Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.06.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030619025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903061902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903061902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-19
- Monat1903-06
- Jahr1903
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS'PreiS in der HanplexpedMon oder deren Ausgabe stellen abgeholt: vierteljährlich 8.—, bet zweimaliger täglicher Zustellung in-Hau- ^l 8.78. Durch die Post bezogen für Deutsch land n. Oesterreich vierteljährlich .4 4.50, für di« übrigen Länder laut ZeitungSpreisllste. Vr-aktion und Expedition: Iohanntsgaffe 8. Fernsprecher 153 und 822. FUtateapeditione» r Alfred Hahn, Buchhandlg., Uutversitätsstr.3, L Lösche, Katharinenstr. 14, u. KünigSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Marienstraße 84. Fernsprecher Amt I Nr. 1718. Haupt-Filiale Lerlie; A«l Duncker, Herzgl. Bayr. Hosbuchhandlg, Lützowsttaße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4803 Abend-Ausgabe. KipMcr TlllMaü Anzeiger. Kmlsblalt des Königlichen Land- und des Königlichen Nmtsgerichles Leipzig, des Nates nnd des Nolizeiaintes der Stadt Leipzig. Anzeigen-PretS die 6gespaltene Pelitzeile LS H. Reklamen unter dem Redattion-strtch (4 gespalten) 75 H, vor den Famtlieunach- richten (8 gespalten) 50 Tabellarischer und Zifferusatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nnr mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuug 80.—, mit Postbesörderuug -41 70.—> Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Bormtttag« 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition zn richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bi- abeudS 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» tu Leipzig. Nr. 307. Freitag den 19. Juni 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 19. Iuui. Gegen die Sozialdemokratie! DaS bedrohliche Anwachsen der sozialdemokratischen Wahlsiege hat bereits die ante Folge gehabt, daß aus der Mehrzahl der bürgerlichen Parteien Sammelruse ertönen, die zum geschlossenen Eintreten gegen die in die Stichwahl kommenden .Genossen" ausfordern. Der „Kreuzttg." zufolge wird die konservative Parteileitung den konservativen Wählern bei den engeren Wahlen in allen Wahlkreisen, in denen die Sozialdemokraten beteiligt sind, die Stimmabgabe gegen diese zur patriotischen Pflicht machen. Das Blatt fügt dann noch hinzu: „Wir sind der Meinung, daß diese Parole die allein durch die Sachlage gebotene ist, und geben uns der Hoffnung hin, daß sie bei den übrigen bürgerlichen Parteien Erwiderung finden wird. Sie hat zur selbstverständlichen Folge, daß insbesondere im ersten Ber liner Wahlkreise alle konservativen Wähler zur Stimmabgabe sür den freisinnigen Stichwahlkaudidate» Stadtältesten Kaempf ausge- sordert werden." Daß die Nationalliberalen und die Reichs parteiler diesem Beispiele folgen werden, ist selbst verständlich. Der LandcSauSschuß der Deutsche» (nationalliberalen) Partei Württembergs hat für die Stichwahl bereits die Losung „Unbedingt gegen den Sozialdemokraten" ausgegeben und an die Mitglieder und Freunde der Partei die Aufforderung gerichtet, im 3., 4. und 5. Wahlkreise den Kandidaten des Bauern bundes, im 6 und 14. Venen der Bo l k S p arl e i und >m 10. dem Kandidaten des Zentrums ihre Stimmen zu geben. Als besonders er freulich ist es ru bezeichnen, daß selbst der im 19. hannoverschen Wahlkreise (Geestemünde-Otterndorf-NeuhauS) unterlegene Führer des Bundes der Landwirte, vr. Diederich Hahn, gegen d-e mit ihm in der prinzipiellen Gegnerschaft gegen die zu erwartenden neuen Handelsverträge einigen Sozial demokraten mobil macht. Sein Organ, die „Nordhannov. Landesztg ", bemerkt zum Wahlergebnis in jenem Wahlkreise (Stichwahl Bötlger-Haverkamp): „Wir brauchen wohl nicht besonders zu betonen, daß es Pflicht eines jeden wohlgesinnten Staatsbürgers ist, bei der Stichwahl gegen den sozialdemokratischen Kandidaten zu stimmen." Auch das Kreisblatt für den Kreis Kehdingen, das vor der Hauptwahl für Herrn I)r. Hahn eingetreten war, meint, daß, wenn auch der wirtichaftliche Standpunkt des nationatliberalen Kandidaten von dem der Anhänger l)r. Hahns verschieden sei, doch die Liebe zu Kaiser und Reich alle Gegensätze über brücken müsse. — Die Zentrumspresse ist anscheinend noch nicht ganz einig über die auszugebende Parole, aber es fehlt in ihr nicht an Stimmen, die in demselben Sinne sich aus sprechen wie Or. H a h n. Für die Sozialdemokratie sprechen sich vorläufig noch die freisinnigen Organe aus. Da aber in den Wahl kreisen Schleswig, Kolberg-Köelin und Eschwege-Schmalkalden freisinnige Kandidaten — unter ihnen Or. Barth — mit sozial demokratischen in die Stichwahl kommen und nur durch die Unterstützung anderer bürgerlicher Parteien zum Siege ge langen können, so werden die freisinnigen Führer am Ende doch von dem durchgefallcnen Bunvesführer sich nicht be schämen lassen wollen. UeberdieS sorgt der „ Vorwärts" selbst dafür, daß es allen nationalen Wählern leicht gemacht wird, gegen die „Genossen" einzutreten. Er ist nämlich naiv genug, die Glückwünsche zu verzeichnen, die der Sozialdemokratie recht zahlreich aus dem AuSlande zu fliegen und jedenfalls nicht immer von einer lebhaften Sym pathie für das deutsche Bolk und sein Wohlergehen eingegcben sind. An die sozialdemokratische Parteileitung Deutschlands telegraphiert die dänische Sozialdemokratie: „Als Deutsch land- größte Partei seid »hr ein Hort für den Frieden unter den Völkern Europas und ebnet mit Riesenschritten die Wege für den endlichen Sieg des Sozialismus. An eurer Seite kämpften auch wir am 16. Juni, vermehrten unsere Ver tretung in Dänemarks Reichstag". Die schwedische sozial demokratische Arbeiterpartei sagt: „Die deutsche Sozial demokratie Hal sich ihrer weltgeschichtlichen Aufgabe als einzige energische und zuverlässige Führerin im Kampfe für die freiheitliche und soziale Entwickelung des deutschen Volkes vollauf gewachsen gezeigt. Als leuchtendes Vor bild steht sie vor den Bruderparteien aller andern Länder, die praktische, wirksame politische Aktion mit theoretischem Geiste verbindend, Prinzipienlreue mit Ent- wickelungSfähigkeit. Die neue Machtentfallung der sozia listischen und demokratischen Geister in Deutschland wird weit über die Landesgrenzen als ein gewaltiger Hieb gegen die internationale Reaktion empfunden werden, als ein Zeugnis für die nahende bessere Zukunft der Unterdrückten und Ent erbten aller Länder". Die Wiener schreiben: „Die österreichische Arbeiterschaft aller Zungen begrüßt mit jubelnder Bewunderung den über alle kühnsten Erwartungen binauSfliegenden Sieg der deutschen Sozialdemokratie. Da kämpfende Proletariat beglückwünscht mit freudigem Danke seine deutschen Genosseu, die jeine Hoffnung und sein Stolz sind! Mögen die Stichwahlen vollenden, was gestern so glorreich begonnen." Die Redaktion des „Pravo Lidu", Zentral organs der tschechischen Sozialdemokratie, telegraphiert aus Prag: „Mit Bewunderung sehen wir eurem Helden kampfe zu und mit freudig erhobenem Herzen begrüßen wir euren großen Sieg." Die polnische Partei-Exekutive in Krakau telegraphiert-. „Mit brausendem Jubel beglückwüutchen wir den herrlichen Sieg." Es ist doch kaum anzunehmen, daß irgend eine deutsch-nationale Partei sich gedrängt fühlen werde, ähnliche Glückwünsche beim „Vorwärts" in der Form von Stimmzetteln abzugeben. Tas Kartell in Lachsen und die Reichstagshauptwahl. Die „Nation al-Zeitung" hofft,daß der klägliche Wahl- auvfall in wachsen das Ende des ganzen sächsischen Kartells ein sür allemal besiegelt habe. Das genannte Blatt geht bei dieser Auffassung von der Vermutung aus, das Wahl ergebnis hätte vielleicht besser sein können, wenn das Kartell nicht vielen bürgerlichen Wählern die politische Be tätigung verleidet und zugleich durch seine interne Landtagspolitik die Sozialdemokratie ganz wesentlich gestärkt hätte; die innerpolitische Mißstimmung, meint die „National-Zeitung", brauche ein Ventil und die Urne des Reichswahlbezirks müsse den Zündstoff aufnehmen, der sich bei den Lanbtagöwahlen nicht entladen könne. Daß das Kartell in einigen sächsischen Wahlkreisen geschadet Hal, kann nicht in Abrede gestellt werden, ob es aber nicht in anderen noch mehr genützt, muß erst genauer untersucht werden, bevor ein endgültiges Urteil wird gefällt werden können. Und jedenfalls würden im jetzigen Zeitpunkte, in dem eS gilt, fünf Wahlkreise gegenüber der Sozialdemokratie zu verteidigen, verfrühte Betrachtungen über die Ratsamkeit, das Kartell in Sachsen zu begraben, die Energie lähmen, mit der die Verteidigung geführt werden muß, wenn die bürgerlichen Parteien einen Erfolg davontragen wollen. Was ferner die Erklärung selbst betrifft, welche die „Nat.-Ztg." für den Ausfall der sächsischen Wahlen hat, so fehlt in ihr gänzlich dasjenige Moment, das ohne jeden Zweifel für das Anschwellen der sozialdemokratischen Stimmen an erster Stelle steht: der „Dresdner Hofskandal" ober vielmehr seine Ausbeutung. Wenn man sich der unglaublichen Hetze erinnert, die gerade von der sogenannten farblosen sächsischen Presse im Anschluß an die Katastrophe betrieben worden ist,- so kann man nicht darüber im Zweifel sein, daß die in den Gemütern heroorgerufene Verwirrung Tausende zur Abgabe sozialdemokratischer Stimmzettel bewogen hat. Die interne Landtagspolitik der letzten Zeit hat sicherlich einen weiteren erheblichen Anteil an dem Anwachsen der Sozialdemokratie, da eine Steuer erhöhung von 25 Proz., eine wenig glückliche Eisenbahn verwaltung und die unbedingt nötige, aber recht un populäre Erhöhung der Zivilliste nur zu sehr geeignet sind, Wasser auf die sozialdemokratischen Mühlen zu leiten. Gleich der „Nat.-Ztg. macht die „Fran kfurt. Zt g." die „reaktionäre" sächsische Politik sür den Ausfall der sächsischen Wahlen ver antwortlich, und gleich dem genannten Berliner Blatte hebt sie die Aenderung des sächsischen Wahlrechts als Haupt grund für die Wahlsiege der sächsischen Sozialdemokratie hervor. Beide Organe übersehen hierbei, daß daS neue sächsische Wahlgesetz bereits am 13. März 1 896 beschlossen wurde. Käme diese Wablrechtsänderung in so auSschlag- aebender Weise sür daS kolossale Anschwellen der sächsischen Sozialdemokratie in Frage, dann hätte man davon schon bei der Reichstagswahl von 1898 etwas ver spüren müssen, ja, man hätte damals, wo die „Wahlentrech tung" noch viel mehr als gegenwärtig ein Hauptstück der sozialdemokratischen Agitation war, erst recht davon spüren müssen. Bei der Wahl von 1898 aber vermehrte sich in Sachsen die Zahl der sozialdemokratischen Stimmen im Ver gleich m't der Wabl non 1893 nur um 28 536. Angesicht- dieser Ziffer darf behauptet werden, daß weniger die Wahl- lechlsänderung, als die andern oben angeführten Momente von ausschlaggebendem Einflüsse auf den Wahlaussall in Sachsen gewesen sind. Freilich darf man nicht vergessen, daß in weiten Kreisen SachsenS für die interne Landtags politik die Wahlrechtsänderung oder vielmehr die infolge dieser Aenderung eingetretene Beherrschung des Landtags durch eine einzige Partei verantwortlich gemacht wird. Die Folgen dieser Beherrschung treten mehr und mehr zu Tage und machen es begreiflich, daß jetzt die Miß stimmung wegen der Wahlrechtsänderung stärker als im Jahre 1898 zu Tage tritt. Und das darf nicht aus dem Auge verloren werben, weder von den Karlellparteien, noch von der Regierung. Wir sind s. Zt. für die Wahlrechtsänderung eingetreten, Werl das Anwachsen der sozialdemokratischen Mandate eine möglicherweise notwendig werdende Ver fassungsänderung unmöglich zu machen drohte. Aber wir setzten damals voraus, daß die Versprechungen, auch Ar- beiterkandldaten aufzustellen, gehalten werden würden und daß die Gefahr einer völligen Beherrschung auch der Zweiten Kammer durch eine einzige Partei ausgeschlossen sei. Als diese Beherrschung dann zur Tatsache wurde, haben wir nicht gezögert, eine abermalige Aenderung des Wahlrechts dringend zu empfehlen und auf die Gefahren hrazuweisen, welche die jetzigen Parteiverhältnifse im Landtage sür die Regierung sowohl, wie für daS Land in sich bergen. ES bat auch an anderen Anregungen nach dieser Richtung nicht gefehlt; aber einen Erfolg haben sie nicht gehabt. Jetzt wird hoffentlich auch die beherrschende Partei einsehen, wie bedrohlich eS für sie selbst ist, wenn sie allein für die innere Landtagspolitik gemacht wird, die wahrscheinlich weniger abfällig beurteilt werden würde, wenn sie nicht als einseitige Parteipolitik bezeichnet werden könnte. Jedenfalls aber wird auch eine Revision deS neuen Wahlgesetzes allein nicht genügen, die sozialdemokratische Hochflut einzudämmeu. Für das Anwachsen dieser Flut ist für Sachsen wie für daS übrige Deutschland noch ein Grund maßgebend, den die „Franks. Ztg." mit den Worten bezeichnet: „DaS Geheimnis ihres (der Sozialdemokratie) Erfolges — eS ist banal, aber notwendig, das zu sagen — ruht in ihrer systematischen Agitationsarbeit auch in Friedenszeiten und in ihrer straffen Organisation." Zum Dynastiewechsel in Serbien. Rußland verlangt bekanntlich von dem neuen Serben könig strenge Bestrafung der Mordverschwörer, und auch der Kaiser von Oesterreich hat sich in einer Weise gegen dieselben ausgesprochen, die einem solchen Verlangen fast gleich kommt. So weit man aber bis jetzt die Lage über blicken kann, besitzt, was wir tief bedauern, König Peter gar nicht die Macht, die Königsmörder zu bestrafen, zumal nachdem die serbische Nationalversammlung sich mit ihnen solidarisch erklärt hat. Das Militär herrscht heute in Belgrad und ganz Serbien unumschränkt, und da der neue König von früher her nicht viele Anhänger im Lande haben soll, so kann er gegen die Armee nicht auftreten. Wie man den „Times" aus Belgrad meldet, ist jedem Prä fekten ein Armeeoffizier beigegeben worden, der Len Prä fekten überall hin begleitet, selbst zum Telephon. Diese Politik habe wenigstens das Gute gehabt, daß nirgendwo Ruhestörungen vorgekommen sind. — Nach einem Berichte des ,Mureaus Reuter" sind angeblich sehr energische Maß nahmen nötig gewesen, um die Hoffnungen der Radi kalen auf die Errichtung einer Republik zu ver eiteln. LjubaSchZwkowitsch, der Herausgeber der Belgrader Zeitung „Odjek", der «inen großen Teil seines Lebens im Gefängnis verbracht hat, war der Haupt vertreter der republikanischen Idee. Da er keinem Zu reden zugänglich war, so wurde er am Sonnabend Abend von den Verschwörern zum Essen im Offizierskasino ein geladen. Während des Verlaufes des Essens teilten ihm seine Gastgeber mit, daß er entweder für die Wahl des Prinzen Peter Karageorgewitsch einzutreten habe, oder in Belgrad werde es noch in dieser Nacht einen Kopf weniger geben. Sck.iwkowitsch sah ein, daß sich gegen der artige Gründe nichts einwenden ließe und fügte sich in die Lage. Jetzt ist er in der neuen Negierung Justiz- Minister. Die Beratschlagungen des Senats und der Skupschtina Uber die Frage der Errichtung einer Republik wurden dadurch abgekürzt, daß einer der Führer der Re volution, Oberst Mitschitsch, teilnahm. Der Oberst be teiligte sich zwar nicht an den Besprechungen,' aber seine Gegenwart genügte, um die Mitglieder der beiden Häuser zu veranlassen, König Peter anzunehmen. Der Premier minister Awakumowitsch erzählte den Deputierten, es sei ganz zwecklos, überhaupt von einer Republik zu sprechen, da weder Rußland noch Oesterreich eine solche -ulafsen würden. Außerdem wies er darauf hin, daß die neue Kon stitution dem König viel weniger Rechte kaffen werde, als Feuilleton. Mr. Trunnell. Seeroman von I. Hains. Nachdruck verboten. Tschips erbleichte trotz seiner gebräunten Haut; John son aber starrte das Wasserfaß an, als sähe er ein Ge spenst. „Schlagt das eine Ende ein, damit wir sehen können, was drin ist", gebot ich. Zwei der Leute hielten den armen Tom, der sich in seiner Pein wie ein Wurm krümmte und wand. Die übrigen kamen, so gut dies anging, achteraus, um zu er forschen, welches Geschick ihnen bcvorstaud. Das Faß wurde ausgerichtet; Jenks stieß mit dem dicken Ende eines Reems den oberen Boden ein. Alle Gesichter beugten sich drüber her. Das Wasser war klar wie Kristall, genau so, wie das in -en Behältern des „Sovereign" gewesen war. „Gebt nrir das Oesfatt her", sagte ich. „Haltet das Faß so, daß die Sonne bis auf den Grund scheinen kann." Das Oesfatt ist eine kurzstielige, tief ausgehöhlte höl zerne Schaufel, die in Booten zum Ausschöpfen ein gedrungenen Masters benutzt wird. Ich füllte mit dem Pott ein Quantum Wasser in dieses Oesfatt, besah cs sorgfältig, kostete vorsichtig und goß es dann in das Faß zurück. Es hatte einen fremdartigen, scharfen Geschmack. Wir drehten das Faß so, daß die Sonnenstrahlen allenthalben bis auf den Grund leuchteten. Da gewahrten wir unten auf dem dunklen Boden ein weißliches Pulver. Wir holten etwas davon heraus, und nun glaubte ich mit Bestimmt heit in diesem Pulver denselben Stoff zu erkennen, den Kapitän Tackett mir als Bichlorid von Quecksilber be zeichnet batte. Tom lag in Konvulsionen; es tat uns in der Seele weh, seine Leiden nicht lindern zu können. Einflößen von Brandy war erfolglos; bald hatte «r die Besinnung ver loren. Fräulein Sackctt nahm sich liebevoll seiner an; aber auch sic konnte ihm nicht helfen. Die Furchtbarkeit unserer Lage raubte mir auf einige Minuten alle Geistesgegenwart. Mir befanden uns mitten auf See, ohne Trinkwastcr. Die Schurken hatten uns für ewig stumm machen wollen. Wie wir hier saßen, Hunderte von Meilen vom Lande entfernt, in einem kleinen, offenen Boot, mit vergiftetem Trinkwasser, vielleicht auch mit vergiftetem Proviant, hatten wir allerdings herzlich wenig Aussicht, später ein mal die Geschichte von dem Wrack des „Sovereign" zu er zählen. In dieser südlichen Breite waren Schiffe nur sehr ver einzelt anzutreffen; im besten Falle konnte eine Woche vergehen, ehe wir in die Fahrstraße der regelmäßigen Kapstadtscgler gelangten. Es hatte allen Anschein, als sollten Andrews' teuflische Anschläge uns -och noch ver derblich werden. Fern am südlichen Horizont ragte der einzelne Mast auf wie ein schwarzer Pfahl. Ich stand auf und schaute hinüber. Tschips schien meine Gedanken erraten zu haben. „Damit ist nichts- Sir", sagte er. „Die Wassertanks sind jetzt zwei Faden tief unter Wasser, wir könnten nimmermehr dazukommen. Das Wrack treibt keine zwei Tage mehr, jetzt, wo das Achterdeck und der größte Teil der Oelladung verbrannt ist. Wenn die See den Rest des Ocls herausgewaschen hat, dann sinkt der Kasten weg." Der Zimmermann hatte recht, das sah ich ein. Wasser gab es nicht mehr, weder für Andrews, noch für uns. Zurückzulausen und zu versuchen, trotz alledem zu den Tanks zu gelangen, wäre Torheit gewesen. „Gießt das Master über Bord", befahl ich ingrimmig. Johnson und Jenks hoben das Faß auf das Dollbord und entleerten seinen Inhalt in die See. Hell und klar ergoß sich das Master in die blaue Flut, nichts verriet seine tödliche Eigenschaft. Der Zimmermann öffnete jetzt die Tonne, die das Hartbrot enthielt. Dasselbe erwies sich als gänzlich naß und durchweicht. Die Wasserprvbc, die ich genossen, hatte mich ganz krank gemacht, an ein Kosten dieses Brotes war daher nicht zu denken. Es wurde über Bord geworfen, wo es in großen Klumpen schwimmend im Kielwasser zu- rückblicb. Nun kam das Fleisch an die Reihe. Fräulein Sackett warnte vor Uebcreilung. „Es ist nicht anzunchmen", sagte sie, „daß sie alles und jedes vergiftet haben. So viel ist von dem Qnecksilberstvsf gar nicht vorhanden gewesen. Sic haben gesehen, wie schwer das Zeng sich im Master anflüst; um alles zu ver giften, hätten sie einen Teil davon zuerst zergehen lassen müssen, dazu fehlte ihnen jedoch die Zeit." „Getraut sich einer, das Fleisch zu kosten?" fragte ich. „Her mit einem Stück", sagte Johnson. Er schob das Fleisch in den Mund und begann es lang sam zu kauen, zögerte aber lange, etwas davon zu ver schlucken. Endlich faßte er Mut und schlang ein kleines Stück hinunter, dann wartete er, ob üble Folgen sich ein stellen würden. Als das nicht geschah, verzehrte er auch noch den Rest. Wir beschlossen darauf, das Fleisch zu be halten und es als letzte Zuflucht aufzubewahren. Die südlich« Brise frischte auf, das Boot lief eine gute Fahrt. Hielt dies an, dann konnten wir ungefähr hundert Seemeilen täglich zurücklegen und innerhalb einer Woche die afrikanisch« Küste erreichen. Lebten wir so lange, dann hatten mir also Aussicht auf Rettung. Es war jetzt der sechste Tag, seit wir den ,-Pirat" ver ließen. Wir sagten uns, daß er um diese Zett das Kap bereits hinter sich haben mutzt« und wohl schon mit günstigem Südostpassat den südlichen Atlantik hinauf segelte. Von ihm war also nichts mehr zu hoffen. Da gegen konnte es sich ereignen, daß uns, wenn wir einige Tage weiter waren, eins der Schiffe begegnete, die nach Kapstadt segelten, oder von dort kamen. Wenn wir einige Tage weiter waren. Wieviel Elend lag selbst in diesem Gedanken. Ich malte mir die Leiden aus, die das neben mir sitzende Mädchen noch zu erdulden haben würde, wenn wir noch tagelang in diesem Boote auszuharren hätten. Und was hatte sie bisher schon erduldet. Sie saß ganz still und blickte ins Wasser; ab und zu füllten ihre Augen sich mit Tränen; aber kein Wort der Klage entschlüpfte ihren Lippen. Ihr Beispiel verlieh mir neue Kraft. Ich untersagte den Leuten jede überflüssige Unterhaltung; nur das Not wendigste sollte geredet werden, damit das Eintreten des Durstes so lange wie möglich hinausgeschoben würde. So liefen wir in tiefem Schweigen vor dem Winde dahin. Wir hatten keinen Kompaß, außer dem kleinen Dinge, das ich an meiner Uhrkette hängen hatte, und das nicht größer war, als eine Nickelmünz«; trotzdem gelang es mir, einen ziemlich geraden Kurs innezuhalten. Die Brise frischte auf, war jedoch, da sie stetig aus Süden wehte, kühler als uns angenehm war. Die Lonne schien zwar heiß genug, um unö nicht geradezu frieren zu lassen, aber die Leute, die ihre Jacken au-gezogen und daraus noch allerlei Hülfssegel konstruiert hatten, baten mich doch bald, sie wieder anlegen zu dürfen. So segelten wir, getrieben von dem günstigen Winde und der hohen achterlichcn Schwell, munter vorwärts. Das Master schäumte am Buge und wirbelte zischend längs der Seiten Les Bootes achteraus; das Kielwasser zog sich wie ein breites, weißliches Band über die Hügel und Täler der hinter uns herrollenden Dünung, auf deren tiefem Blau hier und da schneeige Schaumkämme aufleuchteten und wieder verschwanden. Der englische Matrose, der das vergiftete Wasser ge trunken hatte, war inzwischen gestorben. Johnson warf mir einen bedeutsamen Blick zu; sogleich begann ich Fräulein Sackett in eine Unterhaltung zu ziehen, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Dessenungeachtet lenkte ein dumpfes Plumpsen vorn am Buge ihren Blick dorthin, und nun wußte sie, was geschehen war. Sie sah mich an und legte ihre kleine, weiche Hand auf meine die Ruder pinne haltende Faust. „Sie meinen es sehr gut mit mir, Mr. Rolling", sagte si«, „aber glauben Sie mir, ich weiß alles zu ertragen, ebensogut wie ein Mann. Nichtsdestoweniger bin ich Ihnen dankbar, recht von Herzen dankbar." Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie wendete ihr Antlitz der Ferne zu, wo die weißen Ballen der Pastatwolken sich oberhalb der Kimmung zeigten. Nach und nach begannen die Leute Hunger zu empftn- -en. Der alte Jenks lugte unausgesetzt in nördlicher Richtung nach Schiffen aus, von -en andern aber sah alle Augenblicke einer achteraus, zu mir hin, mit jenem Aus druck im Blick, den man bei Tieren, die lange fasten mutz- tcn, wahrnehmen kann. Einige der Leute hatten tatsäch lich seit vierundzwanzig Stunden nichts genossen. Beson ders unheimlich war der gierige Blick, den ein großer, vierschrötiger Kerl auf das neben mir sitzende Mädchen heftete. Ich sah ihn jedoch so unverwandt und fest an, daß er sich endlich wegdrebte und uns den Rücken zukehrte. Am Spätnachmittage verlangte einer meiner Matrosen, von dem Salzfleisch des „Sovereign" zu essen; er erhielt ein Stück und verzehrte es, ohne nachteilige Folgen zu spüren. Alle Mann folgten nun seinem Beispiel und aßen sich satt, ich aber dachte mit Bangen an den Durst, der sich nur zu bald einstellen mußte. Hatte ich doch schon einmal zuvor als Schiffbrüchiger eine ähnliche Bootsfahrt im Großen Ozean machen müssen. Damals waren wir an fänglich sechzehn Mann in der Jolle gewesen, als aber nach vier Wochen namenloser Leiden und Schrecken end lich ein Schiff kam und uns rettete, da waren nur noch sieben von uns am Leben. Die Erinnerung an jene Zeit des Grausens und Entsetzens erfüllte mich mit quälender Angst, wenn ich daran dachte, was uns diesmal bevor stehen könnte. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite