Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.05.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190305241
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19030524
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19030524
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-24
- Monat1903-05
- Jahr1903
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.05.1903
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-PreiS IN der Hauptexpeditton oder deren Ausgabe stellen adgeholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung inS Hau» >» 8.7» Durch die Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut ZeitungsprriSltste. Redaktion und Lrpeditiou; JohanniSgassr 8. Fernsprecher l»8 und 822 FUtaisvprdtti»«»« ? Alfred Hahn, Buchhandlg., UniversitätSstr.S, L. Lösch», Katharinenstr. I«, u. KönigSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Marienstraße 84. Fernsprecher Amt I Nr. 1718. Hanpt-Filiale Berlin: Earl Duncker, Herzgl. Bayr. Hosbuchhandlg, LÜPowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. »603. Anzeiger. Amtsblatt des Aönigkichen Land- und des königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Notizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Pret- die 6 gespaltene Petitzeile 2S Reklamen unter dem RedakttonSstrich s4 gespalten) 7b vor deo Familiennach richten (»gespalten) »0 H. Tabellarischer und Zifsernsap entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra - Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderun- 60.—, Mlt Postbesörderuug 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abeud-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen siud stet« au die Expedition zu richten. Die Expeditton ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz iu Leipzig. Nr. 28». Sonntag den 24. Mai 1903. 87. Jahrgang. Für Monat Juni nimmt jede Postanstalt ein Abonnement auf das „Leipziger Tageblatt" MM Preise von Mk. 1.50 entgegen, auch kann durch den Briefträger die Bestellung er folgen. Wir bitten diese im Interesse pünktlicher Lieferung bereits jetzt zu veranlassen. Aus der Woche. „Die bevorstehenden ReichStagSwablen werden ähn lich sein, wie das Finale vom zweiten Akte der „Meister singer": großer Tumult, bei dem jeder auf seinen Nachbar losscklägt, ohne recht zu wissen, warum und wie. Man hat nicht auf einen regelrechten Kampf zu rechnen, bei dem große Massen, die Reserven im Hinter gründe, „sich mit KriegSaesckrei auf den gegeniiberstehenden Feind werfen." In einem Berliner Briefe de» „TempS" findet sich diese Anschauung von dem jetzt begonnenen Wahl kampfe. Sie ist im großen und ganzen richtig, da ja nickt nur die Regierung keine Parole au-gegeben bat, sondern auch die Parteien den Kampf lokalisieren. Es fehlen, von Sachsen abgesehen, jegliche Ansätze zu all gemeinen Vereinbarungen der Führer. Wie nun die Dinge einmal liegen, können wir das nicht bedauern. Zudem gilt diese Selbständigkeit nicht nur von den national sich nennenden Parteien, sondern auch von den Gegnern. Bebel hat der Weit nichts Neues verkündet, al» er dieser Tage in Köln von dem Bündnis sprach, daS vor Jahren Zen trum und Sozialdemokraten für die bayerischen Land- tagSwablen abgeschlossen haben. Aber wie er bei dieser Er zählung die frommen Bundesgenossen drS Herrn v. Vollmar mit Hohn und Spott überschüttete und ihren Kuhhandel beim rechten Namen nannte, daS schließt, wenigstens für die Gegenwart, eine Wiederholung deS unwürdigen Schachers au». Wie sie, gleich den Wechslern und Händlern deö Evangeliums, im Vorhofe des Gotteshauses um schmäh lichen Vorteiles willen ihre Stimmen an die Gottes leugner verschachert haben, — dieses Bild muß fest gehalten werden, wenn mit frommem Augen-Ausschläge der Kampf für Wahrheit, Freiheit und Recht namens der katholischen Kirche wieder als einzige Devise des frommen Zentrums proklamiert wird. Auch der Mitarbeiter des „TempS" bat ib>e wahre Natur erkannt, wenn er von den Ultramontanen sagt, daß sie, um Kompensationen zu erlangen, „für Gott oder den T.usel stimmen, je nach ihrem Jnteresie." Aber nicht nur Bebels Hohn, sondern auch zahl reiche andere Aeußerungen geben den sicheren Eindruck, daß prinzipiell für Zentrumskandidaten diese» Mal die Sozialdemokratie nickt zu haben sein wird. Hier liegt doch ein Symptom gewisser Gesundung vor, über das die Natio nalliberalen SüddeutscklandS sich besonders freuen können. Freilich wird diese Freude getrübt durch eine Rede ihres Führers Basse rmann, in der er, um seine Abstimmung gegen den vielbesprochenen tz 2 des IesuitengesetzeS zu ver teidigen und seinen Entschluß, auf diesem Standpunkte auck künftig zu verharren, zu motivieren, sich zu der Behauptung hinreißen ließ, die Gegnerschaft gegen diesen Paragraphrn bekuude „illiberale Ketzerrichterei". Damit lieferte er dem Zentrum nicht nur, sondern auch den Sozialdemokraten ein wirksames Schlagwort, da» nicht nur während der Wahlbewegung, sondern auch in späteren Zeiten oft genug gegen jene zahlreichen Nationalliberalen gebraucht werden wird, die das Jesuitengesetz ungeschmälert erhalten wißen wollen. Und ihm selbst wird der Vorwurf nicht erspart bleiben, daß er dieses Wort geprägt habe, um sich bei seiner Bewerbung um daS Karlsruher ReichStagSmaodat die Unter stützung de» Zentrums zu sichern. Hätte ihn wirklich »ine solche Absicht geleitet, so würde er seinen Parteigenossen nickt .«gerufen habe»: „Sorgen wir für eine gute Staatsschule, für tüchtige, freidenkende Lehrer, die ein heranwachseodeS Geschlecht zu Patrioten und freideukenden Menschen er- z eben." Mit einem solchen Aufruf« sängt man Nicht An hänger einer Partei, di« nach dir Hrrrschaft üb«r di« Schul« trachtet, um aus ihr die sreidenkenden Lehrer zu erttfernrn und in ihr das Gegenteil von sreidenkenden Menschen heran zuziehen. Mag also vielleicht ein Teil jener gemäßigten Katholiken, denen eS bittere Stunden berritet bat, daß man 1898 den Sozialdemokraten die Vertretung der badischen Residenz im Reichstage überlieferte, diesmal bei der Stichwahl für Herrn Bassermann eintretcn, die große Masse wird ihn als unver söhnlichen Gegner nach wie vor betrachten und «S ihm nicht verzeihen, daß er zwar den nach seiner Ansicht zwecklosen 8 2 deS IesuitengesetzeS preiSzugeben, den Einfluß deS Ultra- niontaniSmus auf die Schule aber um so nachdrücklicher ab- zuwehren entschlossen ist. Der Vorwurf, er habe vor dem Zentrum kapituliert, wird also bald genug verstummen, und anderseits wird gerade der auf die Schule bezügliche Teil seiner Rede keinen Sozialdemokraten von der Absicht abbringen, den UltramontaniSmuS als Feind zu betrachten. Immerhin bleibt sein Ausfall wider die Gegner jeder Abbröckelung deS IesuitengesetzeS höchst be dauerlich. Um so bedauerlicher, je leichter er zu vermeiden gewesen wäre. Man kann sehr Wohl auf einer einmal gefaßten Meinung beharren, ohne genötigt zu sein, den Gegnern dieser Meinung rin« Kränkung an den Kops zu werfen. UeberdieS würde eS Herrn Bassermann nicht um seinen Ruf al« starker Charakter gebracht haben, wenn er trotz seiner Abstimmung gegen den tz 2 versprochen hätte, sich mit der möglichen Wirkung der Aufhebung diese» Paragraphen nochmal« eingehend zu beschäftigen und nach dem Resultate dieser Prüfung seine lünftige Haltung einzurichten. Ja, eS wäre ihm nicht einmal «ine Perle auS der Krone gefallen, wenn er sich vor seiner Rede einfach die Frage vorgelegt hätte: Nützt oder schadet die Abbröckelung des Jesuitengesetzes den Jesuiten? Die Antwort hätte nur lauten können: sie nützt ihnen. Und damit wäre ihm auch der rechte Maßstab für die Gegner der Abbrcckttvüg ycgebea gewesen. E» wird nun Aufgabe der badischen Nationalliberalen sein, die von ihrem Führer im eigenen Lager ohne Not verschärfte Differenz möglichst wenig wirksam auf die Wühltätigkeit werden zu lassen. Und da darf man sich jedenfalls der Hoffnung hin geben, daß der Zwischenfall Bassermann lähmend weder auf den Kamps gegen den UltramontaniSmuS, noch auf den gegen die Sozialdemokratie wirken werde. Weiß man doch gerade in Baven, daß ein Sieg der Sozialdemokratie mittelbar stets ein Erfolg der Reaktion ist, deren Geschäfte stets geblüht haben, wenn eS dem Radikalismus zu gut ergangen war. Und man weiß ferner, daß man den Kampf gegen die Reaktion, zu dem im Hinblick auf „die Liberalen, die be» Seile stehen", in einem Baden-Badener Briese Vize admiral a. D. Hoffmann ausrust, am sichersten fördert, wenn man ohne unnatürliches Bündnis die Sozialdemokratie sernzubalten oder zu verdrängen bemüht bleibt. Abgeseh«» von einigen, nicht besonders tirf gehenden Reden deS preußischen Handelsministers M ö lle r hält sich alles, waS zur Regierung zählt, vorsichtig abseits der Wahlbewegung. Der Gewährsmann deS „TempS" erklärt eS mit Recht als unmöglich für den Wähler, herauszubekommen, mit welchem Votum er für, mitwelchem er gegen die Regierung stimmen würde. Der 1898er Rus Miquels und PosadowslyS zur Sammlung war wenigstens noch der Ansatz zu einer Wahlparole. Heute bat sich nichts dergleichen von oben vernehmen lassen, ,^'areüs saints ost wustts ot uv rencl plus ä'oraeles." Sehr mit Unrecht hat daher die „Nordd. Allg. Ztg." die Hoffnung gehegt, „daß in letzter Stunde doch noch bei den bürgerlichen Parteien die Erkenntnis energisch zum Durchbruch gelangen werde, daß es notwendig sei, gegenüber einer alle Parteien in gleicher Weise bedrohenden Gefahr die Reihen zu schließen und eine feste Kampffront zu bilden". Wer selbst so viel getan ha», eine Klärung der Streitfragen zu verhindern, wie die Regierung, der mag mit seinen Klagen auch jetzt zu Hause bleiben. Der ernsthafte Wähler wird ohnehin in seinen nationalen und freiheitlichen Grundsätzen den Faden finden, der ihn durch die Jrrgänge farbloser Parteistreitereieu auf da- Feld führt, wo er die Gegensätze klar erkennt, die unser heutige« politisches Leben gerade so gut hat, wie die vergangenen Jahr zehnte. In Bezug auf die englischen Verhältnisse wurde kürzlich in den „Time»" gesagt: „Wir beobachten eine wachsende Tendenz der Wähler, ihre Stimmen al» ihr Eigen tum und nicht al» dasjenige irgend einer Partei auzusehen". Auch von unseren Gesinnungsgenossen, die wir immer wieder zum Kampfe gegen die Sozialdemokratie aufrufrn, können wir annehm««: sie siud sich Wohl bewußt, daß sie, diesem Rufe folgend, nicht einer Partei, sondern den Interessen de« Vaterlandes, der wahren Freiheit unv damit sich selbst den besten Dienst erweisen werden. Diese Erkenntnis ist in allen ihren Teilen, gerade auch im Sinne de» zuletzt angedeuteten Egoismus, notwendige Voraussetzung intensiver wahlpolitischer Betätigung. Denn in der Politik tut, wie vor bald fünfzig Jahren in einem Briefe an den General v. Gerlach der große B iSm ar ck gesagt hat, niemand etwa» für den anderen, wenn er nicht zugleich sein Interesse dabei findet. Deutsches Reich. H- Berlin, 28. Mai. (Die „harmlose" Sozial- demokratie tm AuSlande.) In der Zeit einer Wahlbewegung, bei der die Sozialdemokratie unter sorg samer Verhüllung ihrer wirklichen Ziele und ihrer wahren Natur sich den Wählern als eine harmlose Partei der reinen Freiheit und Beglückung der Menschheit hinzu stellen pflegt, ist eS nicht ohne Interesse und lehrreich, daß die Beispiele sich stetig mehren, in denen ausländische Staaten zu strengen Gescycsmaßregeln gegen den Miß brauch des KoalttionSrechts seitens der Sozialdemokraten zu greifen sich genötigt sehen. Den Anfang hat bekanntlich Holland mit der Gesetzgebung zum Schutze des öffent lichen Verkehrslebens gegen Sträks gemacht, die die niederländische Sozialdemokratie vergebens durch Jnsce- nierung eines Generalstreiks zu verhindern suchte. Der zweite in der Reihe war der australische Staat Viktoria, der zur Nieberkämpfung eines Streiks der Eisenbahnbe- diensteten zu energischen Reprefsfvnsmaßregeln greifen mutzte und schon mit der Androhung dieser Maßregel die vollständige Beseitigung des Ausstandes herbeigeführt hat. Den Dritten im Bunde bildet neuerdings das bekanntlich mit einer sehr demokratischen Verfassung ausgestattete Norwegen. Dort hat die Volksvertretung sich genötigt gesehen, in eine Regierungsvorlage über den Schutz deS KoalttionSrechts aus ihrer Initiative heraus folgende Be stimmung einzufügen: „Bestraft wird mit Geldbuße oder mit Haft bis zu einem Jahre, soweit keine strengeren Strafbestimmungen Anwendung finden, wer durch Zu fügung von Verlusten ober Schädigungen oder durch Drohungen damit versucht, einen Arbeitgeber zu hindern, Arbeiter anzunehmen oder zu behalten, oder wer versucht, jemanden davon abzuhalten, Arbeit zu suchen, oder wer hierbei mitwirkt." Die norwegische Gesetzgebung hat durch diese, mit großer, aus Konservativen, Moderaten und Liberalen zusammengesetzten Mehrheit angenommene Bestimmung sowohl den Arbeitgebern als den Arbeits willigen wirksamen Schutz gegen den sozialdemokratischen Terrorismus zu geben gesucht. Es unterliegt bei der Zu sammensetzung der norwegischen Volksvertretung keinem > Zweifel, daß nur außerordentlich schwerwiegende praktische Erfahrungen sic dazu veranlaßt haben, Bestimmungen zu treffen, die sich durchaus in der Richtung der im Jahre 1809 -em Reichstage vorgelcgten, dort aber wegen einzelner Bestimmungen verworfenen Vorschläge zum wirksamen Schutze der Arbeitswilligen bewegen. Diese Vorgänge auf dem Gebiete ausländischer Gesetzgebung haben sich sämtlich in Ländern mit durchaus parlamentarischer und über wiegend demokratischer Staatscinrichtung abgespielt. Sie liefern daher umsomehr den Beweis einerseits von der Ge- mcingcfährlichkeit des sozialdemokratischen Mitzbrauchs der Koalitionsfreiheit und anderseits des Terrorismus, den die Sozialdemokraten, wo immer sie können, gegen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausüben. Jene ausländi schen Vorgänge sind geeignet, den deutschen Wählern die Augen über die Natur und die Gemeingefährlichkcit der Sozialdemokratie zu öffnen und zu verhindern, daß sic von der Sozialdemokratie durch Verschleierung dieser ihrer Natur und ihrer Ziele ins Garn gelockt werden. -r- Berlin, 28. Mai. (Die „Einigkeit des Zentrums in Rheinland und Westfalen.) Die rheinische ZentrmnSpartei hat einen Wahlaufruf ver öffentlicht, der mit der Parole des Zentrums „für Wahr heit, Freiheit und Recht" schließt. Leider entspricht der Inhalt des Aufrufs nicht dem ersten dieser schönen drei Worte. Der Aufruf sagt nämlich: „Möglich war der Er folg und wird er auch in Zukunft sein durch „ge schlossene Einigkeit"; sie ist glücklicherweise im Rheinlande vorhanden." Diese Behauptung stimmt nicht mit den Tatsachen überein. Man erinnere sich, daß zur Zeit der Erörterungen über -en Zolltarif Organe der katholischen Arbeiterschaft sich sehr rebellisch über die beabsichtigte Zustimmung des Zentrums zu der Erhöhung der Lebensmittelzölle aussprachen. Auf der andern Seite ist man in agrarisch-klerikalen Kreisen un zufrieden damit, daß das Zentrum nicht für die hohen Zollsätze, wie sie dem Bunde der Landwirte vorschwcben, eingetreten ist. Die Anhänger -eS bekannten Redakteurs Schreiner von der „Rheinischen Volksstimme" haben in verschiedenen rheinischen Wahlkreisen dem offiziellen Zentrumskandidaten eine agrarisch« Sonderkandidatur gegentibergestellt. Wir glauben nun nicht an irgcnd wclchen nennenswerten Erfolg der klerikal-agra rischen Rebellion gegen daS offizielle Zentrum; aber anderseits kann man angesichts solcher Vorgänge doch nicht von „geschlossener Einigkeit" sprechen. Auch im be nachbarten Westfalen hat es in einigen Wahlkreisen lHamm-Soest und Münster) schwerer innerer Kämpfe be durft, die klerikale Wählerschaft auf eine Kandidatur zu einigen. In Münster schien sogar eine Spaltung in drei Teile eintreten zu wollen, nämlich in eine klerikal agrarische, eine klerikal-städtische und eine klerikale Hand werkerkandidatur. Die „Germania" gibt selbst zu, daß man zu der Ueberzeugung hätte kommen müssen, daß die städtischen Wähler für die ländliche Kandidatur nur in verschwindender Anzahl zu gewinnen sein würden und umgekehrt die ländlichen Wähler für eine städtische Kandidatur. Da erschien al« Helfer in der Not Frhr. v. Hertling, der in seinem früheren Wahlkreise Illertissen nicht wieder aufgestellt worden ist, weil man dort einen gröberen Faden zu spinnen beabsichtigt. Die „Rheinische VolkSstimmc" ist mit dieser Kompromiß, kandidatur aber sehr wenig einverstanden; denn sie schreibt: „Daß die Bauern aus dem Wahlkreise Münster den Kandidaten wählen, dessen Wiederwahl ihre Kol legen in Bauern ablehnen, mag ja im Interesse der bis- her im Zentrum befolgten Politik sehr erwünscht sein. DaS wird aber die rheinischen Bauern nicht abhalten, selbständig ländliche ZentrumSkandida- ten aufzu st eilen, welche die Gewähr bieten, daß sie auch die Interessen des Bauernstandes vertreten und sich nicht darauf beschränken, nur immer das hübsch aus- zusühren, wa» die großstädtischen Leiter der Fraktion ihnen anSefehlen." Dazu kommt nun noch die Rebellion der Polen in mehreren rheinisch-westfälischen Wahlkreisen. Wir glauben allerdings, daß weder die agrarische, noch die sozialistische, noch die polnische Strömung innerhalb der katholischen Bevölkerung Rheinlands und Westfalens der offiziellen Zentrumspartei irgend welche nennens werte Verluste an Mandaten verursachen werde; aber wenn der Wahlaufruf des rheinischen Zentrums sagt, daß bekanntlich die Gesamtstimmenzahl des Zentrums seit 1887 trotz der starken Vermehrung der Wählerschaft nicht gewachsen, sondern zurückgegangen sei und daß die Zentrumspartei des Rheinlandes sich deshalb eine Ehre daraus machen sollte, fürsich allein diesen Aus fall bei den bevorstehenden Wahlen zu decken, so scheint uns der Zeitpunkt für diesen Appell wenig günstig gewählt. Was die rheinische Zentrums partei an Stimmcnziffer möglicherweise durch die Heran- holung früher säumiger Wähler gewinnen kann, wird sie auf der anderen Seite durch Absplitterung verlieren. Berlin, 28. Mai. (Zum Projekte der Tran«, saharabahn.) Im neuesten Hefte von Schmoller» „Jahr buch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volks wirtschaft" gebt P. Mohr in einer Abhandlung über da» Eisenbahnwesen in Algerien auf das Projekt der TranSsabarabahn mit bemerkenswerten Ausführungen ein. Schon totgeglaubt, erwirbt dieses Projekt neuerding« wieder mehr Angänger: bat sich doch jüngst kein Geringerer als Paul Leroy-Beaulieu für daSRiesenunternebmen energisch ausgesprochen, nachdem man fast 30 Jahre lang, zu einer Zeit, da Frankreich noch gar nicht den politischen Einfluß in jenen Gebieten besaß, schon um die richtige Trace ge stritten halte. Noch beute ist der Kampf der Meinungen nicht verstummt. Während die einen die Bahn auS Südoran nach dem Niger verteidigen, vertreten andere die Linie von Biskra über Wargla, Amguid nach Zinder mit Abzweigung nach dem Tickadsee. Andere wieder verfolgen den Plan einer weiter im Osten ausgehenden Zentralbabn au» dem Süden von Tunis, etwa von Bu-Grara nach dem Tschadsee. Schließlich fanden sich auch Verteidiger einer Zentralbabn von Algier überTugurt, Wargla durch den Tuat nach dem Niger. Für eine bestimmte Trace bat man sich immer noch nicht recht geeinigt. allgemeinen ist wobl keiner der vorgeschlagenen Wege, vom Mittelländischen Meere au» gerechnet, kürzer als 20 km anzuneknien. Davon gehen etwa 1500 di« 2000 km allein durch Wüstengebiet. Nichtsdestoweniger haben sich die Schwärmer für die Bahn dadurck nicht abhalten lassen, stets aufs neue für ihre Bahntrace einzutreten. Leroy-Beaulieu insbesondere hat noch in jüngster Zeit sowohl die Möglichkeit, wie die Rentabilität der Linie Philippsville - Biskra, Wagra zum Tschadsee leiner Meinung nach bewiesen. Er hält vom strate gischen und politischen Standpunkte auö die Ausführung des Unternehmens im Hinblick auf die Verteidigung der asrikaniicken Bestl-ungen Frankreichs für eine gebieterische Notwendigkeit. Vom wirtschaftlichen Standpunkt« auS versprickt er sich die bedeutendsten Ergebnisse: Zucker, Salz, Manufakturen werden vom Mittelländischen Meere nach dem Innern geben, in umgekehrter Richtung werden Baumwolle, Tabak, Reis, Metalle, tierische Abfall produkte kommen. Die Kosten der Bahn schätzt Leroy- Beaulieu auf nur 250 Mill. Francs, die Kilometer-Brutto einnahme auf 6 bis 7000 Francs, wenn nicht gar 8 bi» 9000 FrcS., einschließlich der Verwaltungskosten, die angeblich nickt mehr als 60 bis 70 Proz. dieser Ziffer betragen werden. Den Warentarif per Tonnenkilometer schlägt er auf 2>/r Ct. an, das sind für die Tonne nur 60 bis 70 FrcS. auf die ganze Strecke. Obwohl Leroy-Beaulieu den Bau der Trans- saharababn als unerläßliche Voraussetzung der Nutzbar machung von Französisch-Afrika ansieht, glaubt Mohr doch nicht, daß die Bahn in absehbarer Zeit, sei eö die Ost- oder fei eS die Weststrecke, gebaut wird, weil Frankreich in Algerien ungleich dringendere Aufgaben zu erfüllen babe, di« Hunderte von Millionen beanspruchen. Abgesehen aber von dem Projekte der TranSsabarababn, könne Frankreich unS Deutschen ein nachahmenswertes Vorbild durch seinen regen Unternehmungs geist sein, den e- in den letzten zwei Jahrzehnten in Afrika gezeigt habe; so babe Frankreich als erste Nation in West afrika eine Bahn gebaut. Endlich habe das französische TranS- saharaprojekt nach dem Tschadsee für uns Deutsche noch eine besondere Bedeutung. „Nickt durch eine französische Bahn", ichließt Mohr, „sondern durch eine deutsch« könnten am leichtesten dre reichen Länder deS Tschadsees er- schlossen werden, und diese Bahn muß durch Deutsch-Kamerun auf dem kürzesten Wege nach dem Meere gehen. Hier ist eia schöne«, hohe- und lohnendes Ziel gegeben. Möge der deutsche Unternehmungs geist sich hier bald ein neue» und würdiges Denkmal schaffen." D Berlin, 23. Mai. (Telegramm.) Der BunbeSra» nahm in seiner heutigen Sitzung die Anträge des vierten Ausschusses zu dem Entwurf« und Vorschriften über* die Einrichtung und den Betrieb von Anlagen zur Her stellung von Bleifarben, anderen chemischen Bleiprodukten und bleihaltigen Farbengemischen an. L. Berlin, 23. Mai. (Privattelegramm.) Di« nach dem neuen Watzlregleinrnt bei den ReichStagSwablen vor geschriebenen Zeven, in denen bei der Wahl die Mäkler die mitHedrachten Wablzettel in die ihnen vom Wahlvorstand zu behändigenden Kuverts verschließen sollen, werden rn Berlin aus einer sehr einfachen und billig herzustellenden Vorrichtung bestehen. Ein aus drei Seitenbrettern bestehen der, circa 1 Meter hoher Rahmen, der durch Scharnier« sich zusammenklappen läßt, wird in den Wahllokalen auf einen passenden Tisch gestellt und die Zelle ist fertig. Der Ober- und der Unterkörper deS Wähler» bleiben frei. Hinter dem Rahmen kann jeder Wähler unbeobachtet und unkon trollierbar feinen Wahlzettel kuvertiren. — Wie da« „B. T." erfährt, beabsichtigt der Kaiser, seine diesjährige Nordlandsreise erheblich auSzudebnen und annähernd zwei Monate in Norwegen zu verweilen. — Am 28. Februar behauptete der Abg. Eickhoff im Reichstage gelegentlich der zweiten Beratung des Etat» der ReichSpost- und Telegraphrnvrrwaltung, em BtaatSanwalt
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite