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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.06.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030626027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903062602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903062602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-26
- Monat1903-06
- Jahr1903
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Be richtigung folgt auf Benchligung, io daß eS unmöglich wird, sich ein klare- Bild von dem Gesamiresultate zu machen. Nur Eine- ist leider völlig klar: im Königreich Sachsen sind bis auf den Bautzener Wahlkreis alle an die Sozialdemokratie verloren gegangen. Selbst unser Leipzig, das so lange die vergebens von der Umsturzpartei bedrängte Hochburg des Nationalismus und gemäßigten Liberalismus war! Und was das Betrübendste und Niederdrückendste gerade an dieser Niederlage ist: sie ist nicht auf ein natürliches Anwachsen der So;ialdemokratie zurückiusühren, sondern auf einen Abfall bürgerlicher Gruppen, die keineswegs sozialdemokratisch gesinnt sind, sondern durch die Unterstützung deS sozialdemokratischen Kandidaten lediglich ihrer Mißstimmung über den Gang der ReichSpolitik, wie über Vorkommnisse vor der Hauptwabl Ausdruck geben wollten. Als ob Mißstimmung überhaupt maßgebend bei einer solchen Entscheidung sein dürfte! Mißstimmung ist es jedenfalls auch im Freiberger Wahl kreis« gewesen, was dem Sozialdemokraten den Sieg ve>- schafft hat; hier freilich Mißstimmung über die Person deS vom „Kartell" aufgestellten Kandidaten. Indessen ist auch eine Mißstimmung aus solchem Grunde keine zureichende Entschuldigung sür Lauheit oder gar für direkte Begünstigung deS allen bürgerlichen Parteien gemein samen politischen Gegners. Bessere politische Schu lung hätte wie in Leipzig, so auch im Freiberger Kreise sicherlich zu günstigeren Resultaten geführt. Aber freilich, woher soll die politische Schulung kommen bei der Schlaf mützigkeit, die in der Pflege des politischen VereinSlebenS der bürgerlichen Parteien in Sachsen seit Jahren eingerissen ist? Neue Vereine aller Art schießen wie Pilze aus der Erde und erfreuen sich sorgfältiger Pflege und einer gewissen Blüte. Aber in den politischen Vereinen, wo solche überhaupt be- stehen, herrscht fast durchweg eine säst unglaubliche Oede. Und wenn die Vorstände sich noch so sehr bemühen, deu Mitgliedern Belehrendes und Anregendes zu bieten: der Besuch der Versammlungen bleibt weit hinter dem zurück, dessen die Vorträge irgend eine« mittelmäßigen RbelorS sich zu erfreuen haben. Wo sollen politische Schulung, Kenntnis der Stimmung und der Wünsche und gar eme Organisation Herkommen, auf die man im Wahlkampfe mit der so trefflich organisierten Sozialdemokratie sich stützen kann? Und wie soll man bei den Verhandlungen von einer bürgerlichen Partei zur andern mit auch nur an nähernder Sicherheit die Stärke beziffern, die man hinter sich hat und auf die man seine Ansprüche gründet? Wie zu einem sicheren Urteil darüber kommen, welcher Kandidat der geeignetste und aussichtsreichste ist? Wie mit Takt die Auswahl der Agitatoren und Redner treffen? Zum Glück ist gerade dieser Mangel noch am ersten zu ersetzen. ES darf aber auch keine Stunde mit der Inangriffnahme einer Belebung des politischen VereinS lebenS der bürgerlichen Parteien gezögert werben. Gerade die erlittenen Niederlagen werden überall die Einsicht in das, was fehlt, vermitteln. Und treten dann auch die bürgerlichen Parteien im Laufe der Legislaturperiode einander näher und pflegen gemeinsam, waS ihnen gemeinsam ist, so ist wenigstens die Möglichkeit gegeben, später die jetzt erlittene Scharte auSzuwetzen und die Sieger der jetzigen Wahlen water in ihre natürlichen Grenzen zurückzudrängen. — WaS die Ergebnisse in den übrigen Teilen des Reiches betrifft, so finden unsre Leser an andrer Stelle eine Zusammenstellung, deren unbedingte Zuver lässigkeit wir allerdings nicht verbürgen können, die aber alle bisher eingelaufenen Meldungen und Berichtigungen be rücksichtigt. Es ergibt sich aus ihnen, daß die Sozial demokratie zwar nicht ganz die Erfolge errungen hat, die der „Vorwärts" in seiner Siegesraserei träumte, sie ist sogar in einigen ihr bisher gehörigen Wahlbezirken zu Boden gerungen worden; aber sie zieht doch als die zweitstärkste Partei, um reichlich zwei Dutzend Man date gestärkt, in den Reichstag ein und wird dort noch ungestümer toben, als im letzten Reichstage. Von ihren Größen ist' der Dauerredner Antrick zum Lohne sür seine rhetorischen Heldentaten in Ruhestand versetzt; aber dafür ziehen neue Größen ein, die das Handwerk der Störung der positiven Arbeiten kaum weniger ungeniert betreiben werben, als der vielredende Zigarrenhändler. Die Losung der „Nordb. Allg.Ztg." vom Zusammenstehen der bürgerlichen Parteien ist von den Parteien, wie vorauszusehen war, nur mangelhaft befolgt worden, am schlechtesten vom Zentrum, bas in Bayern, Württemberg und Baden den Sozialdemokraten in den Reichs tag verhalf und sogar den nationalliberalen Parteiführer Basser mann in Karlsruhe zu Falle brachte. Nur in Rheinland und Westfalen scheinen sich dieNationalliberalen und das Zentrum einigermaßen Wahlhülfe geleistet zu haben. Völlig erfuhren die Hülfe der anderen bürgerlichen Parteien die frei sinnigen Gruppen, die dank dieser Wablhülfe nach der Niederlage vom 16. Juni noch in verhältnismäßiger Anzahl in den Reichstag einzieben, wenn eS auch für die Freisinnige Vereinigung zur Gründung einer eigenen Fraktion nicht mehr langen dürfte und die Barthsche Gruppe sich wohl oder übel der Freisinnigen Volkspartei wird an schließen müssen. Die Fübrer Barth und Richter sind wikdergewählt und einige Neulinge, meist Stipendiaten deS HanbelsvertragSvereins, hinzu. Die Nationalliberalen Ichneiben über Erwarten ab, aber sie beklagen insbesondere den Verlust ihres Führers Bassermann und haben überhaupt im Süden, dank der Feindschaft des Zentrums, Vie meisten Einbußen, während sie im Norden und in Mitteldeutschland vom Zentrum, den Freisinnigen und den Antisemiten Sitze gewonnen haben. Die Konservativen und die Reichspartei dürften sich im allgemeinen behaupten. Eines aber ist schon jetzt sicher: Der neue Reichstag steht noch erheblich mehr unter dem Zeichen von Zentrum und Sozialdemokrat ie, als der gewesene. Schöne Aussichten! Ausbau der Parteiorganisation und die Wahlparolen. In einem auch von unS wiedergegebenen Artikel forderte kürzlich die „Nat.-L>b. Korr." zum Ausbau der politischen Organisation auf Grund der bei den Wahlen gesammelten Erfahrungen auf. Die „Freis. Zig." findet diese Auf forderung sehr zweckmäßig, fügt aber hinzu, „die mit Unter stützung der Nationalliberalen 1888 verlängerte Wahl periode hat es sür die Libeialen erheblich erschwert, eine Organisation sür die Wahlen lebendig zu erhalten." Die Meinung ist allerdings weit verbreitet, die Verlängerung der Wahlperiode sei wesentlich mit daran schuld, daß daS inner politische Leben an Regsamkeit verloren und einen Zug der Erschlaffung angenommen hat, der schon längst nicht mehr schön ist. Gleichwohl war der Versuch, eine Verlängerung der Wahl periode anzustreden und durchzusetzen, gerade in den achtziger Jahren durchaus berech'igi. In England haben die Wahl perioden eine siebenjährige Dauer. Im konstituierenden norddeutschen Reichstage stimmte Bismarck für den alt- liberaten Antrag, fünfjährige GesetzgebungSperivden einzu führen. Der Antrag fiel. Immer von neuem wurde dann der Vorwurf gegen den ersten Kanzler erhoben, er habe zu dem Fehler der Einführung des allgemeinen gleichen Reichs- tagswadlrechtS noch den gefügt, die Wahlperioden zu kur, bemessen zu haben. Tatsächlich ließen die Eifahrungen, die namentlich in der ersten Hälfte der achtziger Jahre gemacht wurden, solchen Vorwurf gerechtfertigt erscheinen. In der ersten Tagung des Reichstags nach Neuwahlen wurde jedes mal ein unverhältnismäßig großer Teil der zur Verfügung stehenden Zeit damit hingebracht, daß die Parteien die Wahl kämpfe forisetzten und sich in den schlimmsten Beschuldigungen ergingen über die Art ihrer Beteiligung an den Wahlen. Erst in der zweiten Tagung der Gesetzgebungeperiode halten sich die Gemüter soweit beruhigt, um mit so viel Eifer an die gegebenen Aufgaben der Zeit heranzutreten, als sich mit der Sorge für die Fortsetzung der Wahlpropoganda vereinen ließ. In der dritten Session aber beberrschle in der Regel die Rücksichtnahme auf die nächsten Wahlen daö Znieresse mindestens der radikalen Parteien wiederum in einem Maße, daß die Neigung zu kurz kommen mußte, die nächstliegenden Ausgaben zu erfüllen. Infolgedessen griffen die Ver bündeten Regierungen aus den alttiberalen Antrag zurück. Borauagegangroen Bemühungen, die EtatSperioden zu verlängern, hatte die Mehrheit Winvlhorst - Richier- Grillenberger einen hartnäckigen Widerstand entgegen gesetzt. Die Verlängerung der Dauer der Wahlperioden von drei auf füns Jahre wurde sowohl im Reichstag wie nn Ab geordnetenbause durch die sogenannte Kartellmedrheil be schlossen, sie erlangte im Jahre 1888 Gesetzeskraft. Wollte man jetzt zur Verkürzung der Wahlperioden zurückkebren, so würben sich die alten UebelstLnbe von Neuem Herausstellen. Einen Vorteil davon hätten voraussichtlich nur die Radi kalen, insbesondere die Sozialdemokraten. Die Schwierig keit, eine Organisation für die Wahlen auch bei sünjjähriger Dauer der Gesetzgebungsperioden lebendig zu erhalten, will unS nicht so groß erscheinen, wenn nur Persönlichkeiten vor handen sind ober sich berausbilden und hervorlreten, die es auf sich nehmen, Arbeiten der Organisation sich zu unter ziehen, die wie im großen so auch im kleinen immer nur von wenigen geleistet werden. Diesen liegt es dann ob, insbelondere auch die Abgeordneten der Partei zu veranlassen, daß sie in lebendiger Fühlung mit de» Wählern bleiben, auch ia den Wahlkreisen, >n denen die betreffende Partei bei den jeweilig letzten Wablen ausfallen sollte. Dann kommt „Leben in die Bude", um uns in ter Sprache deS Volkes auszudrücken. Die ewige Wahlpropaganda von der Tribüne der Parlamente schadet in vielen Fällen mehr, als sie nützt. Tie „Lösung" -er Krise tu Ungarn. Die meisten ungarischen Blätter äußern sich bei Be sprechung der Beilegung der Kabinettskrise sehr ver wundert darüber, daß man dem Grafen Khuen gewährte, was Herrn v. Szell verweigert wurde, und stellen einmütig die moralische Niederlage der Regierungspartei fest. Der „ Pester Lloyd" schreibt: Die ParlamenlSmehibeit ist ein geschlagenes Heer, das sich ob seiner Nieder lage einer derartigen Minorität gegenüber schämen muß. Eine Regierungsmehrheit, die ihren Beruf nur >o lange er füllen kann, als die Opposition ihr keine ernsten Schwierig keiten bereitet, verfügt über moralische und politische Quali täten in nur sehr unzureichendem Maße. Entweder: die Mehrheit wird eine Wandlung dmchmachen, die ihre Wlllens- siäike stählt, oder es werden rasch unabsehbare Wirren ein treten.— „Budapesti Hirlap" verweist darauf, daß der Sieg der Unabhängigkeit^ Partei nur scheinbar und daß der Erfolg eigentlich ausgeblieden sei, da die Pjilitärvorlagen nicht zurückgezogen, sondern in einem späteren Zeitpunkt neu vorgelegt werden. Hingegen sei unser Verfassungsleben stark bloßgestellt, das Ansehen der Regierung habe ge litten, das Vertrauen zwischen Regierung und Parteien sei erschüttert, und wir sind dort, wo wir vor sieben Monaten standen, mit dem Unterschied, daß daS tüchtige Kabinett Szcll überflüssigerweise geopfert wurde. — „Budapesti naplo" glossiert die Beratungen deS Grafen Khuen mit der Unabhängigkeitsparici, die gnädig genug war, die Mission des Banus gegen Erjüllung ihrer Forderungen nicht zu verhindern. Franz Kossuth ist unzuirieden mit der Kione und deshalb erfolgt die Aufopferung des Kabinetts Szell. Die Opposition hat gesiegt, aber eS litt die Verfassung und das Ansehen der Krone. Es wird ein großes Stück Arbeit sein, r>e eilittenea Schlappen auszuwetzen. „PestiNaplo" führt aus, Graf Khuen habe nicht Frieden, sondern nur Waffenstillstand ge schloffen. DaS Blatt befürchtet, daß die Bedingungen sür eine gründliche Entwirrung der Lage dennoch nicht geschaffen wurden. Die Kriegsverwaltung habe nachgegeben, um nicht naiionale Konze sionen machen zu müssen. Daß dem BanuS gestaltet wird, WaS Szell versagt wurde, mach, bezüglich der eigentlichen Mission Khuen - Hedervarys mißtrauisch. Die Opposition bat Nicht gesiegt und der Kamps wurde nicht be endet; jedeimann in Ungarn mußte gegenüber der unverläß lichen gemeinsamen Regierung auf der Hut sein. Ainderfürsorgegcsctze tn Tchwedcn-Nolwegen. Seil dem 1. Januar d. I. befindet sich auch Schweden im Besitze eines Gesetzes über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger, Las sich im Gegensätze zu dem preußi schen Gesetze vom 2. Juli 1900 auf die Kinder unter 15 Jahren beschränkt, in den Vorausetzungen, Zwecken und Zielen aber mit diesem übereinstimmt. Auch bei dem Hotel Alpenroje. Roman von Arthur Achleitner. »iachvruck verboien. Erstes Kapitel. Auf der Landstraße vom Bahnhof Schwarzwafser zum gleichnamigen Alpendorfe jagen durch mächtige Staub wolken hindurch unter Peitschenknall zahlreiche Wagen und Omnibusse, in welchen Reisende aller Art zu den Hotels tn Schwarzwasser befördert werden. Knarrend und knatternd geht die etwa zwei Kilometer lange Fahrt in raschem Tempo, die vollgepfropften Wagen biegen eben in di« Dorfgafse ein, wie rasend knallen die Kutscher mit den langstieligen Peitschen zum Zeichen, daß sie Gäste bringen. Wie ein kommandierender General steht der Besitzer des Hotels „Alpenrose" auf der Freitreppe seines berühm ten Hotels und blickt die Dorfgafse hinab, den erwarteten Wagen entgegen. Ein kleiner, untersetzter junger Mann mit ungemein klugen, frischen Augen, Energie kündet das Antlitz, welches von dichtem braunen Bart L la Viktor Emanuel II. umschattet ist. In tadellosem schwarzen Galonrock harrt Herr Hotelier Ambros Tschurtschberger der Gäste, welche zum jetzigen Satsonbeginn fällig sind und ihm die kurze Sommerernte bringen sollen. Auf das Peitschenaeknall winkt der Hotelier durch Auf heben der linken Hand, und im selben Augenblick lärmt tn scharfen harten Tönen, die durch das große Haus gellen, die Hotelglocke, Leben weckend in der Schar der Haus bediensteten. Im breiten Flur des Hotels tauchen Zim mermädchen, Kofserträger, Hoteldiener auf und bilden so fort Spalier, der schwarzbefrackte Oberkellner hastet heran und nimmt Posto in der Office neben der mäch tigen Wandtafel, auf welcher die Zimmernummcrn mit entsprechenden Schlüsseln angebracht sind. Ihm ruft der Hotelier von der Freitreppe aus zu: „32 Zimmer frei, Nr. 15 ist bestellt, 17 und 19 reserviert halten! Alles übrige Gesetzt!" Nun raffelt die erste Eauivage, ein eleganter, doch ver- ftaubter Landauer des Hotels heran. Tschurtschberger hat mit einem einzigen Blick die Insassen gemustert und taxiert, eine tadellose Verbeugung, dann eilt der Hotelier »ie Treppe hinab, um eigenhändig den Wagenschlag zu öffnen. Der erste Hoteldiener Franz, wegen seines Kotelettbartes der „Patriotische" genannt, springt heran, ihm nach einige Gehülfen, die sich des zahlreichen Hand gepäckes bemächtigten. „Die Herrschaften wünschen Quartier?" fragte Tschurtschberger und half -en zwei Damen galant beim Aussteigen. Ein ältlicher, distinguierter Herr knurrte: „Ja, zwei schöne Zimmer, nicht zu hoch, Front auf das Gebirge, ruhige Lage!" „Sehr wohl, mein Herr", erwiderte Tschurtschberger, und rief dem Hoteldiener zu: „Nr. 12 und 14 diesen Herr schaften!" Gehorsam und geschult meldete Franz, der erste Hotel diener, dies dem Oberkellner, welcher diese Nummern auf der Wandtafel sogleich mit Kreide durchstrtch und die Schlüffe! dem betreffenden Zimmermädchen einhändigte. Knixend begrüßte Fanny die ihr zugewiesencn Gäste, nahm den Damen Ueberwurf und Schirme ab und ge leitete „ihre" Herrschaften ins erste Stockwerk zu den Zimmern. Der Hotelier hatte sich inzwischen zum zweiten Wagen gewendet und dessen Insassen kühl und höflich begrüßt. Seine Mutmaßung, daß es „Boerenmörder" sein werden, bestätigte sofort die hochnäsige Frage: „Osn one romain kor somo siazcs in Ibis vills-rv ok kogkmrs? sVe wsnt to go tsten 8«nt dlorir kv maileosost!"*', „I kex.vour parsion! It is time tsto villago is small l>ut tstore ars no ko^nrs in it! klease, sioeisis immosiiatelz' ik xou vvant to tslcs rooms störe. I'm in a sturr)' tstere aie *) „Kann man in diesem Bettlerdorfe einige Tage rasten? Wir wollen dann mit der Reisekutsche nach St. Moriz." „Entschuldigen Siel Der Ort ist zwar klein, doch nicht von Bettlern bewohnt. Bitte sich rasch zu entscheiden, ob die Herr schaften hier Wohnung nehmen wollen, ^ch bin pressiert, eS wünschen noch zahlreiche Personen in meinem Hause Unter kunft!" „Nun ja, zwei Zimmer mit je zwei Betten straßenscitig. Wie teuer?" „Welche Etage?" „Wir wünschen nicht mehr wie höchstens vier Schilling für das Zimmer zu zahlen!" „Gut! Nr. 95 und 96 jn der dritten Etage!" „Das ist wohl sehr hoch gelegen?" „Bitte! Wir haben Aufzug!" „Wann ist Takle ll'köte?" „Gibt cs hier nicht! Ma» speist beliebig ä !a varte!" „Wie? Keine Takle ci'köte? Wir bleiben nicht, werden in ein bessers Hotel gehen I" „Bitte, nach Belieben!" still msn^ porscms wsto wisst to tasts a losison^nt in m^ stouss! " „XVoll, two rooms, säest wirst two Kosis, ansi on tsts stroetsisio. ^Vstat is tsto pri^e?" „Wstiest stor^?" „Tsto stixstest priro tstat wo sstall ps^ kor a room is kour sstillio^s!" „^.ll ri^str, mimker 95 anci 96 in tste tstirä Storni" „Tstat' is vorzc stixst, isn't it?" „klsaso, wo stavo a litt!" „VVstou is takle cl'stoto?" „Tstoro is nono störe! Teoplo siino L la oarte, over^ ono to stis taste." „Is it possiblo? Ao takle cl'stote? Wo sstall not ro- main störe, wo sstall xc> to a Kotter stotel!" ,,^s zmu liste!" Tschurtschberger trat vom Wagenschlag weg und war im Nu von zahlreichen Touristen und Reisenden, welche die verschiedenen Vehikel verlassen hatten, umringt, -ie alle gleichzeitig auf ihn «insprachen und Wohnung wie alle erdenkliche Auskunft über die Art ihrer Weiterbeförde rung in die Schweiz forderten. Der Hotelier bat die Reisenden, sich in die Office zu begeben und wollte sich mit der Gewandtheit eines Aales aus dem Menschenknäul winden, da faßte ihn ein elegant gekleideter Franzose am Rockknopf und schmetterte los: „llonsiour! Tourrais-js avoir cm salon aveo uns ostamkro a oouostor? Tuis cloux jolios ostamstres pour oes äamos et uns autro pour la komme sio ostamkro!" *) „Tros Kien, Monsieur! Numero 7, 10 et 11, ot pour l« *) Herr Wirt! Kann ich einen Salon mit Schlafzimmer haben? Ferner zwei hübsche Zimmer für die Damen, eine Kammer für die Zofe!" „Sehr wohl, mein Herr! Nr. 7, 10 und 11, für die Zofe Nr. 99. Haben die Herrschaften großes Gepäck?" „O mein Gott! Unser Gepäck! Wo ist unser Gepäck?" „Pardon! Bon wo kommen die Herrschaften?" «Von München! Wir haben das Gepäck dort aufgcgcben, direkt nach Schwarzwasser!" „Bcdaure sehr, Ihnen sagen zu müssen, daß Ihr Gepäck am Zollamt in Kufstein zurückgchalten wurde Sie hätten dort persönlich an der Douanc erscheinen und der Gepäck- revisiion bciwckhnen sollen." „O Gott! Was machen wir nun?" „Es bleibt nichts anderes übrig, als daß sich der Herr nach Kufstein bemühen und das Gepäck der Zollrevision unter stellen. Dann wird daö Gepäck weiter befördert." „O Gott! Welcher Zeitverlust!" „Reflektieren die Hcrrsck-aften auf die Zimmer?" „Fa!" „Dann bitte, sich gütigst hinauf zu bemühen!" kommo sio ostamkro uumöro 99. ^.ver-vous <ls xrausios malles?" „^.st mou Diou! Nos mallos! Ost ost uotro kaxaxe?" „karclon, osorais-jo vous siemansier si'oü vous veuer?" „Oo uniost! Nous ,y avous kalt ouregistrer tour uotrv kagaxo clirectomout pour Lostwarrwasser!" „Io rohretto vivemout clo me voir oklixv sie vous siirs guo votro kaxaso a otö roteuu a la siouaue sio Nukstoiu. Vous Kurier siü vous rousiro ou porsouuo pour assister a la revision siu ba-rarro." „Von visu! Hue tairs a prosoul?" „Vonsieur! Il ue vous roste qu'a vous rousiro vous — momo a Nukstoin pour tairo visiter votro kaxa^o. Oo u'ost quo sous eetto oonsiitiou gu'll sera expösiis!" „Llou Diou! tzuelle porte sio temps!" „Llousiour! Voulor-vous narsior los estambres?" „Oui, Llousiour!" „^siors, vouillor monier s'II vous pla!t." Der Hotelier eilte, von einer Schar unterstandsloser Bergkraxler gefolgt, die Freitreppe hinan, und rief dem Oberkellner zu, die Zimmer 7, 10, 11 und 99 für die fran zösische Herrschaft anzuweisen. Die Kreidestriche an der Wandtafel haben sich schnell vermehrt, nur wenige Num mern stehen noch frei. Das merkten die unterstandslosen Touristen und wur- den in ihrem Begehren dringlicher. Ein Telegraphendiener erschien an der Officetür und rief: „Herr Tschurtschberger! Eine Depesche, -ringend!" Hastig unterschrieb der Hotelier den Abgabeschein und riß -aS Telegramm auf, um dann sofort zu rufen: „Jean! Für morgen ein Salon, drei Zinnner anstoßend, erster Stock reserviert für Baron Blauschild!" Ein stännniger Hochtourist tn voller Rüstung polterte herein und rief, den Münchner sogleich verratend: „Hel Herr Nachbar! Geben S' gutwillig ein Platzerl her in Ihrer Hütten oder ist die Kasern' etwa schon voll? Mein Geld ist nicht von Blei und der Durst groß!" „Ah, ein Münchener Herr! Habe die Ehre! Leistbräu vom Faß! Zimmer Nr. 73, wenn's angenehm ist!" sprach lachend der Hotelier in seiner Vorliebe für die allzeit durstigen Isarathener. „Her mit dem Schlüssel! Und wo ist das Mäderk, waS dazu gehört? ServuS, Herr Nachbar! Ich geh' gleich zum Leistbräu!" Das Vorfahren einer Eauivage veranlaßte Tschurtsch- berger, selbst an der Hotclglockc zu ziehen und die Frei- treppe hinabzuspringen Ein Blick genügte, Tschurtsch berger grüßte: „Oomplimkvli, Lixnorin»!" Flink entstieg das welsche Paar dem Wagen, und der
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