Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020705024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902070502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902070502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-05
- Monat1902-07
- Jahr1902
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezug-»PretS la der Hauvtexpedition oder den im Stad^ be»i"! und den Vororten errichteten AuS- ^vestellen abgeholt: vierteljährliche 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung in- Haus e 5.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland u. Oesterreich vierteljährliche?6, sür die übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. ..... Nedaclion und Expedition: Johannisgasse 8. Fernsprecher 153 und 222. Filialrrprditionrn: AlfredHahn, Buchhandlg., Universitätsstr.S, L. Lösche, Katharinenstr. 14, u. Königspl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Strehlenerstraße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Serlin: Königgrätzerstraße 118. tzerusprechcr Amt VI Nr. 3393. Abend-Ausgabe. Mipziger TagMalt Anzeiger. Amtsblatt des A'ömglicheir Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes und Nolizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Anzergen.PretS die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 vor den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertcnannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 80.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr- Lnzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. M. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 337. Sonnabend den 5. Juli 1902. 88. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. Juli. -- Der Bund der Landwirthe hatte in dem Sohne des verstorbenen früheren Abgeordneten Feustel die denkbar beste Persönlichkeit für die Bayreuther Reichstagserjatz- wahl gefunden) den Bayreuthern felbst wird der Name des Mannes, der so unendlich viel für den Weltruf, den die bis zur Ermöglichung der Wagner-Festspiele so stille Landstadt erworben hat, . stets in unvergeßlicher Er innerung bleiben, und von der braven ländlichen Bevöl kerung mochte wohl so mancher nativnalliberale Wähler denken, daß es ganz unbedenklich sein müsse, den Sohn des langjährigen ReichStagsabgevrdnetcn in den Reichstag zu senden. Trotz der so überaus geschickten Auswahl des bllndlerischen Candidateu ist nun nicht er, sondern sein nativnalliberaler Gegner in die Stichwahl mit dem Sveial- demvkraten gelangt und nicht nur dies, sondern dieser hat auch erheblich mehr Stimmen erhalten, als der bünd- lerische Herr Feustel, obwohl zwei Drittel der Bevöl kerung desWahlkreiseS in rein lündlichenBezirken wohnen. Wie in mehreren hannöverschen Wahlkreisen — zuletzt in Celle —, so hat auch hier der Bund der Landwirthe die Lehre empfangen, daß die nativnalliberale Eiche noch recht lebensfähig ist. Der Ausgang der Wahl enthält aber noch eine zweite Lehre: das; näm lich die Bäume der Gegner jeder Zvllerhöhung auch nicht in den Himmel wachsen. Allerdings haben die Socialdcmokraten ein halbes Tausend Stimmen gewonnen, aber dazu ist zunächst zu bemerken, daß dieser Stimmenzuwachs erheblich geringer ist, als bei den letzten allgemeinen Wahlen. Bei den Wahlen von 1803 gewannen die Socialdemokraten 1800 Stimmen gegenüber den Wahlen von 1800 und bei den letzten allgemeinen Wahlen von 1808 konnten sie auch noch einen Stimmenzuwachs von 1300 Stimmen verzeichnen. Zweitens aber wird die socialdemokratische Stimmenzunahme mehr als aufge hoben durch den Stimmenrückgang der freisinnigen Volks- partei. Diese Partei, die bei den Wahlen von 1800 über 8000, bei denen von 1803 rund 3700 und bei den letzten Wahlen immer noch mehr als 2300 Stimmen erhalten hatte, hat von ihrem noch geringen Stimmenbesitzstande abermals über ein Drittel emgebützt. Das Ergebnis; der Wahl ist, dast weder der Anhänger extremer Zölle, noch auch der Gegner jeder Zollerhöhung zum Liege gelangen wird, sondern derjenige Candidat, der bereit ist, nut der Regierung zu einer sicheren Verständigung zu gelangen. So kann also aus dieser Wahl ebenso wie aus der in Celle die Regierung die Zuversicht schöpfen, das; sie mit ihrer „mittleren Linie" auf dem richtigen Wege ist. Aus Pretoria, 7. Juni, schreibt man uns: Der endlich erfolgte Abschluß des Friedens in Südafrika ist Manchem doch unerwartet gekommen, und wird in hiesigen Kreisen jedenfalls nicht mit dem ungeheueren Enthusiasmus be grüßt, von welchem die Zeitungs-Berichte reden. Den Bvcren und ihren Parteigängern sind die Bedingungen meist zu verklauselt, es sind ihnen zu viele „wenn" und „aber" dabei, den Ultra-Jingoes hingegen scheint, man habe dem total besiegten l?) Feinde viel zn günstige Be dingungen zugestanden. Von diesen beiden Extremen ab gesehen, herrscht immerhin ein großes Maaß der Be friedigung über die endliche Beilegung des Streites, wenn auch, wie gesagt, der Ausdruck davon recht ruhig ist. Die Boercn-Gcncrale, von denen mehrere sich zur Zeit hier be finden und welche natürlich sehr von Neugierigen um lagert sind, äußern sich sehr reservirt über die Gründe, welche sie zur Annahme der englischen Vorschläge bewogen haben. So viel jedoch kann man ans gelegentlichen Aeuße- rungen sehr wohl schließen, daß nämlich die zu nehmende U n r uheunterden Kaffe r n und die theiweise sehr feindselig wendendcHaltuug derselben mitden Ausschlag gab. Einstweilen ist von irgend welchen Er leichterungen des ans der Civil-Bevölkerung von Pretoria unter den Kricgsgesetzeu lastenden Bedrückungen noch nichts zu merken und auch die am Sonntag, den 8. d., er scheinende „Gouvernements-Gazette" wird, allgemeinen Hoffnungen entgegen, hierüber noch nichts enthalten. Zu erst werden nur solche Familien auf ihre Farmen zurück kehren dürfen, welche nachweisen können, daß sie in der Lage sind, sich mit dem Nöthigsten zu versorgen. Die Be hörden erklären, das; es nicht ihre Absicht sei, den Voercn die Rückkehr auf ihre Farmen zu erlauben, auf die Gefahr hin, ciaß dieselben dort verhungevn. Dies ist ja sehr lobenswcrth, eS ist nur zn wünschen, das; nicht mit der Menschenfreundlichkeit des Guten gar zu viel gethan wird, denn von der Anspruchslosigkeit der meisten Bveren kann man sich eben sehr schwer einen Begriff machen. Der heikelste und zugleich interessanteste Pnnct der vom Präsidenten der cnbanischen Republik vor 1t Tagen erlassenen Botschaft an den Cvngreß betrifft die nachträgliche Besoldung des Jnsurrce- tionsheeres (ejoroito libertaclor), die Bezahlung des Patriotismus. Der Präsident sagt hierüber: „Die ausführende Gewalt ist sich der Verpflichtung bewußt, welche die NcvolurionSrcgicrung dem Bcfreiungshecre gegenüber eingcgangen ist; nnd wenn sic zur Zeit kein Mittel angiebt, nm dieser Verpflichtung nachzukommen, so licgr der Grund dafür in der schlechten wirthschaftlichen Lage des Landes und darin, daß cs sich noch nicht übersehen läßt, auf welche Einnahmen der Staat zur Bestreitung der ordentlichen Kosten der Ver waltung rechnen kann. Es ist bcklagcnswerth, daß in diesem Augenblick eine so heilige Verpflichtung, wie die Belohnung der Dienste Derjenigen, welche mit den Waffen in der Hand ge kämpft haben, nicht in Angriff genommen werden kann." Aus diesen Worten dürfte hervvrgehen, das; der Präsi dent den in der Abgeordnetenkammer eingebrachtcn Ge setzentwurf, nach welchem zur Bezahlung des Jnsur- reetionsheercs eine Anleihe von io Millionen Dollars ausgenommen werden soll, nicht billigt. Ter Entwurf hat in der Kammer eine freundlichere Aufnahme ge funden, als im Lande und in der Presse. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß es von der Regiernng unver antwortlich wäre, jetzt eine derartige Anleihe für nicht wirthschaftliche Zwecke anfznnehmen, nm so mehr, als einerseits bei den noch nicht hinreichend gefestigten Ver hältnissen des Landes voraussichtlich ein sehr hoher Zins fuß gezahlt werden müßte, und als andererseits das Plattgesetz (Art. 2) verbietet, öffentliche Anleihen auf- znnehmen, zn deren Verzinsung und Amortisation die ordentlichen Einnahmen nach Abzug der laufenden Kosten der Regierung nicht ansreichen. Ter mehrfach aus gesprochene Gedanke, die Kosten der Besoldung des Jn- snrreetionshceres durch eine Staatslvtterie zu decken, wäre zwar an sich durchführbar, da die Lpiellust der euba- nischen Bevölkerung doch irgendwie einen Ausgang finden wird, indes; ist die Staatslvtterie, sv weit sich bis her übersehen läßt, wvhl die einzige Reserve der Geld beschaffung, die der Negierung zu Gebote steht, und Estrada Palma wird sich hüten, diese Reserve schon jetzt aus der Hand zu geben. Der Präsident ist übrigens nach allen Acußerungen, die er über die Besoldungsfrage ge macht hat, fest entschlossen, der Krage erst dann näher zn treten, wenn duLch eine eingcchende Prüfung die Angehörigen des Heeres sestgestellt sein werden. In die offieielle Liste sind nämlich über 70 000 eingetragen, wäh rend nach der Erklärung des Oberbefehlshabers Maximo Gomez nnd anderer zuverlässiger Generale die Zahl der wirklichen Kombattanten nur etwa die Hälfte der ob genannten Ziffer betragen haben kann. Deutsches Reich. r. Leipzig, 5. Juli. Die Rede des Botschafters der Vereinigten Staaten Andrew O. White bei dem gestrigen Nationalfeste der hier lebenden Amerikaner erhob sich wieder, wie schon so manches Mal, zu der Höhe einer großzügigen Polilischen Kundgebung und zwar, was für uns noch bedeutsamer ist, einer Kundgebung von ausgesprochen deutschfreundlichem Charakter. Der Botschafter sagte: Als ich zuletzt bei gleicher Gelegenheit die Ehre hatte, Sie zu begrüßen, war mit jenem Toast, der mir heute in freundschaftlicher Weise wieder zugedacht wurde, der Name William Mc Kinley verknüpst. Ein großer Mann. Bedeutend und segenbringend war seine Lausbahn. Von seiner frühesten Jugend, als er, dieser Mann, wie er selbst und seine Freunde damals Lachten, seine große Zukunft als einfacher Soldat im Dienste des Vater landes opferte, bis zum Tage seines Todes nach einer erfolg reichen und großen Thätigkeit war er ein ganzer Mann, ein ernster Denker für das öffentliche Wohl und sogar in einigen Feldern der Verwaltung hervorragend. Vor seiner Wahl zum Präsidenten in einer Zeit großer Noth versprach er dem Lande ein Aufblühen und machte sein Versprechen zur Wahrheit durch sein weises Vorgehen als Staatsmann. Er kämpfte sür Frieden; als der Krieg jedoch unvermeidlich war, ging er Allen voran mit Energie, siegreich aber auch menschlich. Wir haben ihn verloren und auf eine Weise, die unser Herz erheben läßt, aber sein Erbe ist ein Schatz. Sein Andenken wird stets bei Len Amerikanern hoch gehalten werden! Achtung, Dankbarkeit und Liebe sind der Lohn. Es ist sonderbar, daß drei der besten und größten unserer Präsidenten innerhalb 40 Jahre dem Hasse und der Laune eines Mörderbuben zum Opfer fielen. Noch sonderbarer, daß im letzten Vierteljahrhundert eine große Reihe der edelsten, freundlichsten und patriotischsten Herrscher auf Verhetzung niedriger Gesellschaften und Agitatoren ermordet wurden. Ich will nicht bei Len Einzelheiten Lieser Schandthaten verweilen, noch besonders bei der, die mein Herz am meisten er schüttert, aber ich möchte hier doch auf einen Zug aufmerksam machen, einen Gedanken festhalten, der meines Erachtens noch nicht genügend berücksichtigt worden ist, um die Fürchterlich, leit dieser dunklen Verbrechen zu durchschauen. So furchtbar die Ermordungen der Staatsoberhäupter innerhalb der letzten wenigen Jahre gewesen sind, so gicbt es jedoch noch eine viel ernstere Sache und Las ist die Theorie, die diesen Thalen zu Grunde liegt. Diese Theorie ist nicht allein Verrath gegen die Herrscher, es ist Verrath gegen das Volk jeder Nation und gegen die ganze Menschheit. Denn diese Theorie bringt eine niedrige Elasse von Männern ja Weibern zu sammen, die durchaus nicht hervorragend in Charakter, Urtheil oder Kenntnissen sind; — allein in Gewalt ihrer Leidenschaft und Phantasie, um das Todesurtheil über den erhabensten, edelsten und schätzenswerthesten Staatsdiener zu fällen, und daß ein Einzelner dieser Gesellschaft sich an dem besten und geliebtesten der Menschen vergeht. Diese dunklen Bünde maßen sich eine Macht an, ja selbst die einzelnen Glieder, die kein Monarch, Präsident, Parlament, noch König oder Gerichtshof, hoch oder niedrig, wie despotisch die Verhältnisse auch sein mögen, nur daran denken würde auszuüben. Dieser düstere unverantwortliche Despotismus giebt vor, in Len Interessen, die man Menschenrechte, Volksrechte, Rechte der arbeitenden Classen, individuales Recht nennt, zu handeln. Nie hat es eine bombastischere und sich so selbst widerlegende Theorie gegeben. Die Russen wünschten ihrem Kaiser Alexander rl.. der zwanzig Millionen Leibeigene frei gemacht und große Friedenswerke sür sein Land vorhatte, kein Unglück. Die Franzosen standen nicht gegen den Präsidenten Carnol, einen der edelsten und fähigsten, Lessen Wallen seinem Lande nur von Segen war. Tie Lesterreicher wollten niemals den Tod ihrer sanften und gnädigen Kaiserin. Die Italiener wünschten nicht den tragischen Tod ihres geliebten und patriotischen Herrschers König Humbert, der gleich seinem Vater in die Schlacht zog, sie frei zu machen. Die Amerikaner wollten nie den Tod ihres Präsidenten Mc Kmley, der mehr sür die Arbeit und Arbeiter gethan hatte, als einer seiner Vorgänger. Wenn diesen Nationen die Frage gestellt worden wäre, diesen erlauchten Personen zu schaden, so hätte sicher energisch jeder Mann, Fran und Kind, hoch oder niedrig, arm oder reich, sich dagegen empört. Aber ein Complot von Verräthern, je ein einziges Individuum, hat sich in diesen einzelnen Fällen das Recht angemaßt, den Willen und Wunsch einer ganzen Nation von sich zu stoßen, seine Leidenschaft dasür cinzusetzcn und die allgemeinen Gefühle der Menschlichkeit mit Haß und Grausamkeit zu Boden ge worfen, eine Macht an sich gerissen, die eine ganze Nation nicht besaß. Er hat nicht nur die Basis der Monarchie, nein, auch die der Republiken und Demokratie in ihren Festen erschüttert. Es wird nun von diesen Leuten und ihren Hetzern gesagt, daß jede Ver- fassung, jede Einschränkung der von ihnen genannten „natür lichen Freiheit" des Einzelnen falsch ist, und daß diese Morde die Belhätigung dieser natürlichen Freiheit sind, ein Protest und eine Forderung, dieselben anzuerkennen. Die natürliche Freiheit der Menschen ist das Recht des Stärkeren über den Schwachen. Es ist die Freiheit des Stärkeren, zu essen, und die Les Schwachen, gefressen zu werden, und die Einsetzung der natürlichen Freiheit meint eben, daß der Gewitzigte und Starke vollkommenes Recht über Gesetz, Familie, Eigenthum des Schwachen besitzt. Das, was sie natürliche Freiheit nennen, ist natürlicher Despotismus, ein Leben wilder Thiere. Es hat nie ein hoffnungsloseres Argument gegeben. Tenn in dem Protest der Anmaßung und Forderung ver sucht eine kleine Anzahl in praktischer Weise eine Herrschaft über die Menschheit auszuüben, willkürlich ohne Zustimmung der Regierten, so daß in dem Versuche, die Regierung zu vernichten, sie eine Negierungssorm schafft, die unendlich weit hinter dem Despotismus zurückbleibt, der sür einen Augenblick in jedem Theile der civilisirten Welt geduldet werden würde. Eine ganz irrige Ansicht wird von Pseudo-Philanthropisten ausgestellt, daß diese Menschen nur aus eigener Statur handeln und wirklich nicht verantwortlich zu machen sind, und daß wir uns mit ihnen abgeben sollten und versuchen, dieselben zu guten Menschen zu machen. Aber der einzige Weg, sie Feuilleton. Susanns. wj Roman von B. Herwi. Nachdruck verboten. Neuntes Capitcl. Der Sonntag Morgen brachte verschiedene Uebcr- raschungen. Die kleine Madame war schon seit einer halben Stunde unruhig hin und her getrippelt und hatte an der Thür ge horcht, ob ihre junge Mietherin noch nicht zum Vorschein käme. Cs war Susanna sogar im Halbschlaf vorgekommen, als hätte sie eine Männerstimme vernommen, als sic aber dann in den gemeinschaftlichen, kleinen Salon trat, fand sie nur die aufgeregte Wirthin vor, halb verlegen, halb freudig aufgeregt. Im Triumph ward sic an den Frühstückstisch geführt und glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als sic statt des gewöhnlichen weißen, derben Geschirrs das entzückende, zierliche, gestern sv sehr bewunderte feine Sövrcs-Service sah, vollständig zum Gebrauche gefüllt. „Er hat darauf bestanden, daß Sic gleich heute daraus trinken, und von nun an täglich, und ich habe cs ihm ver sprechen müssen ... er selbst, der Fürst, hat cs eigenhändig auSgcpackt, sehen Sie, da steht noch der Carton, und hier, dies Couvert hat er dann für Sic hingclcgt, fühlen Sie nur, cs ist etwas Hartes darin, ich habe mir schon den Kopf zerbrochen, was es sein kann . . . am Ende ein Ring, und er bietet Ihnen seine Hand an, das ist Alles schon dagc- wesen, aber nun trinken Sie erst einen warmen Schluck, die Ueberraschung hat sic ja ganz stumm gemacht, viel, den Zucker habe ich ja vergessen . . ." Und während die kleine Madame eilig davontrippeltc, erbrach Susanna das Couvert . . . ein in Scidenpapicr mehrfach cingchülltcs Schlüssclchcn lag darin. „Gewiß zum Zuckerkasten." Das fiel Beiden zugleich ein. Richtig, die porzellanene Truhe war ja noch geschlossen. Schon hatte Susanna sic geöffnet. Sic war mit Papieren angcfüllt. Obenauf lag eine Karte mit den Schriftzügen des Fürsten. „Mein thcures Fräulein", schrieb er, „das war gestern ein glücklicher Moment, als ich Ihr Gefallen an dem Kaffee-Service bemerkte, ich bitte Sic herzlich, die kleine Erinnerungsgabe anzunehmen und sich täglich beim Ge brauche damit ein wenig zu freuen. Das besprochene Honorar deckt nicht entfernt den Werth Ihres Kunstwerkes; ich wollte aber Ihr feines Empfinden nicht beunruhigen und bleibe lieber Ihr Schuldner, für ewig aber Ihr Freund Nicolai Wvrvnsvw." Ein Couvert, das unter der Karte gelegen, umschloß fünf Eintausend Francs - Scheine. — Die feinfühlende, kleine Madame nöthigte nur immer wieder zum Trinken, als könnte der wohlthuendc Trank jede, noch so gerecht fertigte Erregung beruhigen. „o INON ciieu, o NION cliou", sagte sic dann wieder. „Dies prachtvolle Geschenk, aber das sage ich Ihnen gleich, die ungeschickte Claudiue da draußen darf cs nie reinigen, das thue ich selbst, ich ganz allein, ach ... die himmlischen Figuren überall . . . aber nun lesen Sie nur auch den anderen Brief, der mit der Post gekommen, na, hoffentlich bringt er auch nichts Schlechtes." Susanna erkannte BärenholmS Handschrift. Was konnte er ihr seit gestern zu sagen haben ? Vielleicht eine kleine Notiz, eine neue Verabredung ... doch nein, mehrere eng beschriebene Blättchen flatterten heraus. Sic lehnte sich in den Stuhl zurück. Kopfschüttelnd las sie die Anrede. „Meine thcurc Susanna!" Sv hatte er nie mit ihr gesprochen, sic auch in den kurzen schriftlichen Mittheilungen nie so genannt. Was sollte das nur bedeuten ? Tann las sic weiter: „Ein Mann der Feder, selten in Verlegenheit, welchen Ausdruck er anwenden soll, um recht überzeugend zu wirken, sitzt jetzt zaghaft, in scheuer Furcht, ob er auch das Richtige treffen wird. Er denkt au Sie, er will Ihnen etwas Wichtiges schreiben, etwas von dem, was sein ganzes Herz erfüllt. Ja, meine thenrc Susanna, ich kann nicht anders zu Ihnen sprechen, theuer, lieb und iverth sind Sie nKr, so lange ich Sic kenne. Und weil ich Sie sv gut zu kennen glaubte, kann ich cs mir nicht vergeben, das; ein leiser Zweifel es wagen konnte, Ihr wunderbar reines, holdes Bild zn trüben. Das nagt an mir nnd in dem „Gestehen" liegt die heiße Bitte um Vergebung. Vor einiger Zeit, als ich Ihr liebes Antlitz in bräut lichem Glanze strahlen sah, als Freude und Reichthnm spendende Hände sich nach Ihnen ausstrcckcn durften, da stand ich rcsignirt und neidlos zurScite, kummervoll sah ich dann die jähe Wandlung Ihres Glückes und lieh den ver schiedenen Auslegungen in echt menschlicher und doch so verwerflicher Leichtgläubigkeit mein Ohr. Dann aber kam die Stunde, in der ich dein wahrhaftigen, überzeugungs vollen Ausbruch Ihres Schmerzes gcgeuüberstand, die Stunde, in der ich Ihnen nichts sein durfte, in der ich mich sogar durch eigene Schuld von Ihrer Seite verbannt fühlte. Seitdem beherrscht mich nur ein Wunsch, nur ein Ver langen, — Sie mein neunen zu dürfen, Sie an mein Herz zu nehmen und an meinem Arm zurückführen zu dürfen in die früheren, doch so neuen Verhältnisse, — voll heißer Sehnsucht jagte ich Ihnen nach, vergeblich, meine Ahnung, das; Sie Paris nicht verlassen, führte mich eilig zurück, bis der Zufall Sie mich gestern finden ließ, jubelte ich vor Freude, fand aber leider keinen Moment zur Aus sprache, dennoch soll der Tag nicht vergehen, ohne daß ich Ihnen gesagt, was ich erbitte, ersehne. Haben Sic Vertrauen zu mir Susanna, schließen wir ein Schutz- und Trutz- und LiebeSbündniß, cs hält Sie jetzt nichts in Paris zurück, folgen Sie mir nach Helgoland und dann in die weite Welt. Wo es uns gefällt, da bleiben wir, nnd zieht cs uns in die Heimath zurück, so schaffen wir uns ein Heim, der Kunst, der Liebe, der Freundschaft geweiht, sag, mein Mädchen, wär's nicht ein schönes Ziel ? Und nun mögen meine Wünsche Deinen Schlaf be schützen, Deine Träume durchwehe«. Auf Wiedersehen morgen an der Nvtre-Dame, vielleicht besiegelt ein Wort, ein Blick, ein Händedruck unser Gelöbnis;. Dem Fürsten habe ich meine Wünsche anvcrtraut, er reist morgen nach Tcrrite, das Grab seiner Frau zu besuchen. Wenn Du ein willigst, begleitet er uns später nach Helgoland. Nun ent scheide, meine thcure, innig geliebte Susanna. Franz Bärenholm." Mit tiefem Athemhvlcn legte das Mädchen den Brief zur Seite. Das Schreiben hatte sie sehr überrascht, aber nicht aufgeregt. Es war, als ob mit dem furchtbaren Sturme, der jüngst ihre Seele durchrüttclt, die Eindrucksfähigkeit für tiefe Bewegungen abgcschwächt worden wäre. Sie war klüger, sehender geworden, vielleicht sogar schon allzu mißtrauisch. „Daraus spricht nicht überzeugende, allmächtige Liebe", sagte sic leise, „nein, daS ist ein seltsames Gemisch von Mit leid, Zuneigung, Ritterlichkeit, aber auch von Scusations- bcdürfniß. O ja, ei» paar recht prägnante Capitcl gäbe cs für den nächsten Roman ... die abgcfuudcne Braut des vornehmen Mannes im Glauben an ihre Unschuld ans Herz zu nehmen, mit seiner imposanten Persönlichkeit den Spöttern und Neidern und Böswilligen entgegenzutreten, . . . er hat ja Recht, allein vermöchte ich's noch nicht, wenigstens jetzt noch nicht, ich bin ein schwaches Geschöpf und ganz, ganz liebeleer. Er aber erwartet Liebe und Hingebung und Dankbarkeit und würde Nichts, Nichts bei mir finden. Doch was nun thun, was thun?" Madame Berthe hatte längst in einer kleinen Schale das feine Service gereinigt und wieder zusammen gestellt. Mit keinem Laut hatte sie Susanna beim Lesen, beim Nachdenken gestört. „Ich werde doch in die Notre-Dame gehen", sagte diese endlich laut und erhob sich rasch, die Toilette zu beenden. „Erst aber hierher einen Augenblick, Mademoiselle", rief die Blumenarbcitcrin sic zurück, und führte sie vor einen blank geputzten Geldschrank, der die Ecke des Salons ausfüllt. „Dies ist ein Erbstück meines Seligen", erklärte sie, „eS war sein Heiligthum, er konnte sich nicht davon trennen, und als er starb und sehr, sehr wenig Geld, aber ein ganze Sammlung von meinen Briefen darin gefunden wurde, da machte ich ihn vollends zum kleinen Erinnerungstempel, werfen Sie nur einen Blick hinein, alles Geschenke, die ich von ihm bekommen, hier mein Brautbouquct, sehen Sie, wie vergilbt die Orangenblüthen sind, und da der weiße Spitzcnschleier, und das hier ... o mon die«, der silberne Löffel von unserem Rene, der ganz klein gestorben ist . . . hier inmitten setzen wir die kleine Cassettc hinein, zum Zuckcrdöschcn nehmen wir etwas anderes. Sv . . . haben Sic auch gut zugeschlosscn? Ta nehmen Sie nun die beiden Schlüssel zusammen, den kleinen goldenen und diesen hier . . . nein, nein, Sic selbst müssen sic behalten, und wenn ich mal Sehnsucht nach meinen Erinnerungen habe, daun schließen Sic mir das Fach auf, nicht wahr? Und nun noch ciiiS,mon nnxo,^draußen dämpft schon das Poulet im Topfe, das müssen Sie heute mit mir essen, ich habe ja dem Fürsten die Hand darauf gegeben, für Sie zu sorgen, und die Claudiue bratet gut, wirklich sehr gut. Also um zwei llbr erwarte ich Sie, o mon cliou, wie blaß Sie heute wieder sind, wie blaß!" Dann schritt Susanna in ernsten Gedanken durch die Straßen, der Notre-Dame entgegen. Sic batte sich verspätet nnd beschleunigte ihren Gang, nm den Schriftsteller nicht zu sehr warten zu lassen.— Oder vp er ihr Nichtkommcn als cin„Ncin" ans seincnBrief angc- nonmien und bereits fvrtgcgangeu war? Sie sah ibn nicht auf dem ziemlich leeren Platze vor der Kirche.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite