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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020719026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902071902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902071902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-19
- Monat1902-07
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Da aber solche staatlichen Gelder weder zur Verfügung stehen, noch auch in Zukunft bcreitgcstellt werden dürften, bleibt es Lache der privaten Wohlthätig- keit, helfend einzngreifcu. Wie bekannt, will der deutsche B o e r e u h i l f s b u n d von der Viertel million Mark, über die er noch verfügt, bis zu 60 000 Mark für den Rücktransport und die Versorgung der gefangenen mittellosen deutschen Boerenkämpfcr verwenden. Leider ist dieser Betrag nicht groß genug, nm die deutschen Bocren- kümpfer in dem gebotenen Umfange und Grade zu unter stütze«. Es ist darum auf das Dringensle zu wünschen, daß der deutsche Bvcrcnhilssbund eine größere Lumme für die deutschen Boercukämpfer bercitstcllt. Ist doch der Bveren- hilfsbund wohl die einzige Instanz, von der die deutschen Boerenkämpfcr eine Unterstützung erwarten können, da sic von England sicherlich nichts zu hoffen haben. Den Boeren selbst gegenüber würde der deutsche Boereuhilfs- bund eine größere Unterstützung der deutschen Boeren- kämpfer ohne jeden Zweifel zu verantworten vermögen. Tenn abgesehen davon, daß England 60 Millionen Mark für seine neuen Unterthanen ansgeworfen hat, sind die Leistungen des dentschcn Boercnhilfsbnndcs für die Boeren schon bisher sehr ansehnlich ge wesen. Früher schon hat der Bvcrcnhilfsbund 155 000 Mark in Baar für die Verbesserung der Verhältnisse in den Concentrationslagcrn und 160 000 Mark in Gestalt von Kleidungsstücken n. s. m. gespendet. Jetzt sollen von der noch disponiblen Vicrtclmillivn Mark zur Unterstützung der invaliden, kranken und hilfsbedürftigen Boeren und ihrer Familien 80 000 Mark und weitere 80 000 Mark für ihre Wittwen und Waisen gespendet werden. Angesichts so beträchtlicher Lummen ist es nur billig, wenn man für die deutschen Boerenkämpfcr ihrer größeren Nvthlagc wegen eine weitcrgehcndc Berücksichtigung wünscht. Was dasBcdcnkcn anlangt, daß die bctreffcndenGcldcr in erster Linie für die Boeren gesammelt seien, mithin ans den Reihen der Geber Widerspruch gegen die nachhaltigere Unterstützung der deutschen Boerenkämpfcr erhoben wer den könnte, so genügte doch wohl eine entsprechende öffentliche Erklärung des deutschen BoercnhilfsbundcS, nm die Geber zufrieden zu stellen. Lichcrlich wird nicht ein Einziger der Letzteren Angesichts einer solchen Er klärung den von ihm gespendeten Betrag deswegen zurück verlangen, weil die eigenen Landsleute etwas reichlicher mit den Spenden bedacht werden sollen. Je zweifelloser die allgemeine Zustimmung zu einer nachhaltigen Unter stützung der deutschen Boerenkämpfcr erscheint, um so dringender darf der Wunsch nach einem entsprechenden Verfahren des deutschen Boerenhilfsbnndcs geäußert werden. Das Centrum hatte, bevor es den Antrag auf Zu lassung der Männerklöster in den badischen Landtag ein brachte, Versammlungen auf Versammlungen im Groß- hcrzogthuin Baden veranstaltet, um auf die Negierung einen gewissen Druck auszuüben, was ihr anscheinend auch durchaus gelungen ist. Jetzt, wo von nativnallibe- raler Seite die Gegenbewegung sich bemerkbar macht, schreit die ultramvntanc Presse, nicht blos die des Grvß- herzogthnms Baden, sondern im ganzen deutschen Reich, über Verhetzung gegen den Kathvlicismirs! Also nur das Eentrum darf für seine Interessen agitireu, die anderen Parteien, insonderheit die Rativnalliberalen, für die ihrigen nicht.: sonst ist das „Verhetzung"! Und das Ecn- trum handelt auch nach diesem Grundsatz: in der großen Protestkundgebung zu Karlsruhe versuchten etwa vier hundert Mann durch Johlen und Kralehlen die Ver sammlung zu stören und zu sprengen, was indeß nicht gelang. Aber in der Ccntrnmsprcsse werden diese Radau brüder als „mannesmnthigc Helden" gefeiert, die „ihrer religiösen Ueberzcugnng am rechten Orte den rechten Ausdruck gaben"! Die „Germania" weiß sich nicht anders zu Helsen, als die Veranstalter dieser Versammlung per sönlich anzugreifen. Außerdem findet sic es „vikant", daß Abgeordneter Basserinan» sich auf der Radolfzellcr gar nicht über die Klvstcrfragc geäußert habe. Der Grund hierfür ist sehr einfach, nnd die „Germania" kennt ihn auch ganz genau: Abgeordneter Bassermann sprach sich hauptsächlich über die politische Lage im Reich ans, seinem Frennd, dem Landtagsabgcvrdueten Binz, es überlassend, specicll die badischen Verhältnisse zu er örtern,' Abgeordneter Binz war es denn auch, der unter cinmüthigsrem Beifall energischen Protest gegen die Zu lassung von Männerklöstern cinlcgte. Und der größte Theil dieser Radolfzellcr Versammlung bestand auS katholischen Männern! Die bislang zweideutige Hal tung der Regierung gegenüber dem Centrnmsanstnrm klärt sich immer mehr: cs kann kein Zweifel darüber ob walten, daß sie sich geneigt zeigt, in die Zulassung der Männerklöstcr zu willigen. Es geht dies ans einer an scheinend vfficiöscn Darlegung in einem elsässischen Blatt, in einer Zuschrift aus Karlsruhe hervor, welche den Ge sinnungswechsel der Regierung begründen und ent schuldigen soll. DaS Merkwürdigste an dieser ofsieiösen Auslassung ist, daß in erster Linie den Nativnal- liberalen die Lchuld beigcmcsscn wird, wenn die Ne gierung sich jetzt gezwungen sähe, dem Ecnlrnm nach- zugebcn: die Nationallibcralen hätten durch ihre Uu- thütigkeit und ihren Mangcl an Initiative das Eentrum in Baden groß werden lassen. Dann heißt es weiter: „Das Eentrum hat ferner durch eine intensive Agitation das katholische Volk ankgcregt nnd für die Klöster günstig zu stimmen verstanden, so daß jetzt auch solche Katholiken die Zulassung von Klöstern verlangen, die ihr früher gleichgiltig, ja sogar ablehnend gegenübcrstandcn. Dieser an Lebhaftigkeit stets zunehmenden Agitation steht die Negierung ohne besondere Unterstützung gegenüber. Außer den Nationalliberalen haben bis jetzt alle anderen Factoren versagt. Die berufene Ver tretung der Evangelischen, der evangelische Obertirchenrath, hat bis jetzt zu der Frage überhaupt noch keine Stellung genommen, und man wird cs dem Eentrum nicht verübeln können, wenn es eine solche Zurückhaltung zu seilten Gunsten auslcgt. Auch die Thatsache, das; Geistliche und Laien im evangelischen Lager in der Zulassung von Klöstern einen unmittelbaren Ansturm ans I den evangelischen Glauben nnd eine weitere Gefährdung des I confcssioncllcn Friedens erblicken, wird durch die offene Partei- > nähme des einzigen konservativen Abgeordneten, des Herrn von Stockhorner, für die Klöster wesentlich abgeschwächt, wenngleich auch ebenso bekannt ist, daß Herr v. Stockhorner im konser vativen Lager mit seiner Ansicht fast ganz allein steht. Unter solchen Verhältnissen wird man die Haltung der Regierung doch wohl begreiflich finden." Diese Darlegung enthält recht bittere, aber be- herzigenswerthe Lehren,' sie zeigt, daß die Re gierungen — nicht blvs die badische Negierung allein — einer intensiven Agitation gegenüber, wie sie das Centrum entwickelt, nur allzu empfindlich sind, uud daß schließlich die größten Schreier doch den tiefsten Eindruck machen. Das sprach auch vor nicht allzu langer Zeit indirect ein preußischer Minister zur Auf munterung des Bundes der Landwirthe aus. So weit in dem erhobenen Vorwurfe der Uuthätigkeit und des Mangels an Initiative ein berechtigter Kern liegen sollte, wird die Bewegung in Baden, vor deren Anfängen wir erst stehen, für die übrige gcsammtc nationalliberale Partei eine heilsame Warnung sein, die Dinge gehen zu lassen, wie sie wollen; sonst macht mau sic am letzten Ende, wie dies jetzt in Baden geschieht, für die Schwäche der Regierung verantwortlich. Die internationale Cvnferenz zur Unte r- d r n ck ung des ?N ä d ch c n h a n d e l s , die am 25. Juli unter dem Vorsitze des französischen Ministers des Aus wärtigen Deleassä in Paris eröffnet wurde und der von deutscher Leite der Geheime Iustizrath Wiebe, Geheimer Rcgierungsrath v. Dallwitz uud Herr von Lchloezer, der erste Sekretär der deutschen Botschaft angehören, wird sich mit einem Programm zu beschäftigen haben, das im Wesentlichen folgende Gegenstände umfaßt. Die „Straf abmessungen", die den ersten Theil des Programms bilden und in die Strafgesetzbücher derjenigen Länder, denen es aus diesem Gebiete au ausreichenden Bestimmungen fehlt, Eingang finden sollen, betreffen die Delicte der VerfuhrinTg nnd gewaltsamen Verführung von Minderjährigen, Zu lassung und gewaltsames Festhalten derselben in öffent lichen Häusern; eine Verschärfung der Strafe wird vor gesehen für den Fall, in denen Vorspiegelungen, Auto ritätsmißbrauch und sonstige Mittel auf die Minderjährigen irgend welche» Zwang ansgeübt haben. Der zweite Ab schnitt des ersten Theiles beschäftigt sich mit der Ltraf- abmessnng für die gleichen, aber gegen Volljährige be gangenen Delicte. Wichtiger und wirksamer erscheint die zweite Gruppe der Berathnngsgegenständc, durch welche ein „internationales Uebcreinkvmmen" über folgende Puiictc angcstrcbt wird: Zuständigkeit der proeessualen Verfolgung derartiger Delicte, Auslieferung der Ver brecher und ihrer Mitschuldigen, Erlaß und Ausführung von Verhaftsbcfehlen, polizeiliche Uebcrwachung ver dächtiger Personen, Ermittelung ihres Heimathvrtes und Landesverweisung, Fürsorge für Minderjährige, die im Auslände allein stehen, endlich Verpflichtung der diplo matischen und konsularischen Vertreter der Negierungen im Auslände zur Mitwirkung bei der strafrechtlichen Ver folgung der Tchnldigcn und ihrer Mithelfer. Diesen Ge danken gab auch der Sprecher der auswärtigen Delegirten bei dem gestrigen Empfange der Cousercuztheilnehmer durch Präsident Lonbet Ausdruck, der seinerseits sich bereit erklärte, die Vorschläge der Confcrenz nach Kräften zu fördern, und besonders hervorhvb, daß cs im Interesse aller civilisirtcn Länder läge, an der Festsetzung inter nationaler Präventivmaßrcgcln und an dem Erlaß gesetz licher Bestimmungen zur gerichtlichen Verfolgung aller den Mädchenhandel und die gewaltsame Prostitution be treffende Delicte mit allen Mitteln mitzuwirken. Tie Deutschamerikaner standen von jeher im Rufe besonderer Schwäche gegenüber dem sie um gebenden fremden Vvlksthum. In weiten Kreisen ist bei uns die Meinung hcrschend geworden, daß sie „Cultur- dünger" für Nordamerika, für uns aber völlig verloren seien. In jüngster Zeit ist diese Auffassung nicht ohne Er folg bekämpft worden. Man wendet im Reich seine Auf merksamkeit wieder auf die Landsleute drüben, und über raschend warm sind die Dankesäußerungen von dort. Von vielen sei hier eine Stimme mitgetheilt, die deutlich zeigt, wie auch hier der gute Wille mit Leichtigkeit er reicht, was dem Mißtrauen und der Gleichgiltigkeit un möglich ivar. Einer der geachtetsten deutsch-amerikanischen Schriftsteller, H. v. Konskh, beklagt, daß die Deutschen hüben und drüben bislang einander verkannten. Vor Allein hätten deutsche Reisende in Amerika zu falschen An schauungen gelangen müssen, da sie meist nur die reich gewordenen Deutschen hätten kennen lernen, die durchaus nicht die Besten seien. Mit Freude erkennt v. Konsky die neuerliche Wendung zum Besseren an. Er sagt: „Man erfährt drüben von ihren «der Deutschamerikaner) lands mannschaftlichen Organisationen, und der Anschluß des Vereinswcscns an den Nationalbnnd zeigt, daß das Be streben nach einer einheitlichen Führung vorhanden ist. Man hört von ihren Kirchen-, ihren Hospital-, ihren Altenheimbauten überall da, wo Deutsche in größerer An zahl beisammen wohnen. Man erinnert sich der Goethe-, Schiller-, der Humboldt-, der Heine-Denkmäler, welche das Deutschthum in Amerika den Herren deutscher Nation und deutschen Geistes errichtet hat. Mit Staunen hat man von den achtunggebietenden Demonstrationen des Deiltschamerikanerthums gelegentlich des Besuchs desPrin- zcn Heinrich in Amerika gelesen, und wie enthusiastisch und tactvoll sich dieses Bürgerelemeut bei dieser Gelegen heit gezeigt hat. Zugleich ist durch die deutschlän dische Presse endlich einmal die Thatsache hervor gehoben worden, daß die Deutschen und ihre Nachkommen in der Union an die zwölf Millionen Köpfe zählen. Unser natnristisches Vvllamerikanerthum ist früher schon zu der Einsicht gelangt, daß das dcutschamerikanischc Element ein Factor geworden ist, mit dem bei der Gestaltung der Nationalpvlitik gerechnet werden muß. Unsere „Gelben" wissen nachgerade, daß ihre Millionen Mitbürger deutscher Abkunft, denen sie aufgehört haben Sonderinteressen zuzu schreiben und eine Art Streben nach dem „Staat im Staate" nachzusagen, eintretenden Falles ihre Stärke und ihren Einfluß geltend zu machen wissen. Und in Deutsch land verbreitet sich mehr und mehr die richtige Ansicht, daß das amerikanische Deutschthum weder seiner Mutter sprache abtrünnig geworden ist, noch sein Nationalgefühl verloren hat." Solche Stimmen sind durchaus nicht etwa seltene Ausnahmen, und es fehlt auch nicht an reichs deutschen Reisenden, die bestätigen, was hier zu Gunsten der Deutschamerikaner gesagt wird. Es sei hier nur au die kürzlichen Aenßerungen des Heidelberger Professors vr. Koch erinnert, der sagt, daß der Deutschamerikaner keines wegs als der Angehörige einer anderen Nationalität sich seinem Volksthnm entfremden lasse. Will man diesen Dar legungen, die zum Theil die Sache gewiß in etwas rosigem ! Licht sehen, sich nicht durchaus anschließen, so müssen sie doch Jedem wenigstens das zeigen, daß es nur zu Unrecht l und zum Schaden geschieht, wenn Jemand darauf ver- Feuilleton. »1 Zwei Wetten. Roman von Arthur Sewett. Nachdruck verböte,.. „Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften! Die traurigen Geschäfte — und man be neidet uns noch!" Director Wöhrmann that einen Seufzer, als er diese Worte seines Liebliugsdichters vor sich hinmurmelte. Er schob einen Berg von Acten und Schriften mit der runden Hand von sich und stand einen Augenblick vom Schreibtisch auf. „Und man beneidet uns noch! Wer hätte es auch besser auf der großen Gotteswelt, als solch' ein Schulmeister! Der giebt seine paar Stunden wöchentlich und die übrige Zeit ist er vogelfrei. Und dann diese Ferien! Da ruht er aus von dem anstrengenden Nichtsthun nnd sonnt sich nach Herzenslust. Ja, diese goldenen Ferien, für einen Schnl- director!" Und Herr Wöhrmann erstickte einen Fluch, wie er cs manches Mal thun mußte in der ersten Elassc seiner Töchterschule, und ging mit schleppendem Schritt durch das Directorzimmer, um dessen Behaglichkeit ihn mancher Amtsgenosse beneidet hätte. „Da sitze ich nun über Büchern und Pa pieren tagaus, tagein, und lese Klagen tief verletzter Mütter, empörter Väter, daß ihre hochbegabte Tochter sitzen geblieben, lediglich durch die Rancüne des Classenlehrers, da schmiede ich Stunden pläne, die mir den sicheren Zorn aller meiner Lehrer und Lehrerinnen eintragen, da soll ich mir den Vertreter für den Professor, der in Italien den Winter über Kunst studien macht, und für die erste Lehrerin, die in Paris ihr Französisch auffrischt, aus der Erde stampfen. Das gnädige Ministerium hat nach mvnatelangem Hin- und Hcrschreiben geruht, mir hierin unumschränkte Vollmacht zu geben." Das Eintreten des Schuldicners unterbrach seinen Monolog. Er überreichte einen Brief und der Director öffnete ihn sofort. „Da haben wtr's! Richtig wieder Herr Doct-'r Mollinar! Seine unerbittliche Strenge, das arme Kind! ES träumt sogar des Nachts von ihm! Es ist wunderbar, daß gerade die tüchtigsten Lehrer sich der geringsten Gunst bei den Eltern erfreuen! Das wäre nun heute schon die zweite Klage über Herrn Mollinar! Und dabei schwärmt die ganze erste Elassc für ihn, trotz seiner Strenge! Es ist gut, Heinke, Sie können gehen und die Sachen da gleich mitnehmen!" Der Schuldicner hatte sich entfernt und der Tirectvr war an seinen Schreibtisch znrückgekehrt. Da raschelte und zischelte cs mit einem Male vom Korridore her unten durch die Ritze der Thür hindurch. Das Stück eines größeren, rosafarbenen Papicrcs wurde auf dem Fußboden sichtbar, irgend eine Rcelame oder An preisung, wie sie ihm vielfach in sein Amtszimmer ge schmuggelt wurden. Und doch erhob sich der Tirector, inmitten der trockenen Arbeit sehnte sich sein Geist nach irgend einer Abwechselung, war sie auch noch so gering fügig. Er hatte das rosa Papier ganz in das Zimmer ge zogen, ein riesiger Zettel lag vor ihm, und er las: „Circus Brotti-Wellhosf. In dem nenerbautcn, präch tigen Circus vor dem Berliner Thore. Große, brillante Eröffnungsvorstellung. Aus dem reichen Programm sind besonders hervorzuheben: Zwölf schwarze Araberhengste, in Freiheit dressirt, vorgcführt vom Director Wcllhosf. Miß Amanda, Schulreiterin. Francois, Clown und Schlangenmensch" n. s. w. n. s. w. Dann aber inmitten eines mächtigen, vielverschnörkelten Rahmens, auf den bereits gedruckte Fingerzeige hinwicscn, wie aus etwas Hervorragendes: „Auftreten von Miß Ellida Kvralli ans ihrer Schinnnelstutc „Diana", die größte Parforcereiterin des Continents." Der Director hatte das Haupt in die Hand gestützt. Wo waren die Zeiten geblieben, wo solch' ein Zettel mit seinen prahlerischen Ankündigungen ihn wie die Ver heißung eines Paradieses anmnthete, wo er Abend sür Abend um das rohe Lcinwandzelt, das vor dem Thore seiner kleinen Vaterstadt für einige Tage auf geschlagen war, mit sehnsuchtsheißem Herzen herum geschlichen und dem Odnsseus kein Sirenengesang so süß klingen konnte, wie ihm die schallende Blechmusik, die aus dem mattcrlenchtetcn Innern klang, der knatternde Peitschenknall, der sie begleitete'? Ja, wo waren die Zeiten geblieben? Er mochte sic beute kindlich nennen, kindisch vielleicht, schön waren sic doch gewesen. Denn was macht das Schöne dieses Lebens aus? Das bische« Poesie, das seinen Ernst erhellt, die Träume, die wir träumen inmitten seiner grauen Alltäglichkeit. Und Poesie und Träume, wo waren die geblieben in seinem monotonen Leben, seinem nüchternen Beruf, wie schnell war er alt geworden und praktisch und traumlos'? „Circus Brotti-Wellhosf", las er noch einmal. Es war kein Circus, wie dereinst in seiner Vaterstadt — Schmolinsk« hieß er —, er kannte den Namen noch ganz genau. Es war ein bedeutender Circus, dem ein Rus vvranging, in manchen seiner Bekanntenkreise freute man sich auf seinen Besuch. Er begriff diese Freude bereits nicht. Was hätte er jetzt wohl noch in einem Circus ge sollt? Er hatte Stundenpläne zu machen und Unterricht zu erthcilen. Und der Traum der Kindheit war längst verflogen und eifriger als zuvor arbeitete der Direktor an seinem Schreibtisch. Da klopfte cs an die Thür. Unwillig fuhr er von seinen Büchern auf. „Tie Sprechstunde ist längst vorüber, jetzt wenigstens sollte man mir Ruhe gönnen!" Aber noch einmal klopfte cs, schneller und härter, als das erste Mal. „Nun, so pocht wenigstens keine Mutter!" Und der Tirectvr rief ein kurzes „Herein!" Lautlos war die Thür geöffnet, ein Herr stand vor ihm, so plötzlich, daß der Tirectvr nicht begriff, wie er sv schnell und leise die beträchtliche Entfernung vom Eingänge bis zum Schreibtische durchmessen hatte, wie ein Pfeil mar er durch die große Stube geschnellt. Es war ein kleiner Mann mit einer auffallend breiten Cravatte, in der eine Lhlipsnadcl mit einem mächtigen Steine funkelte, der echt zn sein schien, nnd mit sehr weiten, grau nnd schwarz earrirten Beinkleidern, aus denen ein kleiner Fuß in lackirtem Schnürstiefel sich hcrvorwagte. Der Direktor erhob sich, er selbst war von gedrungener Figur, aber gegen den Fremden erschien er groß. Dieser verneigte sich mit Grandezza, aber doch mit einer Leichtig keit, die etwas Herablassendes hatte. „Koralli", sagte er, weiter nichts. Der Direktor sah ihn fragend an. „Koralli", sagte er noch einmal. „Koralli?" Hatte er den Namen nicht schon einmal gehört? Der Director besann sich. Dann lächelte er. „Ach so! Das mar's!" Eben auf dem rvthen Circnszcttcl hatte er ihn gelesen, nnd in der That, der kleine Mann, der vor ihm stand, sah ans, wie der geborene Kunstreiter. „Ach, Herr Kvralli, vom Circus —?" „Brotti-Wellhofs", siel der Andere in's Wort, und über den breiten, häßlichen Mund, den einige spärliche Scstnurr- barthaarc deckten, lief ein geschmeicheltes Lächeln. „Dachte ich cs mir doch, daß Sie den Namen kennen würden. Alte, weltberühmte Neiterfamilie, die Korallis, mein Vater und Großvater arbeiteten schon als Jockey und ich mache schon zwanzig Jahre in der Sache." „Schon zwanzig Jahre?" Und der Director sah verwundert auf den elastischen Körper, das frische, von der Schminke wenig zerfressene Antlitz, dessen Jugendlichkeit nur einige tiefe Falten quer über der eingedrückten Nasenwurzel Abbruch thatcn. »Ja, zwanzig Jahre, die Arbeit, Herr Director, hält geschmeidig. Das ist etwas Anderes, als den ganzen Tag über den Büchern sitzen! Wäre nichts für mich, danke bestens! Oe pmstibus — hab' ich's doch vergessen! Ja, die alten Sprachen, nichts für unsereinen. Aber die neuen, Herr Direktor, das ist etwas ganz Anderes! Zehn Sprachen spreche ich, alle so geläufig, wie meine Mutter sprache, die deutsche." „Die deutsche? Ich glaubte, Sie wären ein Engländer oder ein Italiener." „Ach, wegen des Mister und meines Namens, nichts da, Herr Tirectvr, ich danke für die Ehre. Wir sind Alles ehrliche Deutsche! Aber beim Reiter, da geht es nun ein mal nicht anders. Alles englisch! Mister nnd Miß, altes Vorurthcil, daß die Engländer die einzigen Reiter der Welt. Ja, bei den Akrobaten und derartigen Artisten" — und er legte einen sehr verächtlichen Ton ans dieses Wort — da mögen deutsche Namen gehen, aber bei uns, nichts davvn! Und daß ich mich Kvralli nenne, nun, sehr einfach, weil Kvralli doch ein bischen völliger klingt, als Kvrz, Wilhelm Kvrz, wie ich getauft bin." Der Tirectvr konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Die Grandezza dieses Mannes, der sich längst ohne jede Aufforderung auf den Stuhl neben seinem Schreibtische ge setzt hatte, und dann — dieser Namen für einen so großen Künstler, der hier vor ihm saß! „Und nun, wertster Herr Kvralli, was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?" Ueber den breiten Mund huschte zum ersten Male der Hauch einer gewißen Verlegenheit, die Harle, aber nicht un gepflegte Hand, an deren kleinem Finger ein Ring prahlte mit einem Stein, ähnlich dem an der Brust, strich über den spärlichen Schnurrbart nnd brachte seine wenigen Haare dadurch in solche Erregung, daß sie jetzt wie kleine Borsten über die schmalen Lippen cmporstarrten. „Ich habe eine Tochter, Herr Direktor, Miß Ellida." Und als er den Namen ausgesprochen, da leuchteten seine Augen viel Heller, als der Brillant auf der roth-
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