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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020707027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902070702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902070702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-07
- Monat1902-07
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Es wäre aber ein bedenk licher Jrrthum, wenn man sich aus diesem Grunde der Illusion hingeben wollte, als ob der genannte Erzbischof und die ihm unterstellte Geistlichkeit eine Stütze der deutschen Ostmarkenpolitik sein könnten. Dagegen spricht eine Reihe von Thatsachcn in unwiderleglicher Weise. Im Reihe von Thatsachcn in unwiderleglicher Weise. >fm Jahre 1900 fand bekanntlich die Feier des 900jährigen Be stehens der Erzdtöcese Gnesen statt. Formell wurde der Aufruf zur Veranstaltung dieser Feier zwar an alle Tiö- ccsanen gerichtet, inhaltlich aber war der Aufruf dazu be stimmt, die Jubelfeier eines polnischen Erzbisthums vvr- zubereiten. Die Leitung der Veranstaltung lag denn auch ausschließlich in den Händen der polnischen Geistlichkeit und Aristokratie. Unter ihrer Leitung fand eine polnische Volksversammlung statt, die sich durchaus als eine Heer- schau des politischen Polcnthums darstcllt«. Insbesondere wurde in dieser Versammlung die ruhmreiche Geschichte der polnischen Erzdtöcesen schwungvoll gefeiert. Hätten noch Zweifel darüber bestehen können, daß in Wirklichkeit die Feier nur für die polnischen Katholiken bestimmt war, so mußten diese durch die Auslassung des „Kuryer Poz nanski", des Organs des erzbischöflichen Stuhles, der polnischen Geistlichkeit und des polnischen Adels, völlig beseitigt werden. Das Blatt sprach es unumwunden aus, daß für die deutschen Katholiken die Möglichkeit, sich ihrer seits an der Jubiläumsversammlung zu betheiligcn, welche doch immerhin die Feier eines mit der Geschichte der pol nischen Nation eng verbundenen Gedenktages bilde, von vornherein ausgeschlossen wäre. Am Schlüsse dieses Ar tikels wurde dann noch zum Ueberfluß den Deutsch katholiken zu Gcmüthe geführt, daß sie nur dann als voll- berechtigt anerkannt würden, wenn sie sich rückhaltlos den polnischen Bestrebungen «»schlössen. Einen weiteren schlagenden Beweis bietet die Veranstaltung und der Ver, lauf des am 26. Mai in Posen abgchaltencn Papst jubiläums. Es wurde durch eine» festlichen Umzug durch die Stadt und durch eine Volksversammlung im Zoolo gischen Garten begangen, der Herr v. Chlapowski präsi- dirte. Der Erzbischof, viele hochgestellte Geistliche, Fürst Radziwill und Träger vieler anderer hervorragender polnischer Namen hielten Ansprachen. Aus diesen ging klar hervor, daß das Fest zur Fructtficirung des polnischen Nativnalgedankens vcrwertyet wurde, ja vielleicht allein zu diesem Zwecke veranstaltet war. Auch die Rede des Erzbischofs, obwohl sie sich äußerlich gegen die Feinde des Glaubens wandte, war tyatsüchlich eine national-polnische Rede und wurde auch so von den dazu agitatorisch bear beiteten Zuhörern aufgcfaßt. Die deutschen Katholiken fehlten. Sie hatten bei einer so veranstalteten Feier auch thatsächlich nichts zu suchen. Die Polen hatten die ganze Feier in die Hand genommen, und cs waren auch be zeichnender Weise von kirchlicher Seite keinerlei Schritte gethan, um die Betheiligung der deutschen Katholiken herbeizuführen. Aus diesen Thatsachcn erhellt zur Genüge, daß auch die katholisch-polnische Hierarchie die katholische Kirche in Posen aus schließlich als eine polnische ansieht und dementsprechend sie thunlichst in den Dienst der polnischen Bestrebungen zu stellen trachtet. — Ohne jeden Connnentar wollen wir im Anschluß hieran noch folgende polnische Zeitungs meldung abdruckcn: Als der Fttrstbischof von Bres la», Cardinal Kopp, in Tesch en (Oester- reichisch-Schlesien) weilte, nahm an seinem Empfange auch eine Abordnung deS Teschener polnischen Gqmnastums Thetl. Der Direetor begrüßte Se. Eminenz in polnischer Sprache. Der Herr Cardinal nahm dies äußerst freundlich auf und bat um Ent schuldigung, daß er deutsch antworte. Er verstehe zwar Polnisch, beherrsche es aber selbst nicht genügend. Der Herr Cardinal nannte das polnische Gomnasium eine für Schlesien nothwendige Anstalt, die hoffentlich bald ver staatlicht und aus der auch für die Kirche Nutzen erwachsen werde. Denn hier würden künftige Priester erzogen, die die polnische Sprache völlig beherrschten. Und solcher Priester brauche er (Eardinal Kopp) viele für seine Million polnischer Dtöcesanen. Der Abordnung cr- thetlte der Herr Cardinal seinen Segen. Die Erklärungen des französischen Außen ministers Delcasss über den Dreibund und die Beziehungen zwischen Frankreich und Italien sind, wie zu erwarten war, von der französischen Presse beifällig ausgenommen worden. Zahlreiche Blätter, darunter selbst der „Tcmps", behandeln die Worte des Ministers theilwcise wie eine Offenbarung, so besonders den Passus über den rein defensiven Charakter des Dreibundes, den dieser nach der un erschütterlichen Ansicht vieler Franzosen von Anfang an nicht besessen hat. Einige Blätter gehen so weit, die letzte Erneuerung des Dreibundes nur als eine „höfliche Fiction" zu betrachten. Sv erklärt der nationalistische „Eclair", die Erneuerung des Dreibundes sei nur noch eine Freundschaftskundgebung an Deutschland ge wesen, mit dem Italien noch durch ein schwaches Band der Dankbarkeit verknüpft sei, mährend seine wohlver standenen Productions- und Handelsinteressen es nach der anderen Seite zögen. Zu bemerken ist, daß DelcassS's Aeußerungen nicht so aufgesaßt worden sind, als ob Italien nun in keinem Falle mehr ein „Kriegs instrument gegen Frankreich" sein könne. Bekanntlich gaben die ersten Meldungen der Vermnthung Raum, daß Delcassv gesagt habe, Italien werde unter keinen Um ständen gegen Frankreich Vorgehen, und daß er diese falsche Behauptung später im Protokoll dahin ein geschränkt habe, daß sich Italien an keinem Angriffe auf Frankreich betheiligcn werde. Dem ist nicht so. Im Commentar des vfficiösen „Petit Parisi en" zu Delcassö's Rede heißt es ausdrücklich, uunmchr stehe fest, daß Italien durch keinen Vertrag zu einem Angriff gegen Frankreich fortgcrissen werde» könne. Und das „Journal des Dsbats" erörtert sogar die Möglich keit, daß Italien Frankreich feindlich gegcnüberslehen könne, wenn einer seiner Bundesgenossen letzterem die Nolle des Angreifers aufdränge. Ter „Figa r o" freut sich am meisten darüber, daß Italien sich herbeigclassen habe, der französischen Regierung so freundliche Zu sicherungen zu geben. Der russisch-französische Zweibund übe auf das Cabinet von Nom eine so starke Anziehungs kraft aus, daß man in Rom darauf halte, Frankreich und Rußland alle wünschenswerthen Garantien zu bieten. Der Schritt der italienischen Regierung werde in Europa als ein gerechter Erfolg der französischen Diplo matie um so höher eingcschäyt, als er für Alle ein Ver sprechen des Friedens bedeute. Eine besondere Seite ge winnt der „Sisele" den Erklärungen Delcassö's ab. Hvcherfrculich, schreibt er, sei es, daß die Republikaner in Frankreich jetzt einsehen, eine Politik des Friedens sei besser, als die Politik der Eroberungen, die mit der Annexion von Tunis Italien in die Arme des Drei bundes trieben. Nur wenige Blätter stimmen nicht in den Chorus der unbedingten Lobrcdncr Delcassö's ein. Das „Journal" meint, der Minister habe die größten An strengungen gemacht, um die bittere Pille der Er neuerung des Dreibundes zu verzuckern, und das sei ihm auch bis zu einem gewissen Grade gelungen. „Deutsch land und Oesterreich-Ungarn haben einen neuen Vertrag in ihren Archiven, wir eine Erklärung mehr auf der Tribüne des Parlaments". Auch die antisemitische „Libre Parol e" kann bet aller Anerkennung des er freulichen Thatbcstandes sich nicht entschließen, Delcassö Weihrauch zu streuen. Sie schiebt das ganze Verdienst der russischen Diplomatie zu: das erhelle aus der That- sache, daß der König von Italien nach Rußland, nicht aber nach Frankreich zu reisen beabsichtige. In anderer Richtung schlägt der „R a d i c a l" politisches Capital aus der Besserung der Beziehungen zu Italien. Die An näherung Italiens an Frankreich habe begonnen von der Zeit an, da in Frankreich die Republikaner wieder die Oberhand erhielten und die klerikale Rcaction zurück drängten. Angesehene französische Blätter beschäftigen sich in be- merkenswerther Weise mit der Aachener Kaiscrrevc und mit dem dcntschcn Hccre. In Bezug auf jene Rede schreibt daS „Journal des Debatö": „Wir stehen einem systemischen Feld zuge gegenüber, deffen Ziel ist, Deutschland zur Schutz macht der Katholiken zu erheben, besonders im Ver gleich mit Frankreich. Falls dieser Felozug nur zum Ziele hätte, die deutschen Katholiken für die kaiserliche Politik zu gewinnen, könnte sie uns vcrhältnißmäßig gleicbgiltig lassen; aber da es sicher ist, daß er höher hinaus will und gleichmäßig internationale Absichten verfolgt, ver dien! er unsere ganre Aufmerksamkeit." — WaS das Pariser Blatt hier von Absichten spricht, Deutschland in inter nationaler Hinsicht zur Scbutzmacht der Katholiken zu er heben, ist lediglich ein Phaniasieproduct. Man weiß längst, daß Deutschland in internationaler Beziehung nur den An spruch erhebt, die Katholiken deutscher NeichSaugehörigkeit selbst zu schützen. Auch die Aachener Kaiserrcde enthält keine Stelle, die eine Abweichung von diesem Stand- punct irgendwie anteutete. Im Gegentheil sagte der Kaiser: „Dem Charakter der Germanen entsprechend, beschränken wir uns nach außen (auf die Grenzen unseres Landes), um nach innen unbeschränkt zu sein." — Sind dem nach die Befürchtungen des „Journal des DöbatS" gegenstandslos, so gilt das Gleiche von gewissen Hoff nungen, die der „Temps" durchschimmern läßt, wenn er seinen Artikel über die deutsche Armee mit den Worten schließt: „Bald wird Deutschland an der Spitze seiner Streitkräfte nur Männer haben, die alle Geheimnisse der Theorie wunderbar verstehen können, denen aber die Weihe derPraxiS, der Erfahrung und des Sieges mangeln wird." — Das ist auch rrnno 1864 ebenso gewesen, hat aber die deutschen Siege nicht verhindert. Im klebrigen wird den französischen Heerführern wohl gleich zeitig ziemlich derselbe „Mangel" anhaften — die Franzosen müßten sonst ihre Colonialsiege als hinlänglich „weihevoll' ansehen Der Schweizer Univcrfitätsprofessor Vetter in Bern hatte bekanntlich bei Gelegenheit des Jubiläums des „Ger manischen Museums" in Nürnberg eine Rede gehalten, in welcher die Stelle vorkam: „Als Schweizer sind nnd bleiben wir Deutsche." Das hatte bei der Berner Studentenschaft stark verschnupft, sie brachte Vetter eine Katzenmusik, nnd die Universitätsbchörden gaben ihm zu verstehen, daß sie seine Aeußerung für tact- lvs hielten, da die Schweiz seit Jahrhunderten ihre eigene Geschichte habe und eS dem Nattvnalstvlze des Schweizers widerstrebe, wenn sein Land gewissermaßen als eine Pro vinz Deutschlands bezeichnet werde. Dies veranlaßte Vetter, auf seine Professur zu verzichten; er gab als Ant wort auf das übelwollende, chauvinistische Mißverständnis; seiner Worte, die lediglich die Geistesgemeinschast schweize rischen und deutschen Wesens, namentlich auf literarischem und wissenschaftlichem Gebiete, andenten wollten, um gehend seine Demission. Zu der Angelegenheit wird jetzt dein „Schwäbischen Mercur" aus Bern geschrieben: An sich kleine, unscheinbare Ursachen haben oft recht unliebsame Folgen. Wer hätte denn ge dacht, daß die geistvolle Rede des Professors Ferdinand Vetter solch' schwere Folgen nach sich ziehen würde? Sicherlich Vetter am allerwenigsten. Er ging, das darf Jedermann glauben, mit einem patriotischen Hochgefühl, mit dem Stolze eines durch und durch begeisterten Künstlers nach Nürnberg, um dort die Schweiz zu ver treten, ein unverfälschtes Helles Echo schweizerischen Geistes und Künstlersinns zu sein. Politische Anwand lungen lagen ihm vollständig fern, und die Absicht, sich nur eine „deutsche Professur zu ergattern", wie Ober richter Hellmüller im „Bund" sich so häßlich ausdrücki, hatte er sicherlich nie geahnt. Auch nicht der leiseste Schatten irgend einer Strcbcrci umfing ihn. Und doch mußte er erfahren, daß man ihm unlautere Motive unterschob, ja ihn einer niederen, unpatriotischen Ge sinnung zieh. Was Wunder, wenn er über Nacht die Pro fessur an der Berner Hochschule niederlcgte. Und als der „Bund" gar hinter dem Rücken des Ur. I. V. Wid- m a n n einer beleidigenden Zuschrift des Oberrichters Hellmüller gegen Vetter die Ausnahme gewährte, da war cs erklärlich, daß auch Widmann seine Demission gab. Beide Herren sind nicht allein geistig verwandt, von dem selben hohen Fluge dichterischer Begabung erfüllt, sie um schlingen auch verwandtschaftliche Baude, denn Vetter hat eine Stieftochter Widmann s zur Frau. Alle Versuche, Widmann wieder zur Zurücknahme der Demission zu be wegen, waren erfolglos. ES ist ja menschlich erklärlich, daß der „Bund" gegenüber Hellmüller, einem eifrigen Berner Parteigenossen, sich leicht einer Schwäche schuldig machen konnte, indem er gegen Vetter eine Einsendung anfnahm, allein diese Einsendung durfte sich keiner häß lichen persönlichen Form bedienen. Das ist aber ge schehen, und dadurch hat sich das Blatt eines un- collegialischcn und groben Verhaltens schuldig gemacht, welches tief zu bedauern ist. Und was ist der „Bund" Widmann nicht Alles schuldig? Widmann hat das Blatt geistig regencrirt und ihm eine angesehene Stellung ver schafft. Und mln dieser Fußtritt! Unter normalen Ver hältnissen ist eine solche Handlungsweise entschieden un denkbar, hier ist's Ereigniß. Als Widmann im Jahre 1880 von den konservativen Schulbehörden Berns aus Feuilleton. Susanna. ns Roman von B. Herwt. Nachdruck vkrboten. So fuhr er dahin ... in die Nacht hinaus, und die selben Sterne, die seinem Sinnen und geistigen Schaffen leuchteten, sie schienen auch in daö stille Gemach des hohen Hauses in der Rue Montmartre, leuchteten dem einsamen Mädchen, das in seiner tiefen Bewegung keine Ruhe finden konnte. Lange stand Susann» am geöffneten Fenster und er quickte sich an der kühlen, reinen Nachtluft. Bon fern drang der Lärm des Boulevards herüber, verspätete, heim kehrende, lustige Studenten, die dem Quartier latin zu strebten, eilten vorüber . . . vom Thurm St. Eustachc gaben die Glockenklängc die Zeit an . . . nun tönte ein langgezogenes Pfeifen von ferne her ... „wohl vom „Gare du Nord", dachte sie . . . „cs ist die Stunde, in der Franz Bärcnholm die Stadt verläßt, sie verläßt . . . wieder ein Freund weniger . . . auch Woronsow ist fern, nun ist sie allein, ganz allein, einsam und verlassen in der Riesenstadt . . . wie die schweren Wolken sich jetzt gerade oben am Himmel zusammenthürmen, düster, drohend, herzbeklemmend . . . vorher noch der klare Himmel . . . war nicht auch so ihr Leben? Erst heiter, sonnig, bis die Stürme kamen, die Wolken sich zusammen zogen, der Blitzstrahl sie traf. Sie athmete bang. Was mochte ihr noch beschieden sein! Traurig sah sie zum Nachthimmel auf . . . immer leichter wurde es ihr nms Herz, und immer klarer und Heller ward cs dort oben, immer leuchtender schien der goldige Mond siegreich hinter den sich theilenden Wolken hervor . . . nun blinkten die Sterne wieder, da fielen auch die erlösenden Tropfen auS des einsamen Mädchens Augen herab auf die gefalteten Hände. „Von oben . . . mein Trost", flüsterte sie leise. Ein alter Vers fiel ihr ein, sic sagte ihn sich laut her: „So zieht ihr Wolken, zieht dahin, Mit euren düster» Feuchten, Doch trübt mir meinen Himmel nicht, Wo meine Sterne leuchten." Dann ging sie zur Ruhe. Zweiter Th eil. Erstes Capitel. Fast zwei Jahre waren in den Schoost der Zeit herabgesunkcn. Winterstürme hatten die Erde durchbraust, Lenzes- wchen neue Hoffnungen erweckt, in Sommcrsgluthen waren Ernten gereift und milder, klarer Herbst hatte Frieden und Segen gespendet, in der Natur und auch in den Herzen der Menschen. Der ewige Kreislauf der Dinge, der sich in ihren Schicksalen immer wieder abspiegelt, das Toben und Brausen der Leidenschaften, die immer neu erwachende Sehnsucht, Arbeit, Ringen und Streben mit seinen Ent täuschungen und Entsagungen, mit den oft so geringen Erfolgen — Alles hatte sich nach unerschütterlichen Ge setzen wiederholt und jedem Geschöpf auf Erden das un gleich gemessene Mast an Leid und Freude gebracht. Auch über das alte Rapsau, über das erneuerte Alsc- rischkeu oben am östlichen Meere, war der Sturm gezogen und hatte manche Blüthe geknickt. Die graue, mächtige Burg war so lange ein Hort des Friedens gewesen, das Glllcksbanner wehte unsichtbar, bis jener traurige Tag damals herangekommcn, in dessen düsteren Stunden Eberhard, der älteste Sohn, der künftige Majoratshcrr, vom jähen, furchtbaren Tod ereilt wurde und die der Familicnfreudc geweihten Stätten umflort blieben für lange Zett. Etwa von Hillebrandt, die stolze, schöne Braut, zeigte ihre wahre Liebe zu dem Verstorbenen durch jedes Verzicht auf Mcnschcnglück, kehrte der Welt den Rücken und begab sich in ein adliges Tamcnstift nach Hannover, um Werke der Nächstenliebe zu üben. Die leichtlebige, genußsüchtige Schwester, welche nicht gewöhnt war, ihren oft abenteuerlichen Neigungen einen Zügel anzulegen, welcher außerdem die Segnungen milder Mutterliebe nie zu Thetl geworden, da Frau von Hille- brandt bet der Geburt dieser Tochter gestorben war, hatte mit kühnem Anlauf ihr selbstgestecktes, hohes Ziel erreicht, Achim'S Gattin zu werden. Die kleinen Hände, die so fest die Reitpeitsche schwangen, die so muthig auf den Jagden das todtbrtngende Geschoß abfeuertcn, sie konnten die zarten Fäden nicht spinnen, die häusliches Glück zu sammenhalten, sie konnten den Frieden ihrer Ehe nicht bewahren und zerstörten muthwillig, leichtsinnig, was sie sich so stürmisch verlangend angecignct, anscheinend, um es sich für ewig zu sichern. Warpm hatte Achim auch den OfficterSrock ausgezogen, warum mußte er sich in Alscrischken begraben, anstatt in Berlin oder mindestens in der alten Krönuugsstadt Ost preußens mit der jungen Frau zu glänzen? Tas waren nicht ihre Ideale gewesen, anhaltend so einsam zn leben. Sic liebte den schönen, blonden Achim mit Leidenschaft, furchtbare Eifersucht hatte ihr Herz durchwühlt, als da mals die Gerüchte von seiner Verlobung mit der jungen Malerin ausgetaucht waren, ein förmliches Snstcm war nach Eberhard s Tode von ihr verfolgt worden, um sich in die Herzen der Trauernden zu stehlen, besonders ver stand sie cs, Achim ganz in ihren Bann zu ziehen, ihn zu trösten, ihre Liebe offen zn zeigen, bis sie ihr Ziel erreicht, an seiner Seite den Pricslerscgcn empfing, in die Welt hinaussnhr, glücklich, selig — und sogar für einige Zeit dankerfüllt. Dann aber . . . immer mehr und mehr kroch der böse Feind des Friedens, die Langeweile, heran mit ihrem Widerwillen gegen segensreiche Arbeit, mit ihrem schleichenden Gefolge von Verdrießlichkeit, Un- befriedigtscin, mit ihrem Haschen nach unerlaubtem Thun, mit ihrer Sünde. Elsbeth und Rosa waren seit längerer Zett aus der Schweizer Pension heimgekehrt. Es kam darauf an, die jungen Mädchen, sehr an- muthige Zwillinge, in die Welt etnzuführen, die Saison in Königsberg sollte Gelegenheit dazu geben, und da die Mutter sich noch nicht entschließen konnte, rauschende Feste mitzumachcn, ward Selma s Anerbieten, die flüggen Vögelchen unter ihren Schutz zu nehmen, dankend an genommen. Achim zeigte sich zwar nicht sehr zufrieden mit diesem Arrangement, denn er sah voraus, wie viel Unruhe, Zerstreuungen, ja, Extravaganzen zu überwinden sein würden, Selma aber schlug mit der Behaupkung, daß sic die Langeweile nicht mehr vertragen könne, seine Be denken nieder. „Du hast die Musik, Lcctürc, Deine Malexei, die Dorfarmen, die KindeAchnle, die Mutter hat sich stets darum gekümmert, auch tArita." „Ist mir langweilig, thcnrer Achim, ich hätte es schon lange nicht ausgehalten, wenn nicht die paar Jagden gewesen wären. Selbst aus dem einsamen Reiten mache ich mir nicht mehr so viel, immer allein, höchstens mit Dir oder dem Jokeu, es muß ja langweilig werden. In Königsberg habe ich die Manage, die Theater, die Bälle, die Schlittenfahrten, den Circus, da atbmc ich Luft, die mir ziifagt, lasse mich nur einige Zeit dort, nachher ertrage tchs hier wieder leichter." Sie suchte ihn zu umarmen, er nahm eS kühl auf. „Pedant", sagte sic kurz und wendete sich ab. „ES ist mir längst klar, daß Dn mich nicht liebst." Die jungen Schwestern wurden von Selma dressirt, es hals Achim nichts, er mußte nachgeben, die Damen nach Königsberg begleiten und sich für dort häufig zur Ver fügung stellen. Nun war Selma in ihrem Elemcni. Kaufen, bestellen, Toiletten ansehcn, Besuche machen und empfangen, dann die verschiedenartigsten Vergnügungen exquisitester Art, Sviröeu und Bälle bis tief in die Nächte, Zanbcrseste auf gliycndcm Eise, Wohlthütigkeitsbazarc, bei denen sich die elegante, junge Krau durch ihren Chic und ihre Noblesse hervorthat, Theater, Concerte, kurz, wo das Vergnügen sein Sccpter schwang — die pikante Frau von Lessen mit den reizenden, jungen Schwäge rinnen durste nie fehlen. Den Zwillingen wurde es fast zu viel. Sic sehnten sich schon nach Hause, aber sie waren zu sehr in Sclma'S Bann und mußten Eltern nnd Bruder immer wieder bitten, sie noch in der Stadt zu lassen. Eine besonders mächtige Concurrcnz gegen Achim s Wünsche war dadurch entstanden, daß ein weltberühmter Circus nach Königsberg kam, um einige Wochen vor dem Steindammcr Thore die Städter hinaus zu locken. In Ostpreußen ist das Interesse für schöne Pferde be sonders groß. Der Zuspruch war enorm. ?luch bei Selma war jedes andere Interesse verdrängt. Seit frühesten Kindcrjahrcn hatte sie sich nie so wohl gefühlt, als aus dem Rücken eines feurigen Rosses. Kunst volle Ritte, schöne Schulpferde, elegante Reiter, hals brecherische Evolutionen — das war ihr Ideal. Allabendlich sah man sie in einer Loge des Circus Mare — Diners-Einladungen nahm sie nur bis zur Er- öffniingSstlinde der Vorstellungen entgegen, auf Abend gesellschaften erschien sic erst, wenn die letzte Flamme im brettcrnen Hause gelöscht war. Dem ersten Parfvrec-Rciter, Monsicnr Manfreds, war cs namentlich gelungen, ihre Aufmerksamkeit und Gunst zu erringen. Mit leidenschaftlichen Blicken verfolgte sie seine wilden Ritte, applaudtrtc sic heftig nnd anhaltend seine kühnen, eleganten Leistungen, mit unterdrückter Freude nahm sic seinen stummen Dank ans den leuchtenden Augen ent gegen. Sobald er in die Arena einritt, suchte sein Auge die schöne, junge Frau im weißen Hermelin-Cape unv schwarzen, gewaltigen Federhut, die immer in derselben
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