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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.07.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020716012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902071601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902071601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-16
- Monat1902-07
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Q/U) H IE ^/l -^.'d . I. o. v. v. o. Bezugs-Preis 1» der Hauptexpeditiou oder den tm Stadt» kxzirl and den Vororte» errichtete» Aus gabestelle» abgeholt: vierteljährlich L.50, — zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau- ^4 5.50. Durch die Post bezöge» für Deutschland ». Oesterreich vierteljährlich ^ssS, für die übrige» Länder laut ZettungSpreiSüste. Redaction vnd Erveditionr IohanniSgaffe 8. Ferusprecher 153 uud L2L -ili»1»»pedi1is«r»«» Alfred Hahn, Luchhandlg* UaivrrsitLt-str.8, L. Lösche, Kathartseustr. 14, a. KünigSpl. I, Haupt-Filiale Dresden: Strehlenerftraße S. Ferusprecher Amt I Nr. 1718. Haupt-Filiale Serlin: Köuiggrätzerftraße IIS. Ferusprecher Amt VI Str. SS«. Morgen-Ausgabe. keiWM TagMalt Anzeiger. Ämtsölatk des Königliche« Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und V-lizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Nr. 358. Mittwoch den 16. Juli 1902. Anzeigeu'PreiS die 6 gespaltene Petitzeile LS H. Reklame» unter demRedaction-ftrtch (4 gespulte») 75 vor de» FauMerma^? richte» («gespalten) 50 Tabellarischer »od Ztfferusatz eutsprecheud höher. — Gebühren ftlr Nachweisungen und Offertenanuahaw LS (excl. Porto). Ertra»Beilagen (gefalzt^ »ur mit de, Morges-Au-gab«, oha« PostbefSrderuug 60.—, mit PostbesSrderusg ^l 70.—. Ännahmeschluß für Äuzrigen: Abeud-Lu-gab«: vormittag- 10 Uhr. Morgea-Ausgab«: Nacharittag- 4 Uhr. Anzeige» find stet- a» dir Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet voa früh S bi- Abend- 7 Ubr. Druck uud Verlag vou E. Potz ia Leipzig. 96. Jahrgang. Wohnungspolitik und Wohnungsnoth. 0. Ohne gesunde Wohnungen kein ge sundes Geschlecht. Die Gegenwart hat dieses Wort aus der Noth der Zeit heraus geprägt. Es trifft nicht immer, aber doch im Allgemeinen zu. Die Wohnungs frage ist von Allen nach vorwärts blickenden Social politikern als eine der wichtigsten in der Gruppe socialer Kragen erkannt, die Gegenwart und Zukunft zu lösen haben. Daher seit einigen Jahren die eifrige Arbeit auf diesem Gebiet, daher das mühevolle Suchen nach dem besten Wege, der auch der ärmeren Bevölkerung ein ge nügendes Maß von Luft und Sonne in die Wohnung bringt. Bei der Bedeutung dieser Frage ist es die Pflicht des Socialpolitikers, die Borschläge zu ihrer Lösung stets im Auge zu behalte«. Auch der vor kurzem in Düsseldorf abgehaltene internationale Woh- nungscongreß verdient daher Beachtung. Seine Verhandlungen haben sicher die Anschauungen auf den verschiedenen Gebieten der Wohnungspolitik geklärt; namentlich aber ist es nvthwendig, sich mit einer dort vor geschlagenen Wohnungspvlitik großen Stils, wie sie von Landesrath Brandts- Düsseldorf und vr. vonMan go l d t - Dresden vertreten wurde, bekannt zn machen. Man hat dort folgende Zahlen ausgestellt, die nicht ganz, aber doch sicher annähernd richtig sind: die Bolksver- mchrung in Deutschland ist auch in Zukunft auf 500 000 Menschen jährlich anzuuehmen. Etwa 75 Prvcent der selben müssen in kleinen Wohnungen untcrgcbracht wer den, also sind jährlich zunächst für 850 000 Menschen Wohnungen im Umfange bis zu drei heizbaren Zimmern zu schaffen. Zu diesem Bedarf tritt jedoch der Ersay für jene kleine Wohnungen hinzu, die durch Alter unbrauch bar wurden oder bei Straßendurchbrüchcn und bei Er richtung von Geschäftshäusern u. s. w. verschwinden. Man nimmt an, daß im Jahre mindestens für Proccnt der in kleinen Wohnungen hausenden Bevölkerung aus diesem Grunde eine neue Unterkunft zn schaffen ist. Be rücksichtigt man, daß von der 56 Millionen betragenden Bevölkerung Deutschlands drei Viertel auf kleine Woh nungen angewiesen sind, so würden für 280 000 Personen, gleich Procent von 42 Millionen, derartige Wohnungen zn schaffen sein. Nach dieser Rechnung müssen also in Deutschland in jedem Jahre für 080 000 Personen kleine Wohnungen gebaut werden. Zählt man auf die Woh nung vier Insassen, so ergiebt das 156 000 kleine Woh nungen, und seht man durchschnittlich für jede 4000 ./rl Nau- und andere kosten an, was gering gerechnet ist, so kommt eine Bausumme von jährlich 680 Millionen heraus. Diese Zahlen stimmen natürlich nicht nach dem Apothckergewicht. Aber sehr weit werden sie sich nicht von der Wirklichkeit entfernen; man kann sich von ihnen ein leidlich richtiges Bild des Bedarfs machen. Wer sorgt nun für die Befriedigung dieses Bedarfs? Die Frage ist keineswegs leicht zu beantworten; ver schiedene Wohnungspolitiker haben über sic mühevolle und weitläufige Untersuchungen angestellt. Es ist bekannt, daß im Verfolg der heutigen socialen Anschauungen Ar beitgeber, Staat, Gemeinden und Baugenossenschaften aller Art sich mit der Errichtung kleiner Wohnungen be fassen, nach Ur. von Mangoldt wird jedoch die über wiegende Zahl dieser Wohnungen auch heute «och von Bauunternehmern gewerbsmäßig auf Spekulation gebaut. Eine dem Düsseldorfer Eongreß vorgelcgte Denkschrift des genannten Wvhnungspolitikers untersucht die Mängel des heutigen rein privatcapitalistischen Bau systems und kommt zu dem Schluß, die Erfahrung von Jahrzehnten lehre ebenso wie die theoretische Erwägung, daß mit diesen Mängeln die heutige Wohnungsnoth eng zusammcnhänge. Ebenso lehre Erfahrung und Er wägung, daß diese Mängel von dem heutigen rein privat capitalistischen System des Bauwesens untrennbar seien. Auch die Gemeinnützigkeit Einzelner, wie die Arbeit der Genossenschaften vermöchten die Wohnungsnoth wohl zu mildern, aber nicht zu beseitigen. Auf dem Düsseldorfer Eongreß verlangte man daher eine umfassende und tief greifende Einwirkung der öffentlichen Körper schaften. Es wurde betont, unbedingt nöthig sei, die privatcapitalist.ische Errichtung kleiner Wohnungen völlig umzuwandcln. Man geht dabei von dem GcsichtS- pnnete ans, daß es in absehbarer Zeit nicht möglich ist, das private Baugewerbe zu ersetzen, man will dasselbe daher in seinen Grundlagen umgestaltcn und der Woh- nungsrcform dienstbar machen. Dazu erscheint den Freun den dieser Umgestaltung weniger der Erlaß von behörd lichen Vorschriften, als eine direkte starke Antheilnahme öffentlicher Stellen an der Errichtung kleiner Wohnungen nöthig, um auf diesem Wege in das private Baugewerbe gemeinnützige und socialpolitische Ge sichts pnncte hineinzutragcn. Um das zu erreichen, wird vorgeschlagen, für jede Provinz solche öffentliche Stellen zu schaffen, die, ohne selbst viel zu bauen, in der Lage wären, an derBauthätigkeit ihres Bezirks starken?!«» theil zu nehmen, sie zu beeinflussen und zweckmäßig zu er gänzen, wie auf die derart geschaffenen Wohnungen dauernd einen gewissen Einfluß auszuübcn. Zweckmäßiger als die noch stärkere Heranziehung der Landesvcrsiche- rungsanstaltcn zu dieser Aufgabe würde die Gründung von Wohnnngsbanken sein, wie sie seit einiger Zeit bereits von verschiedenen Seiten verlangt werden. Diese Banken denkt man sich als staatlich ausgestattete Provinzialanstalten. Man will ihnen das Recht geben. Pfandbriefe unter Gewähr der Provinz oder auch des Staates anszugcben. Laudesversichcrungsanstalten, Spar- cassen u. f. w. sollen gehalten sein, einen Theil ihrer Gelder in diesen Pfandbriefen anzulegen. Auf diese Weise würden derartige Banken in der Lage sein, für den Bau von kleinen Wohnungen verhältntßmäßig billiges und von den Schwankungen deS Geldmarktes weniger ab hängendes Ban- und Hypothekcncapital zur Verfügung zu stellen. Man glaubt, daß diese Anstalten bald die haupt sächlichsten Geldquellen für den Bau kleiner Wohnungen in ihrem Bezirke sein würden. Diese Banken sollen Ge- schäfte mit jedem soliden Bauunternehmer machen. Sie sollen jedem, also nicht etwa nur Behörden, .Baugenoffen» schäften und ähnlichen Vereinigungen, ihre großen Vor- theilc gewähren. Doch sie würden dafür ihre Bedingungen im Interesse der Gesundung des Bau- und Wohnungs wesens stellen. Für kleinere Orte, wo es jetzt zuweilen an Bauunternehmern fehlt, würden sie solche hcranziehen; den Betrag, welchen jetzt Ban- und Hypothekengeldver mittler verdienen, würden sie ersparen und den Woh nungsbedürftigen zuflteßen lassen, denn selbstverständlich würde bei ihnen nur auf Deckung der Selbstkosten zu sehen und jede Gewinnabsicht auszuschließen sein. Es wird betont, daß eine Decentralisatton der Be völkerung dringend nothwendig ist und über der Wohnungsreform in den Städten dieselbe auf dem Lande nicht vernachlässigt werden darf. Für beide Zwecke würden aber die Wohnungsbanken nicht nur nütz lich, sondern geradezu nothwendig sein. Mit der Schaffung von Wohnungsbanken wäre aber die Mitwirkung der öffentlichen Körperschaften bei der Lösung der Wohnungsfrage noch keineswegs erschöpft. Es wird von ihnen weiter verlangt, daß sie eine bis zu 90 Procent des Gcsammtwerthes steigende Hypothek in Fällen ge währen, wo ohne solches Entgegenkommen ein für noth- wcndig und als durchführbar erkanutcr Wohnungsbau unterbleiben müsse. Die Gewährung dieses letzten Hypo- thekentheils könnte nur unter Vermittelung, aber nicht auf eigene Rechnung uud Gefahr der Wohnungsbankcn geschehen, öa diese auf mündelmüßige Sicherheit ihrer Pfandbriefe bestehen müssen. Es würde hier also eine be sondere Ausgabe der öffentliche» Körperschaften oder auch der Gemeinnützigkeit vorliegcn. Man hofft, daß vielleicht das Reich sich der Sache annimmt, nachdem es in neuerer Zeit einen Anfang dazu gemacht hat durch Gewährung Ver letzten und hochauslaufendcn Hypotheken an solche Bau genossenschaften, die sich die Errichtung gesunder Woh nungen für Untcrbeamte und Arbeiter zum Ziele setzten. Es drängt sich natürlich die Frage auf: wer sind jene öffentlichen Körperschaften? Die Wohnungsreformcr ver stehen unter ihnen den Staat, die Gemeinden und weitere Commnnalverbände. Sie sollen diesen ganzen Kreis von Aufgaben durch planmäßige Arbeit er ledigen. Unter Staat will man sowohl das Reich, wie die Einzelstaaten verstanden wissen. Eine Lösung der Woh nungsfrage auf dem hier beschriebenen Wege würde auch eine kraftvolle sociale Bodenpolitik, eine Abänderung des Miethrechtes, des Miethprocesies und der Zwangsvoll streckung, Reformen im Hypothekenrccht und im Erbbau recht nothwendig machen. Eine Mitwirkung des Reiches wäre also unerläßlich. Auch glauben die Wohnungs reformer, daß ihre Aussichten im Reichstage viel besser als in manchen Eiuzellandtagen seien und sich nur an ein Vor gehen des Reiches eine einheitliche, große Volksbewegung für Wvbnungsrcform anichiicßcn könne. Das Reich soll diese Reform in großen Zügen gesetzlich fcstlcgen, die von ihm überwachte Ausführung seiner Wvhnungspolitik soll dagegen Aufgabe der Einzelstaatcn sein. Arthur LMur. Der jetzige Lord-Gehcimsicgelbewahrcr und Führer der Eonscrvativcn in England, A r t h u r B a l f o u r, ein Neffe des abgcgangencn Lord Salisbury, ist am 25. Juli 1848 geboren. Er wurde in Eton und Cambridge heran gebildet und trat bereits 1874 ins Unterhaus ein. In den Jahren 1874—1880 war er Privatsekretär des Lord Salis bury und nahm mit diesem am Berliner Eongreß Thcil. Seine ersten parlamentarischen Lorbeeren holte sich Bal four in der Opposition. Er bewegte sich mit großer Sicher heit in der parlamentarischen Arena und begann als Neffe seines Oheims und für seine Person zu den angehenden politischen Häuptlingen gerechnet zu werden. Ais 1885 die conscrvative Partei wieder ans Ruder kam, wurde Balfour denn auch Eabinctsminister, allerdings noch nicht ersten Ranges, sondern nur Präsident des Localvcrwal- tungöamtes, während Lord Randolph Churchill Minister für Indien wurde. Das neue Cabinet dauerte nicht ganz acht Monate, wurde dann durch eine neue Negierung mit Gladstone abgelöst, die nach weniger als sechs Monaten durch die in Folge der Gladstone'schen Home Rule-Vorlage eingetrctcnc liberale Secession wieder in die Brüche ging, und nun kehrte Lord Salisbury, diesmal gestützt auf das unionistische Eartell, an die Leitung der Geschäfte zurück. , Im neuen Ministerium wurde Balfour zunächst Minister für Schottland, allein nach Jahresfrist siel ihm die Stelle als Minister für Irland zu, in jener Sturmzeit, als um Home Rule gestritten wurde, vielleicht der schwerste, verantwortungsvollste Posten im ganzen Cabinet. In den nächsten vier Jahren hat dann Balfour, der bis dahin immer noch vielleicht etwas mehr als der bevorzugte Neffe des Premiers, denn als eine auf sich selbst gestellte Persön lichkeit gegolten hatte, seine staatsmännischen Sporen ver dient. Daß die irische Verwaltung damals straff, fest und sicher war, hätte man vielleicht hauptsächlich auf Rechnung der Entschlossenheit des ganzen Eabinets geschrieben, allein es zeigte sich bald, daß der junge Minister in seiner parla mentarischen Wirksamkeit mit seiner Verwaltung zu sehr im Einklänge war, um die Annahme einer blos äußer lichen Vertretung aufkomen zu lasten. Herr Balfour focht Tag auf Tag, Monat auf Monat und Jahr auf Jahr feine Kämpfe mit den irischen Nationalisten und ihren englischen Helfern mit kühl überlegener Sammlung und viel äußerer Höflichkeit durch und erntete schließlich die allgemeine An- erkennung, daß er in Irland ein entschlosseneres und strafferes Regiment geführt als seit langer Zeit, daß er damit ganz unverhofft günstige Ergebnisse an Ort und Stelle erzielt und sich doch im Unterhaus bei den Nation«, listen weniger Abneigung zugezogen habe, als mancher seiner Vorgänger, der sie durch Nachgiebigkeit zu gewinnen fuchte. Das war ein persönlicher und staatsmännischer Triumph ersten Ranges, und als tm Jahre 1891 Lord Randolph Churchill im Zwiespalt mit seinen Collegen daS Cabinet verließ und aus den Reihen der liberalen Unionisten hervor Herr Goeschen an seiner Stelle das Finanzportefeuille übernahm, wunderte sich daher Niemand, baß Arthur Balfour zum ersten Lord des Schatzamts aufrückte und die Führung des Unter hauses übernahm. Lange batte keine so jugendliche Gestalt den ersten Platz auf der Ministcrbank im Unterhaus«: ein genommen, als der kaum dreiundvierzigjährige Arthur- Balfour, bei dem bis dahin noch kein graues Haar an die Bürde des Amtes erinnerte. Als Führer des Unter hauses lebte er sich nicht ganz so leicht in seine neuen Ob liegenheiten ein, als er es bei seinen bisherigen Amts stellungen vermocht hatte. Sein persönliches Auftreten, feine nie versagende vornehme Lebensart und sein ver bindliches Wesen ließen nichts zu wünschen übrig, allein die süße Gewohnheit des Daseins als reicher, ganz un abhängiger Mann und seine Neigungen als Schöngeist und Dilettant standen ihm einigermaßen im Wege. Es fiel ihm schwer, sich in gewisse Routine-Arbeiten zn schicken, die die richtige parlamentarische Arbeitsbiene vom Schlage Chamberlains neben einem Ungeheuern Hausen anderer Geschäfte spielend besorgt. Er zeigte sich mitunter unge nügend in der Tagesordnung beschlagen, die der Führer des Unterhauses jeden Tag am Schnürchen haben muß, und hatte die Wahlkreise nicht im Kopfe, für die der einzelne Abgeordnete im Unterhause saß. Der junge Führer des Unterhauses stand allerdings morgens nicht früher ans wie bisher, aber er studirte doch im Bett die Tagesord nung und prägte sich schließlich auch Namen und Wahlsiye wenigstens derer ein, die häufiger das Wort nahmen, bis er 1892 mit seinen Collegen zum letzten Male dem großen Greise und dessen Anhänge Platz machte und selbst in der Opposition einige Ruhe und Muße wiedersaud. In den nächsten zehn Jahren wurde Arthur Balfour ein gereifter Staatsmann. Er füllte sich körperlich einigermaßen aus, blieb aber immer noch ein ziemlich schlanker Herr für sein Alter. Haar und Schnurrbart und das kurze Backenbärtchcn seiner jungen Jahre wurden grau und grauer, aber die verbindlich freundlichen Züge behielten wenigstens den Abglanz der Jugend. Das Jahr 1895 führte ihn als Ersten Lord des Schatzamtes und Führer des Unterhauses auf die Ministerbank. Manches haitc sich inzwischen geändert. Die liberalen Unionisten hatten sich unter zwei Negierungen in politischem Zu sammengehen soweit den Couservativcn genähert, daß bei der neuen Cabinetsbildung eine Anzahl von ihnen unter Salisbury in das Ministerium trat, und das durch die Home-Nule-Bcweguug geschaffene Eartell so auch äußer lich in die Erscheinung kam. Hierbei fiel Balfour eine un gemein wichtige Nolle zu. Er wurde das uatürlichc Bindeglied zwischen den alten Eonservativen und ihren BnndcSgcnofsen vom rechten Flügel, der ehemaligen liberalen Partei, oder, nm es persönlich auszudrücken, zwischen Salisbury und Chamberlain, dem thatkrästigsten und bedeutendsten Manne der liberalen Secession. Balfour war dazu in mancher Hinsicht besonders geeignet. Die philosophische Ruhe uud das persönlich Einnehmende seines Wesens, das ihm fast die Znncigung der Irländer eingetragen, jedenfalls ihn vor ihrem Hasse bewahrt hatte, fiel dabei ebenso schwer ins Gewicht, als eine Neigung zum Zweifel, auch in voltischcnDingen, die ihn vor übermäßiger Begeisterung oder Hartnäckigkeit bewahrte. Dabei war er nicht nur Lord Salisbury's rechte Hand und sein Stell vertreter, auch zeitweilig im Ministerium des Auswärtigen, sondern ist auch sein Lieblingsncsfc, der im Grund seines Wesens politisch den liberalen Unionisten näher steht als den Altconservativen oder TorieS. Deutsches Reich. sz. E. Berlin, 15. Juli. (Ausstellung für U n. f a l l v e r h ü t u n g.) Seitdem im Jahre 1889 die „Deutsche Allgemeine Ausstellung für Unfallverhütung" die bis dahin bekannten Arbeiter-Schutzvorrichtungen zum ersten Male in umfassender Weise vorgeführt hat, ist der Wunsch hervorgctreten, den Interessenten fortlaufend Neues und Nachahmenswertstes auf diesem Gebiete durch Schaustelluug allgemein zugänglich zu machen Diesem Wunsche soll nunmehr von Seiten des Reichs durch Schaf fung einer ständigen Ausstellung Rechnung getragen wer den, welche sämmtliche Zweige der Arbciterfürsvrge, ins besondere die Vorkehrungen zur Unfallverhütung und die Einrichtungen auf dem Gebiete der Gcwcrbehygieine, um fassen soll. Das Ausstelluugsgcbäude ist in der leicht zu erreichenden, unweit der Technischen Hochschule gelegenen Frau n Hofe r st r aße 11/12 in C st a r l o t t e n b u r g erbaut worden und wird in kurzer Zeit auch in seiner inneren Einrichtung zur Aufnahme der Schaustücke fertig gestellt sein. Die Beschaffung der Ausstellungsgegenstände soll vornehmlich in der Weise erfolgen, daß einzelnen Ar beitgebern, sowie Erfindern und Fabrikanten neuer Un- fallvcrhütungsvvrrichtungcn unentgeltlich der Nainn zur Verfügung gestellt wird, auf dem sie die von ihnen ein geführten oder hcrgcstelltcn Einrichtungen dieser Art zur öffentlichen Kenntniß bringen können. In gleicher Weise soll auch dcu Bcrufsgcnossenschaftcn Gelegenheit zur Aus stellung mnstcrgiltiger und bewährter Unfallverhütungs vorrichtungen geboten werden. Die Ausstellungsgegen stände sollen in Modellen ober in betriebsfertiger Aus führung, und die Maschinen, sofern sic mit Elektromotoren versehen sind, im Betriebe gezeigt werden. Die hierzu erforderliche elektrische Kraft wird kostenlos vom Reiche zur Verfügung gestellt werden. Ferner wird die vom Reichsamt des Innern ressortircndc Verwaltung der „ständigen Ausstellung für Arbcitcrwohlfahrt" für eine der Belehrung der Besucher Rechnung tragende Vorfüh rung der Maschinen, sowie für die Bewachung und die Instandhaltung der Ausstellungsgegenstände sorgen, lieber die Zulassung der auSznstcllcndcn Gegenstände ent scheidet die Verwaltung nach Anhörung eines vom Reichs- kanzler zu berufenden Bciraths von Sachverständigen. Sofern sich ergiebt, daß die in der Ausstellung zur Schau gestellten Apparate und Einrichtungen durch neuere Er- findungen überholt sind, oder daß sie in der praktischen Anwendung sich als nicht brauchbar oder als nicht zweck- mäßig erweisen, oder sofern sonst Gründe vorliegcn, welche die Entfernung gewisser Schaustücke von der 'Aus- stcllung als wünschenswcrth erscheinen lassen, werden die Eigenthnmer zur Zurücknahme »nd Abholung der Gegen- stände aufgefordert werden. Die freiwerdcnden Plätze sollen sodann alsbald mit anderen, die neuesten Erfindungen aus den einschlagenden Gebieten veranschaulichenden Schau stücken besetzt werden. Um zunächst einen Uebcrblick über die Zahl der zu erwartenden Schaustücke und über das Bedürfnis; an Raum zu gewinnen, sollen vorerst nur die BcrufSgenvsscnschaflen, ferner Gewerbeunternehmer, die sich auf dem Gebiete der Unfallverhütung, der Gewerbc- hygieine und der Arbeiterwohlfahrt hcrvorgethan haben, sowie auch die Erfinder und Fabrikanten bewährter, dem Schutze der Arbeiter dienender Vorrichtungen er sucht werden, sich wegen Beschickung der ständigen Aus stellung für Arbeitcrwvhlfahrt mit der Verwaltung in Verbindung zu setzen. Mit der Ausstellungshalle ist ein Verwaltungsgebäude verbunden, in welchem sich ein größerer Saal befindet, welcher zu öffentlichen Vor trägen über Unfallverhütung, Wohnungsfürsorgc, Gc- wcrbehygicinc und verwandte Gebiete benutzt werden soll. --- Berlin, 15. Juli. (Der Bund der Land- wirthe bei den nächsten Wahlen.) Es ist vor auszusehen, daß bei den nächsten allgemeinen Wahlen zwar alle Parteien ihre Kräfte anspannett, zwei aber dies in ganz besonderer Weise thun werden: die Social demokratie und der Bund der Lanbivirthe; die erstere, weil sie in der Zollfrage eine günstige Wahl parole erblickt, der letztere, weil es sich für ihn um eine Existenzfrage handelt. Giebt nämlich die ländliche Wählerschaft der bündlerischen Parole „Entweder Alles oder Nichts" Unrecht und stellt sie sich in ihrer Mehrheit auf den Standpunct der gemüßigten Parteien und der ver bündeten Negierungen, so wird die Frage, welche Existenz berechtigung der Bund der Landwirthe als politische Partei besitzt, in einer für den Bund fatalen Weise acut werden. Haben somit Svcialdemokratie und Bund der Landwirthe diesmal ein besonders starkes Interesse an einem für sie günstigen Ausgange der Wahlen, so sind die Mittel, mit denen sie auf den Erfolg hinarbeiten, sehr ver schieden. DieLocialdemvkratieziehtdicsmal.man muß dies auch als Gegner anerkennen, frei und ehrlich die rothe Flagge auf; sie erklärt alle bürgerlichen Parteien als Feind und verhöhnt den Gedanken, durch ein Eartell mit dem bürgerlichen Nadicalismus die socialistischen Ten denzen entstellen zu lassen. Umgekehrt ist der Bund der Landwirthe je nach den Umständen hier national, dort — beispielsweise wo es sich um den Kamvf gegen das Wclfcn- thum handelt — „unparteiisch", anderwärts centrums- srcundlich. Dabei begegnet cs ihm denn, daß diese Viel seitigkeit das Mißtrauen Aller erweckt. So machen gleich zeitig Welsen und Centrum gegen den Bund mobil. Aus zwei Wahlkreisen, dem 14. — Celle-Mfhorn, wo bei ver jüngst stattgefnndcncn Ersatzwahl der Bund der Lanv- wirthe einen eigenen Candidaten aufgestellt hatte, der aber nicht einmal in die Stichwahl kam —und dem 11., der jetzt bündlcrisch vertreten ist, wird dem hannoverschen Welsen blatte gemeldet, daß der Bund Anstrengungen macht, neue Anhänger zu gewinnen. Das hannoversche Hauptorgau der Welfenpartei bemerkt dazu spöttisch, Mühe und Arbeit des Bundes seien nutzlos, denn die hannöverschen Bauern Hütten die Ueberzeugung gewonnen, daß der Bund die Hannoveraner in wirthschaftlicher Beziehung nur benutze, nur sich die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen, während er in politischer Hinsicht nur den Deck mantel der Unparteilichkeit umnühme. In derselben Weise spricht die „Köln. Volksztg." von der „ v c r b l ü s f e n d e n N a i v c t ä t", mit der die bündle- rischc Presse erkläre, der Bund bekämpfe die Ccntrums- fraction niemals und fordere die Centrumspresse niemals heraus; das rheinische Blatt bemerkt hierzu: „Das ist ein Spiel mit Worten. Der Versuch des Bundes, au allen Enden der Centrumspartei bei den Wahlen ein Bein zu stellen, rechtfertigt doch wohl ausreichend die Stellung der Centrumspressc zum Bunde." Die biedermännischen Versicherungen der bündlerischen Presse würden nicht verfangen. Trauen also die nichtnationalcn Parteien, wie Welfen und Centrum, dem Bunde nicht über den Weg, so wird derjenige Theil der Wählerschaft, dem der nationale Gedanke über der Frage, ob 5-, oder 6-, oder 7-Mark-Zoll, noch nicht ganz abhanden gekommen ist, durch das Liebäugeln des Bundes mit diesen Parteien stuüig gemocht. Der Bund der Landwirthe hat die beste Aussicht, sich zwischen zwei Stuhle zu setzen. Steht cr wirklich auf dem Standpuncte, daß der 7^-Mark-Zoll das Entscheidende, alles llebrige Nebensache sei, so möge er ebenso offen wie die Socialdemokratie die Flagge auf ziehen und erklären, daß er auf alle nationalen Fragen pfeife und Jeden,-der nicht auf seine Forderungen cingc- schworen sei, unbedingt als Feind ansehe. D Berlin, 15. Juli. (Telegramm.) Von der Rord- lauvsreise des Kaisers wird gemeldet: * Bergen, 15. Juli. (Telegramm.) Der Kaiser machte gestern Nachmittag, vom Consul Mohr kommend, einen Besuch auf der amerikanischen Dacht des Mr. und Mrs. Robinson, die heute zur Abendtafcl geladen wurden. Der zweite Courier ist heute ein getroffen. Tie Dacht „Hohenzollrrn" und der Kreuzer „Nymphe" hatten anläßlich des Geburtstages deö Prinzen Adalbert, der heute 18 Jahre und damit großjährig geworden ist, geflaggt. Heute wurde bei schönem Wetter die Fahrt nach Gudvangen fortgesetzt. Die Ankunft in Gudvangen erfolgt heute Abend circa 8 Uhr. Tas Wetter ist mild. An Bord Alles wohl. — LandwirthschaflSminister von Podb ielSki wird dem nächst Ostpreußen bereisen. Der Minister wird Anfang August im Kreise Lyck und Jobannisburg weilen. Seine Informationsreise beginnt in den letzten Tagen deS Juli in Allenstein. Die conscrvative „Elbg. Ztg." widmet dem Minister folgende „Begrüßung": Tie großen Hoffnungen, die vielfach auf solche Ministerreisen gesetzt wurden, sind in den meisten Fällen nicht in Erfüllung ge gangen. Man wird daher gut thun, die Bedeutung dieser Reise deS Landwirthschastsministers nicht zu überschätzen. WaS wirklich reformbedürftig ist, bekommen die Herren Minister selten oder nie zu sehe». Man giebt große Diners und Souper-, besichtigt so genannte Mosterwirthschaften, bewundert da- feitest« Schwei» und
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