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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.07.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190207207
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19020720
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19020720
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-20
- Monat1902-07
- Jahr1902
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.07.1902
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BezugS.PrelS in der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4 50, — zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich6, jur die übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. - Ne-action und Expedition: IohanniSgaffe 8. Fernsprecher 153 und 222. Filialrrpeditiorre« r Alfred Hahn, Buchhandlg., Uuiversitätsstr.3, L. Lösche, Katharinenstr. 14, u. königspl. 7. — Haupt-Filiale Dresden: Strehlenerstraße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. - — Haupt-Filiale Serliu: Königgrätzerstraße 116. Fernsprecher Amt VI Nr. 3393. MiWM.TagMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Molizei-Amtes -er Ltadt Leipzig. An zeigen« Preis die 6gespaltene Petitzeile LS H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 Lz, vor den Familiennach- richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lffertenanuahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit Postbefürderung 70.—. Äunahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Erpedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. zu reisen. Eine nach der Anderen machte Abschiedsbesuch, sprach von Toiletten und Badebekanntschaften und ver sprach Ansichtspostkarten die Hülle und Fülle. Das war wirklich keine geringe Prüfung, die das Schicksal Alice aufcrlegte. Gott, sie war doch anch jung und hatte für die Berhcirathung eine ganze Anzahl schöner Kleider und Mvrgenröcke bekommen und hatte doch jedes Jahr ihre Badereise gemacht. Eigentlich konnte sie cs auch beanspruchen, bei 3000 .F jährlichen Zinsen. Und da ge stand denn anch sic ihrem Adolf eines schönen Abends im Juni, wo die Glühwürmchen wie Funken in dem Gärt chen herumflogen, daß cs doch jetzt Sommer sei und daß eine Sommerreise für sic und auch für ihn doch un bedingt erst den richtigen Sommer bedeuten würde. Be geistert stimmte Adolf zu, doch im Hintergründe seines Herzens lauerten höchst eigensüchtige Motive, und nach kurzer Zeit war cs ihm gelungen, auch Alice vollständig zu überzeugen, daß sie voran ins Bad reisen sollte, wo ihre beste Freundin Rcsy bereits zur Cur weilte, und sich dort rothc Backen holen. Dann wollte er kommen, sie abholcn und noch eine schöne Reise mit ihr zusammen machen in die Berge oder an die See, so eine nachträgliche Hochzeitsreise! Freilich gab cs Trennung für ein paar Wochen! Aber was waren ein paar Wochen im Ver gleiche zn der Seligkeit des Wiedersehens! Und arbeiten wollte er während der Zeit! Der erste Theil der Arbeit mußte fertig werden, und sollte er die halbe Nacht zn Hilfe nehmen. Es kam Alles, wie ausgedacht. Alice packte unter Lachen und Thronen — die große Trennung wurde ihr doch schwerer, als sie dachte — die neuen Kleider und die Morgenröcke in den Ncisckorb, Adolf brachte sic zur Balm und versprach ihr hoch und heilig, sofort zu kommen, falls sic cs vor Sehnsucht nicht mehr aushalten könne, legte Rosen und eine Bonbonniere in die geliebten Händchen und winkte mit dem Taschcntuchc, so lange der Zug zu sehen war. Dann athinetc er hoch auf — erleichtert würde eine Ucbertrcibuug sein — und ging nach Hanse, nm zu arbeiten. Bald war das ganze Oncllcnmatcrial »m ihn aufgeschichtct, aber enge wurde es, zu enge, der Schreibtisch-Zierrath nahm zn viel Platz ein. Da siedelte er an den großen Eßtisch im Speisezimmer über, doch in der Mitte des Zimmers mar cs zu dunkel, etwas un sanft wurden die kostbaren Spitzen-StorcS von den Fenstern zurückgezogen. Es ging bester, aber dem Ar beitenden fehlten Ruhe und Sammlung, und — nur zögernd gestand er cs sich ein — die alte, simple Um gebung. Immer wieder irrte sein Auge zu den Kleinig keiten, die Alice verstreut hatte, zu den Bildern und und Väschen, zu den Bordbrettchen und Wandschränkchen; Nr. 364. Sonntag den 20. Juli 1902. 96. Jahrgang. Aus der Woche. Ein Mächtiger ist gestürrt. Nicht Lord Salisbury ist gemeint, der ohne äußere Einwirkung von seinem Platz herabgestiegen, noch Herr v. Landmann, der kein Mächtiger gewesen. Aber der Campanile. Er liegt in Schutt und Trümmern. Der Fall deS Gemäuers hat die Menschheit tiefer berührt als das gleichzeitige Verschwinden Zweier von Fleisch und Blut. Er gehörte auch im hohen Maße zur Mensch heit. SchönheitSgefühl und Geschichtssinn haben ihn der gebildeten Welt vertraut gemacht und das Ende des Viel-Vielhuudert- jährigen, der so viel Merkwürdiges und Großes zu seinen Füßen sich abspielen sah, gemahnt mehr als der alltägliche Menschentod an die Vergänglichkeit alles Irdischen, dem ein Ziel gesetzt ist — selbst wenn es im Dienste der „ewigen" Papstkirche stand. Er hatte aber ein gutes Abscheiden, der gewaltige Bursche. Die Bau- und Erd gelehrten — Eduard Sueß, der das deutsche Reich mit seiner Behauptung von der Goldverarmung des Planeten in zehnjährigen schlimmen Währungökampf gestürzt, ist natürlich auch dabei — sie streiten über die Ursachen deS Vergehens der steinernen Größe. Ob natürlicher Muskelschwund infolge hohen Alters, ob der Geburtsfehler der Beschaffenheit deS venetianischen Baugrundes, ob Erd- und Seebeben das Ende herbeigesührt. Aber ihm selbst schiebt Niemand seinen Sturz in die Schuhe. Kein tapferer Zeitgenosse ist da, der, unterstützt von Sachverständigen, versichert, der Riese habe sich durch Morpbiumgenuß zu Grunde gerichtet, und wenn sich doch ein solcher Lästerer finden sollte, wir fürchten nicht, daß der Löwe von San Marco der Verleumdung deS Necken, der ihn und seine Vorfahren in guter Hut gehalten, Glauben schenken würde. Auch von Cognacsauferei als Ur sache des Verschwindens vom Schauplatz hört man nicht«. Die Steingrößen haben eS doch besser als die Menschengrößen. Den Campanile beklagt die Welt, die ministerielle Leiche deS Herrn v. Landmann schleifen rächende Sinnst» Heroen um die Münchener Ministerburgen herum. Wir find die Letzten, die die ultramontane Gefahr und ihre Ver schärfung gerade durch die in dem großen BnnoeSstaat Bayern lebendigen Kräfte unterschätzen. Aber daß von dem bayerischen Kammercentrum, so lange cs isolirt agirt, nichts zu fürchten sei, glauben wir an der Hand einer langen Erfahrung unbedenklich Voraussagen zu dürfen. Der „Wilde" hat denn auch wirklich an die Mauern — nur mit stumpfen Fingernägeln gekratzt. Diese engen Juristen, von der unbestreitbaren weltpolitischen Großzügigkeit des centralen Sonnenscheins unberührten Kleriker und nur hin sichtlich ihres persönlichen Ehrgeizes etwas über Mittelgröße gebauten Philologen vermögen nichts. Sie sind die Helote» des Elementes, dem sie ihre parlamentarische Macht verdanken, einer kleinbäuerlichen und kleinbürgerlichen Masse. Dem haben sie auch geopfert, nachdem sie große, den Spitzen des Staates imponirende Politik machen zu wollen erklärten, durch Wegstriche für eine große polytechnische Hochschule, von Bilderankäufen für eine Kunstakademie. De» Posa- mentirern in Amberg und den Bäckermeistern in Weil heim ist eS recht, aber waS hat von solchen Nadel-f stichen der Partikularismus eine« Bundesstaates, der sich lange vor der Gründung deS Reiche« durch Förderung von Kunst und Wissenschaft einen ersten Platz in Deutschland sichern wollte? Dabei ist die rustikale Verweigerung von Mitteln zu höheren Culturzweckea in der Münchner Kammer etwas so „Althergebrachtes", daß die neueste Bethätigung deS Brauches unmöglich als eine besondere Demonstration gegen den „besonderen Affront", als was man den Rücktritt de« Herrn v. Landmann zu bezeichnen beliebt, angesehen werden kann. Die Stürmer von gestern sind sogar nur schwächliche Epi gonen in dem Puncte. Der richtige Wolnzacher Bauer wird jetzt nicht die Urheber der lumpigen Abstriche von Neuforde rungen loben, sondern den seligen Kaplan vr. Rittler, der vor ungefähr zwanzig Jahren und zwar als er Referent für den Cultusetar war, nicht mehr und nicht weniger forderte, als die Beseitigung der seit Jahrhunderten bestehenden, aber freilich von einem protestantischen Hohenzollern begründeten — Uni versität Erlangen. Der Regierung werden die Abstriche um so weniger imponiren, als sie zum größeren Theil wahrscheinlich auch ohne das Mißgeschick des Herrn v.Landmann vom Centrum executirt worden wäre. Die winzige Forderung für Projec- trrung, nicht Errichtung, eines Polytechnikum« in Nürnbeig war ja schon im Finanzministerium gestrichen worden. Höchstens, daß die klerikale Rhetorik der Regierung Angst macht. E« ist allerdings eine nieder schmetternde Wendung, wenn ein Mann von akademischer Bildung in einer vermeintlichen Entscheidungsstunde in den Saal donnert: „Wir brauchen keine PodewilSgewehre". DaS Lucianische dieses Wortes beruht auf der Tbatfache, daß die bayerische Armes einmal ein Schießgewehr gehabt hat, das von einem v. Podewils construirt war. Damit soll ein zurückzetretener Minister gerächt und ein wahrscheinlich fälsch lich als Nachfolger genannter Diplomat fernzehalten werden! In Galizien haben die Polen aus Anlaß der bei den Haaren herbeigezogenen Erinnerung an die Schlacht bei Tannenberg mit dem Gedanken eines Krieges mit Deutschland gespielt. Das ist eine vielversprechende Gewöhnung der Sinneöweise. Nur sollten die Herren sich erst erkundigen, ob die Deutschen vor und nach Tannenberg nicht auch manchen Krieg siegreich geführt haben. Die geeignetsten Auskunft?» geber wären in diesem Falle die Dänen, die auch einmal annähernd so frech gewesen find, wie jetzt die Polen — in Galizien. Deutsches Reich. * Leipzig, 19. Juli. Die „Sachs. Natltb. Corresp." schreibt: Die Ohnmacht Sachsens in allen E i sc n b a h n f r a g c n gegenüber Preußen ist durch die Erklärung vom l7. Juli im „Dresd. Iourn." amtlich wieder einmal festgestellt worden. So werthvoll es auch ist zu hören, daß die preußische Eiscnbahnver- waltung von der Eröffnung einer neuen Schnellzugsver bindung zwischen Berlin und Wien abgesehen hat, noch wichtiger ist für uns das Eingcständnitz, daß Sachsen die preußische Entschließung nicht habe beeinflussen können. Mit Bezug auf den ursprünglichen Plan schreibt das offi- ciellc Organ wörtlich: „Ein Recht des Widerspruchs hier- I gegen würde sich für Sachsen weder aus Verträgen, noch gar aus der Neichsverfassung haben herlciten lasten/ Das ist ebenso richtig als beschämend für den jetzt bestehenden Zustand. So lange nicht eine vollständige Einigung aller deutschen Eisenbahnverwaltungcn darüber erzielt wird, ob und wie weit Umwege im Durchgangs verkehr erlaubt sind, wobei nicht blos^rechtliche, sondern auch billige Ansprüche der kleineren Staatsbetriebe be rücksichtigt werden müßten, so lange wird auch Sachsen stets von der Großmuth des mächtigeren Nachbarstaates abhängig sein. Gerade deswegen muß das Bestreben der sächsischen Regierung unausgesetzt darauf gerichtet sein, daß ein Rcchtszustand geschaffen wird, welcher ihre Unter- thanen von dem lastenden Druck der Abhängigkeit be freit. Wer kann denn bei der rapiden Entwickelung des Verkehrswesens heute ernstlich glauben, daß Preußen ausdieDauer auf die geplante Verbesserung der Ver- kehrseinrichtungen in dem westlichen Schlesien verzichten wird, da das Bedürfniß für eine schnellere Verbindung zwischen Berlin-Görliy-Hirschberg u. s. w. von Freund und Feind in gleicher Weise anerkannt werden muß? Im Gegentheil, kann man wohl auch hier mutatis mutanckis das Wort des früheren Eisenbahnmiuisters v. Thielen wiederholen: „Gebaut wird sie doch". Somit schwebt diese Schnellzugsvcrbindung wie vieles Andere unter den preußischen Verkehrseinrichtungen als ein Damoklesschwert über dem sächsischen Eisenbahnwesen. Wie sehen aus dieser Lage für unfern Staat nach wie vor keinen anderen Ausweg, als seinen Eintritt in die preußisch-hessische Eisenbahngemeinschaft. Der Bericht zum Staatsvertrag über die Verwaltung der Main- Neckar-Bahn weist mit den Worten: „Nur auf der Basis der Betriebs- und Finanz-Gemeinschaft ist das Ziel der Nationalisirung unserer Verkehrswege in absehbarer Zeit zur erreichen" klar auf diesen Weg hin. Wir werden diesen Ruf als ein oetorum oonseo so oft wiederholen, bis auch in den heute diesem Plan abgeneigten Kreisen die Ucberzeugung durchdringt, daß Sachsens Staats finanzen nur mit diesem Mittel wieder zur einstigen Blüthe gebracht werden können. Es ist übrigens für die Stimmung im Lande schon jetzt charakteristisch, daß gerade ein conservatives Partciblatt, wie die „Dresdner Nachr.", am lautesten über diese angekündigte Schncll- zugsverbindung geschrien hat. In der That hilft hier kein Mundspiycn, sondern es muß gepfiffen werden! Jedenfalls hat die Gcncraldircction und das Finanzmini sterium in Sachsen alle Veranlassung, so schnell als möglich sich mit Preußen über die schwebenden Eisenbahnfragcn zn verständigen. Zn Unthätigkcit und ruhignn Abwarten ist um so weniger die Zeit geeignet, als auch die neuesten Ermittelungen der Bctricbscrgcbnisse für die Zeit vom l. Januar bis Ende Juni dieses Jahres gegen das ungünstige Vorjahr einen weiteren erheblichen Rückgang von 632 503 zeigen. An diesem Ausfall der Einnahmen ist der Personenverkehr mit 85 084 .// und der Güterverkehr mit 141970 .// bctheiligt. Das sind bei einer Gesammteiunahme von 54 098 848 immerhin er hebliche Verluste! Berlin, 19. Juli. (Der preußische Bischofseid und die kirchliche Feier der Schlacht von Tannen berg.) Die Nachricht, daß auf königlich preußischem Gebiet in einer katholischen Kirche eine kirchliche Feier zum Andenken an die Schlacht von Tannenberg stattgefunden habe. klang zunächst wie ein schlechter Witz. Jetzt aber scheint jeder Zweifel an der vollkommenen Richtigkeit dieser Nachricht ausgeschlossen zu sein. Denn die in solchen Fällen gut unterrichtete „Köln. Volks,tg." bestätigt jene Nach richt in der Form, daß sie mittheilt: der feier liche Golteseienst am Jahrestage der Tannenberger Schlacht sei nicht etwa ausnahmsweise in diesem Jahre abzc- halten worden, sondern in allen Directorien der Diözesen des ehemaligen Königreichs Polen wäre seit Jahr hunderten unter dem 15. Juli darauf Bezug genommen, und es wären ritualistische Bestimmungeu für den Dank gottesdienst getroffen. DaS Urtheil über das Abbalten einer kirchlichen Feier zum Andenken an einen polnischen Sieg über die Deutschen wird durch den Umstand nicht be rührt, daß eS sich um einen längst geübten kirch lichen Brauch handeln soll. Für jeden unbefangenen Beurtheiler ist die Unvereinbarkeit solcher kirchlicher Feier mit den elementarsten staatlichen Ansprüchen vollkommen klar, was in diesem Falle sogar die — „Germania" anerkennt. Konnte auf preußischem Gebiete eine kirchliche Tannen berg-Feier ron jeher stattfinden, so drängt die Frage sich auf, welchen Sinn eigentlich der Treueid hat, den die be- theiligtcn katholischen Bischöfe dem Könige von Preußen geleistet haben. In dem preußischen Bischofseide wird u. a. gelobt: „Ich . . schwöre . ., daß .. ich .. be sonders dahin streben will, daß in den Gemiithern der meiner bischöflichen Leitung anvertrauten Geistlichen und Gemeinden die Gesinnungen der Ebrfurcht und der Treue gegenüber, König, die Liebe zum Vaterlande, der Gehorsam gegen die Gesetze und alle jene Tugenden, die rn dem Christen den guten Unter- than bezeichnen, mit Sorgfalt gepflegt werden; und daß ich nicht dulden will, daß von der mir untergebenen Geistlichkeit im entgegengesetzten Sinne gelehrt oder gehandelt werde." — Die kirchliche Verherrlichung eines polnischen Sieges über die Deutschen kann unseres Erachtens unmöglich die Treue gegen den preußischen König, die Liebe znm preußischen Vaterlande und die Tugenden deS Unter- tbans eines deutschen Staates befördern — sie dient im Gegentheil dazu, Hoffnungen und Bestrebungen zu nähren, die all'dem feindlich sind. Darum ist die preußische Staats regierung in der Lage, von den Bischöfen in den ehemals polnischen LandcStheilen unter Verweisung auf ihren Eid die sofortige Aufhebung jeglicher Bestimmung zur kirchlichen Feier der Schlacht von Tannenberg zu verlangen. Hoffentlich thut sie das auch. Berlin, 19. Juli. (Die Svcialdemokratie und der Meuchelmord.) Man schreibt uns: Die in Bern erscheinende socialistische „ Tagmacht" richtet seit eiliger Zeit heftige Angriffe gegen die russische Regie rung und öffnet ihre Spalten auch den maßlosesten Expektorationen russischer politischer Flüchtlinge. Damit nicht genug, hat die Redaktion der „Tagwacht" einer Schilderung sibirischer Zustände folgende Anmerkung yin- zugefügt: „Fürwahr, die Liste der bedauernswerthen Märtyrer des russischen Despotismus ist eine entsetzlich große. Wer dem russischen Zarismus, dieser G e i ß e l d e r M e n s ch h e i t, c i n E n d e - u m a ch c n hilft, sei cs mit Revolver, Dolch oder Dynamit — andere humane Mittel sind ja leider thcils unmöglich, thcils wirkungslos —, der ist ein Wohl- Feuilleton. Die Ladereise. Ein Sommergeschichtchcn von Hanns Albrecht. In jene Villa, gelegen in der Rosenstraße einer größeren Stadt, war seit einigen Wochen ein junges Ehe paar eingezvgcn. Die Fenster waren alle blank geputzt und Spitzen-Stvres davor gezogen. Gegen Abend, wenn das Licht angezündct wurde, zog eine unsichtbare Hand noch einen rothcn Shawl dahinter. Da fiel denn ein wundervolles, magisches Licht aus den beiden Parterre fenstern auf das Straßcnpslaster, und Jeder, der vorüber ging und zufällig wußte, daß dort ein junges Ehepaar hauste, hatte so das Gefühl, als ob sich da drinnen hinter dem röthlichen Lichte eine Atmosphäre von Glück ver bergen müßte. Sie waren auch wirklich glücklich, die Beiden da drinnen, der Herr Bibliothekar vr. Kleinod und seine junge Frau Alice. Sie hatte» sich aus Liebe gewählt, in Liebe ver- ycirathct, waren in die schön eingerichtete Parterre wohnung gezogen und lebten ganz in dem Bewußtsein, daß ihnen Beiden doch eigentlich das Glück Alles in den Lchovß geworfen hatte, was sic wünschten. Er hatte zwar als Beamter nur ein bescheidenes Einkommen, dafür war aber Alice außer ihren andecrn Vorzügen noch im Besitze von 3000 .4! Zinsen pro Jahr und einer schönen Aus stattung gewesen, und so war cs gekommen, daß Adolf Kleinod plötzlich aus seiner mehr wie altmodischen Studirstube und Schlafstube in selber Gestalt in die ge räumige Wohuung in der Rosenstraße versetzt war, wo ihm ein altdeutsches Herrenzimmer mit stilvollem Schreibtisch als eigenstes Reich und zugleich quasi als Brautgeschenk und Ucberraschung von seiner strahlenden Schwiegermutter angewiesen wurde. Pflichtschuldigst be mühte er sich, die Muster des Teppichs, der Gardinen, der Tapeten, das holde Antlitz des Lustrcwcibchens, das — zufällig ein Urbild von Häßlichkeit — in der stil vollen Einrichtung natürlich nicht fehlen durfte, zu be- wundern. Im Grunde seines Herzens machte er sich eigentlich gar nicht so viel ans Teppichmustcrn und Lustre- Weibchen. Erstens sah er nicht so besonders gut, für Farben hatte er nie ein Bcrständniß gehabt, und Menschenweibchen, besonders das seine, waren ihm lieber als Lustreweibchen. Immer und immer wieder hatte er feiner Schwiegermutter nach der Besichtigung die Hand gedrückt und seine Alice in die Arme geschloffen, so lange, bis er ganz vergessen hatte, daß es den Dank für das stil volle Zimmer zu entrichten galt; hielt er doch ein lebendes und sicheres Glück in den Armen, was kümmerten ihn alle „stilvollen" Herrenzimmer der Welt. Damals war cs Februar gewesen. Winterstürme pfiffen um das Haus und Schnee lag auf den kahlen Sträuchern des Vorgärtchens. Da saß es sich gcmüthlich hinter den rothcn Gardinen am Svphatisch oder nach dem Abendessen eng an einander geschmiegt auf dem winzigen, gebrandmaltcn Ofcnbänkchen. An Arbeiten war da frei lich nicht zu denken. Adolf war froh, wenn er um 5 Uhr Nachmittags nach Hause eilen und sich der Ritterdienste einer liebsten Herrin widmen konnte. Wohl verwahrt und sicher lag sein Mauuscript: „Ueber die südfranzösischen Dialecte im 17. Jahrhundert" in der Kiste, in die er beim Umzug seinen bescheidenen Besitz verpackt hatte. Damals hatte er die Arbeit begonnen, als er das Jawort seiner Alice errang, damals in der überströmenden Seligkeit seines Herzens. Das Ouellenmaterial war bereits auf einer längeren Reise in Südfrankreich zusammen getragen, der Anfang war nicht schwer. Und die halben Nächte hatte er gesessen und gearbeitet, immer mit dem Wonnegefühl im Herzen. Bis kurz vor der Hochzeit. Da hatte ihm Alice nämlich gestanden, sie sei eifersüchtig auf das Manuskript, wirklich eifersüchtig. Da hatte er einen langen Gedankenstrich in -em Manuskripte gemacht und hatte es halb bedauernd und doch auch wieder voll innerer Glückseligkeit in die Kiste versenkt und hatte an den langen Winterabenden Zukunftspläne mit Alice ge schmiedet. Dann kam die Hochzeit, und „Die südfran zösischen Dialecte des 17. Jahrhunderts" waren eine ge raume Zeit vergeßen geblieben. Doch als die Märzen sonne anfing, den Schnee im Borgärtchen zu schmelzen, als die ersten Crocus über Nacht wie hingczaubert auf- tanchten, als Drosseln und Finken aus voller Kehle den Frühling cinsangen, da kam ganz unmerklich so etwas wie eine Arbeitslust über Adolf Kleinod. Anfangs äußerte sie sich nur als ein unbehagliches Gefühl für Minuten, dann in gänzlicher Gedankenlosigkeit, die in immer kürzeren Pausen anftrat und endlich ging sie in eine ruhelose Traurigkeit über, für die er zunächst keinen Namen fand. Da nun Adolf in seiner Gewissenhaftigkeit nicht den Minnedienst versäumen wollte, den er seiner reizenden Alice zugcschworen, so gerieth er im Innern in eine verzweifelte Lage, die ihm manche schlaflose Nacht bereitete. Wie eine Sünde jagte er die Gedanken von sich, die ihm sagen wollten, wie herrlich und fest er ehe mals in seiner primitiven Feldbettstellc geschlafen hatte; er war ja unendlich glücklich, aber und um ein Ende zu machen, wagte er endlich seine Alice das schwere Gcständntß, daß er wieder anfangen wollte, dabeim zu arbeiten. Alice lachte und sagte: „Aber gewiß, mein Lieber, und da setze ich mich still neben Dich mit einem Buche oder einer Handarbeit ", kurz, sie nahm das Ganze als etwas so Natürliches auf, daß Adolf sich nicht mehr begriff, warum er mit dem Geständnis; so lange gezögert hatte. Der mit Nippes geschmückte nnd mit hohem Aufsatz versehene Schreibtisch wurde so viel als möglich abgeräumt, das Bronzetintenfaß — ein Hoch- zeitsgeschcnk — mit Tinte gefüllt, das Manuskript aus der Kiste vvrgcholt, und mit dem wohlgemeinten Rath schlage, die Feder ja nicht auf den Rand der Bronze zn legen und ja keine Tintenflecke auf die Tischplatte zn machen, setzte sich Adolf zum Arbeiten zurecht. Doch leider sollte er kaum dazu kommen. Den alten Hand schriften und Büchern, die er zum Studium brauchte, war der hohe, geschnitzte Aufsatz am Schreibtisch im Wege, und bevor er sich in irgend einen Gedanken vertieft hatte, hörte er leise Schrittchen hinter sich und ein paar Schmeichelworte, fühlte er eine weiche Hand auf seinem Haar, oder es zupfte ihn die übermllthige kleine Frau am Rvckärmel und erzählte ihm eine neue „komische" Be gebenheit — kurz, es wurde nichts mit der Arbeit. Und selbst wenn 10 Uhr Vormittags herankam, die Zeit, wo Alice ihre neu erlernte Kochkunst praktisch vcrmcrthen sollte und sich in Folge dessen in die Küchenrcgionen zurückzog, da erschien die brave Marie alle Augenblicke, klopfte vor Rücksicht sehr leise an und flüsterte die Krage: Ob der Herr Doctor nicht das Schlüsselbund der gnädigen Fran gefunden habe, oder ob er nicht zufällig eine Kupfer münze da habe für eine arme Frau. „Da soll doch der Teufel!" — weiter dachte der Herr Doctor Kleinod in aller Biederkeit nnd Bravheit natürlich nicht, aber er klappte das alte Buch mit seinem schweinsledernen Ein band zu und versenkte es sammt seinen fragwürdig aus schauenden Genossen und dem Manuskripte in das funkel nagelneue Schreibtischfach, da sich dies Alles im neuen Bücherschränke, wie Alice behauptete, doch nicht besonders gut ausnehmen würde. Man weiß nicht, wie sich die Zukunft gestaltet hätte, wenn nicht ein Zufall dem geprüften Doctor zu Hilfe gekommen wäre. Denn innerlich sah eS bei ihm ob der fortgesetzten Kämpfe sehr böse auö; trotzdem brachte er äußerlich mit der letzten Kraft seiner stets an ihm ge rühmten Selbstbeherrschung der blonden Alice einen Rosenstrauß nach dem anderen und Makronen und Fon dants, so viel ihr Herz begehrte. Doch der Sommer kam, der große Urlaub rückte täglich näher und -er Mai brachte schon die schönsten Tage, daß alle Freundinnen Alice'S dies Jahr ganz besonders früh die Garderobe in Stand setzen ließen, um ins Bad
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