02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.06.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030610028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903061002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903061002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-10
- Monat1903-06
- Jahr1903
-
-
-
4162
-
4163
-
4164
-
4165
-
4166
-
4167
-
4168
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezngS-Preis der HaoptexpedMon oder deren Ausgabe stellen abgeholt: vierteljährlich ^18.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau- 8.78. Durch die Post bezogen für Deutsch- l«md u. Oesterreich vierteljährlich 4.80, für di« übrige» Länder laut ZettungSpretSliste. Nr-aktion VN- Ekvedttiou: Johanntsgaffe 8. Fernsprecher 183 uud 222. FUtatrvpe-Monrirr Alfred Hahn, Buchhandlg., UnwersitätSstr.8, L. Lösche, Kathariaenstr. 14, u. «SuigSpl. 7^ Haupt-Filiale Dresden: Marieustraße 84. Fernsprecher Amt 1 Nr. 1718. Haupt-Filiale Serlie: Carl Duncker, Herzgl. Bayr. Hosbuchhandlg* Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4608, Abend-Ausgabe. KWigcr Tagtblatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- «nd des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates nnd -es Nolizeianrtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen »Preis die 6gejpaltene Petitzeile Lü Reklamen unter dem RedaktionSstrtch (4 gespalten) 78 vor den Familienuach- richten («gespalten) 80 H. Tabellarischer und Ziffernsay entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertenannahme 25 d, (rxcl. Porto). Grtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Mvrgeu-Ausgabe, ohne Postbesörderung «0.—, mit Postbesörderung 70.—» Annahmeschluß für Anzeigern Abead»Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stets en die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig. Nr. 290. Mittwoch den 10. Juni 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. Juni. RetchSfinanzresorm. Dieser Tage ging bekanntlich durch die Blätter die Melduug, eS werde demnächst eine Konferenz samt- icher deutscher Finanzminister stattfinden, um die finanzielle Lage deS Reiches zu besprechen. Zu dieser Meldung bemerken heute die „Berl. Pol. Nachr." in auf fallend gereiztem Tone: „Es scheint, daß man es hier mit einer zwecks Ausbeutung zu Wahlzwecken erfundenen Nachricht zu tun hat, und schon be mächtigte sich ihrer auch die radikale Presse der Sache in dem Sinne, daß siedaS drohende Gespenst einer Erhöhung der Brau-und der Tabaksteuer an die Wand malt. Tatsächlich ist an maßgebenden Stellen über eine solche demnächstige Finanzminister - Konferenz nichts brkanu t." Da die Nachricht aus der „Nat.-Lib. Korresp." stammt, was übrigens die „B. P. N." wissen müssen, so kann von einer Wahlmache nicht wohl die Rede sein. Daß die An kündigung zu Wahlzwecken ausgebeutet worden sei, ist freilich richtig; das kann aber jeder Meldung passieren. Außerpreußische Politiker werden in einer solchen Minister konferenz mit dem Zwecke der endlichen Regelung der Reichs- finanzkalamität überhaupt nichts Unerfreuliches entdecken können. Ter Grund der Gereiztheit der Hintermänner der „Berl. Polit. Nachr." ist vielleicht aus folgender Auslassung zu erkennen, die der „Köln. Ztg." aus Berlin zugeht: „Dieser Tage lief durch die Zeitungen die Nachricht, daß für den Herbst eine gemeinschaftliche Besprechung aller Finanzminister der deutschen Bundesstaaten in ähnlicher Weise, wie sie zuletzt vor zehn Jahren in Frankfurt a. M. stattgefunden hat, in Aussicht genommen sei. Diese Nachricht läust nach eingezogenen Er kundigungen den Tatsachen voraus. Es ist ausgeschlossen, daß die Entscheidung über eine solche gemeinsame Be ratung erfolgen kau», bevor der preußische Finanz minister da,u Stellung genommen hat. Dieser befindet sich im Augenblick in Amerika und wird nicht vor Anfang Juli hierher zorückkehren. Freilich ist nicht zu verkennen, daß, je dringender die Aufgabe wird, die Reichsfinanzen aus eine neu geregelte, zuver lässige Grundlage zu stellen, eine solche gemeinsame Be sprechung der einzrlstaatlichen Finanzminister unter dem Vorsitze des Reichsschatzsekretärs um so wünschenswerter wird." Wenn der preußische Finanzminister anfangs Juli nach Berlin zurückkebrt, so steht jedensalls einer Besprechung der sämtlichen deutschen Finanzminister unter dem Vorsitze deS ReichSschatzselretärö im Herbste nichts im Wege. Man kann also nur annebmen, die Meldung der „Nat.-Lib. Korr." habe die Hintermänner der „Berl. Polit. Nachr." deshalb ver schnupft, weil sie nicht von einem der beiden Staatsmänner auSginz und mithin die Vermutung erweckte, diese Herren sollten von anderer Seile zur Einberufung der Kon ferenz gedrängt werden. Und wenn nun wirklich auf feiten der am meisten unter den jetzigen finanziellen Ver hältnissen leidenden Einzelstaaten die Absicht eines solchen Drängens bestände, was wäre dagegen einzuwenden? Die Lösung der Reichsfinanzreformfrage ist doch wahrlich lange genug verschleppt worden, um jeden Einzelstaat zu berech- tigen, auf das nachdrücklichste die endliche Inangriffnahme der vorbereitenden Maßregeln zu fordern. Hoffentlich lassen sie sich auch durch die üble Laune der „Berl Pol. Nachr." nicht davon abbalten, den preußischen Finanzminister und den Reichsschatzsekretär energisch zur Einberufung einer Kon ferenz zu drängen. Tie sozialdemokratische Partelkasfe und die „neutralen" Gewerkschaften. Der „Vorwärts" veröffentlicht eine Quittung über die Beiträge, die im Monat Mai an die sozialdemokratische Parteckasse abgeliefert worden sind. Besonders lehrreich ist diese Quittung deshalb, weil sie schlagendcs Material sür die Beurteilung der sogenannten neutralen, in Wirklich keit sozialdemokratischen, Gewerkschaften enthält. Deut licher als durch Beiträge zu einer Parteikasse kann die Partei- zugehörigkeit kaum bekundet werden; eine ganze Reihe „neutraler" Gewerkschaften aber bat im Monat Mai die sozialdemokratische Parteikasse auf das freigebigste be dacht. So spendete zum Beispiel der Deutsche Holz arbeiterverband, Zahlstelle Berlin, 3000 der Verein der Zimmerer Berlins 1000 der Zentral verband der Zimmerer, Zahlstelle Berlin, 1000 .^e, der Verein der Huimacher 2. Rate 50 der Zentralverband der Maurer, Sektion der Putzer, 536 der Zentralverband der Elvilmusiker, Ostverein Berlin, 27,25 die Filiale 9 des Verbandes der städtischen Arbeiter 50 usw. usw. Daß durch diese Beitragsleistungen „neutraler" Gewerk schaften an die sozialdemokratische Parteikasse die Neutralität in Wirklichkeit handgreiflich gebrochen wird, darüber geben sich sogar Gewerkschaftsorgane keiner Täuschung hin. Gerade heute nimmt das Organ deS Buchdruckerverbandes scharf gegen die Zahlung von Gewerkschaftsgeldern an die Kasse irgend einer Partei Stellung, indem es u. a. schreibt: „Als eine. . Ueberschreitung der Befugnisse und der gegebenen Grenzen betrachten wir die Ueberweisung von Summen an die sozialdemokratische oder sonst eine Parteikasse . . . In dieser Beziehung ebenso interessant wie korrekt ist ein neulich gefaßter Beschluß deS Ausschußes des Gesammtverbandes christlicher Gewerkschaften, daß Gelder der Gewerkschaften unter keinen Um ständen zur Unterstützung parteipolitischer Zwecke verwendet werden dürfen. Wir vermögen hier nicht der Meinung der „Holzarbeiter- Zeitung" zu folgen, daß eine solch» Unterstützung wohl statthaft sei. Die Gewerkschaften sollen neutral sein, und diese Neutralität ist nach Legien (siehe Machest der „Sozialistischen Monatshefte": „Die Stellung der Gewerkschaften zur sozialpolitischen Gesetzgebung") dahin zu betätigen, „daß von den der Gewerkschaft Beitretenden ein poli tisches oder religiöses Glaubensbekenntnis nicht verlangt und auf die Mitglieder kein Druck ausgeübt wird, einer bestimmten poli tischen oder religiösen Anschauung sich anzuschließen". Soll das keine Phrase bleiben, dann verbietet der neutrale Standpunkt einfach Zuwendungen wie die bezeichneten, und wo davon abgewichen wird, kommt man in Teuselsküche, denn mit demselben Rechte können morgen die nationalliberal, konservativ, ultramontan, freisinnig oder antisemitisch gesinnten Mit glieder einer Gewerkschaft Zuwendungen für ihre Parteien ver langen, was dann? Hier nach Ueberzeugung und Kcästen zu wirken. überlasse man also hübsch jedem Einzelnen, es ist daS wohl nickt nur der richtige sondern auch der gebotene Weg".. Niemand wird glauben, daß dieser Ratschlag, so berechtigt er an und für sich ist, von den „neutralen" Gewerkschaften, verschwindende Ausnahmen abgerechnet, befolgt werden wird. Sollte irgend eine neutrale Gewerkschaft einen Beitrag für eine nicht sozialdemokratische Parteikasse leisten, dann würde natürlich sowohl die sozialdemokratische wie die „neutrale" Gewerkscbaftspresse über solche Abtrünnigkeit Zeter und Mordio rufen. Denn das Messen mit zweierlei Maß ist mit der sozialdemokratischen Taktik untrennbar verbunden. Französisches Echo. In M ü n ch e n hat sich bekanntlich eine Liga zu dem Zwecke gebildet, eine Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich herbeizuführen. Diese Liga glaubt ihren Zweck am sichersten durch eine Lösung der elsaß-lothringischen „Frage" zu erreichen, und zwar auf die Weise, daß das französische Sprachgebiet der Reichslande an Frankreich zurückgcgeben und Deutsch land dafür durch die Abtretung einer französischen Kolonie entschädigt wird. Die öffentliche Erörterung solcher Ge danken, die in Deutschland selbst aus begreiflichen Gründen auch nicht den leisesten Widerhall weckten, hat jenseits der Vogesen ein bemerkenswertes Echo gefunden. Der Pariser „Matin" nämlich versieht die Münchener Kundgebung mit folgendem Kommentar: „Das ist sehr hübsch und kommt am Vorabende der Reise des Herrn Loubet nach London besonders gelegen, derart, daß man sich fragen muß, ob die Annäherung, die zwischen Frankreich und England sich zu vollziehen scheint, auf der andern Seite des Rheins nicht einige Unruhe hervorruft. Das ist um so mehr möglich, als Deutschland vielleicht andere Gründe hat, unruhig zu sein. Deutschland sieht zwischen Oesterreich und Rußland eine Uebereinstimmung betreffs der makedonischen Frage Platz greifen. Es ist möglich, daß diese Tatsache der Ausgangspunkt der letzten irredentistischen Kundgebungen in Italien gewesen ist, insofern, als einem Verbündeten, der zwei felte, daß Italien für ihn eine Gefahr ist, das Gedächtnis ge schärft werde. Deutschland könnte in diesem Falle jenen Kundgebungen nicht fremd sein. Sie würden eine Lehre für Oesterreich sein, einzusehen, daß, wenn es sich vom Dreibunde entfernt, Italien der treue Hund sein wird, den man auf Oesterreich hetzt, um es auf den rechten Weg zurückzuführen." Ueber die Sinnlosigkeit, Deutschland mit der ihm unter geschobenen Absicht zum Anstifter der irredentistischen Kundgebungen in Italien zu machen, braucht man kein Wort zu verlieren. Die einmütige Haltung der deutschen Presse, die jene österreichfeindlichen Kundgebungen von Anfang an bedauert hat, stellt Deutschlands wahre Haltung gegenüber den irredentistischen Manifestationen in das richtige Licht. Die zweite Fabel des „Matin", Deutschland sei wegen des Hand in Hand-Gehens Oesterreichs und Rußlands in der makedonischen Angelegenheit beunruhigt, verkehrt eine notorische Tatsache in ihr Gegenteil. Denn Deutschland hat die österreichisch-russischen Vorschläge in der makedonischen Angelegenheit von Anbeginn an als das beste Mittel zur Erhaltung des Weltfriedens warm unterstützt. Vollkommen gegenstandslos ist endlich die I Vorstellung einer Beunruhigung Deutschlands durch eine französisch-englische „Annäherung". Die Münchener Liga dürfte eine derartige Auslegung ihres Vorhabens zu allerletzt erwartet haben. Sie weiß jetzt aber, welche phan- tasievollen Vorstellungen sie in Paris geweckt hat, und zieht daraus hoffentlich die Lehre, bei jedem ihrer Schritte die äußerste Vorsicht walten zu lassen. Deutfcho Handclsinteresseu in der Mandschurei. Nur in wenigen chinesischen Vertragshäfen sind die deutschen Interessen von jeher so gering gewesen, wie in Niutschwang, dem einzigen den Ausländern geöffneten Hafen in der Mandschurei. Wie viele aus Deutschland stammende Waren von Shanghai oder von Hongkong aus dahin gehen, entzieht sich allerdings der Beurteilung, weil es darüber keine Statistik gibt. Bedeutend kann die Menge aber jedenfalls nicht sein, denn sonst würde man doch in Niutschwang diese oder jene Zweigniederlassung von Shanghaier deutschen Firmen finden. Das ist in dessen nicht der Fall. Zur Zeit besteht dort gar keine deutsche Firma, und es hat auch, soweit uns bekannt ist, nur vorübergehend einmal eine gegeben. Etwas anders ist es mit der Schiffahrt. Als noch eine ganze Flotte von deutschen Segelschiffen an der chinesischen Küste lohnenden Erwerb fand, war unsere Flagge in Niutschwang stark vertreten. Im Jahre 1881 liefen dort beispielsweise 115 deutsche Segelschiffe mit einem Tonnen gehalt von 41 000 Registertonnen, sowie neun Dampfer mit 6000 Tonnen ein. Der gesamte Tonnengehalt aller ein- und ausgelaufenen Schiffe betrug in dem genannten Jahre 318 000 Tonnen, wovon auf die deutsche Flagge 95 000 oder fast genau 30 Prozent kamen. Dieser Prozent satz ist seitdem stark zurückgegangen. Zwar ist die ab solute Tonnenzahl der deutschen Schiffe ziemlich dieselbe geblieben, oder genauer ausgedrückt, sie ist seit dem schnellen Rückgänge der Segelschiffahrt allmählich wieder auf die frühere Höhe gestiegen. Für das Jahr 1901 finden wir die Ankunft von 48 Dampfern mit 43 000 Tonnen verzeichnet, während die Segelschiffe völlig ver schwunden sind. Aber da die Gesamttonnenzahl aller ein- und ausgelaufenen Schiffe in den zwei Jahrzehnten auf 942 000 gestiegen ist, so nehmen die 86000 deutschen ein- und ausgelaufenen Tonnen davon nur noch 9 Prozent ein, gegen 30 Prozent im Jahre 1881. Deutsches Reich. H Berlin, 9. Juni. (Das Umsichgreifen der Pestgefahr.) Der Fall des an Ansteckung durch Pest gift im Studieneifer zu Gruudc gegangenen Arztes ist tief beklagenswert. Er zeigt, wie wichtig und notwendig es war, daß gerade zur Abwehr des Umsichgreifens der Pestgefahr vor einer Reihe von Jahren internatio nale Maßregeln getroffen wurden. Diese haben bereits Erhebliches dazu beigetragen, die Möglichkeit und Wahr scheinlichkeit eines verderbenbringenden Kriegszuges der ansteckenden Seuche um das ganze Erdenrund herabzu mindern. Besonders aber darf behauptet werden, daß die Gesetzgebung und die Exekutive des Deutschen Reiches erfolgreich bemüht gewesen sind, die denkbar größte Sicherung von Leben und Gesundheit innerhalb des gesamten Vaterlandes gegen Ansteckung durch gemein gefährliche Krankheiten zu schäften. Der Erlaß des Reichs. Frttilletsn. *0« Mr. Trunnell. Seeroman von I. Hains. Nachdruck verboten. „Als der an Land kam, hatte er bald die ganze Ge schichte erfahren. Der arme Kerl trug sein Unglück still und mit so viel Geduld als möglich. Als der Krieg zwischen Chile und Peru ausbrach, da steckten sie ihn unter die Sol daten und zum Glück diente er gerade auf der Seite, die Prügel kriegte. So kam er nach Peru. Zwei Wochen später lief Andrews in Valparaiso wieder ein, um Sal peter zu laden. Als Steuerleute waren Garnett und O'Toole an Bord des «Starbuck". „Ein günstiger Zufall für den Schuft", sagte der Boots mann. „Wäre der andere dagewesen, dann hätte er sein Fell voll Löcher gekrieat." „Ach was, das sind Reden", entgegnete Tschips. „Kann durch Schießen solch ein Unrecht ungeschehen gemacht wer den? Geschaffen ist worden; aber aus der andern Seite. Andrews ist heute noch heil und gesund hier an Bord dieses Schiffes. Es gibt Leute, die an etwas ganz anderes denken, als an Rache; besonders solche guten, weichen Menschen, wie Jameson einer gewesen ist, der niemals einem andern etwas zu leide tun konnte. „Da waren Leute in Valparaiso, gute Bekannte von Jameson, die mußten um die Geschichte und gingen nun hin und erzählten der Frau Jameson, wie alles sich in Wahr heit zugetragen hatte. Da lief die Frau schnurstracks zu Andrews in die Kajüte, und ehe er noch recht wußte, was sic wollte, da hatte sie sich auch schon mit einem Revolver totgesch offen. Wie ihm zu Mute war und was ihm für Gedanken kamen, als er die Unglückliche vor sich liegen sah, das weiß Ich nicht. Genug, er ließ sie sehr anständig begraben auf dem kleinen Kirchhofe draußen vor dem Tore. Garnett aber, der von seines Skippers Schandtat keine Ahnung hatte, schwur einen heiligen Eid, die arme Frau an ihrem Gatten, der sie, wie er glaubte, so treulos ver lassen hatte, zu rächen. Denn alle Mann an Bord des „Starbuck" hatten sie wegen ihres liebevollen und freund lichen Wesens ins Herz geschloffen." Hier machte Tschips eine Pause, um seine Pfeife frisch »u stopfen. Er ließ sich Zett dabei, wie um die Zuhörer recht gespannt auf das noch Kommende zu machen, und zündete dann die Pfeife langsam und gemächlich an. Darauf warf er einen fragenden Blick auf uns und fuhr in seiner Er zählung fort: „Die beiden Steuerleute Garnett und O'Toole waren ein kurioses Paar", sagte er, behaglich schmauchend. ,^VaS der eine nicht tat oder wußte, das mußte oder tat der andere. Sie lagen zwei Monate in Valparaiso; durch den Krieg waren die Salpetergruben außer Betrieb ge kommen, und deswegen ging es mit dem Laden nur lang sam vorwärts. Eines schönen Tages sah O'Toole eine alte Frau auf -er Werft daherhumpeln kommen, an der das Schiff ver täut lag. Als sie langscit von dem „Starbuck" war, blieb sie stehen; dann humpelte sie die Laufplanke herauf und kam an Bord. O'Toole, der ein ganz verdeubelter Spaß vogel war, fing nun an, Garnett aufzuziehen. „Du, Maat", sagte er, „verdammst aber ich glaub' wahr haftig, da kommt deine Großmutter, um dich hier zu be suchen! Oder nee, es kann auch deine Liebste sein; du hast ja von jeher so einen ganz aparten Geschmack gehabt. Bist immer ein ganz verwegener Hecht bei den Damen ge wesen." Wir lagen an derselben Werft, gar nicht weit von dem „Starbuck", und da ich gerade auf der Reeling saß, so konnte ich alles deutlich hören und sehen. „Hol mich der Deubel", antwortete Garnett ganz ernst haft, „wirklich, das ist sie. Sie muß ja wohl verrückt sein, daß sie sich einbildet, solch einen alten Windklemmer, wie ich bin, wieder zu kapern! Aber, was Deubel! Du meinst doch nicht etwa die alte Here da, die da längs Deck kommt? Denkst du, rotköpfiger Speckfrefler, daß ich mich mit Frauensleuten cinlasse. auf die du dein Auge werfen möchtest? Nee, ich werde mich wohl hüten, einen Vor gesetzten eifersüchtig zu macken." Damit nahm er sein großes Taschentuch und wischte sich den Schädel ab, auf dem kein Haar mehr zu finden war, und dann zog er seine kleine Flasche mit Pfefferminzsalz aus der Tasche und roch daran. „So ist's recht", sagte O'Toole, „schnüffle nur, damit du einen klaren Kopf kriegst, du alter Sünder; hast ja früher lustig genug gelebt." Mittlerweile war die alte Frau achteraus gekommen. Sie hatte einen großen Gut auf, dessen breite Krempe ihr über das Gesicht hing. O'Toole ging ihr entgegen. ,^Venn Ihr den größten Schwerenöter und Damen Verführer der ganzen christlichen Seefahrt sucht, da steht er", sagte er und wies auf Garnett. Die alte Frau blieb stehen. „Nein", antwortete sie mit eigentümlicher, undeutlicher Stimme, „nein, ich suche meine Tochter; die soll hier an Bord sein, bei dem Kavitän." „Das geht nicht, die könnt Ihr nicht sehen", antwortete Garnett. „Macht, daß Ihr von Bord kommt, sonst rufe ich einen von den chilenischen Soldaten dort, daß er Euch wegschleppt und heiratet." „Die alte Frau beugte ihren Kopf noch tiefer. „Ich muß mein Mädchen sehen", sagte sie, und ihre Stimme war so tief und sozusagen feierlich, daß ich un willkürlich die Ohren spitzte. Auf der Werft spazierten einige Soldaten; die blieben stehen und horchten. „Sie war immer ein so liebes und gutes Mädchen", redete die Alte heiser und undeutlich weiter; „bei Gott, ein gutes und braves Mädchen, und ich hatte sie so gern!" Ich sah, wie O'Toole den Kopf wegwendete und wie Garnett eifrig an seiner kleinen Flasche roch. Er sagte immer, das Pfefferminzsalz wäre gut, wenn einem etwas den Kopf bedrückte. Er wendete sich der alten Frau zu. „Geht an Land, Mutter", sagte er. „Eure Tochter ist nicht an Bord. Wir nehmen solche jungen Frauenzimmer nicht mit auf die Hobe See." „Ich muß sie sehen", erwiderte die Alte, „ich muß sie sehen!" Sie sagte das in einem so heiseren Tone, daß es eigent lich nur ein Flüstern war; aber es ergriff einen im tiefsten Herzen. „Ist es die Frau Jameson, die Ihr sehen wollt?" fragte jetzt O'Toole. Die Alte nickte. „Ja, die — die — abem — die —" Er brachte es nicht heraus und sah Garnett an. Da der sich jedoch wegdrehte, mußte er weiterredcn. „Die Frau Jameson also", begann er wieder, „die — der ist was passiert; es können jetzt etwa vier Wochen ver gangen sein. Aber wie kommt es, daß Ihr davon nichts gehört habt? Wart Ihr denn nicht hier, als der Skipper sie an Land brachte?" „Ich komme von St. Franzisko", sagte die Alte tonlos. „So. Na, erfahren müßt Jhr's ja doch, und da ist es ebensogut, Ihr hört cs von mir", sagte O'Toole; aber ich merkte, was für Uebcrwindung ihn das kostete. „Die Frau Jameson ist tot. Bor vier Wochen gestorben. Der Kapitän hat sie fein und nobel begraben lassen; denn wie Ihr schon sagtet, sie war ein sehr braves, ein sehr gutes Mädel, mein Ehrenwort daraus! Es ist hart, sehr hart für Euch, alte Dame, ich glaub's wohl; aber es ist leider die Wahrheit. Ich beöaure Euch von ganzem Herzen." Der Kopf der Alten war immer tiefer gesunken; als er zu reden aufgehört hatte, da stöhnte sie laut und lehnte sich an das Deckhaus. Garnett drückte sich nach vorn, wo die Leute mit dem Verstauen der letzten Säcke beschäftigt waren. Plötzlich richtete die Alte sich auf, und ich glaubte, ich sehe nicht recht, als sie einen Knopf, den sie im Munde ge habt hatte, an Deck spuckte. Ihre Augen schauten weit auf gerissen und starr nach dem Berge, der östlich von der Stadt liegt, und noch weiter, bis nach den südlichen Ge birgszügen der Anden. Dann schritt sie fest wie ein Mann längs Deck und über die Planke an Land. Die Soldaten auf der Werft machten ihr Platz; sie aber sah steif geradeaus und ging immer der Nase nach, bis wir sie aus Sicht verloren. „Garnett!" rief O'Toole, „Garnett! Was sagst du bloß dazu?" „Das nennt man Mutterliebe, du Heide!" antwortete Garnett, der wieder achteraus kam. „Mutterliebe ist das Höchste auf der Welt. Mein Gott, wie hat das die arme alte Frau angegriffen! Da muß ich an die Zeit denken, wo meine Mutter noch lebte und für mich sorgte. So eine Mutter ist ein Juwel, und man hat sie nur einmal. Aber sag' doch, Mensch, wie konntest du bloß der armen Alten mit der Todesnachricht so ins Gesicht springen! Du hast auch keine Spur von Gefühl, du alter Heide!" „Ja, wie sollte ick's denn anders anfangen?" ,-Natürlich, so'n vierkantiger Kerl, wie du bist, versteht das ja nicht besser; sollten aber nochmal Weiber an Bord kommen, dann wende dick an den richtigen Mann, der mit Weibern Bescheid weiß. An den Mann, der so reden und sich so benehmen kann, wie sic es gern haben. An den Mann, der Schliff und Manieren hat. An den Mann —" „Er unterbrach sich und hob den Knopf auf, den die Alte ausgcspuckt hatte. „Wo kommt denn das Ding hierher?" fragte er er staunt. „Das hat die alte Dame im Munde gehabt", antwortete O'Toole.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Keine Volltexte in der Vorschau-Ansicht.
- Einzelseitenansicht
- Ansicht nach links drehen Ansicht nach rechts drehen Drehung zurücksetzen
- Ansicht vergrößern Ansicht verkleinern Vollansicht