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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.07.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020718016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902071801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902071801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-18
- Monat1902-07
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Diese Resolutionen, obschon sie je einstimmig gefaßt werden, geben Veranlassung zu fragen: ist cs ernstlich gemeint, und sind die Wortführer auf den Katholikentagen überzeugt, daß dem Wohl des Vaterlandes, oder auch nur der eigenen Kirche, mit Er füllung der beiden Forderungen gedient wäre? Wenn der protestantische Theologe die Frage verneint, so bedeutet das nicht viel für die coufessivnellen Gegner; aber beachteus- werth dürfte cs für sie sein, wenn dies auch von gebildeten .Katholiken geschehen sollte. Und es geschieht zur Zeit wirk lich, wie ich mich im Laufe dieses Jahres im persönlichen Verkehr mit solchen überzeugt habe. Sehr leicht geschah dies bezüglich der erstgenannten For derung. Ich erinnerte die Herren an den Artikel eines pro testantischen Theologen vom Jahre 1860, in dem es heißt: „Gelingt cs, . . . die päpstlichen Unterthanen noch länger geistlich regiert werden zu lassen, so dürfte dies Niemandem weniger schaden, als dem Protestantismus, so schwer es zu verantworten wäre, wenn die unglücklichen Bewohner Mittelitaliens noch einmal unter geistliche Herren zurück gezwungen würden, und darum für ganz Italien die nationale Consolidirung verschlossen bliebe". Und weiter hin erinnerte ich an die wie eine Weissagung klingende Frage desselben Gelehrten: „Wer steht uns dafür, daß das Papstthum, wenn es seiner weltlichen Fürstenmacht ent ledigt würde, nicht gerade in der Rückkehr zu rein nur kirchlicher Macht einen neuen Aufschwung erleben könnte? Die Analogien der Geschichte sprechen dafür. Oder sind denn die Erzbischöfe weniger mächtig geworden, seit sie aufgchört haben, Fürsten zu sein und auch das staatliche Regiment zu besitzen?" . . . „Fielen die weltlichen Ein künfte mit der Beherrschung des Kirchenstaates dahin, sie würden reichlich ersetzt werden durch eine Selbstbcsteue- rung der Katholiken. An Anhänglichkeit, Verehrung und Unterstützung von Seiten der gläubigen Katholiken würde der Papst nur gewinnen, und selbst ein Theil des Aergcr» nisses, das die Protestanten am Papstthum nehmen, wäre mit der Ablegung weltlicher Macht für immer beseitigt." „Wie?" wurde mir entgegnet, „so hat ein protestantischer Theologe sich vor mehr als 40 Jahren über die heute noch strittige Frage geäußert?" „Ja, und ich kann Ihnen seinen Namen nennen. Es war Alcrandcr Schweizer in Zürich, der in seinem Buche: „Nach Rechts und nach Links" (1876 bei S. Hirzel) diese kirchenpolitische Betrach tung angestellt hat. Und nun sagen Sie selbst, meine Herren, ob diese Voraussage sich nicht erfüllt hat? ob der länderlose Papst nicht in höherem Ansehen steht als seine Vorgänger? Aus dem einfachen Grunde, weil er nicht mehr, wie die so oft, in die Händel der weltlichen Mächte mitverwickelt wird, sondern sich ausschließlich seinem geist lichen Berufe widmen kann, zu dem es nicht gehört, Tvdesurtheile zu unterschreiben . . . Nicht dessen zu ge denken, daß die staatliche Mistwirthschaft, durch die der Kirchenstaat unter päpstlichem Regiment berüchtigt war, mit diesem aufgehört hat. Und Noth leidet der in seiner Souveränität auf den Vatican Beschränkte darum doch nicht, seitdem ihm die ganze katholische Welt freiwillig zinsbar geworden ist." „Ja", bemerkte ein Rheinländer, „das sehen wir auch ein, und abgesehen davon, daß eine Restauration der päpst lichen Herrschaft über den Kirchenstaat unmöglich ist: wir als gute Katholiken, wünschen sie nicht, weil der Papst damit aushören würde, die ideale und moralisch wirkende Persönlichkeit zu sein, die ein Leo XIII. für uns und die ganze katholische Welt ist." „Und doch fordern Sie auf den Katholikentagen die Wiederherstellung." — „Ja, aus taktischen Gründen, weil es der große Haufe erwartet; aber es ist nicht so ernst gemeint, wie es sich anhört." Schwerer war cs, sich über die Jesuitenfrage zu ver ständigen, weil die katholischen Laien sich über die Be deutung der Gesellschaft Jesu für die Kirche »nd den Staat ebenso wenig klar sind, wie die Mehrzahl der Protestanten. Nur den gebildetsten Theil des katholischen Klerus nehme ich von dem Vorwürfe ans; und „wenn die Bischöfe und Erzbischöfe für die Jesuiten nicht so ins Zeug gehen, wie mau erwarten sollte, insofern diese mit Recht als die begabtesten und rührigsten Vertheidiger des katholischen Glaubens gelten, so hat es guten Grund." ,^Welchen Grund?" „Nun den, daß sie ihre Wirksamkeit und Autorität im Sprengel durch die Jesuiten öfter beschränkt, als gefördert sehen. Und wo daS geschieht, sind die Bischöfe den Jesuiten gegenüber machtlos. Denn sie unterstehen allein ihren Vorgesetzten, in letzter Instanz nominell dem Papst, in Wahrheit nur dem General des Ordens, dem „schwarzen" Papst, wie er öfter genannt wird. Schon daß die Jesuiten, ohne um Erlaubniß bitten zu müssen, in alle Diöccscn eindringen, überall predigen und Beichte hören dürfen, macht sie zu unbeliebten Cvncurrenten der regulären Kleriker. Dazu kommt das Privileg, daß sie allein auch solche Sünden vergeben können, von denen zu absolvtren sonst dem päpstlichen Stuhl Vorbehalten mar, und daß sie also eine Machtbefugnis, haben, die über die bischöfliche hinausgeht. Sieht man ganz ab von der Frage des Nutzens oder Schadens ihrer Wirksamkeit und auch von ihrem prtncipiell feindseligen Verhalten gegen den Pro testantismus: einsichtsvolle Bischöfe sind, wie schon die französischen im 16. und 17. Jahrhundert, eher stille Gegner, alö laute Freunde der Jesuiten, weil sie den Frieden in der eigenen Kirche durch die von ihnen völlig unabhängigen Eindringlinge gefährdet sehen. Es ist ebenso oberflächlich und ungerecht, in diesem Falle vou Concurrenz neid zu reden, wie wenn man den Wider willen der protestantischen Geistlichen gegen die von aus wärts importirten „Neiseprediger" und die Heilsarmee aus denselben niedrigen Beweggründen erklären wollte. Hält man die Wirksamkeit der Jesuiten in der katholischen Kirche für nothmendig, wie wenn diese anders nicht ge deihen könnte, so ist das ein Mißtrauensvotum gegen den regulären Klerus, und daß es zur Aufgabe der Jesuiten gehört, diesen zu beobachten, zu controlircn und eventuell zu denuncircn, kann ihnen dessen Sympathie nicht erwerben. Wird solche dennoch von Vielen zur Schau getragen — die Bischöfe, wie gesagt, machen sich größtentheils dessen nicht schuldig —, so darf man wiederum fragen: ist es ernstlich gemeint?" v. vr. Lord Salisbury. Mit 73 Jahren hat sich Lord Salisbury in daS Privat leben und in sein geliebtes Laboratorium zurück gezogen. Er war in vier Negierungen zusammen 13^ Jahre Pre mier, mit Ausnahme von Lord Liverpol, der es auf 14 Jahre gebracht, länger als irgend ein anderer britischer Staatsmann im 1». Jahrhundert. Daß er von dem großen Lord Bnrleigh abstammt, der unter der Königin Elisabeth thatsüchlich England beherrschte, und daß Lord Bux- leigh dessen zweiter Sohn Robert Cecil Lord-Grotzschatz- meister und unter Jakob I. Earl of Salisbury wurde, ist bekannt. Es war ein merkwürdiges Zusammentreffen, schreibt die „Köln. Zig", daß nach Jahrhunderten wiederum unter einer Königin ein Robert Cecil bis an die Spitze der Staatsverwalitung aussteigen mußte. Dest: heutige Marquis of Salisbury hatte auch als zweiter Lohn, als Lord Robert Cecil, in der Politik früh ange fangen und saß schon mit 23 Jahren für Stamford im Unterhause. Seine Jugend wurde ihm nicht leicht, denn die jüngeren Sohne werden in England auch in großen Häusern nicht sehr glänzend ausgestattet, besonders wenn sie mit dem Haupte des Hauses und wie Lord Robert auch mit derSticfmutter nicht ans dem bestcnFuße stehen. Es ver schärfte noch das Mißverhältnis; zwischen Vater und Sohn, als der letztere gegen den Willen des Vaters die Tochter des Richters Alderson heimführte. Mit 27 Jahren galt es, sich da mit einem llleincn Jahreseinkommen durchzu schlagen oder für Haus und Familie zu arbeiten. Lor) Robert Cecil ging unter die Zeitungsschreiber und be kämpfte im damaligen Hauptorgan der Conservativen, dem „Morning Herald", in der alten „Saturday Review" und in der „O-uarterly Review" die Whigs und Radikalen, denen er im Unterhause mit schai-fer Rede zuseyte. Zwölf Jahre dauerte dieses Ringen, bis der von Freund und Gegner schon gefürchtete jüngere Sohn Lord Robert Cecil durch den Tod seines älteren Bruders Lord Cranborne 1865 Stammhalter des Hauses Cecil wurde und nun in eine glänzende Lage gericth. War cs die Verbitterung seiner Jugendjahre oder natürliche Charakteranlagc, Lord Cranborne und dann auch der Marquis of Salisbury — denn nach zwei Jahren folgte der neue Lord Cranborne seinem Vater als Erbe ins Oberhaus —, blieb ein ebenso bissgtrc, scharfer Redner wie es Lord NobertCecil gewesen. Er trennte sich, als erMinisler fürJndien unter LordDerby war, von Disraeli 1867 in der Neformfrage. Er machte in den 70er Jahren, als er sich wieder längst mit dem con- servativcn Führer versöhnt hatte und nur gelegentlich wieder die eigenen Partcilciter bekämpfte, während der Ereignisse, die in dem russisch-türkischen Kriege auslicfen, wieder als Minister für Indien seinem Chef im Cabinct das Leben so schwer, daß der kluge Disraeli ihn mit einer besonderen Sendung nach Konstantinopel betraute, um dort die unmöglichen Dinge, die Salisbury im Cabinet verfochten hatte, zur Geltung zu bringen. Erfolg hatte die Sendung nicht, aber der kluge Disraeli halte seinen Zweck erreicht und seinen hochfahrenden, eigenwilligen Mitarbeiter eines Besseren belehrt, ohne sich mit ihm zu überwerfen. Er gab dann auch später, als Lord Derby, der Salisbury's Stiefmutter gchcirathet hatte, die Leitung des Foreign Office nicderlegte, Lord Salisbury das er ledigte Portefeuille, machte aber in den Hauptzügen seine auswärtige Politik selbst. Die Uebcrwcisung indischer Truppen nach Malta, der Ankauf der Suezcanal-Actien, die Erwerbung von Cypern waren Lord Bcacvnsfield'S Thatcn. Die vorläufige Verstäudignng mit Rußland, die den Berliner Congrcß ermöglichte, war allerdings in der Ausführung, wie auch in der Ableugnung der durch einen Schreiber dem Globe gesteckten Vereinbarung, Lord Salis- bury's Werk. Bismarck durchschaute, als er auf dem Berliner Congrcß Beaconsfield und Salisbury vor sich hatte, das Verhältnis; und erklärte im vertrauten Kreise: „Der Jude ist der Mann." Die Bevollmächtigten blickten verwundert drein und verstanden erst nicht, was! der damalige englische Premier wollte, als er in der Er- örterung über Vatum erregt auffuhr und rief: 6ezus dellei eesus boiloi! co8U8 bssiei! Die englische Aussprache von c»8U8 belli war ihnen neu, aber wenn sie auch sonderbar klang, das Wort Lord Bcaconsficld's wirkte und England erzielte den äußeren Erfolg, der ihm genügte. Mit Lord Beaconsfield s Tode fiel dann dem Marquis of Salisbury die Führung der Partei zu, die im weiteren Verlaufe ihn von 1885 bis vor einigen Tagen mit kurzen Unterbrechungen an die Spitze der Staatsgewalt erhoben und bis vor anderthalb Jahren auch zum direkten Letter der auswärtigen Politik gemacht hat. Wenn man heute die begeisterten Artikel verfolgt, in denen seine Geschäfts leitung von englischen Blättern verherrlicht wird, so möchte man glauben, der Schloßhcrr von Hatfield sei einer von den größten Staatsmännern aller Zeiten gewesen und ganz Europa habe die Briten um ihren Premier beneidet. Blickt man indessen in die Geschichte dieses Zeitraumes hinein, so vermißt man leitende Gedanken und schöpferische Thatcn. Lord Salisbury hat sich zu allen Zeiten hervor- gethan im Angriffe, in der Kritik, in der Verneinung, Als ein schlimmer gefährlicher Gegner, den seine eignen Parteigenossen selbst mehr noch scheuten als anerkannten, hat er sich seine Bahn gebrochen, und seine Stellung als Haupt des großen Adelshauses der Cecil hat das übrige gelhan. Als er dann die Macht in der Hand hatte, blieb er auch als Leiter der Dinge der Mann der Verneinung und Opposition, aber der Opposition gegen die eigenen An hänger, die zum Handeln drängten Bestimmte Gesichts punkte, die er eigenthümlicherwcise mit seinem Gegner Gladstone gemein hatte, waren eine stille Hinneigung zu und ein Streben nach Verständigung mit Rußland und eine Abneigung gegen die Türkei, die mitunter an Haß grenzte. In; klebrigen bekundete er zu allen Zeiten eine ausge sprochene Verachtung für Staaten, die nach seiner Meinung am Abstcrben waren, und wollte möglichst wenig mit ihnen zu thun haben. Der eigentliche Grundzug der Salisbury'schen Politik ging dahin, sich von den Ereig nissen treiben zu lassen und sich nach Leibeskräften gegen jede Zumuthung des Handelns aus dem eigenen Lager zu wehren. Wurde der Drang von innen oder nach Um ständen auch von außen zu groß, so wurde cs hier wie dort mit Zugeständnissen versucht. Mit Rußland hat er stets wenig Glück gehabt. Wo die englische Politik unter seiner Leitung wirklich zur That geschritten war und Er folge zu verzeichnen hatte, findet man bei näherer Unter suchung gewöhnlich, daß ihm die Action von Freund oder Feind buchstäblich abgeruugen worden ist. War es nicht BiSmarck, der von ihm gesagt hat, er sei eine mit Eisen farbe angestrichcne Holzlatte! Man hat ihn oft als Freund Deutschlands bezeichnet, weil er zur Zeit seiner journa listischen Dichtigkeit mit ätzendem Sarkasmus die jammer volle Politik der Whigrcgicrung in der schleswig-hol steinischen Frage gebrandmarkt hat. Es war das für ihn eine reine OppositionSsachc. Im übrigen war es ein großes Glück für England auch unter Lord Salisbury, daß die Thorheit seiner Feinde oft noch bedeutend größer war als die Weisheit seiner eigenen Staatsmänner. Die Staaten- bei denen solches der Fall ist, befinden sich wohl und ihre Staatsmänner werden als Weise gepriesen. Feuilleton. Humor in der erzgebirgischen Volksdichtung. Wenn die Sommerferien herannahen und die Reisezeit gekommen ist, dann beginnen auch unsere Gebirgsvcreine in Wort, Schrift und Bild aufzumuntern zum Besuche unserer herrlichen Mittelgebirge. Der rührigsten einer ist der Erzgebirgsverein. Durch seine unermüdliche Thätigkcit ist es ihm nicht nur gelungen, unser so lange verkanntes, wegen seiner Rauhheit zu Unrecht ver schrieenes heimischesGebtrge in setnenReizcn zu erschließen, sondern auch von Jahr zu Jahr ihm einen immer grö ßeren Fremdenstrom zuzuführen. Und nicht nur das Ge birge selbst mit seinen lieblichen und romantischen Thälern, seinen waldgekrönten Bergen, seinen entzückenden Fern blicken ist des Besuches werth, sondern auch das Volk, das cs bewohnt. Trotzdem daß es durch die Dürftigkeit des Bodens zu harter, in der Reihe der Jahrhunderte oft wechselnder Arbeit gezwungen ist, hat es sich doch im Großen und Ganzen einen zufriedenen Sinn und ein frohes Gcmüth bewahrt. Beide sind zwar zunächst unter rauher Schale versteckt; doch offenbaren sie sich bald dem, der es versteht, den Großstädter abzustreifen und in natür licher Weise mit den Leuten des Volkes zu verkehren. Der heitere Sinn, der durchaus nicht in Leichtlebigkeit ausartet und auf Oberflächlichkeit beruht, sondern mit Religiosität, Vaterlandsliebe und anderen Tugenden ge paart ist, kommt so recht zum Ausdruck in der Volks dichtung des Erzgebirges, besonder» in den den Schnader- hüpfcln ähnlichen. Tschumperliebeln, von denen Alfred Müller in seinem leider viel zu wenig bekannten Büchlein „Volkslieder aus dem Erzgebirge" eine reiche Zahl darbietet. Wenn wir un» hier gestalten, eine Aus wahl von diesen Kindern der leichtgeschürzten Muse dar- zubieten um den Humor beS Erzgebirglers in verschie- denen Lebenslagen zu zeigen, so möchten wir dadurch diesen dem Herzen des freundlichen Lesers etwas näher bringen und ihn zugleich anregcn, recht aufmerksam zu forschen, ob sich ihm nicht hier und da, zur eignen Herzen», erqutckung und zum Nutzen der Bestrebungen unseres Vereins für sächsische Volkskunde, solche einfache Debirg». blumen der Volksdichtung offenbaren; denn der Erz- gebirgler ist nicht arm an solchen, mögen sie tiefem Ernst oder heiterer Fröhlichkeit entsprungen sein. Heute sollen nur solche geboten werden, die demHumor dienen, mögen sie auch dann und wann in ernster Lebenslage entstanden sein. (Sind doch gerade unsere größten Humoristen nicht immer auf Rosen gebettet gewesen.) Ist auch die Geschichte von dem an der Decke hängenden Hering, an dem die Kartoffeln nur hingestricheu werden, eine böswillige Erfindung, so ist doch hier und da die Armuth noch recht zu Hause; wie sie aber mit Ergebenheit und heiterem Sinn ertragen wird, zeigt uns der humo- ristische Bettelvers: Jech und mei alte» Weib Könne brav tanzn, Sic nimmt ne Battlsok Nu iech ne Ranzn, Sie gieht nach Hermrschdorf Un iech nach Geyer, Sie nimmt de Stickle Brud Un iech de Dreier. Für die liebe Jugend kommt dann und wann als will kommene Unterbrechung des fortwährenden Fastens ein „fetter Tag", sei es bet Gelegenheit des Kirchweihfestes mit Hilfe des sogenannten Kuchensingens, am Dreikönigs- tagc oder zu Fastnächten, bei welchem Feste noch hier und da das „Spießeinrecken" üblich ist, da» Pastor Löscher so hübsch in der neuen Zeitschrift „Unsere Heimath" schildert. Wir können dann den Buben und Mädchen nicht böse sein, wenn sie bei diesen Gelegenheiten ihre Unbescheidenheit in die drolligen Worte kleiden: Dreimal, dreimal um da» Hau» — Gebbt mr e Stickl Kung rau»; IS der Kung neg gerothn, Gebbt mir e Stickl Schwetnebrot'n oder. Giwele Gowele schickt mich har, Selln mr wo» ze assn gam, Net ze grüß un net ze kla, Wie e klaner Mihlsta — ober viel harmloser: Hier reck ich mein' Spieß Jwrn Herrn sein Tiesch; IS br Herr e gutr Ma, Stcckt'r mir e Krapp! na. Bet der herangewachsenen Jugend, die manchmal schon das Vaterhaus verlassen und andrenorts bessere Kost ge nossen hat, hat sich wohl dann und wann eine gewisse Un zufriedenheit eingenistet; es heißt dann wohl: Sauerkraut un Ntbn Hamm mich vertrieb»; Hctt mei Muttr Flasch gekocht, Weer ich bei'r gebliebn. Doch das ist mehr scherzhaft gemeint. Der Unmuth sitzt nicht tief und ist nicht von langer Dauer; wird doch die Jugend oft, wie es im Volksmunde heißt, „von der Liebe satt". Die Liebe ist es denn auch, die im Tschumperliedchen eine hervorragende Rolle spielt. Die Verliebtheit macht sich oft in äußerst drastischen Vergleichen Luft: Ei du liebe Sonncblume, Tu hast mir mei Harz genumme; Tu liegst mir in meiner Haut, Wie de Wurscht in Saurkraut, Du liegst mir in mcin'n Sinn Wie e Bindl Hackrltng. In der Sehnsucht nach der Geliebten sucht der Bursche Liebesboten, die dem Schätzet Grüße bringen sollen. Darss uns wundern, daß, seit das Dampfrotz auch in den stillen Erzgcbirgsthülern einherschnaubt, einer neben dem Vöglein sich dieses zu Liebesdiensten auserkoren hat in dem Reime: Eisenbah, Eisenbah, Lokomativ, Wenn de mei Schätz! sist, Gtbbft n bann Vries. Mit Sehnsucht sieht auch da» Mädchen der Ankunft des Geliebten entgegen und sorgt sür einen guten Em pfang: Muttr, back fei Hefnkließ, Met Schatz! «mmt heit ganz gewieß. — In jedem geputzten Burschen, der in der Nähe des Häuschens auftaucht, glaubt eS ihn zu sehen: Kimmt schie untn de Wtesn ra, Hot gewichste Stiefln a, Steht er wie e Eblma. ES weiß sich aber sofort zu trösten, wenn e» im Irr- thum gewesen ist: Lieht vrbct un sicht net ret, Ka rsch a net gewasn set. Ans ein fesches Aussehen wird bei der Wahl des oder der Geliebten viel gesehen: Mei Schatz sieht rusn'rutb, Dar Färb, dar bie ich gut. Secch as net rusuruth, Weer inegc (ich ihm) net gut — oder: Du rosnrothS Birschl, Du Himmlschlissl, Bei dir mecht ich sitzen Alle Tag e bissl. Das weiß auch das Mäd'k; drum singt cs, gleichzeitig seine häuslichen Tugenden hervorhebcnd: E schie Mabl bie ich, Ruthe Backle hob ich, Kaw aschn, ka plattn, Ka waschn, ka plattn, Mancher weitz sich auch über einen körperlichen Fehler der Geliebten mit Humor hinwegzusetzen; so heißt es z. B. Dos Madl, dos ich Howe will, Dos hat cun krumme Fuß; Do mach ich ihr a Rabl na Un fahr damit noch MuS (Moos). Freilich hat auch der und jener kein Glück in der Liebe. Die er für bie Seine hielt, hält e» mit einem Anderen. Dann singt er wohl: Was hilft mr « ruthr Eppl, Wcnnr außn sieht rnth — WoS hilft mr mei Schatz!, Wenn r anncrn is gut? oder er sagt ihr mit folgenden Worten Dalett E schie Blicml in Gartn, E Res! in Klee — E Liebste ho ich gekatt, Die ho ich nimmey. Mit erkünsteltem Gleichmuth hören wir ihn — vielleicht, wie in allen anderen Fällen, auch sie — sagen: Du hast gesaht, de mast (magst) mich net? Du käst mich gar net kring; Du bist mr gar net schie genüng, Ich ka dich a net ltevn.
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