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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.05.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030527014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903052701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903052701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-27
- Monat1903-05
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Dabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen uud Offertruaunahme 85 (excl. Porto). Extra.Beilagen (gefalzt^ nur mit oer Morgen-Auögabe, ohne Postbesörderun, SO.—, mit Postbesürdernug 70.—» Ruuahmeschluß für Alyeizen: Abead-Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgeu-Auögab«: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen find stets au di« Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bi« abends 7 Uhr- Druck und Verlag voa L Pol» in Leipzig. 97. Jahrgang. Ein Wort zur rechten Zeit. LS Der Reichstagsabgeordnete vr. Barth hat be kanntlich in einer Rede zu Gunsten des freisinnigen Kandi daten Diederichsen in Kiel dte Sozialdemokratie als eine vergleichsweise harmlose Partei hingestellt,' die Sozialdemokraten Hütten sich im Laufe der Jahrzehnte zu ihrem Vorteile gemausert, ihre Träumereien von einer gewaltsamen revolutionären Umwälzung aufgegeben und sich zu einer Partei der politischen Evolution entwickelt. Herr Barth verflieg sich sogar zu der Hoffnung, daß der einstweilen noch trübe sozialdemokratische Most schließlich doch noch einen guten nationalen Wein liefern werde. Dieser Schönfärberei tritt die „Freisinnige Zeitung" des Abgeordneten Eugen Richter nrit ebensoviel Energie wie Klarheit entgegen. Sie weist zunächst darauf hin, -aß ein Grundirrtum des Herrn Barch darin liege, die Sozialdemokratie nur als politische Partei anzusehen, während sie in erster Reihe eine Klassenpartei sei. Ihre Gefährlichkeit liege auch gar nicht so sehr in ihren ZukunftSplänen, wie in ihrer in der Gegenwart be triebenen Agitation, durch die sie den Frieden -wischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zerstöre. Durch die Verhetzung der Arbeiter vergifte sie das Arbeitsverhält nis und rufe die Neigung zu willkürlichen Streiks hervor, durch die bas ganze wirtschaftliche Leben überaus ge schädigt werde. Die „Freisinnige Zeitung" stellt ferner durchaus zu treffend fest, daß nicht nur die Behauptung des Abgeord neten vr. Barth von einer Mauserung, d. h. Besserung, der Sozialdemokratie falsch, sondern daß das Gegenteil davon richtig ist. Der Terrorismus der Sozialdemokratie ist immer bedrohlicher geworden. Die Partei terrorisiert ihre eigenen Parteiangehörigen — man vergleiche dte durch die ganze Presse gegangene Aufforderung der „Sächsischen Arbeiterzeitung" an die „Genoffen", Flug blätter zu verteilen, mit dem Hinweise, daß genaue Kon trolle werde geübt werden, wer an dieser Wahlarbeit teil nehme —, sie terrorisiert die Krankenkassen, sie terrorisiert auch die gegnerischen Parteien, deren politische Versamm lungen sie in rohester Weise stört, wodurch sie auf die Dauer nur eine Gefährdung des Bersammlungsrechtes herbeiführen kann. Am interessantesten ist die Feststellung des führenden fortschrittlichen Organs, daß der Terrorismus der sozial, demokratischen Partei umso stärker geworden ist, je mehr sie an parlamentarischer Macht zugenommen hat; eine weitere Verstärkung der sozialistischen Reichstagsfraktion durch den Ausgang der bevorstehenden Wahlen würde also auch eine weitere Steigerung des sozialistischen Hochmutes und Uebermutes herbeiführen. Deshalb müsse der Kamps gegen die Sozialdemokratie bei den Wahlen nicht mit halber Kraft geführt werden, sondern mit voller. Der Schilderung der Sozialdemokratie durch den Ab geordneten Richter — wir gehen wohl kaum in der An nahme fehl, daß ein so wichtiger und programmatischer Leit- artikel von dem Führer der Freisinnigen Volkspartet selbst herrührt — wird man zustimmen müssen, auf dem Boden welcher bürgerlicher Partei man sich auch immer befindet. Praktisch von größerer Bedeutung aber als dieses erbar mungslose wahre Konterfei ist die Erklärung, daß die Sozialdemokratie mit voller Wucht bekämpft werden müsse. Wenn das keine inhaltslose Phrase sein soll, so kann es doch nur bedeuten, daß die Freisinnige VolkSpartci wenigstens bet den Stichwahlen mit den andern bürger lichen Parteien gegen die Sozialdemokratie zusammen gehen will. Die Sozialdemokraten sind schon bei den letzten allgemeinen Wahlen zahlreicher in Stichwahlen gelangt, als jede andere Partei. Es ist kaum anzunehmen, daß eS diesmal anders sein werde; denn da die bürgerlichen Par teien in der weitaus größten Zahl der Wahlkreise nicht ge schloffen Vorgehen, so ist es der in sich geschlossenen und rücksichtslos agitierenden Sozialdemokratie ein leichtes, sich in vielen Wahlkreisen zum mindesten an dte zweite Stelle zu schieben und dadurch in die Stichwahl zu ge. langen. Im ersten Wahlgange dürften die Sozialdemo, kraten kaum mehr als 40 bis höchstens 45 Mandate er langen. Gehen die bürgerlichen Parteien wenigstens bet den Stichwahlen zusammen, so ist es danach wohl möglich, die Zahl der gegenwärtigen sozialistischen Mandate herab zumindern oder zum mindesten zu verhindern, daß die sozialistische Mandatsziffer sich erhöht. So ist die Ankündigung der „Freisinnigen Zeitung" ein Wort zur rechten Zett. Innerhalb der freisinnigen Wählerschaft herrscht schon seit langer Zeit das gesunde Gefühl vor, daß man zum mindesten in der Stichwahl den bürgerlichen Gegner der Sozialdemokratie, welcher Partei er auch angehört, unterstützen müße; es ist aber von sehr großem Werte, wenn die Parteileitung die Direktive in dieser Richtung gibt. Nach dem Artikel der „Freisinnigen Zeitung" darf man kaum daran zweifeln, daß nach den Hauptwahlen eine entsprechende Parole werde aus gegeben werden. Sozialdemokratische Geheimbüudelei? Lang«« als eine Woche hat sich in der politischen Presse ein merkwürdige« Schauspiel abgespielt: Die sozialdemokratischen Blätter übten sich im Schweigen; sie batten es darin gern bi« zur Vollkommenheit gebracht, zum Totschweigen, aber das ist ihnen nicht gelungen. Immer wieder wurde ihrer „Ge- nofsen"»schaft der schwere Vorwurf der Geheimbündelei ge macht, und ihre Presse schwieg wie das Grab — allen voran der „Vorwärts" mit dem sonst so losen Munde. Man wurde direkt dazu gedrängt, dies Schweigen als ein psychologisches Belastungsmoment schwerer Art zu bewerten. Zn der Sache stützt sich die Anklage, die in erster Linie von ^der „Post" vertreten wird, auf die kleine, gelegentlich schon einmal erwähnte Flugschrift: „Wohin steuert die Sozialdemokratie?" von Franz Fricke in Dresden, der 16 Jahre lang als Agitator in der Sozial demokratie tätig gewesen ist, ihr aber jetzt den Rücken gekehrt hat. Die „Post" argumentierte: Fricke macht in dem interessanten Kapitel, welches von der Organi- sation der Sozialdemokratie handelt, seltsame Enthüllungen über die sogenannte Institution der „Internen", in denen ganz ungeschminkt und unzweideutig von einer „Geheimorgani- sation" der Sozialdemokratie die Rede ist. Einmal tut der Ver fasser der Schrift so, als ob es sich hier nicht um eine ungewöhn lich« Besonderheit der Sozialdemokratie handele, sondern als ob alle Parteien eine mehr oder weniger ähnliche Einrichtung besäßen, dann aber macht er Angaben, welche zweifellos ergeben, daß wir eS hier mit einer sozialdemokratischen Spezialität zu tun haben, bei der eine Verleugnung und Preisgabe eigeuer Gefühle und Anschauungen im Dienste der Parteidoktrin stattfindrt, für welche sich ein Analogon bei keiner anderen Partei, höchstens bei Orden mit strengen, dte Aufgabe jeden JndividualempfinteaS fordernden Gelübden findet. Es heißt in der Broschüre: „DaS, was man von gegnerischer Seite als Geheimorganisation der Sozialdemokratie be zeichnet, besteht wohl in allen anderen politischen Parteien auch, nur mit dem Unterschiede, daß dieselben es eben nicht verstehen, einen so bis ins kleinste Detail, mit der Präzision einer modernen Großmachtsormee arbeitenden Organismus zu konstruieren". Das ist etwas merkwürdig ausgedrückt. In anderen Parteien ist bisher noch nicht von einer „Geheimorganisation" der Sozialdemokratie gesprochen. Außerdem bestehen in diesen Parteien nur Verbände und Vereinigungen, welche den gesetzlichen Bestimmungen gemäß Statuten und Mitglieder.Verzeichnis bet der Polizei eingereicht haben. Ist das auch bei der sozial demokratischen „Interne" der Fall? Nur ganz be- währte, sozusagen mehrfach durchgesiebte „Genossen" finden Aufnahme in diese Organisation. Wenn sich in größeren städtischen Wahlkreisen, die in eine Anzahl Bczirksgruppen zerfallen, ein „Genosse" zur „Interne" meldet, dann wird diese Anmeldung von seiner Bezirksgruppe dem Vorstände übermittelt. Selbstverständlich muß er die elementaren Vorbedingungen erfüllen, daß er mindestens ein Jahr laug einer Organisation angehörte, Beiträge zahlte und der gleichen mehr. Der Vorstand übermittelt, falls diese Vorbedingungen nachgewiesen find, das Gesnch zur Umfrage an sämtliche Bezirks gruppen. Je nach dem Ergebnisse dieser Umfragen erfolgt die Auf- nähme, die Anordnung weiterer Erhebungen oder die Ablehnung des Gesuches. Man sieht hieraus, wie peinlich genau die Auswahl der „Internen" erfolgt. Die größte Sorgfalt wird daraus gerichtet, zu verhüten, daß etwa ein unzuverlässiger, nicht hinreichend be währter „Genosse" in diesen auserlesenen Kreis eindringt, der ganz und gar das Gepräge eines Geheimbundes trägt. Der Neuaufgenommene wird nun bei der nächsten Gelegenheit eingesührt in den Kreis der „Internen". Nähere Angaben macht Fricke hier nicht, er deutet nur an, daß mit dem Eintritt in den Kreis der „Internen" der einzelne sein persönliches Denken und Empfinden ganz der „Parteiräson" unterordneu muß. Wer in die interne Organisation tritt, nimmt damit fchon die Verpflichtung auf slch^ gewissermaßen in Not und Tod zur Partei zu stehen. Gleich wie der Jesuit krineu anderen Willen haben darf als den seines Ordens, so darf der interne „Genosst" in keiner Lebenslage das Parteiprinzip verletzen, wenn er nicht ohne weiteres daS Odium des Verräters auf sich laden will. Gilt doch schon der bloße Rücktritt aus der internen Organisation als rin Verrat." Weiter heißt es: „Der interne „Genosse" darf hungern, wenn er als Arbeiter wegen feiner Gesinnung auf die Straße ge worfen wird, er darf Existenz, persönliche Freiheit, Ge- jundheit ujw. opfern, aber er darfj nicht wanken in der Betätigung feiner Gesinnung. Sonst, und sei es auch nur ein einziges Mal, sind seine Verdienste ausgelöscht für immer, und wenn dieselben noch so bedeutend wären." Diese Angaben, sowie die peinliche Auswahl der „Internen" zeigen deutlich, daß es sich hier um eine Elitetruppe auserlesener „Genossen" handelt, welche eine Art Geheimbund unter einander bilden und die eine Art feierlichen Gelübdes zum absoluten, alle indivi- duellen Regungen zurückdrängenden Dienste der Par- tei verpflichtet. Wie fest die Mitglieder der „Interne" durch solch eine Art Gelübde oder sonstige Bindemittel au die Partei gekettet sind, geht aus der Bemerkung Frickes hervor, man habe „in dieser Organisation eine Falle geschaffen, aus der ein Ent rinnen nur unter den schwersten Gefahren möglich ist; hauptsächlich dann, wenn die betreffende Person noch so unklug war, sich mehr oder weniger in der Oessentlichkeit hervorzuwagen". Da- mit immer „Genossen" genug vorhanden sind, welche nach der Würde eines „Internen" streben, wird der Ehrgeiz des einzelnen mit allen Mitteln aufzustachrln gesucht. Obwohl nun die Auswahl für di« „Internen", wie oben bemerkt, eine äußerst peinliche ist, so kommt eS doch auch vor, daß gewisse „Genossen" einfach gezwungen werden, in die Schar der „Internen" einzutreten. So will Fricke selbst mit «inem anderen „Genossen" dazu gezwungen sein. Sie wären vor die Alternative gestellt, entweder „Interne" zu werden, oder daS Recht, agitatorisch tätig zu sein, zu verlieren. Mag auch im einzelnen noch manches unklar und lückenhaft er- scheinen, was Fricke über dte Institution der „Internen" sagt, so viel steht jedenfalls ganz zweifellos fest, daß wir es hier mit einer geheimen politischen Organisation zu tun haben, die mit Recht und Gesetz in völligem Widerspruche steht. Von dieser Organisation der „Internen" ist bisher nirgends etwa« bekannt gewesen. Dies wurde schon geschrieben am 16. Mai. Und der „Vorwärts" schwieg. E« erfolgten weitere Anzapfungen am 19. und am 21. Mai. Und der „Vorwärts" schwieg noch immer. Endlich, am Sonntag, kam eine Antwort, und die lautete in ihrem sachlichen Teile: Ist nicht die furchtbare „Geheimorganisation" schon um 1895 herum in dem bekannten „Roten Michel", gleichfalls Dresdner Her kunft, genau geschildert worden? Hat nicht der Staatsanwalt in dem letzten Berbindungsprozeß gegen unsern Partei vorstand und diesige Parteivereine, der von 1895 bis 1897 spielt«, die „geheime" Organisation der Sozialdemokratie gründlich studiert? Schließlich sei an die jüngsten Auseinandersetzungen über die Orga nisation im 6. Berliner Wahlkreise erinnert. DaS ist alles, positiv alles. Kein Wort über die .Interne" steht darin, nicht einmal abgeleugaet wird sie. Der „Vorwärts" möchte gern glauben machen, das Frickesche Material biete nichts neues und habe auch schon der 95er Anklage mit zu Grunde gelegen. Das ist aber nicht wahr. Die damalige Untersuchung erstreckte sich nur auf die offiziell bekannte Organisation der Partei, für die Existenz einer „Interne" lagen damals nur Ver mutungen vor, die erst jetzt von einem ihrer früheren Mit glieder bestätigt werden. ES ist Zeit, volle Aufklärung zu schaffen; auch mancher Mitläufer wird stutzig werden, wenn die „harmlose" Sozialdemokratie ihr wahre« häßliches Gesicht zeigen muß. Vielleicht dämmert bereit« der Tag der Abrech nung zwischen Staat und Ober-„Genoffen". Deutsches Reich. -s- Berlm, 26. Mai. (Das allgemeineWahl- recht und die Herabminderung des Niveaus des Reichstages.) Die „Kreuz zeitung" bedauert, daß -er nationalliberale Abge ordnete Basscrmann , dem sie im übrigen einige wohl wollende Worte widmet, sich mit großer Wärme für die E r- haltung des Reichstagswahlrechtes aus- gesprochen hat. Man solle sich nicht zum Ritter dieses Systems machen, wiewohl man von niemand, der sich in einem schwer zu behandelnden Wahlkreise wählen lassen wolle, verlangen dürfe, daß er unter den Verhältnissen der Gegenwart dem Reichstagswahlrechtc den Fehdehand schuh hinwerfe; sie, die „Kreuzzeitung", tue dies selbst nicht, weil das mit dem Kopfe durch die Wand rennen wollen hieße. Wir wissen dann freilich nicht, was die „Krenzzeitung" unter dem Hinwerfen des Fehdehand schuhes versteht. Nach unserer Meinung kann man den fanatischen Haß gegen das bestehende Wahlrecht doch wohl nicht schärfer ausdrücken, als wenn man es bezeichnet als „die Heiligsprechung d e s s i n n l v s e st e n Ge dankens, der jemals menschliche Köpfe bedroht hat". Der leidenschaftliche Haß gegen das Wahlrecht geht auch daraus hervor, daß die „Kreuzzeitung" ihm das Herab sinken desNiveaus des Reichstages in die Schuhe schiebt. Das allgemeine Stimmrecht fördere un widerstehlich die Demokratisierung der Massen und damit „Schupp". Skizze von Earl Busse. ii.achdnick virtolen. In der Laube, unter der Rteserrkastanie, leuchtete die rote Mütze der „Schlesier". Ein paar Flaschen Bier sahen mit den Hälsen aus der Erde. „Man muß sie eingraben, damit sie in der Höllenglut kalt bleiben", hatte Willy Krüner seinem „alten Herrn" gesagt. Und trinken mußte man — als moderner Mediziner sah man in der Prophylaxis die Hauptsache. „Ich wette, daß mich kein Sonnenstich trifft." Diese Gefahr schien wirklich ausgeschloffen, denn durch das dichte Laubwerk der Kastanie fiel kaum ein Strahl. Behaglich las der Notmlitzige in einem mächtigen Bande. „krvo^on lotor", murmelte er vor sich hin — „pro-e?-on lotor." Und über sein ganzes Gesicht lief ein Lachen, das nicht laut ward. Ab und zu horchte er. Kam nebenan noch immer nie mand? Endlich! Er riß ein Blatt des wilden WeinS ab, der in halber Höhe erst die Laube umrankte, legte es als Zeichen in'S Buch und schlug es zu. Die Golbpreffung auf dem Rücken zeigte, daß es daS Konversationslexikon war. Band 16, Turkestan bis Zz. Eine wunderliche Lektüre, bei der sich Willy Krüner noch dazu köstlich amüsiert hatte. Nun kamen die Schritte durch den Nachbargarten näher. Der KieS knirschte. ES war ein festes Auftreten, gar nicht- Leichte- und Behendes. Bon allen Mädchen der Stabt ging nur eine so: Ursula Brandt. Aus den ersten Blick gefiel sie niemandem. Ein lustiges, gutmütiges, breite» Gesicht, da» sich in keinem Zuge durch eine besondere Schönheit auszeichnete. Und dann der Gang, die ganze Figur — man hatte stets den Eindruck des Unfertigen. Die Arme und Hände baumelten noch so, als wüßte das junge Menschenkind nicht recht, wohin sie damit sollte. Etwas drollig Tolpatschiges war noch in mancher Bewegung, etwas Ungeschicktes, mehr Knaben, als Mädchenhaftes. Aber wenn man sie länger beobachtete, fühlte man eS wohl in der Brust warm werden vor herzlicher Freude. Das machten die blanken Augen und die drollige Unbe- lümmerthett, mit -er sie sich gab. Sie ging wie suchend den Zaun entlang. Da scholl ein Ruf, da leuchtete die rote Mütze. Und während ein Heller Freubenschetn über ihr Gesicht glitt, rieb sie in einer charakteristischen Bewegung ver- gnügt dte Hönde. Dte Rechte lose zur Faust gebogen, wusch sie, den Kopf ein wenig vorgeneigt, die Schultern hochgereckt, krampfhaft den Handteller der Linken. Auch das tat nur Ursula Brandt. Hundertmal war sie damit geneckt worden — sic zog den Mund schief, lachte und sagte: „Wenn ich erst älter bin, gewöhn' ich'S mir ab." Aber eS ging hei jeder Freude mit ihr durch. Und die rote Mütze mußte ihr viel Freude machen. „Bist du endlich da, Ursel? Marsch — bei uns ist mehr Schatten. Kriech' durch!" Ruck, ruck — links und recht» wurden zwei Latten des Zaunes beiseite geschoben. „Du kommandierst schon wieder, Willy!" sagte sie, ob ste bückte sich, und im nächsten Moment stand sie vor ihm. Er sah st« lachend an: „DaS ist noch von früher, du,.. . vom Soldatenspielen. Ich war der General und du ein ganz kommuner Gefreiter. Hast du deine Taschen schon wieder so voll gestopft?" „Ach Herrje!" Und eilig packte sic aus. DaS war auch eine ihrer schlechten Eigenschaften. Was herumlag, steckte sie in dte Tasche, um eS gelegentlich an den rechten Fleck -u setzen. Ein Stopfpilz, ein Vergrößerungsglas, ein Woll. Worauf er eine Flasche aus der Erde hotte und das Glas leer trank. „Weißt du", fing er dann an, „ich hab' mich zuerst immer geärgert, daß du nicht mein Letbfuchs sein kannst." herrje ... das geht ja die ganze Zoologie durch. Erst Bär, dann Fuchs. . „Leibfuchs, Ursel", sagte er und schlug auf den Tisch, daß das Glas tanzte. „Du wärst ein famoser Kerl. Niemals Spieloerderher; immer fidel, ein bißchen taprig, aber furchtbar bierehrlich. Jammerschade. Ich hab' dich eigentlich vermißt. Aber da nun mal hierbei sozusagen ein Naturfehler vorltegt, der unheilbar ist, so hilft das nicht. Es läßt sich dabei nichts reparieren. Doch du kannst mir wirklich glauben: ich hab' dich vermißt. Und immer, wenn wir sangen, dacht ich: Na warte, wenn ich erst wieder zu Hause btn. Dann gehen wir beide durch den (Saiten und legen los. Gaudeamus, O alte Burschenyerrlichkeit, Es hatten drei Gesellen — fein! Mit dir 'bleib' ich immer im Takt." „Wollen wir?" fragte sie mit leuchtenden Augen. Studentenlieber und Ehoräle — daS ist daS Schönste." „Morgen", sagt er. „Denn heut' möcht' ich mal 'waS ErnsteS mit dir reden. Mir ist im vorigen Semester eine Lampe aufgegangen; bi» dahin lies ich vergnügt durch» Duster. Erst hab' ich mir tnrmer gesagt: Schade, baß der Schupp nicht die rote Mütze trägt, überhaupt schade, daß er nur ein Mädel ist. Und dann kam ich dahinter, daß da» vielleiHt gerade höchst weise eingerichtet ist und auch sein gute» bat" .. , „Danke", nickte sie. „So vernünfttge Ideen hätt' ich Dir gar nicht zugetraut." „kroo^on lotor, tnesLs! Hakt den Mund, Schupp! Denn ich bin noch nicht fertig. Ich hab' natürlich viel andere Mädel» jetzt kennen gelernt. Die Schwestern von Eouleurbrüdern, dte Töchter von alten Herren — na, Stücker zwanzig, dreißig sicher. Und sehr hübsche — Donnerwetter, Ursel, da waren ein paar pompöse brunttrt knäuel und ein Portemonnaie kamen nacheinander zum Vorschein. Jedes ward mit Heiterkeit begrüßt. „Du sichst", sagte sie, „daß ich vom Aufräumen komme, während du Faulpelz dem lieben Gott die Zeit stiehlst." Aber da empörte er sich. Er hätte im Lexikon sehr Interessantes studiert. „Ich hab' entdeckt, Ursel, daß du drin stehst. Paß auf, Seite 520. Lateinisch heißt du krve^on lotor. Ist das nicht wohlklingend? Deine ganze Biographie ist drin." „Was ist das wieder für eine Verrücktheit?" Dabet strahlte sie vor Vergnügen, „kro — — was ist denn das?" „Zu deutsch: Der Waschbär oder Schupp!" „Aha!" sie lachte hell auf. „Das behalt' ich mein Leben lang." Es war ihr Spitzname in Haus und Schule gewesen. Jeder rief sie: „Waschbär". Und es paßte auch vortreff, lich. Es paßte zu Ursula, eS paßte zu ihrer drolligen Tvlpatschigkeit, es paßte zu diesem eigentümlichen Reiben der Hände. „Also schieß los. kro—«?—?" „?roo^ov lotor, Waschbär oder Schupp, bärenartiges Raubtier — zeig' die Zähne, Ursel! Stimmt! Mit gelblich grauem Pelz . . „Na, na Willy!" Einer dunklen Binde unter den Augen. Die hast du aus Versehen drüber — stimmt auch. Und einem ge ringelten Schwänze von halber Körperlange." Da prustete sie los: „DaS ist Verleumdung!" Sie lachten alle beide Tränen. „Es geht noch weiter: „er reibt trocken dte Pfoten, alS wollt' er Nahrung waschen." Mädel, kann man dich bester schildern? Läßt sich leicht zähmen — richtig — und wird meist in Fallen gefangen. Was sagst du nun?" „Ungeheuer!" „Abgevtldet bist du leider in Band II, Tafel „Bären?, den ich nicht hier hab'. So studiert man Naturgeschichte. Prost Schupp!"
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