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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020712021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902071202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902071202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-12
- Monat1902-07
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Nrrzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile Lk Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennuch- richten (6 gespalten) öO Dabellarischer und Ziffernsay entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahine Lö (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60,—, mit Postbesärderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Ahr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 98. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. Juli. Bei der Eröffnung der Aachener HctltgthumSfahrt, die am Mittwoch Nachmittag im Aachener Münster vor einer nach Tausenden zählenden Menge stattfand, hielt Weih- bischofvr. Fischer eine Ansprache, die auch des politischen Interesses nicht entbehrt und imZusammenhang mit derAachener Kaiserreve, sowie den Bonner Erklärungen des Generalobersten v. Loö, und den daran geknüpften Erörterungen Beachtung verdient. Der Weihbischof sagte nämlich u. A., nachdem er gegen den umsichgreifenden Naturalismus und Unglauben aus getreten, gegen den Schluß Folgendes: Jüngst hat unser herrlicher Kaiser bei seiner Anwesenheit in dieser alten Kaiserstadt in feierlicher Weise das Wort de» hl. Aposlelfürsten Petru» wiederholt: „Es ist in keinem andern Heil. Denn eS ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, in dem sie selig werden sollen, als der Name Jesu Christi, des menschgrwordenen Gottessohnes." Und bei der Gelegenheit stellte der Kaiser sich selbst, sein Haus, sein Heer und sein Volk unter den Schuh des Kreuzes. Ein Wort und eine That würdig des Herrschers, von dem kein Geringerer als der hl. Vater Leo XIII. mir bei Gelegenheit einer Privataudienz vor anderthalb Jahren voll Ve- Wanderung sagte, er trage etwas vom Geiste Karls des Großen in sich. Dieses apostolische Wort von des Kaisers Majestät bet denkwürdigem Anlaß wiederholt, scheint mir auch die Signatur der Aachener Hriligthumsfahrt zu sein. „ES ist nur Heil in Christo dem Herrn": das ist eine tiesere Bedeutung. Möge es auch so mit der diesjährigen Heiligthumsfahrt sein! Diesen Schluß haben wir als den ernsthafteren Theil der weihbischöflichen Rede vorweg genommen. Man wird doch nach und nach zu der bösen Vermuthung gedrängt, daß die nltramontanen frommen Wünsche und Absichten in Bezug auf den Träger der deutschen Kaiserkrone schon nicht mehr mit dem Ausdruck Velleitäten abzuthun sind. Sie sind weder kraftlos noch haltlos und überdies konsequent. Daß sie bei uns zu Lande nicht in Kürassierstiefeln (um mit weiland vr. Lieber zu reden) einhergehen, wie das plumperweise kürz lich die Brixener „Tiroler Stimmen" thaten, nimmt ihnen nichts von ihrer Gefährlichkeit — im Gegentheil. — Und nun noch etwas weniger Ernste»: Ueder die „Echtheit" der Aachener Heiligthümer sagte der Bischof: In dieser Kundgebung des Glaubens an die Gott- heit Christi sehe ich die tiesere Bedeutung dieser Feier. In der That, um was handelt es sich? Ein, wohlfeile, sich gern in den Mantel der Wissenschaft hüllende, von wahrer Wissenschaft sehr wenig berührte Kritik spricht in verächtlichen Ausdrücken von der „Unechtheit" der hl. Reliquien, namentlich der großen Heiligthümer. Es ist hier nicht der Ort, des Näheren darauf einzugehen. Das ist zu wiederholten Malen in wissenschaftlichen Werken geschehen, die Jedem zugänglich sind. Die Echtheit der Aachener Heiligthümer ist kein Glaubens artikel. Wer sie nicht annehmen will, der bleibt ein katholischer Christ, wenn er nur Alles glaubt, wa» die Kirche lehrt. Tie Kirche lehrt aber nicht, daß dir Aachener Heiligthümer echt sind. Ja, wir wollen des Weiteren zugcben, daß die Echtheit dieser Heiligthümer — ich rede von den sogenannten großen Heiligthümern — nicht dlrect, weder Lurch iiinere, noch durch äußere Gründe, in evidenter Weise erwiesen werden kann. Allein ebenso wenig konnte bis jetzt der Beweis der Unechtheit geführt werden. Nun aber ist die Aachener Krönung»kirche seit mehr denn 1000 Jahren im Besitz der Heiligthümer. Seit mehr denn 1000 Jahren sind sie als diese hl. Reliquien von einem Geschlecht nach dem andern verehrt worden. Wer den tausendjährigen Besitzstand an zweifelt und die Echtheit leugnet, muß deu Beweis der Un echtheit führen. So lange daS nicht geschieht, und in zwingen- der Weise geschieht — es wird schwerlich jemals geschehen können — sind wir nach allen Regeln einer gesunden Kritik befugt, an dem sestzuhalten, was unsere Vorfahren uns überliefert haben, und ist und bleibt die kirchliche Verehrung dieser Heilig thümer vor dem Forum des vernünftigen Denkens eine berechtigte. Denn um was handelt es sich bei dieser Verehrung? Sie bezieht sich nicht aus den Stoff als solchen; sie bezieht sich auf Diejenigen, denen diese Stoffe gedient haben, ausChristumden Herrn, auf seine heilige Mutier, auf seinen heiligen Vorläufer, Johannes den Täufer. Ge setzt selbst, die Stoffe, die wir in gutem Glauben als echt betrachten, wären in Wirklichkeit unecht, was verschlägt es für die Ver ehrung? Für diese sind sie doch nur das sicht- und greifbare Mittel, um zn Denen zu gelangen, Denen sie einstens angchört haben, und die Verehrung wäre, trotz des unverschuldeten und unbeabsichtigten Jrrthums, der sich auf die sichtbare Ver anlassung und Vermittelung bezieht, eine echte zu nennen. Habe ich darum nicht Recht, zu sagen: diese Heiligthümer sind eine Kundgebung des Glaubens an Christum den Herrn und an die Geheimnisse seiner Menschenwerdung und Er lösung? Wir schauen mit den körperlichen Augen die Windeln LeS Christuskindes und das Lendentuch Les sterbenden Erlösers, Las Kleid seiner hl. Mutter, Las Tuch, in das der Leichnam des hl. Johannes des Täufers gehüllt worden ist. Wir schauen sie an mit tiefer Ergriffenheit, weil wir bei ihrem Anblick an Denjenigen denken, an den wir glauben und den wir über Alles lieben, Christum den Herrn. ES fällt uns nicht ein, über die groteske Anschauung, die Zweifler hätten den Beweis der Unechtheit zu führen, ernsthaft zu schreiben oder gar in diesem Zusammenhänge den gewünschten Beweis anzutreten. „Und wer'S nicht glaubt, bezahlt einen Thaler." Wir glauben's zwar nicht, aber den Thaler wollen wir auch nicht bezahlen. Dagegen wollen wir uns Eins merken: „Die Echtheit der Heiligthümer ist kein Glaubensartikel." Vertreter der socialdemokratischen, protestantisch-conserva- tiven und katholisch-conservativen Minderheitsparteien in der Schwei; haben in einer Zusammenkunft beschlossen, das Re ferendum gegen das von der Bundesversammlung in der Junitagung sertiggestellte Bundesgesetz über eine neue Ein- theilung der Wahlkreise für den Nationalrath zu ergreifen und sofort mit der Sammlung der 30 000 Unter schriften zu beginnen, die erforderlich sind, um die Volksabstim mung herbeizusühren. Das so angefochtene Gesetz war nötbig geworden, weil die Volkszählung vom 1. December 1900 einen Zuwachs der Wohnbevölkerung von nabezu 400 000 Ein wohnern seit der vorhergehenden Zählung (1888) ergeben bat, die eine Vermehrung der Nationalrathswahlkreise zur Folge batte. Zugleich brachte die vom BundeSrath vorgeschlagene Durchsicht des bestehenden Wahlkreisgesetzcs einige Aende- rungen der bisherigen KreiSeintheilung zn dem Zweck, den Wünschen einzelner Cantone entgegen zu kommen. Die von den eidgenössischen Rathen angenommene Gesetzesnovelle befriedigt nun die Minderheitsparteien nicht überall, daher die erwähnte Referendumsbewegung. Sowohl demokratische wie konservative Blätter zeigen sich zurückhaltend, weil ihnen der Erfolg dieser Bewegung als sebr zweifelhaft erscheint, und die freisinnige Mehrheit des Volkes dürfte in der That kaum für die Verwerfung des Gesetzes, nach welchem bereits die nächsten allgemeinen Wahlen im Oktober vorzunehmen sind, zu haben sein. Der größere Theil der Presse hat sich über die Frage noch nicht ausgesprochen. Andererseits wird von socialdemokratischer Seite, damit doch wieder „etwas gehe", eine Action zur Einführung der Gesetzesinitiative auf eid genössischem Boden vorbereitet. Die erwähnte Forderung würde dahin gehen, daß ein neuer Artikel in die Verfassung aufzunebmen wäre, der 30 000 stimmfähige Bürger berechtigt, die Abände rung oder die Aufhebung eines bestehenden Bundesgesetzes oder Bundesbeschlusses oder den Erlaß eines Gesetzes über eine bestimmte Materie zu verlangen. DaS „Vaterland", Hauptorgan der Katholiken, zweifelt daran, ob das Bedürfnis nach einer solchen Erweiterung der Volksrechte stark empfunden werde, nachdem das bestehende Recht der Verfassungsinilialive bis jetzt so wenige positive Ergebnisse zu Tage gefördert habe; mau verdanke der letzteren einzig daS Schächtverbot und mit dieser zweifelhaften Frucht dürfe man nicht einmal stark groß thun. Es wird immer klarer, daß die Eingeborenen frage in Afrika sich gefährlich zuspitzt. Zum Theil trägt die Schuld an dem vollständig veränderten Be nehmen der Eingeborenen gegen die Weißen der Krieg, zum Theil aber auch die sogenannte äthiopische Mission. In einem neuen Bericht aus Pietermaritz burg schreibt der mit südafrikanische» Verhältnissen durchaus vertraute Neuter'sche Berichterstatter: „Ich habe bereits früher darauf aufmerksam gemacht, daß in der sogenannten amerikanischen äthiopischen Mission eine ernste Gefahr verborgen liegt. Tie furchtbaren Folgen, die aus dem Rufe „Afrika für die Afrikander" uud aus der gefährlichen Lcctüre des Alten Testamentes er wuchsen, sind frisch in unserer Erinnerung. Dieselben Vorbereitungen für eine ncnc Gefahr wiederholen sich heute in einem Umfange, von dem sich die Stadtbewohner nichts träumen lassen. Die Bewohner der Städte ver stehen nämlich gar nicht vder nur iu geringem Maße den Gedankengang der Eingeborenen, und sie werden deshalb den kommenden Ereignissen ebenso überrascht gegenüber stehen, wie dem Krüger'schen Ultimatum. Die neue, auf Umsturz bcrcckinete Mission ist erst seit wenig mehr als zwölf Monaten in Thätigkeit getreten. Gleichwohl ist sie unter den Eingeborenen bereits weit verzweigt, und ihr Erfolg ist für Diejenigen, die den Eingeborenen genau kennen, nur zn deutlich. Der Ruf heißt diesmal „Afrika für die Eingeborenen", und Tausende zahlen bereits ihre regelmäßigen Beiträge von 0 P., „um das Joch des weißen Mannes abznschüttcln". Wenn man fragt, was sie unter dem „Joch" verstehen, dann citiren die Leute Sätze aus dem Alten Testament. Die eingeborenen Missionare nennen diese Bewegung „die unab hängige Eingeborenenkirche von Süd afrika". Sie setzen ihre eigenen Bischöfe und Geist lichen ein. Die Bewegung hat für die Eingeborenen etwas so Fesselndes und ist so gefährlich, weil sic alle Ein geborenen zu einem gemeinsamen Zweck unter dem Deck mantel der Religion zu vereinigen versteht. Ein solcher einigender Gedanke fehlte bisher, weil die Eingeborenen unter sich in zahllose Stämme getheilt waren. Darin lag unsere große Sicherheit. Es ist Pflicht der südafrika nischen Regierung, sofortige Schritte zu thun, um die Be wegung zum Stillstand zu bringen, bevor diese ganz Süd afrika in Unruhen stürzt, deren Schrecken zu furchtbar sind, als baß man versuchen möchte, sie sich auszumalcn. In Wirklichkeit kann augenblicklich nichts dagegen ge schehen, da die Colonien innerhalb der Grenzen, die ihrer sogenannten Selbstregierung gezogen sind, nicht die nöthige Freiheit besitzen, für ihre wilde Bevölkerung be sondere Gesetze einzuführen. Eine solche Gesetzgebung würde nämlich eine Classengesetzgebung sein, die ihnen iu ihrer Verfassungsurkunde ausdrücklich verboten ist. Daß man in der örtlichen Presse noch nicht mehr von der Be wcgung gehört hat, kann nur dem Umstande zugeschrieben werden, daß die meisten Zettungsleute aus dem Ver einigten Königreiche kommen, die Eingeborenen nicht kennen und über die gewaltigen Fortschritte der Be wegung sich nicht im Klaren sind. Farmer, die die Sachen verstehen, schreiben selten an Zeitungen. Vor einem Jahre erhob eine einflußreiche Zeitung den Warn ruf, aber seitdem schwieg die Presse vollständig über die Bewegung, obgleich sie geradezu erstaunliche Fortschritte macht." Deutsches Reich. H Berlin, 11. Juli. Der Bunbesrath wird sich im Herbste, wie schon recht häufig, mit der Berathung unv Beschlußfassung über Ausführungsanweisungen zu Ge setzen befassen, welche in der vorhcrgcgangenen Tagung des Reichstages zu Stande gekommen sind. Bon den wichtigeren kommt zunächst das Branntwein- steuergesetz dabei in Betracht. Nach -er Neugestal tung, welche dieses Gesetz im Reichstage erfahren hat, und die der Zustimmung im Bundesrathe sicher sein dürfte, werden an den bisherigen Ausftthrungsvorschriften die verschiedensten Aenderungen vorgenommen werden müssen. Auf diesem Gebiete wirkt aber nicht bloS die Branntweinsteucrnovelle als treibende Kraft, auch die Er richtung einer neuen technischen Abtheilung im Reichs- schayamte, welcher, wie wir schon früher gemeldet haben, die Befugnisse des Neichsgesuudheitsamtes und der Nor- rnalaichungscvmmifsiou übertragen sind, nkacht Abände rungen und Ergänzungen dieser Ausfüyrungsbcstim- mungen nöthig. Des Weiteren wird sich der Bundesrath auch mit Ausführuugsvorschriften zu der Seemanns- ordnung zu befassen haben. Dieses Gesetz tritt be kanntlich am 1. April 1903 in Kraft. Inzwischen muß der Bundcsrath noch die verschiedensten Anordnungen er lassen haben, so über Zahl und Art der Schiffsofficiere, mit denen die Schiffe zu besetzen sind, sowie über den Grad des Befähigungszeugnisses, die der Capitän und die Schiffs- offikierc besitzen müssen, über die Anmusterung von Lchifssleuten, über die Einrichtung des Seefahrtbuches u. s. w. Auch das Süßstoffgesetz wird den Bundes rath noch zu beschäftigen haben, so bei den Anordnungen über Herstellung nnd Einfuhr von Süßstoffen, über Preis bestimmung, Entschädigungsgewährung u. s. w. Alle diese und andere Verwaltungsmaßnahmen sind in Vorbereitung begriffen. Die Arbeiten an denselben erfordern neben großer Mühe auch eine gewisse Zeit. Der Vundesrath wird sich voraussichtlich erst im Herbste mit den Ergebnissen der Vorbereitungen befassen können, jedenfalls aber so frühzeitig, daß dis Durchführung der betreffenden Gesetze zu den in ihnen in Aussicht genommenen Zeitpunkten sich glatt wird vollziehen lassen. * Berlin, 11. Juli. (Sociale Gesetzgebung und Alkobolismus.) Die Frage, inwieweit die ReichS-Ver- sicherungSgefttze zur Bekämpfung des AlkobolismuS fruchtbar gemacht werden könnten bezw. schon fruchtbar gemacht wurden, bebandelt eine lesenSwerthe Abhandlung von Dr. mess. Flade, die in dem kürzlich erschienenen 2. Heft des „AlkoboliS- Feuilleton. Susanns. 18j Roman von B. Herwi. NaKtnick verbeten. Dem feinfühlenden Fürst Nicolai merkte man ebenso die innere Bewegung an. Aber der Kunstfreund regte sich nicht minder in ihm. „Für wen haben Sie das rührend schone Gemälde be stimmt?" fragte er endlich Snsanna, nachdem er sich gar nicht davon trennen gekonnt. „Der bekommt cs", antwortete die Malerin mit auf leuchtenden Angen, der unsere Grita einst hctmführt. So lange bleibt es in Alserischke», nicht wahr, Achim ?" „So soll es sein", bestätigte dieser, seine zufriedenen Blicke von Einem znm Andern gleiten lassend. „Da wirds am Ende wohl den Ehrenplatz in Alserischken behalten", scherzte Grita, aber cS klang etwas gesucht, „und Eure Kinder und Kinbeskindcr werden sich noch vor der Wolkentante fürchten." Sie war glühend roth dabei geworden, auch Woronsow hatte sich, wie in Verlegenheit, abgcwcndet. Susann« umfing die Schwägerin und flüsterte ihr leise, fast schelmisch ins Ohr: „Dulde, gednlde Dich fein, über ein Stündlein ist auch Deine Kammer voll Sonne." — Liebe Briefe waren ans der Heimath gekommen, von den Eltern, den Zwillingen, namentlich Rosa, im Gefühl ihres jungen Liebesglücks, schrieb überaus innig. „Meine liebe Tochter", stand in Eberhard s Brief, „ich heiße Dich zum zweiten Male in unserem Fanrilicnkreise willkommen und preise das seltsame Walten der Bor- schung, die Dich dennoch den Play etnnehmen läßt, der Dir längst zugedacht war. Mit tiefer Rührung hörte ich von Deinem charakter vollen Streben und Deinen großen Erfolgen, ich bin aber ein alter Principienmensch und meine — das Geld, daS Du im fremden Lande verdient hast, mußt Du auch dort wieder ausgeben. Durchwandere denn mit Grita die prächtigen Pariser Läden nnd kaufe Dir eine schmucke Aussteuer zusammen. Mama findet dies sehr wichtig, be sonders wegen der Modelle für die junge Braut daheim. So sende ich Dir die erhaltene Summe zurück und schreibe die Rückerstattung dieses Geldes auf die Stelle meines Herzens, tu der für meine Kinder, zu denen Du gehörst, ein großes „Haben" steht. Das „Soll" der künftigen Frau Achim von Lessen werde ich mir schon nach und nach cincassiren. Nun vergeßt mir nicht, die verehrte Madame Renard herzlich zu grüßen, es versteht sich von selbst, daß sie zur Hochzeit kommt, ich habe gar zu große Lust, auf meine alten Tage das bischen Französisch aufznfrischen und dem lieben Dämchen die Honneurs von Rapsau zu machen." Was der alte Herr geboten, geschah. Grita und Susann«, vielfach von den Herren begleitet, durch wanderten die Magazine, wählten und kauften viel Schönes, das dann bald nach Ostpreußen gesandt wurde. Auch die Gobelin-Fabriken und die großen Porzellan- Manufactnren wurden besucht, nnd war es namentlich Woronsow, der dort bedeutende Einkäufe machte. Dann war er auf kurze Zett nach dem Süden gefahren, hatte viel stille Grüße dorthin mitgenommen, »nd bald nach seiner Heimkehr sollte auch das herrliche Stillleben in Neuilly aushören, es mußte nun ernstlich an die gemein same Rückreise gedacht werden. Es kam der Tag heran, an dem Abschied genommen werden mußte, Abschied von der kleinen, zitternden Berthe, die sich nicht entschließen konnte, ihr einsames Logis in der Rue Montmartre, ihre Cartons mit den Blumen, das Grab ihres seligen Renard, zu verlassen. „Glaubt'S mir nur, meine Thcuren, ich wiirdc da oben bet Euch erfrieren, ich komme zum Frühling, wenn Ihr mich haben wollt, auch muß ich jetzt den Brautkranz für meinen Engel machen, die feinsten Orangenblüthen vom wcißesten Wachs. . / Grita wollte energisch für die deutsche Myrte ein treten, aber Susann« flüsterte ihr zu: „Gönne ihr nur die Freude, mit unseren kleinen, grünen Blättchen wüßte sie nichts anzufangen." „Also bann, ma petite mamurr, es bleibt bei den Orangen." Viele aufrichtige Thronen wurden beim Adieusagen geweint. Madame Berthe und Claudine, die reich Beschenkte, waren mit zum Nordbahnhof gekommen, noch lange standen Beide, als der dampfende Zug längst den Blicken entschwunden war, nnd schauten weinend nach. Dann be- stiegen sie den ihrer wartenden Wagen. Die kleine, treue Berthe fuhr direkt hinan- nach dem Pdre la Chaise, so lange hatte Ne ihren Renard nicht be sucht, heute mußte sie ihm erzählen von aü' dem Er lebten, von ihrem Kummer, ihrer Freude, und wie man sic geliebt und geehrt hatte. Dann ging sie wieder an die Arbeit. Fünftes Capitel. Je näher die Reisenden der deutschen Residenz kamen, um so stiller im Wesen und doch so erregter im Herzen wurde Snsanna. Jeder begriff, was in ihr vorging, und suchte sie durch verdoppelte Rücksichten zu beruhigen. Die Vergangenheit mit ihren Erinnerungen, die Furcht, mit dem Stiefvater zusammenzutreffen, die nahe liegende Möglichkeit, Ungünstiges, Eompromittirendes zu hören, all' dies wirkte quälend aus ihr Gemüth. Anfangs hatte sie wohl öfter gelesen, daß er hier und dort, an mehr oder minder großen Bühnen, cngagirt gewesen, in der letzten Zeit hatte sic nichts mehr gehört. Achim und Fürst Nicolai hatten längst beschlossen, sich sofort nach ihrer Ankunft mit Bärenholm in Verbindung zu setzen. Von ihm hofften sie alles Wissenswerthe zu er fahren und er sollte ihnen eventuell als Vermittler dienen. Es war somit der erste Gang der beiden Herren, den Schriftsteller aufzusuchen, während Grita und Susann« sich in einem der modernen Hotel-Palüste am Potsdamer Platz nach der Netse erholten. Sic standen eng umschlungen am Fenster und schauten auf das Panorama hinab, das sich vor ihren Blicken ent wickelte. Die Vegetation hatte schon weit herbstlicheren Charakter angenommen, als in Parts. Die Kastanien bäume zeigten bereits viele gelbe Blätter, und wenn hier und da ein Windstoß durch die Zweige fuhr, lösten sic sich immer mehr und mehr, so daß bald der Fuß der Pas santen im welken Laube raschelte. Wer hatte Zeit, darauf zu achten! Das drängte und eilte und wogte und flnthete zu Fuß, zu Wagen, auf rasselnden Omnibussen, auf dahtnjagenden Bahnen, hinein in die Stadt, den Geschäften und Besorgungen nach, und hinaus in den Park, nm die kühle Herbstluft recht zu ge nießen, Besuche zu machen, Verabredungen zu treffen. Einheimische in rastlosem Tempo dcS steten Laufens, Fremde tn behaglicher Gemüthlichkeit dcS AnschaucnS, da zwischen die Blumenvcrkäuferinnen mit ihren großen, grünlichen Weidenkörbcn, noch Immer, trotz der vorge rückten Jahreszeit, die langstieligen, prachtvollen Rosen, Herbstblumen aller Art anblctcnd, Ktnderwärterinnen tn der Spreewälder Tracht, ihre Schutzbefohlenen in den Thiergarten führend, nun ein Hofwagen, dessen Insassen ehrfurchtsvoll begrüßt werden, denn dazu hat selbst der eiligste Berliner noch Zeit — und endlich von der Künig- grätzer Straße heraufkommcnd ein Trupp Militär, bei deu Klängen eines fröhlichen Svldatenmarsches im Tact ein- hermarschircnd, angeführt und begleitet von vielen halb wüchsigen Knaben, von lustigen Bummlern, deren zu frieden lächelnde Physiognomie deutlich deu Genuß zeigte, den dieses unentgeltliche Cvncert ihnen gewährte. „Mein Berlin!" flüsterte Snsanna, fast gerührt beim Anblick des Treibens, „mein altes, liebes, schönes Berlin ... Denkst Du noch, Grita, an jenen Frühlingsvormittag, als wir aus des Meisters Atelier kamen und gerade hier entlang gingen, ich, so glückerfüllt über das Gelingen meines Bildes, Du, voll rührender Freundschaft, unser Rendez-vvns nachher mit den Herren, und Abends der schreckliche Schluß. Mir ists, als wären zehn Jahre seit dem vergangen, als seien dies Begebenheiten aus meiner frühesten Jugendzeit . . . auch Achim ist so verändert seitdem, so ernst geworden, oft gedankenvoll, manches silberne Haar hat sich schon in sein schönes, blondes Haupt verirrt." „Beklage ihn nicht, Snschen", verwies die Freundin ernst. „Wer weih, ob er damals reif genug für ein hohes, reineS Menschcnglück, für Erfüllung großer Pflichten war. Jetzt hat er sich seinen Pfad selbst vorgczcichnct, jetzt wird er das schwer Errungene zu halte« wissen. Wenn ich denke, wie gräßlich jene Selma an ihm gehandelt hat, und doch, ihr Temperament war ihr Schicksal. Gut, daß es in jungen Jahren zum Ausbruch kam, da heilen die Wunden noch besser." „Du hast von ihr gehört?" Snsanna sragte cS zagend. „Allerdings, ich habe absichtlich früher nicht mit Dir davon gesprochen. Fürst Nicolai hat sie in Mailand ge troffen. Dort bereitet sie sich zur Kunstreiterin vor, und war ganz in ihrem Element. Du mußt übrigens nicht glauben, daß ich deshalb schlecht von ihr denke, wenn sie meint, ihren Ileberschuß an Kraft und Muth und Energie, ja selbst von phantastischer Lebensauffassung, derartig anwenden zn wollen, und wenn sie die Absicht hat, zur Er reichung dieses Zieles ernsthaft sich zu mühen und zu arbeiten, so will ich das sogar anerkennen. Ob sie voll auf Befriedigung findet, ist bei ihrem unsteten Weien offene Frage, hoffentlich kreuzen sich unsere Wege nicht." Der Kellner klopfte an die Thür und bracht« -en B«r»
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