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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.06.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030605024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903060502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903060502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-05
- Monat1903-06
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August vorigen Jahres vom Kaiser von Swinemünde aus an den P r i n z - R e g e n te n von Bayern gerichtete Telegramm veröffentlicht wurde, in dem das Reichsoberhaupt seiner „Em pörung" über den „schnöden Undank" der ultramontanen Mehrheit der bayerischen Abgeord netenkammer Ausdruck gab und dem Prinz-Regenten die von dieser Mehrheit abgelehnte Lumme für Kunstzwecke zur Verfügung stellte, da entstand bekanntlich in den !le- rikalcn Kreisen Bayerns eine tiefe Bewegung, die noch wuchs, als man erfuhr, daß trotz der Versicherung des „Wölfischen Telegraphen - Bureaus", der Wortlaut dieses und des Antworttelcgramms sei ihm aus München zur Veröffentlichung zugegangen, diese vom Prinz-Regenten nicht gewünscht worden war. Daß die Veröffentlichung und die durch sic iu Bayern ge steigerte Erregung nicht nur eine Verstimmung zwischen Berlin und München zur Folge hatte, sondern auch nicht unwesentlich dazu beitrug, daß der Prinz-Regent in Bezug auf sein Ministerium der ultramvntancn Kammcrmehr- heit trotz ihres „schnöden Undanks" Zugeständnisse machte, ist bekannt. Und mindestens nicht unwahrscheinlich ist es, daß der bayerische Lystemwechsel mit zu dem Entschlüsse Preußens beitrug, sein Eintreten für die Auf hebung des 82 desJesuitengesetzesin Aussicht zu stellen und dadurch bei den bayerischen Klerikalen die diesen so ärgerliche Swinemünder Empörungsdepesche und ihre Veröffentlichung in Vergessenheit zu bringen. Jedenfalls mar es für Preußen nicht ganz leicht, die bayerische Mißstimmung zu beseitigen. Wenn es trotz dem gelang und der neue bayerische Ministerpräsident Frhr. v. Po de wils in Berlin sich rasch mit den maß gebenden Persönlichkeiten über alle möglichen Fragen verständigen konnte, so hätte man erwarten dürfen, daß nun von den Berliner Offiziösen nicht neuer Anlaß zur Verstimmung in Bayern gegeben werden würde. Und doch ist es geschehen. Der bekanntlich trotz zahl reicher Taktlosigkeiten noch immer zu offiziösen Kund gebungen benutzte „Berl. Lok.-Anz." konnte sich die Be hauptung nicht versagen, Herr v. Pvdewils habe in Berlin erklärt, „daß es überhaupt Grundsatz der bayerischen Politik sei, soweit wie möglich im Bundesrat sich derjenigen der P r ä si d i a l m a ch t Preußen anzu schließen und mitihrHand in Hand zu gehen". Das erregte natürlich neue Verstimmung in München, wo die herrschende Partei von einem grundsätzlichen Handinhandgehcn der bayerischen und der preußischen Politik nichts hören mag. Und so sah sich denn Herr v. Pvdewils genötigt, in den Münchener „N. Nachr." die ihm von dem Gewährsmanne des „Berl. Lok.-Anz." in den Mund gelegten Worte in Abrede zu stellen und zu erklären, er habe bezüglich der Stellung Bayerns zur Frage des Jesuitengesctzes nur gesagt: „Es sei zur Ge nüge bekannt, daß Bayern von Anfang au dem Anträge auf Aufhebung des 8 2 des Jesuitengesetzes -»gestimmt habe. Bayern habe sich hierbei naturgemäß in erster Linie von seinen eigenen Erwägungsgrün den und Interessen leiten lassen, wobei es, wie überhaupt, so auch in dieser Angelegenheit, nur willkommen sein konnte, sich im Einklang mit der Präsidialmacht Preußen zu wissen." Ein der „Germ." zugegangcnes Dementi lautet noch bedeutend schärfer. Es nennt die dem Freiherrn v. Pvdewils vom „Berl. L.-A." in den Mund gelegte Aeußerung töricht und bemerkt dazu: „Davon war in der Unterredung des Ministerpräsidenten mit dem Berichterstatter gar keine Rede. Das Gespräch drehte sich ganz speziell um den 8 2 des Jesuitengesetzes. Freiherr v. Podewils sagte darüber, Bayern habe sich von seinem eigenen politischen Interesse leiten lassen, wobei es außerdem ganz angenehm war, in dieser Frage Hand in Hand mit der Präsidialmacht zu gehen. Das ist ein durchaus korrekter Standpunkt, während der „L.-A." den Minister eine ganz unhaltbare Doktrin aufstellcn läßt." Ob dieser Streit zwischen den Berliner und den Münchener Offiziösen noch weiter gehen und vielleicht gar zur Ausgrabung der Swinemünder Depesche und ihrer Begleiterscheinung führen wird, muß vorläufig dahinge stellt bleiben. Jedenfalls aber muß man dringend wünschen, daß endlich einmal von Berlin aus die Reizung der bayerischen Empfindlichkeit aufhöre. Gerade die Wir kung der Swinemünder Depesche und ihrer seltsamen Veröffentlichung hat gezeigt, daß solche Reizungen zu nichts anderem dienen, als der schnöde undankbaren Kammermajorität Wasser auf die Mühlen zu leiten und dadurch die deutsche Präsidialmacht zu Zugeständnissen zu nötigen, die mit der „Empörung" des Reichsober hauptes über das Verhalten dieser Mehrheit in denkbar schroffstem Gegensätze stehen. Die sozialdemokratischen Gewerkschaften und die sozialdemokratischen Lagerhalter. Eine Reihe von sozialdemokratischen Ge werkschaften hat um Pfingsten ihre Generalver sammlung abgehalten,' so z. B. die Metallarbeiter, die Glasarbeiter, die Bergarbeiter usw. An Klagen über die Arbeitgeber hat es bet dieser Gelegenheit nicht gefehlt. DaS Gegenstück hierzu aber bildete die Generalversamm lung des Verbandes der Lagerhalter sozial demokratischer Konsumvereine. Hatte der Lagerhaltervcrband während der ersten Jahre seines Be stehens überwiegend mit seinen sozialdemokratischen Ar beitgebern zu kämpfen, so hat er gegenwärtig es mit der Feindseligkeit sozialdemokratischer Gewerkschaften zu tun. Insbesondere ist es der Verband der Handels-, Trans port- und Verkehrsarbeiter, der in seinem Organe, dem „Kurier", die heftigsten Angriffe gegen die Lagerhalter richtet. Der Grund dafür erinnert sehr stark an den Streit, der vor einigen Jahren zwischen dem Buchdrucker verbände und der sozialdemokratischen „Leipziger Volks zeitung" deshalb ausbrach, weil die Druckerei der „Leipziger Volkszeitung" solche Mitglieder des Buch druckerverbandes, die für die sozialdemokratische Partei nicht eifrig genug agitierten, entlassen hatte. Ganz im Stile eines derartigen Verfahrens ist es gehalten, wenn der ebengenannte „Kurier" dem Lagerhalterverbande vorwirft, er sei zu faul, etwas für die moderne Arbeiter bewegung zu tun. Auf der Dresdener Generalversamm lung des Lagerhaltervcrbandes hat man es als eine „Schmach" für die gesamte Gewerkschastspresse bezeichnet, daß eine derartige „Sudelei" in einem Arbeiterblatte Aufnahme finden konnte. Eine Resolution zu dem in Rede stehenden Thema nahm in derselben Weise Stel lung. In der Debatte lictz der Lagerhalter Buhl interessante Streiflichter auf die gewerkschaftlichen An griffe gegen den Lagerhalterverband fallen. Er führte jene Angriffe teils auf Unkenntnis, Unwahrheit und wissentliche Unwahrheit, teils auf Neid zurück, der gerade in Arbeiterkreisen gegenüber etwas bessergestellten Ar beitsgenossen anzutreffen sei. Ein anderer Diskussions redner, Braune-Radeberg, machte insbesondere dem Vorsitzenden der Generalkommission der sozial demokratischen Gewerkschaften, dem Reichstagsabge ordneten Legien, den Vvrwurf, daß er von dem Verhältnis zwischen Angestellten und Ver waltung in den Konsumvereinen offenbar nichts verstehe. Dem „Genossen" Legien und den vom Lagerhalterverbande zurechtgewiesenen sozialdemokrati schen Gewerkschaften wird es nicht gerade angenehm sein, durch orgauisierte „Genossen" derartig kritisiert zu werden. Für die sozialdemokratischen Gewerkschafts leiter aber sollte es eine nützliche Lehre sein, daß sie nicht ausschließlich als Kritiker fungieren, sondern auch selbst einmal Gegenstand der Kritik werden. Ein klerikaler,Llun" Tie Pariser nationalistische „Patrie" wußte zu melde», die Regierung habe zwei nichtfranzösische Finanzanstaltcn gezwungen, große Käufe in französischer Rente vorzunehmen, um den ihr — natürlich infolge ihrer antiklerikalen Politik — drohenden Kurssturz auf zuhalten. Die Regierung habe ihr Ziel erreicht unter der Androhung gesetzgeberischer Maßregeln, die andern falls den fremden Gesellschaften gewisse Rechte wieder entziehen würden. Die gleichgesinnte „Liberte" ergänzte dann diese Nachricht des näheren dahin, daß eine amerika nische Lebensversicherungs-Gesellschaft das Opfer dieser „Erpressung", wie die „Patrie" es nannte, gewesen sei. Die von den Jesuiten begründete „Libre Parole" würde natürlich ihren Beruf verfehlt haben, wenn sie darauf nicht noch genauer mitzuteilen gewußt hätte, daß die deutsche Hochfinanz im Auftrage der französischen Regierung die Käufe ausgeführt hätte, dann aber bei Abwickelung des Monatsgeschäfts sie habe repartieren lassen müssen, da ihre Berechnung fehlgeschlagen sei, daß die Verkäufe nur zur Deckung erfolgten, statt, wie sich dann am Ende des Monats herausgestellt habe, zur wirk lichen Abnahme der Rententitel. Die Angaben der nationalistischen Blätter sind, wie der „Köln. Ztg." aus Paris geschrieben wird, in dieser Form unrichtig. Die Negierung hat allerdings auf mehrere große Finanz anstalten einen Druck ausgeübt, um sie zu den besagten Käufen französischer Rente zu veranlassen, aber nicht auf ausländische, sondern auf französische Banken, und die Veranlassung dazu war, daß sie von dem Treiben des Klerus Kenntnis erhalten hatte, der, wie man im Vor jahre schon einen „Run" der kleinen Sparer auf die Sparkassen veranstaltet hatte, jetzt plötzlich von allen Seiten seinen geistlichen Einfluß dazu einsetzte, die kleinen Rentcnbesiher -um Verkaufe ihrer Rententitel zu be wegen. Die ultramontane „Vöritö" zeigt auch offen diesen klerikalen Pferdefuß in der Sache, indem sie dazu bemerkt: „Wir können die von Tag zu Tag steigende Erregung der französischen Kapitalisten nur teilen, die, seit Combes die Macht hat, sich daran gewöhnt haben, ihr Geld in fremde Werte umzusetzen." Für die Wahl der Mittel, mit denen der Klerikalismus arbeitet, ist der Vor gang sehr bezeichnend. 97. Jahrgang. Französische Kritik an Chamberlains Zollpliinen. Nachdem jüngst für die auswärtige Politik Frank reichs maßgebende Pariser Blätter fo warm von der „sntonte eorckiale" zwischen England und Frankreich ge sprochen haben, muß die scharfe Kritik, welche dieselben Blätter an Chamberlains Zollplänen üben, doppelt auffallen. Als ein „tollkühner Spieler" wird Chamberlain vom „Temps" bezeichnet, und das „Jour nal des Döbats" spitzt sein Urteil über die Wirt schaftspolitik Chamberlains nicht weniger gegen die Per sönlichkeit des englischen Kolonialministers zu, indem es ihn einen „größenwahnsinnigen Politiker, der in den Im perialismus bis über die Ohren verliebt fei", nennt. Ist der Artikel des „Döbats" mit seinen Ausfällen gegen die Person Chamberlains wegen der Beziehungen dieses Blattes zum Quai d'Orsay recht bemerkenswert, so hat er für Deutschland deshalb ein besonderes Interesse, weil in ihm Chamberlains Anspielung auf den Deutschen Zollverein wegen der Verschiedenheit der geographi schen Verhältnisse als ganz nnzuläfsig zurückgewicsen wird. „Wenn Friedrich List", schreibt das „Journal des Döbats", „einen Deutschen Zollverein zu schaffen unternahm, so wirkte er auf Mächte, deren geographische festländische Lage ein Ganzes bildete. Der materielle Zusammenhang bot die Handhaben für einen wirtschaftlichen und politi schen Zusammenhang. Außerdem stützte List seinen Feldzug für einen Zollverein auf den Gedanken, die Binnenzölle zwischen den verschiedenen deutschen Staaten zu beseitigen. Preußen begriff von Anfang an den Vorteil, den es aus einer solchen Einigung ziehen konnte und inaugurierte eine Handelspolitik mit liberalen Tarifen. Man erkennt leicht, daß darin eine mächtige Hülfe für die Errichtung der Hegemonie Preußens Wer Deutschland la«. Die Po litik Chamberlains gleicht keineswegs jener Politik und die Bedingungen sind ganz und gar nicht dieselben, wie in Deutschland. Indien ist Tausende von Meilen von Groß britannien entfernt. . ., Kanada ist sehr weit. Dieses auf alle Seiten des Planeten gestreute Reich kann keine geographische Einheit bilden." — Das „Journal des Dö bats" setzt des weiteren auseinander, daß das Ablenken von der Freihandelspolitik einerseits für England eine Schmälerung seines Handels und seiner Macht zur Folge haben werde, anderseits Wasser auf die Mühle der ex tremen Schutzzöllner in aller Welt führen müsse, weil das freihändlerische Beispiel Englands fortfalle. Die Ab nahme seines Handels würde aber nicht der einzige Nach teil für England bleiben, sondern letzteres würde auch seine an sich schon hohen militärischen Aufwendungen wachsen sehen, da unter dem neuen Regime die Konflikte zahlreicher als heute sein würden. Unter diesen Umständen hofft das „Journal des Döbats", daß der englische Libe ralismus und die englische Arbeiterschaft die Zollpolitik Chamberlains zum Scheitern bringen werden. Die Wirren in Marokko «nd der dentsche Handel. Zur Beurteilung der jetzt in der Presse mehrfach auf geworfenen Frage, welche Stellung das Deutsche Reich gegenüber den Wirren zu nehmen haben werde, die im Innern von Marokko und in den französisch-marokkani schen Grenzgebieten entstanden sind, wird man sich zunächst klar zu machen haben, welche Interessen Deutschland in jenen nordafrikanischen Gebieten besitzt und demzufolge auch zu wahren hat. Daß es nicht politische Interessen sind, unterliegt keinem Zweifel. Marokko und seine Grenzgebiete liegen völlig außerhalb der politischen Interessensphäre Deutschlands. Wohl aber ist Deutschland Feuilleton. Mr. Trunnell. Seeroman von I. Hatns. Nachdruck verbalen. Inzwischen kam die Steuerbordwache an Deck gepoltert. Noch war es totenstill: man hörte nur das Rufen der Matrosen an Deck, oben im Takelwerk und auf den Raaen, und das Klappern der an Deck geworfenen Leinen. Trunnell war sofort nach dem Auspurren aus dem Schauplatz erschienen, und während er achteraus eilte, lief ich zur Großwant, in der Absicht, das Großobermarssegel zu retten, sofern dies noch möglich wäre. Ich sprang mit größter Behendigkeit die Webeleinen hinauf, aber schon vernahm ich von Süden her ein dum pfes Brausen. Die Raa rasselte nieder, da Trunnell unten alles losgeworfen hatte, in der Hoffnung, daß es uns noch gelingen werde, das Segel einigermaßen festzumachen. Vom Quarterdeck her spornte der Schiffer die Leute mit Gebrüll und Fluchen zur Eile an: es schien, als erkenne «r die Gefahr, und als habe diese Erkenntnis ihn er nüchtert. Ich kroch mit zwei Matrosen — Jackson von des Ober steuermanns Wache und Davis von der meinigen — nach steuerbord auf die Raa hinaus. Das Brausen im Süden wurde von Sekunde zu Sekunde lauter und hohler. Ich blickte in die Finsternis hinaus, da zuckte ein jäher Blitz durch die Nacht. Mir war, als habe das blendende Feuer mir die Augen ausgebrannt. Ein fürchterlicher Donner schlag folgte. Unmittelbar darauf hörte ich Trunnells Stimme. „Hart auf mit dem Ruder! Hart auf!" Dann kam der Sturm: der Mast neigte sich tief auf die Seite, die Segel peitschten und knatterten, die Nock der Raa berührte beinahe die See: wir mußten uns mit Armen und Beinen fcstklammern, um nicht abzustürzen, denn die Raa wurde von dem wild schlagenden Marssegel gewaltsam hin und her und auf und nieder gerissen. Ta- bei bemerkte ich mit Freude, daß das Tegel nicht backschlug, der Wind uns also nicht von vorn gefaßt hatte. Wäre dies der Fall gewesen, dann hätte» wir unsere Lebensdauer nur noch nach Sekunden bemessen können. Das Getöse des Sturmes war so gewaltig, daß uns Non unten kein Laut mehr erreichte; die schnell einander folgenden Blitze aber gewährten mir ab und zu einen Blick an Deck. Wir hingen auf unsrer Raa weit über die See hinaus, denn die ganze Leereeling des ,/Pirat" lag unter Wasser. Die Krcuzmarssegel waren verschwunden, weggeflogen, verweht wie Dampf. Vorn standen noch Ober- und Unter marssegel und das Vorstengestagsegel, aber nicht mehr lange: bet jedem neuen Blitz war eins davon verschwun den, und nur die langen Fetzen wehten und knatterten noch nach Lee zu. Auf der Obermarsraa befanden sich drei Mann, als ich zuerst hinschaute: gleich darauf, beim näch sten Blitz, war die Raa leer. Ich wußte nicht, ob sie Uber Bord gefallen waren, aber der Gedanke bewog mich, mit allem Ernst auf meine eigene Sicherheit bedacht zu sein. Ich zog mich auf der Raa entlang bis zur Mitte: hier gelang es mir, eine schwingende Leine zu erfassen, deren Ende unten an Deck befestigt war. Ich schrie Jackson und Davis zu, mir zu folgen, und glitt an der Leine abwärts, ein Stoßgebet zum Himmel emporscndend, daß sie sich un ten nicht loslösen möchte. Unter mir war die schäumende See im Schein der Blitze so weiß wie Milch, wovon die dunkle Schtffsseite scharf abstach. Ueber mir hörte ich das Marssegel zerreißen und in Fetzen zerknattern. Meine Leine wurde im Boaen weit über das Wasser hinaus geweht, aber ich arbeitete mich schnell abwärts, war bald binnenbords und erreichte sicher das Deck unweit des Großmastes. Jackson landete unmittelbar nach mir, Davis aber hatte die Leine nicht erfassen können: er wurde nie wieder gesehen. Ich „klaute" mich an der Luvreeling entlang achteraus und stieg die Treppe zum Quarterdeck empor. Hier riß mich der Orkan beinahe um, aber es gelang mir, nach hin- ten zu kriechen, wo ich beim Licht der Blitze Trunnell und den Skipper entdeckte. „Wie schaut's vorn aus?" schrie der erstere mir ins Ohr. „Nichts über Bord gegangen?" „Die Segel und drei Mann!" schrie ich zurück. Der Wind kam immer mehr und mehr von achtern, ein Zeichen dafür, daß das Schiff Fahrt gewann. Jetzt be- gann cs sich auch wieder auszurichten. Die sturmzer- peitschte, weiße See erfüllte die Nacht mit einem eigentüm lichen, bleichen Schimmer. Ich konnte von meinem Stand punkt aus das Großmarssegel und auch die Umrisse des Vorderschiffes erkennen. Soviel ich erspähen konnte, stand auch das Voruntcrmarssegel noch. Jackson, ein großer, starker Mensch, wurde auf die Lee seite dcS Steuerrades gestellt, der Schmede John und der Norweger Erikson mußten die Speichen zu Luvard an fassen. Von Bill Spielgen hatte man während der letzten Viertelstunde nichts gehört und gesehen: später stellte sich heraus, daß er einer von den dreien gewesen war, die von der Vormarsraa abgestürzt waren. . Trunnell und der Skipper riefen alle Mann achteraus auf das Quarterdeck, um sie beisammen zu haben. Der „Pirat" lief jetzt eine Fahrt von fünfzehn Knoten vor dem Winde. Das Vormarssegel war, nachdem ich es kaum erspäht hatte, in Fetzen davongeflogen: es stand also nur noch das untere Grobmarssegel. Der Sturm wehte so heftig, daß es unmöglich war, ihm auch nur auf einen Augenblick das Gesicht zuzukehren. Der Seegang wurde von Minute zu Minute höher und mußte bald fo gewaltig geworden sein, daß er das in gleicher Richtung dahin jagende Schiff in größte Gefahr brachte. Kapitän Thompson stand barhäuptig neben dem Kom paßhäuschen und hörte nicht auf, den steuernden Matrosen zuzuschreien, acht zu geben und das Schiff stetig zu halten. Daß er von der Seemannschaft nichts verstand, war klar, aber wenn der Steuermann etwas angeordnet oder be fohlen hatte, dann wußte er, daß die Sache schnell und richtig ausgeführt werben mußte, und hierauf bestand er hernach mit seiner ganzen Autorität. Er war jetzt voll ständig nüchtern und dabei so ruhig und kaltblütig, als sei er daheim an Land. Der Mann war ein geborener Be fehlshaber und kannte keine Furcht. Ich sah bald, daß ich hier achtern nichts nützen konnte, und machte mich daher auf den Weg nach vorn, um auf ein Wechseln des Windes zu achten und, wenn möglich, soviel Ordnung in den Wirrwarr der Enden und Leinen zu bringen, daß das Schiff beigedreht werden konnte. Das Hauptdeck befand sich in wüstestem Zustande. Alles, was nicht befestigt gewesen war, lag in wildem Durchein ander in Lee, wohin es gerollt, geglitten und geschwemmt war, als das Schiff sich auf die Seite legte. Das lausende Gut war nach allen Richtungen über das Deck hingezerrt, da niemand den Versuch gemacht hatte, cs aufzuschießen und an seinen Ort an der Nagelbank zu bringen. Es war so verschlungen und ineinander gedreht, daß seine Ent wirrung Stunden in Anspruch nehmen mußte. Ich stolperte über einen Tauklumpen, den ich für die Bvrmarsbrasse hielt. Da sah ich eine Gestalt in der Dunkelheit an der Schanzklcidung entlanggehen: ich ries den Menschen an und forderte ihn auf, mir das Deck auf klaren zu Helsen. Der achtete jedoch nicht darauf, sondern ging in die Vorkajütc hinein: als er die Tür aufschob, siel ein Lichtstrahl heraus, .und nun erkannte ich in dem Men schen den dritten Steuermann. Mein Ruf war aber dennoch gehört worden, und zwar von einem Matrosen namens Hans, der ihn auch er widerte. Ich begab mich weiter nach vorn. Di« See ging höher und höher, die langen Wogen jagten mit großer Schnelligkeit daher. Das Schiff lag so tief, daß ich jeden Augenblick erwartete, die Flut über die Reeling an Deck stürzen zu sehen: deshalb beeilte ich mich, die Back zu er reichen, auf deren Höhe ich gegen überkommendes Wasser eher geschützt war, als mitschiffs an Deck. Gerade als ich die Treppe erstiegen hatte, rollte eine mächtige achterliche See heran, brach bei der Grobwant über die Reeling und wälzte sich wie ein Berg, fünf Kuß höher als die Reeling, außerhalb und längs dieser, dem Schiff vorbeilaufend, nach vorn. Das Getöse und Brausen der über das Deck her stürzenden Wassermaffcn war fürchterlich. Ich stand einen Augenblick wie angewurzelt vor Schreck. In unheim lichem Dämmerlicht sah ich Reeling, Boote, Takelung, Masten von weißem, wirbelndem, kochendem Gischt um brandet und überflutet. Der „Pirat" schien unter der Wucht des Wassers wegzufacken: er verlor jegliche Fahrt. Abermals brach eine See über ihn her, und nun schien von dem ganzen Unterschiff nur die Back, auf der ich stand, übrig geblieben zu sein. Wirr und starr schaute ich in das weiße Chaos. Die lange würden die Luken dem ungeheuren Druck Wider stand leisten können? Außer dem Roof des vorderen Deck hauses war alles unter Wasser. Ich blickte empor zum schwarzen Firmament und ein Stoßgebet entrang sich meiner Brust, das letzte, wie ich meinte, denn ich glaubte ganz fest, daß es nun mit dem Schiff zu Ende ginge. Jetzt luvte es in den Wind auf: ich packte ein Stag, um nicht über Bord gerissen zu werden, wenn nun das Wasser die Back überfluten würde. Von den Segeln war kein Fetzen mehr vorhanden, nur die nackten Raaen hingen noch oben. Es erschien mir wie ein Wunder, baß sie der rasenden Gewalt des Sturmes nicht auch schon gewichen und herabgestürzt waren. Der Wind kam immer mehr und mehr von der Seite: er drückte das Fahrzeug so schwer nach Lee hinüber, daß die schäumende Flut, die das Deck überwogt hatte, sich wie ein donnernder Wasserfall über die Reeling in die See ergoß. Wieder fiel eine See über das Schiff her; sie traf eS von der Seite mit solcher Heftigkeit, daß die Wasserman
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