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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.06.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030604022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903060402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903060402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
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Sozialdemokratie und Handelsverträge Bekanntlich Hal der „Genosse" Singer unlängst in KottbuS bezüglich der Beteiligung der Sozialdemokratie an den bevorstehenden Handelsvertragskämpfen erklärt, er sei ermächtigt, im Namen der „gesamten" sozialdemokratischen Fraktion zu erklären, daß diese keinem Handelsverträge zu stimmen werde, der eine Erhöhung der Lebensmittelzölle oder Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit des Volkes im Gefolge haben würde. Daraus hat Genosse v. Vollmar am letzten Sonnabend in Darmstadt die Erklärung abgegeben, die Worte Singers hätten unmöglich so gelautet: „Unser ganzes Bestreben wird und muß naturgemäß dahin gerichtet sein, gute Handelsverträge zu Stande zu bringen, jede Verschlechterung der bisherigen zu bekämpfen und zu sorgen, daß von den im Zolltarif enthaltenen Verschlechterungen möglichst wenig in die künftigen Handelsverträge übergehen. Die endgültige Stellungnahme muß dementsprechend Vorbehalten bleiben." AuS der letzteren Erklärung wird nun vielfach geschlossen, daß wenigstens ein Teil der sozialdemokratischen Fraktion Len dem neuen Reichstage vorzulcgenven Handelsverträgen zu stimmen werde. Die Vertreter dieser Ansicht berufen sich daraus, daß der nationalliberale Abg. Frhr. v. Heyl den Sozialdemokraten vorgehalten habe, sie hätten kein Recht zu der Behauptung, die Getreideminimalsätze im neuen Zolliarifr seien Wuchersätz?; sie, die Sozialdemokraten, hätten ja een Zoll sätzen in den Caprivischen Handelsverträgen zugestimmt unt damit, um in ihrem Bilde zu bleiben, ebenfalls Wucher ge trieben; Vie 1>/z mebr machten den Wucher nicht aus. Ferner wird an die Auslassungen dcS „Genossen" Calwer über die Wirkung von Schutzzöllen erinnert und der Ver mutung Ausvruck gegeben, Genosse v. Vollmar habe sich durch die Argumente v. Hehls und Calwers von der Unhalt barleit beS Singerichen Standpunktes überzeugen lassen. Weit näher liegt jedenfalls die Annahme, baß Herr v. Vollmar bei seiner Auslassung Rücksicht aus seine bayerischen Lands leute genommen habe, von denen em recht großer Teil von der agrarischen Strömung ergriffen ist. Vor solchen Hörern dem „Genossen" Singer beizupflichtcn und jeden Handels vertrag mit erhöhten LebenSmittelzöllen von vornherein für unannebmbar zu erklären, wäre von Herrn von Vollmar unvorsichtig gewesen. „Nach Tisch", das heißt nach den Wablen, wird dieser „Genosse", der ja der Fraktion volle Freibeit des Handelns Vorbehalten bat, seine Stellung sicherlich so nehmen, daß er nicht hinausfliegt. Und das würde er, da die Singerianer den Vollmarianern an Zahl und Einfluß bedeutend überlegen sind, sicherlich, wenn er für einen Handelsvertrag mit erböblen LebenSmittelzöllen einlräte. Tenn immer mehr tritt zu Tage, daß die Singerianer sich mit der Hoffnung tragen, mit Hilfe der übrigen Gegner von „Lebensmitlel-Wucherzöllen" solche Handelsverträge zu Falle bringen und dadurch das Ziel ihrer Sehnsucht, die Bekehrung der ländliwen Arbeiter zur Sozialdemokratie, erreichen zu können. Tag ohne erhöhte LebenSmittelzölle die Lage dieser Arbeiter immer beklagenswerter, die Abwanderung in die Industriegebiete immer größer werden und hier zu Lohndrückereien und wachsender Unzufriedenheit führen würde, darüber sind sich die „Genossen" am wenigsten im Unklaren. Ihr Weizen blüht, wenn es ihnen mit freisinniger und anderer Hülse gelingt, eine Erhöhung der Lebensmittelzölle zu hintertreiben; ihre Sckaren wachsen in diesem Falle und werden immer »eifer sür die Werke des Umsturzes. Und nach diesem Ziele mit allen Kräften zu streben, wird Herr v. Vollmar mit derselben Energie be müht sein, wie Herr Singer. Es könnte also höchst ver hängnisvoll werden, wenn die Freunde langfristiger Handels verträge auf der Basis des neuen Zolltarifs sich in Sicher heit wiegen ließen durch die Worte des bayerischen Diplo maten der sozialdemokratischen Fraktion. Tie „Vorwärts -Truckcrct als Musterbetrieb. Das Zenlralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands erscheint bekanntlich im Druck und Verlag der „VorwärlS-Buchdruckerei und Verlagsaustalt Paul Singer und Co." Man sollte nun meinen, daß die beim „Vor wärts" angestcllien Arbeiter, natürlich nur Sozialdemokraten, wie in einer Musteranstalt beschäftigt würden. Das ist aber nickt der Fall. Der „Korrespondent", Verbandsorgan sür Deutschlands Buchdrucker und Schristgießer, der größten aller derartigen Organisationen, berichtet in Nr. 62 vom 30. Mai ts. Js. über eine Versammlung des Vereins Berliner Buchdiuckmaschinenmeister, und in diesem Berichte lesen wir: Längere Zeit beschäftigte sich die Versammlung mit den Zu ständen bei Singer L Co., der Druckerei des „Vorwärts". Es haben sich dort Verhältnisse und Arbeitsmethoden herausgebildet, die selbst in bürgerlichen Geschäften nicht üblich sind und die zu dulden wir am allerwenigsten in diesem Geschäfte, das zu einem wesentlichen Teile mit unserem Gelde errichtet ist, Neigung und Ur sache haben. Es wurde darüber geklagt, daß selbst Trucker, die an Maschinen mit Anlegeapvarat arbeiten, noch andere Maschinen be dienen müssen, daß mehrfach Maschinenmeister zur Aushülse aus I V, und 2 Tage gejucht wurden, während bisher Aushülsen unter einer Woche nicht gebräuchlich waren, daß die Löhne jo tief wie möglich gedrückt werden, Laß überhaupt in allem das Bestreben zu er blicken sei, in echt kapitalistischer Weise aus der Arbeitskraft eines jeden einzelnen soviel wie pröglich herauszuschlagen. Der Ober meister Les Geschäfts, Kollege Hoyer, führte zur Verteidigung aus, jedes Geschäft, welches technische Neuerungen einsühre, wolle damit Geld verdienen; daß damit oftmals eine Benachteiligung der Arbeiter verbunden, sei zu bedauern, aber varan könne auch eine Parteidruckerei nichts ändern, denn sie müsse mit der Konkurrenz rechnen. Von den nachfolgenden Rednern wurde die Handlungsweise der Leiter der Druckerei in Bezug aus die kritisierten Punkte fast allgemein verurteilt. Wir haben keine Animosität gegen das Unternehmen, sondern wün schen ihm das beste Gedeihen, aber wir verlangen, daß der Wider spruch zwischen Theorie und Praxis beseitigt wird, daß Mißstände, die an andere» kritisiert werden, vor allen Dingen iin eigenen Betriebe unterbleiben, selbst aus die Gefahr hin, Laß dadurch der Profit etwas geschmälert wird. Die Druckerei sollte ihre Ehre darein setzen, als Musterinstitut zu gelten, und sich nicht von anderen überflügeln lassen. Tie Reformen, die wir verlangen, sind keine derartigen, daß sie das Gedeihen des Unternehmens in Frage stellen, sondern mit einigem guten Willen leicht durchführbar. Die „Germania", der wir Vorstehendes entnehmen, be merkt dazu: Das sind ja recht interessante Enthüllungen über die „VorwärtS"-Druckerei! Ein schöner „Musterbetrieb"! So werden sogar bei dem Zenlralorgan der Sozialdemokratie die Arbeiter in echt kapitalistischer Weise auSgebeutet, die Löhne gedrückt usw. Kein Wunder, daß diese „VorwärtS"-Arbeiter durch den Widerspruch zwischen sozialdemokratischer Theorie und Praxis sich erst recht empfindlich getroffen fühlen. Für die Wahlen kommen diese Enthüllungen aus der „VorwärtS"- Druckerei gerade zur gelegenen Zeit. Der Ueberfall von Figig. Alle französischen Blätter stimmen darin überein, daß die Eingeborenen der Oase Figig, die um ein Haar den Gcne- ralgvuverneur von Algerien bei seiner Inspektionsreise aufgehoben hätten, eine scharfe Züchtigung verdienen. Eine besondere und höchst interessante Note bringen aber einige nationalistische Blätter in das Preszkvlnßert. Tie be haupten, daß der Ueberfall absichtlich herbeigcführt morden sei, entweder um die öffentliche Meinung von den uner freulichen Vorgängen auf dem Gebiete der inneren Politik abzulenkcn, oder um kriegerische Maßnahmen in großem Stil gegen die Marokkaner vor den europäischen Regie rungen zu rechtfertigen. Die letztere Ansicht vertritt der „Eelair", der einen Beleg für seine Auffassung in der Erklärung Jonnarts sieht, daß die Leute von Senaga „nicht hören wollten" und die marokkanischen Behörden außer stände seien, die Ordnung und die Sicherheit in den Grenzgebieten wiederhevzustellen. Diese Sprache erscheint dem „Eclair" als diejenige eines treuen Dieners Delcassös, der an Ort und Stelle gegangen sei mit dem Auftrage, die Feststellung zu erbringen, daß die schcrifische Regierung nicht in der Lage sei, die Grenzgebiete unter ihre Gewalt zu bringen, so daß der Schutz der französischen Grenzposten nur mittels eines sogenannten grenzpolizeiltchen Unter nehmens gesichert scheinen kann. Das sei die Politik, die man früher in Ostalgerien gegenüber den Krumir befolgt habe und die man jetzt wieder im Westen, aber mit mehr Vorsicht und besser ins Werk gesetzt, einschlagen wolle; denn die Lage sei verwickelter und die Verantwortung ernster. Es muß dahingestellt bleiben, wieviel bezw. ob überhaupt etwas Wahres an diesen Behauptungen ist. Undenkbar ist es jedenfalls nicht, daß die algerischen Be hörden den Zwischenfall provoziert haben. Erst vor kurzem hat der französische Ministerpräsident gegenüber dem Abgeordneten Etienne, dem Vorsitzenden der Kommis sion für die auswärtigen und kolonialen Angelegenheiten, über deren Unbvtmäßigkeit geklagt. Er habe nur schwer verhindern können, daß diese ohne Wissen und Willen der Zentralregierung eine militärische Expedition ins Werk setzen. Argentinien als EinwandcrungSgebiet. DaS argentinische Ackerbauministerium veröffentlichte in sieben Sprachen eine Flugschrift unter dem Titel „Kurze Notizen über die argentinische Republik als Einwande rungsgebiet". Darin wird versichert, daß in Argentinien der Leinenbau 74 Proz., der Weizenbau 45 Pro;, und der Mais- bau 65 Proz. des angelegten Kapitals einbnngt. Diese Angaben sind fabelhaft im eigentlichen Sinne des Wortes. Nach den Be rechnungen des „Argentinischen Wochenblattes" kann es im Lause vieler Jahre einmal Vorkommen, baß die Rechnung des argentinischen Ackerbauministeriums annähernd zutriffi. Indessen stellt sich der DurchschnillSertrag in Argentinien nicht auf 1000 kg beim Weizen und auf 900 kg beim Leinen, sondern nur aus 600 bis 650 kg bei beiden Fruchtgattungen. Das argentinische Ackerbauministerium übersieht, daß man nicht ein ausgezeichnetes Jahr hervorsuchen darf, um den Ertrag von Grund und Boden zu bestimmen, sondern daß man einen Durchschnitt von zehn oder mehr Jahren zu Grunde legen muß. Argentinien gilt wenigstens bei den Argentiniern selbst als ein überaus günstiges und empfehlenswertes Land für europäi'che Einwanderer, und man meint, daS Ackerbauministerium Kälte besser getan, bei der Wahrheit zu bleiben, als übertriebene und phantastische Angaben zu machen, um die empfindlich zurückgegangene Einwanderung wieder zu beleben. Deutsches Reich. Berlin, 3. Juni. (Die deutsche Südpolar- Expedition der „Gau tz".) Im weiten Baterlande werden die von dem Schiffe der deutschen Süüpolar-Expe- dition, der „Gauß", eingetroffenen günstigen Nachrichten lebhaft begrüßt als Siegesbotschaften deutschen Opfer mutes und deutschen wissenschaftlichen Eifers. Der Dampfer „Gauß", der die deutsche Südpolarexpedition unter Führung -es Professors Erich v. Drygalski in die antarktischen Gegenden zu bringen bestimmt war, trat izn August 1901 die Ausreise von Kiel an, begleitet von den Segenswünschen des Kaisers und des Reiches. Das Schiff hat sich den Berichten zufolge bewährt; es ist ganz aus Holz gebaut, weil nach den bisherigen Erfahrungen hölzerne Schiffe für die Fahrt im Eise sich am geeignetsten gezeigt haben und weil nur sie eine einwawdfreie Ausführung der wichtigsten magnetischen Messungen gestatten. Der Zweck der Expedition war, mit der Lösung des fundamentalen geographischen Problems, ob im Südpolargebiete noch ein unentdeckter Kontinent existiert, oder ob nur einzelne Inselgruppen dort das Eismeer erfüllen, Forschungen in allen Zweigen der Naturwissenschaft zu verbinden, da diese alle ckreLücken der Kenntnis, welche von der gänzlichen Un- erforschtheit eines Erdraums von der doppelten Größe Europas herrühren, auf das Tiefste empfinden. Mit den wissenschaftlichen Arbeiten der Expedition verbanden sich Zwecke, welche auch die praktische Schiffahrt auf das Nächste berühren. Nur im Südpolargebiete lassen sich diejenigen magnetischen Messungen gewinnen, welche für die Ver besserung -er für -die praktische Schiffahrt wichtigen magnetischen Karten noch in viel befahrenen Wasserstraßen der südlichen Meere notwendig sind. Nur dort darf man hoffen, die Gesetze für die Strömungen der Luft und des Meeres kennen zu lernen, welche weit von Norden hinauf die Küsten der Südkontinente bestimmend beeinflussen; dort endlich kann man auch Fischereigründe aufzufinden hoffen, welche für -en ausgebcuteten Fang in -en Nord polgewässern einigen Ersatz zu bieten vermögen. Die Ex pedition war die erste, welche in der antarktischen Nacht überwintern sollte. Man nahm von ihr an, sie werde auch den von Andree verfolgten Gedanken teilweise aus führen, im Ballon Forschungen anzustellen, wo das Schiff versagte. Es wurden zwei Fesselballons mit Füllungs vorrichtung mitgeführt. Man darf auf die Berichte über die Ausführung der wissenschaftlichen Pläne aufs äußerste gespannt sein. -ff- Berlin, 3. Juni. (Deutsche Genossen schaf t s st a t i st i k.) Es ist nunmehr sicher, daß eine nach einheitlichen Gesichtspunkten und im einheitlichen Verfahren hergestellte deutsche Gcnossenschaftsstatistik dem nächst wird aufbereitet werden können. Bekanntlich hat die preußische Zentral-Geuossenschaftskasse von Beginn ihrer Tätigkeit an auf Wunsch der beteiligten Kreise auch Ferrilletsn. Mr. Trunnell. Seeroman von I. Hains. Nachdruck verboten. Nach einer Pause fing ich von neuem an: „Leicht möglich, daß wir bald schwer Wetter kriegen. Die Brise wird immer flauer; vorläufig behalten wir wohl noch eine ruhige Nacht." „Sie scheinen sehr wetterkundig zu sein?" entgegnete er höhnisch. „Bei abflauender Brise g'di's allerdings keinen Sturm, das weiß meine Großmutter auch." Das empörte mich; aber ich zwang mich, ihm dies nicht zu zeigen, denn noch wußte ich nicht, wie ich mit diesem jungen Menschen daran war. „Wissen Sie", sagte ich ganz gelassen, „es fahren eine ganze Menge junger Schnüffel zur See, die besser tun uüd der Welt mehr nützen würden, wenn sie zu Hause blieben und ihren Müttern oder Großmüttern ober Tanten behülflich wären, Kinder zu warten, Windeln zu waschen, Strümpfe zu stopfen oder Klöße zu kochen." Als ich schwieg, war es mir, als hörte ich jemand mit unterdrückter Stimme einen wütenden Fluch aus- stoßen. Ich schaute über die Brüstung an Deck hinunter, konnte aber niemand gewahren. Der „Dritte" schien sich etwas zu überlegen; darauf entgegnete er: „Es ist nie gut, wenn jemand zu klug ist. Versteht einer gute Klöße zu machen, so ist er an Bord eines Schiffes gerade an dem Platze, der am besten für ihn paßt, weil er dann für die sorgen kann, denen der Ver stand zum Klötzekochen fehlt." Der Ton, in welchem er dies sagte, war ganz un zweifelhaft der einer Frauenstimme. Schon wollte ich ihn fragen, ob er zu Hause das Klötzekochen gelernt und geübt habe, allein der Gedanke, daß ich mich vielleicht doch irren könne, und das Bedenken, mir das Mißfallen des habichtSnasigen Schiffers zuzu ziehen, bewogen mich, den Mund zu halten. Wir standen eine ganze Weile schweigend nebenein ander. Mein Annäherungsversuch war mißglückt, und nun überkam mich eine eigentümlich unangenehme Em pfindung in der Nähe dieser Persönlichkeit. Ich war jung und hitzköpfig, deshalb drängte eS mich, dem rätsel haften Menschen noch einen letzten Hieb zu versetzen, ehe ich das Feld, vielmehr in diesem Falle das Deck, räumte. „Ich wollte, daß ich Sie in meiner Wache hätte", sagte ich. „Weshalb?" fragte er. „Um Ihnen klar zu machen, wie sich der dritte Steuer mann gegen den zweiten zu benehmen hat." „Sehr gütig", entgegnete er sehr von oben herab, „sehr gütig; aber es könnte sich ereignen, daß dies eines Tages Ihnen von mir klar gemacht wird." Wieder glaubte ich von irgend woher einen unter drückten Fluch zu vernehmen. Um mich nicht zu einer Unbesonnenheit hinreißen zu lassen, wendete ich mich ab und ging achteraus. „Kurios, was?" sagte Trunnell, schüttelte seine Mähne und blickte seitwärts nach der Stelle, von der der „Dritte" jetzt verschwunden war. Auf der Kampanjetreppe waren Tritte vernehmbar; Kapitän Thompson erschien an Deck. „Finster, he?" sagte er, und sein Raubvogelauge musterte uns beide mit einem einzigen stechenden Blick. „Denke, es wird dreckiges Wetter geben, weil die Brise jetzt so abflaut", antwortete Trunnell. „Ich meine, eine dunkle Nacht ist nicht schlimmer, als eine Helle", sagte der Schiffer. „Manch liebes Mal hätte ich was drum gegeben, wenn die Nacht recht pechschwarz gewesen wäre. Wissen Sie denn auch, wohin es jetzt geht?" „Wir liegen noch so an, wie vorher'", antwortete Trunnell. „Wenn's Ihnen recht ist, lasse ich langsam die Obersegel festmachen; das Quecksilber fällt, und beim Monsumwcchscl kommt das schlechte Wetter manchmal, ehe inan sich dessen versieht." „Hm, np—ah, hm, ja, wenn mir's recht ist", kam cs unter dem dicken Schnurrbart Thompsons hervor, und jetzt merkte ich, daß er zu tief ins Glas geguckt hatte. „So recht, immer erst fragen, ob mir's recht ist. Also festmachen? Immerzu. Immer alles festmachcn. Je fester, je besser. Was, Mr. Rolling? Was sagen Sie? Drolliger Kauz, dieser Trunnell, was? Will Ihnen ein Rätsel aufgeben. Warum gleicht Trunnell einem Blumenstrauß, he? Weil er so wohlriechend ist, wollen Sie sagen, was? Nee, darum nicht. Weil er oben so dickköpfig und unten so kurzsticlig ist. Was? Ist das nicht gut? Aber Trunnell nicht beleidigen, hören Sie? Nicht beleidigen." Der Obersteuermann schritt auf und nieder und sagte kein Wort. Der Schiffer grinste und folgte ihm mit den Blicken. Der Mann am Ruder, ein vierschrötiger Mensch mit eckigen» Gesicht und übergroßen Händen — sein Name ivar Bill Spielgcn — stierte finster abwechselnd auf den Kompaß und in die Dunkelheit voraus. „Machen Sie fest, Trunnell, ordentlich fest", schwatzte Thompson weiter. Aber — up—ah — ja, immer vorher fragen, ob mir's recht ist. Denn ich bin hier Kapitän an Bord." Ein Fuselduft ging von ihm aus. Er schwankte zum Kompaßhäuschen und beugte sich über die erleuchtete Scheibe. Der Schein fiel auf sein Gesicht, und nun sah ich, wie sehr betrunken er war. Trunnell trat an die Brüstung des Quarterdecks und gab mit dröhnender Stimme den Befehl, die Skysegel und die Royals wegzunehmen. Er war tief ergrimmt über des Schiffers Benehmen und Geschwätz; aber er hütete sich, dies zu zeigen. Der Letztere hatte sich inzwischen an den Ruders mann herangcmacht. „Was liegt an, Bill?" fragte er. „West zu Nord", antwortete der Matrose. Ter Schiffer schob seinen Papagcischnabel so weit vor, daß er fast des Mannes Gesicht berührte. „Bill", näselte er, „up—ah, Bill, denkst du hier etwa faule Witze zu machen? Witze machen mit deinem Kapitän? He? Was? Du krummbeiniger, dickköpfiger Schwabber? He? Soll ich dir den Bauch aufschliyen? Soll ich dir den Dreck aus dem Fell klopfen? He? Witze machen mit deinem Kapitän? Du, Bill, das ist eine gefährliche Sache!" Dann fuhr er in ruhigerem Tone fort: „Vergiß nicht, Bill, daß ich hier an Bord der Ritter von der Tafelrunde bin — Tafel kann meinetwegen auch viereckig sein —, up—ah, ja, Bill. Vergiß auch nicht, Sir hinzuzufügen, so oft du zu mir sprichst, das bitte ich mir aus, oder nähe dir zuvor dein Fell recht fest an, sonst ziehe ich es dir vom Leibe." „Bitte um Verzeihung, Sir", sagte Bill, und griff mit seinen großen Händen verlegen an den Speichen herum. „Sv war's richtig, mein Sohn. Du bist« hier an Bord bloß ein Lump, ein Bettler. Strebe nach nichts Höherem." „Zu Befehl, Sir." „Gut. Und da du nun weißt, woher der Wind weht, up—ah, will ich dir zur Belohnung die Geschichte von dem Manne erzählen^ der seinen Hund Willie verlor." Jetzt war's die höchste Zeit, mich zu entfernen. Ich suchte meine Kammer auf und legte urich in voller Klei- düng in die Koje, um sogleich bereit zu sein, wenn etwa alle Mann gerufen werden sollten. Ehe ich einschlief, mußte ich lange über Trunnells Wort nachdenken: „Ich will nur darauf Hinweisen, daß wir schlimmen Tagen entgegengehen, wenn hier an Bord nicht manches anders wird, ehe wir westlich von Agullas sind." Fünftes Kapitel. Als meine Wache herangekommen war und ich mich an Deck verfügte, begegnete ich an -er Tür der Kajüte dem Oberstcuermann. Die Nacht war rabenschwarz und fast ganz windstill. Ein Teil der Segel war festgemacht, um zu verhindern, daß sie bei dem Rollen des Schiffes auf der aus südlicher Richtung kommenden schweren Dünung gegen die Stengen schlugen. Trunnell war ein sorgsamer und vor sichtiger Mann, und da, wie schon erwähnt, das laufende Gut alt und nicht mehr zuverlässig war, so hatte er bet Zeiten soviel Leinwand, als ratsam, wegnehmen lassen. Wartete er damit, bis der Wind sich aufgemacht hatte, dann ging es sicherlich ohne das Reißen der oder jener Leine nicht ab. Es standen jetzt von den Raasegeln nur noch die Marssegel und das Großbramsegel; die Unter segel hingen in den Geitauen. „Heute nacht hat er Unfug im Sinn", sagte Trunnell, zu mir herantretend. „Er ist schon wieder halb betrunken. Die Pest über ihn!" „Wer?" fragte ich. „Der Skipper?"" ,Aa. Während der Wache ist er zweimal unten ge wesen und jedesmal besoffener wieder an Deck gekommen. Da, sehen Sie nur." Kapitän Thompson ging gemächlich schwankend dem vorderen Teil des Quarterdecks zu. An der Brüstung blieb er stehen. „Achteraus hier!" gröhlte er der Wachmannschaft zu. „An die Großbrasie!" Die Leute kamen zögernd achteraus und nahmen lang- sam den Läufer der Brasse von der Nagclbank. Der Be- fehl war unsinnig; cs lag gar keine Veranlassung zum Anholcn der Brasse vor. Es war so finster, daß ich nicht erkennen konnte, wie viel der Leute sich bei der Brasse cingefunden hatten; zu erst erkannte ich nur einen, Bill Spielgcn, sodann einen
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