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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.06.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030612021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903061202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903061202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-12
- Monat1903-06
- Jahr1903
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Nun liegen der letzte Sproß und 'fast sämtliche durch seine unglückliche Ehe zur Dynastie gehörenden Mitglieder aufgebahrt im Konak zu Belgrad I Vou den in großer Anzabl einlaufenden Meldungen lassen wir zunächst diejenigen folgen, welche den Königsmord selbst betreffen und über die Einzelheiten des ungeheuerlichen Verbrechens mehr Licht verbreiten, aber, wie das ja natür lich ist, nicht durchweg miteinander übereinstimmen. Es wird uns berichtet: * Pest, 11. Juni. (Telegramm.) Der „Budapeftt Htrlap" berichtet aus Belgrad «der den Hergang des Attentats folgendermassen: Eine Kompagnie Soldaten brach in den Konak ein und ermordete die Insassen, die ans den Betten ausfuhren. An der Balkonsette scheinen die Angreiser einen grossen Widerstand gefunden zu haben, die Borhänge find dort herabgeriffcn uud die Fensterscheiben zerbrochen; wahrscheinlich wollten die Ueberfallenen von hier aus flüchten. Im kleinen Garten vor dem Konak liegen Handschuhe» Militärmützen und Kleidcrstücke in Fetzen zerstreut. Das Militär vor dem Konak wird mit Wein, aus Fässern verzapft, reichlich bewirtet. 2m Mintsterpalais findet eine Beratung statt. Als der Oberstleutnant Mitschitsch, welcher die Soldaten anführtc, ans dem Palais hcrauStrat, begrützte ihn die Menge mit Ziviorufen, und eine Militärkapelle blies ihm zu Ehren einer Tusch. Tie Stimmung der Bevölkernng ist ruhig und zeigt sich keine Entrüstnng über das Attentat. Die Getöteten find in die Konakkapelle gebracht worden. DaS Blutbad begann um 12'/, Uhr und um 1'/, Uhr war die Tat vollbracht. Die Teilnahme der Bevölkerung über das Schicksal der Ermordeten ist gering. (Wiederholt.) * Belgrad, II. Juni. Wie amtlich festgcstcllt ist, wurden in der letzten Nacht äusser dem Königspaar folgende Personen erschossen: Die Brüder der Königin Trag« Nikola und Ntkodem Lunjewttz, der Ministerpräsident General Demeter Ztnzar Mar kowitsch, der KricgSminister General Pawlowitsch, der Generaladjutant General Lasar Petrowitsch, der zweite Adjutant Generalstabsoberst Michael Naumo witsch, der Ordonanzoffizier Artillerie-Hanptman 2owan Milkowitsch und Leutnant Milan Gagowitsch. Schwer verwundet wurde der frühere Minister des Innern Wclimir Teodorowitsch und Ser Komman dant der Donaudivision Demeter Ntkolitsch. * Pest, 11. Juni. Aus Belgrad wird gemeldet: Tie Gardisten, welche den Konak bewachten, leisteten »erzweifelten Widerstand; eS sollen hundert von ihnen gefallen sein. Adjutant Oberst Naumowitsch, der in das Schlafzimmer des Königs eindrang, forderte die Abdankung des Königs, woraus dieser ihn mit dem Worte „Verräter", niederschoh. Ein Trupp Offiziere, an ihrer Spitze Hauptmann Pagowitsch, ermordete dann die Insassen des Konaks. Oberstleutnant Mitschitsch erschoss den König. Das Attentat wurde durch das 16. Infanterie- Regiment verübt, welches neulich hart bestraft worden war, weil es gegen eine demonstrierende Menge die Waffe» nicht gebrauchen wollte. Ein Kanonenschuss zeigte an, dass das Attentat vollzogen sei. Zinzar Markowitsch wurde von einem Soldaten ermordet, der ihm eine dringende Botschaft zu überbringen vorgab. KrtegSminister Pawlo witsch flüchtete in einen Kasten, auf den 25 Schüsse ab gegeben wurden. Alle Geschäfte sind gesperrt, viele Ein wohner flüchteten. Bon Scmlin wurden telegraphisch eine grosse Anzahl von Waggons zur Beförderung der Flüchtlinge verlangt. Nach Belgrad eingelassen zu werden, ist selbst unter Vorzeigung eines Paffes schwer. * Berlin, 12. Juni. (Telegramm.) Privattelcgramme der Berliner Blätter berichten aus Belgrad: König Alexander erhielt einen sofort tödlichen Schuh in die Kehle. Seine letzten Worte waren: „Soldaten, Ihr habt mich verraten!" Die Leiche DragaS ist fast zerfleischt. Hofmarschall Nikolajewitsch rettete sich durch die Flucht in die österreichische Gesandtschaft. In das Geheimnis waren 150 Offiziere eingeweiht. Das in Neusatz erscheinende Blatt „Jastawa" hatte bereits vor 14 Tagen alle Ereignisse der heutigen Nacht vorausgcsagt und angekündigt, der Jahrestag der Vertreibung der Dynastie Karageorge- witsch werde der Tag der Rache sein. — Nach weitere» Mitteilungen fass das Königspaar mit den Geschwistern Ser Königin und den Adjutanten Petrowitsch und Naumo witsch bis 12'/, Uhr nachts beim Nachtmahl und zog sich dann in die Lchlasgemächcr zurück. Ein Stunde später drangen die Verschwörer ein. — Das „Berliner Tageblatt" will wissen, das Königspaar lebte in der letzten Zeit in einer ständige» Furcht vor einem Attentat und beschloss deshalb und auf Drängen der Regierung, sich zu trennen. Die Reil: Dragos each Franzcnsbad sollte nur ein Vorwand für die Trennung sein. Der König wollte dann um Lenta von Mon tenegro werben. Die Königin hatte mehrere Millionen auf einer Londoner Bank, ebenso der König. * Wien, 11. Juni. Tie „Neue Freie Presse" berichtet aus Belgrad: Tie unmittelbare Ursache der Verschwörung war die Aufforderung des Königs au die Offiziere, seinen Schwager Luujewitz als Thronfolger anzner- kennen und dies dnrch ihre Unterschrift zu bekräftigen Ter neue Ministerpräsident Awaknmowitsch erklärte in einer Proklamation, er garantiere mit seinem Kopfe für die Auf rechterhaltung der Ordnung. * Wien, 12. Juni. (Telegramm.) Die „Nene Freie Presse" gibt von de» Ereignissen in der Nacht im Konak folgende Darstellung: Um '/,2 Uhr nachts marschierten 30 Offiziere unter Führung des Obersten Maschin und des Oberstleutnants Mitschitsch, gefolgt von einer Abteilung des 6. nnd 7. Regiments nach dem Konak; letztere nm- zingclte das Schloss und brach die Türen ein, um in das Innere der Gemächer zu dringen. Da einige Tore und Türen nicht gleich aufgingen, wurden sie mit Dynamit gesprengt. Im ersten Vorzimmer trat der Adjutant Oberst Naumowitsch den Ver schworenen entgegen nnd wurde niedergemacht, ebenso der Generaladjutant Lasar Petrowitsch. Im zweiten Vorzimmer war der König. Dieser eilte zum Fenster, ritz dasselbe aus und ries um Hülfe. Niemand hörte ihn. Darauf begab sich der König zur Königin und umschlang sie schützend. In dieser Haltung er wartete der König die Verschwörer, die mit dem Revolver in der Hand eindrangen und die Waffen aus das Königspaar abschossen. Beide stürzten, sich umschlungen haltend, zu Boden. Gleichzeitig drangen Abteilungen Militär in die Wohnung des KriegSmtnifterS Pawlowitsch, des Ministerpräsidenten Zinzar Marko witsch und des Ministers des Innern Teodorowitsch. Die beide» ersteren wurden getötet, letzterer wurde schwer verwundet. Die Kunde wurde durch Offiziere in die Kasernen und in das Lager gebracht. Rur ein Kommandant Niko- litsch, der eine» Leutnant niederschotz, widersetzte sich. Er wurde erschossen. Die Offiziere ritten am Morgen durch die Strassen und verkündeten dem Volke die Nachricht von dem Tode deS KönigSpaarrS und proklamierten de» neuen König. Das Volk begrützte die Kunde mit lauten Zivio- rufen. Die neue Regierung trat im Ministerium des Innern zu einer Beratung zusammen, wohin sich auch die Diplomaten begaben. Als erstere eintrascn, befanden sich dort der österreichische Gesandte und der Militärattache. * Pest, 12. Juni. (Telegramm.) Das „Ungarische Korr.-Burean" meldet aus Semlin vom 11. Juni über die Belgrader Vorfälle: Die Verschwörer hielten gestern abend in einem Gartenlokal eine Beratung ab; unter ihnen befanden sich anch aus Nisch eingetroffcne Offiziere. Nachts 1'/, Uhr zogen die Offiziere zum Konak. Naumowitsch öffnete den HanScingang zu den königlichen Appartements. Bor dem Schlafzimmer des Königs forderte Nanmo- tpitsch denselben auf, die Tur zu öffnen. Der König gab eine barsche Antwort. Die Offiziere versuchten, die Tür mit den Säbeln zu sprengen und sprengten sie schliesslich mit Dynamit. Nach einer Version fand Naumowitsch bet der Explosion den Tod, nach einer anderen wurde er dnrch Lasar Petrowitsch erschossen. Gegen de» König richteten die hereinstürzendcn Offiziere zahlreiche Schüsse. Der König und die Königin wurden alsdann vom Ballon ans den Hof geschleudert, wobei dem König die Schläfe zerschmettert wurde. Ter König starb erst nach 4 Uhr morgens. Advokat Ziwkowitsch fuhr später in einem Hofwagen durch die Strassen und hielt Reden an das Volk. Ministerpräsident Zinzar Markowitsch eilte auf Schüsse aus seiner Wohnung auf die Strasse; die Soldaten nmzingelten ihn, er verteidigte sich mit einem Revolver und wurde dann erschossen; auch der Minister des Inner» Teodorowitsch verteidigte sich, bevor er erschossen wurde Die übrigen Minister wurden in Haft gesetzt, aber am Nachmittag wieder freigelassen. Die neue Regierung. * Belgrad, 11. Juni. (Telegramm.) Tas neue Minister inm veröffentlicht folgendes Eommu- niqus: Verschiedene Zwistigkeiten, welche sich am Hose ereigneten, riefen eine Intervention der Armee nnd einen Konflikt hervor, in dem das Königspaar seinen Tod sand. Zwecks Aufrechterhaltung des Friedens und der Ordnung im Lande in diesen traurigen und schwierigen Augenblicken verständigten sich die Ver treter aller politischen Gruppen und bil deten eine provisorische Regierung, damit der ver fassungsmässige Znstand, der vor dem 23. März bestand, wieder hergestellt werde. Sie beschlossen, die National versammlung» welche unter der Geltung der Ver fassung vom 6. April 1901 gewählt ist, zu einer Sitzung einznberufen. Tie Nationalversammlung wird zur Wahl des Souveräns schreiten und zur Beschlussfassung darüber, welche Massregeln die gegenwärtige innere Lage erheischt. Nach den bis jetzt von den militä rischen und den Eivtlbehörden erhaltenen Nachrichten ist Sie Ruhe des Landes nirgends gestört. Die Re gierung wird bestrebt sein, dieselbe aufrecht zu erhalten, und ist überzengt» dass sie, indem sie in dieser Weise han delt, dem neuen Zustande der Dinge die Sympathien aller europäischen Mächte sichert. (Wiederholt.) DaS Echo in» Lande. Offiziös wird aus Belgrad, 11. Juni, gemeldet: Das Ereignis wurde gegen 2 Uhr nachts von einer Anzahl Offi ziere unter Zuhilfenahme von zwei Trupprnabteilungeu aus geführt und von der Armee ruhig ausgenommen. Die neue provisorische Regierung bietet alles auf, um im Lande Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten. Dieselbe wurde nirgends gestört. Die sämmtlichen Blatter drücken die Hoff nung auS, daß die mit dem heutigen Tage be ginnende neue Epoche dem Lande Segen bringen werde. Der „Odjek" glaubt, daß Serbien in Zukunft ein wahrer Rechts- und Berfassungsstaat werden und sich der zivilisirten europäischen Völkerfamiiie ebenbürtig und würdig zugesellen werde. Die Königswahl wird im Sinne der Verfassung von den am 15. Jnni zusammentretenden beiden Häusern der Volksvertretung vollzogen werden. Obwohl Fürst Peter Karageorgewitsch vom Heere zum König proklamiert wurde, ist und bleibt die nationale Volks vertretung allein berufen, hierüber Entscheidung zu treffen. Was die Beisetzung der Leichen des Königspaares betrifft, so sind bisher noch keine endgültigen Beschlüsse gefaßt. Der serbische Gesandte in London Militsche- witsch erklärte einem Vertreter des „Neuter'schen BureauS", er könne nur hoffen, daß, waS in Belgrad geschehen sei, keinen Krieg Hervorrufen werde. Es sei indessen zweck los, sich in Prophezeiungen zu ergehen, was geschehen könne. Die Dynastie der Obrenowitsch habe viele Freunde in Serbien, die geneigt sein könnten, Unruhen hervorzurufen. Er hoffe nur, daß Jowan Awakumo- witsch und Ljubani Kaljewitsch, die Männer vou langer politischer Erfahrung seien unv wiederholt dem Kabinett angehört hätten, im stände sein würden, eine feste Regierung zu bilden. WaS die Haltung Oesterreich-UngarnS und Rußlands zu der gegenwärtigen Krise angebe, so bestehe kein Zweifel darüber, daß beide Länder das Recht Serbiens, selbst über sein Geschick zu bestimmen, anerkenne» und in keiner Weise eingreifen würden. * Scmlin, 11- Juni. Heute kehrten bereits zahlreiche AnS- gewiesene nach Belgrad zurück. Die Zeitungen billigen die Ereig nisse. Die radikalen Blätter beschimpfen das Königspaar gröblich Feuilleton. Mr. Trunnell. Seeroman von I. H a 1 n S. Nachdruck verboten. Andrews matz den stämmigen Schiffer mit einem Blick großen Mißfallens. Dann ließ er sein grunzendes Ge- schnauf hören und spuckte verächtlich an Deck, gerade vor des andern Füße. „Was für einem Narren bin ich denn hier wieder vor den Bug gelaufen?" sagte er wie zu sich selber, während er Sackett von oben bis unten musterte. ,Mn ich im Traum, oder komme ich aus einem Irrenhaus ins andre? Verdamm' mich, das möcht' ich wirklich wissen!" „Mein lieber Mann", nahm der Skipper wieder das Wort, „es scheint Ihnen nicht zu behagen, daß Sie hier Dienst tun sollen. Der Versuch, ein Fahrzeug zu retten, ist doch nichts Unvernünftiges. Der Herr wirft uns zu weilen die Masten über Bord, nur um uns zu prüfen. Wir dürfen doch unsere Pflicht nicht versäumen, bloß weil es dabei Drangsale zu erdulden gibt. Wenn Sic mir Ihr Wort geben, Ihren Teil der Arbeit redlich zu verrichten, so will ich Ihnen auf der Stelle die Eisen abnehmen, und außerdem sollen Sie mein erster Offizier sein. Wir sind dann zusammen fünf tüchtige Kerle und wohl im stände, das Schiff zum Kap zu segeln". „So was ist mir denn doch noch nicht vorgekommen", sagte Andrews, kein Auge von Sackett verwendend. „Aber meinetwgen. Ich gebe Ihnen mein Wort; nehmen Sie mir diese Eisen ab, dann trete ich meinen Dienst an. Aber sagen Sie mal — nennen Sic mir doch ein Wunder, das Sie in Ihrer Bibel gelesen haben. Ich möchte einen Vergleich ziehen." Er grunzte und lachte, dann fuhr er fort: „Es heißt, bei schlechtem Wetter ist jeder Hafen gut, so auch jedes Schiff bei Windstille. Also abgemacht, Kapitän; ich bin Ihr Steuermann, und wenn nicht alles schief geht, dann segle ich mit Ihnen schnurstraks in den Himmel hin ein. Also hier — fort mit den Eisen!" „Das soll gleich getan sein", sagte Sackett. ,Hch ersuche Sie", wendete er sich an mich, „Ihrem Mann die Hand schellen abnchmen zu lassen." Ich beauftragte Tschips damit und folgte dann Fräulein Sackett und Mr. Bell in die Kajüte, um die Sachen auszu suchen, die mit an Bord des „Pirat" genommen werden follten. „Es ist wirklich traurig, daß Papa sich nicht erbitten läßt", klagte das junge Mädchen. Ich versuchte sie zu beruhigen. „Die Gefahr für ihn ist nicht so groß, wie es den An schein hat", fagte ich. „Mit all dem Oel und dem Holz im Raum kann das Schiff kaum wegsacken. Es ist vielmehr sehr wahrscheinlich, daß er glücklich binnen kommt und fo viele tausend Dollars rettet. Vielleicht findet der Zimmer mann auch das Leck und kann es dicht machen. Wenn der Kasten dann ausgepumpt wird, ist er so sicher wie ein Haus." „Ich kann mich zu dieser Zuversicht nicht aufraffen", antwortete sic. „Mir ahnt, daß Papa in den Tod geht, wenn er hier bleibt, und wenn Mama erfährt, daß er auf seinem Willen besteht, dann kommt sie ganz sicher wieder hierher zurück. Hier diesen Koffer nehmen wir mit. Auch die Kiste dort unter der Koje. Die Kleider werde ich alle zu einem Bündel zusammentun. Mein Gott! Ich höre das Wasser hier unter den Decksplanken plätschern! Es ist doch schrecklich, daß Menschen hier an Bord bleiben sollen!" Der Steward, ein sehr gewitzigt aussehender junger Mann mit braunem Schnurrbart, half uns, die Sachen an Deck zu schaffen. Während wir unter Deck beschäftigt waren, befreite Tschips Andrews von den Handcifen und inachte dann den Versuch, das Leck auszufinden. Der Schiffsraum war jedoch so hoch mit Wasser angcfüllt, daß er die Sache bald aufgeben mußte. Man gewann die Uebcrzcugung, daß nur eine Untersuchung des Schiffs bodens von außen zum Ziel führen könne. Inzwischen hatte Kapitän Sackett sein Besteck ausge rechnet und dadurch die Entfernung des „Sovereign" von Kapstadt auf etwa sechshundert Seemeilen festgestellt. Der kleine Mann war ganz von Dank für unsere Hülfeleistung erfüllt und bemühte sich, seinen Gefühlen den beredtesten Ausdruck zu geben, während die Koffer und Asten in mein Boot gestaut wurden, was in wenigen Minuten bewerk stelligt war. Da das Boot des „Sovereign" zur Sicherheit der auf dem Wrack Bleibenden zurückgelassen werden sollte, so mußten sich alle für den „Pirat" bestimmten Leute in mein Boot begeben. Fräulein Sackett nahm herzbrechen den Abschied von ihrem Vater und setzte sich dann im Achterteil neben mich. Wir stießen ab; bald lag das halb versunkene Fahrzeug weit hinter uns. Jenks, der alte Matrose, saß in meiner Nähe. Er drehte den Kopf eine Weile nach allen Seiten, dann deutete er plötzlich achteraus. „Sehen Sie doch, Steuermann", sagte er dabei, «was ist das?" Ich sah mich um. Der Nebel im Süden hatte sich zu einer weißen Bank verdichtet, die nach und nach herangc- rollt mar und jetzt vor meinen Augen den kaum zwei Kabellängen von uns entfernten „Sovereign" verschlang und völlig unsichtbar machte. In langen, weißen, wallen den Wolken kroch die Dunstmasse nun auch zu uns heran; im Nu hatte sie uns umhüllt, der „Pirat" entschwand unfern Blicken, wir lagen wie von einer weißen Mauer umgeben. Zugleich glaubten wir zu bemerken, daß die bis herige lange Dünung von einer zweiten gekreuzt würde, und dazu wehte uns auch plötzlich eine leichte Brise ins Gesicht. Ich ließ die Frage des alten Matrosen unbeantwortet, bemühte mich aber, den Bug des Bootes der schwerer rollenden See entgegen und das Kielwasser in möglichst schnurgerader Linie zu halten. Ich hatte keinen Kompaß; es war daher eine schwierige Aufgabe, in diesem undurch dringlichen Nebel ein drei Meilen von uns entferntes Schiff zu finden. ElftesKapitel. Eine lange Zeit redete keiner ein Wort; der Nebel schien sich wie ein Leichentuch auf die Gemüter der Bootsinsassen gelegt zu haben. Das Plätschern der Reemen und das Gurgeln des Wassers am Steven waren die einzigen Laute, die ins Ohr drangen. Nach Ablauf einer halben Stunde stand ich auf und ließ aus aller Kraft «inen lauten Ruf erschallen, in der Annahme, daß wir dem „Pirat" jetzt aus ungefähr eine halbe Meile nahegekommcn wären, mein Anruf somit an Bord vernommen werden müßte. Es war unheimlich, zu hören, wie dünn und schwach mein Schrei in diesem Nebel verhallte. Jim sah mich ganz scheu und seltsam an, als spür« er eine Gefahr in der Luft. Eine Stunde mochte vergangen sein, vielleicht auch mehr. Den Gesichtern der Leute war jetzt deutlich Besorg nis und Angst anzusehen. Philippi, der Portugiese, kaute in nervöser Erregung an seinem nebelfcuchten Schnurrbart nnd sein dunkler Blick wanderte rastlos bald voraus und bald nach hinten. Jenks, dessen lederartiges Gesicht vom Nebel ganz grau geworden war, starrte unausgesetzt nach vorn, bemüht, durch angestrengtestes Horchen die Nähe deS Schiffes zu erlauschen. Ich legte beide Hände an den Mund und schrie noch einmal so laut ich konnte. Keine Antwort. Der Schall meiner Stimme war klanglos und stumpf und schien nur auf eine ganz kurze Strecke den Nebel zu durchdringen. Jetzt erkannte ich, daß unsere Lage gefährlich war; ich befahl, das Rojen einzustellen. Die Stille rings um uns war bedrückend. Wir saßen und rührten uns nicht und horchten mit größter Aufmerk samkeit nach allen Richtungen, ob nicht vielleicht irgend ein Laut die Nähe des einen oder des andern der Schiffe verriete. Die Brise trieb uns den Nebel in feuchtkalten Strömen ins Gesicht; ich sagte mir, daß der „Pirat" unter ihrem Einflüsse nicht mehr auf derselben Stelle liegen bleiben könnte. Wir waren vorher in der Richtung der Schwell gelaufen; jetzt hatte sich, wie bereits erwähnt, eine Bewegung in der See aufgemacht, die die erstere fast recht- winklig kreuzte; also auch nach der Dünung konnte ich mich nicht mehr richten. „Wir müssen an dem „Pirat" schon vorbeigelaufen fein", bemerkte Tschips. Noch einmal ließ ich meinen Ruf ertönen; als widerum jede Antwort ausblicb, da ließ ich das Boot wenden, in der Hoffnung, wenigstens jetzt in die Nähe des Schiffes zu gelangen, wenn wir es vorher hinter unS gelassen haben sollten. Die Ordre war, langsam und leise zu rojen un scharf zn horchen. „Das ist aber höchst widerwärtig", nahm Fräulein Sackett endlich das Wort. „Wer weiß, wie lange wir unS hier noch Herumtreiben müssen, und ich bin jetzt schon hungrig wie ein Bär. Sie hätten auch dafür sorgen können, daß ich Frühstück erhielt, ehe wir den „Pirat" ver ließen." Die letzten Worte waren an Mr. Bell gerichtet. Der machte ein dummes Gesicht. „Da achter unter Ihrem Litz liegt ein Fäßchen mit Wasser", entgegnete er bedrückt. Die junge Dame aber zuckte stumm die Achseln und warf schmollend die Lippen auf. Nach einiger Zeit ließ ich das Boot wieder stoppen und sandte aufs neue einen Ruf über die See. Wir lauschten. Nichts mar vernehmbar, als ein leise zischendes Rauschen, das von der sich mehr und mehr erhebenden Flut ausging. Plötzlich hörten wir das Anschlägen einer Schisfsglocke. Es kam von steuerbord her, aus der Ferne.
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