02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.06.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030611029
- PURL
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- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-11
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Die schon durch Extrablatt verbreitete inhaltsschwere Meldung lautet: * Belgrad, II. Juni. (Telegramm.) Eine in den Straßen angeschlagene Proklamation teilt mit: „Heute Nacht wurden Alexander nnd Draga er schossen. Eine neue Regierung ist gebildet Die Verfassung vom 8. April Ittttl ist wieder in Kraft gesetzt. Tie Volksvertretung ist zum 1s. Juni einberufen." Es folgen die Unterschriften der neuen Minister. Tas Ereignis ist vom Heere ausge- fnhrt. Auster dem stönigspaarc und dem Minister präsidenten sind der «eneraladjutant Petrowitsch, sowie der frühere Kriegsminister Pawlowitsch erschossen worden. Las Ereignis wurde ruhig aus genommen. Tie Leichen des «öuigspaares sind im Konak grborgen. Ter Vorgang spielte sich zwischen 10 Uhr 30 Minuten und 2 Uhr nachts ab. Das ist offenbar nicht daS Attentat eines Fanatikers auf daS KönigSpaar und seine ergebenen Anhänger, das ist eine Revulution iu optima lorma. Die Dynastie ist gestürzt, gestürzt durch ein blutiges Pronunciamento des HeereS. Die Wiederherstellung der Verfassung vom 6. April 1901 gibt den Schlüssel zu den Motiven des KönigSmordeS: er ist die entschlossene, gewalttätige Antwort auf den Staats streich deS Königs vom 6. April d. Js., durch welchen Alexander die Verfassung vom 6. April 1901 suspendierte und die Mandate der Mitglieder des Senats, der durch diese Verfassung ins Leben gerufen war, für erloschen erklärte. Dieser Staatsstreich des Königs richtete sich dire kt gegen die radikale Partei, welche im Senat und im StaatSrateüber eine ihm sehr unbequeme feste Majorität verfügte, und man darf daher wohl annehmen, daß der jetzige Gegenschlag ebenfalls das Werk der radikalen Partei ist, hinter der das Heer steht. Serbien blieb nach dem letzten Staatsstreich des Königs anscheinend ruhig und noch die Wahlen vom 1. Juni ergaben eine für die Regierung überraschend große Majorität. Allein die letztere war unter ministeriellem Hochdruck gemacht und im Verborgenen gärte eS bedenklich. Die beiden radikalen Minister des Kabinetts, welche für den Staatsstreich nicht zu haben gewesen, der des Aeußeren Lozanitsch und der des Kultus Lazaremitsch, hatten noch vor demselben ihre Ent- laffung eingereicht, und sie waren wohl auch die Seele der Agitation in Heer und Volk. Grund zur Aufwiegelung gab eS genug. Eine Anzahl der in den letzten Jahren geschaffenen un bequemen Gesetze, so daS die Preßfreiheit gewährende Preß gesetz, daS National-Wahlgesetz mit dem geheimen Wahlsystem und daS Gemeindegesetz mit der freien Wahl der Vorsteher, waren aufgehoben und an ihre Stelle die entsprechenden früheren Gesetze gesetzt worden. Die vom Jahre 1869 wieder hervorgeholte konservative Verfassung RistitschS verlangte die Ernennung der Staatsräte durch den König und erklärte diese, wie die Richter, für unabsetzbar. Durch eine weitere Verordnung wurden neue Senatoren und StaatSräte er nannt rc. Daß aber bei dem jetzigen Umsturz, dem außer dem Königs paar noch ein halbes Dutzend Personen zum Opfer fielen, auch die Thronfolgefrage eine Rolle mitgespielt hat, geht zweifellos daraus hervor, daß auch die Königin Draga für immer bei Seite geschafft wurde. Man wollte mit der Dynastie, von der das Land keinen Thronerben zu erwarten batte und die so viele Skandale heraufbeschworeu, endgültig aufräumen. Was nun werden wird, darüber läßt sich Bestimmtes nicht sagen. Vielleicht haben die neuen Männer Kraft und Einfluß genug, das Schiff über Wasser zu halten und einer neuen Dynastie auf den Thron zu verhelfen, denn die radikale Partei hat starke Wurzeln im Volle, und wenn das Heer ihr weiteren Rückhalt gewährt, ist cs wahrscheinlich, daß die Proklamierung einer neuen Aera für das König reich nicht noch weiteres Blutvergießen heischt und nicht noch weiterreichende Erschütterungen hervorruft. Aber wer kgnn dafür bürgen, daß auf einem so schwanken Boden, wie der des Balkans es ist, alles so glatt abläuft, zumal dabei der Neuordnung der Dinge doch auch die Frage mit von wesentlicher Bedeutung sein wird, wie die neuen Machthaber sich zu der auch Serbien tief berührenden makedonischen Bewegung stellen werden. Jedenfalls ist Serbien beute mehr denn je ein Faktor größter Beunruhigung ge worden, und eS ist nicht ausgeschlossen, daß daS jüngste Ge schehnis den Großmächten Veranlassung zum Eingreifen gibt. (Weitere Meldungen siehe unter „Letzte Nachrichten".) Politische Tagesschau. * Leipzig, 11. Juni. Sozialdemokratische Grundsatzlosigkeit. Es ist sehr bemerkenswert, daß in der ganzen Wahlzeit von der sozialdemokratischen Agitation nirgends der Kampf gegen I dieJndustriezölle betrieben,sondern nurimmerdas „Br ot- I Wucher"-Geschrei erhoben wird. Es ist das um jo bemerkens werter, als sozialdemokratische Parteitag-Resolutionen sich in gleicher Weise gegen Agrar- wie gegen Jndustriezölle erklärt haben. DaS heuchlerische und grundsatzlose Vorgehen der Sozial demokratie jetzt im Wahlkampfe bat seine guten Gründe. Die Masse der Sozialdemokraten setzt sich aus Industriearbeitern zusammen. Daß die Industriearbeiter am Fortschritte der industriellen Produktion interessiert sind und daß dieser Fort schritt durch genügende Zölle mitbedingt ist, leuchtet den im industriellen Produktionsprozesse stehenden Arbeitern so sehr ein, daß die Sozialdemokratie es keineswegs darauf ankommen lassen darf, im Wahlkampfe fortgesetzt das Gegenteil zu betonen. Dazu kommt nun noch, daß die Sozialdemokratie prinzipiell auf den einseitigen Fortschritt des Industrialis mus bedacht ist, weil eine einseitige industrielle Entwickelung daS Land proletarisiert, der Sozialdemokratie weitere Massen zufübrt und die die Sozialdemokratie bekämpfenden Parteien ihrer Anhängerschaft beraubt. So läßt sich das sozialdemokratische Vorgehen jetzt im Wahlkampf vom politisch-revolutionären Standpunkt aus sehr Wohl begreifen. Für die Sozialdemokratie schwer belastend fällt aber der Umstand ins Gewicht, daß sie ganz genau weiß, wie notwendig Agrarzölle sind, wenn Jndustriezölle eingefübrt werden, und wie sehr der allgemeine Wohlstand Schaden leiden, die Harmonie des Volksganzen gestört werden müßte, wenn die Industrie allein durch Zölle geschützt würde. Als fünf Jahre vor der jetzigen Wahl die Sozialdemo kratie die Zollirage noch rein „theoretisch" erörterte und betrachtete, da hat man das ganz offen ausgesprochen. Kein geringerer als Karl Kautsky erklärte auf dem Stutt garter Parteitage im Oktober des JahreS 1898 (Seite 187 des Protokolls): Heute bildet der Jndustriezoll nur das Korrelat zum Kornzoll. Wollten wir heute die Lebensmittelzölle aufheben und die Jndustrie zölle bestehen lassen, jo würden wir die Landwirtschaft schwer be lasten und unsere Stellung auf dem Lande verschlechtern. (Sehr richtig!) Wer ist der Schwächere in Deutschland: die Industrie oder die Landwirtschaft? Täuschen wir uns nicht, die Landwirtschaft ist in einer sehr be drängten Lage. (Sehr richtig!) Die Erzählungen der Frei händler von den Champagner trinkenden Landwirten haben den selben Wert, wie die von Champagner trinkenden Maurern. (Sehr richtig!) Es besteht eine Not der Landwirtschaft, die tiefe, innere Ursachen hat und die in der heutigen Gesellschaft nicht gehoben werden kann. Darüber sollten wir die Landwirte nicht im Zweifel lassen. Aber es kann nicht unsere Aus gabe sein, die Not willkürlich zu steigern. Das würden wir tun, wenn wir die Jndustriezölle ließen. (Sehr richtig!) Es wäre ungeheuerlich, daß der Landwirtschaft der Zollschutz genommen und der deutschen Industrie, die mit der englischen konkurrieren kann, der Zollschutz gewährt werden sollte. (Sehr richtig!) Wenn wir heute noch nicht so weit sein sollen, zu wissen, ob die deutsche Industrie des Zollschutzes ent behren kann, so weiß ich nicht, woher wir wissen, daß die deutsche Landwirtschaft des Zollschutzes nicht bedarf. Wenn wir der Landwirtschaft den Zollschutz verweigern, dürfen wir ihn der Industrie nicht gewähren. (Sehr richtig.) Was ergibt sich daraus? Daß die Sozialdemokratie ihre wissenschaftlichen und grundsätzlichen Ueberzeugungen gewissen los verleugnet, daß sie in ihrer praktischen Wühl- und Wahl arbeit überhaupt von keinen Grundsätzen geleitet wird, außer dem einen: unter allen Umständen mit allen Mitteln der Lüge und Heuchelei eine Politik der Zerstörung zu betreiben. Ein Anti-Strctkgefetz in -er „freien" Schweiz. Gerade in den der Verfassung nach „freiesten" Staaten, in denen aber auch die Gewalttätigkeit und Zügellosig keit der Sozialdemokratie sich am wildesten austoben darf, tritt die naturnotwendige „Reaktion" am ehesten und heftigsten auf. Nach Holland folgt jetzt die Schweiz, in der zur Zeil die Notwendigkeit eines Anti- Slreikgeseyes gegenüber den gewerkschaftlich - sozialdemo kratischen Ausschreitungen eifrig diskutiert wird. Dem Faß den Boden ausgeschlagen haben hier die Vorgänge bei den Baseler Maurer- und Handlangerstreiks, bei denen selbst der sozialdemokratische Regierungsrat „Genosse" Wullschleger für das Eingreifen von Militär einzutreten sich genötigt sah, weswegen er jetzt von den deutschen „Genossen" mit dem großen Banne belegt wird, sofern der für die Sozialdemokratie recht neuartige Fall nicht lieber todtgeschwiegen wird. In Basel nun werden jetzt für ein etwaiges Anti-Streikgesetz folgende Bestimmungen zur Diskussion gestellt: 1) Es ist bei einem größeren oder Generalstreik eine Bürger wehr zu organisieren. 2) Es soll eine geheime Abstimmung unter ven Arbeitern vor genommen werden, damit festgestellt werden kann, wie viele wirklich streiken wollen, und der Terrorismus, unter welchem die Arbeits willigen leiden, aufhöre. 3) Alle streikenden Arbeiter fremder Nationalitäten sind über die Grenze zu befördern. 4) Alle Redner, welche, wie Wassilieff, gegen die Gesellschaft aufreizen, sind zu verhaften. 5) Alle Beamten, welche an öffentlichen Orten sich gegen Maßnahmen der Regierung auslaffen, sind strafbar. 6) Die Regierung wird gebeten, «inen Gesetzesentwurf aoSzu- arbeiten, welcher die Teilnahme an einem Streik, wodurch di« Oeffentlichkeit zu leiden hätte (Gas, Wasser, Telephon, Trambahnen usw.) mit Gefängnis bedroht. Die Diskussion dieser Fragen soll dazu dienen, zur Formu lierung einer Eingabe an die Regierung Material zu bieten, welche von einer Massenpetition begleitet würde. „Nur auf diesem Wege", beißt es, „welcher einer richtigen Regulierung von Arbeiterfragen nicht im Wege steht, kommen wir wieder zu geordneten Zuständen." Es zeigt sich in allen Ländern, daß die Sozialvemokraten die wahren Feinde der Freiheit und die tiefste Quelle der sogenannten „Reaktion" sind. Der richtige Begriff der Völkerfreiheit ist von dem Begriffe der Staatsordnung niemals zu trennen, das werden die lernen und erfahren müssen, die jetzt, von blindem Wahn getrieben, den sozialvemokratijchen Führern nachlaufen. Chamberlains Zollpolitik. Aus den Ausführungen >des englischen Schatzkanzlers in der vorgestrigen Sitzung des Unterhauses ging hervor, daß in dem gestrigen KabinettSral tatsächlich eine vorläufige Einigung über die Behandlung des Planes Chamber lains in dem Sinne erzielt wurde, daß die Frage zunächst offen bleibt und den Gegenstand einer Kom- Feuilleton. "i Mr. Trunnell. Seeroman von I. Hains. Nachdruck verboten. „Mir wäre cs auch sehr recht, wenn er da säße, wo kein Wind ihn belästigen kann", antwortete ich. „Aber ich bin nicht der Skipper; wenn Ihr Euren Zweck er reichen wollt, dann müßt Ihr achteraus gehen." „Da sind wir gewesen", sagte der Bootsmann. „Der Alte wollte nichts davon hören, und Truntnell tut, was der Alte will." „Trunnell stimmt dem Alten bei, weil er das für seine Pflicht und Schuldigkeit hält", nahm Jim wieder das Wort. „Wenn Sie sich aber die Mühe nehmen wollten, den Obersteuermann zu überreden, Mr. Rolling, so würde er seine Meinung wohl ändern." „Warum sollte er nicht an Bord des englischen Schiffes gebracht werden, Sir?" fragte der „Doktor". „Wollen dem Skipper doch den Vorschlag machen." Das fand Anklang, und man beschloß, während der Morgenwache den Schiffer aufzusuchen. Nur Jim be stand darauf, nach Melbourne zurückzulaufen. „Wenn Sie sich auf unsere Seite stellen wollten, Mr. Rolling", meinte er, „dann kriegten wir Mr. Trunnell auch herum." „Würde nichts helfen", entgegnete ich, „Trunnell ändert seinen Sinn nicht/ Draußen ertönten! die Glasen; die Debatte konnte nicht länger fortgesetzt werden. Ich ging mit dem Boots mann an Deck, um unsere Wache zu übernehmen. Die Nacht war schön und klar. Der Obersteuermann gab mir den Kurs, und dann begann ich meine Prome nade auf der Luvseite des Quarterdecks, um das pracht volle Wetter einmal nach Herzenslust zu genießen. Zehntes Kapitel. Ruhig und heiter ging der Morgen über der Kim mung auf. Eine schwere, ölglatte Dünung, die Nach wirkung des überstandenen Sturmes, rollte in langsamer Aufeinanderfolge über die See. Die Strahlen der emporstcigenden Sonne färbten die lichten Wolken am östlichen Horizont mit rosigem Schimmer. Ich fühlte mich abgespannt, eine Folge der gehabten Anstrengungen; zudem ist die Morgenwache immer die ödeste und am wenigsten angenehme. Der Steward aber hatte den Kaffee bereit; ein guter Schluck davon belebte und erfrischte mich; ich holte mir das Teleskop, um nach dem „Sovereign" auszuschauen. Wir waren die ganze Nacht leewärts abgetrieben; Trunnell hatte daher in der Mittelwache das Schiff ge wendet, um das Wrack nicht aus Sicht zu verlieren. Ich fand es bald; es lag etwa drei Meilen entfernt, back bord dwars ab. Als einzige Leinwand hatte es noch immer sein Marssegel stehen; cs lag so tief, daß in dieser Ent fernung mittschiffs die Reeling nicht zu sehen war. Es schien, als befände sich nur noch das Quarterdeck über Wasser. Ich wunderte mich sehr, daß Keppen Sackett noch immer keine Boote ausgesetzt hatte; wenn unser Schiffer an Deck kam, dann würde er ohne Zweifel des wegen in Zorn geraten. Die Brise war ganz abgeflaut; das Wrack mußte uns daher noch stundenlang in Sicht bleiben. Während ich noch htnübersah, bemerkte ich einen dunklen Punkt auf der wogenden Flut. Es war ein mit der Dünung sich hebendes und senkendes, vierreemigcs Boot, das auf uns abhielt. Manchmal war es hoch auf dem Rücken der Schwell, manchmal war es hinter einer solchen verschwunden, aber es näherte sich trotzdem mit ziemlicher Schnelligkeit. Es war voll von Menschen. Es steuerte auf unsere Kreuzrüst zu, und bald rief es uns auch an. Die Leute der Wache lehnten sich über die Reeling, und ein Mann warf den Ankommenden eine Leine zu. Nach wenigen Sekunden hatten wir sie alle an Deck. Jenks, der alte Matrose, der am vorhergehenden Tage mit mir an Bord gekommen war, trat herzu, seine Schiffsmaatcn zu begrüßen. Sein Gesicht legte sich in tausend Falten vor Vergnügen bei dem Anblick der augen scheinlich hart mitgenommenen und ausgcmcrgelten Leute. Ein spöttisches Zwinkern zuckte um seine Augen, als er sie anredete. Jetzt schwang sich der Steuermann des „Sovereign", ein hochgewachsener Schotte, über die Reeling; sogleich hielt Jenks mit seinen Bemerkungen inne, allein es war bereits zu spät. Der Steuermann befahl ihm, mit drei andern von den gestern gekommenen und ausgcruhten Leuten ins Boot zu gehen und den Rest der Mannschaft zu holen. Eben stieg der englische Schiffsoffizier die Treppe zum Quarterdeck hinauf, als Kapitän Thompson aus der Kampanjeluk emportauchte. Der fremde Steuermann faßte mit höflicher- Ver beugung an seinen Hut, der Skipper aber erwiderte den Gruß nicht, sondern sah ihn hochmütig mit seinen glitzern den Augen an. „Scheint Euch nicht sonderlich beeilt zu haben?" be gann er näselnd. „Wir haben die ganze Nacht an den Pumpen ge arbeitet, Sir, in der Hoffnung, das Schiff über Wasser zu halten. Kapitän Sackett will nicht von Bord gehen, so lange der „Sovereign" schwimmt. Sonst aber kann, wer will, das Schiff verlassen." „Ist die Ladung wertvoll?" „Ja, Sir. Palmöl und feine Holzarten. Achthundert Fässer Palmöl, des Schiffers ganzes Vermögen steckt darin. Darum will er an Bord bleiben." „Wissen Sie, wofür ich Sie halte?" fragte der Skipper trocken. „Nein, Sir." „Ich möchte einem schiffbrüchigen armen Teufel nicht wehe tun, auch nichts sagen, was einem Gentleman nicht ziemt. Sie sind mein Gast hier an Bord und darum in! des Teufels Namen willkommen. Anderseits aber, wenn mich jemand fragte, was für eine Sorte von Kerl Sie seien, dann würde ich sagen — jawohl, Sir, nachdem ich alles sorgfältig erwogen und in Betracht gezogen hätte —, würde ich also sagen, daß ich Sie für einen elenden, feigen Jammerlappen halte. Faktum, Sir." Der Steuermann wurde dunkelror. Er fuhr auf, wie zu einer heftigen Entgegnung, dann aber bezwang er sich. „Ich habe viel von Bankee-Schiffern gehört, denen die amerikanische Handelsflotte den größten Teil ihres schlechten Rufes verdankt, und nun bin ich hier einem von der Sorte vor den Bug gekommen, wie mir scheint. Aber das soll mich nicht beirren. Ich erkenne Sie als unfern Retter an und will kein Wort gegen Sic sagen. Die richtige Antwort wäre freilich ein Faustschlag gegen den Kinnbacken des Kerls, der solche Beleidigung aus spricht. Aber davon will ich Abstand nehmen. Es gibt Kerls, denen man von Rechts wegen! den Bauch auf schlitzen müßte, aber da Sie der Kapitän dieses Schiffes sind, so will ich die Kerls nicht näher bezeichnen. Nein, Sir; will auch weiter nichts hinzufügen. Ich bitte Sic nur, mich an Bord des „Sovereign" znrückzuschicken. Das Boot ist noch nicht fort. Bei Gott, lieber will ich ersaufen, als auf diesem Schiff bleiben!" „Und ich sage, bei Jingo, Sie sollen auf diesem Boot bleiben", schnarrte Thompson höhnisch. „Ein Mann, der geboren ist, um gehängt zu werden, soll nicht ersaufen. Heda, Rolling!" rief er mir zu. „Setzen Sie ein Boot aus, begleiten Sie Sie Leute und bringen Sie alle, die nicht auf dem „Sovereign" bleiben wollen, hierher. Ich habe nicht Lust, noch länger auf 'ne Bande von Narren zu warten, die vor lauter Angst nicht wissen, was sie wollen." Die laut geführten Reden ließen eine weibliche Ge stalt in der Kajütskappc sichtbar werden, und als der Skipper geendet hatte, stand Fräulein Sackett an Deck. Der Steuermann deS „Sovereign" begrüßte die junge Dame und berichtete ihr den Entschluß ihres Vaters, an Bord des Wracks auszuharren; er fügte hinzu, daß sich auch drei Mann der Besatzung bereit erklärt hätten, bei ihrem Kapitän zu bleiben, indem sie hofften, ein nam haftes Bergegeld zu verdienen, wenn es gelänge, den „Sovereign" glücklich in einen Hafen zu bringen. Wenn Leute von dem „Pirat" sich an dem Abenteuer beteiligen wollten, so würde Keppen Sackett nichts dagegen haben. Er wäre überzeugt, daß der „Sovereign" lange genug flott bleiben werde, um Kapstadt zu erreichen. „Mein armer Vater ist verblendet; er ist sicher ver loren, wenn er an Bord bleibt!" klagte Fräulein Sackett. „Ich will selbst zu ihm und ihn beschwören, diesen Plan aufzugeben. Sie erlauben, daß ich in einem der Boote wieder zum „Sovereign" fahren darf, nicht wahr, Kapitän Thompson?" Der Skipper war mißlaunig, aber der Mut des Eng länders, der sein sinkendes Fahrzeug nicht im Stich lassen wollte, flößte ihm Bewunderung ein. „Meine liebe, junge Dame", näselte er, „Sie sollen hier an Bord tun und lassen können, was Sic wollen, so lange ich Skipper dieses Bootes bin. Welcher einiger maßen vernünftige Mensch wäre im stände, Ihnen über haupt etwas abzuschlagcn?" Fräulein Sackett lächelte befriedigt und ging znm Fallreep, wo das Boot des „Sovereign" zum Abstößen bereit lag. Die Bemannung war mürrisch und ver drossen; man hatte den Leuten keine Zcft gelassen, zu frühstücken, und der Weg bis zum „Sovereign" war weit. Am sauersten blickte der alte Jenks drein; sein braunes Gesicht war so tief gefurcht, wie das Leder eines leeren Blasebalgs. Ich war gerade im Begriff, das Fräulein zu bitten, noch ein wenig zu verziehen und dann zu mir 1y mein
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