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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.06.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030609024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903060902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903060902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-09
- Monat1903-06
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FUlalavpadM-««, r Alfred Hahn, Buchhandlg.» UaiversitStSstr.3, L. Lösche, Kathartnenstr. 14, u. LönigSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Marieustraße 34. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Hlmpt-Fitiate Serlie: Carl vmuker, Herzgl. Bayr. Hofbnchhavdlg, Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4303 Abend-Ausgabe. KiWgcr TaMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile LS H. Reklamen unter dem RedaktionSstrtch (4 gespalten) 7S vor den Familienuach» richten (S gespalteu) SO Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen uud Osfertenannahme LS L, (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesördernng 30.—, mit Postbesördernng 70.—» Annahmeschluß für Änzeigeu: Abend »Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige« sind stet« au di« Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend» 7 Uhr. Druck uud Verlag von S. Pol» in Leipzig. Nr. 288 Dienstag den 9. Juni 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, S. Juni. Die Sozialdemokraten als „Brotwucherer". Zu Nr. 406 der Reichstags-Drucksachen 1. Session 1881/85 findet sich solgender Antrag zur dritten Lesung des damals verhandelten Zolltarif-Gesetzes: Der Reichstag wolle beschließen, in Wiederherstellung der Regierungsvorlage der Position 14 b deS 8 2 (Zolltarif Nr. 2b p. L) folgende Fassung zu geben: „Für Mühlensabrikate aus Getreide uud Hülsenfrüchtrn erhöht von 3 Mark auf 6 Mark für 100 Kilogramm." von Wollmar, Kröber, unterstützt durch Auer, Bebel, BloS, Bock, Dietz, . . . Grillenberger . . . Liebknecht, Singer u. s. w. Die Sozialdemokraten haben also damals einer Erhöhung deS Zolles sür Mühlenfabrikate von 3 auf S Mark zugestimmt. Falsch wäre es allerdings, zu behaupten, die Sozialdemokraten hätten damals schlankweg und auS sich heraus jene Zollerhöhung verlangt. Die Situation war vielmehr die: Die Regierungsvorlage enthielt die Erhöhung von 3 auf 6 Mark. Im Reichstage war in zwei Lesungen eine Erhöhung bis auf 7,50 durch gegangen. Da stellte sich in dritter Lesung die Sozial demokratie auf den Regierungsstandpunkt, weil sie in diesem da» „kleinere Nebel" erblickte. Warum tut jetzt die Sozial demokratie nicht das Gleiche und stellt sich nicht, den Führern deS Bundes der Landwirte gegenüber, auf den Regierungs standpunkt? Daß eS ihr gelingen werde, die verbündeten Regierungen zum Abschluß von Handelsverträgen zu nötigen, in denen die jetzt geltenden Getreidezölle beibehalten sind, können die Herren Singer und Genossen doch selbst nicht glauben. Und waS sie im Interesse der Arbeiter zu tun verpflichtet wären, wenn sie Handelsverträgen mit höheren Getreidezöllen gegenüber sieben, das können sie aus folgenden Sätze» ihres „Parteitheoretikers" KaulSky, der zur Recht fertigung der Haltung der sozialdemokratischen Fraktion gegenüber den künftigen Handelsverträgen aufgefordert worden ist, herauSlesen: „Solange das heutige Regime dauert, haben nicht bloß die Kapitalisten, sondern auch die Arbeiter ein Interesse an Handelsverträgen . . . Die Haltung der Arbeiterklasse gegenüber dem Export ist eine ähnliche wie gegenüber dein Profit. Sie ist an ihm nur (l) insoweit interessiert, als er ein Mittel bildet, den Produktionsprozeß in ununterbrochenem Gange zu halten." Da das kapitalistische Regime noch bestehen wird, wenn die neuen Handelsverträge dem Reichstage vorliegen, und da die Arbeiter alsdann genau dasselbe Interesse wie heute daran haben, „den Produktionsprozeß in ununterbrochenem Gange zu hallen", d. h. Arbeitsgelegenheit zu haben, so würbe die sozialdemokratische Reichstagsfraktion selbst vom Stand punkte KautSkhS aus unmittelbar gegen das Interesse der Arbeiter verstoßen, falls sie seiner Zeit Handelsverträge mit erhöhten Getreidezöllen ablehnte. Der Zweck der Revo ¬ lutionierung der ländlichen Arbeiterschaft und der Rück wirkung dieser Revolutionierung auf die industriellen Arbeiter steht ihr aber höher als das Wohl ihrer angeblichen Schütz linge. So mag sie wenigstens das wüste Geschimpfe über „Brotwucher" unterlassen, denn angesichts ihrer Haltung zu Anfang der achtziger Jahre wird sie von diesem Geschimpfe selbst mitbetroffen. Gegen die grotzpolnische Agitation in Oberschlesien hat sich, wie bereits gemeldet, der Fürstbischof von Breslau, Kardinal Or. Kopp, in einem Hirtenbriefe gewendet, an dessen Scblusse es heißt: „Ich bitte und beschwöre Euch, geliebte Diözesanen, haltet alle Schriften und Zeitungen, von denen hier die Rede ist und die ich Euch deutlich genug gekennzeichnet habe, aus Euren Häusern und Familien fern; Eure Priester hätten sonst das Recht und die Pflicht, Euch die Segnungen und Gnaden der Kirche so lange zu verweigern, bis Ihr Euch aus dieser gefährlichen Gelegenheit, am Glauben Schiffbruch zu leiden, entfernt hättet." Die „Voss. Ztg." bemerkt zu dieser wichtigen Kundgebung: „Es muß verzweifelt um das Zentrum in Oberjchlesien stehen, wenn der ruhige, kühle Politiker auf der Dominsel zu Breslau sich entichließt, die Polenbewegung mit dem Banne zu bedrohen. Das Rüstzeug des Klerus hat er mit seinem Erlasse um die furchtbarste Waffe vermehrt, welche die Kirche kennt, den tollwütigen Polen aber hat er andererseits frisches Oel in das Feuer ihrer wilden Propaganda geschüttet. Schon immer warfen sie ihm vor, sein ganzes Dichten und Trachten gehe darauf hinaus, Oberschlesien zu germanisieren, jetzt aber wird ihre Wut ohne Grenzen sein. Bei dem frommen Charakter der Wasserpolen kann es jedoch nicht zweifelhaft sein, wer in diesem Kampfe Sieger bleiben wird. Kopp ist für die Oberschlesier der Bischof und wird eS immer sein, wenn gleich er ein Deutscher ist." UnS selbst wird von einem Manne, der seine ganze Jugend in Oberscklesien verbracht hat und nach jahrelanger Abwesenheit dorthin zurückgekebrt ist, geschrieben: „So viel ich auch sckon iu den Zeitungen über die polnische Agi tation in Oderschlestea gelesen batte, so hat die Wirk lichkeit meine Erwartungen bei weitem übertroffen. Wenn man weiß, eine wie sklavische Ehrerbietung der oberschlesische Bauer früher der Geistlichkeit ent gegengebracht hat, so wird man den Unterschied ermeßen können, wenn jetzt vberschlesische Bauern — und zwar veri- lable Bauern, nicht etwa Grubenarbeiter— auf vie „ver fluchten Pfaffen" schimpfen. Versammlungen lärmhaftester Art sind hier, wo die Wahlen sich früher wie am Schnürchen abspielten, jetzt an der Tagesordnung. Die Stimmung in diesen Versammlungen ist unzweifelhaft sehr günstig für tie großpolnischen Agitatoren, aber auch die Sozial demokraten dürften bei der künstlich großgezogenen Erbitterung ihr gutes Geschäft machen, selbst in ländlichen Distrikten. Ich habe Bauern sagen hören: „Ich weiß noch nicht, ob ich den Polen oder den Sozialdemokraten wähle, ich weiß nur, daß ich nicht wieder für den Deutschen (ge meint ist der Zentrumskandidat, Anm. d. Red.) stimme". So sehr nun auch dem Zentrum wegen seiner Nachgiebig ¬ keit gegen die Polen eine Schlappe zu gönnen ist, so hoch bedauerlich ist trotzdem der unbestreitbare, gewaltige Fort schritt der großpolnischen Bewegung. Wenn die bäuer liche Bevölkerung vor zwanzig oder noch vor fünfzehn Jahren beim Wochenmarkte in die Geschäfte der kleinen Landstädte kam, so war cs eine große Ausnahme, wenn die Waren in polnischer Sprache verlangt wurden; heute verlangen vie Bauern, daß der Kaufmann polnisch mit ihnen spreche. Sie wollen zum teil nicht deutsch sprechen, zum teil aber haben sie die deutsche Sprache auch wirklich verlernt, weil sie unter sich grundsätzlich nur noch polnisch sprechen. Auf absehbare Zeit ist das platte Land dem Deutschtum vollständig verloren ge gangen, und es zurückrugewinueu, wird meiner Meinung nach ebensoviel, wenn nicht mehr Mühe kosten, als in der Provinz Posen. Die Wahlen der nächsten Woche werden aller Voraussicht nach die Richtigkeit dieser Aufsassuaz be stätigen." — Nach dieser Schilderung ist es mindestens frag lich, ob der Fürstbischof in dem von ihm ausgenommenen Kampfe Sieger bleibt. Unterliegt er, so hat er dies in erster Linie dem Zentrum zu danken, zu dessen Gunsten der Hirtenbrief erlassen ist, der aber trotzdem die denkbar schärfste Verurteilung der Polenpolitik der Zenlrumspartei ist. Denn lediglich auf den dem Polentum in den Provinzen Posen und Westpreußen von den Ultramontanen gewährten Schutz ist die Ausbreitung der großpolnischen Bewegung in Ober schlesien zurückzuführen. Schon jetzt haben jedenfalls 'alle deulich denkenven Katholiken Anlaß genug, sich die Frage vor zulegen. ob sie ihre patriotischen und ihre kirchlichen Pflichten durch Stärkung der ZentrumSsrakuon wirklich erfüllen. Frankreich in Marokko. Wie zu erwarten war, haben die Franzosen in dem „Kriege" gegen die marokkanischen Grenzstämme rasch ganze Arbeit getan, hatten sie es doch mit einem Gegner zu tun, der auf einen so wohl vorbereiteten Paradeschlaz einer Kriegsmacht ersten Ranges absolut nicht gefaßt war und dessen Kampfmittel sich in der allererbärmlichsten Verfassung befanden. Man berichtet uns über den militärischen Spazier- gang: * Algier, 8. Juul. Nach Meldungen aus Beni - Uuif waren bei der Beschießung von Zenaga 3 Bataillone der Fremdenlegion, drei Eskadrons Kavallerie, im ganzen 3500 Mann mit 10 Kanonen tätig. Mit Tagesanbruch verließen sie Beni Unis. Die Artillerie schwenkte gegen ein kleines Plateau ab, wie zu einer Paradeübuug auf 1200 Meter Entfernung von den ersten Wällen von Zenaga. Um 5 Uhr 10 Minuten ließ General O'Connor das Feuer mit Melinttgeschossen auf die Wälle eröffnen» um eine Bresche zu legen. Als die Mauer gefallen war, wurde das Feuer auf die Niederlassungen im Innern der Umwallung gerichtet. Die Wirkung war vernichtend; die Granaten, die im Innern der Niederlassungen platzten, sprengten alles in die Luft. Es wurden dann noch aus große Entfernung einige Granaten in ver schiedene Oasen, namentlich in die von Oudaghir, geworfen, um den Marokkanern die mächtige Wirkung der Kanonen zu zeigen. Zum Schluß wurde das Feuer aus das Minaret der im Innern von Zenaga gelegenen Moschee gerichtet; der Schuß war so gut gezielt, daß das Minaret mitten eutzwei geschossen wurde und die Seitenflügel barsten. Die Bewohner von Figig hatten sich vor den Wällen verschanzt; aber in dem Augenblick, al» die Be schießung begann, flüchteten alle, und die Granaten flogen auf sie ein. Zuerst hatten die zwischen dem Judenhügrl uud dem Zenaga-Berg in den Palmenpflanzuugen versteckten Marokkaner ans die Artillerie geschossen, ohne sie jedoch zu erreichen. Eia ein geborener Krieger wurde an dem Zenagaberge getötet. Um 11 Uhr gab O'Connor den Befehl, das Feuer einzustellen und ließ die In fanterie nach Beni-Unif znrückkehren, die Artillerie nach Dschen- naneddar. Man kennt zur Zeit die Zahl der getöteten und ver wundeten Marokkaner noch nicht und weiß eben so wenig, welchen Eindruck die Beschießung aus sie ausgeübt hat und welches ihr« Ab sichten sind. O'Connor erwartet, daß die Bewohner von Figig einen Vergleich anbieten werden. Alle Frauen und Kinder waren schon seit mehreren Tagen geflohen. Ob die Marokkaner nun Friedenbitten kommen oder nicüt — in dem Oasengebiete sind die Franzosen Herren, und dabei bleibt eS. Sie wollen „Ordnung" dort schaffen, das ist nach der Pariser Offiziösen ihr einziger Zweck. Aber sie werden die Ordnung der Dinge nur dann bester finden, wenn ihnen dadurch größere Rechte uud größerer Einfluß zugestanden wird. Im Grunde läuft ihr Verlangen also daraus hinaus, in irgend welcher Weise über die Oase Figig zu verfügen, etwa wie man über Schutzstaaten verfügt, wenn man nämlich nicht an eine Besitz ergreifung unter diesem Namen denken darf. DaS ist auch der Sinn der letzten Auslastungen deS „TempS". Diese Zeitung betont eS ganz besonders stark, daß der Sultan Herr in Marokko bleiben müsse: eS dürfe nur ja nichts geschehen, worunter das Ansehen des SultanS bei den Stämmen leiden könnte, sonst „würde ganz Marokko einen Block gegen Frankreich bilden, denn es würde durch das Gefühl der Ab neigung, welches der Moslem so leicht dem Christen gegen über empfindet, zur Einheitlichkeit geführt werden". Aber dann kommt im Schlußsätze des Artikel doch nebenbei der Hintergedanke zum Vorschein, daß die Autorität des Sultans eigentlich ein bloßes Aushängeschild sein soll, hinter dem sich die wirkliche Ausübung der Macht durch die Franzosen versteckt. Dieses von den Franzosen in Tunis mit viel Ge schick und Erfolg angewandte System würde den Wünschen des „Temps" entschieden am besten entsprechen. Er schreibt: „Man könnte den Plan dahin zusammensaffeo, daß wir unser Bestreben dahin richten müssen, Figig und die ganze benachbarte Gegend, die durch die Rebellion durchwühlt ist, mit einer regulären Verwaltung zu beschenken uud dasür zu sorgen, daß diese Verwaltung marokkanisch sei oud bleibe, welche Mit wirkung wir auch beisteuern müssen, damit diese Ver waltung funktioniert." DaS klingt ja alles höchst edel und selbstlos, aber eS wird keine andere Macht täuschen können. Rußland und Japan. Wie wenig begründet die englischen Alarmnachrichten von unmittelbar bevorstehenden russisch-japanischen Verwicklungen waren, beweist jetzt auch die Tatlache, daß in Tokio der russische KriegSminister, General Kuropatki», Feuilleton. Mr. TrunneU. Seeroman von I. HainS. Nachdruck verboten. Die Schiffsarbeit war getan; die Leute saßen oder lagen an Deck umher, sich von den Anstrengungen der letzten vierundzwanztg Stunden zu erholen. Der Zimmer mann forderte mich auf, nach dein Abendessen in seine Kammer zu kommen und dort eine Pfeife zu rauchen; es sollte daselbst eine Entschließung, Andrews betreffend, ge faßt werden. Es war angeregt worden, den Menschen an Bord des englischen Schiffes zu setzen, und wenn der Schiffer seine Einwilligung hierzu gab, dann sollte dies auch sogleich auSgeführt werden. Ich schlenderte umher, bis ich durch die Türritze einen Lichtschein in Tschips' Kammer gewahrte. Nun trat ich ein. Der kleine Raum war voll von Männern. Der Boots mann, ein großer, schwerer Mensch, namens Spurgen, war tn einem wichtigen Zwiegespräch mit Hans über allerlei nautische Operationen begriffen. „Wenn ein Anker im Zwischendeck liegt", sagte er, „und du sollst ihn an Deck schaffen und hast nichts, womit du ihn aufhetßen kannst, was machst du dann?" „Dann laß ich ihn liegen, wo er liegt, oder meinetwegen zum Deubel gehen", erwiderte Hans, kurz angebunden. Dies machte den Bootsmann ärgerlich, und er begann eine große Rede gegen Hans loszulassen, um diesem klar zu machen, wie besagter Anker angefaßt werden müsse. Auch flocht er allerlei anzügliche Bemerkungen ein, indem er meinte, daß ein Vollmatrose, und führe er noch so lange zur See, niemals den Ueberblick und die Fähigkeiten haben könne, wie ein wohlbestallter Bootsmann. Ich setzte mich auf die Kiste neben Tschips. Der Boots mann hatte seinen Widersacher durch seine gewaltige Bered samkeit bald zum Schweigen gebracht und das Kapitel von den Ankern erledigt. Es entstand eine Pause, während welcher des „Doktors" Stimme durch das Gemurmel und Geschurre vernehmbar wurde. „Fünf fette Kakerlatjes — aber fett müssen sie sein, Tschips, die kurieren dich allemal", sagte er. „Das ist nämlich das Universalmittcl, das Keppen Green immer anwenbet. Sein alter Steuermann, der mit ihm jahre lang auf der Westküste gesegelt ist, hat wir däS gesagt." „Hör', Maat", entgegnete der Zimmermann und schnitt ein Gesicht, „das ist ja ein ganz verdeubeltes Mittel. Nu nimm mal an, du verschlingst die Kakerlatjes, und die Biester bleiben in deinem Bauche munter und lebendig —" „Ja", fiel der Neger ein, „lebendig müssen sie ge- nommen werden, sonst hülft's nichts!" „Na ja, die Biester krabbeln dir also ganz fidel im Bauch rum, und zwischen den Rippen, und über Lunge und Leber — hu ha! Mensch, lieber will ich am Skorbut platzen, als Kakerlatjes lebendig fressen!" „Wenn einer das nicht mag", sagte der Koch nach einigem Nachdenken, „dann kann er die Kakerlatjes auch kochen, fünf Kakerlatjes auf ein halb Liter Wasser, und hernach die Biester über Bord schmeißen. Das ist schon besser, Tschips, was?" ,Ha, Maat, das läßt sich eher hören", nickte der Zimmer, mann. „Das Mittel ist nicht schlimm, wenn man bloß die Kakerlatjes über Bord zu schmeißen hat. Ich versteh' nur nicht, Doktor, wozu die Medizin nützen soll, wenn man sie über Bord schmeißt und nichts davon in den Leib kriegt." Der Neger lachte. ,Hast einen dicken Schädel, Tschips, dicker noch, als ein Niggerschädel, und bist doch ein Weißer", sagte er. „Nee, Tschips, das Wasser mußt du saufen, das Wasser, worin die Biester abgekocht sind. Verstehst du? Wegen der Säure, die die Kakerlatjes in sich haben, verstehst du? Den Skor- but kriegt man, wenn man lange Zeit weiter nichts zu essen hat als Salzfleisch; dann geht einem das Salz ins Blut und das macht einen krank. Das Gesetz sagt, auf See soll Zitronensaft an die Mannschaft ausgegeben wer- den. Zitronensaft ist gut gegen den Skorbut, aber die Leute kriegen keinen. Der Schiffer läßt keinen ausgeben. Warum nicht? Zitronensaft ist ihm zu teuer. Siehst du? So geht's auf See zu. Kakerlatjes kosten nichts, davon gibt's Millionen an Bord. Aber sie sind wirklich gut und heilsam, heilsamer als Zitronensaft. Keppen Green hat das ausprobiert. Und aus die Heilsamkeit kommt's doch an." Inzwischen hatte der Bootsmann ein anderes Thema angeschlagen. Er eiferte gegen die schlechten Kapitäne und die spitzbübischen Heuerbasc. die unter einer Decke steckten und als dritten im Bunde den Satan selber haben müßten. Er war schon ein bejahrter Seefahrer und sein runzliges Gesicht wurde überaus ausdrucksvoll, wenn er sich in eine Sache hineinredetc, die ihn interessierte. Jetzt hielt Jim die Zeit für gekommen, eine Frage ein zuwerfen. „Was ist eigentlich aus dem Jameson geworden, dem Andrews den nichtswürdigen Streich spielte? Ihr spracht mal davon." „Was war's damit?" forschte ich. „Habt ihr denn die Geschichte von O'Toole und Garnett nicht gehört?" sagte der Zimmermann. „Die waren eine Zeitlang Andrews' Steuerleute, bis der Irländer ihn da mals im Jndia-Dock beinahe umbrachte, was Gott ihm lohnen möge." „Schmeiß los, Tschips", rief der Bootsmann. „Laß uns die Geschichte hören." Alles schwieg erwartungsvoll. Tschips sah mich an, als wolle er die Genehmigung des Offiziers der Wache einholen. Dann setzte er sich auf der Kiste bequem zurecht, indem er den Rücken gegen das Schott lehnte und die Hände vor den Knien faltete. Draußen ertönte Trunnells Stimme, der seinen Leuten etwas zurief. Ich sagte mir, daß es nicht schaden könne, wenn ich einmal hinausginge und zusähe, ob des Ober steuermanns Befehle auch richtig ausgeführt würden. Ich kam gerade recht; denn die Kerle zeigten sich lässig und träge. Ich nahm mich der Sache an, brachte sie in Trab und paukte ihnen ein wenig Disziplin ein, wobei einige Minuten verstrichen. Neuntes Kapitel. Als ich zu dem Konsortium in die Kammer zurückkehrte, da hatte Tschips bereits „losgeschmiflen" und war in vollem Schwünge. „Man muß nicht alles ausplaudern, was an Bord passiert", sagte er; „denn die Welt wird dadurch doch nicht klüger. Telegraphen gibts nicht auf See, und die einzigen Zeugen sind die beteiligten Männer oder Weiber. Kommen die nach so und so viel Monaten später mal an Land, dann ist die Geschichte schon alt und beinahe vergessen, und ge wöhnlich redet kein Mensch mehr davon. Das wißt ihr so gut wie ick. „Also derselbe Andrews, der hier bei uns vorn in Eisen liegt, war dazumal Kapitän vom „Starbuck"; Jameson fuhr als erster und der alte Garnett als zweiter Steuer mann mit ihm. Jameson hatte eine Braut, die Andrews ihm gern weggeschnappt hätte; aber er kriegte sie nicht; denn sic heiratete Jameson. Das ärgerte ihn grimmig, und da er in seinem ganzen Leben kein Gewissen im Leibe gehabt hat, so beging er gegen die jungen Eheleute die Nichtswürdigkeiten, die ich euch jetzt erzählen will. „Jameson mochte kaum eine Woche verheiratet sein, da beredete ihn Andrews eines Tages, mit ihm in eins der Wirtshäuser in der Powellstraße zu gehen — sie lagen damals mit dem „Starbuck" tn St. Franzisko. Andrews bezahlte die Getränke. Von jenem Tage an war Jameson verschwunden; über ein Jahr lang sah ihn kein Mensch mehr auf der Westküste. Als er nämlich seinen Rausch aus geschlafen hatte, da befand er sich an Bor- des alten Kastens, des „Baldwin", auf hoher See. All sein Klagen und Jammern half ihm nichts; denn Jakobs, der Skipper des „Baldwin", hätte ihn eher auf dem Monde gelandet, als wieder an Land gesetzt." „Ein schuftiger, gemeiner Streich!" rief der Boots mann. „Das war's", bestätigte Tschips. „An Bord deS „Baldwin" ging es dem armen Jameson hundsschlecht. Er war ein stiller, gutmütiger, weichherziger Mensch, na, und ihr wißt ja, was ein Kerl, der nicht geradezu von Eisen ist, unter Jakobs und seinen Steuerleuten auszuhalten hat. Wie gesagt, er führte ein Hundeleben. Die Fahrt nach Liverpool dauerte hundertundzwanzig Tage, und zuletzt kriegte er noch den Skorbut. Ihr könnt euch denken, was danach von dem armen Kerl noch übrig blieb. Als er aus dem Hospital kam, da musterte er auf einem chilenischen Kriegsschiff an, um nach Valparaiso zu kommen, was doch wenigstens schon auf der Westküste liegt. Als er an Bord dieses Chilenen in -en Hafen von Valparaiso einläuft, was sieht er da? Den „Starbuck", der soeben nach See zu geht, und auf dem Quarterdeck des „Starbuck" seine Frau." „So mußte es kommen!" rief der Bootsmann und schlug sich wütend mit der Faust auf das Knie. „So sind die Weiber, wenigstens die allermeisten!" ,/Das wollen wir nicht behaupten", entgegnete TschipS ruhig. „Nachdem Jameson aus dem Weg« war, hatte An. drews Zeit, sein Teufelswerk in aller Ruhe und Gemäch- lichkeit zu betreiben, und er wußte sich so gegen die junge Frau zu benehmen, -atz sie dem Schuft nach und nach immer mehr Vertrauen schenkte. Es gelang ihm, sie davon zu überzeugen, daß Jameson sie treulos verlassen habe; konnte er doch den unantastbaren Beweis dafür erbringen, daß jener sich an Bord des „Baldwin" begeben hatte und mit diesem Schiffe davongcsegelt war. An Zeugen dafür fehlte es nicht. So gelang es ihm schließlich, durch allerlei Lügen und Vorspiegelungen, das arme Wesen, das gan- allein in der Welt stand, zu beschwatzen und an Bord de- „Starbuck" zu locken, gerade an dem Tage, wo der ver dammte Kasten in See geben sollte. Sie war auch kaum an Bord, da segelte er aus dem Hafen, und — und — na,' kurz — als sie sechs Monate unterwegs waren, da war, so weit Jameson noch in Betracht kam, alles erledigt. ,> (Fortsetzung folgt.)
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