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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020716027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902071602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902071602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-16
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Gewitz wird es nöthig sein, bei der Veranschlagung der entsprechenden Einnahmen aus diese Aendcrungen Rücksicht zu nehmen, da jedoch auch in Zukunft bei der Schätzung der voraus sichtlichen Einnahmen für die Etatöaufstellung nach den altbewährten Grundsätzen verfahren werden wird, so wird zwar die Schätzung für 1008 etwas mehr Zeit erfordern, aber zu einer Verzögerung der Etatsvorlegung nicht führen. Die Verhältnisse bei der Zuckcrstencr liegen so klar, daß keinen Augenblick ein Zweifel über die Be rechnung des künftigen voraussichtlichen Ertrages bestehen kann, und wenn bei der Branutweinbesteuerung die Nenerungen nicht ebenso einfach liegen, so sind sie doch durchaus zu übersehen, ihre Wirkungen also auch zu schätzen. Weit weniger sicher wird sich der Ertrag der neuen S ch au m w e i n st e u c r schätzen lassen, weil hier praktische Erfahrungen nicht vorliegen. Eine Einnahme auS dieser Steuer wird im Neichshaushaltscntwurf für 1003 zum ersten Male erscheinen. Die Summe, die hier in Betracht kommt, ist aber verhältnisimäsiig so gering fügig, datz aus einer der faktischen Grundlagen entbehren den Schätzung ans diesem Gebiete für den ganzen Etat wesentliche Nachtheile nicht zu befürchten sind. Man schreibt uns: Die „Krcuzztg." erwirbt sich ein Verdienst dadurch, dasi sie trotz ihrer Stellung zum Officiercorps nicht Bedenken trügt, ihre Spalten kompe tenten Urtheileu über den Luxus im deutschen Osficier- corps zu öffnen. Wie erinnerlich, hat V a r o n B i n d e r, Berichterstatter der „Krcuzztg." in Ostasien, nachdrücklich hervorgchvbcn, um wie viel einfacher die Lebensweise der französischen Offiiere in China war als die der deutschen. Dieses Urtheil füllt deswegen besonders ins Gewicht, weil der Berichterstatter als solcher in Wahrheit Hervorragendes geleistet hat und weil die Einfachheit im französischen Lager gefunden wurde. Jetzt lüsit sich ein rühmlichst bekannter Officier und Historiker, General major a. D. v. Lettow-Vorbeck, ganz in demselben Sinne vernehmen. Er schreibt nümlich in der „Krcuzztg." in einer Schilderung seiner Pariser Eindrücke n. A.: „Was die geringere Wohlhabenheit des französischen Officiercorps anbctrifft, so vermag ich darin keinen Nach theil zu erblicken, eher das Gegentheil, wenn ich den steigenden Luxus in nuferen Offieicrcasinvs und bei den sogenannten Ehrenansgaben, Liebes- und Abschieds mahlen, sowie Geschenken betrachte. Wie austerordentlich einfach waren vor unseren grossen Kriegen die Vcr- hültnissc bei den Linienregimentern. Auch in Oesterreich herrscht noch große Einfachheit. ..." — Solche Be obachtungen sollten von unseren maß gebenden Stellen nm so ernster beachtet werden, je feierlicher auch der Kaiser in seiner Aachener Rede die Pflicht, zur Einfachheit zurückzukehrcn, betont hat. Wie es scheint, beginnen jetzt neue Schwierig keiten in Südafrika. Daß die englische Regierung nicht Land genug besitzt, um eine englische Auswanderung nach Südafrika zu leiten, ist an anderer Stelle bereits mitgclheilt, auch von der Aufsässigkeit der Basutos ist schon Verschiedenes mitgclheilt worden. Nunmehr mucken auch die Boeren auf. Sie nehmen die National Scouts, die cnglünderfrcundlichen Boeren, die sich schon ergaben oder die gar mit den Engländern Hand in Hand gingen, aufs Korn. Sv wird ans Pretoria vom 14. Juli berichtet: Nach dem Gefühl der Erleichterung, das die Einstellung der Feindseligkeiten hcrvorgcrufen hat, macht sich jetzt überall eine Neaction bemerkbar. Die früheren National Scouts, die sich aus Boeren zusammcnsetzen, welche sich ergeben hatten, sind der Gegenstand bitterer Feindschaft seitens derVurgherS, welche bis zum Ende gekämpft haben. Einige dieser National Scouts sind sogar erschossen worden. Diese feindselige Gesinnung ist so stark, datz die Burghcrs grüne Ab zeichen tragen, um sich von den National Scouts, den Boeren, die während des Krieges den Treueid geschworen haben, zu unterscheiden. Die Boeren lassen in keiner Weise er kennen, datz sie ihre Nationalität verloren haben. Sic tragen ihre Abzeichen ganz offen. Viele Burghers erklären, sie seien durch falsche Darstellung der Bedingungen, die ungerechtfertigt seien, zur Uebergabc verleitet. In vielen Fällen werden die Führer von Burghcrs des Trcubruchs be schuldigt. In einem Falle hatten viele Boeren nach der An sprache ihres Führers sich ergeben, der dann sagte, er sei miß verstanden worden, er habe nicht zur Uebergabe gcrathen. In Transvaal sind die Schwierigkeiten größer als in der Oranje- colonie. Das kann für England eine Fülle von Aergernissen geben. Aber nicht nur von der Boerenseite schürt man die Unzufriedenheit. Auch die Arbeiter in den Minen, und nicht nur die Eingeborenen, deren Agitation jetzt in den Hintergrund getreten ist, machen sich ernstlich bemerkbar. Die Bewegung unter den weißen Arbeitern ist im W a ch s e n begriffen und wird unterstützt durch die Vereinigung der Bergarbeiter, welche vor Kurzem ge gründet worden ist, hauptsächlich zum Zweck, das Vor gehen der Capitalisten zu überwachen. Die Vereinigung will ferner den weißen Bergarbeitern die Vertretung im Parlament sichern und erstrevt eine Besserung in den Zuständen der Bergwerke bezüglich der Ventilation und Schutzvorrichtungen gegen Unfälle, sowie der Behandlung in Krankenhäusern nnd die Regelung der Lolmverhältnisse. Zur Nationalitätenfrage tritt nun auch die sociale Krage. Nachdem die wichtigste Vorlage des CabinctS Dänen? in Bulgarien, die Anleihe, mit einer ansehnlichen Mehrheit von 55 Stimmen die Sobranje glücklich passirt hat, sind außer dem Budget noch mehrere wichtige Gesetzentwürfe eingebracht worden. Die vvrnchmlichstcn sind: das Re - k r u t e n c o n t i n g e n t i r n n g s g e s e tz, die Erweite rung des Wchrgesetzes über die Dienstpflicht der moHa in e da nischen Bevölkerung in Bulgarien und endlich eine Vorlage über die Erwerbung der bulgarische n Staatsangehörigkeit. Das Gesammtbudget weist an Ausgaben 98 323 547, an Einnahmen 95 955 400 Fr. ans nnd gesteht daher einen Fehlbetrag von 2 368 147 Fr. für das Jahr 1902 ein. Das Kricgsbudgct ist mit 20 430 892 Fr. vorgesehen, enthält demnach die geringfügige Erhöhung von ungefähr 100 000 Fr. gegen das Vorjahr. Das Rc- krutencvnttngent ist in Bulgarien bisher unwandelbar durch das Wehrgcsetz selbst bestimmt worden. Jetzt lvird der Versuch gemacht, vorläufig auf drei Jahre die Ziffer der einzurcichenden Wehrpflichtigen auf parla mentarischem Wege zu bestimmen. Das Wehrgesetz spricht von einem Procent der Bevölkerung als Friedensstärke des Heeres bei der Fahne. Dieses Mast ist längst über- schrttten worden. Die durch bas neue Gesetz vorgesehene Friedensziffer ist auf 40 000 bestimmt, was gegen die bis herige Zahl von 45—46 000 einer kleinen Herabsetzung des Fricdcnsstandes glcichkommt. Die nicht eingerethten Dienstpflichtigen werden durch das Loos bestimmt und zahlen eine Wehrstcner. Die muselmanischen Wehr pflichtigen Bulgariens konnten sich bisher gegen Be zahlung von 500 Fr. loskaufen, von welcher Begünstigung jedoch die zumeist ärmlichen Mohamedaner nur wenig Gebrauch machen konnten und es daher zumeist vorzogcn, sich der Wehrpflicht durch rechtzeitige Flucht zu entziehen. Nach dem neuen Gesetzentwürfe soll der Loskausbetrag für die muselmanischen Wehrpflichtigen erheblich vermindert werden. Für die Erwerbung der bulgarischen Staats angehörigkeit bestimmt die Vorlage, dast der Bewerber 21 Jahre alt sein, seinen Wohnsitz in Bulgarien haben und nm die Aufnahme nachsuchcn müsse. Fünf Jahre nach der Erfüllung dieser Förmlichkeit kann der Bittsteller durch die Sobranje als bulgarischer Staatsangehöriger bestätigt werden. Diese Frist wird auf drei Jahre verkürzt, wenn der Bewerber eine Bulgarin ehelicht. Deutsches Reich. S. Berlin, 15. Juli. (Die „loyalen" und die staatsfeindlichen Polen.) Der „Krcuzztg." wird das große Glück zu Theil, für ihre Auffassung der Polenfrage des Oefteren die Zustimmung der Gönner der Polen, der Klerikalen, zu finden. So hat sie eben wieder eine Kritik zu einer vom Deutschen Ostmarkcnverein ver anlaßten Broschüre geliefert, die den Beifall der polen freundlichen klerikalen Presse findet. Sie protcstirt näm lich energisch gegen die in der Broschüre enthaltene For derung, daß die in geringer Minorität vorhandenen Volköstümme nur insofern Berücksichtigung ihrer Sprache finden könnten, als das staatliche Zusammenleben dies unbedingt erfordere. Um den Protest recht wirksam zu gestalten, unterstellt sic, daß der Verfasser sich zwar bei seinen Worten auf die Sprache beschränke, daß aber von dort der Schritt nicht weit sei zu der Behauptung, daß die Polen überhaupt neben der deutschen Nationalität nur geduldet seien und dast ihre Wohlfahrt und ihre geistigen Interessen den Staat nur in beschränktem Maße angingcn. Einer solchen Forderung aber stünden die Pflichten des Staats gegen die Polen als vollgiltige preußische Staatsbürger entgegen. Wolle man dagegen einwendcu, daß die antipreußischen Bestrebungen der Polen den Staat seiner Pflichten entbänden, so sei die VoranSsetzilng dieser Einwendung unrichtig. Nicht „die Polen" seien antipreußisch, sondern ein Theil der Polen sei fraglos loyal, ein anderer verführt und nur ein dritter Theil sei in der That von Gründ aus staatsfeindlich gesinnt. Die „Krcuzztg." hätte gut gethan, den Begriff „loyal" etwas näher zu definircn. Ver steht sie darunter, dast schon Derjenige für loyal zu gelten hat, der sich von LandfriedenSbruch und Revolte fern hält, so hat sie gcwist damit Recht, dast ein Theil der Polen in diesem Sinne loyal ist. Versteht sie aber unter Loyalität etwas mehr als die rein äußerliche Pflichterfüllung gegen über dem Staate, versteht sie darunter das Bestreben des Staatsbürgers, das Staatsganze zu fördern — und nur wenn dies Bestreben vorhanden ist, kann der Staat vor wärts kommen —, so wird sie wohl die loyalen Polen mit der Laterne suchen können. Die Gesinnung der Polen tritt ja wohl am deutlichsten zu Tage bet -en politischen Wahlen. Bet diesen aber merkt man nichts davon, -ast die Polen in eine loyale, eine sozusagen neutrale nnd eine staatsfeindliche Gruppe zerfallen. Sie wählen alle in jedem Wahlkreise einen und denselben Mann, und je schärfer dieser Candidat die antipreußische Spitze hervor kehrt, desto sicherer kann er sein, einmüthig von seinen Stammesgenvssen gewählt zu werden. Wie viele von den polnischen Abgeordneten des Reichstages und des preußi schen Abgeordnetenhauses ist die „Krcuzztg." geneigt, zu den loyalen Polen zu rechnen? Haben nicht erst im letzten Winter wiederholt polnische Abgeordnete die Abwehr maßregeln der Regierung nicht etwa nur bekämpft — das war vom polnischen Standpuncte aus ihr gutes Recht —, sondern in maßloser und beschimpfender Weise angegriffen, daß sie dem Ordnungsrufe des Präsidenten verfielen? Man hat nichts davon gehört, datz die „loyalen" Polen diese Masslosigkeit zurückgewiesen hätten. Sv bilden also die Polen thatsächlich eine homogene Masse nnd der Regierung bleibt gar nichts Anderes übrig, als gegen Alle gemeinsam vorzugchen. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß der Staat seiner Pflichten gegen die Polen enthoben sei, und wir wüßten auch nicht, daß diese Forderung erhoben wird. A Berlin, 15. Juli. (Beaufsichtigung von Sterbe- und Pcnsionscasscn.) Der Minister der öffentlichen Arbeiten hat den Eisenbahndirectioncn Mittheilnngcn über die inzwischen erfolgte Acndcrung in der Beaufsichtigung d e r S t e r b e c a s s e n zu gehen lassen und sie aufgefordcrt, dafür zu sorgen, daß den Regierungspräsidenten, welchen die Landesaufsicht über diese Eassen znsteht, die Satzungen übersandt werden. Der Minister hat die Regierungspräsidenten ersucht, von einer Umarbeitung der Satzungen nach den ausgestellten Muster satzungen für Stcrbccassen abzusehen und nur die durch das Gesetz bedingten Abänderungen herbeizuführen. Der Schriftwechsel zwischen den Cassenvorständen und den Re gierungspräsidenten soll durch die Hand der Eisenbahn- dircctionen geleitet werden, damit zu Anträgen auf Ab änderung der Satzungen, die das Verhältnis der Eassen zur Verwaltung berühren, rechtzeitig Stellung genommen werden kann. Aus die von den einzelnen Privat bahnen errichteten Pcnsionscasscn, soweit sie ihren Sitz in Preußen haben, finden die obigen Bestim mungen gleichfalls Anwendung. Die Eisenbahncommissare sind angewiesen, das Erforderliche alsbald zu veranlaßen. Ausdrücklich bemerkt jedoch der Minister, daß durch den Ncbcrgang der Aufsicht über diese Lassen auf die Re gierungspräsidenten die Aufgabe der Eisenbahn commissare, darüber zu wachen, daß die Privatbahncn ihrer Verpflichtung zu einer ausreichenden Fürsorge für ihre Beamten nachkommen, nicht berührt wird. * Berlin, 15. Juli. (Ausländer in Deutsch land.) Aus den Ergebnissen der letzten Volkszählung wird nunmehr nach der „Allg. Ztg." auch der ziffernmäßige Nachweis über die im deutschen Reiche sich aufhaltcnden ausländischen Personen bekannt. Solche wohnten am 1. Dcccmber 1900 nahezu an 780 000 in unserem Vater land, eine Kopfzahl, die die unserer Krieger im letzten deutsch-französischen Kriege beinahe erreicht. So viel Aus länder befanden sich bei uns noch zu keiner Zeit) 1869 schätzte man sic auf 82 000 und am 1. Decembcr 1871 wurden 205 755 gezählt. Im Jahre 1880 konnte man schon 6,10 auf F-uilletsn. Mohmeiers Umzug. 2j Von Anna Klie. Nachdruck verboten. „Gut!" fuhr er sehr gekränkt fort, „ich bestelle ihnwiedcr ab! Ich sage: Lieber Leineweber, meine Frau will Sie nicht haben, meure Frau fürchtet Ihre Unwiderstehlichkeit für ihre Cousine". „Ach, dummes Zeug!" schnitt ihm seine Frau ärgerlich baö Wort ab, „wenn Du ihn nun einmal eingcladcn hast, muß er natürlich kommen! Aber ich lehne jede Verant wortung ab, „das sage ich Dir im Voraus!" „Beaufsichtige Du die Beiden, mir soll's recht sein, und kannst Du's nicht, so verweise ich nachher Edith s Mutter an Dich!" — — Der Persönlichkeit -es Assessors Leineweber schien magnetische Kraft inne zu wohnen. Am Tage, nachdem sein Anerbieten erfolgt war, ver kündete der Amtsrichter seiner Frau mit triumphirender Miene: „Du, der Justtzrath hat mir seine Mädchen zum Umzuge angebotenI" „Seine Mädchen? Du meinst doch nicht seine Töchter?" „Natürlich meine ich die! Alle beide, Li und Lu! Die kleine dicke Lu wird sogar ihr Kränzchen für uns im Stiche lassen!" „Und darauf bist Du eingcgangen?" Der Amtsrichter nickte mit harmloser Fröhlichkeit. Da that seine Frau etwas, das auf dem Papiere sehr häufig zu geschehen pflegt, in Wahrheit aber nur selten, weil es in der That sehr unbequem zu bewerkstelligen ist — sie schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. „Wieder verkehrt?" fragte ihr Mann. „Na hör' mal, liebes Kind, Dir soll eS aber einer recht machen! Erst klagst Du, daß Du nicht genug gebildete Hilfe hättest, und dann wieder soll dc. College Leineweber nicht mit Edith allein sein, nnd nun ich für alles beides Rath schaffe, ist'S wieder verfehlt — Und der Amtsrichter war gekränkter denn je. Seine Frau mußte lachen. „Armer Schatz", sagte sie und streckte ihm versöhnend die Hand entgegen, „Du -ast e- gut gemeint!" „Ach so! Noch etwas —" Der Amtsrichter griff sich an die Stirn, „daß ich's nicht vergesse: wir brauchen am Umzugstage das Essen nicht ans dem Wirthshausc holen zu lassen, Rickchcn läßt Dir sagen, sie würde für Alle zu sammen sorgen!" Nielchcn war eine wohlhabende Wittwe, eine Ver wandte, die „das auch recht gut mal thun konnte", wie Frau Mohmcicr ohne besondere Begeisterung über das Versprechen bet sich dachte. „Ob cs aber auch für Li, Lu und Leineweber reichen wird?" erwog sic zweifelnd. „Na natürlich! Das heißt, ich gehe mit Leineweber zum Mittagessen in sein Hotel, und was die anderen Hilfs mannschaften betrifft, so habe ich Rtekchcn gleich gesagt, wen wir zu versorgen hätten, damit sie ihren größten Kochtopf nimmt!" Frau Mohmcicr schwieg ergebungövoll still. Bei sich dachte sic: „So! Dann weiß Rickchcn also auch schon Bescheid. Die alte Kaffeeklatsche wird schon dafür sorgen, das; cs nächstens in der Stadt heißt: Mohmeter's Huben sich junge Herren und Damen zur Umzugsfcier eingeladen. Dann fehlt nicht viel, und uns sagt Jemand nach, wir hätten ein Hetrathsbureau eröffnet!" Laut sagte sic: „Bestelle nur Deinen Leineweber wenigstens erst in die neue Wohnung, damit Bctti Klaus lieber gar nichts davon erfährt, das; ihr Neffe uns hilft! Hoffentlich trifft sie in dieser Zett gerade nicht mit Rickchen zusammen, denn sonst ist der Klatsch fertig!" Der Amtsrichter fuhr sich in die Haare. „Herr mcincS Lebens! Laß doch den Leuten ihr Ver gnügen! Wenn man Dich anno dazumal nicht fälschlich mit dem Esel, dem Ingenieur, verlobt gesagt hätte, und ich mir nicht in Folge dessen ein Herz gefaßt und Dich dar über znr Rede gestellt Hütte, na, da säßen wir vielleicht heute noch und schmachteten unS auS der Ferne an! Was, Mieze?" Frau Mohmcicr lachte. ES that ihrem Herzen immer noch wohl, wenn ihr Mann seinen vermeintlichen Nebenbuhler von damals einen Esel nannte. Lag doch immer noch ein Spürchen jener Eifersucht darin, die damals den Anstoß zu seiner Werbung gegeben hatte! Man läßt sich gern an dergleichen erinnern, auch, wenn man bereits elf Jahre verbeiratbet ist! — Es war Mohmcier's im Laufe des Winter- zur Ge wohnheit geworben, so oft sie vom Tage) des UmzuarS sprachcn, immer nur zu sagen „der Tag", worauf denn Jedes genau wußte, von welchem Tage die Rede war. „Datz nur den Tag der Vogel was zu saufen kriegt!" muhte Trudchcn, die den Kanarienvogel in ihre Obhut nehmen sollte, sich wohl ein Dutzend Mal vorher sagen lassen, bis sic schließlich in patzigem Tone erklärte: „Laßt mich endlich zufrieden! Ich werde den Vogel schon im Kopfe haben!" ES bedarf kaum der Erwähnung, datz diese unbedachte Acußerung ihren Brüdern sehr gefiel, und daß sie weidlich Eavital daraus schlugen. Im Verlaufe des Einpackens ward cs klar, dast Cou sine Edith in der That von einer völligen Ahnungs losigkeit in Bezug auf hauswtrthschaftltchc Dinge beherrscht war. Schon ehe der Umzugstag anbrach, hatte sic verschiedene Gegenstände verbogen, ein Buch mit Petroleum begossen und von zwei Tassen die Henkel abgcstosten. Zum Glück waren cs werth lose Küchentasscn. Als sic aber in Gegenwart der Kinder eine dritte zu Boden fallen liest, erlaubte sich Jochen die unziemliche Frage: „Hast Du nun unsere Tassen bald alle caput, Tante Edith? Kannst Du nicht meine auch einmal hinwerfen? Tic hat nämlich schon eine Nitze. Wenn Du sic caput machst, kriege ich eine neue!" Es war Edith recht unangenehm, dast der Herr Assessor Leineweber, der gekommen war, um den Amtsrichter zu sprechen, und daher gerade ans dem Schauplatz ihrer That anwesend war, Jochen s Bemerkung vernahm. Natürlich bestrebte er sich, als wohlerzogener Fremdling, sie zu über hören. Aber Edith gewahrte doch unter seinem wunderbar chikcn Schnurrbarte ein vcrräthcrischcS Lächeln, das er schnell durch einen Hnstenschaucr bemäntelte. „Habt ihr meinen Cylinder denn nun auch gut ver packt?" erkundigte sich der Amtsrichter am Tage vor dem Umzuge. „Ja, lieber Mann", entgegnete seine Frau freudig, „gut, daß Du davon sagst. Mir ist nämlich ein Gedanke gekommen in Bezug ans Deinen Cylinder! Wir brauchen ihn überhaupt gar nicht zn verpacken. Ich habe ihn in eine große Papierdüte gesteckt nnd nach Betti Klaus hinauf geschickt, damit sie ihn bis nach dem Umzüge anfbewahrt! Du wirst ihn ja nicht gleich sofort in der neuen Wohnung nöthig haben! Trudchen kann ihn dann leicht einmal holen". „So? Na, aber solche Umständlichkeit!" brummte der im Augenblick schlecht gelaunte Amtsrichter. „Umständlichkeit? Und ich dachte noch eine besondere Prämie zu bekommen für meine Sorgfalt!" schmollte Frau Mohmcicr. Dies konnte ich nun eigentlich einmal Übel nehmen!" Aber sic nahm cs nicht übel, stc hatte gar keine Zeit dazu. — Indessen waren dem Cylinder bereits Schicksale widerfahren. Jochen, dem der Auftrag geworden, den Hut nach Tante Betti hinauf zu trage», stach die große Papierdüte gewaltig in die Augen! Lolch eine schöne Düte, so ge eignet wie diese zum Ausbissen und Aufknallcn, fand mau nicht oft! Jochen beschloß, von der Leistungsfähigkeit der Düte den nach seiner Meinung einzig richtigen Gebrauch zu machen. Warum mußte der Hut denn in Papier gewickelt sein? An den kam ja in der unheimlich säubern Altjuug fernwirthschaft Tante Betti's doch „nichts dran". Jvchcu lieferte also den Cylinder ohne Papicrhülle ab. Tante Betti stellte ihn in ihre Fremdcnkammer auf ein Eckbrctt und theilte Frau Senf in erläuternden Wvr;cn mit, welche Vcwandtniß cs mit dem Hut habe, damit die Perle sich nicht über die Anwesenheit eines Herrnbutes in einer Kammer ihrer Herrin unnöthig den Kopf zer brechen möge. Ob die Mitthcilung verstanden und gewürdigt worden, konnte das Fräulein, wie so häufig, im Verkehr mit ihrer Perle, nicht entscheiden, denn Frau Senf hatte schon wieder den THUrgrisf fluchtbcreit in der Hand und antwortete nur durch eine Art von Grunzen. — Indessen schlich sich Jecken mit seinem Raube in den Garten hinunter un erschreckte gerade zur Zeit dcS Nachmittagsschlafes die ganze Nachbarschaft, einschließlich sämmtlichc Spatzen und Staarc, dur-h einen wohlgclnngencn Knall, der die HanS- wtrihin zu den; Schwure ermunterte, nie wieder, und sollte sic hundert Jakrc alt werden, zu dulden, dast eine Familie mit so ungezogenen Kindern wie diese Moh- meicr's ins HauS kommen würden, so wahr sic Fran Meinccke heiße! „Daß nur die Regenschirme nicht aus Versehen mit eingcpackt werben!" ermahnte die Hausfrau. Die Htlfscousinc entwickelte nümlich eine eigenthüm- ltche Fertigkeit im Einpackcn von Gegenständen, die nachher noch wieder verlangt wurden und als durchaus unentbehrlich mit Mühe wieder au- Koffer und Körben Hervorgewühl» werben mußten.
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