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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020704023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902070402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902070402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-04
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Neclumen unter dem Redactionsslrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familienuach» richten (6 gespalten) SO Tabellarischer und Zissernsap entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenaunahme 25 H (excl. Porio). —E«»' - Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuug SO.—, mit Postbesörderuug ./L 70,—. Iinnalimeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr, Anzeigen sind stets an dse (k^rdition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polj in Leipzig. Nr. 335. Freitag den 4. Juli 1902. politische Tagesschau. * Leipzig, 4. Juli. Zum Capitel von den politischen Generalen schreibt die „Natl. Corresp.": In der Neichstagssitzung vom 30. März 1871 legte Rudolf von Bennigsen den Adressentwurf vor, der, wie üblich an die einzelnen Lätze der Thronrede sich anschlvss, und begründete denselben in grosser historischer Darstellung. Der Bcnnigseusche Entwurf wurde vom Eentrum heftig bekämpft, weil er die Worte enthielt: „Im Verkehr mit fremden Böllern fordert Deutschland für seine Bürger nicht mehr als die Achtung, welche Recht und Litte gewährleisten, und gönnt, unbeirrt durch Abneigung und Zuneigung jeder Nation, die Wege zur Einheit, jedem Staate, die beste Form seiner Gestaltung nach eigener Weise zu finden. Die Tage der Einmischung in das innere Leben anderer Völker wer- d e n, so hoffen ivir, u n t e r k e i n e >n B v r iv a n d e u n d in keiner Form w i e d c r k c h r e n." Gegen 03 Stimmen des Zentrums wurde der Adrcssentwurf vom Reichstage mit 243 Ttimmcn angenommen. — Kurz vorher, am 18. Februar 1871 — genau einen Monat nach der Kaiserproclamation in Versailles, war von der ultra montanen Fraktion im preussischen Abgevrdnetcnhanse eine Adresse an den Kaiser ergangen, welche die Bitte um Wiederausrichtnng der weltlichen Herrschaft des Papstes anosprach. — An diese Vorgänge musste man sich unwillkür lich erinnert fühlen, als dieser Tage bekannt wurde, in welcher Weise der Generaloberst von Loö Veranlassung genommen hatte, im Zusammcnhande mit der Erzählung von seinen vatieanischen Begegnungen, über innere fran zösische Angelegenheiten sich doeirend anszulassen. Mit peinlichster Sorgfalt hat cs die deutsche Diplomatie und Staatskunst im neuen Reiche vermieden, namentlich der französischen Entwickelung gegenüber jemals auch nur den Schein einer Miene anznnelnnen, als mochte sie den Grundsatz verleugnen, zu dem mit dem ersten Kaiser des wieder aufgerichteten deutschen Reiches die überwältigende Mehrheit der gewühlten Vertretung der deutschen Nation sich vor aller Welt bekannt hatte, indem sic erklärte, die Tage der Einmischung in das innere Leben anderer Völker würden unter keinem Vorwande und in keiner Form wiederkehren. Ter Generaloberst von Lol- hat sich an diese Linie vorsichtigen und klugen Verhaltens der amtlichen deutschen Politik nicht binden zu sollen geglaubt. Er hat sich in der Rolle eines politischen Generals gefallen. Die Zeit dieser aber sollte in Deutschlanld nimmer wieder kvmmen. Es ist unvergessen, wie Friedrich Wilhelm IV. wirksamer als durch das verantwortliche Ministcrinm Manteuffel durch die politischen Generale in entscheiden den Fragen bcrathcn wurde. Als aber König Wilhelm I. zur Regierung kam, sprach er sich alsbald mit grosser Ent schiedenheit gegen eine etwa weiterhin vorhandene Neigung politischer Generale ans, Einfluss ans seine Ent schließungen zu gewinnen: „Ich brauche keinen Witzleben", sagte er. Und seitdem haben -die Militärs mit geringen Ausnahmen an sich gehalten und es nach dem Vorbilde Moltke'S unterlassen, sich auf einen anderen Ltandpunet zu stellen, als den, welcher in dem klassischen Anssprnckie des grossen deutschen Lchlachtendcnkers niedergclcgt ist: „Z u N a t h s ch l ä g e n in politischen Fragen i st nur der verantwortliche Staatsmann be rufen." Es darf mit Bestimmtheit gewünscht werden, daß das neuerdings von dem Generaloberst von Loö be liebte Verfahren keine Nachahmung in Deutschland findet. Der Eharakter der Armee könnte sonst leicht verschoben werden, und eine Art von Mißtrauen gegen Lendungen, wie die des mehrgenannten Generalobersten eine war, würde leicht auch dann entstehen, wenn das Gegentheil am Platze ist. Wenn Herr von Loö die Ergebnisse der Urtheils- bildung, die er in Rom gewonnen, seinem Lästerlichen Herrn und dem leitenden deutschen Staatsrnanne nicht vvrenthielt, so war das sein gutes Recht. Vor die katho lische Festversammlung, die sich in Bonn zur Feier des Papstjubiläums zusammengefunden hatte, gehörte sie in unserer Zeit der schleunigsten Verbreitung aller bei be sonderen Anlässen gehaltenen Reden durch den Tele graphen in keiner Weise. Lie gehörten dahin um so weniger, als sic durchaus geeignet waren, die Wirkung der Aachener Kaiserrede abzuschwächen, weil sie die Erinne rung daran wachrufen mussten, dass es gerade das Cen- trum war, welches sich nach der Wiederaufrichtung des Reiches mit dem neudeutschen Grundsätze der Nichtein mischung in das innere Leben anderer Völker nicht ein verstanden erklärte. Ein socialdemvkratisches Blatt in Gießen ist dieser Tage für ein Eartell der Linken bei den nächsten Reichs- tagswahleu eingetreten. In ähnlicher Weise hat letzthin der württcmbergische Abgeordnete Haussmann in der Kammer für einen Zusammenschluss der Linken plaidirt, der sich in erster Reihe gegen das immer reaktionärer werdende Eentru m richten solle. Die „Köln. V.-Ztg." äußert die Besorguiss, dass dieses Eartell wohl für die nächsten Rcichstagswahlen perfeet werden könnte. Das rheinische Blatt schreibt: „Man wird unseres Erachtens in weitem Umfange mit dem „Eartell der Linken" zu rech nen haben und n a mcntli ch ist es uns nicht zweifelhaft, daß dieses Eartell i n e t n e r R c i h e v v n W ahltrei s' e n g e g e n d a s E c n t r u m wirksa m werden wird." An sich ist diese Besorgniss nicht ganz ungerechtfertigt, ob wohl ja der weitaus grösste Thcil der Eentrumsmandate als unbedingt sicherer Besitzstand anzuschen ist. Die Zahl der EcntrumSsitze freilich, welche Freisinnige und Social demokraten bei einer Eoalitivn für sich erobern könnte!', ist nnr gering. Es handelt sich dabei, wenn man das Er gebnis; der letzten Rcichstagswahlen zu Grunde legt, im Ganzen um 5 Wahlkreise, die aber sümmtlich nur der einen der beiden verbündeten Parteien, nämlich der Socialdemo kratie, zufallen würden. Es sind dies die Wahlkreise Reichenbach-Neurode lvvn 1803—08 bereits socialistisch vertreten gewesen), Obertannustreis, Bielefeld, Düssel dorf — hier macht sich ohnehin infolge der Haltung des Centrums in der Zollsrage eine starke Gührung gegen die Partei bemerkbar — und Würzburg. In dem letzterwähn ten Wahlkreise haben zwar die Freisinnigen bei den letzten Wahlen eine eigene Eandidatur nicht ausgestellt, aber sie haben es bei früheren Wahlen bis auf 3000 Stimmen gebracht, die, der Lvcialdemokratie zugesührt, deren Lieg höchstwahrscheinlich machen würden. Weit grö sser würde die Verlustliste des Eentrnms aber sein, wenn die radikalen Parteien, insonderheit die Lvcialdemokratie, sich entschliessen würden, nicht nur selbst gegen das Ecntrum zusammenzubalten, sondern auch andere Par teien gegen das Eentrum zu unterstützen. Dann könnte mehr als ein halbes Dutzend gegenwärtig durch das Eentrum vertretener Kreise der n a t i n a l l i b e r a l e n Partei zufallen, wie der Oberlahnkreis, Forchheim, Immenstadt, Ueberlingen, Freiburg i. Br., Lahr und Offenburg. Ebenso könnte ein gustes halbes Dutzend der bayrischen Eentrumssitze dem bayrischen Bauernbünde anheimfallen, wie Schweinfurt, Neustadt a. d. S., Ingol stadt, Regensburg, Kiyingen u. s. w. Da speciell das bay rische Centrum an agrarischer Gesinnung dem Bauern bunde völlig ebenbürtig ist, so brauchten die Socialdemo- kraten um des Zolltarifs willen keine Bedenken tragen, Ccntrumsleute durch Bündler zu ersetzen. Lo könnten die radicalen Parteien, wenn sie die Parole ausgäben: „Gegen das Centrum!" dieser Partei wohl 15—20 Man date entziehen. Wir möchten aber stark bezweifeln, daß diese Parole, die, wie erwähnt, der Abg. Haussmann neu lich angedeutet hat, Anklang und Durchführung finden wird. Das Centrum ist zwar eine durch und durch reak tionäre Partei, aber eS versteht es ausgezeichnet, sich von Zeit zu Zeit als Hüter der Volksrechte aufzuspicleu. Fürst Bismarck hat einmal das treffende Wort gesprochen. „Man mag einem Franzosen ruhig 25 Hiebe auszählenr wenn man dabei nur gleichzeitig von Freiheit und Brüderlichkeit schwatzt, wird er die Hiebe nicht merken." Dieser Satz gilt auch von unserem deutschen Radicalismus. Tas Centruin mag für die Ic-x Heinze und für jede Beein trächtigung der geistigen Freiheit cintreten; wenn es nur gleichzeitig von Freiheit und Volksrechten spricht, so merkt der deutsche Radicalismus nichts von den Hieben, die ihm versetzt werden. Der Schluss der gestrigen Erklärung des französischen Ministers des Aeutzeren Delcasss in der De- putirtcnkammer über die Erneuerung des Dreibundes lautet nach dem stenographischen Bericht folgendermaßen: „Niemand kann die Anmaßung haben, die Interessen Italiens besser zu kennen als Italien selbst und noch weniger, ihm die Richtschnur vorzuzeichnen, darüber, was seine Interessen ihm vorzuschreiben scheinen. Aber ebenso wird Niemand überrascht sein darüber, dass wir, als uns ans den Tribünen mehrerer Parlamente die bevor stehende Erneuerung des Dreibundes angekündigt wurde, uns mit der Frage beschäftigten, in welchem Maße dieser diplomatische Act mit den zu so wichtiger Zeit wieder ange kündigten Freundschafts- und Iuteressenbeziehnngen zwischen Frankreich und Italien im Einklang stehen konnte. Die italienische Regierung sorgte selbst dafür, die tzage anfznllären und zu präcisireu. Die Erklärungen, welche uns gegeben wurden, haben uns gestattet, Gewiss heit zu erlangen darüber, daß die Politik Italiens infolge seiner Bündnisse wederdircct noch indirekt gegen Frankreich gerichtet sei, daß sie in keinem Falle eine Drohung für und bedeutet, weder in diplomatischer Form noch auch durch die internationalen Prvtoevllc oder militärische Stipulationen, und dass end lich Italien in keinem Falle und in keiner Form das Werk zeug vder der Gehilfe eines Angriffes gegen unser Land werden könne. Diese Erklärungen können keinen Zweifel über den e n d s ch i e d e n f r i e d l i ch e n u n d f r e u u d - schaftlichen Charakter der italienischen Politik uns gegenüber bestehen lassen ebensowenig wie über das Gefühl der Ticherheit, von welchem nunmehr die Beziehungen beider Volker erfüllt sein müssen. Die Er klärungen geben uns schliesslich die gute Zuversicht, dass sich nichts mehr der Weitercntmickelung der Freundschaft ent gegenstellt, die bereits so fruchtbare Erfolge gehabt hat." lAndauernder Beifall.) Im englischen Unter Hause gab es gestern eine lebhafte Debatte über Englands Bündnisse und Freundschaften, sowie über seine Politik in China. Dilke beklagte in Bezug auf das französisch - italienische Einvernehmen W. Jahrgang. den Verlust d e r b i sh e r i g e n guten Be ziehungen zu Italien hinsichtlich der Erhaltung des --tatu» «xuo im Mittelmeere. Dieser Ver lust sei eine der schwierigsten Fragen, mit denen Eng land zu rechnen habe. Das neue Einvernehmen zwischen Frankreich und Italien stehe in direktem Widerspruch zu dem englisch-italienischen Einvernehmen, dessen Gegen stand die Erhaltung des staru» guo gewesen sei, während das neue Arrangement zwischen Frankreich und Italien im Hinblick auf eine mögliche Ltüruug des bestehenden Zustandes getroffen sei. Tie Lage im Mittelmeer sei durch dieses Einvernehmen vollständig geändert und England müsse sich in Folge dessen auf eine Gefahr h i n s i ch t l i ch M a r o k k o s gefaßt machen. Die Regie rung sei für den Verlust des auf den Frieden gerichteten Bündnisses mit Italien verantwortlich. Dille verur- theilte ferner die englische Politik in China als schwach und voller Widersprüche. Eine deutliche Ab grenzung ihrer Interessen in China durch Rußland und England würde zu einem guten Ergebnis; führen. Er frage weiter an, ob ein geheimes Einvernehmen zwischen Deutschland und England bestehe, welches Deutschland Zugang zum Persischen Golf verschaffe. Er erklärte so dann, die gegenwärtige Zeit sei günstig, um ein besseres Einverne h m en mit Frankreich h c r b e i z u f ü h r e n über in der Schwebe befindliche Fragen. Er schloß mit dem Anträge, am Etat einen Ab strich zu machen. Bryce gab der Hoffnung Ausdruck, dass sich die Beziehungen Englands zu Italien nicht ge ändert haben. Tie Interessen der beiden Länder ständen in keinem Gegensatz zu einander, und England habe kein Recht, sich zu beklagen, wenn Italien gute Beziehungen zu Frankreich wünsche. Ein solches Verhältnis; sei wichtig für Italien und im Iutcressc des europäischen Friedens. Das neue Einvernehmen bedrohe die englischen Inter essen nicht, denn so weit bekannt, schließe cs M arvkkv nicht ein. Der Untcrstaatssekretär des Acußeren, Cranbornc, erwiderte: Unsere internationalen Freundschaften sind niemals aggressiv und unsere Freund schaft mit Italien gehört zu dieser Kategorie. Es bat von Zelt zn Zeit Angelegenheiten gegeben, die ^kiiass zu einer leichten Verstimmung in Italien gegeben haben, die jedoch v v r ü b e r g c g a n g e n ist. Es bcrr-schtc auch ein Gefühl der Kälte in Folge unseres Einvernehmens mit Frankreich bezüglich Tripolis. Aber wir hatten neuerdings Gelegenheit, der italienischen Regierung Versicherungen abzugcben, welche jede Empfindlichkeit, die vorhanden gewesen sein mag, heilte. Wir haben keine Pläne hinsichtlich Tripolis. Die Negierung war in der Lage, Italien zu versichern, dass sich zwischen Frankreich und England zur Zeit des Ucbercinkommens von 1807 nichts ereignet habe, was irgendwie auf die gegenwärtige Lage oder die Zukunft von Tripolis ein wirkte. England wünscht die Aufrechterhaltung des Status qno. Wir haben gewisse vertrags mäßige Verpflichtungen, welche uns unsere Haltung hinsichtlich Tripolis angcben. Wir beabsichtigen, uns an diese Verpflichtungen zu halten. Nur diesen ver tragsmässigen Vcrvslichtungen unterworfen, hegen wir immer Sympathie für Italien und die italienischen Inter essen in dieser, wie in jeder anderen Angelegenheit. «Beifall.) Cranbornc kam dann auf die Möglichkeit einer Verständigung mit Russland zu sprechen und sagte: „Die Regierung wünschte Verständigung m i t f a st jeder Macht, und es ist nicht Schuld der Regierung, wenn cs an solcher Verständigung fehlt. Das wichtigste Feuilleton. Susan na. sj Roman von B. Hcrwi. Nachdruck verboten. Endlich am Abend des sechsten Tages bekam er ein Briefchen von Susanna, in welchem sie ihn ersuchte, am anderen Vormittag zu ihr zu kommen. Um ganz ungestört zu sein, hatte sie sich das Bild in ihre kleine Behausung kommen lassen , und dort mit Hilfe der Skizze, die sie in München von Fürstin Natascha angefertigt, dem vlämischen Mädchenantlitz die Züge der jungen leidenden Frau ver liehen, so wie sie ihr ausserdem im Gedächtnis; hasteten. Selbst die Farben und Formen der Kleider hatte sic nach dem Gedüchtniß geändert, und mit so eingehender, liebe voller Energie gearbeitet, daß sie noch vor der bestimmten Zeit den Pinsel weglcgen und den wartenden Fürsten be nachrichtigen konnte. Es war so einfach, so schmucklos in dem kleinen Zinuner, die Vermictherin, Madame Berthe Rcnard, die Blumen arbeiterin, war früh nach dem Platz an der Madeleine ge gangen, hatte sich verschiedene, buntfarbige Sträusse geholt, die dort in besonders grosser Auswahl feil geboten werden, sie versuchte dann nach denselben ihre überaus feinen Arbeiten zu verfertigen, heute hatte sic anfSusa nna sWunsch auch für diese duftende Herbstblüthcn gebracht, ihr einige bunte Gläser gegeben, so das; der Play am Fenster, vor dem das vollendete Bild stand, einen hübschen Eindruck machte. Susanna's gewaltige Erregung hatte sich im Laufe der Tage bedeutend abgeschwächt. „Arbeite, arbeite", rief sic sich unaufhörlich zu, sic gönnte sich kaum Zeit zum Essen, von irgend einer Erholung konnte natürlich keine Rede sein, früh saß sie an der Staffelei und malte, so lange das Licht günstig war, und noch beim Schein der Lampe machte sie ihre Farbciistudicn. „Llon ckieu, aber haben Sie das denn so nöthig, ma petita?" fragte Madame Berthe, die mit klugen Blicken die feine Wäsche, die gediegenen Toilcttensachcn gemustert, und sich gar nicht erklären konnte, weshalb ihre neue Nachbarin so angestrengt sich abmühte. „Es muss zur bestimmten Zeit fertig sein, Madame, Ver sprechen muß man halten." „Aber das wird auch einen schonen Preis geben", forschte die Neugierige weiter, „eertaiiwmc-ut ckeux ou trois c-c-nt« . . ." „Vielleicht", meinte Susanna lächelnd, was wusste die kleine Blumenartistin, wie sie sich nannte, von den üblichen Preisen der Portraits, wöchentlich verdiente sie bei ange strengter Arbeit, so das; der feine Draht die spitzen Finger oft ganz zerstochen hatte, nicht mehr wie achtzehn bis zwanzig Francs, nur, wenn sich einmal ein deutscher Ein käufer durch zufällige Empfehlung zu ihr verlaufen hatte, brachte der gerade a«gesammelte Vorrat!; ihr eine Ertra- Einnahme, sic verstand auch dabei nicht einmal ihren Vvr- theil wahr zu nehmen. Und nun war Wvronsow gekommen. Susanna empfing ihn an der Thür ihres Gemaches. „Oh, Mademoiselle Susanna", sagte er bei der Be grüßung, „ich habe Sie sehr entbehrt, sechs Tage waren ganz verloren, aber Sic waren gewiß fleißig und haben ge arbeitet und nun, es ist so, wie cs in der Bibel steht, der siebente Tag ist ein Feiertag, ah, für mich gewiss ein grosser Feiertag." Er blickte nach der noch verhängten Staffelei. Der Malerin kleine Hand zitterte in seiner Rechten, die Ucbei'raschutig konnte doch am Ende verhängnißvollcr sein, als sie Anfangs geglaubt. „Ich habe Sie auch schmerzlich entbehrt, Fürst Nicolai, es war vielleicht zu kühn von mir, bitte, kommen Sie hier her, nun habe ich selbst keine Geduld mehr, die Arbeit ihnen vorzuenthalten." Mit raschem Griff nahm sic den leichten, dunklen Vor hang weg, die Helle Morgensonne fiel auf die Malerei. „Natascha", schrie Worvnsow auf und machte eine Be wegung, als wollte er die Leinwand mit seinen Annen um fassen, „Natascha, mein Weib, mein liebes, armes Weib..." Die Erregung überwältigte den warm empfindenden Mann, er sank auf den Stuhl zurück, der am Fenster stand, schlug die Hände vor das Antlitz und schwere Tropfen bahnten sich aus den Augen ihren Weg. Susanna, bewegt und auch nicht im Stande, sich zu be herrschen, zog sich in die Tiefe des Zimmers zurück, um abzuwarten, bis der Freund sich etwas beruhigt. Schon stand er aber neben ihr, hatte sie mit schnellen Schritten zur Staffelei gezogen, ihre Hand nicht losge- gelassen, sie immer wieder mit heissen Kliffen bedeckt und dazwischen Worte des Dankes gestammelt, russische, fran zösische, deutsche, so dass Susann« aus Allem die Tiefe des Eindrucks, den das Bild gemacht, wohl ermessen konnte. Erst nach und nach lief; er sich auf Einzelheiten ein, bat um Erklärungen und pries immer von Neuem das herr liche Talent, das mit so wenigen Hilfsmitteln ein solches Kunstwerk geschaffen. „Und noch heut darf ich cs mir mitnehmcn.Madcmoiselle Susanna, nicht wahr? Und Sie begleiten mich jetzt, wir suchen einen Rahmen aus, und daun müssen Sie sich er holen, viele, viele Tage, ah, diese fleissigen kleinen Finger müssen ausruhen, wissen Sic was, kommen Sie mit mir au die See, wir gehen nach Biarritz, vder an die englische Küste, haben Sic Vertrauen zu mir, denken Sic, ich sei Ihr Vater, ich kann es ja den Jahren nach sein; o, überlegen Eie es, Susanna, ich weis; ja nicht, wie ich meine Dankbar keit neben dem kalten Goldc beweisen soll." Das Mädchen hielt den erregten Worten gegenüber Stand, ein unbeschreiblich herrliches Gefühl der Befriedi gung hatte sic erfüllt, es war ihr als seien Noth und Sorge und Scham ausgclöscht vor der Seligkeit dieser Stunde, vor dem Erfolge ihrer Arbeit. Nach Lethe, Lethe hatte sie in den schlaflosen Nächten gejammert, vergessen wollte und musste sie, und sie selbst hatte sich den wohlthuendcn Trank gereicht und in der Arbeit und strenger Pflichterfüllung wollte sic ihn weiter trinken, und inzwischen keine Erholung und keine Zer streuung, unbeirrt weiter auf dem Pfade, bis sic die Hand rein erarbeitet, die Andere ihr besudelt, bis das Sünden geld erstattet war. Sie schüttelte auch jetzt das Köpfchen, als der Fürst immer inniger in sie drang, versprach ihm aber doch, mit ihm zu fahren und das fertige Gemälde mit ihm selbst zum Kunsthändler zu bringen. Auf die kleine Blumenarbcitcrin fiel auch ein großer Strahl der Freude. Als sie ihr Zimmer durchschritten, fanden sie die fleissige Madame Berthe beim Arrangircn eines, in dunklen violetten Farben gehaltenen Stiefmütterchen kranzes. „i.«s penseos!" sagte Worvnsow und blieb einen Augen blick stehen. „Die Licblingsblume meiner Frau!" Ein Gedanke durchfuhr ihn. „O, Mademoiselle Susanna, wie fänden Sie es, wenn ich Madame ersuchte, einen vollen Kranz dieser dunklen Blüthcn für die Umrahmung des Bildes zu machen, wäre eS nicht stimmungsvoll und schön?" Die Malerin stimmte lebhaft ein, sie sprachen französisch, die kleine Berthe lief von einem Kasten zum andern, sie verstand ja, wovon die Rede war, und brachte Sammt- stückchen aller Art, vom hellsten Lila zum tiefsten Schwarz, daun erzählte sie in ihrer äusserst lebendigen Art, wie gut sic das machen würde, wie geschmackvoll in den Farben, das; es die Malerei nicht stören sollte, wie der Blitz war sie ins Nebenzimmer geeilt und hatte mit einem Bindfaden die ungefähren Maassc genommen, triumphirend hielt sie dieselben jetzt hoch, plötzlich umwölktc sich aber das blasse Gesichtchen und sie sagte zaghaft: la pi ix, Hlansieur, cela sei « dien ciwro?" Woronsvm lächelte, dann entnahm er seiner Brieftasche einen grösseren Geldschein und sagte, denselben auf den Tisch legend: „Ich möchte cs vvransbezahlen, würde dies genügen ?" Und während die kleine Madame sich vor Ucbcrraschnng und Freude gar nicht zu rathcn wusste, wendete er sich zu der inzwischen völlig ««gekleideten Susanna, die von de« Danksagungen der Blumenartistin mit überschüttet wurde, und ihr den Arm reichend, führte er sie zu dem bereits wartenden Wagen, in welchem Elandinc, Madame Bcrlhc's Dienerin, inzwischen das verhüllte Bild placirt halte. „Heute möchte ich viel Gutes thun", sagte Wvrvnsoiv. als sie davon fuhren, „heute ist der erste Frendentag nach dem Tode meiner armen Natascha. O, Susanna, wie danke ich Ihnen, wie danke ich Ihnen!" Eine Stnnde später saßen Beide in einem kleinen Zimmer bei Margucry und nahmen ein Frühstück ein. Das junge Mädchen im vollen Bewußtsein, damit nichts Ungehöriges zn thun, sondern nnr der Situation gemäss zu handeln. Susanna hatte bis dahin Alles gehaßt, was das Weib aus dem ihr zustehenden Rahmen hinaustretcn liess, — manche Freiheit, die man sich der Mutter gegenüber erlaubt hatte, als diese sich noch einmal der Bühne zuge- ivcndct, hatte ihr Mädchenempfindc» damals peinlich be rührt, sie wollte gern freier darüber denken und konnte eS nicht, jetzt, auf eigene Füsse gestellt, durch innere Forde rung lind äussere Gründe in der ernsten Ausübung einer hohen Knust begriffen, empfand sie es deutlich, dass das gcscknnähte Wort Emancipativn die Befreiung ans früher eingeengten, persönlichen Daseinsverhältnissen bedeutete und dass cs in der Macht jedes Einzelnen läge, die Grenzen dieses HeraustretenS enger oder weiter zn ziehen. Wenn sie nicht nnr Copistin sein wollte, verlangte die Ausübung ihrer Kunst auch ein solches Hcraustreten in das öffentliche Leben. Nichts stärkt ausserdem das Gefühl der eigenen Freiheit so sehr, als der Erfolg beim Schaffen.
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