Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.05.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190305315
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19030531
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19030531
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-31
- Monat1903-05
- Jahr1903
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.05.1903
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
»dee«. Ll>E tl«». Druck und Berlaq von T. Polz in Leipzig. 87. Jahrgang Str. 273 Sonntag den 3l. Mai 1903. 1.0. e»n avn. ll.L -L7:- ll.101L k-k» Die Wähler aber darauf Hinweisen, in der Passivität gefunden werden SL wirklich annähmen, die Regierung betracht« ihren Untergang als unabwendbar, sich dem Bunde der Landwirte zuwenden würden, da» werden die Hahn, Oertcl und Klapper doch wohl selbst nicht glauben. chavpt-Filiale Dresden: Marteustraße Fernsprecher Amt 1 Str. INS. UarL: »v. «.0. »0. »o. »v. »v. vollständig wir auch beS Kaiser« Abneigung gegen Erneuerung des Kulturkampfes begreifen, so scheint doch ein Führer des Zentrums, und sei er auch ewig vermittelnde Freiherr von Hertling, auf den Händen trug, in seinem Blute geschwommen haben, ehe der monarchische und der nationale Sinn des deutschen Volkes zu kräftigen Regungen erweckt wurdeu. Dann aber kamen diese Gesinnungen zu überwältigend großartigem Ausdruck. Die ReichStagSwahlen des Sommer- von 1878 zeugten für die zunehmende Erkenntnis von der Größe der sozialdemokratischen Gefahr. Nicht etwa das Verlangen nach einem neuen Sozialistengesetze wollen wir begründen mit diesen Reminiscenzen. Die Anhängerschaft der Sozialdemo kratie ist in den seitdem vergangenen fünfundzwanzig Jahren längst über den Rahmen hinausgewachsen, in den man ein Ausnahmegesetz fügen könnte. Aber auS jenen schrecklichen Episoden einer noch nicht allzu weit zurückliegenden gangenheit sollte die Lehre gezogen werden, daß nicht mehr auf Katastrophen wartet, bevor sich zu energischer Ausübung der politischen Rechte rafft. Nicht ein Sozialistengesetz ist heute daS Mittel Ber- man man auf- aegrn daS Anwachsen der Sozialdemokratie, sondern Wahlbetei ligung de- gesamten Bürgertums, Vergessen kleinlicher Gegensätze oder persönlicher Verstimmungen. Daß eS mit dem Siegesläufe der Sozialdemokratie ein jähes Ende haben würde, sobald sie einmal im Reichstag eine wirklich gefährliche Stärke errungen hätte», darüber ist sich jedermann einig. Ebenso klar sollte man aber auch erkennen, daß das Experi ment gefährlich ist. Jeder Sozialdemokrat mehr im Reichs tage ist eine Vermehrung der Gefahr. Schon in den Ob- struktionSkämpfen de« letzten Winters hätten nicht Vie furcht baren Skandale entstehen können, zählte nicht die Fraktion der Sozialdemokraten nahe au 60 Mitglieder. Können nach den jetzt bevorstehenden ReichStagSwahlen die Sozialdemokraten wiederum auf ein Anwachsen der für ihre Kandidaten ab gegebenen Stimmen Hinweisen — mehr als zwei Millionen sind eS bereit- da- letzte Mal gewesen —, so ist schon da- ein zugkräftige- AgitationSnuttel nicht nur für die im Herbst stattfindenden Landtagswahlen, sondern auch für die ganze Folgezeit. Von den politisch wirtschaftlichen Motiven, die den einsichtigen Wähler zum Kampfe gegen die Sozialdemokratie führen müssen, ist in diesen letzten Wochen zur Genüge die Rede gewesen. Den Appell an die monarchische und die nationale Gesinnung ver binden wir mit dem Hinweis auf da« Andenken Kaiser Wilhelms I. heute auch deshalb, weil gerade ein sozial demokratisches Organ diese edle Gestalt neuerdings herab- zuzerren versucht hat. Es mag sein, daß eS etwas zu viel deS Guten »ist, wenn Senat und Bürgerschaft für die Feste bei der Enthüllung de- Hamburger Wilhelm-Denk mals nahezu eine Viertelmillion auSgebea wollen. Da- ent schuldigt aber nicht im mindesten die Rohheit, mit der ein Sozialdemokrateublatt die Sparsamkeit und Schlichtheit de alten Kaiser- verhöhnt und die welthistorischen Verdienste deS bescheidensten aller Monarchen leugnet. Sozialdemokraten sollten überall zu klug sein, in Zeiten der ReichStagSwabl die Gefühle der Dankbarkeit, mit der unser deutsche- Volk an dem Kaiser hängt, dessen treuer Diener gewesen zu sein der große BiSmarck als seinen schönsten Ruhm bezeichnet hat, — diese Dankbarkeit auf die Probe zu stellen. Wie vor fünf undzwanzig Jahren, so würde auch heute, wenn eS darauf ankäme, für ihn das Volk zeugen. Mil Bedauern müssen wir auch heute wieder auf Symptome der Zers plitterung unter den bürgerlichen Par teien Hinweisen. Es bat ja nicht viel zu bedeuten, daß, wie vor Wochen die Radfahrer, nun auch die Gärtner ihren besonderen Wahlaufruf erlassen. Dem Zentrum soll eS unbenommen sei», im Elsaß und in Baden neben dem allgemeinen Aufruf der Partei noch besondere Pronunzia- mentoS loSzulassen. Aber tadelnswert, weil unmittelbar die Solidarität der großen bürgerlichen Gruppen schädigend, ist der Aufruf de-Bunde- der Landwirte. Wohl begiunt auch er mit dem KampfeSrufe gegen die Sozialdemokratie. Aber indem er auf die agrarische Auslegung de« Gedankens, daß eine nationale Wirtschaftspolitik der einzige Weg zum Erfolge sei, da« Schwergewicht legt, schwächt er die national monarchische Parole der politischen Parteien. Die Mobilmachung gegen Großbetriebe, Warenhäuser, für einseitige Erhöhung der landwirtschaftlichen Zölle reißt auseinander, wo mühsam Ver bindung geschaffen worden ist. Wem, außer der Sozial demokratie, bringt «S Nutzen, weun di« längst widerlegte Behauptung wiederholt wird, Graf PosadowSky verneine Berechtigung und Möglichkeit der Existenz für den Mittel stand? Mau erinnere sich des furchtbaren Haffe-, den gegen den Staatssekretär des Innern die Sozialdemokraten im Reichstage gezeigt haben, weil er in der Leitung der Wirtschaftspolitik beute ohne Frage die stärkste Kraft innerhalb der Regierung ist. Hätte er wirklich die Ansicht, daß der Mittelstand unrrttba, zu Grunde gehen, da- heißt Proletariat werden müßt«, so wäre eine Regierung, die ihm hohe Aemtrr läßt, nicht zu rechtfertigen. Ein Verein, ber sich, wenn es ihm in den Kram paßt, gern besonder- monarchisch gibt, sollte derartige Ungereimtheiten vermeiden, die schließlich auf nicht- al- aus di« Aushetzung bisher nicht-sozialdemokratischer Kreise hinaus- komme«. Dean daß di» Wähler de- Mittelstandes, wenn sie Haapl-FMale Lerlin: Earl DuuSer, Herzgl. Bayr. -osbnchhandlg^ Lützowstraße 10 Fernsprecher Amt VI Nr. -60-, Redaktion und Lrpeditüm. Johanni-gaffe 8. Fernsprecher ISS «end SW. FUlalevp-httl»»»«: Alfred Hahn, vuchhiurdlg« Unwersttät-str.S, L. Lösche, Katharinenstr. Ich «. S-utg-pl. 7. l.0. l.0. ».o. t«) «.v. l.v. »v. w.Op.«6 w-OhLb t.0. l.0. i.v. Aus der Woche. In einer seiner letzten Kampfe-reden hat der unga risch« Ministerpräsident für sich da- Verdienst in Anspruch genommen, daß er, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem Land« reine Wahlen hab« zu Teil werden lassen. Für einen ungarischen Staatsmann ist da- in der Ta» eia Ruhmestitel, wenn man erwägt, in welchem Grade die Regierungen solcher Staaten, in denen große Massen der Bevölkerung politisch nicht über nationalistische Instinkte hinau-kommen, den Be amtenapparat bei den Wahlen zur Volksvertretung spielen lassen. In einem anderen Sinne trachten der deutsche Reichskanzler und seine Mitarbeiter nach dem Ruhme, dem Volke die Rein heit der ReichStagSwahlen verbürgt zu haben. Sie hüten sich ängstlich, irgend etwas vernehmen zu lassen, wa- einer Wahlparole auch nur von weitem ähnlich sehen könnte. Seitdem der Schluß der ReichStagSarbeitrn sie deS Zwange- enthoben hat, gelegentlich ihre Ansicht von den schwebenden TageSfragen, wenn auch schüchtern, anzudeuten, hört man von ihnen garnichtS mehr. An eine Erschütterung deS Reiche- durch die partikularistischen Exzesse bayerischer Klerikaler haben alle ernsten Politiker viel zu wenig geglaubt, al- daß der Berliner Besuch deS Freiherr» v. Podewil- und die Versicherung, zwischen Bayern und Preußen seien keine Verstimmungen zu beseitigen, al- erhebliche- Ereignis be trachtet werden lönnte. Wir wollen dem Grafen Bülow, der an den Folgen seiner Jesuitenzusage selbst genug haben wird, nicht Zutrauen, daß er an wahlpolitische Anregung ge dacht habe, als er dieser Tage durch die „Nordd. Allg. Ztg." die spottenden Bemerkungen de- Kaisers über den Schmuck für den Berliner Dom verbreiten ließ. Unsere Regierungen müssen sich rin große« Maß von Schuld daran beimeffen, daß in ihren Befürchtungen die evangelischen Kreise so weit gekommen sind, derartige Abstrusitätrn für möglich zu halten. So eine uns der nicht der geeignete Ueberbringer zu sein für das Mahuwort; „Wir können uns doch nicht, wie unsere Altvorderen vor hundert Jahren, über die religiösen Gegensätze die Köpfe ein schlagen; wir müssen doch friedlich mit einander leben". Daß der Kaiser bei diesem Zuhörer mit seiner Mahnung keinen Erfolg gehabt hat, beweist der Schluß der Hertlingschen Rede, mit dem edlen AuSspruche: „E- fragt sich, wer soll am 16. Juni geschlagen sein? Und da sage ich, da soll ge schlagen sein der sogenannte Evangelische Bund!" Nein, sie decürfen wirklich keiner kaiserlichen oder amtlichen Er mutigung, Vie Herren vom Zentrum! E« ist wahrlich genug, daß der Staat ruhig zusieht, wie beispielsweise im Konstanzer Wahlkreise da- Wahlcomiiö deS Zentrums die Geistlichen in den unmittelbarsten Dienst der Zentrums-Propaganda gestellt hat. Da wir somit fürchten müssen, daß eine Regierungs parole eher dem Zentrum, al« irgend einer anderen Partei zu gute kommen müßte, eine Befürchtung, die durch den weisen Ausspruch des Prinzen Alexander Hohenlohe bestärkt wird, so wollen wir über die Schweigsamkeit unserer höchsten Beamten nicht weiter unzufrieden sein. Mögen sie selbst zusehen, wie sie mit einem Reichstage au-kommen, der gewählt wird, ohne daß die Ziele der Regierung scharf und bestimmt kenntlich gemacht worden sind, möchten wir mit nachdrücklichstem Ernste daß für ihre Lauheit keine Entschuldigung von Kanzler und Staat-sekretLreu kann. Mag auch die Klage berechtigt sein, daß uu« heut« wirklich bedeutende Staatsmänner fehlen, so müssen wir doch anerkennen, daß in der Geschichte der ersten drei Jahrzehnte unseres Deutschen Reiche« auch der Gegenwart eine Fülle von Mäterial gegeben worden ist, daS zum Leit stern bei unseren politischen Entschließungen auSreicht. Gerade für den Kampf gegen dir Soz in ldemokratie finden wir in der Vergangenheit Lehren, aus die hinzuweisen schon deSwegeu angebracht ist, weil in diesen Tagen und Monaten zum fünfu nd zwanzigsten Male di« Erinnerung an erschütternd« Momente au- diesem Kampfe wiederkehrt. Wer sie mit erlebt hat, dem sind die Schrrckeustage vom Mai und vom Juni 1878 auch jetzt noch in lebendigster Erinnerung. Auf den Tag ist e» heute «in Vierteljahrhundert, daß dir Schreckenskunde vom Untergang« de» „Großen Kur fürsten" durch die deutschen Land« eilte) di« Gemüter erschüt ternd angrsicht- der großen Zahl kraftvoller Männer von unsrer jungen deutschen Marine, die bei dieser Katastrophe frühen Tod gefunden hatten. Unmittelbar ab«r auf diese- Unglück folgte am 2. Juni 1878 Nobiliugs verruchter Angriff auf da- Leben deS verehrung-würdigen alten Kaisers, gegen den erst weaige Wochen vorher eia glücklicher Weis, erfolglose- Attentat war verübt worden. Noch nach diesem ersten Mordversuche war, allerdings nicht ohne Schuld der Regierung, die öffentlich« Meinung in Fatalismus oder Gleichgültigkeit gegen die sozialdemokratisch« Gefahr befangen "»wese». E« mußt« erst d«r Kaiser» den ganz Deutschland a. o. l.v l.0. l.0. npMtr TaMaü A«zeiger. Amtsblatt -es Höniglichen Land- «rid des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Nates nnd -es Notizeiamtes -er Lta-t Leipzig. Anzeige« Preis die «gespaltene Petitzelle 25 Reklamen nut« dem NebokttonSstrtch (-gespalten) 76 vor den Famtlimmach- richten (6 gespalten) KO H. Dabellarifcher und Ziffernlatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen uad Offerteuannahme SS H (rxcl. Porto). Prinz-Regent Wilhelm und Lassalles Rückkehr nach Berlin. /- Unter der Uebcrschrift„Soz ia ld em okra tische Büberei" teilten wir kürzlich «Politische Tagesschau im Abendblatte vom 28. Mais eine empörende Auslassung der sozialdemokratischen „Münchener Post" über K a t s e r W i l he l m 1. mit, und zugleich einen die Nichts würdigkeit dieser Auslassung scharf beleuchtenden Brief des unvergeßlichen Monarchen an den Fürsten Bismarck ans dem Jahre 1887. Der Zufall fügt es, daß unmittelbar nach jener Verunglimpfung PaulBailleu tm Juni- Hefte der „Deutschen Rundschau" eine Abhandlung ver öffentlicht, durch die das Wohlwollen in Erinnerung ge bracht wird, das Wilhelm I. seinerzeit dem sozialdemokra tischen Idole, Ferdinand Lassalle, bewiesen hat. Batlleu nennt seine ausschließlich auf bisher unbc» kan-nten handschriftlichen Materalien beruhende Skizze „Lassalles Kampf um Berlin." Gemeint sind damit die Bemühungen, deren Lassalle sich unterziehen mußte, um die Erlaubnis zum Aufenthalte in Berlin durchzusetzen. In der preußischen Residenz allein fand er die wissen schaftlichen Hülfsmittel zur Beendigung seines Werkes itber Heraklit — sein Wohnsitz Düsseldorf war um die Mitte der 50er Jahre noch eine kleine, des wissenschaft lichen Lebens entbehrende Stadt. Aber da Lassalle am Vor abend der März-Revolution aus Berlin ausgewicsen war, hatte er trotz seiner wissenschaftlichen Gründe für die Rückkehr nach Berlin große Schwierigkeiten bet den Be hörden zu übeiWinden. Allerdings war ihm durch den Polizeipräsidenten v. Hinckeldey Anfang 1855 ein kurzer Aufenthalt in Berlin zum Zwecke des Empfanges eines größeren Kapitals für die Gräfin Hatzfeldt gestattet worden, und Lassalle hatte bei dieser Gelegenheit die per sönliche Bekanntschaft Oinckeldeys gemacht. Doch ein langes Gesuch an den Polizeipräsidenten, ihm zur Beendi gung seiner Heraklitstudien die Niederlassung in Berlin zu erlauben, wurde kühl abgelehnt, ebenso etwas später die Bitte um eine Aufenthaltserlaubnis für 12 bis 15 Monate. Lassalles Vater, die Gräfin Hatzfeldt und andere bemühten sich daraufhin, für Lassalle die ersehnte Genehmigung dnrchzusctzcn. So wurde der Boden für einen neuen Versuch Lassalles geebnet. Hinckeldcys Nach folger, Frhr. v. Zedli tz-N eukirch, erteilte dem „Parti kulier" Lassalle „behufs des Gebrauches einer Augenkur und Herausgabe des von ihm verfaßten Werkes über Heraklit die Erlaubnis zu einem längstens sechs monatigen Aufenthalte" in Berlin. Auf die wissenschaft liche Ausnützung dieser Aufenthaltserlaubnis durch Lassalle kann hier nicht eingegangen werben. Abseits von aller politischen Wirksamkeit, blieb Lassalle wegen seines regelmäßigen Verkehrs mit Franz Duncker und der „Volkszeitung" dem Minister des Innern, Herrn v. W est - phalen, unbequem und verdächtig. Infolgedessen wurde eine Prügelet zwischen Lassalle und dem Jntendanturrat Fabrice, der durch Lassalle sich beleidigt gefühlt hatte und mit einer Duellfordcrnng abgcwiesen war, zumAnlatz, den Ausweisungsbefehl gegen Lassalle zu erneuern. Lassalle versuchte alles Mögliche, was die Zurücknahme der Aus weisung hcrbeiführen konnte; endlich entschloß er sich — am 15. J^rni 1858 — zu einer Eingabe an den Prinzen von Preußen, den Stellvertreter des Königs. Lassalles Eingabe, die in kleinem Druck vier Seiten füllt, wurde im üblichen Geschäftsgänge dem Minister des Innern, von diesem dem Polizeipräsidenten zur Bericht erstattung überwiesen. Freiherr v. Zedlitz hielt den Aus weisungsbefehl aufrecht, indem er auf Lassalles Verkehr mit der „Volkszeitung", sowie darauf hinwtes, daß Lassalle sich über den König — wie Fabrice behauptete, „in in famster Weise" — ausgesprochen, die Stellvertretung des Prinzen Wilhelm als gesetzwidrig bezeichnet und die Not- Wendigkeit einer blutroten Revolution hervorgehoben hätte. Der Minister des Innern trat diesem Berichte voll ständig bei und unterbreitete dem Prinzen den Entwurf zu einer KabinettSordre, die Lassalles Eingabe kurziveg ab- Möglich beschicd. Prinz Wilhelm jedoch ver- mißte für die Anklagen beS Polizeipräsi denten den Beweis; ohne auf die Eingabe un mittelbar zu antworten oder das in ihr ausgesprochene Audienzgesnch Lassalles zu berücksichtigen, erklärte er schließlich zwar die Ausweisung Lassalles für „an sich voll- kommen gerechtfertigt", deutete aber doch an, daß man er wägen möge, ob seine Duldung in Berlin sich nicht viel leicht aus Zweckmäßigkeitsgründen empfehle. Die Andeu tung verstand der Minister nicht oder wollte sie nicht ver stehen, Lassalle wurde ausgewicsen und auf die Ankündi- gung, baß er im Herbste nach Berlin zurückkehren werde, mit der Anweisung versehen, sich binnen 24 Stunden beim Polizeipräsidenten zu melden. Als Lassalle am 14. Oktober wiederkam, fand er ein anderes Berlin, ein andere- Preußen vor. Prinz Wilhelm hatte die Regentschaft ange- treten, Herr v. Westphalen ivar entlassen. So erhielt Lassalle vom Polizeipräsidenten die vorläufige Erlaubnis zum Aufenthalte, unter der Bedingung, daß er sich poli tischer Tätigkeit enthalte. Alle vier Wochen zur Erneue- rung seiner Aufenthaltskarte verpflichtet, bemichte sich jetzt Lassalle um die Erlaubnis zu dauerndem Aufenthalte, Minister Flottwell ließ dieEntscheidung darüber in der Schwebe, seinNachsolger aber, Graf v. Lchwerin, befür wortete sie beim Prinz-Regenten, dem die endgültige Ent- scheidung anhciingestellt wurde. Der Geist der „neuen Aera", verkörpert im Prinz-Regenten, überwand auch im Falle Lassalle das alte Polizciregiment; am 7. November 1850 gestattete Wilhelm die dauernde Niederlassung Lassalles in Berlin. All' das konnte freilich die „Münchener Post" nicht wissen. Wirb aber da- führende Blatt der bayerischen Uo-talbemokratie nunmehr fein nichützwürdigeS Urteil Extra-Beilagen (grfalzth »ar mit der Morgen-Au-aabe, ohne Postbesörderml- 60.—, mit Postbrförderuug 70.—. Annatuneschluß für Anzeigen: Abe»d-Au-gabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgeu-Au-gabe: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- nnuntrrbrocheu geöffnet von früh 8 bis abend- 7 Uhr. über Kaiser Wiblhclm I. ändern und berichtigen? Jeden falls würde dies gegen die Praxis der sozialdemokratischen Presse verstoßen, bei ber der Zweck der Verhetzung jedes Mittel heiligt. Deutsches Reich. 6. ll. Berlin, 30. Mai. (Au« dem anarchistischen Lager.) Die Anarchisten haben eine Art Wablflugblatt herauSgegeben; die letzte Nummer ve- anarchistischen Organ- „Neue- Leben" entkält nämlich eine die erste Seite füllende Zeichnung mit der Ueberschrist: „Mitbürger, auf zur Wahl." Die Zeichnung stellt eine lange Reibe von Ochsen vor, die zu einem Berge ziehen, auf dem eine große Wahl urne sich befindet. Wenn die Anarchisten glauben, mit dieser Zeichnung die sozialdemokratischen Freunde von der Wahl abzuballen, so befinde» sie sich jedenfalls gründlich auf dem Holzwege. Nicht einmal die eignen Anhänger werden sie von dem Eintreten für sozialdemokratische Kandidaten abhalten. Vielleicht wird da- auch gar nicht einmal beab sichtigt. Au« derselben Nummer deS „Neuen Leben" erfährt man, daß die Hoffnung, Deutschland werde einen Teil seiner Anarchisten loswerden, sich nicht erfüllen wird. Der Plan in Brasilien, eine anarchistische Kolonie zu gründen, ist aufgegeben. In den spanischen und den deutschen anarchi stischen Blättern waren längere Zeit über die angeblich zur Ansiedelung überaus geeignete Landschaft Wunder dinge zu lesen, so daß eine Anzahl denlscher An archisten bereits daS Bündel schnürte. Vorsichtiger Weise aber ließ man doch durch amerikanische Genossen nähere Erkundigungen einzieheo. Nun sieht sich Genosse R. Starke, der in der anarchistischen Welt al» Leiter von Sammlungen eine Art Vertrauensstellung bekleidet, zu folgender Erklärung genötigt: „Da eine Anzahl Anfragen betreff- der Kolonie Kosmos in Brasilien an mich ergangen sind und alle schriftlichen Antworten zu viel Zeit beanspruchen, so erkläre ich hiermit, daß die Kolonie Kv-mo- nicht existiert. Nach Meldungen, dir mir zugegangeu sind, ist da- Klima in den Niederungen vom gelben Fieder durch seucht/' Also mit der freiwilligen Auswanderung der Anarchisten ist eS nichts. Wie schade! -e- Berlin, 30. Mai. (Arbeitsbeschaffung für Arbeitslose statt Arbeitslosenversicherung.) Der BreSlauer Nationalökonom Julius Wolf bat 18V6 in der Schrift „Die Arbeitslosigkeit und ihre Bekämpfung" darauf bingewiesen, daß dieArbeil-losensürsorge in erster LinieArdeitS- beschaffung sein müsse. In diesem Sinne bat sich jüngst auch da- Mitglied der Züricher ArbeilSlosenkommission vr. C. A. Schmid in einer Auslassung ausgesprochen, auf welche die „Zeitschrift für Sozialwissenschaft" in ihrer neuesten Nummer aufmerksam macht. Swund ist der Ansicht, daß den heute arbeitslos werdenden Arbeiterkategorien ein Beitrag zu einer Arbeit-- losrnversicherung oder ein Sparzwang nicht zugetraut werden könne, und da- Scheitern der bisherigen Versuche mit einer Arbeit-losenversicherung in Bern, St. Gallen, Basel und Zürich betrachtet Schmid al« für seine Auffassung beweis kräftig. DeSbalb fordert Schmid eine Organisation der Arbeit mit Rücksicht auf die Arbeitslosigkeit. Reine „Not standsarbeiten" sind nicht ausreichend. Dagegen kann durch eine geeignete Verschiebung und Verteilung aller in einer Stadt oder in einem Kanton geplanten Arbeiten ein wirksamer Einfluß auf die Arbeitslosigkeit auSgeübt werden. DaS gilt z. B. von Arbeiten, die in der ungünstigen Jahres zeit ohne technisch-finanzielles Risiko auszusühren sind und demgemäß nicht in der günstigeren Jahre«,eit vorgenommen zu werden brauchen, sondern eine Verschiebung auf die un günstigere Jahreszeit zulassen. Mit der dann noch vor handenen und nicht mehr zu beseitigenden Arbeitslosigkeit hätte sich die Fürsorge für die Arbeitslosen in der Form der Unterstützung zu befassen. — Wir sind mit der „Zeitschrift für Sozialwissenschaft" überzeugt, daß durch Einrichtungen, wie die von Schmid vorgeschlagenen, die Arbeit«losemürsorge verbessert werden kann. Wir möchten aber unserseits hin- ,»fügen, daß SchmidS Vorschlag der Sache nach nicht neu ist. DaS Prinzip der Arbeit-Verschiebung ist nämlich schon eingehend von Stadtrat vr. Flesch-Franksurt a. M. im 11. Jahrgange der „Sozialen Praxis" (Nr. 22 vom 27. Februar 1902) erörtert worden. Flesch will freilich durch ArbeitSbeichaffung für Arbeitslose Mittel« eiurr Ver schiebung von Arbeit nicht die Arbeitslosenversicherung ersetzt wissen, sondern hält die Arbeitslosenversicherung anstatt der Armenunterstützung für notwendig. Berlin, 30. Mai. (Frankreich und da- Pro tektorat über die Katholiken.) DaS „Journal des Däbats" kommt in seiner heute vorliegenden Nummer nochmals auf das Protektorat Frankreich- über die Katholiken im Orient zurück. Der Standpunkt, den da- genannte, zum französischen Ministerium des Aus wärtigen in bekannten Beziehungen stehende Organ dabei einnimmt, verdient deswegen besondere Beachtung, weil er dem Verzichte auf die faktische Ausübung der ProtektoratSansprüche gleichkom mt. Nachdem nämlich da- „JournaldesD-bat-" unter Berufung auf die vatikanische Kund gebung an den Kardinal LangSnirux die formelle Anerkennung der französischen ProtektoratSansprüche durch die Kurie be- hauptet hat, fährt e» wörtlich fort: „Wenn ein Deutscher, der zugleich Katholik ist, durch sein eigene- Land genügend geschützt wird, so daß die Schutzmacht der Katholiken nicht einzuschreiten braucht, wird niemand daran denken, ihm einen supplementären Schutz aufzuerlegen, nachdem ein Bedürfnis sich nicht fühlbar gemacht hat. Niemand aber wird auch die Macht, die al- Schutzmacht der Katholiken berangezogeu und anerkannt ist, d. b. Frankreich, bindern sollen, einen Katholiken de«wegen, weil er zugleich Deutscher ist, zu schützen. Und was für die Individuen gilt, gilt noch mehr für die katholischen Stiftungen. So ist genau die Situation, wir sie au- den traditionellen Privilegien, au« der beständigen Haltung de« Heiligen Stuhle- und an bei, Modifikationen sich ergibt, di« entstaudr» find in allem, wa« di« Macht der virschiid«»«, Staat«», ».o. «.O. »o. »v. »o. »o. t.0. «.o. »v «.o. »««t-v. BezugS-PreiS in der Hanptexpedmon oder der,,, Au-gab». pelle» abgeholt: vierteljährlich ^l S.—, bei zweimaliger täglicher Jufielluua t»S Hau nil -7K Durch dir Post bezogen für Deut ch- land u. Oesterreich vierteljährlich ^tl -.KO, für die übrig«» Länder laut Zeitung-Preisliste.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite