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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020723024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902072302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902072302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-23
- Monat1902-07
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Erörterung Lcr PhilippiueuLill verwendet, welche ein ConferenzauSschuß auS den grundsätzlich sehr weit auseinander gebenden Maßregeln de- Unter» und Oberhauses zusammen geflickt hat. Nachdem der Abgeordnete Cooper eine durchaus ungenügende Erklärung ihrer Hauptbestimmungen gegeben hatte, kamen einige Republikaner und ebensoviel« Demokraten zu Worte, die aber allrsammt zugrstehen mußte», daß sie im Dunkeln tappten. Dann wurde die Abstimmung angeordnet, in der sich alle Demokraten auf die eine und alle Rupublikaner mit einer einzigen AuSnabme auf die andere Seite stellten. Die verantwortliche Mehrheit folgte einfach ihren Führern und beschwichtigte ihre Gewissens bedenken mit dem billigen Tröste, daß daö Schicksal der Philippiner ruhig der Regierung überlassen werden könne. Das neue Gesetz ermächtigt den Präsidenten der Vereinigten Staaten, einen CensuS auf den Philippinen vornehmen zu lasten, ohne jedoch vorzuschreiben, wann daS Werk begonnen werden soll. Ist es beendet, und sind nachher zwei Jahre verflossen, oyne daß eine nach der Ansicht des Präsidenten erhebliche Ruhestörung vorgefallen ist, so soll er in den christlichen Provinzen Wahlen sür ein« gesetzgebende Körperschaft au-fchreiben. Ob sich alle christ lichen Philippiner an diesen Wahlen sollen betheiligen dürfen, oder nur die Gebildeten und Besitzenden, wird nicht gesagt. Indessen sollen die Eingeborenen nur ein Unterhaus wählen, besten Beschlüsse von der auS lauter Amerikanern be stehenden Philippinen - Commission allezeit sollen um- gestoßeu werden können. Dagegen soll daS Unterhaus zwei Vertreter in den amerikanischen Congreß schicken und also seine Wünsche dem amerikanischen Volke selbst be kannt geben dürfen. Die den Mönchsorden gehörenden Ländereien sollen angekauft und zur öffentlichen Domäne geschlagen werden. Diese soll dann an wirkliche Ansiedler unter ähnlichen Bedingungen verkauft werden, wie in den Vereinigten Staaten, jedoch mit der Einschränkung, daß keine Person oder Corporation mehr als 2500 Acres anwerben darf. Den Verkauf aller Wald» und Einzel ländereien soll die Philippinen - Commission überwachen. Ueber die Regelung deS Geldwesens haben sich die Conferenz-AuSschüsse nicht einigen können, weshalb weder die Gold-, noch die Silberwährung rinqeführt wird; .vorläufig* wird der mexikanische Dollar die Grundlage deS MünzwesenS bilden und die amerikanische Regierung wird nur Scheidemünze für den Kleinverkehr prägen lassen. Die wichtigsten Grundrechte, welche die Bundesverfassung den amerikanischen Bürgern gewährleistet, werden auch den Philippinern zugestaodeu, aber auf Schwurgerichte sollen letztere keinen Anspruch haben und ebenso bleibt die Frage offen, ob sie Unterthanen oder Bürger sind. Wenn nun fchon in den Flitterwochen der amerikanischen Coloaialpolitik eine so gelang weilte Gleichgiltigkeit gegen „daS Geschenk des Himmels", wie Präsident MacKinley zu sagen pflegte, zu Tage tritt, kann mau sich leicht vorstellen, was die Colonien in Zukunft vom Congresse zu erhoffen haben werden. Die Begeisterung für den überseeischen Besitz erstreckt sich offenbar nur auf daS Flaggenhissen und die gewaltsame Unterjochung der Ein geborenen. Ist sie vollendet, so bleibt nur noch zu beobachten, daß die Colonien den einheimischen Gewerben keinen schäd lichen Wettbewerb machen und daß die «Nigger* bleiben, wo sie sind. Deutsches Reich. Berlin, 22. Juli. lEin österreichischer G e - hcimberichtübcrdieklerikaleWirthschaft in Bayern.) Die gegenwärtige bayerische „KrisiS" läßt einen österreichischen Geheim bericht über Bayern besonders interessant er scheinen, der, aus dem Jahre 1847 stammend, von dem Ge schichtsforscher August Fournier nach den Acten des ehemaligen österreichischen Staatsministeriums im August hefte der „Deutschen Revue" veröffentlicht wird. Das sattsam bekannte klerikale Ministerium Abel hatte durch seine ultramotanen Tendenzen bereits Ende 1840 das Mißtrauen König Ludwtg's I. erweckt. Auch er blieb der bereits in konservativen Kreisen Bayerns aus gesprochenen Ueberzeugung nicht unzugänglich, daß die Klerikalen die Religion nur als Borwand für rückschritt liche Politik gebrauchten. Im Bewußtsein der Unsicher heit ihrer Stellung benutzten Abel und seine Genossen die erste Gelegenheit, zu gehen, ehe sie dazu anfgcfordcrt wurden. Diese Gelegenheit fand sich, als Ludwig I. die Tänzerin Lola Montez zur Gräfin erheben und ihr des wegen das bayerische Jndeginat verleihen wollte. Das Ministerium verweigerte die dafür erforderliche Contra- signatur und bat um seine Entlassnng. Diese Vorgänge und ihre Folgen waren vor Allem für die Regiernng deS benachbarten Oesterreich von Wichtigkeit. Seit Jahr zehnten verfolgte man in Wien aufmerksam die Regungen des süddeutschen Bolksgeistes; ab und zu sandte die oberste Poltzeihofstelle ihre geheimen Agenten nach Süddeutsch, land, um von der Stimmung und den Verhältnissen genaue Kunde zu erhalten. Im Frühjahre 1847 schien eine derartige Specialmission um so gebotener, als der Posten des österreichischen Gesandten in München un besetzt war. So begab sich denn der vertraule de» Wiener Polizetministeriums Hine iS nach München, und sein Bericht ist es, der jetzt veröffentlicht wird. Am bemerkenS- werthcsren in Bezug auf die gegenwärtige bayerische „Krisis" ist in dem Berichte die Stelle über die klerikale Wirtschaft in Bayern. Sie lautet u. A. folgendermaßen: „Daß das abgetretene Ministerium der katholischen Geistlichkeit zu viel Macht einräumte und Uedergrtsfe erlaubte, wird allgemein behauptet und selbst im niederen gläubigen Volke gefühlt. Go er zählten mir zwei Landgerichtsbeamte übereinstimmend, wovon einer in Oberbayern und der andere in Unter franken angestellt ist, daß die Pfarrer am Lande Con - duitenlisten über den moralischenWandel der Beamten an die Regierung regelmäßig ein- zuschicken pflegen, wobei sie sich den Uebergriff erlaubten, auch dieamtlicheHaltungundda-Benehmen desBeamtenmttzucenstren.unbbabaus diese Conduitenltsten von der Regierung sehr viel gehalten würde. Da die Bestätigung der Patri- monialgerichtsbeamten in Bayern von der Regierung ab hängt und sie in königliche Dienste avanctren, so war der Beamte bisher so ziemlich in derHand der Geistlichkeit, daher aufgebracht und gedrückt, und freut sich auch des gegenwärtigen Umschwunges, von dem er erwartet, daß solche Sachen aufhören würden. In diesen Verhältnissen sei auch die Ursache des übermüthigen Auftretens der Geistlichkeit am Lande zu suchen, wo jederCoadjutor leine niederere Charge al- Caplan) die Anforderung mache, Alles müsse sich vor ihm beugen. Die Geistlichen hätten sich auch Uebergriffe in rein politisch-admini strativen Gegenständen und Amtshand lungen erlaubt, und für die von ihnen begünstigten Parteien in politischen und polizeilichen Entscheidungen Vorstellungen oder Recurse an die Regie rung ergriffen, die oft berücksichtigt, niemals jedoch als ganz ungesetzlich oder unstatthaft der Geistlichkeit verwiesen worden wären. Wegen dieses bisherigen Ein flusses der Geistlichkeit und seiner gegenwärtigen Ge- fährdung durch den Umschwung der Dinge fürchtet die neue Partei sehr die herannahendc Osterzeit, wo daö Landvolk in ganz Bayern beichtet, und man hegt die Besorgniß, diese Gelegenheit werde von der Geistlichkeit sicher dahin benutzt werden, um das Landvolk gegen den König und daS Lola-Nerhältuiß noch mehr aufzuhetzen, um so die neue Partei vom Ruder zu bringen, die dieses Verhältniß deS Königs dulde." — Diese Schilderung spricht für sich selbst! Daß heutzutage ein klerikales Ministerium in Bayern, wenn auch vielleicht nicht in der Form, so doch in der Sache nach der Praxis deS Mini steriums Abel verfahren würbe, darüber ist wohl jeder Zweifel an-geschlossen. Und wenn solcher Zweifel be standen hätte, so wäre er durch da- Verhalten deS bayerischen Centrums angesichts des bevorstehenden Rück trittes des Herrn v. Sandmann beseitigt worden. Berlin, 22. Juli. (Die Reich StagSersatz- wahl in Forchheim-Kulmbach.) Die Ver trauensmänner der freisinnigen Partei im Wahl kreis Forchheim-Kulmbach scheinen eine bessere politische Einsicht zu besitzen, als -er engere LandeSausschuß der Partei: sie haben, wie aus Kulmbach berichtet wird, nach längerer Berathnng sich dahin geeinigt, keinen eigenen Candidaten anfzustellen — vielmehr den Nation al- liberalen Canbidaten Faber zu unterstützen: sie er klärten sich weiterhin mit der vorgelegten Fassung eines Wahlaufrufes eiuverstauden und boten in Hinsicht auf später zu gewährleistende Gegendienste der Liberalen deS Wahlkreises Kulmbach dem liberalen Candidaten. der sich zum Programm der mittleren Linie bekennt, ihre Unter stützung an. — So wäre denn endlich ein liberales Wahl- cartcll in diesem Wahlkreise zu Stande gekommen, von dem wir hoffen, cs möge nun auch wirklich in Kraft treten und Bestand haben und nicht im letzten Augenblick durch selbstherrliche Eigenbrödlcr oder starrsinnige Principien- rciterei in Frage gestellt werden. — Durch das Ausscheiden eines freisinnigen Candidaten ist aber die Zahl der Can didaten gegenüber der Wahl im Jahre 1808 nicht vermin dert worben. Damals standen die Nationalliberalen, die Freisinnigen, die Soctaldcmokraten und bas Centrnm, also vier Candidaten gegeneinander im Felde, von denen im ersten Wahlgang der Nationalliberale 6045, der Cen trumsmann 5218, der Freisinnige 8228 und der Social demokrat 1408 Stimmen erhielt. ES wurden im ersten Wahlgang 15 084 Stimmen abgegeben, in der Stichwahl trotz Heranziehung der Reserven nur 768 Stimmen mehr, d. h. 10 752. Mit nur 228 Stimmen Majorität siegte daS Ccntrum über die Nationalliberalen, mit 8400 gegen 8262. In dieser Stichwahl stimmten, wie aus den mitgetheilten Zahlen ersichtlich ist, die meisten Freisinnigen für daö Cen trum, was in der bevorstehenden Ersatzwahl nnnmehr nach dem Beschluß der freisinnigen Vertrauensmänner völlig ausgeschlossen erscheinen — müßte. Aber die Stimmen zersplitterung wird doch eine derartige sein, daß voraus sichtlich der erste Wahlgang auch diesmal keine Ent- scheidnng bringen kann, sondern es wiederum zu einer Stichwahl kommen muß. Denn neben dem natiouallibe- ralen Candidaten Faber, auf den sich auch die frei sinnigen Stimme» tn ihrer Mehrheit vereinigen wollen, stellt daS Centrum als seinen Candidaten den Bürger- meister Strecker-Forchheim, die Socta ldemo- kratie den Genossen D e i n h a r t - Erlangen, der Bund der Landwtrthe den Gutspächter Äeiln - b ö ck - Hunnendorf und der Bauernbund den Oeko- nomen W ö l f e l - Berndorf auf; also nicht weniger als fünf Candidaten ringen diesmal um das Mandat. * Berlin, 22. Juli. (M e i n e 1 d » st a t t st t k.) S» ist eine weitverbreitete Ansicht, daß in unserer Zett die Zahl der Meineide tn geradezu erschreckender Weise zu nehme. Man kann gegenüber derartigen Aeußerungcn in dessen nicht scharf genug betonen, daß es bisher an jedem irgendwie durchschlagenden Beweise sür diese Behaup tungen völlig fehlt. Man bernft sich meist auf allgemeine Gefühle und Empfindungen von Gerichtspersonen, die den Eindruck gewonnen haben, daß es mit der Heilighaltung des Eides nicht mehr so genau genommen werde, wie früher. Aber solche allgemeine Gefühle sind in der Regel doch nur ein ganz unsicherer Maßstab, und nicht geeignet, zur Grundlage bestimmter Vergleiche zu dienen. Gewiß stehen sich heute vielfach entgegengesetzte Behauptungen, die unter dem Eide abgegeben worden sind, gegenüber. Aber einmal kann man in vielen Fällen gar nicht sagen, ob wirklich aus der einen Sette eine bewußte Unwahrheit behauptet worben ist, ob nicht vielmehr ein Mißverständ- niß, eine ungenaue Auffassung oder eine falsche Erinne rung vorliegt. Vor Allem kann jedoch Niemand be haupten, daß sich früher eidliche Aussagen in geringerem Maße gcgenübergestanden haben. Daß die Zahl der Mein eide an sich tn absoluter Beziehung seit 50 Jahren erheblich zugenommen haben wird, ist freilich daraus ohne Weiteres zu folgern, daß die Zahl der Processe aller Art sich er heblich gesteigert hat, und daß auch Beeidigungen heute in weiterem Umfange vvrgenommcn werden, als früher. Daß aber unter den Eiden sich heute ein größerer Pro centsatz von Meineiden befindet, dafür fehlt es bisher an jedem Beweise. Hierauf kann es indes; allein an kommen. Ist somit eine Hänfung der Meineide in keiner Beziehung erwiesen, so ergiebt sich auf der anderen Seite aus unserer Neichscriminalstatistik für die Zett vom 1. Januar 1882 bis 1001 gerade im Gcgentheil ein bestän diges Sinken der Zahl der Verurtheilnngen wegen Ver letzung der Eidcspflicht. Diese Erscheinung ist um so auf- fallender, als in dieser Zeit die allgemeine Zahl der Ver- urtheilten sehr erheblich zugenommen hat, und als auf der anderen Seite dieZahl derVerurtheilungen wegenVerletzung der Eidespflicht nicht nur relativ, sondern auch absolut stark znrückgcgangen ist. Es sind nämlich im Reiche wegen dieser Delikte verurtheilt worden 1882: 1607 loder 5,1 auf 100 000 Personen der strafmündigen Civilbevölkerungl, 1889: 1511 <4,5), 1895: 1747 <4,8), 1896: 1528 (4,1), 1807: 1450 (4), 1898: 1478 <4), 1899: 1316 (3) und 1000: 1108 IN Personen. Tas bedeutet doch gewiß einen starken und an dauernden Rückgang in der Zahl der Meineidöbcstra- fungen. Nun weist man gegenüber dieser Statistik regel mäßig darauf hin, daß der Meineid ein Delikt sei, welches nur selten nachgewiesen werden könne und zu ciucr Ver- urtheilung führe. Diese Thatsache an sich ist richtig. Denn wenn man einem Angeklagten Nachweisen will, daß er einen Meineid geleistet habe, so gilt es nicht nur, zu be weisen, daß Dasjenige, was er gesagt hat, objektiv un richtig ist, sondern cs muß ihm auch der Nachweis geführt werden, daß er sich dieser Unrichtigkeit bei Abgabe seiner Erklärung bewußt gewesen ist. Solche innere Vorgänge sind aber natürlich nur in vcrhältnißmäßig wenigen Fällen zu beweisen, und daher kommt es denn, daß auf diesem Ge- biete eine sehr große Zahl von Freisprechungen zu er folgen pflegt. So sind 1900 von 2220 wegen Verletzung der Eidespflicht angcklagten Personen nicht weniger als 1022 freigcsprochen und nur 1108 verurtheilt worden. Zu diesem auffallend hohen Procentsatze von Freisprechungen trägt allerdings auch die Thatsache bei, daß die Verhandlung über Meineidsanklagen dem Schwurgerichte zustcht, und dieses gerade in solchen Processen leicht zu Freisprechungen kommt. Man mag daher von vorhcrein zugebcu, daß die 1607 Personen, welche im Jahre 1882 wegen Verletzung der Eidcspflicht verurtheilt wurden, nur einen kleinen Bruch- thcil der wirklich geleisteten Meineide darstcllcn, und daß das Gleiche fiir die anderen Jahre gilt. Wenn aber diese Ziffern beständig abnchmen, wenn 1000 trotz der bedeuten den Zunahme der Bevölkerung nur noch 1198 Verurtei lungen wegen Meineids erfolgt sind, so spricht dieses Ver hältnis; der Ziffern untereinander doch sicherlich nicht für eine Zunahme, sondern, im Gcgentheil, für eine Abnahme der Meineide. Gegenüber diesen Zahlen werden die Klagen über den Rückgang der Wahrheitsliebe deS deut schen Volkes verstummen müssen. (Köln. Ztg.) — Von der Norvlandreise des Kaisers wird gemeldet: Drontheim, 22. Juli. (Telegramm.) Kaiser Wilhelm ging heute Vormittag um 9 Ilhr au Land, fuhr mit seiner Be gleitung zum Dome und besichtigte ihn unter Führung deS ConsnlS Jensen. Nach einstündigem Aufenthalte im Dome begab sich der Kaiser und sein Gefolge zum Frühstück in die Billa deS ConsulS und kehrte um 1'/, Uhr auf die „Hohenzollern" zurück. Abends um 7 Uhr giebt der Kaiser im FjeldsLter Sanatorium »in Mahl. — Für den WiedcrherstellungSsoadS der Domkirche hat der Kaiser auch i» diesem Jahre 1000 Kronen gespendet. — Herrn v. Waugenheim'« RücktrittSabsichten werden heute von der „Deutschen TageSztg." bestätigt. DaS BundeSorgan schreibt: Die Presse beschäftigt sich jetzt viel mit der Frage, ob Freiherr v. Waogeuheim auS der parlamentarischen Dhütigkeit außscheiden werde. Bald da- eine, bald da- ander« Blatt interpellirt ihn darüber. Um diesen vielen Fragen «io Ende zu machen, theilen wir hier init, daß die Absicht unseres BundeSvorsitzeoden, seine parlamentarische Thätigkeit nielerzulrgen, schon längst kein Ge heim n iß gewesen ist. Warum mag aber die „Dtsch. TgSztg." so böse sein? Auch nach dieser Darstellung bleibt eS noch unklar, ob der Verzicht auf die parlamentarische Laufbahn auch de« Rück tritt von der Bundesleitung bedeutet. — Freiherrn v. Hertling'S Mission in Rom zur Er richtung einer katholischen Facultät in Straßburg ist nunmehr zum vierten Male gescheitert. Hoffentlich ist diese langweilige Sache nun endlich abgethan. — Heute veröffentlicht der „ReichSanz." daS Gesetz, be treffend die Abänderung de- Branntweinsteuergrsetzes. — Vor einigen Tagen wiesen wir auf einen Artikel des „Weblauer Kreisbl." hin, in dem entschieden Front gegen das Agrarierthum gemacht wurde. Der Aufsatz ist jedoch nicht das geistige Eigentbum des oflpreußischen Blattes, sondern der „Elbinger Ztg", die ihn, wie sie mittheilt, bereits vor mehr als vier Wochen gebracht hat. DaS ändert natürlich nichts an der Bedeutung, die der Aufnahme deS Artikel« in dem amtlichen Blatte beigelegt wurde. — Die stetigen Fortschritte der Navigationswissensckaft einerseits und die gewaltigen Aenderungen in den Verhältnissen der Seeschifffahrt ;n den letzten Jahrzehnten andererseits lassen den Mangel an Einklang zwischen den Bedürfnissen deS modernen Seeverkehrs und den im Wesentlichen seit dem Ende der sechziger Jahre unveränderten Prüfungsanforderungen für Steuerleute und Capitäne mit jedem Jahre schärfer bcrvortreten. Der Drang nach Reformen auf diesem Ge biete hat sich schon vor längerer Zeit bemerkbar gemacht. So bat im Jabre 1899 zur Besprechung der Reorganisation der PrüfungSvorschriftrn eine Con- ferenz im Reichsamt des Innern zwischen Vertretern der deutschen Seestaaten, Angebörigen der Kriegsmarine und Mitgliedern deS ReichSamtS deS Innern statt gefunden. Auf dem damals gewonnenen Boden ist in der Zwischenzeit svrtgearbeitet. Man wird Wohl in der An nahme nicht fehlgehen, daß diese Arbeiten bald einen Abschluß finden werden, da abgesehen von Einzelheiten in der Haupt sache zwischen den zuständigen Faktoren über die Reorgani sation Uebereinstimmung erzielt ist. — ES ist schon wiederholt gesagt worden, daß diejenigen Bestrebungen keine Aussicht auf Erfolg haben werden, welche sich auf Errichtung eines besonderen preußischen Wasserbau-Ministeriums richteten. Darüber aber, ob eS sich nicht empfiehlt, in der jetzigen Bertheilung der Wasserbau-Sachen die eine uud andere Veränderung ein treten zu lassen, sind, wie wir hören, die Acten noch nicht geschlossen. ES kommt außer dem Ministerium der öffent lichen Arbeiten und dem für Landwirthschaft auch daS für Handel und Gewerbe in Betracht. Durch eine solche Aenderung verspricht man sich in den betheiligten Kreisen zu erreichen, daß sich manche Auseinandersetzungen mit dem Finanzministerium leichter bewerkstelligen lassen, als jetzt der Fall ist. — In Berlin haben die Bretschneider uud Hilfs arbeiter, der „Deutschen Warte" zufolge, in einer Ver sammlung beschlossen, den Arbeitgebern folgende Forderungen zu unterbreiten: Einen specialisirteu Accordtarif, Stunden lohn für die Bretschneider 65 ^s, für Brettrager 50 ^s, Neunstundentag, Zuschlag für Ueberstunven und Sonntags- arbeit von 10 und 15 ^s, Accordlohn für Ausladen einer Fuhre Bieter 2 Balken 3 .4; der Polier erhält von dem Arbeitgeber 5 für 1 sür die Vorhaltung der Werkzeuge; Feierabend um 3 Uhr vor den hohen Festen, Freigabe des 1. Mai. — Auch die bei der städtischen Beleuchtung angestellteu Monteure und Helfer sind, wie die „Voss. Ztg." meldet, in eine Lohn bewegung eiugetreten. In einer Versammlung beauftragten sie den VerbandS-Sekretär der städtischen Arbeiter, eine Ein gabe auszuarbeiten, in der sie u. A. verlangen: Wieder einführung einer Vergütung von zwei Stunden täglich sür den Kastentransport, Miudeststundenlohn 40 — Etwa 2000 Töpfer faßten nach demselben Blatte m einer Ver sammlung folgenden Beschluß: „Für die Zukunft werden all« Arbeitgeber in Verruf erklärt, die den paritätischen Arbeits nachweis umgehen; Verstöße der Arbeiter werden Tarif verletzungen gleichgestellt und als Streikbruch betrachtet." — Wie die „Germania" erfährt, beabsichtigt der Cen- trumS-Abgeordnete Langer, zur Zeit Pfarradmiuistrator in Wartha, in einen Orden einzutreten, womit die ange- Sessel Platz genommen, die dem Schreibtisch gegenüber am Sophatisch standen. Sie hatte eine neue Haube aufgesetzt, aber das gute Gesicht darunter hatte heute einen feierlichen und mißver gnügten Zug. „Es ist vier Uhr vorüber", sagte der Doctor. „Sie läßt dich warten", entgegnete Frau Mollinar. Und der Doctor setzte seine Arbeit fort, und Fran Mollinar las in dem dicken Buche, das vor ihr aufge schlagen war. Da, ein lautes, energisches Läuten, ein schneller, elastischer Schritt über den Corridor, und Miß Elltda trat in das Zimmer. Sofort füllte dieses sich mit dem Dufte von Heliotrop. Guten Tag, Herr Mollinar. Ihr Antlitz war von schneller Bewegung geröthet. Die kleine Hand streckte sich dem Doctor zum Gruß ent gegen. Ueber ihren Worten, ihren Bewegungen lag eine Unbesorgtheit, eine Ursprünglichkeit, wie sie der Doctor noch nicht bei einer seiner Schülerinnen gesehen hatte. Ah, Madame! Guten Tag! Jetzt erst schien sie der alten Dame gewahr zu werden, und dieses Mal war ihr Gruß steif und förmlich. Der Doctor merkte es. Die Verlegenheit, gegen die er bereits von dem Augenblicke ihres Eintritts an mit aller An strengung gearbeitet hatte, wurde größer. Um so strenger aber schauten die Augen unter den dicken Brillengläsern ans das hübsche Mädchen. „Ich bitte Platz zu nehmen, Fräulein Elli." Und als die Kunstreiterin sich ungenirt auf den weichen Sessel der erschreckten Frau Mollinar gerade gegenüber setzen wollte, machte er eine gebietende Handbewegung auf den Stuhl an seinem Schreibtisch zu, und mit kurzen, fast bar schen Worten fuhr er fort: „Dort, wenn ich bitten darf." „Gut, auch dort, ganz wieSie befehlen, Herr Mollinar!" Die einfachen Worte waren in recht schnippischem Ton gesprochen. Dem Doctor paßte ek wenig. Auch daS er schien ihm ungehörig, daß Miß Elltda ihr dunkles Jockei zwar gleich beim Eintritt abgelegt und nachlässig auf daS Sopha geworfen hatte, den Hut mit der auffallenden rothen Feder aber aufbchielt und selbst jetzt, während de» Unter richtes, nicht die geringsten Anstalten machte, ihn abzu nehmen. Er beschloß, ihr La» in einer der nächsten Stunden zu sagen. Ueberhaupt mußte er dem verzogenen Mädchen zeigen, wer der Herr sei! Für heute nur wollte er sich darüber Hinwegfetzen. Er hatte seine vorbereitenden Fragen abgeschlossen. DaS Grgebniß war nicht gerade ein glänzendes gewesen. Aber Niemanden berührte das weniger, als Ellida selber. Wenn sie die confnsestcn Antworten gab, und ihr Lehrer den strengsten Blick auf sie richtete, znckte sic sehr gleichmäßig die rnnden, schöngeformten Schultern und machte ein geringschätziges Gesicht. Jetzt setzte sich der Doctor tn Positur, »m seinen Vor. trag zu beginnen, den er sich bereits vor der Stunde zurecht gelegt hatte. In demselben Augenblick aber schob sie ihren Stuhl mit einem Ruck vorwärts, dicht an den seinen heran. Ihre ganze Gestalt, welche bis dahin die Kante des Schreibtisches verdeckt hatte, war jetzt für ihn sichtbar. Die Knie hatte sie übereinander geschlagen. Aus dem koketten Spitzenbesatz des untern Rockes lugte ein kleines Füßchen hervor, daö in einem zierlichen fast hellbraunen Lederschnh steckte und jetzt schwingend sich hin und her bewegte, während der andere Fuß leise den Boden klopfte. Der Doctor hatte seinen Vortrag so ruhig begonnen, aber jetzt verlor er seine Sicherheit. Sie hatte eine so cigenthümliche Art, ihn mit den großen Augen anzuschen! Halb aufmerksam und halb schelmisch war ihr Blick. Ab und zu glitt er auch auf -en Erdboden und liebäugelte mit den Füßchen in den Lederschuhen, die ihr Spiel immer ungenirter, aber auch immer anmnthiger trieben, als übten sie einen neuen Tanz auf dem Pferde. Mit unermüdlicher Geschäftigkeit redete er weiter, den Blick unablässig auf die Platte seines Schreibtisches mit dem grünen, schon etwas schadhaften Tuchüberzug ge richtet, als lese er dort alles ab, was er sagte. Der Blick seiner Schülerin war ihm erst lästig ge wesen, setzt begann er ihn zu ängstigen. Ach, er merkte gar nicht, daß Ellida ihn schon lange nicht mehr ansah. Sie hatte die Angcn zwar weit geöffnet, aber ihr Blick war so eigcnthümltch in das Weite gerichtet, so leer, so glanz los. Um die leicht aufgeworfenen Lippen zuckte eS einige Mal so gewaltsam, so müde dabei. Auch die Füße hatten ihre Arbeit längst eingestellt, schließlich bekam der Stuhl wieder einen Ruck, aber diesmal nach rückwärts, nach der Wand zu, daö Köpfchen mit der rothen Hutfeber senkte sich auf die Stuhllehne herab, tiefer und tiefer, und der Doctor sah auf. Da» überstieg tn der That alle Begriffe! Wahrhaftig, sie hatte die Augen geschlossen. „Sie scheinen sehr müde, Fräulein Ellida!" brauste er empor. Sie fuhr erschreckt tn die Höhe. „Ach ja, müde, todtmüde! Wir haben heute so lange proben müssen, und das Alles, was Sie da sagen, das ist so furchtbar - " Sie wollte langweilig sagen, sic besann sich aber, machte eine sehr verlegene Panse und sagte dann: „So furchtbar schwer." Ihm entging diese Verbesserung nicht. Das Blut stieg ihm in die Wangen. Und schon merkte er, wie der Sessel, in dem seine Mutter bis jetzt eiucr Statue gleich ge sessen, seine beredte Sprache erhob, indem er mehrere Male sich unruhig hin und her bewegte. Und dann sah er die lieben treuen Augen vom Buche langsam sich emporhcben, aber nicht auf das ungezogene Mädchen, auf ihn richtete sie den fragenden Blick, als erwarte sie von ihm eine strenge Zurückweisung dieser pietätlosen Worte. Und er? Er fühlte sich verletzt wie sic, vielleicht noch tiefer, er Hütte so gern gesprochen. Er suchte nach dem passenden Wort, er fand eS nicht, und schwieg. Die Kunst reiterin hatte sich erhoben. Sie zog das Jackct an, reichte dem Doctor, als wäre nicht das Geringste geschehen, die Hand, grüßte die alte Dame und verließ das Zimmer. Frau Mollinar und ihr Sohn waren allein. Der Doctor erwartete, daß seine Mutter jetzt ihrer Erbitterung Aus druck geben würde. Sie aber legte das Buch, in dem sie bisher gelesen, schweigend beiseite und ging tn das Neben zimmer. An der Thür aber wandte sie sich noch einmal um. „Fritz", sagte sie, und ihre Stimme klang nicht wie sonst, „mach doch das Fenster ein wenig auf, daß andere Luft beretnweht, ich kann den Duft, -en Deine Schülerin ins Hau» gebracht hat, nicht vertragen." Er that, wie sie ihn gebeten. Lange Zeit stand er an dem geöffneten Fenster und schaute in das fallende Laub de» Gartens, sah dem Spiele zu, das der wachsende Herbst, wind mit den schwachen Blättern trieb, wie er sie von den kraftlosen Zweigen herunterschwang und dann durch die Luft jagte und die ohnmächtige Beute hin und her wirbelte. Dann wieder raschelte und brauste er durch die Kastanien, die unmittelbar vor dem Hause standen; hier und da er faßte er eine reife Frucht. Der Doctor hörte dann, wie sie auf dem Erdboden aufschlug und zerplatzte. E» war ein schwerer Kamps den er tn diesem Augen blick kämvkte — aber ein kurzer. Und die Stunden nahmen ihren regelmäßigen Fort gang. Miß Ellida erschien mit jedem Male einige Minuten später, sie behielt ihren Hut nach wie vor auf, nannte ihren Lehrer — und das gerade war es, was die alte Dame mehr empörte, als alles Andere — geflissentlich niemals „Herr Doctor", wie es sich doch schickte, sondern stets nur gan- vertraulich „Herr Mollinar", und zeigte bet seinem Vor trage ein sehr verschiedenes Verhalten, richtete die dunklen Augen mit Aufmerksamkeit auf seine Lippen, wenn er etwas durchnahm, daö sie interessirte — und das geschah jetzt schon öfter —, gähnte aber ebenso ungenirt, wenn der von ihm gewählte Gegenstand nicht Gnade bei ihr fand, und bas geschah noch öfter. Der Doctor aber ertappte sich zuweilen auf einer nicht abzulcugncndcn Freude, wenn er fühlte, -aß seine Schü lerin ihm wenigstens in einigen Dingen, die er mit ihr durchnahm, ein gewisses Entgegenkommen zeigte. Dazu aber kam etwas Anderes. Die natürliche Art dieses Mädchens, die freie Unbefangenheit ihres Auftretens, die von der aller seiner anderen Schülerinnen so ganz ver- schieden war, sing an, ihm auch da zu gefallen, wo sie die Grenze der Artigkeit und des Rcspects gegen ihn kaum noch tnnchielt. Nach solcher Ursprünglichkeit hatte er sich bis jetzt ge sehnt. Hier fand er sie zum ersten Male, fand sie zwar tn etwas rauher Schale, aber doch in einer Frische, die etwas Entzückendes für ihn hatte. Den Vorsatz, den er damals gefaßt, der nächsten Ungehörigkeit mit -er nöthigcn Strenge entgcgenzutreten, hatte er noch nicht auSgeführt, und manche beredte Sprache des Sessels am Sopha, manch' sprechender Mutterbltck war wirkungslos geblieben. Der Augenblick für den Doctor war noch nicht gekommen. Daß er aber kommen mußte, das wußte er. „Ich habe heute einen Brief von Gabriele erhalten", sagte Frau Mollinar, als Fritz an einem stürmischen Herbst, mittag aus der Schule kam. Sie ist jetzt zu Besuch in unserem alten Wurow. Du weißt ja, ein Onkel von ihr hat es übernommen. Sie wollte auch noch unseres BaterS Grab besuchen. Hente Nachmittag will sie hier sein." „Und wir- sie bet uns wohnend „Ja, Fritz." „Auf lange Zeit?" „So lange der Cursus für die Oberlehrcrinncn dauert. Sie zahlt natürlich Pension. ES ist Dir doch recht?" „Ja, Mutter." Er hatte es langsam und zögernd ge- sagt; es schien ihm wenig angenehm zu sein. (Fortsetzung folgt.)
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