standen, an die preußischen Polen dieselben Mahnungen zu richten, die sie an die Polen Rußlands und O e st er reich s ergehen ließ. Durch das Schreiben vom 19. März 1894, das an die polnischen Bischöfe Rußlands gerichtet war» gab Leo XIII. die Weisung, daß Klerus und Laien von den Bischöfen zum Gehorsam gegen die staatliche Obrigkeit angehalten werden sollten: die österreichischen Polen hat Papst Leo gleichfalls zu loyalem Verhalten er mahnt, ebenso wie er schon früher, Anfang der 80er Jahre, den Iren Gehorsam gegen die Obrigkeit eingeschärft hatte. Für die polnischen Untertanen Preußens aber fehlt bis zum heutigen Tage eine ähnliche Kundgebung des Papstes, obwohl die Maßlosigkeit der großpolnischen Agitation einerseits klar am Tage liegt, anderseits dauernd schwere Strafen über die verhetzten polnischen Agitatoren gebracht hat. Wenn trotzdem die Kurie gegenüber der groß polnischen Bewegung in Preußen sich vollständig passiv verhält, so muß der Grund dafür einmal in dem Umstande gefunden werden, daß eine Stellungnahme des Papstes gegen die großpolnische Agitation keinem vatikanischen Ziele zu statten käme. Zum zweiten würde eine päpstliche Stellungnahme wie die gedachte der Zentrumspartei er hebliche Schwierigkeiten bereiten. Zwar im Hinblick auf die radikalsten polnischen Hetzer könnte jene päpstliche Stellungnahme in vereinzelten Fällen dazu dienen, die Position des Zentrums gegenüber dem großpolnischcn Radikalismus zu erleichtern. Aber in »der Hauptsache würde eine päpstliche Mahnung an die preußischen Unter tanen polnischer Zunge, der preußischen Obrigkeit in be dingungsloser Loyalität zu gehorchen, die Zentrumspartei in Bezug auf ihre Polenpolitik kompromittieren. Versagt doch die Zentrumspartei vollständig in allen Fragen, in denen es sich darum han delt, die Regierung bei ihrer Ostmarkenpolitik positiv zu unterstützen: und was die Ansprüche des Polentums angeht, so finden sie in Parlament und Presse so gut wie vollständig die Unterstützung des Zentrums. Demnach ergibt sich, daß der Vatikan in der deut schen W e st in a r k eine aktive Politik treibt, weil durch eine solche die vatikanischen Ziele, in zweiter Linie auch die des Zen trums, gefördert werden, datz aber der Vatikan in der Ost mark eine vollkommen passive Haltung einnimmt, weil weder vatikanische noch Zentrums-Interessen durch das Gegenteil davon würden gefördert werden. Die Freundschaft der Kurie für das Deutsche Reich ist an diesem Gegensätze zu messen! Schon aus diesem Grunde halten wir es für undenkbar, daß man an maß gebender Stelle in Berlin diese „Freundschaft" durch neue Zugeständnisse belohnen wolle, und zwar zunächst durch Gewährung von Obdach für die vertriebenen französischen Ordensgesellschaften. Der römische Korrespondent der „Tügl. Rndsch.", der dies be hauptet, fügt hinzu: „An Neugründungen französischer Klöster auf deutschem Boden braucht man dabei nicht sofort zu denken. Es genügt, datz die einzelnen vertriebenen Mönche und Nonnen, speziell der beschaulichen Orden, deren Anwesenheit nicht so sehr auf fällt — in den deutschen Niederlassungen ihrer bezüglichen Orden Aufnahme finden. An der Kurie hat man sich sehr über dieses Zugeständnis gefreut, noch mehr aber über die Versicherung der Regierung, ihren ganzen Einfluh für die Aufhebung des § 2 des JcsuitengeseheS 'auf zubieten. Die Leute, die da glauben, Preußen bestehe nicht mehr auf seinem Vorhaben, irren gewaltig. Zu ersehen war dies auch daran, daß man sich an gewisser Stelle darüber geärgert hat, datz einige deutsche Blätter über daS sonderbare Verhalten des Jcsuitenkollegs berichtet haben, das beim Einzug König Eduards Teppiche ausgchängt hatte, dagegen beim Einzug unseres Kaisers schmucklos blieb." Bei der Vorliebe gerade der französischen Kongregatio- nisten für die Polen würde es geradezu eine Begünstigung Pf» lcyie-.n sein, wenn man die Ersteren im Reiche zu ließe. Was die weitere Behauptung betrifft, Preußen denke nicht daran, auf die Aufhebung des 8 2 des I e s u i t e n g e s e tz e s zu verzichten, so ist sie ja leider nur zu wahrscheinlich. Das ist aber auch genug und übergenug. Ein Londoner Telegramm der „Voss. Ztg." meldet freilich: „Der römische Berichterstatter des „Morning Leader" will aus vortrefflicher Quelle wissen, Graf Waldersee habe jüngst den Jesuitcngeneral in Ficsole besucht und ihn im Namen des Kaisers dahin verständigt, den Jesuiten würde in kurzem die Rückkehr nach Deutschland ge stattet werden." Aber das ist augenscheinlich allerfreiste Erfindung. Niemand könnte ja über die Rückkehr der Jesuiten mehr triumphieren, als die Polen. Und übrigens ist Graf Wal dersee gar nicht in der Laae. „im Namen des Kaisers" die Aufhebung des ganzen Jesuitengesetzes zu versprechen, denn eine solche Maßregel kann nur durch den B u nd es - rat und den Reichstag beschossen werden, und was den Bundesrat anlangt, so zeigt die Stellung der Mehrheit der in ihm vertretenen Stimmen gegen die bloße A b - brückelung des Jesuitengesetzes deutlich genug, was die Krone Preußens auf das Spiel setzen würde, wenn sie die völlige Beseitigung dieses Gesetzes durchzudrücken versuchen wollte. Die Abriistnngsfrage war gestern wieder einmal Gegenstand der De batte im englischen U n t e r h a u s e. Hierüber geht uns folgender Bericht zu: Bei der Be ratung -es Marine - Budgets bespricht Ed mund Robertson (liberal) das Anwachsen des Budgets für den Bau neuer Schiffe. Er weist daraus hin, daß die Admiralität zu diesem Zwecke soviel zu veraus gaben gedenke, als Frankreich, Rußland und Deutschland zusammen. Er weist ferner auf die Haager Konvention und auf den Vorschlag Rußlands zur Verminderung der maritimen Rüstungen hin und drängt die Regierung, Schritte zu tun, um eine Verminderung der Ausgaben für maritime Zwecke herbeizuführen. Dilke (lib.) führt aus, das Prinzip der gleichen maritimen Ltärke wie zwei andere Mächte zusammen werde nur be züglich der Schlachtschiffe angcwcndet, nicht aber bezüglich der Kreuzer, welche England besonders notwendig brauche. Er sei gegen jeden Versuch, eine bindende Ab machung mit anderen Mächten mittels eines Vertrages zur Herabsetzung der Rüstungen zu treffen. Eine solche Abmachung dürfte eher eincnKri eg verursachen als cincn Krieg verhindern. Aber angesichts des friedlichen, freundschaftlichen Charakters der franzö sischen Regierung und in Hinblick auf die Tatsache, daß im französischen Ministerium des Aeußern eine so gewichtige Persönlichkeit wir Dcstassä an der Spitze stehe, ein Mann, der das Vertrauen Europas in so hohem Grade besitze, glaube er, daß Frankreich und England wohl über eine Verminderung der Rüstungen beraten könnten, um dann zu sehen, ob sie sich nicht mit Rußland begegnen könnten. Selbst wenn Deutschland nicht zustimmcn sollte, würden diese drei Mächte etwas tun können, um eine Verminde rung zu erreichen. Der Parlamcntssekretär der Admiralität Arnold Forster führt ans, es sei Pflicht der Admiralität, mit den Tatsachen zu rechnen, wie sie sind, uüd nicht, wie sie sein könnten. So weit entfernt liege noch ein Still st and in den maritimen Vorbereitungen der Groß mächte, daß in dieser Richtung eine erhöhteTätig- keit eingesetzt habe, und wenn die erhöhte Tätigkeit in einem Falle mehr hervorgetreten sei, als im andern, so sei dies in dem Falle jener Macht gewesen, von welcher Robertson erwähnte, daß sie Vorschläge zur Herabsetzung der Rüstungen gemacht habe. Die von der liberalen Re gierung im Ihre 1894 vorgenommene Wottenvermehrung höbe sich auf genau die gleiche Information gegründet, wie sie die gegenwärtige Regierung beeinflußt habe. Die Argumente, welche sich völlig auf die Flottcnausgaben der zwei in der Debatte erwähnten Länder (Frankreich und Rußland) stützen, seien keine sichere Richtschnur. Was wir wissen wollen, ist: Welches sind die Streitkräfte, die wahr scheinlicherweise gegen uns in irgend einer Kombination ins Feld geführt werden können, deren Zustandekommen mit Fug für möglich gehalten werden kann? Nach den verfügbaren Aufstellungen wird von jenen Mächten der Bau von drei Schlachtschiffen mehr als von England durchgeführt, beziehungsweise geplant. Die Admiralität fordere keine Ausgabe, welche über die Bedürfnisse Eng lands hinausgeht, sondern erfülle lediglich die Pflicht, sich für jeden Fall, der vernünftigerweise erwartet werden könne, zu rüsten. Er wolle keine Ansicht hinsichtlich der Lage äußern, wie sie durch die Vereinigten Staaten beeinflußt sei. Das sei eine er n sie Frage, welche in der Zukunft geprüft werden müsse. Die Lage, die die Regierung jetzt erwäge, sei mindestens so ernst, wie die im Jahre 1894. Ob die europäischen Mächte und die Macht jenseits des Ozeans weiterhin zu einem Ueberein- kommen betreffend ein Einhalten in den Rüstungen kom men, sei nicht die Frage, welche jetzt zu behandeln sei. Die Pflicht der Admiralität sei es, der Nation Sicherheit-» geben gegen einen Angriff, und was noch wichtiger sei, gegen eine Niederlage durch irgend eine Vereinigung von Mächten. Je eingehen der man sich mit den Vorgängen in anderen Ländern be schäftige, um so klarer werde erkannt werden, daß die Re gierung nicht nnr berechtigt, sondern auch gezwungen gewesen sei, den von ihr eingeschlagenen Weg zu gehen. kulv Rrlttanl», rulv tkv vnvvsk Präsident Roosevelt hat bekanntlich mit einer bei den Staatsoberhäuptern sonst nicht ganz, üblichen Offen herzigkeit die letzten Ziele des nordamerikanischen Ehr geizes aufgedeckt: Der Stille Ozean müss« noch in diesem Jahrhundert unter amerika nischen Einfluß kommen. Natürlich müsse für die Erreichung dieses Zieles der erforderliche Preis ge zahlt werden. Diese Redewendung kann natürlich nichts anderes bedeuten, als daß die Amerikaner eine enorme Vermehrung ihrer Kriegsflotte anstreben müßten. Herr Roosevelt hat gewiß ganz recht, wenn er selbst nicht glaubt, daß dieses hohe Ziel auf friedlichem Wege zu er reichen sei. Eine Herrschaft der Bereinigten Staaten über den Stillen Ozean ist nicht möglich, ohne daß vor her diejenigen Mächte, die sehr große Interessen am Stillen Ozcan haben, niedergeworfen sind. Dazu ge hören, abgesehen von anderen Mächten, deren Interesse an der Machtverteilung im Gebiete des Großen Ozeans erst in zweiter Reihe kommen, vor allem Rußland, Japan und England. Rußlands eifrigstes Bestreben ist ja seit Jahren darauf gerichtet, im Norden des Großen Ozeans die Vorherrschaft zu besitzen, und dieses Prinzipat ist auch eine Existenzfrage für Rußland, weil erst dann der ungeheure nordasiatische Besitz dieses Reiches seine volle weltwirtschaftliche Bedeutung geltend machen kann. Was das Jnselreich Japan anlangt, so sind seine Küsten vom Großen Ozean umspült, und wenn der Stille Ozean unter amerikanischen Einfluß kommt, so würde dies die Vasallenschaft des japanischen Reiches gegenüber den Ver einigten Staaten zur Voraussetzung haben. In der selben Weise müßte die ganze Ostküste des austra lischen Kontinents — und diese ist viel entwickelter und wirtschaftlich wichtiger als die Westküste — unter die Ein flußsphäre der Vereinigten Staaten geraten und ebenso würden die Engländer in Hongkong und Shanghai unter die Oberhoheit der Nachfolger Roosevelts kommen. Der Stille Ozean unter nordamerikanischer Herrschaft, das würde für Errgland dasselbe bedeuten, wie etwa für einen kräftigen Mann die Amputation seines rechten Feuilleton. 13, Freiheit. Roman von Walter Schmidt-Häßler. Nachdruck verboten. Mit einem langen seltsamen Blicke sah er auf die dar gebotene Hand. Dann ergriff er sie langsam mit beiden Händen und zog sie an seine Brust, wo er sie fest hielt, daß sie die Schläge seines pochenden Herzens fühlte. Dann sagte er: „Lassen wir's also so, wie es ist, Ella! Mit dem Schicksal zu streiten, hat keinen Zweck, denn es ist stärker, als wir armselige Menschen. Ich nehme, was Sie mir bieten. Ich nehme es dankbar an, denn lieber ein Almosen, als gar nichts. — Sie sehen, ich habe all mein bißchen Stolz verloren und werde vor Ihnen zum Bettler. Diese Freundschaft gibt mir immerhin ein gewißes Recht auf Sie! Sie zeigt mir, baß Sie mich schätzen, und das ist besser, als wenn Sie sich im Zorne von mir wendeten. Diese Stunde hat mich zum Mann gereift, und ein neues Leben beginnt für mich. Was ich gehofft habe, wonach ich mich gesehnt, das begrabe ich yichj. wie Sie vielleicht jet-f erwarten. Nein, wahrhaftig nicht! Ihr Herz blutet unter einer frischen Wunde, die ein anderer ihm schlug. Hätte ich das geahnt, so hätte ich heute nicht gesprochen, sondern ruhig gewartet! Denn so jung ich auch bin, auch ich ver stehe mich ein wenig auf die Geheimnisse der Menschenseele, glauben Sie mir. Auch Ihr Herz wird heilen, und wenrr auf dem Grabe der Vergangenheit Veilchen blühen, dann werde ich wieder vor die „Freundin" hintreten! Ich bin ja noch jung! — Ich kann warten! Ein Glück wie das, Sie zu besitzen — mutz man sich verdienen, und noch habe ich ja nichts getan, um Ihrer wert zu sein. Versprechen Sie mir eins, Ella! Das Letzte!" „Alle- — und gern!" erwiderte sie, indem sie sich ver geblich bemühte, ihrer Rührung Herr zu werden. „Wenn die Erinnerungen an Vergangenes in Ihnen milder werden und allmählich verblassen, nn- wenn Ihr Herz sich eines Tages nach einem andern Herzen sehnt, das reich und voll zu lieben versteht — versprechen Sie mir, datz Sie dann — nach mir rufen!" „Ich verspreche eS Ihnen!" „Ihr Wort 7^ „Mein Wort!" „Leben Sie wohl!" Sie fühlte den Druck seiner Hand, hörte wie im Traum seinen Schritt dumpf über die Teppiche hallen — hörte das Oeffnen und Schließen einer Tür. Dann war alles ruhig, ruhig wie im Grab! Vielleicht war soeben das Glück von ihr gegangen für immer! „Wer konnte es wissen? Nachdem sie noch lange so gestanden, mit dem Rücken an den hochlehnigen Eichenstuhl gelehnt, ohne irgend etwas Bestimmtes zu denken, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, durchschritt sic langsamen Ganges die Zimmer und stieg die Treppen hinauf in ihr kleines Domizil. Dort öffnete sie ihren Schreibtisch, nahm mechanisch all. ihre Pa piere und Manuskripte heraus, band alles zusammen und ordnete ihre Effekten. Dann saß sie regungslos und wartete, bis sie unten den Wagen der Gräfin vorfahren hörte. Denn nun kam das Schwerste für sie. Hvchatmend stand sie auf, preßte einen Augenblick beide Hände auf das klopfende Herz und stieg dann langsam, Schritt für Schritt, hinunter ins Parterre. Wohl zwei Minuten brauchte sie zu dem Entschluß, an der Tür der Hausfrau zu klopfen, und das freundliche „Herein" schnitt ihr wie ein Messer ins Herz! Aber sie mutzte vorwärts — vorwärts zur Freiheit. Sie. mutzte wahr sein und offen, wie immer! Und wenn ihr Herz darüber brach! Was die beiden Frauen mit einander gesprochen, er fuhr kein anderer, auch der Onkel Röminger nicht, dem Ella sonst alles mitteilte. Ucbcr eine Stunde satzen Ella und die Gräfin beisammen in dem traulichen Salon, wo sie täglich gemeinsam musiziert und gelesen kmtten. Als sie neben einander ins Speisezimmer traten, hatten beide von Tränen gerötete Augen, und die Gräfin hielt ihren Arm um den Nacken des jungen Mädchens geschlungen. ES lag etwas wunderbar Vertrauliches, rührend Freundschaftliches in der Art und Weise, wie sie so neben einander auS dem dunklen Salon in das erleuchtete Speise zimmer traten. „Der Herr Graf lassen sich bei der Fran Gräfin ent- schuldigen", meldete der servierende Diener. „Es ist gut, Carl", entgegnete diese, „besorgen Sie gleich nach dem Souper daS Gepäck beS Fräuleins mit einer Droschke nach der Köpenicker Straße 26. Tann sah sic Ella an mit einem Blick voll Herzlichkeit und Güte: „Muß es heute noch sein?" „Es muß, gnädigste Gräfin wissen es ja am besten! Je schneller ich reise, desto besser. Es wäre mir lieb, wenn ich den Nachtschnellzug noch benutzen könnte!" „Vielleicht haben Sie Recht! Auf Menschen verstehen Sie sich besser als ich, das hab' ich heute gesehen!" Als der Diener das Zimmer verlassen hatte, sagte Ella: „Und nicht wahr, Frau Gräfin, Sie schenken ihm jetzt verdoppelte Liebe? Er betet seine Mutter an, und sein Herz leidet. Lassen Sic es an dem Ihrigen gesunden und die Wunde heilen, die der erste wirkliche Schmerz ihm g«. schlagen! Mutterliebe vermag so unendlich viel, sie hat eine Zauberkraft in sich, die Wunder wirken kann. Glauben Sic mir, Egon ist ein herrlicher Mensch, ein vor nehmer Charakter und verdient das reichste Glück! Und er wird es finden, denn er ist ein Mann, und Männer sterben nicht an gebrochenem Herzen! Das ist nur Frauenschicksal, wenn sic nicht Kraft genug in sich fühlen, sich selbst zur Freiheit emporzuringen!" „Sie sind ein seltenes Mädchen, Ella", erwiderte die Gräfin, „ein Charakter, zu dem ich bewundernd empor- schaue. Jedes andere Mädchen an Ihrer Stelle hätte be denkenlos die Hand ergriffen, die sich ihr hinstreckte und allen Besorgnissen einer machtlosen Mutter Trotz geboten. Was ist eine Mutter der entschlossenen Leidenschaft eines Sohnes gegenüber, der mündig und so selbständig ist, wie Egon? Wer fragt nach ihren Ansichten, nach ihren, viel, leicht engherzigen Bedenken?" „Schlagen Sie mein Opfer nicht zu hoch an, Frau Gräfin", sagte Ella, mit einem gewissen Stolz ihr blondes Haupt erhebend. ^Halten Sie mich nicht für größer und uneigennütziger, als ich in Wahrheit bin. Auch ich hätte nach keinem mütterlichen Einwand, nach keiner Tradition der Familie gefragt, aber auch eine Grafenkrone wäre mir gleichgültig gewesen, wenn ich Ihren Sohn hätte lieben können!" „So gleichgültig also ist er Ihnen?" fragte die Gräfin, in der trotz allem Famtlienstolz die mütterliche Eitelkeit durch Ellas freies Bekenntnis ein wenig gekränkt schien. „Gleichgültig? O nein! Im Gegenteil, ich achte nnd schätze ihn, wie keinen anderen Menschen auf der Welt: aber ich kann ihm seine herrlicheLiebe nicht in gleichem Maße er widern, ich kann ihn so nicht lieben, wie dieser seltene Mensch eS verdient. Und darum gebe ich ihn der Mutter zurück, wie ein köstliches Kleinod, dessen ganzen Wert ich wohl zu schätzen weiß. Aber dieses Kleinod zu besitzen, müßte ich ein anderes bedenkenlos hingebcn können, das mir eben noch höher steht, meine Freiheit! Und weil ich das nicht kann, erkenne ich, daß meine Neigung für Egon nicht über Freundschaft hinausreicht, und das, Frau Gräfin, wäre zu wenig, viel zu wenig für einen Mann, wi eihn! Ich denke, Sie verstehen mich!" Noch einmal reichten sic sich die Hände, lange und innig in vollem gegenseitigen Sichverstehen. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Die Gräfin war selbst ein zu groß angelegter, in sich zu geschlossener Charakter, um Ellas Handeln nicht durchaus korrekt zu finden. Sie empfand einen zu ehrlichen Respekt vor den Motiven, die Ella zu allem, was sie tat, bestimmten, als daß sie mit leeren nnd konventionellen Redensarten sie und sich selbst über die Situation Hinwegzulügen ver sucht hätte. Sie mußten sich trennen, unabänderlich und so schnell wie möglich, das war klar, so mußte denn das Unvermcid- liche geschehen, ohne Rührseligkeit, in ernster, ehrlich ge meinter Herzlichkeit, denn Ella gab ihr tatsächlich heute ihren Sohn zurück, und so lieb ihr das herrliche Mädchen auch geworden war, so zufrieden war sie anderseits doch mit dieser Lösung. So trennten sie sich als zwei ehrliche Freunde, von denen der eine den andern nach seinen: vollen Werte würdigte und verstand, und ihr Abschied war ebenso ungetrübt und herzlich, wie es die ganze lange Zeit ihre- Beisammenseins gewesen war. Es war die Auflösung eines langen schönen und volltönenden Akkords in einer vollendeten Harmonie. Nichts ist seltener auf dieser unvollkommenen Welt, als Menschen, die sich in ihrer Eigenart von Anfang bis zum Schluß der Bekanntschaft vollkommen gleich bleiben, deren Wesen und Handeln sich nie widerspricht. Hier waren sich zwei solcher bevorzugter Geschöpfe begegnet, beide aus ganz verschiedenen gesellschaftlichen Sphären, und doch gleich an innerem Wert und indtvt- ducllem Gehalt, beide gleich fein organisiert, beide gleich vornehm an Gesinnung und innerem Takt. Als sie schieden, sagte keine»: Auf Wiedersehen! Beide wußten, daß sic sich nie wieder begegnen würden, und doch schätzten sic sich böller, als tausend andere, die eine Flut höflicher nnd schönklingender Versicherungen mit ein ander getauscht hätten. Als die Gräfin die Räume lang sam durchschritt, in denen Ella so lange gewaltet hatte, en».
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Keine Volltexte in der Vorschau-Ansicht.
- Einzelseitenansicht
- Ansicht nach links drehen Ansicht nach rechts drehen Drehung zurücksetzen
- Ansicht vergrößern Ansicht verkleinern Vollansicht