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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.05.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030530029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903053002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903053002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-30
- Monat1903-05
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Labellarischer und Zlffernsap entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsertenannahmr 25 (excl. Porto). Grtta - Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuug 60.—, mit Postbesörderuug ^4 70.—. ^nnahmeschloß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition zo richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 272. Tonnabend den 30. Mai 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 30. Mai. Die Sozialdemokratie als Feind der Versammlungsfreiheit. Eine besondere Eigentümlichkeit der jetzigen Wablbewegung ist die brutale, alle bürgerlichen Parteien gleichmäßig treffende und erbitternde Manier der Sozialdemokratie, in bürgerlichen Wahlversammlungen das Gastrecht schmählich zu mißbrauchen und auf Sprengung der Versammlungen hinzuarbeiten. Die „Freisinnige Zeitung" stellt fest, daß die Sozial- demokrateo dabei in allen Teilen des Reiches nach einem ganz bestimmten Rezepte arbeiten, woraus sich ergibt, daß die pöbelhaften Scenen nicht auf daS Conto einzelner Heißsporne in den verschiedenen Wahlkreisen zu schreiben, sondern auf die Direktive der so zialistischen Zentrale zurückzuführen sind. Die Organi sation deS RadauS geht so weit, daß die Zentralleitung der Sozialdemokratie, wie das freisinnige Organ weiter feststellt, zur Verdächtigung der anderen Parteien besondere Lügen- zettel hat rusammenstellen lassen, aus denen die in den bür gerlichen Versammlungen auftretenden sozialistischen Lokal größen ihr Material schöpfen. Wenn alles andere nichts hilft, so greifen die Sozialdemokraten zu dem letzten Mittel, durch Erregung von Tumult eine vorzeitige Schließung der Versammlung berbeizuführen und dadurch den Zweck der einberufenden Partei, durch die Versamm lung neue Anhänger zu erwerben und die alten in ihren Ge sinnungen zu bestärken, nach Möglichkeit zu vereiteln. Wenn nun aber die „Freisinnige Zeitung" die bürgerlichen Parteien auffordert, sich zusammen zu tun und das Haus recht in der kräftigsten Weise zu schützen, so wird man, ob wohl den sozialistischen Störenfrieden an sich eine Jacke voll Prügel Wohl zu gönnen wäre, doch nicht zur Anwendung drastischer Mittel raten können. Man muß immer daran denken, daß, wenn zwei Leute sich prügeln, der Außenstehende nicht sowohl fragt: „wer hat angefangen und wer trägt die Schuld?", sondern daß er das Urteil fällt, „das sind wüste Kerle." Als Außenstehende möchten wir hier ein mal die deutschen Regierungen anseben, zum zweiten das Ausland. Wenn während der Wahlbewegung Prügeleien an der Tagesordnung sind, so fällt ein schlechtes Licht von vorn herein auf den Reichstag, der aus einer solchen Wablbewegung heraus geboren wird, und der Respekt der Regierungen vor Abgeordneten, deren Wähler mit dem Zettel in der einen und dem Knüppel in der anderen Hand an die Urne marschiert sind, wird nicht groß sein. Will man aber ven Eindruck auf das Ausland ermessen, so braucht man sich nur zu er innern, welche Empfindungen wir haben, wenn wir von Wahl exzessen in Ungarn oder Irland oder Sü v am e ri ka lesen. Nein, die beste Antwort auf die Pöbelelen der Sozialdemokratie ist der Stimmzettel. Wenn die bürgerlichen Parteien, erbittert über die brutale Terrorisierung durch die Sozial demokratie, zum mindesten bei den Stichwahlen geschlossen zusammengehen und wenn sie dadurch die Zahl der sozia listischen Mandate abdrücken, wenn also die Sozialdemokraten sehen, daß sie mit ihrem Terrorismus herzlich schlechte Ge schäfte machen,hso werben sie bei künftigen Wahlen schon von selbst von dieser Tallik abgehen. Man braucht also nur den Schlußsatz der „Freisinnigen Ztg." „je mehr die sozialistische Partei anwächst, desto gewalttätiger geht sie vor", umzu wandeln in „je mehr die sozialistische Partei dezimiert wird, desto bescheidener wird sie iu ihrem Benehmen werden." Abg. vr. Barth, der Führer der „Freisinnigen Vereinigung", hat be kanntlich in Kiel zur Einführung der Kandidatur seines Parteigenossen unlängst sein bekanntes Mauserungslied ge sungen. Mit welchem Erfolge, ergibt sich aus der folgenden Zusammenstellung in der „SchleSwig-Holstcinischen Volks zeitung": Aus dem Text eines von den Kieler Freisinnigen jedem ein zelnen Wähler brieflich zugestellten Flugblatts: Sie werden dringend gebeten, am Dienstag, den 16. Juni, Ihre Stimme abzugeben. Nur wenn jeder Burger unserer Stadt das Wahlrecht ausübt, kann der Sieg der Sozialdemokratie verhindert werden. Die Sozialdemokraten ver weigern alle Mittel zur Erhaltung des Staates und seiner Wehr kraft; ihr Ziel ist der Kom munismus, in dem alles Privateigentum aufhört. Jeder fleißige Arbeiter, jeder strebsame Handwerker und dec sparsame Bürger wird dagegen sich sträuben, und einen Mann wählen, der die Sozialdemo kratie bekämpft, aber für den Mittelstand eintritt und gegen jede Verteuerung der Lebens mittel ist. Ein solcher ist der von der freisinnigen Partei ausgestellte Kandidat, Konsul Diederichsen. Herrn vr. Barth geht es also in Kiel ebenso, wie eS Herrn Basser mann in vielen Wahlkreisen geht, in denen die nationalliberalen Wablcomil^s das Festhalten ihrer Kan didaten an dem Z 2 des Jesuiiengelctzes rühmend bervorbeben. vr. Barth kann sich also mit dem von ihm so scharf be kämpften Bassermann trösten. Den Wählern aber, denen Kandidaten „von der Farbe Barth" empfohlen werden, ist dringend zu empfehlen, sich diese Kandidaten genau darauf anzuseben, ob sie zu den Barihichen MauserungSgläubigen ober zu den Kieler Mauserungsungläubigen gehören. Des Teufels Wert. Die klerikale „Berits" Hal früher schon einmal dargelegt, daß der Teufet selbst die „Verfolgung", die augenblicklich über die katholische Kirche in Frankreich hereingebrochen sei, ins Werk gesetzt habe und noch immer führe und schüre. Der Leiter des ultramontanen „Univers", Pierre Veuillot, der Nachfolger seines berühmten Bruders Louis Veuillot an diesem Blatte, führt denselben Gedanken aus, indem er schreibt: „Wenn der Kampf mit solcher Wut und solcher Verblendung entfesselt ist, gegen die Religion und gegen Gott selbst, so kommt dies daher, daß der Geist Satans in Wirklichkeit den Ansturm führt. Frankreich ist heute das Opfer eines Ueberjchäumens höllischer Wut, daran ist nicht zu zweifeln, und unsere Verfolger sind nur, bewußt oder nicht, die Werkzeuge des bösen Geistes. Gegen eine solche Armee, die von einer über den menschlichen Kräften stehenden Macht unterstützt wird, genügen unsere Intelligenz und unsere Arme nicht. Unserer Schwäche überlassen, würden wir vernichtet werden. Wenn wir aber Gott bitten, mit uns zu kämpfen, so werden wir siegen. Gott wird durch unsere Hände seinen ewigen Feind zu Boden werfen." Es fehlt jetzt nur noch, so schreibt man der „Köln. Ztg." aus Paris, raß die Theologen des „UniverS" sestslellen, ob der böse Geist dem Ministerpräsidenten Combes persönlich in den Leib gefahren ist, ob dieser, wie der theologische Fach ausdruck es nennt, „okstzssus" ist, oder ob er ihn und die radikalen Parteihäuptlinge nur als feine Helfershelfer vor schiebt, d. h. ob diese theologisch gesprochen nur „circum- 8688i" sind. Schade ist es, daß Leo Taxil sich durch seine zynische Selbstentlarvung um allen Kiedit gebracht hat, er würde sonst gewiß ganz genau mit Namen, Rang und allen seinen Titeln den oder die Teufel bestimmen, die beuer in Frankieich den nicht ermächtigten Mönchen und Nonnen daS Leben so sauer machen, daß die ganze Küche darüber sich so arg bedrängt und bedroht fühlt. Jedenfalls muß es aber ein ganz hoher und mächtiger Teufel sein, der diesmal Frankreich zum Opfer seiner höllischen Wut auserkoren hat. Denn was ist nicht alles schon gegen ihn mobil gemacht worden, von den Heugabeln der Bretonen bis zu den Rosenkränzen, die ein ungenannter General, der auch zu der Schärfe seines eigenen irdischen Degens gegen ihn kein Vertrauen hat, seit Jahr und Tag bei Freunden und Bekannten sammelt, um Frankreich von ihm zu erretten. In der „Croix" kündigt dieser General beute an, daß die vorige Woche ihm wieder 150 623 tägliche Rosen kränze eingcbracht habe und deren Gesamtzahl damit auf 23 076 512 gestiegen sei. Und der Teufel ist noch immer siegreich am Werke! Da versteht man es schon, wenn der Jesuitenpater Coubs predigt, daß Beten allein nicht helfe und zu dem Rate kommt: Schlagt dreinl Aber umso weniger versteht man, daß der liebe Gott diesen gefährlichen Teufel, der nun über ein Jahrhundert schon in Frankreich so viel Unheil anstiftet, nicht endlich einmal dauernd un schädlich macht. 6lreat«r Lrttnln. Die beiden ausschlaggebenden britischen Staatsmänner sind, wie der Verlauf der vorgestrigen UnterhauS-Debatte gezeigt hat, und wie wir schon andeuteten, im wesentlichen einer Meinung in der Frage der künftigenZollpolitik des britischen Reiches, die gegenwärtig im Vordergründe des politischen In teresses steht. Schon einmal haben sich zwei britische Staats männer kurz nacheinander Uber diesen Punkt geäußert, der Schatz kanzler HickS Beach anläßlich der Einführung des KornzolleS, und sein Nachfolger Ritchie, als er im April d. I. bei Gelegen heit seines Finanzexposss die Entbehrlichkeit des Kornzolls statuierte. Damals fckien es, als sollte das System deS Frei handels unangetastet bleiben. Indessen konnte nicht unbeachtet bleiben, daß der Gedanke eines engeren Anschluffes der britischen Kolonien an das Mutterland, den zunächst Mr. Chamberlain in die Politik des Tages gebracht hatte, nicht nur von dem Kolonialsekretär selbst bei jeder Gelegenheit auf das nachdrücklichste vertreten wurde, sondern auch tatsächlich im Mutterlande und in der Mehrzahl der selbständigen Kolonien immer mehr Boden gewann. Ebenso war man aber in Eng land davon überzeugt, daß das Ziel einer höheren politischen Reichseinheit nicht erreicht werden konnte, ohne daß vorher ein engerer wirtschaft licher Zusammenhang der einzelnen Gliedstaaten deS Reiches geschaffen würde, ein Zustand, der in seiner natür lichen Entwicklung und Wirksamkeit allmählich von selbst zu einem engeren staatlichen Verbanve ver Kolonien mit dem Mutterlanre führen müßte. Durch die Erklärung Lord Balfours ist nunmehr die Basis geschaffen, auf der sich diese zweifache Reforni des gesamten britischen Staatswesens voll ziehen kann. Was die Beurteilung der veränderten Sach lage betrifft, so müssen diejenigen Großhandelsstaaten, die aus dem Weltmärkte mit England in naher Berührung stehen, riese Entwickelung der Dinge fest im Auge behalten. Was heute in England geplant wird, darf zwar als ein Sieg des SchutzzollsystemS angesehen werden, immerhin aber erscheint die Sachlage ernst genug, und daS deutsche Reich wird durch Ergreifen wirksamer Gegenmaß regeln der sich vorbereitenden Umgestaltung deS Verhältnisses Englands zu seinen Kolonien und zum ÄuSlande Rechnung tragen müssen. — Zur Sache meldet man uns noch: * London, 30. Mai. (Telegramm.) Ja einer in Oxford gehaltenen Rede erklärte Sir Edward Grey, die Vorschläge Chamberlains würden den Zusammenbruch der Wohlfahrt Englands und den Untergang des Reiches bedrntru. Deutsches Reich. LH Berlin, 29. Mai. (Doktrinarismus in den politischen Parteien.) Etwa bis 1848 gab es in unserem politischen Leben nur den einen Gegensatz: liberal und konservativ. Schon damals aber bestand ein Unterschied zwischen Gemäßigt-Liberalen und sogenannten Entschieden-Liberalen oder Radikalen. Von den letzteren mußten die ersteren öfters hören, sie seien AbtMnnige oder Volksverräter. Mit 1848 trat ein neuer Zielpunkt politischer Bestrebungen in den Vordergrund: der nationale. Es gab nun im liberalen Lager zwei Richtungen: die eine, die dem nationalen Ziele, wenn eS nicht anders ging, das liberale unterordnete, und eine andere, die selbst von einem einigen Deutschland nichts wissen wollte, wenn es nicht genau nach ihrer Schablone zugeschnitten wäre. Damals wurden die, welche einen monarchisch-konstitutionellen Bundesstaat anstrebten, als Reaktionäre dem Volke denunziert. Später widerfuhr der nationalliberalen Partei dasselbe Schicksal; sie wurde des Abfalles vom Liberalismus beschuldigt, weil sie, wo es galt, einen nach vielen Seiten bedeutenden Fortschritt zu erreichen, gewisse Unvollkommenheiten dieses oder jenes Gesetzes mit in den Kauf nahm. Auch damals, als die nationallibcrale Partei aus höheren Rücksichten auf die Wehrhaftigkeit und die Sicherheit Deutschlands für das sogenannte Militärseptennat stimmte, d. h. für eine Bewilligung der Friedensstärke auf sieben Jahre, statt, wie die „wahrhaft" liberale Partei wollte, auf drei oder auf ein Jahr, wurde sie des Abfalles vom Liberalismus geziehen. Mit Recht sagte eines Tages der Abgeordnete Rickert: „Wenn mein Liberalismus davon abhängig sein soll, ob ich die Friedenspräsenz auf fünf, drei oder ein Jahr bewillige, dann pfeife ich darauf!" Es ist merkwürdig, daß jetzt, wo ein Vertreter der damaligen Fortschrittspartei, wie der Abgeordnete Richter, der für sie den Ruhm der alleinigen Vertreterin und Hüterin Aus vr. Barth's Kieler Rede: Die Sozialdemokratie hat be sonders ilre utopischen Träumer eien von einer gewaltsamen revo lutionären Umwälzung tatsächlich längst aufgegeben. Sie ist heute eine Partei der politischen Evo lution geworden. Auch der Kollektivismus —wenngleich der Hauptpunkt ihres alten politischen Programms — spielt heute sür die praktische Politik io gut wie gar keine Rolle mehr. Nur bei hohen sozial- demokratijchen Kirchensesien wird gelegentlich noch einmal von der alleinseligmachenden Kraft des Kollektivismus gesprochen, sür Len politischen Alltag spielt das Dogma keine Rolle mehr. Feuilleton. Mr. Trunnell. Seeroman von I. Hains. Nachdruck verboten. Der kleine Mann schaute dem andern furchtlos ins Auge, warf feine breiten Schultern zurück und stand da wie einer, der schon oft mit gefährlichen Menschen zu tun gehabt hat und mit ihnen fertig zu werden weiß. Da bei aber blieb er sich seiner Stellung bewußt und hütete sich, zu weit zu gehen. Wohl war er innerlich erregt, das sah man an dem unablässigen Zittern der silbernen Ohr ringe, die er trug, ob aber infolge der Worte Kapitän Lhompsons, oder infolge des genossenen Alkohols — wer konnte das wißen? Der Schiffer sah ihn scharf an, dann lächelte er. „Sie sind ein tüchtiger kleiner Kerl", sagte er, „manch mal aber wohl ein bißchen schwer von Begriffen, he? Hab' ich nicht recht, was? Wissen nicht immer gleich, welchen Kurs zu steuern, he? Schadet aber nichts; mit meiner Hülfe werden Sie dieses Schiff wohl glatt über See bringen. Was ist der da?" Er deutete auf mich. „Das ist Mr. Rolling, der zweite Steuermann; haben Sie ihn denn nicht auf dem Comptoir getroffen? Hat gestern abend erst angemustert." ,-Ach so, ja, ja, ich weiß. Ich denke, Mr. Rolling, Sie wissen, was man von Ihnen erwartet. Ich lasse meinen Steuerleuten auf See völlig freie Hand. Können Sie den Ort des Schiffes bestimmen und den Kurs ausrechuen?" Ich bejahte dies, und obgleich mir das unseemännischc Wesen des Mannes keineswegs gefiel, so vernahm ich doch mit Freude, daß er seinen Steuerleuten auf See völlig freie Hand zu lassen gewillt war. Sollte er einer von den schlimmen Schiffern sein, im letzten Moment von den Agenten engagiert, dann war es nur zu wünschen, daß er für sich blieb und seinen Offizieren die Leitung des Schiffs dienstes überließ, wie das ja auch auf allen erstklassigen Schiffen Gebrauch zu sein pflegt. Der junge Mensch, der mit ihm gekommen war, sah mich, während der Kapitän redete, mit seinen Hellen blauen Augen ganz seltsam an; das Gespräch schien ihn zu bc-, lustigen; denn er lächelte sortwährend ganz vergnügt. „Wie ich sehe, ist alles klar und fertig", fuhr der Kapitän fort. „Ich werde daher, bis mein Gepäck an Bord kommt, zu Bett gehen. Diesen jungen Mann stelle ich unrer Ihre Obhut, Mr. Trunnell; er soll hier als dritter'Steuermann fungieren. Jetzt geht er an Land, um nach den Koffern zu sehen. Lassen Sie mich wissen, wenn die Mannschaft an langt; ich warte dann auf niemand mehr und gehe un mittelbar darauf in See. Geben Sie dem Schlepper die Trosse, damit hernach keine Verzögerung mehr eintreten kann." Damit begab er sich in die Kapitänskajüte und wir sahen während der nächsten Stunden nichts mehr von ihm. Der junge Mensch ging in die Stadt zurück und brachte eine halbe Stunde später in einer Droschke einen Koffer, der in die Kapitänskajüte geschafft wurde. Der Schiffer hörte das Geräusch und befahl, ihn unter keinen Umständen wieder im Schlafe zu stören, ehe das Schiff sich auf hoher See befände. „Wenn ich aufstehen und mich selber nm die Sache kümmern muß, dann wird einer den Schaden davon haben", sagte er mit drohender Stimme. Mr. Trunnell aber war es nichts weniger als unlieb, ihn allein lasten zu dürfen. Um fimf Uhr morgens kam der Heuerbaas mit der Mannschaft, neunzehn Matrosen, von denen kaum die Hälfte englisch verstand. Ich begab mich nach vorn und durchsuchte ihre Seekisten und Säcke nach Schnaps und Waffen, nahm das Gefundene in Beschlag, und trieb dann die nicht völlig Betrunkenen zur Arbeit an; die andern ließ ich ihren Rausch ausschlafen. Auf der Werft hatte sich mittlerweile eine kleine Schar Menschen angcsammelt, um das Schiff abfahren zu sehen. Der Tag war noch nicht angebrochen; ich hatte auf dem Vordeck und auf der Back zu tun, von dem, was mitschiffö vorging, konnte ich in der Dunkel heit nicht viel gewahren. Mr. Trunnell brüllte dem Schlepper zu, die Fahrt zu beginnen, und bald setzte das Schiff sich in Bewegung, um das Dock zu verkästen. Da drängte sich hastig ein Mann durch die Zuschauer, schwang sich mitschiffs auf die Reeling und von dort an Deck. Er schaute zuerst unschlüssig achteraus, wo Mr. Trunnell das Kommando führte, dann aber kam er nach vorn. Ich rief ihn an und verlangte zu wissen, wer er sei und ivas er wolle; er teilte mir in schnellen Worten mit, daß er der zwanzigste Mann der Besatzung sei und bet einem Haar zurückgelasscn worden wäre. „Was?" entgegnete ich. „Und Ihr habt Eure Advanz in der Tasche?" Ich mußte lächeln bei dem Gedanken, daß kein Hahn danach gekräht hätte, wenn er mit dem Gelbe ruhig an Land geblieben wäre. Advanz wird die doppelte Monatsheuer genannt, die jeder Seemann bei der Anmusterung im voraus aus gezahlt erhält. „Ich bin kein Durchbrenner", entgegnete er; „wenn ich anmustere, dann komme ich auch an Bord. Ich habe noch kein Schiff auch nur um einen Sixpence betrogen." „Höchst merkwürdig", sagte ich höhnisch; der Mann hatte aber solch ein. ehrliches und offenes Gesicht, daß diese Aeußerung mir sehr bald leid tat. Er war noch jung und hatte jedenfalls noch zu wenig Erfahrungen in Bezug auf Schiffe gemacht, sonst wäre er wohl nicht so gewissenhaft gewesen. „Steht da nicht und gafft", gebot ich ihm, „sondern macht Euch fertig zur Arbeit. Verstaut Eure Sieben sachen im Logis; wo habt Ihr Euren Sack?" ,Hch besitze keinen", antwortete er. „So. Dann springt hinauf und helft das Großmars- scgel losmachen. Donnerwetter, Mann, steht da nicht wie ein Latcrnenpfahl!" Er blickte einen Augenblick wie wirr um sich, dann lief er den Fockwanten zu. ' ,Hier, du dummer Deubel!" brüllte ich ihn an. „Wo willst du hin? Kannst du bei einem Schiff nicht vorn und hinten unterscheiden?" Der Mann trat an mich heran. „Nehmen Sie's nicht übel", sagte er bittend und leise, „ich bin noch niemals vor dem Mast gefahren, immer nur als Koch oder Steward —" „Ha, du Lumpenhund!" schrie ich in höchstem Acrger, „und trotzdem hast du dich als Vollmatrosen anmustern lassen?" Er nickte stumm. „Dann soll mich der Teufel holen, wenn ich nicht einen Seemann aus dir mache, ehe du hier wieder von Bord gehst!" rief ich. Mein Zorn wird entschuldbar erscheinen, wenn ich sage, daß, wie mir schon jetzt klar geworden war, der größte Teil der übrigen Matrosen ebenfalls soviel wie nichts von der einfachsten Decksarbeit verstand, so daß die Hauptlast aller Arbeit auf den Schultern der wenigen wirklichen, Seeleute ruhen muhte, so lange, bis wir dem andern Gesindel etwas Seemannschaft beigebracht hatten. Die Mehrzahl der Leute war so wertlos und unbrauchbar, daß ich mit Grauen daran -achte, wie es werden sollte, wenn das Wetter plötzlich umschlug und die Marssegel dichtgerefft werden mußten. Wohl führte der „Pirat" doppelte Marsraaen vorn und achtern und hatte auch sonst alle modernen Einrichtungen zur Handhabung der Segel, allein seine Raaen waren ungeheuer lang, so daß schon bei gutem Wetter mindestens sechs Mann nötig waren, wenn es galt, eins der Untersegel festzumachen. Der junge Mann stand verlegen und ganz gedrückt, während ich die Schale meines Zornes und meiner Ver achtung über ihn ausgoß; endlich hieß ich ihn achteraus gehen und zugrcifen, wo es etwas zu reißen gäbe, und so faßte er mitschiffs die Brassen mit an. Mr. Trunnell stand an der Brüstuug des Quarterdecks und komman dierte mit mächtiger Stimme, ohne nur im geringsten des dritten Steuermannes zu achten, der sich immer in seiner Nähe hielt. ' Der Hafen lag bald hinter uns, und da der Lotse sich auf dem Schlepper befand, so hatten wir einfach die Tröste loszuwcrfen und Kurs zu segeln. Alle Segel wurden gesetzt und die Raaen so gebraßt, daß die sanfte, südliche Brise uns beinahe gerade vor sich hertrciben konnte. Die Schlepptrofse klatschte ins Master, der kleine Dampfer gab seinen Abschiedspfiff und wendete sich dann zurück, der aufgehenden Sonne zu. Zweites Kapitel. Ich habe bereits hervorgehobcn, -aß der „Pirat'" keine Mustermannschaft an Bord hatte. Nachdem wir, Trunnell und ich, die Leute unter uns geteilt hatten — zehn wurden für die Backbordwachc und ebensoviel für die Steuerbordwache abgczählt — nahm ich die inir zu gefallenen Portugiesen und Schweden vor, nm ihnen Verhaltungsmaßregeln zu geben und den Standpunkt klar zu machen. , ... Wenn sie von meinen Morten auch nur herzlich went- verstanden, so wußten sie doch, was ich meinte, als ich ihnen mit einem Tauende und einem Koffecnagel unter die Augen ging und bezeichnende Bewegungen mit diesen Utensilien ausführtc. Viele meiner Leser werde« dies ungehörig und brutal finden, allein, ehe sie ei« Urteil fällen, mögen sic versuchen, eine Hotde Kerl« unter Kommando und im Zaum zu halten, die nicht viel besser sind, als wilde Tiere.
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