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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.06.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190306141
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19030614
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19030614
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-14
- Monat1903-06
- Jahr1903
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.06.1903
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 88 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), au, mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesörderuug SO.—, m,t Postbesörderuug 70^-. Auuahmeschluß fir Iluzeigeu: Abend-Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen find stet- au di« Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von L Polz in Leipzig. Nr. 287. Sonntag den 14. Juni 1903. 87. Jahrgang. Aus der Woche. Die bluttriefenden Greueltaten von Belgrad auch nur im entferntesten mit deutschen Verhältnissen oder gar mit dem Kampf der Parteien um die NeichStagSmandate in Zu sammenhang zu bringen, ist keinem einzigen bürgerlichen Blatte eingefallen. Wir wüßten auch mit dem besten Willen keinen Gesichtspunkt zu bezeichnen, unter dem ein Ver gleich angestellt oder auch nur eine Hindeutung gemacht werden könnte. In- Mittelalter oder nach Halbasien fühlen wir uns versetzt, wenn wir kören, bis zu welchen Akten unmenschlichen Blutdurstes die von politischen und gleichzeitig gemeinen Instinkten getriebenen Führer von Heer und Volk Serbiens die Verfolgung ihrer Pläne getrieben haben. Nicht Züchtigung dieser Horde kann Ausgabe der Großmächte sein. DaS Recht der Serben, auch heute noch über die Kardinalfragen ihrer politischen Existenz selbst zu entscheiden, kann heute, fünfundzwanzig Jahre nach dem Berliner Kongresse, nicht mehr destriltkn werden. Aber Sympathien für riese» Land, das man auf drin Wege zu einem gewissen Fortschritte der Kultur und Zivilisation ge glaubt hatte, können »m westlichen Europa nicht mehr vor handen sein. Der Abgrund zwischen unserer Kultur anschauung und jenen Zuständen ist einstweilen nicht zu überbrücken. Wir wollen auch dem Zentralorgan der deutschen Sozialdemokraten nicht nachsagen, es habe die Andeutung eine» Vergleiches bei diesem Anlasse gewagt. Aber Kapital zu schlagen auS dem alle Gemüter erschütternden Vorgänge, wird dennoch versucht. Ohne vom Wahtkampse zu sprechen — auch Bischof Kopp hat das ja in seiner post kortum-Philippika gegen Polen und Sozialdemokraten bekanntlich nicht getan —, sucht der „Vorwärts- gegen Monarchie und Heer zu Hetzen, indem er seine Betrachtung über die Belgrader Vorgänge mit dem Satze beginnt „So läßt die Armee Throne krachen!* * Und weiter heißt e» da: „WaS wollen die revolutionären Hinrichtungen hoch verräterischer Fürsten besagen gegenüber dieser wüsten Schlächterei von Frauen durch die allgetreueste Armee. DaS Heer versteht sein Handwerk. Es giebt keinen Pardon — auch wenn es dem eignen König g'lt! Und seltsam! So ost ein Wahnsinniger oder ein Fanatiker in den letzten Jahr zehnten ein Staatsoberhaupt lötete — immer gellte ein Schrei der Rache durch die Welt der herrschende» Klassen. Man veranstaltete Treibjagden wider einen sagenhaften (l) AnarchitmuS oder versuchte es gar mit Umsturzgesetzen gegen die Sozialdemokratie. Man erfand weitverzweigte Ver schwörungen und eine sü»chte>liche revolutionäre Interne Endlich haben wir eS einmal mit einer wirklichen Verschwö. rung zu thun, wie sie kein Kolportageromancier blutiger zu ersinnen vermöchte: Eine wahre Königsschlacht, in der Scepter und Purpurmaotel durch Blut geschleift wird. Wo sind jetzt die Rufe nach Ausnahmegesetzen wiver die Armeen, wider den Militarismus, der vor dem Grausigsten nicht zurück schreckt, der hunnisch selbst die eignen Könige mordet und wehrlose Weiber? Nichts von solchen Verallgemeinerungen, nichts von solchen Nutzanwendungen. Man begnügt sich, von asiatischen Sitten zu reven. Ja, man findet den unan genehmen Zwischenfall eigentlich menschlich ganz begreiflich." Hetzerei und Verleumdung — mit diesen Hauptrequisttra der sozialdemokratischen Agitation werden also selbst die Belgrader Mordtaten dem Zerrbild« eingefügt, daS die Sozialdemo kratie dem Volke zeigt, um es abzuschrecken von der Gesell schaft der nationalen Parteien. Wie fein Programm die Anhänglichkeit an Herd und Heimat negiert, so Hal der Sozialdemokrat kein Verständnis für die Empfindungen, von denen beseelt Professor Hasse unsere Stadl „Mein Leipzig" genannt hat. In ihrer an da- Lächerliche, ja Kindische grenzenden Verwegenheit greifen unsere sozialdemokratischen Gegner derartige Einzelheiten auf, um den Kandidaten der Mehrheit der bürgerlichen Parteien zu verunglimpfen. Sie freilich gäben viel darum, wenn sie — m anderem Sinne — „Unser Leipzig" sagen könnten, nicht um die Lckde zur Vaterstadt zu bezeichnen, sondern dir terroristisch« Herrschaft über da» Gros seiner Bewohner. Das ist r- wohl auch, wa- den Zorn Uber da* Wort „Mein Leipzig* zu so unsinnigem AuSdrucke gebracht hat, die Wut darüber, daß e* ihnen noch immer nicht gelungen ist, den roten Feyen auch auf unsren Mauern auszupflanzen. Berlin, Hamburg, Breslau, Mannheim, Karlsruhe, München und die große Zahl der FabrikstLdt« sind der Sozialdemokratie ganz oder teilweise anheimgefallrn. Und Leipzig hält noch immer Staad. E< ist eine glänzende ReichStag-wahlgeschichtr, aus di« wir voll Stolze- zurückschau«, können. Al- mau zum ersten Male zum großen Deutschen Reichstag wählte, sielen mehr al- 7000 Stimmen auf dea Kandidaten der Nationalliberalen, knapp 2500 aus dea der Sozialdemokraten. Warrn dies« di- 1874 um 1000 Stimmen gewachsen, so waien ihnen mit mehr al» 9000 dir Nationalliberalen fast dreifach überlegen. Bei den Wahlen von 1877 und nach Nobiliug» Attentat 1878 bewegt sich die Stimmen,zahl der Sozial demokrat«» zwisch«» 8- und 8000, di« Nationalliberalen bringen e» auf nahezu 11 und 12 Tausend. Nun steigen die Stimmen der Sozialdemokraten bi« auf nahezu Zehn tausend in den Jahren 1881 und 1884, aber die Nationalliberalen haben 11 800 und 12 500, um bei der großen vaterländischen Wahl von 1887 gleich im ersten Wahlgange mit 19 500 die Sozialdemokratie fast um 10 000 zu übertreffen. Die Stich wahlen von 1890, 1893 und 1898 geben rwar der Sozial demokratie jedesmal zwischen 14 und 15 000 Stimmen, aber der Kandidat der Nationalliberalen, die beiden letzten Male Professor Haffe, gewinnt mit 1k und 17 000 Stimmen ge waltigen Vorsprung. Denn auch die anderen bürgerlichen Parteien setzen nun ihren Stolz darein, zu verhindern, daß von „Ihrem Leipzig" die Sozialdemokraten sprechen könnten. Und so wird e«, denken wir, auch diese« Mal gehn. Wer dächte daran, daß die vielen Tausende nichtsozialvemokra- lischer Wähler von Leipzig auch nur in den Hauptfragen unseres politischen Leben« annähernd der gleichen Meinung sein sollten? Tradition, Bildungsgang, wirtschaftliche In teressen geben hier, wie anderswo, der Bürgerschaft die ver schiedensten politischen Richtungen. Aber der Gegensatz gegen die Sozialdemokratie hat sich bisher als ein Band erwiesen, stark genug, um im Augenblicke der Gefahr die Partei-Unter schied« zu verwischen, den Sieg der bürge, lichen Parteien jedem Einzelnen zur Ehrensache zu machen. Wir sind überzeugt, daß auch dieses Mal in der Stunde der letzten Entscheidung die Solidarität ve« gesammten Bürger tum« den Ansturm der Sozialdemokratie zu Nichte machen wiib. Bon den größeren Parteien hat eigentlich nur die Frei sinnige Vereinigung zeitweilig den Gegensatz gegen andere Gruppen schärfer dervorlreten lassen, als den Abstand, der auch sie ihrem wirklichen Wesen nach vom extremen Radikalismus trennt. Während der Dezemberkämpse um den Zolltarif haben die Mitglieder jener Partei, die unter Führung eine« Rickert da« Eintreten sür die großen nationalen Leistungen al» Ehrensache betrachtet hatte, ihre doktrinäre Anhänglichkeit an den toten Buchstaben der Geschäftsordnung bis zur Sympathie mit dem terroristischen Lärm der Sozialdemokratie gesteigert. Aber die zween un gleichen Kinder der Obstruktions-Politik paffen in Wirk lichkeit und auf die Dauer doch nicht zu einander. Dem Sozialdemokraten ist jetzt nach dem kurzen Winter deö Obstruktions-Vergnügens der Freisinnige schon wieder der „armselige, ängstliche Pfahlbürger, der nicht leben kann und nicht sterben will". Ein Uebermaß von Gehässigkeit der Sozialdemokraten gegen die freisinnigen Kandidaten muß die „Voss. Ztg." konstatieren. Zn BreSlau verbreiten die Genossen ein Flugblatt, geschmückt mit einem Bilde, unter dem zu lesen ist „Arbeiter und Geldsack". E« stellt einen Kurschierwagen dar, an den zwei gebückte Arbeiterinnen und zwei Arbeiter gespannt sind, und auf dem Bock sitzt, die mächtige Peitsche schwingend, eia wohlbeleibter, zylinder geschmückter Herr mit einer Nase, die sichtlich den Juden kennzeichnen soll. Ja Berlin aber wird den Wählern erzählt, wie beim Freisinn Versprechen und Halten, Reden und Han deln zweierlei und wie ibnen daS allgemeine Wahlrecht nicht „Herzenssache" sei. Bankoirektor Mommsen von der Partei, die sich nach dem Zeugnis des „Vorwärts" beim Zollkampf „am ehrlichsten und anständigsten betragen", muß sich in Danzig gegen „grenzenlose Veileumdungen" wenden, die gegen ihn und die Freisinnige Bereinigung die Sozialdemokraten verbreiten. Er weist darauf hin, daß das Verlangen nach Beseitigung der Getreidrzölle auf einen Ruck eine» „TollhäuSlerS würdig" sei. DaS Endziel der Sozialdemokratie steht er „nur in absoluter Entmündigung de» Individuum«, in grenzenloser Ver gewaltigung der einzelnen Klaffen, in zuchthäuSlerischrr Organisation der Gemeinwesen!" Nicht um einen neuen Zeugen gegen die Sozialdemokratie anzufübren, verweisen wir auf diese duftigen Blüten de» Wahlfiühling«, sondern um die ganze Unnatur diese» Bündnisses darzutun, da- im Dezember als höchster Schluß freisinniger Weisheit auSge- geben worden ist. Gegen eine Fortsetzung dieser Illusionen wird, möchten wir meinen, wie in Danzig so auch in „unserem Leipzig" kein Freisinniger zu haben sein. Der Umsturz in Serbien. Zur Beurteilung deS König» Alexander. Aus Berlin wirb der „Köln. Ztg." geschrieben: „Das jammervolle Ende de- König- von Serbien legt die Frage nahe, wie dieser junge Mann so geworden ist, wie er war, und wie seine Fehler, knabenhafte Fahrig, kett, wie sie sich bet der Heirat zeigte, brutale Rücksicht«- losigkeit gegen seine Eltern und bet seinen verschiedenen großen und kleinen Dtaat-streichen, eigentlich entstehen konnten, Fehler, die ihn seinem traurigen Ende entgegen getrieben haben. Die Antwort auf diese Frage ist zweifelsohne in seiner Kindheit und Jugendzeit zu finden, denn schon als Kind war er in die Streitigkeiten -wischen seinen Eltern in einer Weise hineingezogen worden, die unmöglich anders al- vergiftend auf ein jugendliches Gemüt wirken konnte. Als Kind war er recht gut beanlagt, «in freundlicher und harmloser Junge, der noch bis zu seinem 12. oder 18. Jahre etrva- sehr Kindliche- an tzch hatte. L» König Alexander un gefähr in diesem Alter stand, hatte ich einmal in Nisch eine Unterredung mit König Milan, der dabet sehr ein gehend die gesamte politische Lage besprach und nicht nur eine außergewöhnliche Kenntnis aller politischen Vor gänge, sondern auch ein überraschend richtiges und scharfes Urteil zeigte. Sehr kühl und ruhig setzte er seine Ansichten auseinander, bis zu dem Augenblicke, wo er auf das Verhältnis zu seiner Frau zu sprechen kam. Da verlieb Milan jede Selbstbeherrschung, und er sprach mit einer so gesteigerten, lauten Heftigkeit, daß ich mich eigentlich wunderte, daß niemand in den Saal kam, um zuzusehen, ob der König nicht mit seinem Besucher hand gemein geworden wäre. Dann in der äußersten Er regung ließ er seinen Sohn rufen und sagte, während er auf ihn zeigte, ungefähr wörtlich: „Sehen Sie diesen netten Jungen, an dem ich mehr hänge, als an allem: ich würde ihn aber mit meinen eigenen Händen eher er würgen, ehe ich zulasscn würde, daß er in die Hände dieser russischen Agentin, meiner Frau, käme und von ihr zu einem blinden Werkzeuge Rußlands gemacht würde." Ob der Knabe das voll verstanden hat, weiß ich nicht, aber ich fragte mich schon damals, wie wohl die Entwickelung eines Kindes werden würde, das in solcher Weise zwischen seinen Eltern hin- und hcrgezcrrt wurde. Denn so rück sichtslos, wie der König von dessen Mutter sprach, ebenso wird wohl auch die Königin von dem Vater ge sprochen haben. Das einfache und freundliche Kind ist denn auch in seiner Entwickelung ganz anders geworden, wie man damals nach seiner ganzen Veranlagung wohl hätte hoffen können, und cs ist eigenartig, daß diese Ver änderung sich auch in seinem Aeußern ausdrückte. Als Kind war Alexander nicht hübscher und nicht häßlicher als andere Kinder seines Alters, mit den Jahren aber traten die verkniffenen, »«liebenswürdigen Züge in seinem Aeußern immer stärker hervor, die ihn zuletzt zu einem äußerlich recht unsympathischen Manne machten. Freudlos und verzerrt war seine Jugend, und als er dann in viel zu jugendlichem Alter an die Regierung kam, da war es abermals ein Leben inmitten politischer Ränke und Umtriebe, das ihn hin» und herschwankcn ließ wie ein schwaches Rohr, und nicht immer nach der besten Richtung. Wenn er selbst Schuld gegen sich und gegen sein Land aufgehäuft hat, so kann man entschuldigend und erklärend sagen, daß König Alexander eben nichts anderes war, als das Erzeugnis einer traurigen Jugend und der traurigen Zustände in seiner Familie und in seinem Lande. Wenn er viel gefehlt hat, so ist auch an ihm viel verbrochen worden." König Alexander ist das Opfer einer falschen Er ziehung, seiner eigenen Leidenschaften und der Ränke ge worden, die ein herrschsüchtiges Weib und eine Schar emporgekommener slawischer Gewaltmenschen um ihn herum, für und gegen ihn gesponnen hatten. Nach dem Weggänge seines Vaters hatte die Regentschaft mehr mit den politischen Kämpfen zu tun, unter denen sie darauf sehen mußte, sich selbst zu erhalten, als mit der Erziehung des königlichen Knaben, der, schon durch das Beispiel seines Vaters und das Bild dj r elterlichen Zwistigkeiten irregeführt, im Verkehr mit eigennützigen Hofbeamtcn und Adjutanten verwilderte. Seine Umgebung erkannte zuerst ihr Interesse darin, ihn zum Schwächling heran wachsen zu lassen, damit sie in seinem Namen herrschen könnte. In den politischen Händeln blieb dem verwahr losten Knaben und Jüngling kein fester Pol; so wurde die Wirtschaft nach eigenem Gutdünken, so wie er sie bis 1000 von seinem Vater gelernt hatte, und wie Draga sie für ihn bis zum Einbruch der Katastrophe ausübte, fort gesetzt. Ehe diese Frau die Herrschaft über ihn gewann, galt er schon als körperlich und geistig zerrüttet, dann aber machte der Schwächling nach außen hin einen besseren Eindruck; etwas sprachenkundig, aufgeweckter als zur Zeit seiner durch Ausschweifungen getrübten Ent wickelung, sicher im persönlichen Auftreten, so erschien er unter dem Zauber seiner Geliebten. Allein es war kein Tropfen Herrscherblut mehr in seinen Adern, kein Sinn mehr für die Förderung des allgemeinen Wohles. Sein Eigennutz und sein Eigensinn, geleitet von der ge bieterischen Gefährtin, mutzten in Widerstreit geraten mit dem Eigennutz und dem Eigensinn seiner Umgebung, und in diesen Interessengegensätzen reifte der Augenblick heran, wo ihn und seine ganze Wirtschaft ein roher und vorbedachter Gewaltstreich deS in seinen Interessen durch den nicht waffenfähigen Jüngling zurückgesctzten Heeres vernichtete. E* liegen soljend« Nachrichten, von denen wir einige wiederholen, über die Vorgänge in Serbien vor: * Berlin, 18. Juni. (Telegramm.) Die Nach- richten über eine italienisch-montenegrinische Gegenkandidatur gegen Peter Kara- georgewttsch verdienen keinen Glauben, da dieser gerade Italien wegen seiner Verschwägerung mit dem Königshause als genehm gilt. (Wdrhlt.) * Wien, 18. Juni. (Telegramm.) Der Belgrader Spezialkorrespondent des „Fremdcnblattcs" erhielt von zuverlässiger Seite folgende Darstellung: Die Verschworenen warteten bis 1 Uhr nachts in der OfftzierSmesse in Kalimagdan und gingen dann in kleinen Abteilungen vor den Konak. Als dort ein Bataillon deS 6. Regiment- erschien, öffnete der mit- verschworene amtierende Adjutant des Königs, Pano- joborvitsch, die Eisentür des Vorgartens. Die Hof gendarmen verweigerten den Eintritt. Ss kam zu einem Zusammenstöße, wobei geschossen wurde. Beiderseits wurden Verletzungen erlitten. Die Hvfwache wurde entwaffnet, worauf die Verschworenen, von Naumowitsch geführt, das im Hochparterre gelegene Dtcnstzimmer Mneten. An der Treppe zum ersten Stock versuchte der Generaladjutant Petrowitsch die Verschworenen aufzu- -alten, wurde aber durch einen Leutnant nieder geschossen. In diesem Augenblicke ging in folge absichtlicher Störung das elektrische Licht im ganzen Hause auS. Die 80 Verschworenen tappt«« im Dunkeln übex di« Stiegen zu den Privat- gemächern des Königs, wo sie Kerzen fanden und an zündeten, worauf die Suche begann. Die Räume wurden vielmals vergeblich durchsucht. Die Verschworenen glaub ten, das Königspaar sei entflohen. In dem Berbindungs- gang vom alten zum neuen Palais wurde in einem Käm merchen der Kammerdiener der Königin entdeckt und ge zwungen, das Versteck zu verraten, worauf er nieder geschossen wurde. Naumowitsch und Maschin übernahmen die Führung und sprengten die Tür zum alten Palais, die ihren Axthieben widerstand. Die Verschworenen benutz ten dabei Dynamit, wodurch Naumowitsch und der Kapi tän Milikowttsch getötet wurden. Maschin entdeckt endlich in einer Maueröffnung einen kleinen Knopf, -er das Versteck des Königs öffnet. Mischitsch ruft dem König zu: „Erkläre deine Resignation!" Der König erwidert: „Wir kommen nur mit gegen euer Ehrenwort, daß uns nichts geschieht". Mehrere rufen: vorwärts! Mit dir wird nicht verhandelt!" Der König weigert sich, von der bebenden Draga zu weichen, und wirb in die Mitte des Gemaches gezerrt. Da er auf den Zuruf: „Danke ab!" nichts erwidert, treten die Kapitäne Anjelko- witsch, Lazarewitsch, Dimitrjewitsch, Radivojewitsch und Troipkowitsch vor und geben die ersten Schüsse ab. Die anderen feuern nach. Alexander wird von Kugeln förm lich durchlöchert und sinkt tot zu Boden. Hierauf wird die vor Schreck halb tote Draga ergriffen und dicht an der Mauerössnung von einer Revolversalve niedergestreckt. — Der Gewährsmann des Korrespondenten versichert, e- sei unwahr, daß die Leichen durch ein Fenster in den Park geworfen worden seien. Es sei wohl der Antrag gestellt worden, doch habe Mischitsch erklärt, das wäre eine Roheit, und habe die Leichen in Leinentücher hüllen und nach dem neuen Konak bringen lassen. (Wcrhlt.) * Wie«, 18. Juni. (Telegramm.) Das „Neue Wiener Tagblatt" veröffentlicht eine Unterredung mit dem Handelsminister Gentschttsch, -er die Frage, ob tatsächlich unter einem Teile der Mitglieder des Kabinetts eine republikanische Strömung herrsche, verneinen zu können glaubt. Die Wahl des Regenten könne erst am Dienstag erfolgen. TS sei ziemlich sicher, daß Karageorgewitsch gewählt werde. Der Fürst von Montenegro habe keinerlei Chancen. Ueber die kritische Nacht äußerte sich der Minister sehr reserviert. Erst wenn die Erregung sich gelegt habe, würbe eS ge boten erscheinen, offizielle Darstellungen zu veröffent lichen. Alexander habe seit seiner Thronbesteigung Fehler auf Fehler gemacht, und durch seine Heirat mit Draga, sowie durch die Komödie der Geburt eines Thronfolgers den letzten Halt beim Volke verloren. Der Zeitpunkt für den Anschlag sei gewählt worden, weil am 30. Mat alten Stils der Wunsch der Draga endlich erfüllt werden sollte, Nikvdem Lunjcwiya zum Thronfolger zu proklamieren. Das Ausland könne ruhig sein. Es handle sich lediglich »m eine interne serbische Angelegenheit. Im ganzen Lande herrsche Ruhe. Karageorgewitsch sei ein ernster, ehren werter Charakter, an dem Oesterreich-Ungarn nur einen guten Freund haben werde. (Wvrhlt.) * Wien, 13. Juni. Der Belgrader Spezialkorrespondent veS K. K. Tel.-Korr.-BureauS meldet auS Belgrad: Die Nackt ist vollkommen ruhig verlaufen. Während der Nackt durchzogen Kavallerie- und Infanteriepatrouillen die Stadt. Die Stimmung der Bevölkerung ist vollkommen ruhig. ES zeigt sich nur für König Alexander Teilnahme. DaS Hauptinteresse wendet sich der Tagung der Montag hier zusammenlretenden Skup- schlina zu. Die Mehrheit der Stadtbevölkerung hält die Wahl Peter Karageorgewitschs für sicher. Man spricht aber auch von der Möglichkeit der Abgabe von Stimmen für den Prinzen Mirko von Montenegro. Es sind auch vereinzelte republikanische Strömungen wahrnehmbar. In die allgemeine Freude über das Gelingen deS Staats streiches mischt sich eine Beklommenheit und eine gewisse Besorgnis über die kommenden inner politischen Ereignisse, insbesondere auch über eine für möglich gehaltene fremde Einmischung. — Die „Srb«kenoviae" ver öffentlicht einen Erlaß de« Krieg-ministerS bezüglich Ernennung mehrerer neuer, unter Enthebung der betreffenden bisherigen Truppenkommandanten. Die Stadtvertretung macht durch Maueranschlag die Bevölkerung auf Gesetzesartikel 34 auf merksam, wonach fünf Tage vor dem Zusammentritt und während der Sessionsdauer der Skupschtina Versamm lungen innerhalb des Tagungsortes, sowie dessen Umgebung im Umkreise von 20 üm untersagt sind und fordert zur Wahrung der Ordnung und Befolgung diese- Gesetze» auf. * Pest, 13. Juni. (Telegramm.) Da- „Ungarische Telegraphen-Bureau" meldet auS Belgrad: Ja der Montag-- sitzung der Skupschtina wird zuerst über die ReaierungS- form abgrstimmt, hieraus wird eventuell die König S- Proklamation erfolgen. In den letzten Tage» machte sich namentlich in den gebildeten Kreisen eine starke republikanische Strömung geltend. Als Wortführer der Republikaner im Kabinett wird Iustizmiuister Schiwkowitsch dereichnrt, jedoch wird die Erwägung, daß vie Wahl der republikanischen RegierungSsorm die au-wartiaen Beziehungen erschweren dürfte, die republikanischeStrömung ve- einträchtigen. Somit ist die Proklamierung eine» König- wahr scheinlich. Die Gerüchte von Unruhen und Erhebungen im Innern de- Lande- und Pronunciameato- de- Rischer Armeekorps sind unbegründet. — E- ist Tatsache, daß d^ie Leichen de« KönigSpaare- auf die Straße geworfen worden. Der gegen S Uhr früh durch da- Gerücht über die Katastrophe auf die Straße gelockte russische Gesandte erwirkt« di« Bergung der Leichen in da» Innere de- Konak-. Ueber die Ursache der barbarischen Handlungsweise äußerte ein beim Anschlag Beteiligter, man wollte durch deu Anblick der Leichen den Soldaten de« alarmierten heranrückeuden 7. Infanterie - Regiments zum Bewußtsein bringen, daß di« Tat geschehen und ein Kampf nutzlos sei. * Pcst, 13. 2uui. Dem „Ungarischen Korrespondenz- Bureau" wirb au- Belgrad gemeldet: In einer Uuter- redung äußert« der Minister de» Aeußern, Kalf««itsch,
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