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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.05.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030516025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903051602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903051602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-16
- Monat1903-05
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Tabellarischer und Zisternsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme 25 H jexcl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mil Postbesörderung 70.—. Annahmelchluß für Anzeigen: Abend »Ausgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Lerlag von E. Polz in Leipzig. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 16. Mai. Tie iSesährlichkeit der Sozialdemokratie recht eindringlich zu schildern» mach! sich der Führer der Freisinnigen Volkspartei» Herr Eugen Richter, an gesichts der bevorstehenden Wahlen zur besonderen Ausgabe. Dieser Tage wieder hat er in einer längeren Rede daraus hingewiesen, daß nicht sowohl der Zulunfisstaat der Sozial demokratie zu fürchten sei, als vielmehr die Vorstellung, die durch das sozialdemokratische Programm über die Auf hebung aller Privatbetriebe in der Arbeilerwelt verbreitet werde. Die Privatbetriebe, so führte Herr Richter aus, würden von den Genossen sür unberechtigt erklärt, die Arbeitgeber als Ausbeuter hingestellt, die den Arbeitern den vollen Ertrag ihrer Arbeit vorent hielten. Schon verteidige die So;ialdemokr.rlie in einer Broschüre zur Wablbewegung den Konlraktbruch und der Abg. Wurm habe im Reichstage ausdrücklich erklärt, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern klasse eine Kluft, die un überbrückbar sei, zwischen Unternehmertum und Arbeiter gebe eS nur ein Hier und ein Drüben, gebe es nur unerbittlichen Kampf. „Das", rief der Redner aus, „ist die Ver herrlichung des wildesten Klassenkampses!" Er schilderte dann weiter die Art, in der die Sozialdemokratie die wirtfchastliche und die persönliche Freiheit des einzelnen Arbeiters in vielem Klassentampfe beeinträchtige, die Nlchtorganisielten in den Werkstätten und aus den Bau plätzen dlangsaliere. Wackle die Sozialdemokratie noch weiter an, io werde ihre Mißachtung, ihre Unduldsamkeit und Gewalliätigkeit gegen Andersgesinnte immer größer. — Es ist bezeichnend, daß diese Ausführungen des Redners von besonders lebhaftem Beifall der Versammlung begleitet wurden. Hieraus geht hervor, daß in den Kieisen der Hand werker und kleinen Gewerbetreibenden die Stimmung gegen die Sozialdemokratie immer weiter um sich greijt. Auch die der Freisinnigen Vereinigung nahestehende „Weserztg." meint, in allen großen Städten, in allen Induslriegegendcn und wo sonst durch die Verhältnisse die sozialdemokratische Partei als ein ernstlicher Machlsaklor in Frage lomme, trete die gleiche Erscheinung hervor. Die Ausdehnung der Partei, ihr demagogisches Treiben, die Herrschaft, die sie über mehr als zwei Millionen Wähler gewonnen habe, mache sie zu einer unmittelbaren Gesabr. Dabei bediene sie sich der bru talsten Mittel, der Drobung und Einschüchterung, um die gegen ihre Befehle unbotmäßigen ArbeUerkreise zu dis ziplinieren. Dao Recht der Arbeitswilligen werde durch angedrohte Schädigung und manchmal auch durch wirklich ausgeüble Gewalt illuiorisch gemacht. — Die Erkenntnis dieses von uns schon ost charakterisierten und in seiner Bedrohlichkeit dargestellten Zustandes der Dinge ist wesentlich auch verschäist worden durch daS Ver halten der sozialdemokratischen Partei im Reichstage bei der Beiatung der Kranken vers icherungsnovelle. Die Partei ertrotzte bekanntlich die Beseitigung der ikr sür die Zwecke ihrer Propaganda in den Krankenkassen anstößig er scheinenden Bestimmungen und blieb dann wie zur Ver höhnung der arbeiieifreundlichen Parteien, denen sie die Konzession abgezwackl halte, bei der Gesamt ¬ abstimmung über das Gesetz einfach sitze», da seine Annahme ja gesichert war. Daß die Sozial demokratie im Reichstage sich daS und noch viel mehr herauSnehmen darf, muß in den Kreisen ihrer An hänger außerhalb des Parlaments den Glauben an ihre Unüberwindlichkeit selbstverständlich stärken und die denkbar größte Rücksichtslosigkeit in der Verfolgung der Macht- crweilerungSabsichten als berechtigter denn je erscheinen lassen. Wenn die Sozialdemokratie bei den bevor stehenden Wahlen einen abermaligen Macktzuwachs gewinnt, so kann es nicht ausbleiben, daß ihr Trotz sich ins Ungemessene steigert. Was sie schon in der abgeschlossenen Gesetz gebungsperiode erstiebte und bis zu einem gewissen Grade erreichte, nämlich die Lahmlegung der Gcsetzgebungsmaschine, wird ihr dann noch leichter möglich werden. Aus diese Weise kann es ihr gelingen, innere Konflikte^der schlimmsten A>l berbeizuführen. Daß solche aus dem Wege der Aus lösung des Reichstags und eventuell der wiederholten Auf lösung unschwer zu überwinden seien, kann nur der annehlnen, der die Mackt der Partei über die Wähler und die Be deutung der Organisation gerade dieser Partei unterschätzt. Die Gefährlichkeit der Sozialdemokratie erstreckt sich aber über das Gebiet der inneren Politik hinaus. Wie sie nicht Nationalstolz genug besitzt, um Wahlhülse von außer halb nicht zurückzuweiien, so gewährt sie auch von den ihr aus den Arbeitergroschen erwachsenden Mitteln nickt un- beträcktlickc Summen an ausländische Streikverbänve. Wie leickt kann es kommen, daß eines Tages deshalb von einer ausländischen Regierung hiergegen EiMpruch erhoben und die Verhütung tolcher Einmischung in innereAngelegenheiteir eines fremden Staates gefordert wird. Unter welckem Gesichtspunkt auch die Möglichkeit weiteren Wachstums ter Sozialdemo kratie betrachtet wird, immer mebr muß sich der Emdiuck befestigen, es handle sich hier um eine Gefahr der aller schwersten Art, der, soweit es in ihren Kräften stehl, vor zubeugen, die Wähler der bürgerliche» Parteien im Interesse der friedlichen Entwickelung unserer vaterländischen Angelegen heiten die dringendste Veranlassung haben. Neber die deutsche Marine bat sick, wie der „Nat.-Ztg." aus New Aork geschlieben wird, unlängst eine amerikanische Autorität in be merkenswerter Weise geäußert. Am 2. Mai hielt der Vor steher der Ingenieur - Abteilung der amerikanischen Ma-ine (Okiok »k tbe LuqineerinA Lureau ok tko hluilock Ltstcs >'av)i) Herr Konire - Admiral George W. Melville in Philadelphia vor dem dortigen Ingenieur-Verein einen Voi- trag über „die militärische Bedeutung von Experimenten in der SchifsSingenieur-K-inst". Unter anderem sagte er darin: „Die Entwickelung Deutschlands als Seemacht während der letzten dreißig Jahre hat die ganze Welt mit Erstaunen er füllt, und ich glaube, daß die deutschen Schlachtschiffe im Ver hältnis zu ihrem Tonnengebalt die besten sind, die der Ozean trägt. Deutschlands Erfolge können nur dadurch erklärt werden, daß mau anerkennt, wie bei der Anlage und Organisation der Schiffswerften und beim Entwurf und Bau der Schiffe solche Pläne benutzt sind, zu deren Herstellung eingehendes Studium, sorg fältige Ueberlegung und wissenschaftliche Forschung angewendet waren." Den Direktor des Bundes der Landwirte, Herrn I)r. Hahn, wird freilich auch dieses Zeugnis nicht überzeugen, daß seine Abneigung gegen die „gräßliche Flotte" unberechtigt ,ei. Und wenn sie noch vortrefflicher wäre: ihm gehöit sie nicht, ibm ist sie nicht unterstellt und ihm bringt sie nicklS, also bleibt sie für ihn gräßlich und ist jede Ausgabe zu ihrer Verstärkung Verschwendung und Raub an der deutschen Land wirtschaft. Prvtestantonheße in Tirol. Man schreibt uns: Evangelische in Kufstein und Umgegend wollten eine zwanglose gesellige Zusammenkunft in einem Saale des ersten, fast nur von Kremöen und Liberalen besuchten Hotels der Stabt, „Hotel Egger", veranstalten. Ein Vor trag über „Paul Gerhard und «das evangelische Kirchen lied", Deklamationen, wie cker „Tod des Tiberius", Ge sang evangelischer Ehoräle, Vortrag von Liedern von Schubert usw., Vortrag von Klavierstücken bildeten die harmlosen Programmvunkte. Da wußte die katholische Geistlichkeit von Kufstein durch Mittelspersonen den Päch ter des Hotel Egger, dessen Familie sogar protestantisch ist, zu zwingen, die Erlaubnis zur Benutzung des Saales zn- rückzuziehen,- man wollte ihn s o n st ruinieren. In den Kirchen wetterte man gegen «den „Evangelischen Abend". Die klerikalen Zeitungen bringen nun schon seit vierzehn Tagen Artikel dagegen. So geschehen in der liberalen Stadt Kufstein, in der Fremdenverkehrsstadt an der Grenze des protestantischen Deutschen Reiches zu An fang des 20. Jahrhunderts! Tas liberale „Tiroler Tage blatt" bemerkt dazu: „Die Fremden, welche sonst stets gern nach Kufstein kommen, müssen allmählich fürchten, daß an der Grenze nicht nur ihr Gepäck, sondern auch ihr Glaube geprüft wird vom — Herrn Dekan in Kufstein." Der Londoner Hafen. Die zweite Lesung der Londoner Hafen Vorlage im britischen Unterhause brachte, wie zu er warten war, eine äußerst heftige Opposition gegen den Plan der Negierung, au Stelle der bestehenden Verwal- tungskorporationcn, der Evnscrvators of thc river Thames, Trinity House und Eitu Corporation, eine ein heitliche Hafenbehörde zu schassen, und auch die Verwal tung der Londoner Docks dieser Behörde zu unterstellen. Der Vorsitzende der Thames Conservancn, F. Dixon-Hartland, erklärte, die Vorlage sei von Grund aus verfehlt und durchaus unzweckmäßig, auch mit Rücksicht ans die zunächst erwachsenden Kosten von 30 bis 40 Millio- neu Pfd. Sterl., die nur durch eine Erhöhung der Fracht sätze, bezw. Hafenabgaben wieder eingebracht werden könnten, in hohem Maße nachteilig für die am Hafen verkehr beteiligten Handclskreisc. Notwendig sei vor allem eine Vertiefung des Flußlaufes, und dazu habe die von ihm vertretene Behörde nach Maßgabe der verfüg baren Mittel das Erforderliche getan. Von einer Ab nahme des Verkehrs, die auf vorhandene Mängel zurück geführt werden müsse, könne nicht die Rede sein, denn in den letzten fünfzig Jahren habe sich die Fre q u e n z des Londoner Hafens verdreifacht. Verloren hätten dagegen die D o ck s an Bedeutung, da gegenwärtig nur 41 Prozent der Gesamttonnagc des Schiffsverkehrs auf die Docks entfallen, dagegen 50 Prozent ohne Benutzung der Docks zur Beförderung gelangen. Da somit auf eine stärkere Heranziehung der Dockgcsellschaften zu den bevor stehenden ersten Ausgaben nicht zu rechnen sei, mithin die steu erzählen de Bevölkerung Londons durch die Vorlage erheblich höher, als bisher ange nommen, belastet werden würde, empfahl er den Aufschub der Vorlage bis zur nächsten Session. Auch Mr. David Morgan, der den Standpunkt der Dockgcsellschaften ver trat, stimmte dieser Ansicht bei. Die Schaffung einer ein heitlichen Hafenbehörde bedeute tatsächlich, daß der gesamte Verkehr Londons der Kontrolle eines unge heueren städtifchenTrusts unterstellt werde, be deute ferner einen weiteren Schritt zur Ver- wirklichungderkommnnisttschenundsozia- listischen Ideen, und würde sicherlich, statt eine Verbilligung des Verkehrs herbeizuführen, die Erhebung erhöhter Frachtsätze und Abgaben erforderlich machen. Tic Verteidigung des Entwurfes der Regierung übernahm Mr. Sydney Buxton, der auf Grund des seinerzeit von der mit der Prüfung der Hafenverhältnisse beauftragten Königlichen Kommission erstatteten Berichtes geltend machte, da der Verkehr im Hafen teuer, gefährlich und be schwerlich sei, müßten wenigstens 2,5 Millionen Pfund Sterl. für die Verbesserung des Flußlaufcs und 4,5 für die Modernisierung der Dockanlagcn verausgabt werden. Die Dockgcsellschasten seien nicht in der Lage, das Erforder liche zu tun, und dem Institut der Konservators os the Thames, dem die Königliche Kommission ein sehr schlechtes Zeugnis ausgestellt habe, werde man weitere Mittel nicht zur Verfügung stellen. Die Angelegenheit wird also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ohne wesentliche Abände rungen der Vorlage, besonders hinsichtlich der Festsetzung der Gütertarife, zum Abschlüsse gelangen. Ein Kompromiß in dem türkisch-bulgarischen Streitfall. Das Ergebnis der diplomatischen Vermittler tätigkeit Delcassss tritt nunmehr offen zu Tage. Auf die gemeinsamen Vorstellungen der Botschafter- Frankreichs, Rußlands und Oesterreichs hin gab die Pforte der bulgarischen Negierung gegenüber die Er klärung ab, daß sie die letztere für die Tynamittaten der bulgarischen Revolutionäre in Saloniki nicht unmittelbar verantwortlich mache. In die Versicherung der Negierung in Sofia, daß sie in keiner Weise von der Ausfuhr von Dynamit aus Bulgarien Kenntnis erhalten, oder diese Ausfuhr sogar begünstigt habe, seye die Pforte keinen Zweifel, sodaß hiermit die türkische Drvhnote vom 3. Mai als sachlich zurückgezogen erscheint. Als Gegen zugeständnis erhielt die Pforte durch die Botschafter die Erklärung, daß die Großmächte gegen die Bestrafung aller Schuldigen, welche bet den Unruhen be teiligt waren, und welche auch künftig bei aufrührerischen Handlungen innerhalb des türkischen Staatsgebietes er griffen würden, keinerlei Einwand erheben werde, sofern nur allgemeine Angriffe der Truppen oder der mohammedanischen Bevölkerung gegen die christliche Bevölkerung vermieden werden. Allerdings haben die Botschafter der Pforte trotz alledem dringend empfohlen, bei der Aburteilung der Revolutionäre nicht allzu streng vorzugehen. Deutsches Reich. HI Berlin, 15. Mai. (Z entrum un d Kon servative.) Die Höflichkeit der „Kreuzzeitung", die den Zentruinsivabl- ausiuf sehr wohlwollend besprochen batte, wird von dem führenden Zentrumsorgane keineswegs erwidert. Die „Kölnische Volkszeitung" bezweifelt, daß der konservative Wahlaufruf auf weite Kreise des Volkes eine belebende Wirkung ausüben werde. Das Blatt mißt weiter den Konservativen einen Teil der Schuld oaran bei, daß eS zu einer gemeinsamen Aktion der bürgerlichen Parteien gegen eie Sozialdemokratie nicht komme. Dann wirft eS den Konservativen vor, daß sie sich „völlig Feuilletsn. iss Freiheit. Roman von Walter Schmidt-Häßler. Nachdruck verboien. „Gewiß hat es das. Denn laß mein bißchen Jugend vergehen, laß meine stille Liebe ihm zur Gewohnheit ge worden sein, dann regt sich eines Tages der eingeborene Standesherr in ihm. vielleicht anfänglich ungewollt, die Gesellschaft, in der er groß geworden, wird stets die un ebenbürtige Frau bemäkeln, und unwillkürlich wird er anfangen, Vergleiche zu ziehen. Und ganz von selbst bei einer geringfügigen Veranlassung, bei einer Meinungsver schiedenheit, in einem Moment übler Laune wird er plötz lich — die Haushälterin vor sich sehen, die er aus den Salons seiner Mutter geholt! Nein, Onkel, lieber tot, als solch ein Schicksal! Dem mutz ich Vorbeugen, um jeden Preis! Und wenn ich ihn liebte bis zum Wahnsinn, ich würde dennoch gehen!" „Und du hast Recht! Jetzt erst verstehe ich dich ganz. Du nimmst ja den besten Trost, den treusten Freund mit dir, deine Kunst!" „Ja — die begleitet mich!" bestätigte sie mit einem heitern Lächeln, „denn die täuscht mich nicht! Sie allein kennt keinen Unterschied von Rang und Stand und adelt jeden ihrer wahrhaft Getreuen. In ihrem heitern Reiche gibt es keine Vorurteile der Gesellschaft, kein blaues oder rotes Blut, sondern einzig und allein nur die Auser- wähltcn, die sich gleich stehen, ob ein Palast oder eine Bauernhütte ihre -Heimat war. Und dort in diesem Lande geistiger Freiheit laß auch mich mein künftiges „zu Hause" gründen! Und nun denke ich, sind wir zivct ganz mit einander einig. Erkläre der Tante, was du für nötig hältst, denn ich möchte um keinen Preis, daß sie sich zurück gesetzt oder übergangen fühlt. Und nun — gute Nacht, Onkel, zum letzten Male in diesen lieben vier Wänden!" „Gute Nacht, liebes Kind!" sagte der alte Herr herzlich, indem er einen langen Kuß auf ihre Stirn drückte! Und sie ging. Als sie im Bett lag und, die Arme unter dem Kops verschränkt, schlaflos zur Decke schaute, da klang hinter der dünnen Wand, die sie von dem Zimmer des Onkels trennte, ein leiser vibrierender Ton, wie daS ferne Singer» einer Mcnschenstimme. Und an den einen Ton reihten sich andere) bald wehmütig klagend, bald anfjauchzend in süßer Lust, aber immer gedämpft, wie aus unendlicher Ferne klang das leise Spiel der alten Geige zu ihr her über. Es mar, als spräche eine verwandte Seele aus einem zauberischen Lande zu der ihrigen, als stiegen Engel auf den Schwingen der Töne aus dem Eden des Trostes und der Liebe herab zu ihr, alles Bittere und Schmerzliche mit lindem Erbarmen von ihrer Brust zu nehmen. Sie schaute tief dabei in das Herz des alten Mannes, der neben ihr wachte und zu ihr aus den Saiten seines wundcrtönigen Instrumentes sprach, Worte der Liebe, Harmonie des Verständnisses und des innigen Mitgefühls. Sic fühlte dankbar, wie eins sie mit ihm mar, wie sic ver wachsen war mit dem ganzen Empfinden dieser fein fühligen Künstlernatur, und wie ein großer Teil ihres eigenen Herzens hier bei ihm zurückblieb. Und da löste sich sanft, ohne Bitterkeit alles Trübe, was ihr Gemüt be lastete und verdüsterte, da stieg cs in ihr so wohlig und doch so wehmütig empor,- sie vergrub das Gesicht in die Kissen und ihre Tränen flössen nicht in wildem, qualvollem Weh, sondern wohltuend und erleichternd, wie warmer Frühlingsrcgen, der in stiller Maiennacht durch die knospenden Bäume berniederrauscht und die Erde er quickt. Und als die letzten Töne schwebend verhallten, als die Geige schwieg, da schlief sic getröstet ein, wie ein Kind das der Gesang der Mutter liebevoll in den Schlaf gewiegt. » * -i» Ellas Abschied am nächsten Morgen war kurz, aber ungemein herzlich. Etwas Sicgcssrohes lag über ihr, das keine schwermütige Stimmung auskommcn ließ. Wie anders saß sie heute in den Kissen des behaglichen D-Zug-Wagens, als damals, als sic von ihrem Heimats ort in die Welt geflüchtet war, wie ein verflackerter Vogel. Sie mußte unwillkürlich über sich selber lächeln: sie kam sich gar nicht mehr wie Ella Röminger vor, sie fühlte sich so selbständig, so zielbcwutzt, so ganz als „Heinz Her mann". Wiesen, Felder und Dörfer flogen an ihr vor über in lustigem Reigen, wie die bunten Bilder eines riesigen WandcldioramaS. Sie lag, in die Ecke des CoupöS zurückgeschmiegt, und genoß in vollen Zügen das Hochgefühl, frei zu sein, ihr eigener, unumschränkter Herr. Ihre Ersparnisse, die sie bei sich trug, machten eine kleine Summe auS, die sie in den Stand setzte, ruhig und sorgenlos das Kommende abzuwarten. Daß sie vor läufig noch irgendwo eine Stellung annehmen mußte, war ihr durchaus kein so unangenehmer Gedanke, denn, gefiel es ihr irgendwo nicht, so war sie ja mit niemandem verheiratet, Gott sei Tank. Dann ging sie eben wieder fort. An die Freundin der Gräfin, eine Baronin von Winterberg, hatte Ella von Berlin aus kurz vor ihrer Abfahrt ein Telegramm gesandt, in dem sie kurz mit teilte, daß sie auf dem Wege nach München begriffen sei und die Absicht hege, ihr einen Besuch zu machen. Alles Weitere wollte sie dann dem Zufall überlassen. — Im Coupö saßen außer ihr nur noch zwei Damen, mit denen sie eine Unterhaltung nicht für besonders genußbringend hielt. Die eine machte den Eindruck einer reichen Parvenufrau, hatte die fetten Hände mit den großen Brillantringen mühsam unterhalb der Büste in einander wie zum Gebet gefaltet und schlief mit halboffcncm Munde, was ihrer Gottähnlichkeit starken Abbruch tat. Die andere, eine kleine, ungemein lebendige Person, saß in der anderen Keusterecke, öffnete fortwährend ein anderes ihrer zahlreichen Gepäckstücke, ordnete und arrangierte ununterbrochen unter ihren Siebensachen und wandte sich alle Augenblicke mit der Einleitung „Ach, entschuldigen Sie" mit einer anderen Frage an Ella. Ebenso langweilig war draußen auch die Gegend, und so hielt es Ella fürs beste, die Augen zu schließen, sich recht behaglich in die Ecke zu drücken und von tausend Dingen zu träumen. Sic dachte an die Frau, der sie in München zuerst ihren Besuch machen wollte, sobald sic sich in irgend einem Hotel einigermaßen eingerichtet. Was sic wohl zu dem Ueberfall sagen würde? — Jeden falls würde sie sich freuen, herzlich freuen, und ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen. Baronin Winterbcrg, Excellenz — war Witwe. Sie stand ganz allein. Sic konnte höchstens fünfunddreißig Jahre alt sein und war für Ellas Schönhcitsbcgriffe daS Ideal einer Frau. Schlank und elastisch, das blaffe Ge sicht mit dem etwas leidenden Zug, umrahmt von den dichten Wellen fast blauschwarzcn HaarS, glich sie einer Andalusierin, die sich in den Norden verirrt. Sie war von bestrickender Liebenswürdigkeit und, was Ella vom ersten Moment für sie eingenommen, eine Frau von ge diegenem Wissen und funkelndem Esprit. Sie hatte für Ella sofort eine ehrliche Sympathie gefaßt, als sie sich auf gemeinsamem literarischen Geschmack gefunden, und die Belesenheit der jungen Gesellschafterin, ihr reifes Urteil und ihre mehr als alltägliche Fachkenntnis hatten ihr ge- wattig imponiert. Es war tatsächlich keine Redensart ge- wesen, als sic ihr eines Tages gesagt hatte: „Wenn §ie einmal hier Ihre Stellung aufgeben sollten, Fräulein Röminger, dann kommen Sie zu mir nach München." Und nun kam sie wirklich! Es ist doch ein komisches Ding, das Leben, dachte sie. „Menschen, an die man manchmal jahrelang nicht denkt, werden einem ganz plötzlich unendlich wichtig, und ein winziger Zufall verleiht ihnen mit einem Mal die aller höchste Bedeutung." In ihrem plötzlichen Entschluß, Berlin zu verlassen, ziellos in die Welt zu flüchten, war ihr gerade diese Krau eingefallen. Wie ein Schiffbrüchiger plötzlich mitten im Ozean eine kleine Insel auftauchen sieht, an der er vielleicht schon beinahe achtlos vorübergcfahren wäre. Und auf diese steuert er nun zu mit aller Krast, betritt sie dankbar mit einem wahren Heimatsgcfühl, und sie wird auf einmal seine ganze Welt. Im Wesen der Baronin war ein Etwas, das Ella vom ersten Augenblicke an seltsam sympathisch berührt hatte. Ein großer Zug von Vorurteilsfreiheit und Unab hängigkeit des Urteils, ein gewißes „über dem Stoff- Stehen", und bei alledem ein ganz leiser Anflug von Melancholie, die aber niemals aufdringlich oder gemacht erschien. Zu dieser Frau hatte sie nun einmal Ver trauen. In Nürnberg stieg die Dame mit den Diamantringen und den fetten Fingern aus und wurde auf dem Perron von einem ebenso umfangreichen Gatten in Empfang genommen. In Bamberg verschwand auch die Andere, mitsamt ihrem Artilleriepark von Koffern, Schachteln und Karton-, und einem letzten „Entschuldigen Sic", in dem sie Ella mit einer riesigen Hutschachtel an den Kops stieß. Don nun an war sic allein. Auch die Gegend war reizvoller geworden. In der Ferne zogen sich ab und zu in violettem Dunst leichte Höhenzüge hin, malerische Dörfer und langgettreckte, herbstlich bunte Eichen- und Buchenwälder glitten vor- bei, und zwischen den rotblühenden Wiesen ragten schlanke Kreuze mit dem Erlöserbildc auf. Bald kam eine kleine Kirche mit zwiebclförmigem Dach, bald ein blumiger Talgrund bald ein weites Kornfeld, auf dem bänder« geschmückt'ein später Erntewagen dahinzog. Hier und da ein blauwcißer Grcnzpsahl, dann wieder Wald in alle» Laubschatticrungcn, oder sonnendurchleuchtete Tannen und Fichten. Und über dem allem ein Heller, wolkenlos
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