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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.06.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030619019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903061901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903061901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-19
- Monat1903-06
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Siner Anschauung aber ist sie treu geblieben, von damals bi» auf den heutigen Tag: „Da» städtische und im besonderen da» liberale Bürgertum ist »dazu da, daß eS uns die für uns unbezwinglichen „Junker" und Konser vativen niederwirft,' ist das geschehen, dann werden wir mit dem „Bürgertum" gar leicht allein fertig werden". Man kann sagen: das ist der einzige Programmsatz der sozialdemokratischen Partei, der immer festgehalten worden ist? das ist die Richtschnur, nach der der sozial demokratische Vormarsch sich vollzieht. Es ist lehrreich und interessant, festzustellen, wie sehr dieser Gedanke die so zialdemokratischen Gemüter beherrscht. Im Jahre 1847 hat Marx einen Aussatz über „Schutz zoll- oder Freihandelssystem" veröffentlicht, in dem er die Zollfrage nach rein politisch-revolutionären Gesichts punkten erörterte und dabei für das im Keime sich ent wickelnde industrielle Kapital und für das „Bürgertum" gegen den „Feudalismus" mit dieser Begründung Partei nahm: „Erst wenn nur noch eine Klasse — die Bourgeoisie — auSbeutend und unterdrückend dasteht, wenn Not und Elend nicht mehr bald dem, bald jenem Stande oder bloß dem un beschränkten Königstum und seinen Bureaukraten in das Schuldbuch geschrieben werden können: erst dann entsclieidet sich der letzte entscheidende Kampf, der Kampf zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen, der Kampf zwischen Bourgeoisie und dem Proletariat. Dann ist das Schlachtfeld von allen unnötigen Schranken, von jedem irreführenden Beiwerk gesäubert, die Stellung der beiden feindlichen Heere klar und übersichtlich. Mit der Herrschaft de» Bürgertums gelangen auch die Arbeiter, von den Verhältnissen getrieben, zu dem unendlich wichtigen Fortschritt, daß sie nicht mehr als einzelne, al» höchstens ein paar Hunderte oder Tausende gegen da» Bestehende auftreten und sich empören, sondern daß sie alle samt als eine Klasse mit ihren besonderen Interessen und Grundsätzen ihrem letzten und schlimmsten Erb feinde — der Bourgeoisie — nach gemein samem Plane und mit vereinter Macht zu Leibe rücken. Der AuSgang diese» Kampfe» kann nicht zweifelhaft sein. Die Bourgeoisie wird und muß vor dem Proletariat ebenso zu Boden sinken, wie die Aristokratie und das unbe schränkte Königtum von den Mittelstands klassen den Tode» st oß erhalten hat. Mit der Bourgeoisie zugleich stürzt das Privat ei g e n t u m." So Marx schon im Jahre 1847. In genau dem gleichen Sinne hat Karl Kautsky im Jahre 18V3 geschrieben: „Die liberale Partei wird binnen kurzem an einen Punkt getrieben sein, wo sie sich entscheiden muß, ob sie eine bürgerliche Partei b leiben oder ob sie eine reine Arbeiterpartei werden will. Entscheidet sie sich für ersteres, bricht sie mit den Arbeitern, dann besiegelt sie damit ihren Untergang, denn ihr Anhang in den bürgerlichen Kreisen schwindet rasch dahin und ist viel zu gering, um sie lebensfähig zu erhalten. Hinter ihr aber erhebt sich eine unabhängige Arbeiterpartei, die au» jedem Zaudern, jedem Widerstreben der liberalen Partei gegenüber dem Proletariat neue Nahrung zieht, und die in dem Moment an deren Stelle treten würde, in dem die Liberalen den Arbeitern gurufen wollten: Bi» hier her und nicht weiter!" Selbst inbiesem Wahlkampfe hat die Sozialdemokra tie gar kein Hehl daraus gemacht, was sie in Wahrheit vom freisinnigen Bürgertume hält und wozu e» ihr dienen soll. So schrieb die „Sächsische Arbeiter-Zeitung" im Mai: „Wir sehen die Schwächlichkeit des preußischen Liberalismus ebenso deutlich wie der „Vorwärts", wir verachten die Jämmer lichkeit der Richterleute mindesten» so sehr, wie er: aber das darf uns niemals hindern, die Reste de» Liberalismus gegen da» Junkertum auSzuspielen und zu benutzen. Die sozial demokratische Zuchtrute wird vielleicht auch diese Elemente etwas aufpeitschen und ihnen, wenn auch nicht» anderes, so doch die Kraft der Verzweiflung leihen." Und ungefähr zu gleicher Zett äußerte die „Neue Zeit": „Den Kampf, den sie (die liberale Bourgeoisie) vor vierzig Jahren noch führen konnte al» die überlegene Leiterin der Arbeiterklasse, den kann sie heute nur noch führen, fall» sie ihn ander» wirksam führen will, als HülfStruppe der Sozialdemokratie. ES ist vielleicht die demütigendste Zumutung, die je an da» historische Selbstbewußtsein einer Klasse gestellt worden ist, und, rein menschlich mag man ver stehen, daß sich die Bourgeoisie auf da» äußerste dagegen sträubt." Auch Eduard Bernstein, der „Gemauserte", steht auf keinem andern Standpunkte, wie folgende Sätze aus einer in Stuttgart gehaltenen Wahlrede beweisen: „Die Entwickelung treibt dahin, daß ... die Volkspartei einmal in ihrem demokratischen Teile den Schwanz der Sozialdemokratie bilden wird. Ich sage die» nicht au» Ueberhebung, sondern al» Feststellung der tatsächlichen Schichtung dieser Partei, die au» den wirtschaftlichen Dingen resultiert." Mit Hohn und Verachtung glaubt die Sozialdemokratie da» freisinnige Bürgertum behandeln zu können. Sein bürgerliches Interesse sollte das freisinnige Bürgertum veranlassen, in der Sozialdemokratie seinen Todfeind zu ehen. Und die bürgerliche Ehre sollte dazu zwingen, dem rech höhnenden Todfeinde die gebührende Antwort zu geben. Schlutzergebnis der Hauptwahlen zum Reichstag. Nunmehr sind sämtliche 3S7 Wahlergebnisse bekannt. Darunter sind 183 Stichwahlen. Gewählt sind: 31 Konservative, 88 vom Zentrum, 14 Polen, 6 von der Reichspartci, 55 Sozialdemokraten, 4 Wilde, 5 Elsässer, 5 Rationalliberale, I Däne, I von der Reformpartei, 3 vom Bauernbund. 214 An den 183 Stichwahlen sind beteiligt: 37 Konservative, 121 Sozialdemokraten, 24 von der freisinnigen Bolttpartei, 65 Rationalliberale, 11 von der freisinnigen vereinig«»», 4 Elsoffer, 8 Polen, 16 von der Reichspartei, 1 vom Bund der Landwirte, 5 Antisemiten, 35 vom Zentrum, V Wilde, 6 vom Banernbnnd, 8 von der dentschen volkspartet, 8 Welfen, 8 von der Reformpartei. 366 Kandidaten (je zwei) für die Stichwahl. In Altenburg ist Buchwald (Soz.) gewählt. v. Ezarlinski (Pole) ist in Konitz-Tuckel und in Wirsitz-Schubin gewählt. Da er die Mahl in Wirsitz annimmt, ist in Könitz eine Neuwahl erforderlich. Wellheim: Berichtigung: Frhr. v. Thüuefeld (Zentr.) gewählt. Traunstein: Lehemeier (Zentr.) gewählt. Rosenhcin: Raun er (Zentr.) gewählt mit 12972 Stimmen, v. Bollmar (Soz.) erhielt 4632, Eisenbergrr (Bbd.) 4071, Wacker (natl.) 1555, Wengg (Aotis.) 178, Quid de (Demokrat) 54 Stimmen. Wesentlich verändert wird durch da» Schlußergebnis der Hauptwahl da» Bild nicht, da» man sich schon vorher von dem Verhältnisse der gewählten Abgeordneten zu einander machen konnte. Deshalb bebalten auch die Preßstimmen, die schon vor dem Bekanntwerden des Schlußergebnifse» laut wurden, eine» gewissen Wert. Die „Kreuzzig." glaubt seststellen zu dürfen, daß da« Anwachsen der Sozialdemokratie fast au-schließlich auf die Bezirke mit überwiegend industrieller Bevölkerung entfalle, während „nach wie vor" die ländlichen Kreise .da» sicherste Bollwerk gegen die Umsturzpartei bildrn"(?). Wa» die Stellung de» neuen Reichstages zu nationalen Fragen anlange, so werde hier mehr noch wie früher da» Zentrum ausschlaggebend sein. E» sei daher nicht ratsam, da» Zentrum konfessionell zu brüskieren, im Gegenteil: „Au» dem Ausfälle der Wahl«, «gibt sich di« Notwendigkeit, di« Gegensätze zwischen de» bilden christlich«» Brkrnntnissrn a»f La» rtliglös« und kirchlich« Gebiet z» beschränken. Hl« mag man ihn«n, da ihr AuSglrtch außrrhalb d«» Verricht» d« Möglichkrit lirgt, mit all« Schärf« Au-druck geb«». Ab« maa soll si« nicht auf da- politisch« Gebiet übrrtragru. Da» brutsch« Volk hat mit drr Bekämpfung der Umsturzpartri genug zu tun und darf hirrbti krio« Hüls« zurückwrisrn, von wrlchrr Sritr st« auch komm«» möge. Jn-brsondtr« di« Konsrrvatlorn wrrdrn sich zu «rinn«» habrn, aß sir drn schwrrstrn Frhlrr b«geh«n würd«a, wenn ff« d«m Zen- trnm grgrnüb« «in« grundsätzlich srludlich« Haltung «innähmen, daß virlmrhr «In Zosammtngrhra mit ihm in möglichst virlrn brdrutsamra Frag«» untrr d«a obwaltrndr» Umständrn im Jat«rrss« dr» vatrrlandr» lirgt." Die „Nat.-Ztg." hrbt mit besonderer Genugtuung her vor, daß, abgesehen von dem bedauerlich«» Anwachsrn drr Sozialdrmokratie, von drm sie bemerkt: „Die deutsch« Politik wird durch dir Wahle« von 1SOS in kein« „Wrttwrndr" grdrängt werden I Si« wird mit ziemlich d« gleich«» Stärk« der Mittetparirlrn zu rechnen haben wie bisher. si« wird von einigen rxtremagrarischen Parlomentarirn glücklich befreit sein und braucht selbst vor 70 oder 80 Sozialdemokraten nickt in rin Mauseloch zu kriechen." die eklatante Niederlage drr Agrarier erfreulich sei. Auch die freikonservative „Post" verhehlt ihre Freude da rüber nicht: „Die extremen Agrarier scheinen ihr« Erwartungen nicht nach Wunsch erfüllt zu sehen. Si« zählten tm alten Reichstage 6 Mit glieder, mit Einschluß des der konservativen Fraktion beigetrrtrnen Or. Oertel sogar 7. Nach drn bisherigen Meldungen ist aber nur 1 Bündier definitiv gewählt und fünf kommen in die Stichwahl, vr. Hahn ist in seinem bisherigen Wahlkreise Otterndors- Geestemünde bereits unterlegen, auch der zweite Bundesvorsitzende vr. Roesicke hat sein Mandat bereit» verloren, ebenso Lucke- Pater-bausen. vr. Oertel steht tn der wenig günstigen Stichwahl mit einem Sozialdemokraten. Da» sind die Früchte der in»Maßlose gesteigerten Agitation, die jeder Partei di« Fehde an- agte, die nicht an einem Strange mit dem extremsten Bündlern zog. DI« Sozialdemokratie, die sich auf eine an eigene» Denken nicht gewöhnte Mass« stützt, kann mit solchen Mitteln Erfolge «zielen, niemals aber eine Partei, die sich auf Elemente stützt, die zu denken und zu rechnen gezwungen sind, sür die zu viel auf dem Spiele steht, um eine vu dunguo-Politik mitzumachen. Man wird abzuwarten haben, ob dies« Lehre «ine heilsame Wirkung auf di« Leiter de» Bunde» ausübrn wird." Die „Deutsche TageSztg." ist völlig geknickt. Sie verzichtet darauf, daS für sie vernichtende Resultat zu be- prechen und verschiebt die ausführliche Besprechung bis später. In kleinem Druck (wohl als Zeichen der Trauer) bemerkt sie: „Da» Wahlergebnis ist für un» nicht günstig ausgefallen. Wenn auch noch zahlreiche Meldungen auSstehen und in den vielen Stich wahlen noch manch« Scharte ausgewetzt werden wird, so ist doch jetzt schon festzustellrn, daß dank der unerhörten Agitation ür uns schwere Verluste zu verzeichnen sind. Herr vr. Roesicke st in Kaiserslautern nicht in die Stichwahl gekommen, eben- owenig Herr Vr. Hahn im 19. Hannoverschen Wahlkreise. Auch Herr Lucke ist ausgefallen, sodaß diese 3 hervorragenden Führer de» Bunde» wenigstens vorläufig nicht in den Reichstag gelangen werden. Herr vr. Oertel, drm bekanntlich von Berlin aus durch die allerdings später fallen gelassene Kandidatur Lnsen»ky auS dem preußischen Handelsministerium gleich von vornherein unter Bruch de» in Sachsen bestehenden Kartells in den Rücke« gefallen wurde, muß sich d« Stichwahl gegen den Sozialdemokraten unterziehen. Wir werden, wenn di« gesamten Ergebnisse vorliegen, die Gründe darzulrgen suchen, die unseres Erachtens daS bedeutende Erstarken der Sozial demokratie gezeitigt haben, daS die Signatur der dieSmaligeu Wahlen sein dürste." Nun, über „unerhörte Agitation" zu klagen, hatte gerade der Bund drr Landwirte am wenigsten Veranlassung. — Die „Bossische Zeitung" erblickt in den Erfolgen der Sozialdemokratie, die allgemein anerkannt werden, die Quittung über den Zolltarif, vergißt aber dabei, zu erklären, wie es kommt, daß die Hauptverluste gerade von den Gruppen der bürgerliche» Parteien am meisten zu tragen sind, Vie mit den Sozial demokraten bei den Beratungen deS Zolltarifs durch Dick und Dünn gegangen sind. DaS „Berliner Tage blatt" ist ehrlich genug, zuzugestehen, daß eS drn Erfolg der Sozialdemokraten iür leinen besonderen Schaden hält. Unter den Zufriedeneren ist die „Germania" hauptsächlich deswegen, weil daö Zentrum im allgemeinen seinen Besitzstand gewahrt bat. Die „Täglich« Rund schau" meint, bezeichnend für das richtige MachtverhältniS des in der Presse sehr stark, in der Wählerschaft schwach vertretenen entschiedenen Liberalismus bleibe die Tatsache, daß z. B. die Freisinnigen in der Hauptwahl noch nicht einen Kandidaten durchzubringen vermochten. Immerhin aber sei ein Ruck nach links uazweiselbaft. Gewisse agrarische Wünsche dürfte» sich im kommenden Reichstag wohl kaum mehr her vorwagen und der Bund der Landwirte dürfe sich sagen: „Wir hätten un» sollen begnügen." Endlich sei eine Auslassung der Berl. Polit. Nach r." besonders deshalb mitgeteilt, weil sie in einer beherzigenswerten Mahnung gipfelt. Tie lautet: Wer über den charakteristischsten Zug diese» Er- gebnisses noch im Zweifel sein könnte, würde durch das Triumphgeschrei, welches die Sozialdemokraten insbesondere in ihrem Parteiblatte auS Anlaß desselben anstimmen, auf die richtige Spur geführt werden. In der Tat ist nicht die geradezu vernichtende Niederlage, welche die extreme Richtung des AgrariertumS tm all gemeinen und die Leitung des Bunde» der Land wirte im besonderen bet diesen Wahlen erlitten haben, noch die Tatsache, daß die freibändlerisch - bür gerlichen Parteien im ersten Wahlgange kein einziges Mandat errungen, wohl aber eine ganze Reihe von end gültigen Verlusten zu verzeichnen haben, das in erster Linie bemerkenswerte Ergebnis diese» ernsten Wahl kampfes. Die Sozialdemokraten haben die Zahl ihrer Mandate um mehr als 75 Prozent gegenüber den Haupt- wählen von 1898 vermehrt, sie sind nach dem ersten Wahl tage schon stärker, als sie vor fünf Jahren nach dem Ab schlüsse der Stichwahlen waren. Wenn auch die zahlen mäßigen Ergebnisse biSber nur au» einem Teile der Wahl kreise vorltegen, in denen die Sozialdemokraten ernstlich am Kampfe teilgenommen haben, so muß doch aus den vor- liegenden Teilergebnissen bereit» mit unbedingter Sicher heit der Schluß gezogen werben, daß die Zahl der sozial demokratischen Stimmen sich sehr beträchtlich vermehrt hat. Ueber die Gründe, welche zu dieser im höchsten Grade unerfreulichen Erscheinung geführt haben, sich jetzt ein gehender au-einander-usetzen, ist zwecklos. Die Tatsache de» starken Wahlerfolge» der Sozialdemokraten, sowohl in Bezug auf die von ihnen bereit» erlangten Mandate, al» auf die Stimmenzahl, spricht für sich allein und weist mit der größtmöglichen Deutlichkeit darauf hin, wie die bürgerlichen Parteien sich bet «den bevorstehenden Stich- wählen zu verhalten haben werden. Daß der extrem- agrarische Flügel einen beträchtlichen Einfluß auf den Gang der Retchsvolittk gewinnen könnte, ist jetzt schon gänzlich ausgeschlossen: ebenso würde e» vergeblich« Liebesmühe sein, wenn man den Versuch unternehmen wollte, durch Unterstützung der Sozialdemokraten bei den Stichwahlen der freihändlerischen Richtung ein Ueber- gewicht tm Reichstage zu verschaffen. Selbst bei sehr günstigem Ausgange der Stichwahlen für die sozialdemo kratischen und bürgerlichen Freihändler ist nach den Er gebnissen der Wahlen am 18. eine gemäßigte schutzzöllne- rische Mehrheit im nächsten Reichstage wiederum mit Be- timmtheit zu erwarten. Phantomen nachjagen hat daher rar keinen Zweck, vielmehr tritt unter den obwaltenden Umständen die Tatsache in den Vordergrund, daß die So zialdemokratie mü Kosten aller bürgerlichen Parteien ihre Erfolge erringt und daß sie den Besitzstand aller bü r - gerlich en Parteien, das Zentrum selbst nicht aus genommen, in immer stärkerem Maße gefährdet. Weiter unterliegt es keinem Zweifel, daß, je größer der Erfolg -er Sozialdemokratie bei den jetzigen Wahlen ist, um so mehr die werbende Kraft der Partei bei den großen Mafien tetgt. Die bürgerlichen Parteien haben daher das ge meinsame gleiche Interesse durch eine sachgemäße Taktik bei den Stichwahlen nach Kräften weiteren Fortschritten ^er Sozialdemokratie in Bezug auf die Erringung von Mandaten sowohl als in Bezug auf den Einfluß bei den großen Massen entgegenzuwirken. Vereinigen sich die bürgerlichen Parteien bei den Stichwahlen, so werden sie n der Lage sein, mit ganz seltenen Ausnahmen den Lieg über die Sozialdemokratie zu erringen. Sie haben es also völlig in der Hand, nicht nur «ine starke Vermehrung der sozialdemokratischen Mandate im Reichstage zu verhüten, sondern auch den Eindruck des einmaligen großen Erfolges auf die breiten Massen durch nachfolgende Niederlagen bei den Stichwahlen wettznmachen. Läge es an sich nicht schon im Interesse der Selbsterhaltung aller bürgerlichen Par teien, da, wo es um einen ernstlichen Kampf gegen die Sozialdemokratie sich handelt, die Streitaxt zu begraben und gemeinsam Front gegen den gemeinsamen Gegner zu machen, so enthalten für alle bürgerlichen Parteien die Wahlen vom 16. Juni die dringende Mahnung, gegenüber dem sie alle fo stark bedrohenden gemeinsamen Feind die trennenden Momente zurückzustellen und sich bei den Stich, wählen mit voller Kraft demjenigen bürgerlichen Kandidaten zuzuwenden, welcher mit dem Sozialdemo, kraten zur Stichwahl steht. Wohl ist e», namentlich wenn der Wahlkampf lebhaft geführt worden ist, nicht immer ganz leicht, die Wahl eines bisherigen Gegners mit den eigenen Stimmen herbeizuführen. Aber man wird sich bet allen bürgerlichen Parteien doch sagen müssen, daß die schwerwiegenden, auf dem Spiele stehenden politischen Interessen dazu nötigen, solche Gefiihlsrücksichten zurück- zustellen, und daß es ein zwingendes Gebot politischer Selbsterhaltung ist, an dem Stichwahltage mit vollster Kraft die Kandidaten bürgerlicher Parteien, welche mit den Sozialdemokraten zur Stichwahl stehen, zu unter stützen. Deutsches Reich. Berlin, 18. Juni. (Kaiser,Regierung und Wahlen.) Der „Königsberger Hart. Ztg." wird von ihrem parlamentarischen Berichterstatter geschrieben: Von dem Ausfall der Wahlen, so schrieb man vor einiger Zeit, hängt das Schicksal des Reichskanzlers und sein Verbleiben im Amte ab. Der Kaiser sollte geäußert haben, wenn die Sozialdemokratie sich bei diesen Wahlen stark ver mehre, so läute dieser Luftzug von links dem Reichskanzler das Sterbeglöcklein. Der Kaiser hat, wie wir zuverlässig er fahren, einen ähnlichen Ausspruch nicht getan, im Gegenteil, e» wird uns bestimmt versichert, daß ihn der Ausfall der Wahlen wenig errege. Der Kaiser zeige nur dann ein be sonderes Interesse für den Reichstag, wenn es dort zu einem Konflikte komme oder wenn eine Forderung abgelehnt werde, die er im Interesse deS Deutschen Reiches für besonders notwendig halte. Man nahm auch an, daß die Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit der Wahlen einer An regung des Kaisers ihre Entstehung verdanken. Soweit möchten wir indes nicht gehen, wohl aber entspricht die Ver sagung der Wahlhülfe an die Konservativen, über die deren Presse fortgesetzt klagt, dem direkten Wunsche de» Reichskanzlers, der insonderheit in dem preußischen Minister des Jnnecki, Freiherr» von Hammerstein, einen verständnisvollen Mitarbeiter gefunden hat. Der Minister Freiherr von Hammerstein ist in konservativen Anschauungen groß geworden, er lobt den erziehlichen Einfluß de» Korps, er lobt seine Verwaltungsbeamten, die Regierungspräsidenten und die Landräte, aber noch kein preußischer Minister dc» Innern hat e« gewagt oder für nützlich gehalten, die Zügel der Ver waltung so straff anzuziehen, wie der gegenwärtige Minister deS Innern. Keiner der preußischen Minister des Innern hat es gewagt, einen Regierungspräsidenten gegen dessen Willen zu versetzen oder au» dem Amte zu entfernen. Frhr. v. Ham merstein hat gleich vier aus dem Sattel gehoben. Di« Landnöte wußten auch, daß e» ihm ernst mit seinem Wunsche war, sie möchten, sich, abgesehen von den polnischen Landesteilen, einer Einmischung in die Wahlen enthalten. Nun, un» wird von einem Worte de» Kaiser» berichtet, welche» da» Gegenteil von einer Gleichgültigkeit gegen -en WahlauSfall und insbesondere gegen erhebliche sozial- demokratische Wahlsiege beweist. ES wäre auch sehr be fremdlich, wenn nicht gelegentlich ein für die Oefsentlich- keit bestimmtes Urteil de» Kaisers über da» Wahlergebnis bekannt würde. Ob damit eine Besserung der,Stimmung erzielt werden würde, deren Resultat daS Wahlergebnis ist, vermögen wir freilich nicht zu behaupten. Was sonst die Zukunft bringen wird, liegt bei der Unberechenbarkeit der Entschließungen der höchsten Stelle völlig im Ungewissen. Den Minister de» Innern als besonders verständnisvollen Mitarbeiter des Grasen Bülow zu bezeichnen, ist aber jedenfalls recht gewagt. UnS wirb versichert, der Reichs kanzler sei sich völlig klar darüber, daß mehr al» «in DU»
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