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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020721021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902072102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902072102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-21
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V144 den Erläuterungen die Bemerkung, baß die BergütnngS- sätze in einer Höhe bemessen seien, die einen Ueberschuß auö der Einnahme nicht erwarten liehen. Die Sachlage dürfte sich künftig kaum ändern. Indessen, vorübergehend wird die Brennsteuer doch einen fühlbaren Einfluß auf die Reichscasse auSüben. Wie bekannt, hat die frühere Brenn steuer nicht so viel erbracht, daß alle Vergütungen daraus bestritten werden konnten. Die Folge davon war, daß die Reichscasse andere Mittel dazu verwenden mußte. So ist es gekommen, daß der Rechnungsabschluß für 1901 durch die Brennsteuer ungünstig beeinflußt wurde. In der letzten Branntweinsteuergesetznovelle ist nun vorgesehen, daß aus der neuen Brennsteuer innerhalb des Betriebsjahres 1902/1003 diejenigen Beträge an die Reichscasse zu erstatten sind, welche diese über die Gesammteinnahmen aus der Brennsteuer hinaus als Vergütungen gewährt hat. Das Reich würde demnach also Kosten, die es in Folge des Be stehens -er Brennsteuer gehabt hat, zurückerstattet er halten. Insofern wird auch die Reichscasse eine günstige Folge der neuen Brennsteuer zu spüren bekommen. * Berit«, 20. Juli. (Schutz der Architektur.) Während in Deutschland ein urheberrechtlicher Schutz der Werke der Baukunst nicht besteht und alle darauf ge richteten Bemühungen der bethetligten Kreise bisher keinen Erfolg aufzuweisen hatten, haben die Bestrebungen der französischen Baumeister kürzlich einen Abschluß er halten, der alle ihre Wünsche befriedigt. Vor wenigen Monaten ist das Gesetz zu Stande gekommen, das die Baukunst im Schutze gegen Nachahmung den bildenden Künsten vollkommen gleichstellt: es hat bei den franzö sischen Architekten vorbehaltlose Genugthuung hervor gerufen. Nachdem nun die französische Gesetzgebung vor gegangen ist, wird auch die deutsche auf die Dauer an dem Standpuncte -cs geltenden Rechtes um so weniger fest halten können, als er durchaus veraltet ist und weder grundsätzliche noch praktische Gründe zu seinen Gunsten geltend gemacht werden können. Es ist ein in sich wider spruchsvoller und durch nichts gerechtfertigter Zustand, daß zwar die Pläne des Architekten unter den Schutz der Urheberrechte gestellt sind, nicht aber die Ausführung: ge rade in der jüngsten Zeit waren mehrfach Fälle zu ver zeichnen, in denen das Recht des Baumeisters an seiner geistigen Arbeit ohne jede Rücksicht, man kann beinahe sagen, ohne jeden Anstand durch Nachahmung gröblich verletzt wurde. Vergebens hat man versucht, auf Grün der Bestimmungen des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb oder der Vorschriften des Bürgerlichen Ge setzbuches gegen dieses überaus tadelnswerthe Verhalten gebührend einzuschreiten. Obwohl nicht der geringste Zweifel darüber obwalten kann, daß man es bei dieser Nachahmung der wesentlichen Aeußerlichkeiten eines Bau werkes mit der Unterart des unlauteren Wettbewerbes zu thun hat, und zwar mit einer Unterart, die ganz und gar keine Schonung verdient, so ist cs -och ebenso schwer wie selten möglich, diese Mißachtung der Rechte der geistigen Arbeit ausreichend zu ahnden. Den Be mühungen der deutschen Architektenschaft um gründliche Aenderung des geltenden Rechtszustandes gebührt daher die wärmste Sympathie und die nachhaltigste Förderung. Die Durchsicht des Reichsgesetzes über den Schutz der Urheberrechte an den Werken der bildenden Künste dürfte die Reichsgcsetzgebung in nicht allzu ferner Zett be schäftigen: die Vorarbeiten hierfür sind ziemlich weit ge diehen. Auch die Verbesserung des Gesetzes über den Schutz der Photographien ist beschlossene Sache, und ver- nnrthlich wird der Reichstag mit den beiden Entwürfen zu derselben Zeit befaßt werden. Dies bietet aber die beste Gelegenheit, um die Lücke in dem geltenden Rechte aus zufüllen: man darf eö als die nicht am wenigsten wichtige Aufgabe des Reiches erachten, daß es den deutschen Archi tekten nicht länger das versagt, was den französischen ge währt ist. Die Schutzfrage hat nicht nur Bedeutung für den einzelnen Architekten, sondern auch für die Ent wickelung der Architektur überhaupt, und auch die staat- liche Bauverwaltung kann derselben nicht gletchgiltig gegenüberstehen. Wissenschaftlich ist die Nothwendtgkeit eines Schutzes der Werke -er Architektur gerade im Laufe der jüngsten Zeit so oft und so überzeugend dargelegt worden, daß sich Neues darüber nicht mehr sagen läßt; es handelt sich nunmehr darum, der wissenschaftlichen Ein sicht und Ueberzeugung die gesetzgeberische That folgen zu lassen. Man darf die Hoffnung hegen, daß die ver bündeten Regierungen nicht abgeneigt sind, dies zu thun. Allerdings wird es einer energischen Fortsetzung der Be mühungen der Architekten bedürfen, um die Gegner des Schutzes, deren Einfluß noch immer nicht zu unterschützen ist, von der Irrigkeit ihrer Ansichten zu über zeugen. (Köln. Ztg.) * Berlin, 20. Juli. (Frauenarbeitin derIn - d u str ie.) Die Aufforderung des Reichskanzlers an die Gewerbeinspection zur Berichterstattung über die Zweck mäßigkeit und Ausführbarkeit einer weiteren reichsgesetz lichen Beschränkung -er täglichen Arbeits zeit für Frauen von 11 auf 10 Stunden hat in den Kreisen der Industrie lebhafte Beachtung gefunden. Ver schiedene wirthschaftliche Körperschaften haben schon über die Frage berathen oder ihre Mitglieder um Aeußerungen darüber ersucht. Eine beachtenswerthe Kundgebung liegt vor von dem Berbanberheinisch-westfälischer Baumwollspinner, Vorsitzender C. O. Langen jr. in M.-Gladbach, der auf eine Anfrage der königlichen Ge- werbe-Jnspection in M.-Gladbach die Frage mit „N e i n" beantwortet. Jede Herabsetzung -er Arbeitszeit der Ar beiterinnen in den Spinnereien würde die Herabsetzung der Arbeitszeit überhaupt, also auch die sämmtlicher männlichen Arbeiter, zur unausbleiblichen Folge haben. Der Verband erklärt dann, daß in regelrechten Zetten jede Verkürzung der Arbeitszeit in den Baumwoll spinnereien eine entsprechende Erhöhung der Gestehungs kosten und demgemäß auch eine Verminderung des Lohnes zur Folge haben müsse. Ob eine Verlängerung der Mittagspause von 1 auf IV2 Stunden angezeigt erscheine, hänge von den örtlichen Verhältnissen ab und würde ge gebenenfalls keine Schwierigkeiten bieten, wenn die Ar beiter damit einverstanden seien, Abends eine halbe Stunde später zu schließen. Ein früherer Schluß der Arbeitszeit für weibliche Arbeiter an Sonnabenden, als um dsH Uhr, wie jetzt bereits, sei unmöglich. Aehnlich beurtheilt man die Frage in anderen Betriebszweigen, die weibliche Ar beiter beschäftigen. — Zu der Angelegenheit de« Prager Steckbriefes wollte die Prager „Narodni Listy" erfahren haben, daß der „Berliner Hof" sehr dringlich eine Aufklärung verlangt habe; diese Aufklärung habe indessen eine Verzögerung er leiden müssen, da der deutsche Generalconsul in Prag, Baron Seckendorfs, auf Urlaub gewesen sei; da aber das Verlangen sehr kategorisch gelautet habe, so sei ein Curier mittels SondrrzugeS nach Berlin gesendet worden mit einer genauen Schilderung der ganzen Angelegenheit. Dazu wird der „Köln. Ztg." geschrieben: In dieser ganzen Erzählung beruht jede- einzelne Wort aufErsindung; der Berliner Hof hat weder dringlich noch sonst wie eine Ausklärung verlangt und scmit konnte dies Verlangen auch nicht sehr kategorisch lauten; in Berlin war man sich vom ersten Augenblick an darüber klar, daß die unverschämte Mystifikation und die Thorheit und Unachtsamkeit untergeordneter Beamter in erster Liuie den Ersolg haben müsse, der österreichischen Regie rung ärgerliche Verlegenheit zu bereiten. Niemand hat daran gedacht, diese noch dadurch zu erhöhen, daß man schroffe oder un freundliche Anfragen nach Wien richtete, wo man den Zwischenfall viel peinlicher als in Deutschland empfand. Die Erklärungen, die österreichische Stellen dann abgaben, entsprangen der eigensten Initiative der österreichischen Behörden, wovon die tschechischen Blätter sich sehr wohl hätten überzeugen können, wenn sie sich die Mühe hätten geben wollen, der Wahrheit nachzugeben. — Die „Berl. N. N." schreiben: Verschiedene Blätter haben kürzlich berichtet, daß Leute des BeurlaubtenstandeS polnischer Abstammung bei den im Frühjahr regel mäßig im Monat April, im Herbst im Monat No vember abgehaltenen Controlversammlungen ihren Namensaufruf nicht nnt dem vorgeschriebenen „Hier", sondern mit einem entsprechenden polnischen Worte, nach dem Muster des „2äs" der Tschechen in Oesterreich beant wortet hätten und dafür wegen „Vergehens gegen den militärischen Anstand" mit Arreststrafen bis zu zehn Tagen Hast belegt seien. Die ganze Darstellung entbehrt der militärischen Logik und ent spricht anscheinend nicht den thatsächlichen Vorgängen. Nach unseren Erkundigungen ist in Berlin und Umgegend, wo sehr viele Polen sowohl zu den Controlversammlungen, als auch zu den Aushebungen erscheinen, kein Fall bekannt ge worden, in welchem ein Pole den Aufruf seines NamenS in polnischer Sprache beantwortet hätte. Bei Controlversamm- lungeu in Gegenden der Provinz Posen, wo die polnische Bevölkerung überwiegt, kommt es nicht selten vor, daß die Antwort ,festem" (v. h. ich bin) erfolgt. Ein wohl wollender BezirkS-Commandeur wird darin nicht unbedingt einen mit mittlerem Arrest (nicht mit Haft) zu ahndenden Verstoß gegen die militärische DiSciplin, nicht einen Ungehor sam oder gar eine Verweigerung deS Gehorsams erblicken, umsomehr wenn ihm aus seiner eigenen militärischen Erfahrung bekannt ist, daß die Polen im Ganzen zu unfern anfpruchs- losesteu, brauchbarsten und gehorsamsten Soldaten gehören. In Bezirken mit polnischer Bevölkerung ist eS an einzelnen Stellen zur guten Gewohnheit geworden, die Mannschaften vor dem Namensaufruf darauf hinzuweisen, daß sie mit „hier" zu antworten haben und daß eine polnische Beantwortung bei Strafe verboten ist. Daß eine Bestrafung dafür wirklich nothwendig gewesen sei, ist nicht zu unserer Kenntniß ge kommen. Wo aber die böse Absicht, die Herausforderung zu Tage läge, da würde die preußische Heereözucht sicherlich vor den schärfsten Mitteln zur Unterdrückung polnischer Antworten nicht zurückschrecken. Eine „2äs"-Frage wie in Oesterreich wird sich sicherlich bei uns nicht entwickeln können. — Die „Nordd. Allg. Ztg." nimmt betreffs deS polni schen Dankgottesdienstes in Guesen zur Jahresfeier der Schlacht von Tannenberg ohne weitere Anmerkung von der Feststellung in CentrumSblättern Notiz, „daß die Abhaltung deS Gottesdienstes den rituellen Vorschriften, die seit Jahrhunderten für die Erzdiöcese Gnesen-Posen ver bindlich gewesen seien und ständig beobachtet wurden, entspreche." Die „Germania" fügte dieser Feststellung hinzu: „Eine andere Sache ist es, ob nicht eventuell Schritte unternommen werden könnten, damit diese Vorschrift abgeschafft würde." Auch dieses Zugeständniß von sonst überaus polenfreundlicher Centrumsseite druckt daS officiöse Organ ab. Es ist also anzunehmen, daß nunmehr dle preußische Staatsregierung von der Sache Kenntniß erhalten hat und für die Zukunft dafür sorgen wird, daß im deutschen Reich uicht mehr osficiell die polnisch« Geistlichkeit regelmäßig Dankgottesdienste für Siege der Polen über da» Deutschthum abhält. — Die sämmtlichen preußischen Volksschulen werden gegen wärtig von 1231 KreiSschulinspectoren beaufsichtigt, von denen 318 im Hauptamt angesiellt sind und SIL un Nebenamt wirken. Die Zahl der nebenamtlichen Stelle« ist im langsamen Rückgang begriffen, 1895 waren eS noch 971 (jetzt 915), dagegen stieg die Zahl der ständigen Stellen seit 1895 von 261 auf 316. Die meisten KreiSschul- inspectioneu zählt die Provinz Hannover, nämlich 193 (3 ständige und 190 nebenamtliche). Die geringste Zahl hat die Provinz Schleswig-Holstein mit 48 (12 ständige und 36 nebenamtliche) KreiSschuliuspectorstelleu aufzuweisen. Hessen- Nassau steht mit 134 KrriSschulinspectionen unter den preußi schen Provinzen au dritter Stelle. Von den 915 nicht stän digen Stellen werden 85S von Geistlichen verwaltet, wahrend 56 mit Nichtgeistlichen, meistens Stadtschulräthea oder Stadtschnlinspeetorrn, besetzt sind. In der Grafschaft Wolf-burg ist deren Besitzer, Graf von der Schulenburg- Wolfsburg, zugleich Kreissc^rlinspector und auch Super intendent. — Der preußische Landtags-Abgeordnete Sümmer mann, der Vorsitzende deS Bundes der Laodwirthe für West falen, hat, wie der „Voss. Ztg." geschrieben wird, in einer für den Wahlkreis Hamm-Soest emberufenen Wähler-Ver sammlung in Soest erklärt, daß er kein neues Mandat mehr annehme; er werde aus dem Parlament scheiden. — Auf Beschluß deS Amtsgerichts zu Berlin ist die Druckschrift „Der Generalstreik und die sociale Revolution", London, von Siegfried Nacht, Druck der internationalen BerlagSanstalt Looists ä'säition ä'oouvros sooiologiguss 33, 6resss Ltreet, Rntdbons kluos, 1902, auf Grund tztz 110, 111, 130, 74, 49a, 41 Str.-Ges.-Bs. beschlagnahmt worden. — In der Zeit vom 1. April bis Ende Juni wurden 149 männliche und 20 weibliche, inSgesammt 169 Personen, aus dem deutschen Reiche als lästige Ausländer auS- gewieseu. Dem gleichen Schicksal verfielen 22 Anarchisten. — In dem gleiche» Zeitraum wurden von deutschen Gerichten 47 Druckschriften verboten bezw. beschlagnahmt, darunter 13 polnische. Die Beschlagnahme bezw. das Verbot erfolgte bei den meisten Schriften, weil sie unzüchtigen Inhalts waren. — Wie Frhr. v. Wangeuheim, so will der „KöSliner Zeitung" zufolge auch der agrarische ReichStagSvertrter von Kolberg-KöSlin, Herr Firzlaff-Degow, für die nächsten Wahlen auf ein Mandat verzichten. Es verlautet, daß an seiner Stelle der Rittergutsbesitzer v. Kameke-Bizikrr als couservativ-bündlerischer Candidat in Aussicht genommen ist. — Wie seinerzeit berichtet, hatte vr. Hebold, der Director der städtischen Anstalt für Epileptiker in Wudlgarten, beim Kaiser ein Gnadengesuch eingerricht mit der Bitte, die gegen ihn wegen Leichenschändung erkannte dreitägig« Gefängnißstraf« auizu- heben. DaS Gnadengesuch ist abschlägig beschieden worden. I)r. Heb old hatte von der Leiche eines sechszehnjährigen Mädchens, daS in seiner Anstalt untergebracht war und dort verstarb, nach der Beerdigung zu wissenschaftlichen Zwecken den Kops abnehmen lassen. — Unter der Spitzmarke „Beinahe SanitätSrath" erzählt ein älterer Berliner Arzt in der „Med. Reform", er sei auf die Polizei geladen und dort vom Polizeileutnant einem Verhör über seine persönlichen Verhältnisse unterworfen worden, wobei auch feine politische Parteistellung zur Sprache kam. Der Beamte habe ihm dabei mitgelheilt, es handele sich um die Verleihung d«S Sanitätsraths-TitelS. AuS der Ernennung sei aber nicht- geworden. — Der Kaiser von Oesterreich verlieh dem Regierungspräsidenten vr. von Heydebraud und der Lass in BreSlau daS Großkreuz deS Franz Josef-OrdenS. — Hier angekommen ist der Ober-Fiuanzrath Ledig auS Chemnitz.— Abgereist sind der LandwirthichastSminister v. Pod- bielski nach der Provinz Sachsen; der Miuisterial-Director im CultuSministerium vr. Förster mit Urlaub; der hiesige braun schweigische Gesandte Freiherr v. Eramm-Burgdors mit längerem Urlaub; der Präsident der Eisenbahu-Direction Berlin Krauold mit dreiwöchigem Erholungsurlaub nach Tirol; der deutsche Bot schafter in Konstantinopel Staat-Minister Freiherr Marschall v. Bieberstein nach Frankfurt a/M. * Cadinen, 20. Juli. Die Kaiserin unternahm mit ihren fechs Kindern an Bord des ReaierungSdampferS „Hol- wede" von Cadinen auS bei prächtigstem Wetter einen Aus flug nach dem benachbarten Seebade Kahlberg, wo die alteren Prinzen photographische Aufnahmen besonders inter essanter Puncte und einiger Genre- und Straudbilder machten. In der Nähe deS LeucktthurmeS ist jetzt für die kaiserlichen Kinder infoige der mehrfachen Belästigungen durch daS Bade- publicum ein Badezeit errichtet und in der See durch Seile ei» Baderaum abgegrenzt worden. Zur bequemeren Landung soll dem Leuchtthurm gegenüber auch «ine Fahrrinne bis zu einem aufzuschlagenden Stege gebaggert werden, damit seitens der Kaiserin und Prinzen in Zukunft der Badeort selbst nicht mehr berührt wird. Für die Prinzen sind mehrere Reitpferde und Fahrräder aus Plön und Cassel in Cadinen eingetroffen. eine Kunstreiterin, eine Freude, Herr Director, ist das nicht." „Und dazu hat Ihr Beruf viele Gefahren." „Gegen die stumpft man ab. Wer sein Kind diese hals brecherischen Künste hat lernen sehen von Anfang bis zu Ende, unter Peitschenhieben oft, der wird hart gegen die Furcht. Zwar für die Elli, für die zittere ich manches Mal, grade jetzt, sie rettet ein so scheues Pferd. Aber für mich habe ich nie gefürchtet, was follte ich auch fürchten?" Eine tiefe Schwermuth sprach aus den letzten Worten. Die schmale nervöse Hand nestelte an dem einfachen Kleid herum. „Und Ihre Tochter ist ganz furchtlos?" „Sie lacht über jede Furcht. Freilich ist sie unter den Reitern geboren und groß geworden. Das ist etwas anderes als bei mir. Das geht ins Blut über und bleibt im Blute." „Sie liebt also ihren Beruf?" „Mit Leib und Seele, leider!". „Sie würden sie gern aus dem Circus heraushaben?" „Mein Letztes würde ich hingeben, gelänge es mir je! Aber da ist wenig Aussicht. Sie hat nichts von mir, alles vom Vater. Und auch der wäre dagegen. Er hat keine Leidenschaft für seine Arbeit, aber sie ist ihm zur Gewohn heit geworden, und ohne den Circus könnte er nicht leben, und die Elli erst recht nicht." „Das wissen Sie ganz genau?" „Leider, Herr Director, ganz genau. Aber mein Möglichstes wenigstens will ich thun. Als ich dieses Kind gebar, als ich wußte, daß es sein Leben lang dem Circus verschrieben war, da gelobte ich mir, daß es in seinem Berufe nicht zur Zigeunerin werden sollte. An seiner Wiege mußte mein Mann mir versprechen, daß eS erzogen werden sollte wie ein anderes Menschenkind. Habe ich eS doch an mir selbst erfahren, daß nur eine tüchtige Bildung den Menschen über das Gemeine hinwegheben kann, das ihm bei unS jeden Tag entgegentritt. Auch bei Elli habe ich cs gemerkt, als sie bet Herrn Pastor Bernstorff zum Unterricht ging." „Und seitdem ist eS nicht mehr so gut geblieben, ich meine, Ihre Tochter ist anders geworden?" „Ts liegt in den Verhältnissen", suchte sie zu ent schuldigen. „Sic macht cS mir schwer mit ihrer Erziehung. Sie will nichts gelten lassen als den Circus und ihre Arbeit. Und dann — Sie wissen nicht, wie man das Kind umschmeichelt und verwöhnt. Das gerade ist das Ver derbliche für sie. Pastor Bernstorff sagte es mir eben erst. Er meinte aber: wenn man ihr jetzt noch einigen Unter richt gäbe, wenn man einen Lehrer für sie gewänne, der—" „Ich versichere Ihnen, meine liebe Frau Koralli, daß ich thun werde, was in meinen Kräften steht." Die Kunstreiterin erhob sich und reichte ihm die Hand. „Ich danke Ihnen, danke Ihnen tausendmal, Herr Director. Ach, wenn ich Ihnen sagen könnte, welchen neuen Muth mir Ihre Güte atebt. Ich war so ängstlich geworden, denn gerade als ich hier etntrat, hörte ich ein Wort, das mir schon früher einmal entgegengerufen wurde, und das that mir weh." Director Wöhrmann runzelte die Stirn und warf einen vorwurfsvollen Blick auf Doctor Molltnar. Aber der saß ganz ruhig in seinem Sessel. Keine Miene hatte sich während des langen Gespräches in seinem Antlitz verändert und hinter den dicken Brillengläsern blickten die grauen Augen so kalt, baß die Kunstreiterin ihn jetzt, als er sich gleichfalls erhob, nur mit einem scheuen Seitenblick streifte. Krau Koralli war gegangen, die beiden Herren waren allein. „Was sagen Sie nun, Herr College?" „Daß Sie mir einen großen Gefallen thäten, wenn Sie mir eine Cigarre gäben, aber von den schweren, wenn ich bitten darf." Der Director reichte ihm die Kiste, bann nahm er sich auS einer leichtern selber eine Cigarre. „Hier ist Feuer, bitte, aber jetzt stelle ich dieselbe Frage noch einmal. WaS sagen Sie nun?" „Daß die Kunstreiterinnen auch Komödiantinnen sind sage ich. Nun, sie spielen ja auch in Pantomimen, daS ge hört zu ihrem Fach/! Der Director schien unwillig. Den Doctor kümmerte das wenig. Er that einige Züge und blies den Rauch in dichten Wolken von sich. „Die Cultur, die alle Welt beleckt, hat aus den Circus sich erstreckt, müßte man Goethe varitren. Und ob die gute Dame recht hat. daß solche angelernte Bildung den Menschen besser macht und über daSGemetne erhebt, möchte ich auch sehr in Zweifel ziehen." „Wieder Ihre alten Ketzereien!" ries der Director ärgerlich. Dann blieb er hart vor dem Dotor stehen. „Aber ich sage Ihnen etwas Andere-, Herr College Molltnar, nämlich dies: Wenn Sie den Unterricht für -ieS Mädchen ablehnen, jetzt zum zweiten Male, nachdem Sie gesehen, wie ernst es der Mutter um ihn ist, dann Übernehme ich ihn selber, trotz der geringen Zett, die ich gerade jetzt übrig habe." Doctor Molltnar zuckte die Achseln. Die Strenge auf dem bleichen Antlitz nahm in diesem Augenblick einen fast finstern Ausdruck an, aber die linke Han-, die ausfallend klein war für den starken Körper, kraulte einige Male mit merklicher Unruhe in dem dünnen Bartflaum des Kinnes. Direktor Wöhrmann lächelte. Das war das ver- rätherische Zeichen, daS alle diese Strenge entwaffnete, freilich nur der Eingeweihte kannte es, und Director Wöhrmann besaß Beobachtungsgabe. „Wenn die Komödie denn einmal gespielt sein soll", sagte der Dpctor zögernd, „so will ich sie in Scene setzen. Ihre Zett ist mir zu schade dazu. Aber um eins mutz ich Sie vorher bitten." „Und daS wäre?^ „Daß Sie gütigst mit Niemand über diese Sache sprechen, ich mache mich nicht gern lächerlich." Die Stadt G. war früher Festung gewesen. Bor Jahren hatte mau die Wälle und Schanzen abgetragen, die Forts waren gefallen, die mächtigen Thore mit einem zierlichen Zaun umfriedigt, hinter dem Rasenbeete und künstlerische Blumenarrangements gepflanzt waren. So standen die Thore nun geputzt und vergoldet inmitten ihrer gärtne- rischen Umgebung als die Denkmäler einer früheren kriegerischen Zeit und schauten friedlich und freundlich wie behäbige Schöne im SonntagSputz auf den Strom der Bürger und Bürgerinnen herab, die von des Morgens rüh biS in die Nacht hinein an ihnen vorbei wanderten jinauS in den neuen Stabtthetl, der aus dem Zusammen- iruch der Festung schnell emporgeblüht war. Wenn man n diesem die elegante Hauptstraße entlang gegangen wgr, n die von einer Seite ebenfalls von vornehmen Häuser reihen eingefaßte Nebenstraßen mündeten, während zur andern Gartenanlagen oder alte Kirchhöfe sich befanden, so kam man an ihrem Ende in eine wenig cultivtrte Gegend, in welcher die Wege schlecht oder noch gar nicht gepflastert waren und die spärlich angebrachten Laternen des Abends ein trübes Licht verbreiteten. Die Großstadt schien hier ihre Grenze «Reicht zu haben, daS Land zu beginnen. In dieser Gegend standen nur wenige, weit auseinander gebaute Häuser 8nd in einem * An» der vftmark. Also derKammerherr v. MorawSki hat den Kaiser bitten lassen, seinen Besuch in Posen auf daS nächste Jahr zu verschieben. Ist daS nun un geheuerliche Dreistigkeit oder Naivetät? Nach Lage der Dinge in der Ostmark und auf Grund der Kenntniß de» polnischen NatioualcharakterS könnte man mit Recht auf daS Erstere schließen, wenn nicht gleichzeitig »ine andere ZeitnngSmeldung vorläge, welche den Kammerherr» v. MorawSki betrifft und dessen Absichten einigermaßen erklärt; eS wird nämlich berichtet: Der Kammerherr v. MorawSki-Lubonia hatte au seinen Ver wandten, Herr» v. MorawSki-Kotowiecko «ine« Brief geschrieben, in welchem er, so viel man an« dem nachfolgenden Ereignisse schließen kann, da» angrnblicklich schroff« Auftreten der Pole» grgeodie Regierung mißbilligte «nd ihnen empfahl, sich mit der Regierung zn stellen. Flug» setzt« sich der Empfänger diese» Briefes auf da» höchste polnisch« Pferd «nd machte von diesem herab seinem kammerherrlichen verwandten den Standpunkt klar, indem er einen offrueu Brief an di« polnischen Blätter richtete, worin unter Aufwand vieler tönender Phrase« Herr MorawSki- Lubonia gewiffermaßru al» ei» verräther au der polnischen Sache hiugeslellt wurde. Di« polnisch, Presse spinnt uua diesen Faden weiter und so lese« wir denn in der „Dziennik Kuj." durch seinen unbedachten Schritt hab« Herr v. MorawSkt für sich «ine Situation geschaffen, daß ihm nicht- Andere» übrig bleiben werde, sofern er sich zu den Polen weiter zählen wolle, al» seine Würde al» Kammerherr niederzulegen. Mit Herrn v. MorawSki- Kotowiecko werde die ganze polnisch« Nation den Kammerherr» fragen, wer ihn zum Politisier» auf eigene Faust ermächtigt habe. Die Polen brauchten keine preußischen Kammerherreu, damit sie um Gnade betteln und mit Ministern verhandeln könnten. ES sei sehr traurig, datz man unter dem polnischen Adel noch Krieger find«. Nach dieser Darstellung dürfte eS sich bei dem Ansinnen de» Herru v. MorawSki an den Kaiser um eine coioffale kammerherrliche Ungeschicklichkeit handel». — Im September vorige» JahreS wurde bekanntlich eine Anzahl Gymnasiasten von der Strafkammer in Thorn wegen Theilnahme an einer geheimen polnischen Verbindung zu Gefänguißstrafen verurtheilt. Von diesen haben sechs sich der Strafvollstreckung durch die Flucht entzogen; hinter ihnen erläßt der Staats anwalt zu Thorn jetzt einen Steckbrief. ES find Anton v. WensierSki, Felix v. ZelewSki. WladiSlauS Grochowski, Witold WyczynSki, Julian Gramse und Leo v. Borowski. * Köln, 20. Juli. Die „Köln. VolkSztg." bezeichnet die neuerdings durch die Presse gehende Liste von Candid atea für den erzbischöflichen Stuhl in Köln als erfunden. * Gotha, 20. Juli. DaS Ministerium bat die Be rufung deS socialistischen LandtagSabgeorduete» Wolf wegen Nichtbestätigung seiner Wahl zum OrtSvorsteher in Diet harz verworfen. * Würzburg, 20. Juli. Bei der Senats Wahl der Universität wurden die dem bisherigen (demonstrirenden) Senat angehörigen Professoren: v. Burkhard (Jurist), v. Frey und Stöhr (Mediciner), Albert (Theologe), Voß und Wilcken (Philos.) wiedergewählt. Neu gewählt wurden die Professoren Mayer und Piloty (Juristen), Heß (Mediciner), v. Scholz (Theolog), Martin Schanz (bisheriger Rector) und Wien (Juristen). Senator Beckenkamp, der den Protest nicht unter zeichnete, wurde nicht mehr gewählt. * Rothenburg a. T>, 20. Juli. Der Metzgermeister, Land- wirth und erste Vorsteher deS Bauernvereins für WindSheim-Uffen- heim, Leonhard Hilpert, ist Vertreter des sechsten mittel fränkischen Wahlkreise- Rothenburg a. T. im Reichstag«. Er ist kürzlich von einem Bahnbeamten ongehalten worden, al- er seine Reichstags.Freifahrkarte zu einem JagdauS luge be nutzte. Herr Hilpert hat der „Fränk. Ztg.", die die en Vorfall veröffentlichte, ein«, übrigens köstlich stylisirte Berichtigung zu gehen lassen, in der er erklärt, die Freifahrkarte gelte für die Fahrt zwischen dem Wohnorte de- Inhabers und Berlin, und zwar könne die Reise auf jeder beliebigen Zwischenstation unter brochen und fortgesetzt werdeu. Eine Bestimmung, in welchem Anzuge die Abgeordneten bei Benutzung ihrer Freifahlkarten zu erscheinen haben, sei nicht vorhanden. Er sei daher zur Freifahrt im Jagdanzuge vollständig berechtigt gewesen. Der Reichstag ist zwar vertagt. Dennoch hat, wie Herr Hilpert noch mittheilt, das königliche Oberbahnamt Würzburg den betreffenden Beamte» recti- ficirt und Herrn Hilpert das ihm „zu Unrecht abgenommene Fahr geld" zurückzahlrn lassen. * Stuttgart, 20. Juli. Der Leiter der süddeutschen Anarchistenbewegung und Verleger deS anarchistischen Blattes „Die Freiheit", W. Klink, und der Rrdacteur des Blattes, Adam Frintz, in Feuerbach sind wegen Belei digung des Stadtschultheißen von Bietigheim bei Stuttgart unter Anklage gestellt worden, weil sie die Maßnahmen des selben gegen die Anarchisten scharf kritisirten.— Gegen die Anarchisten gehen nun auch die Gewerkschaften in Süddeutschland vor. Bei einer kürzlich in Feuerbach von den vereinigten Gewerkschaften emberufenen Volksversammlung wurde einem Anarchisten, der sich zum Wort gemeldet hatte, durch Abstimmung das Wort entzogen. In Duisburg wurde bei einem Anarchisten, Peter Schauf, Haussuchung ab gehalten, wobei anarchistische Schriften älteren Datum- be schlagnahmt wurden. („Allgcm. Ztg") derselben, das durch seine einfache Bauart und durch seine Niedrigkeit noch vor den andern auffiel, wohnte, wie ein großes Schild an der Gartenthür besagte: Doctor Fritz Molltnar, Oberlehrer. Herr Mollinar befand sich auf dem Wege zu seinem idyllischen Heim. Er hatte sich eine Holländer Cigarre von auffallender Länge angesteckt, die lose, nur von den Lippen gehalten, senkrecht herunter hing. Dazu machte er ein sehr verdrießliches Gesicht, und wenn ihn hier und da ein kleines oder größeres Mädchen mit einem ehrfurchts vollen Kntx grüßte, dann zog er den unmodernen Cala- breserhut an der breiten Krempe mit einer fast unwilligen Bewegung herab und aus den glitzernden Brillengläsern traf die Kleine ein Blick, -er wenig in Einklang stand mit den leuchtenden Mädchenaugen, die zu ihm emporgrüßten. Sonderbarer Mann, der Director, brummte er vor sich hin und schob die lange Cigarre von einem Mundwinkel in den andern, aber das ist ja natürlich, wenn man sein ganzes Leben lang nur Mädchen unterrichtet, man wird zuletzt selber weibisch. Doctor Mollinar war bereits seit mehreren Jahren ordentlicher Lehrer an der Victoriaschule. ES war ihm ge gangen, wie so manchem seiner College». Die Gymnasien und höheren Realschulen hatten ihren Bedarf an Lehr kräften auf längere Zett gedeckt, so daß dort nicht anzukom men war, wenn man nicht aussichtslos eine Reihe von Jahren warten wollte. Und Fritz Molltnar konnte nicht warten. Seine Mutter hatte nur ihre karge Wittwen- Pension, und er selber nichts als Schulden von den Uni- versitätSjahren her. So war er sehr zufrieden, als man ihm eine Stelle an der Victoriaschule anbot und nahm ohne Besinnen an. Ihm wurde der Religionsunterricht in den unteren und mittleren Classen übertragen, und da er eine kindliche und einfache Art hatte, den kleinen Mädchen die biblische Geschichte zu erzählen und den Katechismus zu erläutern, so gewann er im Kluge ihre Herzen. Und als ihm gar der Director einige Vertretungsstunden in der ersten Claffe und in der Selecta zuerthetlte, und er auch hier die Neigung seiner Schülerinnen trotz der Reserve eroberte, mit der man an den neuen Lehrer herangetreten war, da hätte Doctor Mollinar mit seiner Stellung sehr zufrieden sein können. (Fortsetzung folgt.)
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