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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.06.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030609018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903060901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903060901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-09
- Monat1903-06
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Bezug--Preis 1» der Hmiptexpedttto» oder deren Ausgabe stelle« obgebolt: vterleljLhrlich S—, bei zweimaliger täglicher Zustellnug tat Hau» S.7K Durch di« Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich ^l 4.50, für tzt» übrigen Länder laut Zeitungspreisltste. NrLaktton und Erve-itio«: Iohanntsgaffe 8. Fernsprecher 153 und SSL. Fltiateapeditione» r Alfred Hah»,B»chhaadlg., llntversitüt»str.8» L. Lösche, Latharinenstr. 14, u. Küaigspl. 7. Hiupt-Filiale VresLea: Marteustraße S4. Fernsprecher Amt I Nr. 171». Haupt-Filiale Serliu: T«l Dimcker, Herzgl. Bayr. Hvfbuchhandlg« - Lützowstraß« 10 Fernsprecher An»l VI Nr. 4603. Morgen-Ausgabe. MpMcr TaMaü Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates und des Rokizeiamtes der Stadt Leipzig. Nr. 287. Dienstag den 9. Juni 1903. Anzeigen-Pret- die 6 gespaltene Petitzeile stS Reklamen unter dem RadattionSstrich sLgespaUe») 7Ü vor den Familtennach- richten (6 gespulte») »0 Dabellarischer und Ztfferusatz «utsprecheud höher. — Gebühren für Nachweisung«» u»d Offerteuaunahiu« LS («xrl. Port»> Ertra-Beilagen (gesalzt), u»? mit oer Morgen-Ausgab«, ohne Postbesürderu», 60.-, mit PostbesSrder»ng 70.—. Auuahmrschluß fir Äuzeigeu: Abend »Ausgabe: Lorortttags 10 Uhr. Morg«n»Au»gab«: Nachnetttag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an di« Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geüffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. S7. Jahrgang. Arbeitslöhne und Produktenpreise. Die preußischeBergverwaltung hat kürzlich die Uebersirot der im Jahre 1SV2 mi Bergbau verdienten Löhne veröffent licht. Solche Nachweisungen gibt eS bis zurück zum Jahre 1886 und es ist von Interesse, di« Bewegung dieses Lobn einkommens in Vergleich zu stellen mit dem, waS die Land wirtschaft für ihre Hauplerzrugnisse zu vereinnahmen in der Lage war. Demnach berechnete sich im Steinkohlen bergbau der IabreSarbeitSverdienst (reiner Lobn, nach Abzug aller Arbeitskosten, sowie der Knappschaft-- und Invalidenversicherungsbeiträge) — im Durchschnitt der Gesamtbelegschaft — (also mit Einrechnung de- Ver dienstes der über Tag« beschäftigten erwachsenen, sowie der jugendlichen Arbeiter und der Arbeiterinnen wie folgt: Oder- schlessen Nieder- schiessen Dortmunder Bezirk Saarbrückener Bezirk /r ÜL 188« 490 586 772 808,5 1887/89*) 527,6 646 866,6 863 18S0/2*) 677 6 747 1043 1097 6 1893 5*) 666.6 726 3 958,3 925 1896/8 729,6 785,3 1112,6 987,6 1899 801 846 1255 1019 1900 877 910 1382 1044 1901 872 871 1224 1042 1902 820 799 1131 1053 «igerung seit 1886: tt?,3b 36,35 46,50 30,38 Proz. Für die unterirdisch beschäftigten eigentlichen Berg arbriler, also das Gros der Belegschaft, betrug der rein« Lohn für di« verfahrene Schicht: Odar- schielten Nieder- schiessen Dori munv Saar, drücken A. «C» 1886 2,03 211 2,92 2.99 1887/9*) 2.14 2,31 3,10 3,17 18S<>,2*) 2.7« 2,69 3,98 4,18 1SS3/5*) 2,77 2,61 8,73 3,74 1896 8*1 2,94 2.7» 4.26 3,81 1899/1901*) 3,45 3,15 4,9» 4,06 1902 3 35 2,91 457 4.07 Steiger uag seit1886: 65,02 38,00 56,49 36.12 Proz. Die Zahlenreihen lassen deutlich die beiden Abschnitte der wirtschaftlichen Hochbewrgung (1890/2 und 1899/1960) her- vortretev; auch wie demnächst in der Periode der wirtschaft lichen Verflachung das Arbeitereinkommen sich wieder etwas vermindert. Aber daS Charakteristische ist auch, daß jedesmal die niedrige Linie nach der Hochbewegung höher steht, als diejenige vorher. 2m wesentlichen erreicht das Jahresein kommen in der Hochperiode seinen Gipfelstand durch Ueber- schichten, in der flaueren Zeit seinen Tiefstand durch Feier schichten. Die Zahl der auf den Arbeiter durchschnittlich verfahrenen ArbeitSschicbten betrug z. B.: O verschlissen Nlederschlessen Dortmund Saarbrücken IS00 281 304 318 293 1901 281 LSS 301 LS4 1902 277 293 296 29b Besonders beachtenswert ist aber, wie neben dem Lohn einkommen di« Arbeitsleistung sich entwickelt hat. Im Durchschnitt kommt auf den Kopf des Arbeiters eine Jahre»- leistuug: Obrrschlesten Ntedrrfchlrssrn Dortmund Saarbrücken t t t t 1886 325 226 285 236 1887/9 349 227 3,1 249,6 1890/2 3L8F 200,6 277 219 1893/5 332,3 213 273 219,6 1896/8 369 221,6 281 241,3 1899 S79 219 274 237 1900 363 215 271 233 1901 327 195 247 224; sie dürfte für 1902, worüber die Zahle» noch nicht vor- liegen, um «in weitere» zurückgegaagen sein. Also auf der einen Seite eine Steigerung de» Schicht lohnes um 36—65, eine Vermehrung de- Jahreseinkommen» um 30 di- 67 Proz., auf der anderen Seite em« Verminderung der jährlichen Arbeitsleistung um etwa 5 Proz. in Saar brücken, um etwa 15 Proz. in Niedrrschlesirn und Dortmund und ein Stillstand in Obrrschlesten. Die stärkste Auf- und Abbewegung vollzieht sich im Dort munder, die größte Stetigkeit — sowohl in der Ziffer der beschäftigten Arbeiter, wie der verfahrenen Schichten, der Arbeitsleistung und de» Lohneinkommev» — herrscht an der Saar, wo va» Sinken de» Iahresoerdienste» selbst in den brideu letzten Jahren verhütet werden konnte. Demgegenüber mögen nun folgende Lergleichsziffern über landwirtschaftliche Produkt« ihren Platz haben: Wenn man den Durchschnittspreis des Jahrzehnt» von 1889—1898 gleich Ivo setzt, so hat sich von diesem «Index ausgehend der Preis wie folgt weiter entwickelt: *) Dreijährig« Durchschnitt. 1Sgö ISl» iülü 1S0L Mär, 1SV3 Rogge« . . . 989 96,3 95,1 97,4 8v,0 Weizen . . . 89 8 87,8 94.6 94,8 »0,0 Haier . . . 99.0 91,l SSO 103,3 96,8 «erste . . . 93,7 94,6 967 93.1 »4,2 Kartoffel» . . 94,2 102,S 88.0 75,8 969 Robzucker . . 79,6 80,9 69.7 55,9 70,2 Spiritu» . . roi.u 96.6 80.5 71.2 76 4 Mböl . . . 88« 108,7 1060 99 6 »08 Vtlamivurchschmtt »3,1 94,8 90,2 «8,3 88,0 Da« will sagen, die Landwirtschaft bat für ihre hauptsächlichen Ackerbauprodnkle im großen und ganzen weniger eingenommen, al» der Durchschnitt 1889/98 betrug, und zwar blieben viele Einnahmen trotz der Ge treidezölle 188S 1900 1901 1902 Mär, 1909 zurück um 6.9 Proz. 5 2 Proz. 9,8 Proz. 13,7 Proz. 12 Pioz. Daß da» Brot deswegen nicht billiger geworden, auch der Zucker im Kleinverkehr keine nennenswerte und dei Schnaps überhaupt keine Verbilligung erfahren hat, mag wohl zutreffen. Aber wenn man die Lage der Landwirt schaft würdigen will, so kann man nur diejenigen Preise in Betracht nehmen, welche der landwirtschaftliche Produzent erhält, und kann nicht nach den Preisen sich richten, welche der Konsument im Kleinverkehr bezahlen muß. Unterscheidet man demgemäß, so ergibt sich also für den Landwirt eine reckt nennenswerte Verminderung der Preise für seine Ackerbauprodukte — eine Verminderung selbst gegenüber dem Durchschnitt 1889/98, der bereits unter dem Durchschnitt der vorauSgegangenen zwei Jahrzehnte liegt. Ein wenig bester ist cS um die Preise der Vie Hw iri sch» ft bestellt. Im Vergleich zum Durckscknitt 1889/98 (— 100) entwickelt sick bier da» PrciSverhältniS wie folg«: 18ÜS iseo 1S0I 1V02 Mar» IVVI Rinder 101,2 103,9 102 4 >06,0 105,7 Schweine .... 91,0 »1,7 107 5 114.0 94,8 Kälber 121,9 U7.3 112,3 118.8 123,2 Hammel .... 106,1 108,8 108,9 116 6 120,6 Buller I» ... >02.4 1049 105,6 1028 107 5 Gejamtdurchschnitt 104,5 10ö,2 107 3 Ill.ö 110,4 Hier hat also im großen Durchschnitt eine Ausbesserung der Preise um 4,5 bi» 11,5 Proz. stattgefunven, die aber im März schon wieder im Weichen und auf 10,4 Proz. zu rückgegangen ist. Bei den Ackerbauproduklen ein Verlust am zehn jährigen Durchschnittspreis um 12 P>oz., bei der Virbwirt- fchast eine Preisaufbessrrung um 10 Proz., — das ist für die Landwirtschaft daS Resultat der Marktentwicklung seit fünf Jahren. Stellt man das Lobneinkommen der Bergarbeiter dagegen und nimmt den Durchschnitt 1889 98 « 100, so ergibt sich hier folgende Entwicklung: 1889/98 Oberschlrssen Nlederschlessen Dortmund Saarbrücken 100,0 100,0 100,0 100,0 1899 118,2 113,3 133,7 102,3 l9i.O 129,4 121.8 141,9 104,8 19O> 128,7 116,6 130,4 1046 1902 121,0 107,0 120,5 105,1 Also der Bergarbeiter hat selbst in dem gedrückten Jahre 1902 immer noch 5—21 Proz. mehr Lohneinkommen gehabt, als im Jahrzehnt 1889,98. Hingegen hat diese» Lobnein kommen in den günstigen Jahren 1899 und 1900 den Durch schnitt de« vorgehenden Jahrzehnts in Schlesien um 13 bis 29 Proz. übertroffen, in Dortmund um 30 — 41 Proz. und in Saar brücke» immerhin auch nock um einige Prozente. Genau die umgekehrte Entwickelung haben wir an den Ziffern der Landwirtschaft fesizustellen gehabt. WaS auS dieser werden wird, wenn eS der Sozialdemokratie und ihren Verbündeten gelingt, Handelsverträge mit höheren LebenSmittelzöllen zu Falle zu bringen, wissen die „Genossen sehr gut. Daher ihre Stellungnahme gegen solche Handels verträge. Unsere Aussichten. Der diesmalige Wahlkampf unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von dem früherer Jahre. Nicht mit Unrecht spricht man von einer „W ahlsti 1 le" in vielen Gauen unseres Vaterlandes. Jedenfalls fehlt es an deutlich hcrvortretenden Zeichen einer großzügigen Be- wegnng, wo nicht, wie im Rheinland und im Lüden, der Kampf gegen daS Zentrum sich scharf auSprägt. Wie weit anderswo durch die Klein-Arbeit Wirkungen erzielt oder nachgeholt werden können, die eine allge meine oder wenigsten» erhebliche Wahlbeteiligung ver sprechen, läßt sich auch heute, kurz vor der entscheidenden Wahlstunde, schwer voraussagen. Eine der diesmaligen Wahlbewcgung ganz besonders eigentümliche Begleiterscheinung ist das Vorgehen ver- scht«dener Parteien, insbesondere der Sozialdemokraten und des Zentrums, mit einer solch großen Reihe von Zählkandidaturcn, wie sie früher niemals erlebt worben ist. Die Notwendigkeit, die endgültige Ent scheidung erst aus den Stichwahlen herauSzuholen, erscheint damit noch unumgänglicher geworben zu sein, als e» schon an und für sich nach Lage der Parteiverhältntffe ber Fall war. Wenn wir gleichwohl dem immer näher kommenden Ausgange der Wahlbewegung nicht etwa mit übertriebe nen Erwartungen für die n a t i o n a l l i b e ra l e Partei, wohl aber mit einem Gefühl ziemlich sicherer Hoffnung entgegensetzen, cs werde unserer Partei möglich sein, so abzuschnetden, wie sie es von vornherein al» erstrebens wert bezeichnet hat, so sind es u. a. folgende Erwägungen, die dieser Urteilsbildung zu Grunde liegen: Die nationalliberale Partei bat es von vornherein ver mieden, ihre Ziele zu wett zu stecken und ihre Erwartungen zu hoch zu spannen. Das mag auf den ersten Blick nicht al» Vorzug, sondern als Nachteil erscheinen, zumal tn einer Zeit, in ber cS vielfach als Beweis besonderer LebenSklughett gilt, mehr zu scheinen, als man ist, und in der das Klappern auch zum politischen Handwerk« in einem »«hört, «is s» früh«« nicht üblich, um nicht zu sagltt undenkbar war. Die nationalliberalc Partei würde sich mit ihren besten Traditionen in Widerspruch setzen, wenn sic diesmal mit Absichten auf eine solche Machterweiterung hervorgetretcn wäre, die auf ein Verkennen der unter den augenblicklichen Zeitvcrhültnissen gegebenen Aufgabe einer nationalen und liberalen Mittelpartct hinauSUefe. Ter einerseits von rechts, anderseits von links drohen- den Gefahr des lleberwucherns radikaler Bestrebungen kann nur dadurch auf die Tauer mit Erfolg begegnet werden, daß die Mittclpartcien so stark bleiben, um einen Damm bilden zu können gegen den übermächtigen Einfluß des Zentrums wie gegen den Anprall deS demagogischen Eifers von der extrem agrarischen und der sozialdemo kratischen Seite. Hierzu ist die nationalliberale Partei besonders berufen; sic war und ist unentwegt bestrebt, der rechtsradikalen Bewegung ihre Schärfe zu nehmen, den als berechtigt anerkannten Teil der Bestrebungen zum Schutz der heimischen Landwirtschaft, soweit es im Nahmen der Gesetzgebung möglich ist, in die Wirklichkeit überzu führen und nach der linksradikalen Seite so weitgehende Zugeständnisse zu machen, wie sich mit dem auf das 8uum euiguv gestellten Prinzip des wahren Liberalismus vereinigen läßt. Dieser kann selbstverständlich nicht zu- geben, daß der Anspruch des Arbeitgebers, a u ch ein Recht auf die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses zu haben, ein- fach auSgeschaltct wird. Die Mittelstellung der nationalliberalen Partei ist frei lich nicht dazu angetan, ihr Sympathien in jenen großen Massen zuzuführen, die sich blindlings vom Autoritäts glauben oder von möglichst kräftigen und lauten Schlag worten leiten lassen. Um so mehr darf erwartet werden, daß am entscheidenden Tage der Wahl sich diejenigen Schichten der Bevölkerung zur nationalliberalcn Partei bekennen, denen durch die Begehrlichkeit deS Zentrums und der rechts und linkS stehenden radikalen Elemente der Blick geschärft ist für die Notwendigkeiten der politischen Gegenwart und für die nächstliegende Zukunft. Aus diese besonnenen und einsichtigen Schichten der Bevölkerung setzen mir am Wahltage unser Vertrauen auch nach der Richtung, daß sie sich nicht bei dem Gefühle beruhigen, das Prinzip des nationalen und liberalen Bürgertums werde ans sich selbst lrcraus schon allein bahnbrechend wirken, sondern daß sic tatkräftig eingreifen und Mann für Mann am Wahltage für dieses Prinzip an der Wahlurne ihre Stimme abgeben. Deutsches Reich. 0. tt. Berlin, 8. Juni. lUrlaub an städtische Arbeiter.) Mit einer sozialpolitischen Maßnahme von hervorragender und einschneidender Bedeutung wird sich am Donnerstag unsere Stadtverordnetenversammlung beschäftigen. Es handelt sich um die Gewährung eines Urlaubs an städtische Arbeiter. Soweit wir die Stimmung kennen, wird man vom nächsten Jahre ab den städtischen Arbeitern, die sich fünf Jahr« im städtischen Dienste befinden, jährlich einen Urlaub von einer Woche unter Fortbezug des Lohnes gewähren. Die durch die Beurlaubung der städtischen Arbeiter ent stehenden Vertretungskvsten würden in diesem Falle 82 658 betragen. Die Sozialdemokraten ver langen, daß der Urlaub der städtischen Arbeiter schon nach einjähriger Beschäftigung gewährt werde. Es würde sich in diesem Falle um 9000 Personen handeln. Wenn nun auch die Stadt die Vertretungs kosten von 149 000 aufbringen kann, so sprechen doch sehr wichtige sozialpolitische Bedenken dagegen. Mit Recht wiesen im Ausschüsse mehrere Stadtverordnete darauf hin, daß bei einer solchen Entscheidung auch die Prtvatindustrie Berücksichtigung verdiene, die doch in ihren Betrieben einen bestimmten Stamm von Arbeitern erhalten müsse, aber schwerlich dem Anträge auf Beurlaubung ihrer Arbeiter nach einjähriger Tätig keit zu folgen in der Lage sei. Zunächst handele e» sich darum, eine Verbesserung in den Arbeiterverhältnifseu herbetzuführen, von der auch die städtische Verwaltung Vorteile haben könne; denn ber Arbeiter, der sich eine Zeitlang der Ruhe hingeben dürfe, ohne pekuniäre Opfer bringen zu müssen, werde bei rechter Benutzung ber Ruhezeit seine Kräfte stärken und demzufolge frischer arbeiten. Set die beantragte Verbesserung erreicht, dann werde sich Gelegenheit finden, festzustellen, ob auf der geschaffenen Grundlage ein weiterer Ausbau möglich sei. Ginge aber die städtische Verwaltung auf die sozialdemo kratischen Anträge ein, so würben zweifellos die Privat betriebe in Mitleidenschaft gezogen und durch diese neue Last im Konkurrenzkämpfe mit auswärtigen Betrieben empfindlich geschädigt werben. Der Magistratsvertreter bat, von dem Verlangen, den Arbeitern bereits in diesem Jahre den Urlaub zu gewähren, abzusehen; cs würden sonst in den betreffenden Kreisen nur Hoffnungen er- weckt, die sich beim besten Willen in diesem Jahre nicht verwirklichen ließen. Als ganz selbstverständlich wurde e» im Ausschüsse angesehen, daß bei den Urlaubs bestimmungen nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Arbeiterinnen berücksichtigt werden. Sin Unterschied zwischen gelernten und ungelernten Arbeitern soll in keiner Weise gemacht werden. Da die Annahme des AuSschußantragcs am Donnerstag sicher ist, so wird die Stadt Berlin bald ein neues Stück sozialpolitischer Fürsorge geschaffen haben, das für zahlreiche große Kom munen vorbildlich «erden dürfte. * Vertin, 8 Juni. Gegen die vielen Zäblkandi- datureu spricht sich die klerikale „Köln. Volksztg." sebr enlschieben in «inen, Artikel aus, der nicht warm genug der Beachtung katdoliscker Kreise empfolsten werden kann. Es beißt in diesem Artikel: „Di, Partei,erspliiterung de- deutet eine ungeheuer« Kraftvergeudung. Wie viele geistige und materielle Anstrengungen werden da im Wablkamvs« ziemlich umsonst gemacht. Zeit, Rednerkraft und Geld wird ausgewandt in einer Menge, womit man an anderer Stell« nnvirgleicklich mehr Gute» für tie Allgemeinheit batte leisten kennen. Und wozu wird da« olles »ft aufgiwandt? Um Haß, Z»i«»«chl, U«zufr>rse»h«it, Stditterua» zu säen u»d ander« zu beschimpfen und zu verleumde». Je wehr Parteien und je mehr Kandidat«», um so mehr und um so inten sivere Scküruug der Uneinigkeit, deS Haffe» und deS Streite» im deutschen Volke. Gewiß, Parteien müssen sein; eS wäre ein Unglück, wenn eS keine gäbe, denn die Folge wäre die politische und soziale Versumpfung. Aber ein Uebermaß von Parteizerspliiterung ist nicht minder eia Unglück. Leider ändert alles Reden und Schreiben an den Dingen nicht». Wäre die Zersplitterung damit aus der Welt zu schaffen, so wäre sie längst überwunden. Wir müssen also damit rechnen, daß da» Uebel zunächst noch eher zu- als abnimmt. Vielleicht nimmt e» noch so zu, daß r» selbst zum Heilmittel wird. E» könnte dock einmal da» deutsche Volk «in Ekel und Ueberdruß an dem Parteibader erfassen, so daß der Rus: „Hinweg damit!" endlich freudigen, tatkräftigen Widerhall fände. Unsere Hoffnung ,st aber begreiflicherweise recht bescheiden. Viel leicht müssen wir auf große geschichtliche Ereignisse warten, die den Enthusiasmus deS deutschen Volke» so entflammen, daß eS allen Hader vergißt; vielleicht auch auf Not und Un glück, die e» zum Ausgeber, der Zwietracht nötigen. In zwischen sollten wenigsten» alle, die die Schädlichkeit der Zwietracht einsrhen und von wahrer Liebe »u ihrem Vater lande erfüllt sind, alle« tu», um Streit zu ver meiden, Gegensätze zu überbrücken und den gewerbsmäßigen Friedensstörern da» Handwerk zu leaen.- * Berlin, 8. Juni. Zur Mitarbeit an der rechten Durchführung des Ktnkterschutz- gcfetzes läßt der geschäftsführende Ausschuß deS Deutschen LehrerveretnS seine Zweigverbänbe schon jetzt in der „Pädagogischen Ztg." auffordern: Das Inkrafttreten de» Gesetze» am 1. Januar 1904 sei für die deutsche Lehrerschaft ein Ereignis, ein Erfolg, auf den sie stolz sein könne. Wenn in dem Gesetze vorerst auch nur ein Teil ihrer Forderungen erfüllt sei, so handele es sich für die nächste Zeit doch darum, daß das Gesetz möglichst vollkommen durchgcführt werde. Durch die Fassung deS Gesetzes selbst werde auch mit ausdrücklichem Wunsch und Willen der gesetz gebenden Faktoren dem Lehrer eine andere Stellung bei der Durchführung des Kinderschutzgesetzes zugewiesen, als z. B. beim Fürsorge-Erziehungsgesetzc, wo verabsäumt worden sei, sich die Mitwirkung der Schule gesetzlich zu sichern. Bei der Durch führung des Kinderschulgesetzes die Hand am Pfluge zu be halten, sei Ehrenpflicht der Lehrerschaft. Zu diesem Zwecke müsse das umfangreiche Gesetz nunmehr in allen Zweigver- bändcn des Deutschen Lehrervereins eingehend durchgearbeitet werden, damit jeder Lehrer die Bestimmungen deS Gesetzes beherrsche. Die ausgezeichneten Schriften von Agahd: „Gesetz, betr. Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben" und von vr. Zwick: „Das Kinderschutzgesetz" seien vorzüglich geeignet, in daS Verständnis des Gesetzes einzuführen. O Berlin, 8. Juni. lTelegramm.) Der „Reichs anzeiger" meldet: Am 5. Juni starb hier der österreichische Arzt l)r. Milan Sachs, 25 Jahre alt und aus Agram ge bürtig, welcher sich seit einigen Wochen tm Königlichen Institute für Infektionskrankheiten mit bakteriologischen Arbeiten über die Pest beschäftigte. Sachs ist in der Nacht zum 8. Juni unter Erscheinungen von Lungen entzündung erkrankt. Der ihn behandelnde Arzt schöpfte mit Rücksicht auf die Beschäftigung des Kranken und bei dem schweren Verlauf der Krankheit Verdacht und meldete den Vorfall der Polizeibehörde als peftverdächtig. Der Kranke wurde daher alsbald im Krankenhause abge sondert, und alle Maßnahmen wurden ergriffen, um eine Weiterverbreitung der Krankheit zu verhüten, falls es sich tatsächlich um Pest handeln sollte. Der Verdacht wurde verstärkt durch das klinische Bild deS Verlaufes der Krankheit und die mikroskopischen Untersuchungen. Die Diagnose ist außer Zweifel gestellt durch die mittels Kul turen und Tierversuche auSgeführte, heute zum Abschluß gelangte bakteriologische Untersuchung. Die durch Be rührung mit dem Verstorbenen gefährdeten Personen sind unter ärztlicher Ueberwachung abgesondert. Die erfor- derlichen Desinfektionen und die übrigen Maßnahmen sind ausgeführt. lHoffentlich gibt dieser beklagenswerte Vorfall Veranlassung, die Frage der Leichenver brennung auch in Preußen einmal von anderen al» rcligiös-ortbodoxenGesichtspunkten zu betrachten. Red.) D Pose», 8. Juni. (Telegramm.) Zu der hier heute unter Vorsitz des Oberprästbenten v. Waldow veranstalteten Konferenz wegen Ansiedlungs- und Domänenkauss-Angelegcnheiten sind eingetroffen Staats minister v. Podbielöki mit mehreren Ministerial direktoren und Räten, sowie Regierungspräsident v. Günther auS Vromberg, ferner Rittergutsbesitzer v. Tiedemann-Seeheim und LandeSökonomierat Wend orf-Zechau. T Wiesbaden, 8. Juni. lTelegramm.) Die Prinzen EttelAriedrich und Adalbert und der Herzog von Sach sen-Koburg-Gotha Ve- gaben sich heute früh nach Biebrich, von wo sie n ach Rüdesheim fuhren. Sie besuchten -ort daS Nicderwalb-Denkmal, Schloß AßmannSbausen und Schloß Rheinstein, worauf sie mit ber Bayn die Weitersahrt nach Bonn antraten. Prinz und Prinzessin Adolf von Schaumburg-Lipp« reisten heute morgen nach Bonn ab. Aus Slsaß-Lothringen. Unter den 15 rcichslän- dischcn Wahlkreisen waren bisher 18 überwiegend katholisch, einer (Zabcrn) überwiegend evangelisch und in dem wichtigsten Wahlkreise — dem wichtigsten deshalb, weil er von der Hauptstadt deS Lande» gebildet wird — hielten sich Evangelische und Katholiken ungefähr die Wage. Noch bei den Wahlen von 1890 machten die Katho liken nicht ganz die Hälfte der Bevölkerung au» i49Vtz Pro zent), und sie überwogen die evangelische Bevölkerung nur um 2500 Köpfe; jetzt bilden die Katholiken 51^ Prozent dieser Bevölkerung und sind den Evangelischen um voll» 10 MO Köpfe überlesen. Die starke Vermehrung -er katho- lischen Bevölkerung, ber gegenüber die Zunahme der evan- gclischen Einwohnerzahl nicht unerheblich zurückbleltt, beweist jedenfalls, daß die reich-ländischen Katholiken sich unter der deutschen Herrschaft recht «ahl ftylen.
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