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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.06.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030603021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903060302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903060302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-03
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Dessen lmlten wir freilich keinen Lachsen für fähig, daß er trotz glänzenden Ausfalles auch der erneuten Prüfung seine Unterstützung einem Kartcllkaudidaten zu gunsten eines freisinnigen oder sozialdemokratischen mit der Motivierung entzieht: „Ja, was nützen alle noch so heiligen Versicherungen national liberaler und konservativer Abgeordneten, wenn das „Radebeuler Tagebl." behauptet, es werde Geld zur Herausgabe einer Korrespondenz zwecks Abänderung des jetzigen Reichstagswahlgesetzes gesammelt!" Furcht vor sich selbst. Der „Sächsischen Arbeiterzeitung" ist es überaus peinlich, an zwei ihrer eigenen Auslassungen aus dem Jahre 1890 erinnert zu werden, weil in diesen Auslassungen gesagt wurde, daß die Sozialdemo kratie nicht bloß den großen Gutshöfen, sondern auch dem kleinsten Bauernhause den Krieg erkläre und überall bestrebt sei, den Untergang d c s Klein gewerbes zu beschleunigen. Diese, dem Bauern und dem Kleingcwcrbtreibenden in der gegenwärtigen Wahl bewegung sehr viel zu denken gebenden Auslassungen werden jetzt von der „Sächs. Arbeiterztg." zu den „Dumm heiten" geworfen, wegen deren ihre damalige „anarchi- stelude" Redaktion entlassen worden sei. Deshalb soll es nunmehr lächerlich und unehrlich sein, „Citate aus der „Sächs. Arbeiterztg." vom Jahre 1890 gegen die Sozial demokratie im Wahlkampfe zu fruktifizieren". Nun, es gibt aus der jüng st e n Vergangenheit genug Leistungen des Dresdener Sozialistenblattes, die dem objektiv ur teilenden Wühler die Augen über die Sozialdemokratie öffnen müssen. Um mit einem wirtschaftlichen Eitate zu beginnen, so sei daran erinnert, daß die „Sächs. Arbeiterztg." am 3. Juli 1901 unter der Ueberschrift „Der Krach nnd die Sozialdemokratie" wörtlich schrieb: „In der Periode des Krachs wankt die kapitalistische Herr lichkeit in ihren Grundfesten; es gilt dann, mit gesammelter Kraft gegen sie vorzustoßen, um den Zusammenbruch zu beschleunigen, von dem es uns schließlich gleichgültig sein kann, ob er sich nach dieser oder jener Theorie vollzieht." Ein anderes Citat ist für die Ethik des Zukunfts staates ungemein lehrreich. Am 6. Januar 1899 schrieb die „Sächs. Arbeiterztg." unter der Spitzmarke „Der politische Eid" wörtlich: „Ein Ueberbleibsel aus jener Zeit, da der beschränkte Unter tanenverstand sich genügen ließ, für die Brocken zu danken, die die Herren von Gottes Gnaden dem Volke zuwarfen, ist der Untertanen- und Bürgercid ... Dieser Eid kann natürlich nicht mehr Bedeutung haben, als eine reine Formalität." Ein drittes Citat aus der „Sächs. Arbeiterztg." stellt die V o l k s fr e u u d l i ch k e i t der Sozialdemokratie gegenüber dem Volke in Waffen, dem Heere, in das hellste Licht. Am 1. Februar 1903 schrieb nämlich das Dresdener Sozialistenblatt u. a.: „Rüstet eine andere Macht ihre Armee mit einer Fcldkanone aus, die im Schnellfeuer um (!) 3 Schüsse mehr erlaubt als die deutsche, dann kann man in Deutschland diesen Vorsprung gar nicht schnell genug einholen. Wenn es so weiter geht wie bis her, wird der deutschen Armee schon das Bewußtsein, daß der Gegner etwas bessere Gewehre oder etwas bessere Geschütze hat, die Tatkraft lähmen und ihr so zu P r ü g e l n verhelfen." Es springt in die Augen, daß die Beschimpfung, welche dieser sozialdemokratische Ausblick für das deutsche Heer enthält, durch die Fortschritte in der Bewaffnung unserer Armee nicht im mindesten gerechtfertigt ist. Unsere Heeresleitung würde einfach ihre Pflicht verletzen, wenn sie die Waffen des deutschen Soldaten nicht auf der Höhe der Zeit erhielte. Tapferkeit der Truppn aber und Kühn heit der Strategie können sich auch unter der besten Be waffnung der Welt vollauf bewähren. Daß ein soge nanntes Blatt für das Volk zu gunsten eines vermeint lichen Heldentums eine Anschauung vertritt, deren Ver wirklichung Tausende und Abertausende der Söhne unseres Volkes ohne Zweck und Ziel des Lebens berauben würde, enthüllt das wahre Antlitz der sozialdemokratischen Volksfrcundlichkeit. Mit ihr brüstet sich die Sozialdemo kratie, wenn ein Vorteil für die sozialdemokratische Partei dabei herausschaut: dann kommt cs auf ganze Hände voll Millionen nicht an. Vom deutschen Heere kann die sozial demokratische Partei einstweilen keine Vorteile erwarten; deshalb trügt die „Sächs. Arbeiter-Zeitung" kein Be denken, unter der Maske der Heldenhaftigkeit ein Ver halten zu empfehlen, das „unser Volk in Waffen" den Heeren ausländischer Feinde als wohlfeiles Ka- nonenfutter preisgeben würde. Das ist das Helden tum des Zukunftsstaatcs! Mit deu im vorstehenden wiedcrgegcbcncn Citaten mag es für heute genug sein. Tschechische Taktik. Die Tschechen kündigen eine Aktion an, welche die Vereinigung aller tschechischen Reichs rats-Abgeordneten in einem einheit lichen Verbände bezwecken soll. Schon nach den Rcichsratswahlen des Jahres 1900 begannen bekanntlich Verhandlungen über ein gemeinsames Vorgehen all^er tschechischen Abgeordneten, sie gerieten jedoch ins Stocken. Im vorigen Herbst, als Gerüchte von einer bevorstehen den Reichsratsauflösung laut wurden, schlossen die tschechischen Abgeordneten aus Mähren, Or. Stojan, Vr. Hrubar und vr. Kondela, ein Wahlkartell, das auf der Basis des damaligen Besitzstandes beruhte. Nun mehr soll es sich um eine durchgreifendere Maßnahme organischer Natur handeln. Die „Lidove Noviny" teilen bereits die Grundsätze mit, auf welchen der alle tschechischen Abgeordneten umfassende Rcichsratsklub er richtet werden soll. Es wird u. a. allen jetzt im Abgeord netenhause vertretenen Gruppen für eventuelle Neu wahlen die volle Freiheit in der Bewerbung um Mandate garantiert; die gewählten Abgeordneten werden so ipso ansnahmslos Mitglieder des Klubs; den einzelnen Gruppen wird im Verhältnis ihrer Zahl eine Vertretung im Präsidium, in der parlamentarischen Kommission und in den Ausschüssen gewährleistet; den Klubmitgliedern wird Freiheit der Abstimmung, der Meinungsäußerung und des Standpunktes in wirtschaftlichen, kirchlichen und religiösen Fragen gesichert. Hingegen sollen alle Mit glieder verpflichtet werden, sich einem Klubbeschluß zu fügen in taktischen, nationalen, sprachlichen, autonomi- stischcn und politischen Fragen. Für die Stellung der Abgeordneten in den Landtagen würde das Uebcrein- kommen keine Konsequenzen haben. Zum Ucberfall vo« Figig. Der algerische Abgeordnete Thomsen hatte eine Unterredung mit dem Ministerpräsidenten über die Vor fälle von Figig. Präsident Combes entwickelte dabei die vom Ministerrate beschlossenen Maßregeln gegen die ein geborenen Stämme in Uebereinstinunung mit unseren letzten Meldungen. Ter „Temps" fügt hinzu: Jedenfalls handelt die französische Regierung nach einem längst fcstgelegten Plane und im Einvernehmen mit der marokkanischen Regierung. Der Maghsen (die marokka nische Regierung) macht sich keine falschen Vorstellungen über die Gefügigkeit der Grenzstämme. Seit mehreren Monaten sucht er unsere Unterstützung nach, um sie wieder zur Pflicht zu führen. Es sei dabei erinnert, daß vor einigen Wochen eine marokkanische Mission unter Führung Mohammed el Gebas aufgebrochen ist, um sich mit diesen Stämmen in Verbindung zu setzen, und daß gerade jetzt eine marokkanische Truppenabteilung unter dem Befehl eines französischen Offiziers, des Hauptmanns de Tezillat, und mit französischen Unteroffizieren über El Kreider nach Figig marschiert, wo sie die Garnison bilden soll. Diese Abteilung trifft in der Oase nach dem gegenwärtigen Straf zuge ein. Die Ansichten der französischen Regierung über die marokkanische Frage haben sich nicht geändert, nur der Druck der Umstände zwingt sie, ihre Vorsichtsmaßregeln zu vermehren und ihre Verantwortlichkeit genauer zu um schreiben. Darüber braucht niemand in Frankreich oder im Auslande sich zu wundern. In einem Leitartikel sagt dann noch der „Temps": „Wenn man wegen der feindlichen Elemente, denen man gestattet hat, sich zu vermehren, heute einen Strafzug unternehmen muß, so bleibt dieser doch eine einfache Pvlizeimaßregel, wie Herr Jonnart in Ain Sefra erklärt hat. Es handelt sich nicht um die Besetzung eines Teiles Marokkos, denn wenngleich der Sultan von Ma- rolko in diesem Teile seines Landes keine volle Gewalt ausübt, hat er viel guten Willen gezeigt, indem er unsere Mitwirkung annahm, um die Ordnung dort einigermaßen wieder herzustellen. Man weiß, daß er sich dazu verstanden hat, seine Truppen in diesem Gebiete durch französische Offiziere ausbilden zu lassen. Wenn wir daher die Um stände benutzen, um seine Verwaltung in Figig auf eine festere Grundlage zu stellen, so bietet sich da eine einzige Gelegenheit, ihm zu zeigen, welcher Nutzen ihm aus dieser Mitwirkung für andere Teile seines Reiches erwachsen könnte, an deren Befriedigung wir ebenfalls Interesse haben. Die Unterdrückung der Unruhen von Figig könnte auf diese Weise mehr werden als eine rein örtliche Ange legenheit, sie könnte auf unsere gesamten Beziehungen zu der marokkanischen Regierung einen erfreulichen Einfluß ausübcn."— Von unterrichteter Berliner Seite schreibt man uns: Wenn Frankreich wegen des Ueberfalles bei Figig Maßregeln trifft, die über den Schutz seiner Grenze hinausgehen, so ist dies nach der Lage der Verhältnisse nicht unberechtigt. Die Frage, ob bei dem Ueber- falle des Generalgouverncurs Jonnart englische Ein flüsse im Spiele waren, wird vom „Figaro" aufge worfen, aber nicht mit Bestimmtheit beantwortet. — Fol gende aktuelle Meldung ist noch zu verzeichnen: * Beni-Unis, 2. Juni. Nachrichten aus Zenaga be sagen, daß eine große Schar von Berabern und anderen Stämmen zum heiligen Kriege gegen die Fran zosen rüsten. Nr. 277. Mittwoch den Juni 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. Juni. „Das Reichstagswahlrecht in Gefahr". So überschreibt das „Berl. Tageb l." einen Artikel, der die freisinnigen und vermutlich auch die sozialdemo kratischen Wähler gruselig machen und zu äußersten An strengungen anreizen soll, damit das angeblich bedrohte allgemeine gleiche, direkte un>d geheime Wahlrecht gerettet werde. Bedroht sieht das „Berl. Tagebl." dieses Gut durch die ,Kreuzztg." deren Abneigung gegen das Reichstags wahlrecht bekanntlich beinahe so alt ist, wie dieses selbst; noch weit mehr aber durch Verschwörer im K ö n i g r e i ch Sachsen, die schon die ersten Schritte zur Ausführung ihrer schwarzen Pläne getan haben sollen. Das Blatt schreibt nämlich: „Auch wenn die „Kreuzztg." so tut, als habe ihre Erörterung nur einen akademischen Wert, so mußte sich doch jedermann sagen, -aß in diesen Ausführungen mehr als eine Privatmeinung, daß darin ein Programm lag. Man wird in dieser Ueberzeugung bestärkt, wenn man jetzt erfährt, daß die Agitation gegen das Reichstagswahlrecht bereits greifbare Gestalt angenommen hat. Wie ein sächsi sches Blatt, das „Radebeuler Tagebl.", aus zuver lässiger Quelle erfahren zu haben versichert, tvird zur Zeit an vermögende Herren aus verschiedenen Kreisen ein Auf ruf zur Zahlung von Beiträgen gesendet, deren Erträg nisse zur Herausgabe oi'ner Korrespondenz zwecks Abänderung des jetzigen Reichstags wahlgesetzes verwendet werden sollen, und zwar soll die Abänderung zu Gunsten einer Art Pluralwahlsystem erfolgen. Es seien auch schon mehrere ansehnliche Beiträge gezeichnet worden. Wer hinter diesem Plane steht, das wissen wir freilich nicht. Vielleicht erfährt man bald Näheres darüber. Doch läßt sich schon jetzt darüber so viel sagen, daß diese gegen das Reichstagswahlrecht gerichtete Bewegung auf sehr lebhafte Sympathien in reaktionären Kreisen rechnen kann. Auch die Ersetzung des gleichen Stimmrechts durch ein Pluralsystcm würde diesen Kreisen in den Kram passen; geht doch ohnehin die Sehnsucht der Re aktionäre auf ein Wahlrecht nach Art der preußischen Dreiklassenwahl, bei welcher der Besitz, vor allem der befestigte Grundbesitz, den Ausschlag gibt." Was die „Kreuzztg." in ihres Busens Falten birgt und ob sie vielleicht die Herausgabe einer besonderen Kor respondenz zwecks Abänderung des jetzigen Reichstags wahlgesetzes plant, wissen wir nicht. Wenn aber wirklich in Sachsen Sammlungen zum Zwecke der Herausgabe einer solchen Korrespondenz im Gange wären, so würde uns das schwerlich fremd geblieben sein. Tas beweist freilich noch nicht, daß das „Radebeuler Tagebl." falsch in formiert sei. Aber so „hell" sind unsere Lachsen denn doch, daß sie ihr Geld nicht in Unternehmungen stecken, bei denen der Verlust des Kapitals nebst Zinsen in sicherer Aussicht steht. Viel wahrscheinlicher ist es jeden falls, daß irgend ein freisinniger oder sozial demokratischer Diplomat dem Radebeuler Blatte ein Kuckucksei ins Nest gelegt hat, um es da ausbrüten zu taffen un- dann mit dem jungen Vogel auf die Wahl agitation zu ziehen. Das wird freilich auch nicht viel nützen, denn unseres Wissens sind in Sachsen alle Kartell- Fsrrilletsn. Mr. Trunnell. Seeroman von I. H a i n s. Nachdruck verboten. „Doch nicht etwa Meuterei?" fuhr ich auf. „O Lord! Nicht doch, Steuermann! Er meinte bloß, der Alte würde umkehren, wenn alle Mann das ver langten. EI fehlte nicht viel, dann wäre Mr. Trunnell damit einverstanden gewesen, und wenn hernach auch Sie noch zustimmen, dann ist's keine Meuteret, den neuen Schiffer dahin zu bringen, daß er umkehren läßt und den andern, den ausgebrochenen Mörder, wieder an das Ge richt abliefert." Ich muß gestehen, daß auch ich gern diesem Schiffe den Rücken gekehrt hätte und wieder an Land gegangen wäre, allein ich wußte, daß davon nicht mehr die Rede sein konnte. Der Schiffer hätte niemals seine Zustimmung zur Unter brechung der Fahrt gegeben. Trunnell wiederum war ein Mann des striktesten Gehorsams, der jeden Befehl blind lings ausführte, mochte es kosten, was es wolle. So weit batte ich ihn bereits kennen gelernt. Wir hatten also die Aussicht, monatelang zwei Kapitäne an Bord zu haben — vorn den Banditen, den ausgebrochenen Mörder, und hinten auf dem Quarterdeck den seltsamen Mann, der, nach -er Ueberzeugung urteilsfähiger Leute, von Schiffahrt und Seewesen keine Ahnung haben sollte. Ich brach mit dem Zimmermann und dem Steward das Gespräch über ihn ab. Ohne Zweifel hatte Jim Potts vorn im Logis schwerwiegende Gründe gegen die Recht mäßigkeit des gegenwärtigen Schiffskommandos ins Feld geführt. Je tiefer ich hierüber nachdachtc, desto mehr nahm mich dies wunder; denn gerade dieser junge Mensch war an Bord gekommen, ohne im geringsten dazu ge zwungen gewesen zu sein; er hätte an Land bleiben können und niemand hätte ihn vermißt. Berstimmt ging ich wieder an Deck. Ich nahm mir vor, jeden Menschen an Bord auf das schärfste und miß trauischste zu beobachten; denn die Reise hatte für mich übel genug begonnen. Auf dem Hauptdeck war noch viel zu tun und in Ord nung und Schick zu bringen; fast den ganzen Nachmittag verwendete ich darauf, meine Taugenichtse die Enden des laufenden Gutes sauber und regelrecht aufschießen und an die Nagelbank hängen zu lassen. Der Schiffer hielt sich lange auf dem Quarterdeck auf, wo er die meiste Zeit vorn an der Brüstung zubrachte und das Treiben an Deck beobachtete, ohne auch nur einen einzigen Befehl zu erteilen. Ich bemerkte, daß Jim Potts sich geflissentlich fern von ihm hielt. Manchmal wollte es mir auch scheinen, als folgten die scharfen Augen des Ka pitäns gerade diesem jungen Menschen und allen seinen Bewegungen auf dem Vordeck und der Back. Trunnell hatte die Hundewache an diesem ersten Abend. Die südliche Brise frischte nach und nach auf, und der „Pirat" brauste unter allen Segeln auf seinem westlichen Kurse dahin. Was für ein schönes Schiff dieser Klipper doch war! Hoch ragten seine Masten empor in die Halbfinstcrnis des Firmaments; die Segelmassen glichen einer mächtigen Wolke, die emporwuchs aus dem niedrigen, schwarzen Fahrzeuge, und zugleich mit diesem in reißender Schnellig keit dahinfuhr. Rechts und links vom Buge zerstob der zurückgeworfene Schaum, und mit tosendem Donnern wälzte sich, gleichsam als Vvrtrab, die weiße Gischtmasse, die Bugwelle, dem Schiffe vorauf. Ich betrachtete dies alles von der Back aus. Weit reichte die Großraa leewärts über die See; die aus gebauchten Untersegel, straff wie Trommelfelle, tönten in tiefüröhnendem Echo das Gebrüll der Bugwelle zurück; die ganze Luft schien angefüllt zu sein mit den summenden, sausenden Vibrationen des straff gespannten Takelwerkes. Der Horizont rings umher löste sich in Dunst auf, hoch über mir aber funkelten die südlichen Sterne und ver hießen eine klare Nackt. Ich stieg von der Back an Deck hinunter. Hier ver hinderte luvwärts die sechs 'Fuß hohe Schanzklcidung den Ausblick über die See, dem kühlen Abendwinde aber ver mochte sie nicht zu wehren. Die Leute der Wache saßen mittschiffs auf dem Lukenrande oder liefen auf und nieder, einzeln und in Gruppen. Sie hatten ihre Piesacken an gezogen; denn die Luft war frostig. Der „Doktor" war mit dem Aufwaschen seiner Töpfe fertig und hatte die Kammer des Zimmermanns aufgesucht, durch deren Tür spalt ein Lichtschein sichtbar wurde. Der Zimmermann wird auf den meisten amerikanischen Schiffen zu den Offizieren gezählt, er braucht aber keine Wache zu übernehmen; er arbeitet während des ganzen Tages, schläft dafür auch die ganze Nacht und wird nur ausgepurrt, wenn «alle Mann" gerufen werden, wenn also Gefahr im Verzüge ist. Der Koch, oder „Doktor", wie er gewöhnlich genannt wird, hat ebenfalls die Nacht für sich, auch der Steward und die Kajütsjunaen. Der Zimmermann darf, so lange er mag, des Abends eine Lampe in seiner Kammer brennen, und die Folge da von ist, das sich die untergeordneteren Offiziere, wenn Zeit und Gelegenheit dies gestatten, gern bei ihm zu einem Plauderstündchen einstellen. Hier sind stets die Tages neuigkeiten des Schiffes zu erfahren; denn Steuerleute und Bootsmann, Koch und Steward erfreuen sich einer gastfreien Aufnahme bei Mr. Tschips. Trunnell spazierte auf dem Quarterdeck, der Kapitän befand sich in der Kajüte. Wenn ich mich zu meinen so eben erwähnten Tchiffsgenossen gesellte, mich an ihren Unterhaltungen beteiligte oder ihnen auch nur zuhörte, dann mußte es mir leichter und schneller gelingen, eines jeden Natur, Charakter und Eigenart kennen zu lernen. Meine Stellung als zweiter Steuermann war keineswegs so erhaben, daß sie mich verhindert hätte, mit dem Zimmer mann oder auch mit dem Bootsmann vertraulich zu ver kehren. Noch einen Blick warf ich über den kalten südlichen Ozean, auf dem die scharfe Abendbrise die kurzen Seen zu weißen Schaumflecken peitschte. Der Horizont war jetzt klar, das Wetter sah nickt so aus, als wäre in nächster Zeit ein Kommando zum Segelbergen zu erwarten. Das Fir mament glich einem schwarzblaucn Gewölbe, an dem die Sterne bereits zahllos funkelten und flimmerten, während der letzte rötliche Schimmer des Sonnenunterganges noch auf der Nock des Klüverbaumes glimmte. Ich bewegte mich langsam dem vorderen Deckhause zu, das außer der Kombüse noch die Kammern für Koch und Zimmermann enthielt, und als ich bemerkte, daß man vom Quarterdeck auch nicht auf mich achtete, schob ich die weiße Tür in ihren Falz zurück und trat ein. Ein Nebel, verursacht von dem Dunst feuchter Kleider und dem Qualm schleckten Tabaks, hing schwer in der dumpfigen Luft des engen Raumes und bildete einen Hof um die Flamme der kleinen Lampe, die am Schott hin und her schwang. Tschips, der auf seiner Scekiste saß, bewill- kvmmncte mich mit einem Wink der Hand, der „Doktor" nickte und wies mir lächelnd seine wcißenZähne. DerBovts- mann war in einer eifrigen Auseinandersetzung mit einem der älteren Matrosen begriffen, und Jim Potts hörte auf merksam zu. Letzterer, sowie der Matrose, erhoben sich respektvoll bei meinem Eintritt, die andern blieben sitzen. Ich erwiderte die Begrüßung freundlich, hieß die beiden wieder Platz nehmen, und setzte an der Lampe meine Pfeife in Brand. „Guten Abend auch, Steuermann", sagt« Tschips, „kommen Sie an meine Seite. Wir wollen eben eins singen. Wir sind hier auf einem ganz verdammten Kahn geraten, so viel haben wir alle schon weg; aber singen wollen wir erst recht; denn was nützt das Kopfhängen? Also, schmeiß los, Bootsmann." Wir waren lauter neue Leute auf dem „Pirat", keiner hatte den andern vorbei gekannt. Dennoch „schmiß" der Bootsmann ohne lange Ziererei „los" und der „Doktor" begleitete ihn mit seinem vollen Baß. Als sie ihr Lied be- endet hatten, fingen Tschips und die übrigen an, eins der alten Lieder zu gröhlen, die man überall ans amerika nischen und englischen Schiffen beim Ankerhieven sowohl, als auch bei jeder andern Gelegenheit hören kann, und im Nu waren alle Gedanken an die dunkle, drohende Zukunft an Bord eines Schiffes, das überladen war, dessen Pro viant schlecht und dessen Kapitän eine recht zweifelhafte Persönlichkeit war, in den Wind geschlagen, und jeder ging vollständig in dem Bestreben auf, seine Sangeskunst zu zeigen und die andern zu überbrüllen. Seeleute sind ein merkwürdiges Völkchen. Es bedarf nur wenig, solch «inen alten Knaben fröhlich und aus gelassen zu machen, zu einer Zeit, wo er alle Veranlassung hätte, traurig und schwermütig zu sein; und wiederum, wenn alles nach Wunsch geht und er sich von Rechts wegen durchaus wohl fühlen müßte, dann schilt und brummt er und ist mit nichts zufrieden. Als der Gesang und die Unterhaltung zu Ende waren, übernahm ich meine erste Wache an Bord des „Pirat", hoffnungsvoll gestimmt und sehr zufrieden mit meinen Schiffsgcnossen. Viertes Kapitel. Während der nächstfolgenden Tage gab es alle Hände voll zu tun. Am Kap der giiten Hoffnung, mit größerem Recht Kap der Stürme genannt, mußten wir auf schlechtes Wetter gefaßt sein; es wurden daher neue Segel unter geschlagen und die nickt mehr zuverlässigen Leinen des laufenden Gutes durck bessere ersetzt. Diese Arbeiten hätten vermieden werden können, wenn das Schiff während seines Aufenthaltes im Dock unter richtigem Kommando gewesen wäre. Dem Obersteuer mann stand cs nicht zu, dergleichen auf eigene Faust z«
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