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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020717028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902071702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902071702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-17
- Monat1902-07
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Eine Stunde nach der Ankunft der „Ariadne" brachte ein Boot den Bevollmächtigten Minister Tachirsky (gc» meint ist Herr v. Tschirschky ) an Bord, aber der frühere Conscilspräsidcnt und seine Begleiter waren schon an Land ge gangen. Um 11 Uhr Abends brachte dasselbe Boot die Mit theilung von Herrn v. Tschirschky, daß er sich am nächsten Morgen um 9 Uhr vorstellen werde, um im Auftrage des Kaisers Herrn Waldeck-Rousseau und seine Gefährten ans der „Ariadne" zu begrüßen. Herr v. Tschirschky machte dann nm 9 Uhr Morgens seinen angekündigtcn Besuch und im Laufe des Gespräches deutete er an, daß cs dem Kaiser großes Ver gnügen bereiten werde, Herrn Waldeck-Rousseau und seine Reisegefährten kennen zu lernen, die er zum Essen cinladc. Um 10 Uhr kam Herr v. Tschirschky wieder, um mitzuthcilcn, daß der Kaiser, der eine Excursion habe machen wollen, an Bord seiner Nacht geblieben sei und daß er den Wunsch habe, Herrn Waldeck- Rousseau zu sehen. Um 11 Uhr kam dieser dem Wunsche nach. Der Kaiser gab ihm zu verstehen, daß er sich freuen würde, die „Ariadne" zu besuchen, und um Mittag traf der Kaiser auf dem Schiffe ein, wo er sich Frau Waldeck-Rousseau und alle Passagiere vorstellen ließ. Er kehrte um 1 Uhr auf die „Hohenzollern" zurück, und am Abend speisten Herr und Frau Waldeck-Rousseau, sowie die Passagiere der „Ariadne" an Bord der „Hohenzollern". Uns sieht diese Darstellung der Begegnung durch das französische officiöse Telegraphenbureau ganz danach aus, als ob sie bezwecke, Herrn Waldeck-Rousseau bei seinen mißtrauischen Landsleuten zu „entschuldigen" und die „Schuld" an der persönlichen Berührung dem deutschen Kaiser zuzuschieben. Das wird schon klar durch den ein leitenden Satz, die Passagiere der „Ariadne" seien „er staunt" gewesen, die „Hohenzollern" in Odde zu treffen, und weiter durch die Hervorhebung der vielen Nötbigungen, deren es angeblich bedurfte, bis Herr Waldeck-Nousseau die Güte hatte, den deutschen Kaiser zu besuchen. Die Angelegenheit ist, wie eine ganze Reihe ähnlicher, für uns gar nicht erfreulicher Natur; feurige Kohlen auf anderer Leute Haupt gesammelt, rufen nicht immer Gefühle der Beschämung und Reue hervor — siehe Herrn Waldeck- Rousseau in Odde. Die „Natlib. Eorrcsp." schreibt: „Von Seiten des frci- conscrvativen Führers, des Freiherr» v. Zedlitz, sind jüngst im „Tag" „Realpolitischc Ketzereien" veröffentlicht worden, die wir unsererseits übercrnst zu nehmen, keinen Anlaß haben, obgleich sie außer Ansichten über die Ge währung von Reichstagsdiäten auch Verschiedenes über die Aufhebung des Jesuiten gesctzes nnd über die eventuelle Abtretung von Deutsch-Ostafrika an England enthielten, was entschiedensten Wider spruch geradezu herausforderte. An solchem hat es in einem Thcil der Presse nicht gefehlt. Es würde nun weiter kein Grund vorliegen, sich nochmals mit den „Realpoli- tischen Ketzereien" zu beschäftigen, wenn nicht heute der „Tag" andentete, die Vorschläge des Herrn v. Zedlitz seien als ein Symvtvm zn deuten, und cs sei zu erwägen, ob nicht eine konservative U n t e r st r ö m u n g in der Richtung der Zedlitz'schen Anschauungen im Wachsen be griffen sei. die man vom politischen Standpuncte aus fructificiren könne. Wenn in diesem Satze etwas Anderes als der Ausdruck einer gewissen Verlegenheit ge funden werden soll, so sollte man doch mcinen, die freicvn- servative Partei im Reichstage habe alle Ursache, ans der Hut zu sein, um dieser Unterströmung nicht auf dem Wege der Wahl des Freiherrn v. Zedlitz in das weiße Haus am Königsplatze eine Verstärkung zuführe» zu lassen. Bis jetzt sind gerade sehr namhafte Mitglieder der gedachten Partei in der Vertretung der Eolonialpvlitik mit am energischsten gewesen. Daß Herr v. Zedlitz beabsichtigt, sich bei der neuesten Wahl auch in den Reichstag wählen zu lassen,wird uns ans seinemLandtagSwahlkreise bestimmt versichert. Es handelt sich hierbei also nicht etwa um einen Svmmernachtstraum. Mit seinen so bezeichneten real politischen Ketzereien wollte der freieonservatlve Führer vielleicht ein ganz klein wenig Eindruck ans die Centrums wähler in seinem zukünftigen Reichstagswahlkreise machen. Möglicherweise ist die Erklärung realpvlitischer, als die, nach welcher eine neue Uuterstrvinuug in der konservativen Partei sich zeigt und — sogar angeblich im Wachsen be griffen ist." — Wir haben angesichts dieser geradezu ver blüffenden Bestätigung unserer in der letzten Wochenschau ausgesprochenen Vcrniuthnng von dem Zusammenhänge der Zedlitzsch'schen Projekte und der Berliner lauch-evn- scrvativen) Unterströmnngen nichts Wesentliches hinzuzu fügen. Daß die Centrnmsstreichelei auch ihren Zweck ver folgt, ist wohl möglich, wäre aber darnach nur als Nebenabsicht aufzufassen. Freiherr v. Zedlitz möchte eben zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen — hoffentlich aber schlägt er an beiden vorbei. Die Polen haben nun doch in Galizien den in der Welt geschichte ziemlich verblichenen Lieg der Polen und Lithaucr über den deutschen Orden bei Tannenberg, oder, wie die Polen sagen, bei Grünewald, am 15. Juli 1419 gefeiert. Von den Sicherheitsbehörden waren überall die umfassendsten Vorkehrungen getroffen, welche sich jedoch glücklicherweise als überflüssig erwiesen. Das deutsche und das russische C o n s u l a t in Lemberg standen während des ganzen Tages unter starker mili tärischer Bewachung; im Hofe der vom deutschen Cvnsul bewohnten Villa in der Mochnackigasse bewakirte eine Infanterie-Compagnie und Husarcupatrvuillen durch streiften die Nachbargasscn; in den Casernen waren zahl reiche Abthciluugcn verschiedener Truppen consignirt. Vor dem russischen Cvnsulat hielten Gendarmen mit auf- gepflanztem Bajonet Wache, es kam jedoch während des ganzen Tages zu keinerlei Zusammenstößen oder auch nur zu Demonstrationen des Publikums gegen Preußen oder Rußland, obwohl an der Feier sowohl die Arbeiterschaft, als auch die Studenten, also gerade jene Elemente in großer Zahl theilnahmcn, von denen die zahlreichen De monstrationen während der letzten Monate ausgingen. Vom frühen Morgen an boten die Straßen der Stadt einen ungewöhnlichen Altblick, da nicht nur die meisten Häuser in weiß-rothcm Flaggenschmuck prangten, sondern auch fast an jedem Fenster breite Papierstreifen angebracht waren, die eine auf die Feier bezügliche Inschrift trugen. Der Gedanke, mittels dieser eigenthümlichen Demonstra tion die Kosten einer Illumination zu ersparen und sie einem nationalen Zweck zuznwcnden, war von dem Reichs rathsabgeordneten Glabinsti ausgegangen. Das Fest- comitö verkaufte in zwei Tagen mehr als 100 900 Streifen zn 10 Heller das Stück. Der Erlös fließt dem Fonds für nationale Abwehr in Preußen zu. Dem „Deutschen Volks blatt" zufolge hat man von der ursprünglichen Absicht, eine Illumination zu veranstalten, deshalb Abstand genommen, weil einige Comitömitglicder die Aufmerksamkeit ihrer Collegen darauf lenkten, daß in Galizien keine Kerzenfabrik bestehe nnd demnach das ganze Erträgniß der Illumination den deutschen K e r z e n f a b r i k a n t e n zu Gute kommen müßte. Der Landmarschall Graf Andreas Potoeki bethciligte sich an der Feier nicht, sondern reiste in der Frühe auf seine Besitzungen nach Krzeszvwiee ab. Vor der Abreise spendete er sür die polnische Volksschule in Bielitz- Biala den Betrag von 1000 Kronen, was seine Antheil- nahme an der für diesen Tag auferlegten Nationalsteuer bedeuten sollte. Die Socialisten betheiligtcn sich stark an der Feier. Fcstzug, Ansprachen und kirchliche Feier fanden statt. Auch in Krakau, Przemisl, Kotomea, Stanislaus und Bvchnia wurde der Tag ähnlich gefeiert. In letzter Zeit sind vielfach Nachrichten eingegangen über recht bösartige Gärungen und Ausschrei tungen unter der russischen Bauernschaft, die an einigen Orten durch Waffengewalt niedergehalten werden mußten. Nun scheint es auch, daß die staatsfeind liche Bewegung unter den aufwachscnden jungen Kle rikern Anhänger gefunden hat, denn der „Vorwärts" erklärt, in der Lage zu sein, nachstehende als „ganz ge heim" bezeichnete Verfügung des Rectors des Nowgoroder geistlichen Seminars veröffentlichen zu können: Der Scmiuarobrigkeit ist die traurige Nachricht zu Ohren gekommen, daß in verschiedenen Seminaren Massenunruhen gegen die bestehende gesetzlich fcstgclegte Ordnung in Scene ge setzt werden, und daß zu diesem Zweck die Zöglinge der geist lichen Seminaricn unter einander in Beziehung getreten sind. Obgleich ich die Hoffnung hege, daß die Vernunft der Zöglinge unseres Seminars sic vor diesem Schritt bewahren, und ich von meiner Seite die nothwcndigcn Maßregeln ergreife, so finde ich doch für nothwcndig, den Eltern unserer Zöglinge ans Herz zn legen, daß sie bei Zeiten in ihrem eigenen Interesse auf ihre Kinder cinwirkcn sollen und ihnen das Gefühl ein flößen, die Ordnung zu achten und sich den Vorgesetzten unter würfig zu zeigen, weil in Uebcrcinslimmung mit den Instruc tionen der hohen Obrigkeit jede Bewegung unter den Schülern ihre Ausstoßung aus dem Seminar zur Folge haben wird. Der Rector des Nowgoroder geistlichen Seminars, Obcrabt Dmitri. Der „Vorwärts" will ferner einen Aufruf besitzen, der von den Zöglingen eines G e i st l i ch e n s e m i - nars ausgeht und folgendermaßen lautet: Tic Armuth zwingt uns, in die Seminaricn einzutreten und nicht in andere Lehranstalten. Tics will nun die Negie rung sich zu nutze machen. Sie will aus uns fügsame Werk zeuge für ihre niedrigen Zwecke schmieden. Wir sind wie die Soldaten in der Caserne, die von der Regierung sittlich ver dorben, betrogen und zu blindem Gehorsam erzogen werden. Aus den Soldaten macht die Regierung eine physische Machr, mit der sie das Volk physisch Niederhalten kann. Wir haben eine noch schändlichere Aufgabe zu erfüllen. Wir müssen ihr helfen, das Volk in Unwissenheit und Finsterniß halten und cs zu hündischer Unterwürfigkeit erziehen. Wir haben die Re gierung zu loben und die Feinde der Regierung, wie Leo Tolstoi, zu verdammen. Wir sind bestimmt, mit aller Kraft gegen die freie Forschung und Kritik zu kämpfen. Wir sollen in Verbindung mir Gendarmen und Spionen arbeiten. Die Lehre des Evangeliums sollen wir fälschen. Wir können das nicht mehr weiter dulden. Es ist nicht absolut neu, meint hierzu die „Köln. Ztg.", daß der geistliche Nachwuchs in Rußland in Folge seiner schlechten socialen und materiellen Stellung revolutio närer Propaganda nicht unzugänglich ist. Schon Mackenzie Wallace weist in seinem bekannten Buche über Rußland auf diesen Umstand hin, und unter den wegen nihilistischer Verbrechen Verurtheilten haben sich nicht selten Pvpensöhne befunden. Die gegenwärtige Be wegung soll im Seminar von Tambow ihren Ausgang genommen haben, wo es zu argen Ausschreitungen gegen die Leiter der Seminare gekommen sein soll. Die Folge war die Schließung des Seminars und eine vom heiligen Synod eingeleitete Untersuchung, die sich auch auf andere Seminare erstreckte. Es liegt auf der Hand, daß eine revolutionäre Verseuchung der künftigen Geistlichkeit schon deshalb eine sehr bedenkliche Erscheinung sein würde, weil gerade die Geistlichen kraft ihres Amtes mit dem Volke in vertraute Berührung treten und auf die Den- kungsweise der unwissenden Bevölkerung einwirken. Deutsches Reich. S. Berlin, 16. Juli. (DicErhebungenüberdte Arbeitszeit des kaufmännischen Contor- persvnals.) Tic Erhebungen der Commission für Arbeitcrstatistik über die Arbeitszeit des kauf männischen C o n t o r p e r s v n a l s werden in der „Socialen Praxis" vom Generalsekretär vr. Silbcrmann eingehend besprochen. Bei der Gleichmäßigkeit in den Aussagen der Auskunftspcrsonen und bei dem erheblichen Umfange der befragten Betriebe zweifelt Or. Silbermann nicht, daß die Erhebungen ein im Ganzen treues Bild der thatsächlichen Verhältnisse geben. Aber für die Frage, ob und inwieweit ein gesetzliches oder verwaltungsmäßiges Einschreiten für die Gesammtheit der Angestellten noth- wendig ist, bedarf es nach der Ansicht vr. Silbermanns noch ergänzender Untersuchungen in mancher Richtung. So seien wichtige, in ihrer Art typische Städte, wie Thorn, Posen, Cassel, Hannover, Dortmund, Remscheid nicht in die Erhebung einbczogen worden, bei den berücksichtigten Städten fielen wiederum typische Stadttheile — in Berlin z. B. die der Consection — aus. Hier müsse die Erhebung durch schriftliche Gutachten der Bezirks- oder Branchen organisation und durch mündliche Vernehmung vor Aus- knnftspcrsonen ergänzt werden. Die Nothmendigkeit und die Durchführbarkeit einzelner gesetzgeberischer Maßregeln ergebe sich indeß schon nach dem gedruckt vorliegenden Material. Was zunächst die Sonntagsruhe anbe trifft, so gehe aus den Ergebnissen der Erhebung hervor, daß ein völliges Verbot, oder wenigstens eine sehr starke Einschränknng der Lvnntagsarbeit eine Schädigung bc- Feiiilletsn. Mohmeiers Umzug. 3s Von Anna Klie. Nachdruck verboten. Li wurde roth und blaß. Zögernd und schüchtern ant wortete sie: „Ich denke, wir sollen hier doch ordentlich helfen?" Er athmete auf. „Sv haben Sie also nichts gegen mich — sind nicht etwa erzürnt auf mich?" Sie schüttelte den Kopf und lächelte freundlich. „Aber ganz und gar nicht! Warum sollte ich?" entgeg nete sie verwundert. Bums' fiel dem Assessor der Hammer aus der Hand, Li dicht vor die Füße. Er bückte sich, um ihn aufzuheben. Bevor er sich aber wieder anfrichtcte, drückte er einen Kuß auf des Mädchens herabhängende Hand. „Ach, hier sind Sic, Herr Assessor?!". Edith s Stimme rief die Worte vom Corridore herein. „Der Tischler sucht Sic nämlich! Die Matratzen liegen alle verkehrt in den Betten! Die Ztcheleutc sind auch zu dumm! Und der Geselle ist zum Essen gegangen — ob Sie nicht mal mit anfassen könnten?" „Sofort, mein gnä digstes Fräulein, ich komme schon!" In ausgelassener Lustigkeit trat der Assessor der Hilfscousine entgegen und bot ihr den Arm. Geschmeichelt hakte Edith sich ein, und so Arm in Arm tänzelten die Beiden zur Thür hinaus. Um ein Haar hätten sie Frau Senf umgcrannt, die gerade mit einem großen Korbe am Arme in gewohnter Hast von der entgegengesetzten Seite in den Corridvr hereingestcucrt kam. „Hurrah! Tante Niekchen schickt was zu essen!" schrie Jochen beim Anblick des Korbes. Die Perle, die sich Tante Rickchen, deren Mädchen ge rade plättete, für diesen Weg von Bctti Klaus geliehen hatte, schnaufte von Eile, nahm sich aber trotzdem Zeit zu einer eingehenden Musterung des jungen PaarcS, das da Arm in Arm vor ihr stand. Jvchcn'S Ruf bewirkte, daß Trndchcn beutegierig aus dem fernste» Schlupfwinkel der Wohnung hcrbeistürzte. Aus einem dicken Umschlagetuch Tante Rickchen'S schälte Frau Senf diensteifrig einen wahrhaft riesigen Blechtopf heraus. Gottlob, Tante Rickchen hatte ein Ein sehen gehabt! Ter Behälter war gefüllt mit guter Fleisch brühe, die Reis, Klöße, Flcischslücke und Blumenkohl enthielt. Frau Mohmcier drückte der Perle ein Trinkgeld in die verständnißvoll entgegenkommende Hand. „Ja, Kinder, dann wollen wir nur fliuk essen, damit die Suppe nicht erst kalt wird!" „Ich hole nachher den Topf wieder ab", versprach Frau Senf über die Schulter zurück. „Denn lassen wir die Matratzen man lieber bis nach Tische, Herr Assessor?" meinte der Tischler, und langte sich feinen Nock vom Fenstergriff. „Ich will denn man auch erst zum Essen gehen!" „Gut, Herr Jürgens!" Der Assessor sah nach der Uhr. „Dann will ich's nur ebenso machen. Gestatten die Damen, daß ich mich empfehle —" „Aber mein Mann wollte Sic ja abholcn, Herr Assessor? Sie essen doch erst um zwei Uhr? Das ist noch lange hin! Darf ich Ihnen nicht ein bischen Suppe an bieten?" Fran Mvhmeicr sprach es in freundlichstem Tone. Sie hatte den liebenswürdigen jungen College« ihres Mannes, der sich im Laufe des Morgens sehr nützlich erwiesen hatte, mütterlich ins Herz geschlossen und bereits im Stillen für sich festgestellt, daß er für Edith viel zu schade sei. „Wird auch die Suppe reichen?" erwog der Assessor. „I gewiß! Ein paar Löffel voll sind für Sie übrig Edith, aber wo sind denn die Löffel? Du hast sie doch cingepackt?" „Ja, in die braune Reisetasche! Jochen sollte sie ja mit bringen. Jochen, wo ist die Tasche?" . Jochen wußte von Nichts. „Ich habe ja mit Trudchcn zusammen den Vogel her getragen", verthcidigte er sich, verfärbte sich aber auffällig, denn nun wußte er auf einmal, welches der Auftrag ge wesen, auf den er sich unterwegs nicht hatte besinnen können! „Dann kommt die Tasche gewiß erst mit dem zweiten Fuder!" ,Ma, das ist nun was Rechtes! Meine silbernen Löffel! In der unverschlossenen Tasche!" „ES waren ja nur Küchenlöffel!" „Sv, Gott sei Dank! Dann geht es noch! Trudchcn, lauf' mal nach unten und leihe von der Hauswirthin Löffel!" Lie und Lu, die sich bescheiden entfernen wollten, wurden ebenfalls zur Suppe eingeladen. Li ward die Aufgabe zncrtheilt, für Jedermann ein großes Stück Scbwarzbrvd abzuschncidcn, der sie sich eifrig und sehr geschickt unterzog. Gefäße zum Biertrinken waren nur zwei vorhanden: eine der von Edith dcmolirten Obertassen ohne Henkel für die Damen und ein Eierbecher für die Kinder. Der Assessor trank auS der Flasche. Die Stimmung während der Mahlzeit war eine sehr gehobene. „Meine Brodschcibe ist famos egal!" lobte Jochen und biß hinein, „Du kannst heirathen, Tante Li!" „Danke für gütige Erlanbnih!" lachte die hübsche Brod- schneiderin ihm zn. „Jochen macht verblümte Anträge!" scherzte der Assessor. ' „Prost, Jochen!" Er trank ihm aus seiner Flasche zu. Mitten in der Mahlzeit erschien der Amtsrichter. Er wurde lebhaft begrüßt. „Trudchcu", sagte die Mutter, „ich bin fertig, spül' mal meinen Löffel unter der Leitung ab, daß Papa auch Suppe bekommt!" „Ach was, abipülcn! Gtcb ihn nur so her! Ich habe nämlich einen Bärenhunger! Bis znm Hotelessen halte ich's nicht aus. Alle Wetter! Die Suppe ist gut! Da hat sich Tante Rickchen aber angestrengt! UcbrigcnS — ich sah eben die Zicheleutc vor der Kneipe am Jnstizgcbäude — sie machten mir den Eindruck, als wären sie schon stark angeheitert. Ihr habt ihnen doch nicht alles Bier auf einmal gegeben — Edith?!". Die Hilfscousine crröthetc schuldbewußt. „Der Große mit dem Fuchsbartc, der Berliner, sagte, ich sollte cs »nr alles hergebcn, cs wäre ein Abmachen, sie wollten cS sich schon auf ein paar Male cinthcilcn", stammelte sie. Die Herren tauschten einen Blick. „Dann sind sic natürlich total betrunken, wenn sie mit dem zweiten Fuder kommen!" meinte der Amtsrichter re- signirt. „Und ich muß zur Kirchcuvorstaudösitzung! Kann ich drauf rechnen, lieber Leineweber, daß Sie hier noch ferner nach dem Rechten sehen und sich der Sache an nehmen ?" Der Assessor bejahte feierlich. „Nur über meine Leiche!" bcthcuerte er nachdrücklich. Dann gingen die Herren züm Essen. Jochen, der mit seinem Löffel noch mal erfolglos den leeren Suppentopf untersucht hatte, schlängelte sich miß vergnügt an seine Mutter heran. „Du, Mama, ich bin aber noch schrecklich hungrig und Trudchcn auch! Wir haben uns nur satt gestellt, damit cs nicht auffallen sollte. Darf Tante Li uns noch Brod ab schneiden?" Tante Li war sogleich bereit dazu. „Habt nur ein bischen Geduld", tröstete sic die Kinder, „bald giebt's wieder was für den Schnabel, ich weiß von wem, aber ich vcrrathc nichts!" Es dauerte auch nicht lange, da kam wieder ein dienst barer Geist die Treppe herauf gekeucht mit einem Hand korbe beladen. „Ne schöne Empfehlung an Frau Amtsrichter von Frau Justizrath, und sie schickte hier eine kleine Stärkung und wünschte viel Glück in der neuen Wohnung!" Die kleine Stärkung bestand ans einer Nicsenkannc voll Chocoladc und einer Ricscndüte voll Gebäck. Jochen jubelte. Der Assessor, der gerade vom Esse» zu rückkehrte, machte einen Luftsprung über einen im Wege stehenden Koffer und versetzte durch diese turnerische Leistung die Kinder in Begeisterung. Wieder ward ein fröhliches Gelage veranstaltet. „Jetzt bin ich oberflächlich satt!" erklärte Jochen dann zufrieden. Da stieß Trudchcn einen durchdringenden Schrei aus. „Der Kanarienvogel! Da fliegt er!" Sie hatte dem Vogel jede halbe Stunde frisches Wasser gegeben und im eiligen Bestreben, die Chocoladc nicht zu versäumen, den Bauer nicht ordentlich verschlossen. „Das fehlt auch noch! Als ob wir nicht schon s o genug zu thun hätten!" lamcntirtc die Mutter. „Fenster zu!" cvmmandirtc der Assessor. Li war dem Zuruf bereits zuvorgckommen. Nun erhob sich eine wilde Jagd, bei der die merk würdigsten Mißgriffe vvrkamen. Es ist nicht anzunehmcn, daß Herr Leineweber Fräulein Li'S Hand mit dem Kanarienvogel verwechselte, denn Niemand hatte je davon gehört, daß er kurzsichtig sei. Dennoch geschah cs, als jetzt alle zwischen Koffern, Körben und Möbeln auf dem Fußboden hcrnmkrvchcn und kauerten, daß der Assessor im Jagdeifer mit beiden Händen eine der jungen Damen erfaßte und ziemlich herzhaft drückte. Noch sonderbarer war es freilich, daß Fräulein Li mit keinem Worte ihr Erstaunen über die Verwechselung äußerte!
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