01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.07.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020715010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902071501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902071501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-15
- Monat1902-07
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Er ist jedoch nicht erheblich abgespannter, als alle in ihren Nessorlö regelmäßig angestrengt arbeitenden politischen Minister, und zu denen gehört Herr v. Landmann, gegen Schluß einer Parlamentscampagne namentlich dann zu sein pflegen, wenn die Vertretung der Amtsführung vor der Volksvertretung mit stärkeren Erregungen für sie verbunden gewesen war. Jedenfalls ist das körperliche Befinden des Ministers nickt derart, daß eS unmöglich gewesen wäre, eineFrist für seine Wiederherstellung und somit für die Wieder aufnahme des bisherigen Dienstes ins Auge zu fasten. Die Beurlaubung ist thatsächlich nicht persönlicher, sondern amt licher Natur; daß sie als Vorspiel deS Rücktrittes nicht bis nach dem bevorstehenden Schluß der Landtagssession ver schoben wurde, ist der Umstand» der den Schlüssel zu dem Ministerwechscl in die Hand giebt. Wie die Entlastung selbst, ist di; Beschleunigung der Geschäftsniederlegung für Bayern etwas Ungewöhnliches. Es müssen demnach auch ungewöhnliche Ursachen bestimmend gewesen sein. In Bayern findet eine Ministerschaft selten ein anderes als ein natür liches Ende durch Tod oder schweres Sieckthum. DaS war so schon lange vor dem Antritt der Regentschaft durch den Prinzen Luitpold, der persönlich kein Freund des Wechsels ist. Die Entlastung ist aber doppelt un gewöhnlich» weil ihr öffentliche Angriffe auf deu Beurlaubten unmittelbar vorhergegangen sind. DaS ist sonst des Landes schon gar nicht der Brauch. Und auch in diesem Falle Kat man, obwohl die Schwäche der Position Landmann's offenkundig war, an die Verzögerung einer tatsächlichen Entscheidung, und zwar bis zum Herbst, nicht nur bis zu dem Zeitpnnct deS LandtagSschlusse«, ge glaubt. Es wird auch außerhalb Bayerns von Nutzen sein, sich über die Ursachen eine» wichtigen Vorganges im zweitgrößten Bundesstaate keiner Täuschung hinzuqeben und die Wahrheit zu wissen. Diese aber ist: Herr v. Sandmann fällt nicht wegen, sondern trotz der gegen ihn gerichteten An griffe. Die Würzburger Professoren, deren mockng prooe- ckonäi gar nicht einmal im liberalen Lager ungetheilte Zu stimmung findet, haben ibn nicht „gestürzt" und unser trefflicher nationalliberale Führer Casselmann, der Herrn von Landmann kürzlich in der Kammer ein umfassendes Mißtrauensvotum ertheilte, weiß am besten, daß auch er den Minister nicht „gestürzt" hat. Dieser Act des Abgeordneten, der ja nur eine Minorität hinter sich hat, war eine moralische Nothwendig- keit vom Standpnnct der nationalliberalen Partei, aber keineswegs eine für die Krone und deren Entschließung berechnete Kundgebung. Im Gegentheil. Herr Cassel mann wird gewiß der „Köln. Ztg." zugestimmt haben, als diese nach jenem Mißtrauensvotum schrieb, Herrn v. Land- mann'ö Ministerschaft wäre vielleicht schon zu Ende, wenn die Absage des parlamentarischen Führer» an ihn nicht erfolgt wäre. Das war bei Abschluß der schulpolitischen Action deS CentrumS, die der zu Ende gehenden Landtagssession die Siegel aufdrückt. In dieser Angelegenheit bat der CultuSminister den letzten Spatenstich zu seinem AmtSgrabe gethan, er ist dal«?! vor der klerikalen Kammermehrheit in einer Weise zurnck- gewicken, welche die Stelle, die ihn an seinen Platz gestellt, als eine Beeinträchtigung ihrer Autorität zu Gunsten einer Parlamentsmehrheit empfinden mußte. Die übrigen Minister hielten damals den College» noch, offenbar dem Wunsche des Regenten entsprechend, um sensationelle Entscheidungen nach Thunlichkeit zu vermeiden. Aber es war Herrn v. Landmann gebucht, daß er der in München sehr hoch gehaltenen Maxime zuwider gehandelt, wonach die Minister die Geschäfte der Krone und nicht die einer Partei zu besorgen haben. Mag auch die Partei daö Centrum sein und ein Minister in einer Zeit sür sie gearbeitet haben, in der fast überall klerikalisirt uud am bayerischen Hofe wahrlich nicht am wenigsten. Man ist hier durchaus abgeneigt, dem politischen KatholicismuS in einer Weise entgegen zu kommen, wie wir das zu unserem Schrecken im Staate Preußen prästirt sehen, und wenn ein bayerischer Minister, waS ein preußischer gethan, eine ihm sonst ein leuchtende Maßnahme, die aber den Ultramontanen voraus sichtlich nickt genehm wäre, mit dem Ausrufe verwerfen würde: „Was würde das Centrum dazu sagen!" so würde dieser Mann noch viel geschwinder seine definitive Entlassung haben, als Herr v. Landmann die Beurlaubung erhalten hat. Das Verhalten des CultusministerS bei den letzten schulpolitischcn Debatten bildet aber durchaus nicht den Be ginn der Unhaltbarkeit seiner Position. Diese war vorher untergraben und die jüngste Differenz war nur der Tropfen, der daS Maß voll machte. Zwar UmgangSsormen, die man an höchsten Staatsbeamten nicht gerade gewohnt ist, batte man an Herrn v. Landmann gekannt, ehe er Minister wurde, und sie sind es sicher nicht gewesen, WaS den übrigen Ministern diesen Collegen ver leidete. An anderen Stellen, die mit ihm zu tbun hatten, waren die Ungewöhnlichkeiten freilich neu und nicht willkommen. An deren Mißfallen ist er aber nicht gestrandet. WaS Herrn v. Landmann allmählich unmöglich machte und ohne Schul dotationsgesetz und Würzburger Universitätssenat seiner ministeriellen Wirksamkeit ein nahes Ziel gesetzt hätte, war die politische Unsicherheit des Ministers. Er ist wohl nie liberal gewesen, aber gewiß auch nie in dem Maße klerikal, wie er amtlich verfuhr. Sein KlerikaliSmus wuchs mit der Abge ordnetenzahl des Kammercentrums und erstarkte — warum dies, ist nicht unerfindlich — mit den klerikalen Einflüssen, die sich in neuerer Zeit unverkennbar, nicht bei dem Prinz- Regenten, aber um den Prinz-Regenten herum geltend machten. Der Grund jener Anpassungsfähigkeit machte ihn zunächst unsympathisch und warf nachgerade die Frage der politischen Gesundheit auf, welche letztere zu behüten ein Herrscher, wie Prinz Luitpold, selbstverständlich sür Pflicht erachtet, und Minister, wie Crailsheim, Riedel, Feilitzsch, obwohl gewiß keine Principienreiter, hochhielten. Man kann natürlich nickt mit Be stimmtheit sagen, wie diese Persönlichkeiten schließlich überHerrn v. Landmann dachten, aber sicher ist ihnen eine Folge seiner „Geschmeidigkeit" nicht entgangen: im Lande minderte sich der Respect vor diesem Regierungsmitglied zusehends. Die Krone kann nun Wohl einen Rathgeber kalten, der allgemein und tödtlich gehaßt ist, sie wird es aber auch stets für richtig halten, sich von einem Minister zu trennen, dem aus begreiflichen Regungen heraus die per sönliche Schätzung nicht so voll gezollt wird, wie seine Stellung und, was bei Herrn v. Landmann der Fall, sein Talent beanspruchen müßten. Herrn v. Landmann ist zuletzt in der Oeffentlichkeit mit wenig Respect begegnet worden, und diese Wahrnehmung ist für die Raschheit der that- sächlicken Entscheidung durch den sicher urtheilenden Regenten bestimmend gewesen. Parteipolitische Voreingenommenheit, das konnte dem Herrscher nicht entgehen, hat an der Stimmung gegen seine Minister keinen Antheil. Dem Liberalismus kann heute ein Wechsel im Cultusministerium keinen Gewinn bringen. Der Nachfolger wird wohl ein äußerlich concilianterer Mann sein als Herr v. Landmann, er wird insbesondere auck im Verkehr mit den Hochschulen sich von diesem vortheilhaft unterscheiden, aber schon daS Ungewöhnliche des Abschlusses der Ministerlaufbahn des Vorgängers wird ein Grund sein, eine Aenderung in der klerikalen Schul- und Kirchenpolitik, soweit diese der Regent billigt, nicht eintreten zu lassen, namentlich aber darf man sich nicht der Illusion hingeben, der Klerikalisirung der Universitäten Würzburg und München werde nun Einhalt gethan werden. Das Vorstehende war geschrieben, als die eben eingetroffene Berliner „Germania" die Vermuthung bestätigte, baß gesammte Centrum in Deutschland werde die Entlassung des Herrn von Laudmann als eine lediglich durch den „Würzburger Conflict" verursachte Entschließung und als eine „schwere Er schütterung der Krone" hinstellen. Wir in Bayern haben schon Proben dieser Taktik gesehen, uns ihrer Albernheit gefreut, insonderheit der Künste der „AugSb. Postzeitung", die die „Loge" als den Engel austreten läßt, der Herrn v. Landmann aus dem Ministerparadies vertreibt. Daß gerade eine solche Unterstellung eS ist, die als Versuch, die Autorität der Krone zu erschüttern, auf gefaßt werden muß und wird, merken die übel berathenen Herren so wenig, wie ihnen die Komik deS Schimpfens auf den Parlamentarismus bei ihrer Kammermajorität bewußt wird. Es ist daneben auch recht herrlich dumm vom Cen trum, eine Entschließung, die keinen Siez seiner Gegner bedeutet, zu einer eigenen Niederlage zu stempeln. Die „Germania" droht der Regierung» die „Unterstützung" von nun ab zu verweigern, daS trifft sich gerade gut. Die Schluß abstimmung der Kammer über das zweijährige Budget steht noch aus. Die Klerikalen haben die Mehrheit und können das Finanzgesctz niederstimmen. Sonst wüßten wir nicht, was sie jetzt der Regierung Erkleckliches vorzuentbalten ver- möchten, und im Elatsgesetz sind auck für katholische Geist liche Zuschüsse und für sehr viele klerikale Beamte Gehälter ausgeworfen. Deutsches Reich. x. Berlin, 14. Juli. (Die Bayreuther Wahl.) Aus der Stichwahl im Reichstagswahlkreise Bayreuth ist der Candidat der Nationalliberalen mit einer Majorität von 950 Stimmen als Sieger hervorgegangen. Zu der viel umstrittenen Wahl sind einige ziffernmäßige Angaben nicht uninteressant. DieHauptwahl ergab seit 1887 regelmäßig 13000 bis 14 000 Wähler. Die Stichwahl am Freitag hat über 16 000 Mann an der Wahlurne vereinigt. Davon entfielen auf Hagen (nat.-lib.) 8549, auf Hügel (Soc.) 7600. Bei dem ersten Waklgang entfielen auf Hagen 3911, Hügel 5498, Günther (freisinnig) 1164, Feustel (Bund der Landwirthe) 3286. Die Stichwahl im Jahre 1898 brachte dem National liberalen 9144, dem Socialvemokraten 5994 Stimmen. Es beträgt also der Zuwachs der socialdemokratischen Stimmen gegenüber dem Iabre 1898 über 1600 Stimmen und gegenüber der diesmaligen Hauptwahl über 2100. Man begebt wohl keinen Jrrthum, wenn man dieses Anwachsen der socialdemo- kralischen Stimmen in einem beinahe völligen Abschwenken der freisinnigen Volkspartei zur Socialdemokratie erklärt. In Folge des einheitlichen Vorgehens aller bürgerlichen Parteien war im Jahre 1900 keine Stichwahl erforderlich, und dieses einmüthige Zusammenschließen der bürgerlichen Parteien gleich im ersten Wahlgang hatte zur Folge, daß die socialdemokratischen Stimmen von 5994 rm Jahre 1898 auf 4737, also um 1257, im Jahre 1900 zurück gingen, während die nationalliberalen 9159 betrugen. Diese Tbatsache bildet die eindringlichste Lehre für die im nächsten Jahre bevorstehenden Reichstags-Neuwahlen. * Berlin, 14. Juli. Der Verein für Social- Politik hat soeben einen Ban- „Untersuchungen über die Lage der Angestellten in den Verkehrs gewerben" herausgegeben, der eine Reihe tnter- efsanter Ergebnisse enthält: Waldemar Zimmermann erörtert die sociale Lage der Eisenbahner in Preußen, Paul Mombert die Arbeits- und Lohnverhältnisse der Angestellten der Düsseldorfer Straßen bahn, Handwerkskammersekretär Dietrich - Reutlingen das Droschkenwesen zu Frankfurt a. M. nach Angaben des Polizei- commissars Ewald, vr. Hempke die Verhältnisse der An gestellten und Arbeiter der Straßenverkchrsgewerbe in Posen, während K. H. Döscher einen Beitrag zur Lage des im Mün chener Straßenverkchrsgewerbe beschäftigten Personals giebt und Fritz Deicken Erhebungen über die Verhältnisse der Be amten und Arbeiter im Straßenverkchrsgewerbe Berlins anstellt. Eine Skizze von Comte Leon de Seilhuc I-es ouvriers ckes transports en llrance schließt den Band ab. Die Veröffentlichung von Waldemar Zimmermann über die sociale LagederEisenbahnerin Preußen hat übrigens eine Vorgeschichte, die es verdient, -aß man ihrer besonders gedenkt. Vorsitzender und Leiter der Unternehmung, welche die Erhebungen über diesen Gegenstand veranstaltete, war der frühere preußische Handelsminister, Staatsminister v. Berlepsch. Dieser hatte sich an seinen Collegen, den jetzt gleichfalls verab schiedeten Eisenbahnminister v. Thielen, mit der Bitte ge wandt, dem Verein bet seinen Erhebungen seine Unter stützung zu Theil werden zu kaffen, damit die eingehende Darstellung der Verhältnisse der Angestellten und Ar beiter der preußischen Staatseisenbahnen die Vortheile des Staatsbahnsystems auch für diese in ein Helles Licht stelle. Dieses Gesuch ist von Herrn v. Thielen ab schlägig beschieden worden, und zwar ohne daß der Eisenbahnminister irgendwelche Gründe für sein ablehnendes Verhalten anzugeben für gut befand. Dieses Verhalten des bisherigen Eisenbahn ministers wirkt um so befremdlicher, wenn man hört, Feuilleton. Sanitäre Zustände im Mittelalter. Skizze von Friedrich Thieme. Nachdruck verboten. Gar Mancher hat sich wohl schon die Frage vorgelegt, wie es komme, daß in den Zeiten des Mittelalters Seuchen und Krankheiten weit häufiger austreten und weit mehr Menschen hinzuraffcn vermochten, als in neueren Perioden, obwohl die Zahl der Menschen damals eine weit geringere war, der Verkehr sich in weit schwierigeren und unentwickelteren Formen bewegte und man die Groß städte mit ihren Hunderttausenden und Millionen Be wohnern noch nicht kannte. Man sollte meinen, dos Gegentheil müsse der Fall sein, und doch lesen wir mit Schrecken von den Verheerungen, welche bis in das 18. Jahrhundert hinein Pest, Pocken und andere epidemisch auftretende Krankheiten unter der dünn gesäten Be- völkerung in Stadt und Land anrichtcten. Sv finden wir in einer Chronik das Auftreten der Pest angezeigt in den Jahren 828, 875, 056, 968, 979, 983, 985, 988, 980, 994, 999, 1006, 1009, 1020, 1038, 1093, 1095, 1125, 1144, 1150—1151, 1171 n. s. w. Im Jahre 875 wüthete sie dergestalt in Deutschland, daß nur der dritte Theil der Müffchen em Leben geblieben sein soll: 994 starben ganze Dörfer aus, 1006 forderte die Seuche so viele Opfer, „baß oft Schwerbcfallene mit den Tobten begraben wurden", und noch in zahlreichen anderen Füllen begegnen wir ähnlichen, die gute alte Zeit nicht gerade im rosigsten Lichte zeigenden Bemerkungen. Da neben wird noch deS Ocftercn berichtet von bösartigen Krankheiten und Seuchen, an denen viele Menschen starben, sowie von bösartigen Viehseuchen in er schreckender Fülle. Die Antwort auf unsere Frage ist leicht zu geben. In erster Linie trug die Schuld der gänzliche Mangel aller sanitären Einrichtungen, die bet uns zum Heil der Gesell- schast zu so erfreulicher Blüthe gediehen sind. Man hatte keine Wasserleitungen, keine Eanalisativn, keinerlei Vor richtungen der Reinlichkeit. Die Menschen wohnten un geachtet ihre geringeren Zahl in den Städten eng ge pfercht zusammen, denn die Nothwendigkeit, die Städte durch starke Manern gegen feindliche Angriffe zn schützen, verbot die Ausdehnung derselben über das äußerste Be dürfnis; hiuauS, und selbst wo die» nicht der Fall war, empfand man das Vcdürfniß nach Raum und frischer Luft io gut wie gar nicht, da man die gesundheitlichen Ge fahren mangelhafter Lusterneuerung noch nicht kannte. Man fühlte weder die Verpflichtung, den Krankheiten vorzubeugen, noch ihnen im AusbruchSfalle wirksam zu begegnen, öffentliche Schäden wurden nicht abgestellt, es gab weder eine Reinhaltung -er Straßen noch des Wassers, die öffentliche Krankenpflege, welche in der ersten christlichen Zeit einen so erfreulichen Aufschwung genommen hatte, war ganz in Verfall gerathen; höchstens errichtete man sogenannte Aussatz- oder Pestilenzhäiffer, deren Tendenz aber mehr darauf gerichtet war, die Kranken von den Gesunden zu sondern, als durch zweck mäßige Behandlung und Einrichtung der Krankheit energisch zu steuern. Das charakteristische Bild, welches Prof. vr. Beyer in seiner „Geschichte der Stadt Erfurt" von den öffent lichen Zuständen der Stadt Erfurt im 15. Jahrhundert entwirft, dürfte wohl auf alle Städte des damaligen Deutschland anwendbar sein, da Erfurt zu jener Zeit be reits eine der angesehensten und bedeutendsten deutschen Städte war und man höchstens annehmen kann, daß die Zustände in den weniger entwickelten Gemeinwesen noch schlechtere waren. Nach Veyer'S Schilderung trug die Stadt noch einen dorfmäßigen Charakter, die Häuser standen oft regellos durcheinander, waren meist mit Brettern, Schindeln oder Stroh gedeckt und besaßen auch ein wenig ansehnliches Acußerc. In den Wohnungen auch der Wohlhabenden sah es dürftig und unsauber aus, die Thüren schlossen schlecht und gestatteten dem Wind, Regen und Schnee mehr Zugang, als sich mit der Gesundheit ver trug; die Luft war verdorben und kellcrartig, und die Heizung eine recht primitive, da das Feuer offen auf dem Herd brannte. Der Fußboden war kalt, und gegen Rauch durften die Insassen nicht allzu empfindlich sein. Noch schlimmer aber sah es auf den Straßen und Gassen aus. Schmutz und Staub waren an der Tagesordnung. „Vor den Häusern der ackerbautreibenden Kleinbürger machten sich große Düngerhaufen breit, auf denen Schweine, Hühner und Gänse ein idyllisches Dasein führten. Die Jauche ergoß sich in einen der fast alle Gassen durchfließenden Canäle, die angelegt waren, um genug Wasser zum Löschen zur Hand zu haben" . . . und die man nicht mit unserer Canaltsation vergleichen darf, da sie nicht nur nicht verdeckt waren, sondern auch „nebenbei als Spülichteimer für alle Abfälle aus Küchen, Schlachthäuser nnd Werkstätten dienten und in Folge dessen Gerüche ent- wickelten, die die Luft weithin verpesteten. DaS verdorbene Wasser drang auf unterirdischen Wegen in die Brunnen, die, schon durch die Abflüsse au» den ganz undichten Cloakcn vergiftet, die Ursache so vieler Epidemien ge worden sind." Dieses echt orientalische Gemälde wird nicht schöner durch den Zusatz, daß die Häuserbewohner die anmuthtge Gewohnheit hatten, all« möglichen Gegenstände, deren sie sich entledigen wollten, insbesondere auch Gefäße mit Flüssigkeiten aller Art, durch die Fenster auf die Straße zu werfen oder zu entleeren, wobei man sich wenig um die gerade Vorübergehenden bekümmerte. Der Rath schritt allerdings gegen diese Unsitte ein, aber mit demselben ge ringen Erfolge, mit welchem die „große Straßenreinigung" am Sonnabend durchgcführt wurde, und die sich in der Hauptsache nur auf die Reinigung der Canäle beschränkte, um dem Wasser wieder Abfluß zu schaffen. Wir ergänzen diese hcrzerhebende Darstellung noch durch eine andere, die Professor vr. Diestel in seiner „Ge schichte des Mittelalters" entwirft. Danach war es bis ins 15. Jahrhundert hinein gestattet, „alle Küchcnabfälle, Knochen, Eingeweide, ja, die häßlichsten, übelriechendsten, gesundhcitSgeführlichsten Stoffe ohne Abfuhr auf den Straßen und Hofen abzulagern, und dadurch alle Städte zu Herden und Brutstätten von Krankheiten und Seuchen zu machen. . . ." Der Schlamm auf den Straßen war so tief, -aß noch gegen Ende des 15. Jahrhunderts in Tutt lingen und Reutlingen Friedrich Iv. mit seinem Pferde versank, und in Nürnberg ein Knecht täglich die todten Thiere (Schweine, Katzen, Hunde, Hühner und Ratten) von den Straßen sorträumen mußte. Hand in Hand mit dergleichen Uebelstünden ging die mangelhaft mcdicinische Erkcnntniß. Die Aerztc waren nicht viel mehr als Curpfuscher, die von den natürlichen Ursachen einer Krankheit keine blasse Ahnung hatten, das Volk aber huldigte dem krassesten Aberglauben, und Wunderdoktoren und Charlatane aller Art machten die besten Geschäfte. In Ermangelung richtigen Verstände nisses der Vorgänge suchte man den vermeintlich erzürnten Himmel durch Wallfahrten und Gebete zu besänftige», wo- durch mau die Verbreitung der Seuchen noch förderte. Wie viele Personen mögen allein durch das Küssen der Bilder der Heiligen in Kirchen oder Capellen den Keim der Krankheit in sich ausgenommen haben! Waren die Brunnen durch die in sie den Weg findenden schädlichen Stoffe vergiftet nnd brachen in Folge dessen Seuchen aus, so beschuldigte mau vielfach die Juden, dieselben auS Racke und Haß vergiftet zu haben, und erbitterte Judenverfol gungen waren die Folge. ES versteht sich, daß auch die armen Kometen Verhalten mußten, sie waren schuld an HungcrSnöthen, Krieg und Krankheiten. Eine alte Chronik berichtet u. A.: 1031, ein Komet, anhaltende Nässe, HungerSnoth und Krankheiten, 808, ein Komet, in ganz Europa herrschte Thcucrung; 942, Komet, große Theuerung und Viehseuche; 968, Komet, rauhe Witterung, Hungerß- noth und Pest. Auch die häufige KricgSnoth und öle öfteren Theucrungen müssen als Ursachen der vielen Epidemien in Betracht gezogen werden. Wir meinen heutzutage, die damals in Deutschland lebende« 43—15 MtllionenMenschen müßten leichter zu versorgen gewesen sein, als unsere gegenwärtigen 50 Millionen — dem war aber nicht so. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Verkehrsmittel äußerst unzureichend und daher die Bewohner einer Gegend fast nur auf diejenigen Produkte angewiesen waren, die sie auf ihrem Grund und Boden erbauten. Höchstens konnte ihnen aus benachbarten Gegenden, sofern dort genug vorhanden war, Hilfe kommen. Tie Zufuhr auS dem Auslände fehlte noch ganz oder konnte doch nicht in Betrackt kommen. Sobald daher Mißernte zn verzeichnen war, oder der Krieg ganze Gegenden an der AuSsaat oder Einbringung ihrer Ernten verhinderte, mußte nvthwcndig Thcucrung und HungerSnoth die Folge sein; allerdings können eine große Anzahl dieser Theuerungen als locale Erscheinungen aufgefaßt werden, so daß man an einem Orte Mangel litt, während an einem andern Uebcrfluß herrschte. Die Folgen dieser Theuerungen machten sich dann häufig als Krankheiten und Epidemien geltend, ver- muthlich, weil die Widerstandskraft der Betroffenen sich erheblich verminderte. Wenigstens verzeichnet unsere Chronik wiederholt die Pest in Verbindung mit Hungers- noth; so 875, wo durch die HungerSnoth und die dnrch Heuschreckcncadaver verpestete Luft eine furchtbare Seuche erzeugt wurde, ferner 1315, wo infolge der Kriege Friedrich's des Gebissenen in Thüringen eine so große HungerSnoth entstand, baß „ein Loth Brod einen alten Groschen kostete, die Menschen nach den unnatürlichsten Nahrungsmitteln griffen und hierzu sich die Pest gesellte, an welcher in Erfurt allein 12 000 Menschen starben". Solcher Beispiele ließen sich noch mehrere anführen, nm den Zusammenhang nachzuweisen. Soviel steht fest, daß erst mit -er Zunahme der medicinischen Kenntnisse und vor allem mit der Ausbesserung der sanitären Ver hältnisse die geschilderten Zustände günstiger wurden. Allmählich fing man an, Wasserleitungen zu errichten, Krankenhäuser zu erbauen, für Straßenreinigung, Pflasterung und Beleuchtung zu sorgen, sowie Acrzte an- znstellen und Apotheken einzurtchten. Nürnberg machte 1362 bereits mit dem Bau einer Wasserleitung den An fang, 1374 folgte Zittau, auch begannen einige Städte schon im 14. Jahrhundert mit der Straßenpslasterung. Wie ver wöhnt sind wir jetzt mit unseren Wasserleitungen, Ab- zugscanälen, Trottoirs, elektrischen und Gaslampen, Straßenbahnen u. s. w. Freilich kosten alle diese Dinge Geld, viel Geld, und — doch wir wollen nicht murren, unsere Vorfahren von damal» hatten ebenfalls nicht wenig Gefälle und Abgaben zu entrichten und sahen so gut wie nichts dafür. Im großen Ganzen ist e» doch bester geworden!
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