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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.05.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030529010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903052901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903052901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-29
- Monat1903-05
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Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile LS Reklamen unter dem Redakttontstrich (4 gespalten) 78 vor de» Famtlteuaach» richten (Sgespalteu) 80 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenaunahme 28 H (excl. Port»). Extra-Beilagen (gesalzt), »»? mit »er Morgen-Ausgab«, oha« Postbeförderu«, SO.—, mit Postbesürderuug 70,—. Ännahmeschluß für Änzeigeu: Abeud-AuSgaber vormittag» 10 Uhr. Morgeu-AnSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentag» unuuterbroche» geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von L, Pol- tu Leipzig. Str. 2SS. Freitag den 29. Mai 1903. 97. Jahrgang. Sozialdemokratische Agitation auf dem Lande. Trotz Ihrer bisherigen Mißerfolge bei den Bauern suchen die Sozialdemokraten auch in der jetzigen Wahl bewegung vielfach auf dem platten Lan^c uliiter der Bauernschaft und unter den? ländlichen Arbeitern zu, agitieren. Teils tun sie dies durch VertrauenSpersonen von Mund zu Ohr, besonders in Gasthäusern, teils ver breiten sie zahlreiche Flugblätter und Flugschriften. Bei alledem aber suchen sie möglichst jedes Geräusch zu vermeiden und von ihren Agitationen die Aufmerk samkeit abzulenken. Den Fehler, den sie früher dadurch machten, bah sie städtische Sendboten sogar in Massen aufzügen auf die Dörfer schickten, haben sie längst ein gesehen und auch auf ihren Parteitagen gegeißelt. Jetzt glauben sie schlauer zu Werke zu gehen, indem sie vom Lande stammende Genossen zu Agitationen verwenden und mit äußerster Borsicht auftreten. Wenn die Sozialdemokraten in der jetzigen Wahl bewegung selbst in den Städten ihr Parteiprogramm ver leugnen und die Idee des Zukunftsstaates als „Mätzchen", die Expropriationsabsichten als „Märchen" und die Reli- gionsfcindschaft als „Lüge" bezeichnen, so sind sie auf dem Lande noch sorgfältiger darauf bedacht, alle sozialdemo kratischen Allüren verschwinden zu lassen. Ihre Haupt tätigkeit besteht darin, die Bauern gegen die Großgrund besitzer und Arbeiter wie Gesinde gegen beide aufzu hetzen. Sie wissen ganz genau, daß das platte Land un überwindlich ist, wenn seine Bewohner, die ja ohnedies auf einander angewiesen sind, Zusammenhalten. Deshalb suchen sie zwischen! die einzelnen Schichten einen Keil zu treiben, um auf dem Lande als Sieger einziehen zu können. Der Plan ist ganz schlau; aber er wird an dem Solidaritätsbewußtsein der Landwirte und an deren Wachsamkeit auch diesmal scheitern. Wie skrupellos die Sozialdemokraten bei ihren Land- agitationen Vorgehen, kann man aus den Ver sprechungen ersehen, die sie den Landwirten wie den Landarbeitern machen. Erst vor kurzem ist die Aus lastung eines sozialdemokratischen Kandidaten in Werder a. H. bekannt geworden, der in dieser den Bauern vorrcdete, im Zukunftsstaate würden die bäuer lichen Miterben durch „einige Tausendmark scheine" schadlos gehalten werden. Schon bei den Wahlen vor fünf Jahren verbreiteten die Sozialdemo kraten auf dem Lande Flugblätter, in denen erklärt wurde, daß den Kleinbauern im Zukunftsstaate auf Wunsch ein besonderer landwirtschaftlicher Betrieb, unabhängig von dem Betriebe auf gemein schaftliche Kosten, gestattet werden würde; ja, in einem Flugblatte waren der Bauernschaft — und gerade dieser — sogar Kornzölle versprochen worden. Auf diese Weise sucht die Sozialdemokratie direkt entgegen ihrem Parteiprogramm die Landleute zu ködern; es wird darum nicht verabsäumt werden dürfen, auf dem Lande die wahren Absichten der Sozialdemokratie für die Bauern möglichst klarzustellen. Die „Kreuzztg." weist zu diesem Zwecke auf den Ver lauf der Verhandlungen des Breslauer Parteitages über das Agrarprogramm der Sozialdemokratie hin. Dieses Agrarprogramm wurde mit großer Mehrheit ver worfen, weil es als zu sehr geeignet befunden wurde, „den Eigentumsfanatismus der Bauern schaft" neu zu beleben. Die namhaftesten Führer der Sozialdemokratie waren der Meinung, daß der Bauernschaft eine Hebung der Lage nicht in Aussicht gestellt werden dürfe, und Kautsky, der bewährte Theoretiker der Partei, er klärte unter Zustimmung der Versammlung, die Sozialdemokratie h-abe „Lei non Grund, für die Erhaltung des Bauernstandes einzutreten"; denn das könne nur geschehen, indem die Bauern inihrem Besitze befestigt würden, also indem die Sozialdemokratie ganz entgegen gesetzt verfahre wie sonst; man müsse den Bauern auch unangenehme Wahrheiten sagen. Der Wgcordnete Geck riet, dem Bauern „seine Affenliebe zum Privateigentum" zu nehmen' und ihn zu belehren, daß er cs auf seinem Privatbesitze zu nichts bringen könne. Wenn also sozialdemokratische Agitatoren in der jetzigen Wahlbcwegung sich sehr hüten, den Bauern „un angenehme Wahrheiten" zu sagen, sondern ihnen schöne Versprechungen machen und vorreden, die Sozialdemo kratie werde ihnen Vorteile verschaffen, so lügen sie. Die Sozialdemokratie ist die Feindin jedes Privatbesitzcs, besonders aber der ihre Scholle liebenden Bauern, ebenso aber auch der ländlichen Arbeiter, denen sie durch Bekämpfung der Schutzzölle die Aussichten auf bessere Lohnverhältuisse nimmt. In gar manchs ländlichen Bezirken braucht mai^ freilich an die Verhandlungen dcS Breslauer Parteitages über das sozialdemokratische Agrarprogramm nicht erst erinnert zu werden. Man kennt sie und bereitet daher den agitierenden „Genossen" nicht den freundlichsten Empfang. An solchen Orten rächten sich diese „Genosten" dadurch, daß sie in Versammlungen, die von anderen Parteien einberufen waren, eindrangen und die Debatten durch endlose Einwürfe hinzuzichen suchten. Da auch das nicht zum gewünschten Ziele führte, schritten sie zur rohen Gewalt. Ueber die neueste dieser Brutali täten berichtete -er in Nürnberg erscheinende „Fränkische Kurier": Sie kamen am Soüntage in der Stärke von 30 Mann, zum Teil schon betrunken, in eine Versammlung nach Leichendorf und zwangen durch wüsten Lärm und rohe Beschimpfung den Redner, sein Referat abzubrechen!. In Banderbach kamen sie ge rade zum Schluffe der Versammlung. Sie lärmten und stießen Drohungen aus, und als ein Redner sie fragte, ob sie vielleicht Mitglieder deS sozialdemokratischen Arbeiterbildungsvereins seien, erhielt er die Gegenfrage, ob er seine Backenzähne numeriert habe. Da war wohl am Platze, was ein einfacher Bauer dazu meinte: „Da sieht man, wie weit es käme, wenn diese Leute das Ruder in die Hand bekämen!" Ein Geständnis. Die Rede, die Julius Vahlteich am letzten Sonn tag beim Kommers im „Sanssouci" zur Jubiläumsfeier der deutschen Sozialdemokratie gehalten hat, trug, nach dem Berichte der „Lelpz. Bolksztg.", „eine ausgesprochen persönliche Färbung und war, als Rede, eine zweifellos glänzende Leistung". (117 zweite Beilage.) Wenn man dies magere Lob, das nicht fetter wird durch die Be zeichnungen „selten eindrucksvoll" und „fein pointiert", in ehrliches Deutsch übersetzt, so heißt es: „Die Rede Vahlteichs hat den Genossen mißfallen." Und das be greift sich sehr wohl. Ja, wenn ein Nichtgenvsse, ein Nationalliberaler oder Nativnalsozialer, dieselbe Rede gehalten hätte, so würde man ihn ausgezischt haben. Aber warum denn? Weil der alte Vahlteich den Ge nossen, anstatt ihnen zu schmeicheln, ein paar unliebsame Wahrheiten gesagt hat, Wahrheiten, die sie zu hören weder gewillt noch gewohnt sind; unter ihnen die einer Majestütsbeleidigung des souveränen Volkes gleich- zuachtendc, daß alles äußere Wachsen der Partei nicht ausreiche zum Beweise, daß sie auch innerlich gereist und fähig sei, den Zukunftsstaat ins Leben zu rufen und zu behaupten. Vahlteich gesteht offen und ehrlich: Als wir in den siebziger Jahren in Chemnitz bei der Wahl des städtischen Kollegiums einen vollen Wahlzcttcl ausgestellt hatten, da war kein Mensch froher als ich, daß wir geschlagen wurden: „denn das Menschen material, das wir damals zusammen- gestellt hatten, hätte niemals die Stadt Chemnitz regieren können." Ganz dasselbe, „nur mit ein wenig anderen Worten" sagte vor etlichen Jahren v. Vollmar. Und weiterhin Vahlteich: „Ich bewundere jede Rede, die ein bedeutender Mann im Reichstage hält, um der Welt zu zeigen, was die Sozialdemokratie ist und was sie sein will; aber so hoch ich das schätze, ich erachte die stetige Arbeit des Stadt verordneten für wichtiger, als die schönste Parlaments rede." Wie ist das zu nehmen? Als Geringschätzung — äü<ft bsv Reksi:n eines Redners wie Bebel, Singer ot tutti quanti? Ja, man darf's dem alten in Arnerika praktisch gewordenen Nörgler wohl zutrauen. Denn er wagt cs, sogar mit dem heiligen Lassalle ins Gericht zu gehen und ihn der Ruhmredigkeit und Uebertreibung zu zeihen. „Lastalle hat einmal, mit der Bescheidenheit (!), die ihm eigen (!) war, behauptet, daß er jeden Satz, den er spreche und schreibe, derWelt verkünde, „ausgerüstet mit der ganzen Wissenschaft seines Jahrhunderts". Und in der Tat: er war ein sehr gelehrter Mann. Aber was ist von feinen Lehren übrig geblieben gegenüber der ge waltigen Sprache, die die Tatsachen inzwischen geredet haben?" Kurz, die ganze Rede Vahlteichs ist eine Buß- oder Fastc-npredigt an die Partei, in der Mahnung gipfelnd: Anstatt zu renommieren, wie herrlich weit ihr's gebracht habt, beweist erst, daß ihr etwas könnt! Und schließlich begeht der Alte, wie bereits im „Leipziger Tageblatt" erwähnt, sogar die doch in jüngster Zeit wiederholt verurteilte Ketzerei, den Genüssen — „Kompromisse" zu empfehlen; „denn die sind im politischen Leben noch zu allen Zeiten gemacht worden" . . . „Es ist ein schwerer Kampf, den wir zu kämpfen haben. Nicht bloß die Wut der Feinde, sondern auch die Torheit in unseren Reihen schadet uns und hält uns auf in unserem Vormarsch." Das nenne ich ein ehrliches Geständnis; und hätte Vahlteich alles sagen mögen, was er auf dem Herzen hatte, so hätte er hinzufügcn dürfen, daß er noch über die Möglichkeit, richtiger U n Möglichkeit, des sozialdemo kratischen Regimentes im Staate ebenso denke, wie vor einem Menschenalter über die des städtischen in Chemnitz. Und auch das mit Recht! Ja, eine bessere Widerlegung der sozialdemokratischen Schwärmer kann ich mir nicht denken, — wenn nur bas Experiment möglich wäre! — als die zeitweilige Auslieferung des Staates an dieselben. „Macht ihr's einmal und zeigt, was ihr könnt!" Und ebenso — ihr edlen patriotischen Polen! Wir geben euch das Reich zurück, wie es vor der ersten Teilung war! Ihr wählt euch einen eigenen König und nach Belieben einen Reichstag. Wer jener sein mag und sein wird, steht dahin: gewiß aber, daß euer Reichstag wieder — ein „polnischer" Reichstag sein wird. v. Deutsches Reich. kt. Leipzig, 28. Mai. Zum Streite zwischen dem Grafen Hoensbroech und dem Kaplan Dasbach sei auf folgendes aufmerksam gemacht: Schon zur Zeit des preußisch-deutschen Kirchenstreites (Kultur kampf") hatte ein deutscher Katholik anonym Quellen auszüge aus den wichtigsten Moralschriftstellern des Jesuitenordens vom 16. bis 19. Iahrhnudert heraus gegeben. Der Titel dieser Sammlung lautet: ^Dooteina morslis.loguitaruni. Die Dioral der Jesuiten, quellenmäßig nachgewiesen aus ihren Schriften von einem Katholiken." (2. Auflage.) Celle 1874. In ihr finden/ sich zahlreiche Stellen, die Beleg sind für die Praxis der Jesuiten, daß „der Zweck das Mittel heiligt". So lesen wir auf S. 110 der gedachten Schrift eine Stelle aus dem „läbor tsiooloxiao moralis" des spanischen Jesuiten Antonius de Escobar (gest. 1669). Ae lautet: „Der Zweck gibt den Handlungen ihren eigenen Charakter und durch einen guten oder schlechten Zweck werden sic schlecht oder gut gemacht." Noch deutlicher sprechen den Gedanken aus zwei Stellen der „Ueäulia tsieoloxsiao moraiis" des Hermann Busen» bäum (gest. 1668), die schon Karl v. Hase und P. Ts chartert angeführt haben. In einer dem Schreiber dieser Zeilen zugänglich gewesenen Ausgabe des genannten Werkes des Casuisten Busenbaum vom Jahre 1694 finden sie sich auf Seite 447 (Liber IV, Kap. HI, Dub. VII, Art. II) und 704 (L. VI, Tract. VI, Kap. II, Dub. H, Art. II) und lauten wörtlich S. 447: „Wenn der Zweck erlaubt ist, sind auch die Mittel er laubt." S. 704: „Wem der Zweck erlaubt ist, dem sind auch die Mittel erlaubt." Daß der Zweck das Mittel „heilige", sagen die genannten zwei Stellen zwar nicht expUeitk, aber doch implioite. „Der Gedanke findet sich so kahl ausgesprochen wohl nirgends in einer an erkannten Icsuitenschrift; es wäre dies auch zu sehr gegen ihre Weltklugheit gewesen. Er ist nur der ge schärfte Ausdruck des Borwurfes, daß nach jesuitischer Moral zur Erreichung eines guten, ja heiligen Zweckes jedes Mittel erlaubt sei." (Karl v. Hase.) (,.II. Berlin, 28. Mai. (Die Bevölkerung auf den deutschen Schiffen im AuSlande.) Die im deutschen Reiche veranstalteten Volkszählungen befaßten sich bisher mit den BevölkerungSoerbällnisten innerhalb de» Reichsgebiets, einschließlich der Schiffe in deutschen Häfen und Gewässern. Die Entwicklung des Binnenstaats zur Weltmacht legte den Gedanken nahe, bei der Volkszählung am 1. Dezember 1900 auch auf die anderen der Reichsbobett unterstehenden Gebiete Rücksicht zu nehmen. Von einer Zählung der Bevölkerung in den Kolonien nahm man Abstand, dagegen schien eS an gezeigt und durchführbar, die auf deutschen Schiffen außerhalb deS Reichs aus der Fahrt oder in fremden Häfen befindlichen Personen festzustellen. Die See-Beruf»genoffen- schäft (Sitz Hamburg) erschien als das geeignetste Organ, FariiHatan. Vom europäischen VDetterminkel. Retsebriefe von Paul Lindenberg. XIII. Nachdruck verbalen. I. Beim Ministerpräsidenten vr. Sturdza. — Die Entwicke lung Rumäniens. — Rumänien und Deutschland. — Die Stellung Rumäniens zur makedonischen Frage. — Ein Ausspruch des Fürsten Bismarck. — Die finanzielle Ge sundung Rumäniens. — Im Sturdzaschen Hause. Bukarest, 19. Mai 1903. „Sehen Sie, bas wird von so vielen Besuchern Ru mäniens bei der Beurteilung unseres Landes und Volkes vergessen, daß letzteres aus drückend schwerer Vergangen heit hervorgegangen ist — und wie lang ist's her? Nicht fünfzig Jahre! Unter türkischer Botmäßigkeit standen wir und noch schwerer unter jener Rußlands. Binnen vier Decennten — und was ist solch« Frist im Leben der Böller! — bat sich Rumänien zum selbständigen Staate entwickelt. Zwei Punkte sind hierbei hervorzuheben: da eigene Werk der Rumänen, dann die Tätigkeit König Carols, Ihres Hohenzollern, der mit eisernem Pflicht, gefühl, mit unermüdlicher Hingebung, mit dem Takt und Verständnis für die schwierigsten inneren Lagen und äußeren politischen Fragen Ordnung und Stetigkeit in die verwirrten Verhältnisse unseres Landes brachte." Wir saßen uns gegenüber in dem schmalen, hohen, an den Wänden mit bis zur Decke reichenden Bücherregalen versehenen Arbeitszimmer des Ministerpräsidenten vr. Sturdza; das im kleinsten Kreise eingenornmene Mahl war vorüber, und eS plauderte sich nun so hübsch in dem stillen, lauschigen, von einem ernsten und großen LebenSwerkc erzählenden Gemach, besten breites Fenster nach dem in vlütenschmuck prangenden Borgarten der zierlichen Billa hinausging. Hell fiel der Schein der Ampel auf mein Gegenüber; nur der weiße, kurzgehaltene Bart deutet die zurückgelegten Siebzig des Ministerpräsi- denten an, frisch, wie bei einem der Jüngsten, ist die Farbe des Gesichts, klar, frei und freundlich der Blick der scharf sinnigen, braunen Augen, unermüdliche Arbeitslust drückte das ganze Wesen aus, denn jeglicher Tag hat für diesen hervorragenden Mann mehr wie zwölf Arbeitsstunden, von wohltuender Ruhe und Einfachheit ist sein Wesen, in vollendetem Deutsch, das keinerlei fremdländische Bei mischung aufweist, führt der Minister die Unterhaltung. Und wie gerne hört man ihm zu und folgt seinen abge klärten, stets sicheren Ausführungen, die von dem weiten Blick des Staatsmannes, von dem tiefen Erfassen des Ge- lehrten, von der edlen Gesinnung des selbstlosen Menschen zeugen. „Wenn man auf die letzten vier Jahrzehnte unserer rumänischen Geschichte zurückblickt", fuhr der Minister fort, „so muß man auch mit freudiger Anerkennung der deutschen Mithülfe gedenken. Ein deutscher Fürst lenkte und lenkt, Gott sei Dank, noch immer segensreich die Ge schicke des rumänischen Staates, viele Deutsche waren mit uns tätig bei der Ausgestaltung unseres jungen Reiches, wir hatten von jeher die wichtigsten kommerziellen Be ziehungen zu Deutschland, eine deutsche Gesellschaft baute die ersten Eisenbahnen, und daß wir diese später ohne zu große Opfer, vor allem unter Wahrung unserer Selbst, ständigkeit, erwerben konnten, daß die Bankhäuser nicht zu unbillige Forderungen stellten, dafür sorgte Fürst Bis- marck, der, wie aus manchen, Schreiben an mich und andere rumänische Politiker hervorgeht, mit warmem Interesse die Entwickelung unseres Staates verfolgte. Und diese Entwickelung ging auf dem politischen Felde nicht in Zickzackwegen. Das eben charakterisiert Rumänien vor den übrigen Balkanstaaten, daß cs mit großer Geduld und Ausdauer, aber auch mit scharfem Aufpaffen die euro päischen Verhältnisse beobachtete und die günstigen Momente zum Emporrtngen zu benutzen wußte. So wurden wir «in ruhiges Reich, so befestigten sich immer mehr unsere guten, dauernden Beziehungen zu Deutsch- land und zu Oesterreich. Diese Sicherheit unserer Politik trug ihre Früchte bet der Proklamierung Rumänien- -um Königreich; wir 'brauchten nicht erst um die Zustimmung Europas zu bitten, König Carol hatte sich als Staats mann, als Feldherr erwiesen, ihm und uns warb der wohlverdiente Lohn zu teil." — „Und wie, Excellenz, stellt sich Rumänien zu der makc. dänischen Frage?" „Wir bewahren auch da völlig unsere Gelassenheit und stehen, so lange Rußland und Oesterreich den Frieden wollen, woran auch nicht im geringsten zu zweifeln ist, abwartend den Ereignissen gegenüber. Wir leiden an keinerlei Vergrößerungssucht, wie vielleicht andere Bal kanländer. Ich muß immer eines Ausspruches Bis marcks gedenken, den jener einst zu mir getan: „Ihr kleineren Staaten müßt Ruhe halten, macht Eure Streitig keiten unter Euch ab, aber zieht uns Großmächte nicht hinein. Wir haben schon genug mit uns zu tun! Wir führen unsere Kämpfe, falls es sein muß und es unsere Interessen gebieten, allein aus und wollen uns nicht durch Euch dazu bringen lasten. Tut Ihr es aber doch, so geschieht eS stets zu Eurem Schaden. Wir Großen, wir verständigen uns dann schon wieder, aber seid überzeugt, Ihr habt die Kosten zu tragen!" Gerade gegenwärtig muß man diese Meinung des Fürsten Bismarck besonder- hervorheben. Nun, wir hier in Rumänien lasten uns nicht fortreißen, wir wollen Ruhe haben mit dem einzigen Wunsche, Herren im eigenen Hause zu sein und zu bleiben, in unserem Hause, welches stets fester ausgebaut werden soll." „Diese Ruhe ist wohl auch erforderlich für die fernere finanzielle Gesundung Rumäniens?" „Gewiß, auch in dieser Hinsicht. Und da gebe ich mich hoffnungSfrohcn Erwartungen hin. Als ich im Februar 1901 die Regierung wieder übernahm, war ein Deficit von 71^ Millionen Francs vorhanden, das binnen zwei Jahren zu stände gekommen; wäre dies, selbst in ge ringerem Grade, noch ein drittes Jahr ähnlich weiter ge gangen, so wäre unser Kredit völlig erschtittert worden. Wir mußten also nicht nur jene 71Z4 Millionen wieder einbringcn, sondern auch derart wirtschaften, daß der nächste SdaatshaushaltSetat keinerlei Unterbtlanz auf wies. Das Budget wurde erheblich ermäßigt und eine gewisse Grenze gezogen, um Überschreitungen zu ver- meiden. Und das ist gelungen. Im ersten Jahre hatten wir einen Ueberschuß von 21 Millionen, der des -weiten wird sicher 31 Millionen betragen, und das warb vor allem auf gesunder Basis erreicht. Durch fernere Einrich tungen konnten wir, ohne neue Steuern und Anleihen, die obige Schuld von 71*/? Millionen bezahlen und haben noch Gelder flüssig für dringende Arbeiten und für die Armee. Diese Ersparnispolitik soll fortgesetzt werden, die Zeiten der öffentlichen Anleihen und der Schulden sind vorüber, und die voraussichtlich sehr günstige Ernte dieses Sommers wird zur Kräftigung des inneren staatlichen Lebens gleichfalls erheblich beitragen, sodaß wir mit vollem Eifer an die Vollendung unserer Häfen und Eisenbahnen, sowie an die Durchführung manch' anderen wichtigen Werkes gehen können." Diesen politischen Erörterungen schloß sich eine allge- mcinere Unterhaltung im Salon an, wo Frau Zoe Sturdza den würzigen Thee bereitete. Gleich ihrem Gatten, stammt die Gemahlin des Ministers aus altrumänischem Fürsten geschlecht, gleich ihm versteht sie eS, sich sogleich die Herzen zu gewinnen, und wie er, plaudert sie meisterhaft in deutscher Sprache, mit französischer Lebhaftigkeit und Ge- wandthcit. Ein echter Hcrzcnston herrscht in diesem gast freien Hause, besten Zimmer mit erlesenem Geschmack vev» einte wertvolle, altertümliche Möbel und treffliche Kunst werke bergen neben zahlreichen Erinnerungsgaben be- Königspaares, die von treuer Freundschaft und Dankbar keit des letzteren zeugen. Was so außerordentlich sympathisch in diesem Heim be rührt, ist die liebenswürdige Schlichtheit des ganzen Ver kehrs, des freundschaftlichen Entgegenkommens, deS sich als so selbstverständlich zeigenden Bemühen-, jedem de« Aufenthalt in diesen Räumen angenehm zu machen. Hier gtbt's keine Steifheit und kein ängstliches Abwägen der Worte, kein Sichverbarrikadicrcn hinter Vorurteilen, keinerlei Ueberschwünglichkcit im Reden und Handeln: „Tritt ein, sei willkommen, sei doppelt willkommen al» Fremder, der eS gut mit Rumänien meint, mag e- dir an unserem Herd gefallen!" Alle Fragen von irgendwelchem Interesse werden mit offenem Freimut behandelt und man braucht mit entgegen gesetzten Meinungen nicht zurückzuhalten; Klatsch und
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