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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020731022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902073102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902073102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-31
- Monat1902-07
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Februar 1902 in der 2. Kammer machte, Beachtung. Danach betrug die Z a h l der schulpflichtigen Kinder im Jahre 1874: 439 616, 1884: 536115, 1894: 617 848, 1900 : 705 112. Die Gesammtzunahme vom Jahre 1874 bis zum Jahre 1900 betrug also 265 496 Kinder, d. i. eine Steigerung von rund 60 Proc. HieraM läßt sich entnehmen, daß die Zahl um 16 000 bis 18 000 alljährlich wächst.— Für dieselben sind heute etwa 11 500 Volks schullehrer thätig. Diese erhielten ihre Vorbildung in 22 Lehrerseminaren einschl. eines katholischen und 2 Lehrerinncnseminare. Die Zahl der Semi naristen betrug Ostern 1896: 3165, Ostern 1901: 3909, das macht in dem fünfjährigen Zeitraum eine Zu nahme von 804 Schülern oder eine Vermehrung von 25 Proc. — Ostern 1900 waren 538, 1901:703 und 1902: 786 Schulstellen vacant. Von diesen waren 1900 : 356, 1901: 331 und 1902: 554 durch die vom Seminare ab gehenden Schulamtscandidaten besetzt. Um aber das ganze Bedürfniß nach Lehrern für die Volksschulen befriedigen zu können, mußtenOstern 1900: 182, Michaelis 1900: 212, Ostern 1901:242, Michaelis 1901:257 beurlaubte Seminaristen der ersten Klasse in den praktischen Dienst übernommen werden. DaS ist selbstverständlich nur ein Nothbchelf, welcher dem Lehrermangel auf die Tauer nicht abhelfen kann. Man kann aber mit Rücksicht auf den stärker werdenden Andrang zn den Seminaren hoffen, daß der Lehrermangel in einigen Jahren durch vollansgcbildete Schulamtscandidaten gedeckt wird; denn der Kultusminister erwartete zu Ostern 1902: 554, 1903: 530, 1904 : 642, 1905:648, 1906: 660 bis 670 Seminarabitll- ricnten. — Der Gesammtaufwand für die säch sischen Volksschulen erfordert von dem Staate jetzt einen jährlichen Zuschuß von 8 494 635 .4!. Vergleicht man damit dieselben Posten i. I. 1880/81, wo im Etat für die Volks schulen 1457 568 eingestellt waren, so ist in diesen 11 Finanzperioden die Summe um 7 037 067 .4(, d. h. beinahe um den fünffachen Betrag oder rund 480 Proc. gestiegen. Das ist in der That eine Leistung, welche die höchste Aner kennung verdient. Der berüchtigte Berliner „Timcs"-Correspondent be müht sich, die Äersuche, in der öffentlichen Meinung wieder ein besseres Verhältniß zwischen Deutschland und England herzustellen, in seiner bekannten verhetzenden und ver letzenden Manier zu hintertreiben. Der deutscherseits, verschiedentlich schon zu viel, gezeigte gute Wille ist ihm längst nicht genug; demüthig unsere Niederträchtigkeit ge stehen und abbitten sollen wir; er schreibt seinem Blatte unter Anderem: „Kein verständiger Engländer wird den Wunsch haben, die Anzeichen einer besseren continentalen Stimmung gegen England gering zu schätzen; cL> würde aber ein grober Fehler sein, wenn man den Ereignissen der vergangenen Woche zu große Bedeutung bcimessen wollte. Keine einzige deutsche Zeitung von Bedeutung hat offen und freimüthig ihr Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, daß sie englische Staatsmänner verleumdete, eng lische Generäle beschimpfte und den Charakter der eng lischen Armee herabzog. Die Ausdrücke des Bedauerns, die zum Ausdruck gebracht wurden, waren allgemein ge halten und fast ohne Inhalt." Der Berliner „Times"- Cvrrespondent hat jedenfalls durch die ihm neulich vom Staatssekretär des Auswärtigen zu Thcil gewordene Lectivn an Unverschämtheit noch nichts eingebüßt und wird sich mit vollem Rechte rühmen können, redlich oder viel mehr unredlich sein Thcil dazu bcigetragcn zu haben, in Deutschland etwa vorhandene Sympathien für die Eng länder in ihr Gegcntheil zu verwandeln. In der politischen Presse Dänemarks wird neuerdings der Gedanke erörtert, daß Dänemark in seinem eigenen Interesse richtig handeln würde, wenn es die Revanche gedanken wegen Schleswig aufgäbc und auch innerlich seinen ehrlichen Frieden mit Deutschland mache. In Deutschland bestehe das Gefühl, daß man von Dänemark nichts Gutes zu erwarten habe. Das sei aber gefährlich, und man müsse etwas thun, um einer solchen Stimmung entgegen zn arbeiten. Man kann nicht recht beurtheilen, welchen Einfluß die Kreise, die diese Meinung vertreten, auf die öffentliche Meinung in Dänemark haben. Rian muß es auch daher dahingestellt sein lassen, ob die Be wegung größere Ausdehnung annchmen oder zerflackern wird. Die Deutschen wünschen nichts Besseres, als mit Dänemark in aufrichtiger Freundschaft zu leben, und sind empfänglich für jede Bestrebung, die auch in Dänemark dieses Ziel ins Auge saßt. Interessen aller Art verbinden uns mit unserem nordischen Nachbar, dessen Tüchtigkeit wir gern und unumwunden anerkennen. Der deutsch dänische Streit hat nach tapferem Kampfe einen für Däne mark ungünstigen Ausgang genommen und eine Grenze geschaffen, die heute unumstößlich feststcht. Ein Thcil der öffentlichen Meinung Dänemarks hat sich andauernd gegen diesen Zustand verwahrt, und Uubcguemlichkeiten, die man mit Einwohnern der Nordbezirke in Schleswig gehabt hat, waren zum großen Thcil auf die Ermunterungen zurück zuführen, die diese Einwohner in gewissen dänischen Kreisen fanden. Sollte das Ergebnis; der oben erwähnten Bewegung in Dänemark dahin gehen, daß diese Ermuntc- rungen in Zukunft Wegfällen, so wäre ein solches Ergebnis; mit Freuden zu begrüßen, sowohl für Dänemark und Deutschland, und ganz besonders für die dänisch redenden Einwohner der schleswigschcn Nvrdbezirkc. Ob die Ent wickelung wirklich dahin gehen wird, bleibt abzuwarten. Die Volkszählung von 1901 hat für die letzten zehn Jahre in Ungarn eine Bcvölkerungszunahme um 1 790 768 Köpfe nachgewiesen. 1890 gab es 17 463 791 Ein wohner, 1900 deren 19 254 559. Die Zunahme beträgt also fast 11 v. H. Das Wachsthum der städtischen Bevölkerung überwog das der ländlichen ganz bedeutend. Es betrug in Szegedin 17, in Prcßbnrg 18, in Großwardein 23, in Dcbreczin24, inTemesvar und Fünfkirchcn 25, in Arad 28, in Klausenburg 30 und weitaus am meisten in Pest mit 45 v. H. Hinter dem Durchschnitt von 11 v. H. zurück blieben die d e u t s ch g e m i s ch t c n Komi täte mit Ausnahme des Pester. Im Comitat Wieselbnrg betrag die Zunahme nur 4s,4, in Ocdcnburg 5sH, in Baranya 1V2, in Tolna sogar nicht ganz 1 v. H.; in der Zips 4^, in Temcs 5Z(i, in Torontal 2^, in Kronstadt 6§ä, in Groß-Kokcl fast 6, in Klein-Kokcl 7^ und in Hcrmannstadt 9'/, v. H. Im Ganzen also hat das Dcutschthum nur eine schwache Mehrung aufzuwcisen und ist hinter dem Magyarenthum zurückgeblieben. Bei einer deutschen Kopfzahl von 2135181 für das Jahr 1900 beträgt die Zu nahme gegen 1890 kaum 6000, während die Zahl der Magyaren von 7 477 332 im Jahre 1890 in zehn Jahren um 1265 000 auf 8 742 301 gestiegen ist. Außerdem wurden für 1900 gezählt 2 019 641 Slowaken, 2 799 479 Rumänen, 1 678 659 Kroaten, 1052180 Serben, 429 447 Rulhenen, 397 761 Slowenen, Bulgaren und andere Nationalitäten. Der Antheil der Magyaren an der Gesammtbevölkerungs- zunahmc ist von 43 auf 451/2 v. H. gestiegen, derjenige der anderen Nationalitäten dagegen um etwas gesunken, so leider der der Deutschen von 12 auf 11 v. H. BemerkenS- werth ist die Verschiebung der Nationalitäten in Pest. Im Jahre 1890 wurden dort gezählt 329 000 Magyaren, 118 000 Deutsche, 27 000 Slowaken, im Jahre 1900 dagegen 559 000 Magyaren, 98 515 Deutsche und 24 091 Slowaken. Aehnlich in Prcßburg. Man sieht, cs war Zeit, daß auch bei den Banater Schwaben etwas von dem deutscherhallenden Geiste wach wurde, den man schon lange an den Sieben bürger Sachsen kennt. Ganz verläßlich sind diese amtlichen Angaben in Bezug auf die Stärkeverhältnisse der Nationa litäten nicht. Es waltet dabei die Tendenz einer für das Maguarenthum möglichst günstigen, für die übrigen, und besonders für die thörichter Weise so verhaßten, Deutschen recht ungünstigen Darstellung. Tas „Deutsche Tageblatt" in Temesvar bezeichnet z. B. die Zählung von 17 871 Ma gyaren, das wäre 35 v. H., für Temesvar als lächerliche Fälschung. Das läßt Schlüsse zu auf die entsprechenden Angaben für so manche andere deutschgemischte Städte und Dörfer. Deutsches Reich. * Leipzig, 31. Juli. Aus Rcichsgerichtskreisen wird der „Natlib. Korr." geschrieben: Nicht wenige von den Mängeln, die in der Presse an der Rechtsprechung des Reichsgerichts hervorgchobcn werden, sind darauf zurück zuführen, daß der Reichstag es abgelehnt har, annehmbare Vorschläge zur Entlastung des obersten Civilgerichtshofes im deutschen Reiche zu machen, geschweige denjenigen Maßnahmen zuzustimmen, welche die Neichsjustiz- vcrwaltung auf Grund genommener Fühlung mit den einzelstaatlichen Justizrcssorts in Vorschlag zu bringen sich für verpflichtet erachtet hatte. Der Reichstag wird früher oder später zu der Einsicht gelangen, daß der von seinen Jnristen eingenommene Standpunkt nicht durchzuhalten ist: die Entlastung des Reichsgerichts muß herbeigeführt werden. S. Berlin, 30. Juli. (Arb eiterw oh lf a h rts- einrichtungen und Landcsversichernngs- anstalte n.) Das Jnvalidenversicherungsgesetz gicbt den Trägern der Invalidenversicherung, den Landesver- si ch e r u n g s a n st a l t e n, die Möglichkeit, weit über den Nahmen ihrer eigentlichen Aufgaben hinaus für die A r b e i t c r w o h l f a h r t thätig zu sein. Welche um fassende Wirksamkeit die LandcsversicherungSanstalt Berlin auf diesem Gebiete entfaltet, darüber berichtet Director Dr. Richard Freund sehr eingehend in der „Socialen Praxis". Hier kann nur kurz der Arbciterheil- stätteu in Beelitz und Lichtenberg, des Jnvalidcnhauses für Tuberculösc in Lichtenberg, der Schaffung eines Ge bäudes für centrale Arbcitsvermittclnng in Berlin gedacht werden. Außer diesen im Eigcnthume der Landes versicherungsanstalt befindlichen Einrichtungen hat letztere eine große Zahl von Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen da durch gefördert, daß sie denselben Hypothekcngeldcr zu einem billigen Zinsfüße, meist 3 Proc.) gewährt. So sind für Errichtung von Arbeiterwohnungen gewährt worden: 1152 000 für Errichtung einer Heilstätte für Nerven kranke: 200 000 für Errichtung einer Trinker-Heilstätte: 70000^.; für Errichtung von Lungenheilstätten: 374 550 für Errichtung eines allgemeinen Krankenhauses: 152 850 Mark; für eine Arbeitercvlonie: 115 000 ^tl; für ein Asyl für Obdachlose: 165 000 für ein Gewerkschaftshaus und zugleich die Errichtung einer Herberge: 650 000 für ein Volkserziehnngountcriiehmen (Pestalozzt-Fröbel-Hausj: 150 000 .L.; für ein Unternehmen zur Förderung höherer Bildung und Eriverbsthütigkeit des weiblichen Geschlechts (Lette-Verein): 400 000 für ein Unternehmen zum Schutze gegen Arbeitslosigkeit für junge Mädchen: 319 000 Mark; mithin insgesammt: 3 740 000 Die Gesammt - summe, welche die Landesvsrsicherungsanstalt Berlin sür Arbeiterwohlfahrtszwecke ausgewendet hat, beträgt ü b e r 13 M i l l i o n e n Mark. Und so, wie die Landes- vcrsicherungsanstalt Berlin, haben viele Versicherungs anstalten in mehr oder minder umfangreichem Maße ihr Vermögen Arbciterwohlfahrtszwecken dienstbar gemacht. Die Arbeiter nehmen das größte Interesse an dieser Be wegung und widmen sich mit großem Eifer, so weit sie hier zu in den Organen der Anstalten berufen sind, der Mit arbeit. Möge die segensreiche Entwickelung, welche dem Wohle der Arbeiter, dem Wohle der Allgemeinheit, dem socialen Frieden in hohem Maße dient, in keiner Weise ge stört werden — das ist vr. Freund's Wunsch. Und wer möchte ihn etwa nicht thetlen? -ft- Berlin, 30. Juli. (Die Thätigkeit der Schulärzte.) Das preußische Kultusministerium hat den an der Schulverwaltung interessirten Kreisen eine» Bericht über die Ergebnisse der Thätigkeit der Berliner Schulärzte zngüngig gemacht. Wenngleich die Insti tution der Schulärzte in Berlin noch nicht völlig ausgebildet ist, so hat sie in ihrer jetzigen Gestalt doch schon Erfolge anfznweisen gehabt, die recht erfreulich sind. Sv ist durch die vor Eintritt in die Schule vorge nommenen Untersuchungen der Kinder auf ihre Schulfähigkeit bezw. durch die Zurückstellung der Unfähige» der Weiterverbreitung von Krankheiten vorgebcugt. Auch sind die Eltern zur Unterstellung der Kinder unter ärztliche Behandlung und damit zur Be freiung der Kinder von ihren Leiden veranlaßt worden. Die ursprünglich gehegten Befürchtungen, daß die Eltern den ärztlichen Untersuchungen Widerstand leisten wür den, haben sich als unzutreffend erwiesen. Die Zurück stellung von Kindern mit ungenügender körperlicher und geistiger Entwickelung erweist sich aber nicht blos für diese, sondern auch für die Schule vortheilhaft, die nun von unreifen Kindern befreit wird, von denen nur ge ringe und schwierig zu erzielende Leistungen erwartet werden können. Ein weiterer Thätigkeitszweig der Schulärzte bildet die Abgabe von mündlichen und schriftlichen Gutachten über den Gesundheitszu stand von Schulkindern. Während es sich bei den von der Schnldcputation erforderten Gutachten hauptsächlich um Feststellung von Geisteskrankheiten, Epilepsie, Idiotie han delte, mußten auf Veranlassung der Rectoren hauptsäch lich Kinder begutachtet werden hinsichtlich der Befreiung vom Turnen, vom Singen, von Handarbeit, sodann wegen Schwerhörigkeit und Kurzsichtigkeit. In vielen Fällen waren die Gesuche um solche Befreiungen ungerechtfertigt, nicht selten mußten dieselben jedoch bei Herzfehlern, bei Bruchschäden, bei Folgezuständen früherer Verletzungen angcrathen werden. Kinder mit Angenkrankheiten oder Feuilleton. ui Zwei Nellen. Roman von Arthur Sewett. Nachdruck verboten. Frau Mollinar hat seit jenem Abend ihr Verhalten gegen ihren Sohn geändert. Oester denn je steht sie in der Fensternische, die Hände gefaltet, vor dem Bilde ihres Gatten und hält mit dem Manne im Talar geheime Zwie sprache. Und ihr ist zu Muthe, als werde dieses Antlitz immer sorgenvoller, als blickten die großen Augen immer strenger auf sie herab, an ihre mütterliche Pflicht sie zu mahnen. Gabriele hat nie ein Wort ihr gegenüber geäußert; sowie aber Frau Mollinar eine Krage an sie gestellt, ist sie ihr ausgewichen. Und doch, in ihrer Herzensangst wendet sich die alte Frau an ihre Freundin. Eines Abends, als sie Beide zusammen an dem großen Eßtisch sitzen, legt sie den Strickstrumpf bei Seite, mit dem sie bis dahin eifrig beschäftigt war. „Ich kann nicht mehr arbeiten, Gabriele, die Hände sind mir oft wie gelähmt. Es flimmert mir vor den Augen, mich quält eine furchtbare Angst." „Welche?" fragt Gabriele. „Daß mein Fritz noch einmal auf den Gedanken kommen könnte, dieser Person näher zu treten, Du ver stehst mich, Gabriele, sie am Ende zu heirathen." „Hetrathen? Er, dieses Mädchen heirathen?" Ein so unbezwingliches Entsetzen blitzt aus den blauen Augen, so bleich ist das ernste Antlitz geworden. Frau Mollinar empfindet diese Empörung, in der sich das rechte Berständniß für ihre Sorge zeigt, mit Genugthuung. „Es wäre furchtbar, nicht wahr, Gabriele? Es wäre nicht ausdenkbar!" Gabriele hat ihre Erregung längst bemeistert. Die hohe Stirn ist ruhiger denn je. Das wird er nie thnn! Eine solche Hoheit liegt in den bestimmten Worten, daß auch Frau Mollinar sich ihr «richt entziehen kann. Und doch war ihr Argwohn vielleicht nicht ganz unberechtigt. Die Besserung in Ellida'S Befinden ist fortgeschritten. Sie hat erst einige Gehversuche im Zimmer gemacht, dann ist sie bereits die Treppe hinunter bis auf die Tagneter- gafse gegangen- einige Tage später ist sie im spärlichen Sonnenschein langsam durch die engen Straßen ihres Stadtviertels sMziert, schließlich ist der Augenblick ge kommen, wo sie ihren Ausgang bis an das Berliner Thor ansdehnen durfte, vor dem der Circus stand. Und als sie das große Brettergebäude zum ersten Male wiedersah, und durch die dünnen Wände das Knallen der Peitsche und das Wiehern der Pferde ihr entgegenklangen, denn es war gerade Probe, da stürzten ihr die Thrüncn der Freude aus den Augen, und ihre Füße zitterten, so daß sie beinahe zusammengesunken wäre. Als sie aber dann, all ihre Kraft cmporraffend, in das Innere des Circus trat, und die Frau Director, die gerade an der Kasse saß, ihr entgegcnkam, da ist sic der korpulenten Frau, die sie sonst ihrer Strenge und Spar samkeit wegen nicht ausstchcn konnte, um den Hals ge fallen und hat an ihrer Brust geschluchzt wie ein Kind, und eins nur wieder und wieder mit erstickter Stimme gestammelt: „Ach, einmal hier noch arbeiten können! Nur ein einziges Mal!" Und die Frau Director, die wegen der schlechten Kassen erfolge schon an sich wehmüthig genug gestimmt mar, zer drückte eine Thräne und fragte, ob der Herr Geheimrath denn noch nichts von einer Aufnahme der Arbeit gesagt hätte. Da schüttelte Miß Ellida langsam das Köpfchen und das bleiche Antlitz sah fo traurig aus. „Er hat sich immer noch nicht geäußert, immer noch nicht, Frau Director." „Wird schon werden, Mädel, wirst schon wieder arbeiten können", fügte die Frau Director mit ihrer mehligen Stimme und führte sie aus dem Vorhof in das Heiligthum selber, wo sie jubelnd von den Artisten begrüßt wurde. Sogar der junge Herr Director, der gerade mit einem neuen Schulpferde probte, ließ dieses die eben gelernte Reverenz vor ihr machen, stieg dann aus dem Sattel und küßte ihr die Stirn, eine Auszeichnung, deren keine zweite Artistin sich rühmen konnte, denn seit er Director gewor den war, hielt er sich sehr zurück gegen die früheren Kollegen, und seine Frau Mutter wußte dafür zu sorgen, daß diese vornehme Reserve besonders den weiblichen Mitgliedern gegenüber beobachtet wurde. - Endlich fiel der Würfel, das große heiß ersehnte Wort ward gesprochen: „Ellida ist gesund. Ellida kann ihrem Beruf erhalten bleiben." Jubelnd und jauchzend, halb lachend und halb weinend hat sie es selber der Frau Direktor Brotti und ihrem Sohn mttgcthcilt. Sie saßen in der für die Artisten reservirtcn Ecke des Circus-Restaurant und tranken zur Feier des Ereignisses Champagner. „Auf Ihr Wohl, Ellida!" rief der Directvr und ließ seine Augen mit Wohlgefallen auf der schönen Mädchen gestalt ruhtüi, „und auf ein baldiges Auftreten." „Nicht zu bald, Herr Direktor, ehe ich nicht ganz sicher wieder arbeite, wird nichts daraus." „Mach Dich nicht zum Narren, Elli", rief die Frau Director dazwischen, „ob Du sicher arbeitest oder nicht, das ist doch für den ersten Abend ganz egal. Schlimmsten falls reitest Du ein Bissel ans dem Panncau. Wenn Du überhaupt nur arbeitest, ist der Circus bis unters Dach voll." Selbst die Strenge, die aus den Worten der Frau Dircctor klang, erschütterte Ellida nicht. „Nein, Frau Director", erwiderte sie sehr ruhig, „ich wiederhole cs: daraus wird nichts. Erst muß ich ganz sicher sein. Und auf dem Panncau, pah, ich reite Parforce, ungesattclt wie immer!" Und durch die dunklen Augen leuchtete die wilde Freude. „Und wie lange wird das noch dauern, Fräulein Elli?" warf der Dircctor ein. „Nicht lange, Herr Dircctor. Was man einmal kann, verlernt man nicht. Nur meine Kräfte muß ich üben. Wenn Sie mir also von Ihrer Probezeit des Vormittags eine Stunde abgeben wollen —" „Natürlich!" antwortete die Frau Director statt seiner, und ärgerlich setzte sic hinzu: „Was das Mädel für einen eisernen Kopf hat. Menu nur ihr Renommee nicht ge schädigt wird. Ob wir bet den leeren Häusern an den Hungcrpfoten saugen oder nicht, das ist ihr gleich —" Und die Frau Director hatte durchaus nicht übertrie ben. Der Circus war schon zu lauge in der Stadt. Selbst die beliebte Waflerpantvmime, die man sogleich nach Elli s Erkrankung anf das Repertoire gesetzt und die der Herr Directvr mit aller Sorgfalt einstudirt hatte, zog nicht mehr. Da war es Zeit, das Zelt abzubrechen und in einer anderen Stadt wieder aufznbanen. Miß Ellida aber kümmerte sich wenig um die Sorgen des Herrn Chefs und seiner Mutter. Mit großer Aus dauer machte sie Vormittags ihre Hebungen, jeden Tag dehnte sie sie etwas länger aus, und erst als sie die alten Kräfte wieder fühlte, erlaubte sie dem beglückten Director, den Tag ihres Wiederauftretens bekannt zu machen und die nöthige Reklame dafür in Scene zu setzen. Kaum war dies geschehen, da waren auch schon die Eintrittskarten für ihren ersten Abend vergeben. DaS traurige Geschick des jungen Mädchens hatte in der ganzen Stadt Thetl- nähme erregt, bei ihrem ersten Wiederauftreten wollte man nicht fehlen. Niemand freute sich aber auf diesen Abend mehr als Ellida selber. Sie war jetzt nicht der gefangene Bogel mehr, der seine Flügel müde hängen ließ, die zwitschernde Lerche war sie, die ihre frohlockende Stimme ertönen lieb und freudetrunken in der Freiheit sich tummelte. Nur wunderbar, manches Mal hielt sie plötzlich inne im fröhlichen Gesang und wurde ernst und nachdenklich. Ja, es geschah, daß ihr Thränen dann in die Augen stürzten, bis sie, ebenso schnell und unvermittelt, meist wieder trällerte und lachte. Stiller aber und rrachdenklicher als sie war seit ihrer völligen Genesung ein Anderer geworden. Niemals hatte Frau Mollinar ihren Sohn so thcil- nahmlos gesehen für Alles, was um ihn vorging, niemals Director Wöhrmann seinen besten Lehrer so gleichgiltig in seiner Pflichterfüllung, so abwesend oft, als in diesen Tagen. Es war am Abend vor Ellida's Auftreten. Nur wenige noch sollten dieser Vorstellung folgen, dann ging der Circus weiter. Heute wollte sie zum letzten Male zu ihrem Lehrer kommen, die Abschiedsstunde sollte es sein. Frau Mollinar und Gabriele waren ausgegangen, Besorgungen zu machen, denn das Weihnachtsfest nahte. Der Doctor hatte einen vergeblichen Versuch gemacht, wenigstens die Mutter zu Hanse zu behalten. Der Gedanke, mit Ellida allein zu sein, war ihm eigenthümlich, fast ängstlich — heute grade. Da draußen lag der dichte Schnee auf Straßen und Häusern. Sein bläulicher Schein erfüllte das Zimmer mit Dämmerlicht. Nachdenklich saß der Doctor an seinem Schreibtisch. Da trat Miß Ellida ein. Tie hatte heute nicht energisch geläutet, wie sonst. Die Thür mußte offen gewesen sein, er hatte von ihrem Ein treten nichts gemerkt. Stumm reichte sie ihm die Hand entgegen, kein herzliches Wort der Begrüßung wie sonst. Wohl wollte sic sprechen, aber die Lippen brachten es nur zu einem Stammeln. Dann legte sie schnell das Jacket ab. In einem neuen, etivas auffallenden, aber nicht geschmack- losen Kleide stand sie vor ihm. „Eine Anzahlung vom Herrn Director, für die guten Einnahmen." Der scherzhafte Ton mißlang ihr, die Stimme wollte nicht gehorchen, und das Lächeln, zu dem sie sich zwang, war schmerzlich. Auch der Doctor blieb still. Aber bei ihm fiel es nicht auf. Es war seine Art so. Er lud sie nur mit einer Hanbbewegung zum Platznehmen etn. Und al»
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