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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.07.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020722016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902072201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902072201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-22
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Reel»««» unter dem Aedactdm»Kr1ch l-gespalten) 75 vor deu Famtlteuuach» richten (ii gespalten) 50 Tabellarischer uud Htfserusatz eutsprocheud höher. — Gebühr« für Rachwetsung«, und Offerte aaauayme Sb H (exrl. Porto). Extra-Vellage» (gefalzt^ »ur mit der Marge»-Ausgabe, ohao Postbesörderusg «0.—, mit PostbesSrderllng 70^-» Ännahmeschluß flr Auzrigeu: Abead-Au-gaber vormittag» 1v Uhr. Morgea-Lusgab«» Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige» sind stet» au bi» Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh S bi» Abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig. Dienstag den 22. Juli 1902. Nr. 387. 96. Jahrgang. Mißstande in der Anwendung des Nahrungs- mittelgelehes. Das Reichsgesetz vom 14. Mat 1870 (Nahrungsmittel- geseyj verfolgt den Zweck, den mannigfachen Mißständen vorzubengen, welche durch die Verfälschung der zum Ver kaufe ausgebotcncu Nahrungsmittel, Genußmittel und Ge- brauchsgcgcnstäude verursacht werden. Mit dieser Tendenz wird man sich durchaus einverstanden erklären können, und zwar um so gewißer, als die Verfälschung jener Stoffe häufig nicht blos deren Nahrungs- und Äaufwerth beein trächtigt, sondern auch Gefahren für die menschliche Ge sundheit heraufbeschwört. Je mehr man aber die Intention des Gesetzes zu billigen vermag, um so unerfreulicher muß es berühren, daß in der Auslegung des Nahrungsmittelgesetzes eine erschreckende Unsicherheit playgegriffen hat, daß in der Rechtsprechung seit Jahren ein höchst unheilvolles Tasten und Schwanken zu beobachten ist. Diese Unsicherheit giebt vor Allem den intcrcssirtcn Gewerbetreibenden zu leb haften Beschwerden Anlaß, insofern sie es ihnen beim besten Willen nahezu unmöglich macht, Anklagen und Ver- urtheilungen wegen Vergehen gegen das Nahrungs- mittelgcsetz zu vermeiden. Namentlich weiß die Berliner Geschäftswelt von solchen Nützlichkeiten ein Lied zu singen. Läßt sich doch in Berlin seit etwa Jahresfrist nicht nur ein ganz außerordentliches Anwachsen der Strasprocesse wegen Nahrungsmittelvergehen, sondern zugleich die Thatsache cvnstatircn, daß von derartige» Anklagen und Verurtheilungen nicht selten Firmen betroffen werden, denen in ihrem besonderen Berufszweige eine führende Stelltet zukommt, und die sich der größten Werthschätzuug in den Kreisen ihrer Bcrufsgenosscn erfreuen! Diese Uebclständc haben nunmehr dem Centralaus« schussc Berliner kaufmännischer, gewerblicher und in dustrieller Vereine idem 52 angesehene Corporationen als Mitglieder angehörcn) Veranlassung gegeben, energisch auf eine Abhilfe zu dringe». Der Ausschuß hat sich — nach einer fruchtlosen Corrcspondeuz mit dem Polizeipräsi- dcnten — an das preußische Staatsministerium gewandt und diesem die vorhandenen Schäden aufgedeckt. In der ausführlichen Denkschrift an das Ministerium betont der Centralausschuß, daß gerade die soliden NahrungSmittel- händlcr ein Interesse daran hätten, daß Unlauterkeiten und Unreellitäten aufs Schärfste verfolgt und mit allen ge setzlichen Mitteln hintangchalten würden. Zugleich weist er aber darauf hin, daß es doch gewiß nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein könne, daß so wichtige und für die gcsammtc Vvlkswirthschaft nvthwcndige Berufs stände, wie die an der Herstellung und am Vertrieb von Nahrungsmitteln betheiligtcn Gewerbetreibenden, im nor malen Verlaufe der Ausübung ihres Gewerbes jederzeit erwarten müssen, wegen Zuwiderhandlung gegen das Nah. rungsmittelgcsetz gerichtlich belangt zu werden. Die Thatsache, daß in den Fällen dieser Art GcrichtS- urtheil und Rechtsanschauung der betheiligtcn Berufskreise einander widersprechen, führt der Centralausschuß auf folgende drei Umstände zurück: 1) darauf, daß Mangels Ausführungöbcstimmungen für viele unter das Nahrungsmittelgesetz fallende Gegenstände und Mangels anderer maßgebender Interpretationen zum Nahrungsmtttelgesetze in wetten Kreisen Unsicherheit da rüber herrscht, wie in Einzelfällcn die einschlägigen All- gemeinbestimmungcn des Gesetzes von den zuständigen In stanzen ausgclegt werden; 2) darauf, daß die Strafbestimmungen des Nahrungs- mittelgeseyes und insbesondere die in 8^ 10 getroffenen Festsetzungen keine Rücksicht auf den Handclsgebrauch nehmen; 3) darauf, daß die vom Gericht herangezogencn Ex perten vorwiegend lediglich solche Theoretiker sind, deren Auffassungen bereits der Anzeigebehörde als Unterlagen für die Erstattung der Anzeige gedient haben. Zn U wird in der Denkschrift des Centralaus- schufseS Folgendes ausgeführt: Der weitere Erlaß von Ausführungsbestimmungen zum Nahrungsmtttelgcscy dürfte erheblichen Schwierigkeiten unterliegen, auch sei es zweifelhaft, ob dadurch den Wünschen der betheiligtcn Vcrkchrskreise immer entsprochen würde. Denn Nah rungsmittelfabrikation und -Handel befänden sich in fort währendem Flusse; die rüstig vorwärtsschreitendc chemische Wissenschaft erfinde fortwährend neue Verfahren oder ändere die bisherigen, so daß zu befürchten sei, daß Ausführungsbcstimmungen rasch veralteten, auch wenn sie im Moment ihrer Veröffentlichung dem neuesten Stande der Wissenschaft entsprächen. Unter diesen Umständen er scheine es unzweckmäßig, an den Erlaß derartiger Be stimmungen zu denken; vielmehr sei es empfchlenswcrth, eine E e n t r a lst e l l c zu r E r st a t t u n g vonOber gutachten in allen einschlägigen Fragen ciuzurichlen. Diese Behörde, die vornehmlich auch bei Nahrungsmittel processen in Thätigkeit zu treten habe, müsse zn gleichen Theilen aus Chemikern und aus Sachverständigen des Verkehrslebcns bestehen. In solcher Zusammensetzung biete sie Gewähr, ebensowohl den Anforderungen der Wissenschaft, wie den Bedürfnissen der Praxis gerecht zu werden. Zu 2) wird hervorgehoben, daß die Bestrafungen auf Grund des NahrungSmittelgcsetzcs besonders in den Fällen peinlich empfunden worden seien, in denen die wirk- lichen oder vermeintlichen Vergehen in der Anwendung bisher jahrelang unangefochten ausgeübter Handels- und Geschäftsgebräuchc bestanden hätten. Hier könne leicht Abhilfe geschaffen werden, wenn man den 8 10, Ziffer 1 des NahrnngSmittelgeseycs durch die Aufnahme folgender Be stimmung ergänze: „Als zum Zwecke der Täu schung vorgenommcn gilt eine Handlung nicht, wenn sie bestehenden und aner kannten Geschäftsgebräuchcn entspricht." Dieser Zusatz decke sich mit der Anschauung, die Vertreter des Bundcsrathes und Mitgicdcr des Reichstages bereits beim Erlasse des Gesetzes gebilligt hätten. Seien doch erst bei der Verathung im Plenum die Worte „den bestehenden Handels, und Geschäftsgcbräuchen zuwider" in Wegfall ge kommen. — Sollten einer derartigen Gesetzesänderung Bedenken entgcgcnstehcn, so bittet der Ccntralausschuß um Erlaß einer allgemeinen Anordnung, daß in den Füllen, in denen lediglich Handlungen in Frage kämen, die den anerkannten Handels- und Geschäftsgcbräuchen ent sprächen, zunächst mit öffentlichen Warnungen vorgegangen werde. Zu 3) wird auf das Bedenkliche des Umstandes hin gewiesen, daß der Chemiker, auf dessen Gutachten die An klage aufgebaut werde, regelmäßig in der Hauptverhand lung als maßgebender Sachverständiger fungirc, daß somit in gewisser Hinsicht Ankläger und Sachverständiger ein und dieselbe Person seien. Dieses Vsrhältniß gebe nm so mehr zu Beschwerden Anlaß, als sich auf dem Gebiete der Nahrungsmittelchcmic die Ansichten der Fachmänner in wissenschaftlicher Beziehung nicht selten schroff gegen überständen. Unter diesen Umständen könne der Polizei chemiker nicht als völlig unbefangen gelten; vielmehr sei er an dem Ausgange des Verfahrens insofern intcressirt, als er den Wunsch habe, daß sein wissenschaftlicher Stand punkt durch die Praxis der Gerichte bestätigt werde. Der Centralausschuß bittet daher das Ministerium, es möge auf den Erlaß einer Vorschrift hinwirken: daß bei Nah rungsmittel-Processen, die auf Anzeige derPolizei beruhen, der P o l i z c i ch c m i k e r nichtzugleich a l s L a ch v c r ft ä n d i g e r g e h ö r t werden dürfe. mm. Deutsches Reich. H Berlin, 21. Juli. sDie A r b c i t c rg r o s ch c n.j In einer Provinzialcorrcspvndcnz war ausgeführt, der zielbewusste Anhänger der Socialdcmvkratie habe für sv- cialdemokratische Zwecke an directcn Ausgaben 66.// zu entrichten ljährlichj. Dazu kämen noch die Aufwendungen für allerlei ebenfalls zur Orgauisation bestimmte ge sellige Veranstaltungen. Gerade aber hier würden die Arbeiter zu Ausgaben veranlaßt, die weit über ihre Kräfte gingen. Wenn man Alles zusainmcnrcchnc, werde man zu dem Ergcbniß kommen, daß die Arbeiter bis zu einem Viertel ihres Jahresverdienstes der Partei opfern müßten. Der „Vorwärts" meint, die socialdcmokratische Partcicasse könnte sich gratuliren, wenn jedes Parteimitglied jährlich 66 und noch mehr beistcuerte; verfüge doch die Partei über mehr als 2 Ml) NM Rctchstagswahlcr, ungerechnet die nicht wahlberechtigten Parteigenossen. Eine nette Anzahl von Millionen würde dabei hcrauskommen. Das Ccntralorgan der socialdcmokratischcn Partei macht dann eine Rechnung auf, derzusolge, wenn ein Arbeiter z. B. 73,40 für Vereins- und Casseuzwccke aufwendet, 34,50.^ davon auf die Krankenkassen, 5,04 für Invalidenver sicherung, 2,50 auf Feuerversicherung, 6 für diefrei- religiöse Gemcindc, 10 für den Gewerk- schaftsverband, 13,05 für den Berliner Local-Streikfonds und allein der Rest von 2,40 zum socialdcmokratischcn Verein kommen. Für Lectüre und Zeitung könne der betreffende Arbeiter leider nur 24,15 ./t! ausgcbeu. Was die Stcucrleistung desselben Arbeiters für den Staat betrifft, so sagt der „Vorwärts", er zahle 18 Steuern, wovon die Hälfte, 0 in die Staatskasse fließe. Wenn damit seine Leistungen für den Staat erfüllt wären, könne er wohl zufrieden sein. Leider sei das nicht der Fall. Die indirecten Steuern betrügen das Vielfache der direkten. Man könne behaupten, der Arbeiter zahle bis zu einem Viertel seines Einkommens in Gestalt von Steuern und Abgaben an den Staat, der da von allerdings einen sehr erheblichen Theil seinen vicl- gclicben Junkern in die Tasche stecke. Und wieviel zahlt der Staat, so muß man demgegenüber fragen, in die Ta s ch c der Arbeiter? Die Ausgaben für die Versicherungen allein sind doch wahrhaftig kein Pappenstiel! Der „Vorwärts" meint, daß von Allem, was der Arbeiter für Nahrung ansgcbc, fast ein Viertel als Zoll in die Staatskasse fließe. Hieraus würden zunächst die Junker, und dann zu deren Schutz gegen den innere» Feind das glorreiche Heer unterhalten, für das der Ar beiter freiwillig keinen Groschen hergeben würde. Die absichtliche Frivolität, der Dolus, der in dieser Aus machung liegt, springt sofort in die Augen. Die Unter haltung des militärischen Schutzes des Vaterlandes zu Lande uud zu Wasser kommt ebenso den „Arbeitern" wie den Junkern zu Gute. Außerdem aber dienen die Ein künfte aus den indirecten Steuern und Zöllen, die nur zum Thcil im Julande und zum nicht geringsten Theil vom Auslände aufgebracht werden, wesentlich der Unter haltung und Fortbildung der Einrichtungen, die dazu aus ersehen sind, die Schwierigkeit der Lebenshaltung des Arbeiters hcrabzumindern. Es muß eine große Unter lassungssünde von nicht zur sveialdemokratischen Partei sich rechnenden Gruppen darin erblickt werden, wenn sie dieser Thatsache bewußt oder unbewußt nicht so gerecht werden, wie cs unbedingt nothwendig ist. Jedenfalls ist und bleibt es wahr, daß der Arbeiter für die Zwecke der socialdemokratischen Partciprvpaganda viel und stellen weise m e h r ausgiebt — auszugeben gezwungen wird, als für die Tascinsvethütigung des Reiches und des Vater landes. * Berlin, 21. Juli. «Ein französisch-deutscher Rechtshilfe-Vertrag.! Es erscheint sehr be- achtcnswcrth, auch vom politischen Standpunkte, daß man sich in den juristischen Kreisen Frankreichs zur Zeit ein gehend mit der Vereinbarung eines Rechtshilfe-Vertrages zwischen dem deutschen Reiche und Frankreich beschäftigt. Von der Ucbcrzcugung ausgehend, daß die vielgestaltigen Beziehungen zwischen beiden Ländern durch eine Uebcr- cinstimmung in der rechtlichen Behandlung gewisser Fragen nur gefördert werden könnten, und von der Er- kcnntniß durchdrungen, daß die Vollstreckbarkeit _ der in beiden Ländern ergehenden Urtheile besser gesichert werden sollte, als cs nach dem geltenden Rechte der Fall ist, hat sich die Pariser Gesellschaft für vergleichende Gesetzgebung mit der Frage besaßt und den Bericht eines der hervor ragendsten Mitglieder der Pariser Rechtsanwaltschaft, Charles Lachan, gehört, der einen vollständig aus gearbeiteten Entwurf eines Staatsvertragcs über die Ge währung gegenseitiger Rechtshilfe mit ausführlicher Be gründung vorgelegt hat. Tie Kreise Frankreichs, die in Feuilleton. Deutsche Längerfelte. Ein Festblatt zum 6. allgemeinen deutschen Tängcrfeste in Graz. j26. bis 30. Juli.) Bon KurtNudolfi. Nachdruck »erboten. Eine Massenwandcrung sangesfreudiger deutscher Männer, wie sic seit vielen Jahren zu einem bestimmten Ziele und Zwecke nicht stattgcfunden hat, bewegt sich in den letzten Tagen dieses Monats nach jenem schonen Gau Deutsch-Oesterreichs, wo die Mur als rauschender Berg strom in die lachende mittclsteirische Ebene tritt und wo sich zu den Füßen des Grazer Lchloßberges jene viel gerühmte Stadt erhebt, die ein galanter Franzose nicht mit Unrecht „la villv ckes Oraeos aux iwrcks cis l'amcur" ge nannt hat. Weit über 12 000 deutsche Sänger aus allen Theilen Deutschlands, Oesterreichs und aller anderen Länder, in denen der deutsche Sang eine liebevolle Pflcgstätte ge funden hat, werden sich in der Zeit vom 26. bis »0. Juli in Graz vereinigen, um das sechste allgemeine deutsche Sängcrfest zu begehen, das sich gleichzeitig zu einer Jubel feier dcS nunmehr seit 40 Jahren bestehenden, fast alle deutschen Gesangvereine umfassenden Bundes gestaltet. Kaum eine Stadt von Bedeutung, so weit deutscher Sprache Wohllaut erklingt, wird auf dem von Heller Be geisterung getragenen Feste unvertretcu sein; und wenn die Ricscnchörc zu den ehrwürdigen, ewigen Häuptern der Alpen emporklingcn, tönt des Echos Nachhall weit hinaus in alle Lande, und weckt Accordc in den Wipfeln des deutschen Sängerwaldcs. Die deutschen Sängerfeste, ja überhaupt alle Vereini gungen, die der edlen Langcskunst huldigen, sind ein Pro duct der neuen und allerneucstcn Zeit. Es ist sehr pietät voll, wenn man bei festlichen Gelegenheiten, wie der dies maligen, die verstaubten Schemen des Mittelalters aus der historischen Rumpelkammer hervorholt und im bengalischen Lichte der Romantik, mit dem schönfärbenden Pfauenwedel kritiklosen Wohlwollens abgeputzt, als die Vorläufer der Sangcskunst von heute aufmarschiren läßt. Aber weder Tannhäuser, Wolfram von Eschcnbach, Bitcrolf und die anderen Gestalten des Längerkrieges auf der Wartburg, weder der Ritter Franeulob, noch auch der Kürenberger oder Ulrich von Lichtenstein und die übrige Schaar liebe girrender Minnesänger haben mit dem VolkSgesang, wie er heut' in Tausenden von Vereinen gepflegt wird, etwas zu thun. Sie waren in erster Linie lyrische Dichter, die ihre Lieder zuweilen mit Gesang und Harfe begleiteten oder begleiten ließen. Und was sie sangen, drang nicht hinaus ins Volk, wo es Hunberttausenden ein Labsal in der Zett des dumpfen, mittelalterlichen Drucke» hätte sein können, sondern verhallte in den Remtern und Kemenaten einer fürstlichen Hofburg in den exclusiven Kreisen von Hofleuten, Rittern und Ritterfrauen. Der deutsche Männergcsang von heute ruht dagegen auf den breiten Fundamenten der Allgemeinheit, und nicht einmal der Meistergesang des deutschen Handwerkerstandes vom 14. bis 17. Jahrhundert, der ebenfalls mehr Dicht kunst als Gesang war und an Berskünstelei und Ver gewaltigung der Sprache das Erdenklichste leistet, kann ihm an die Seite gestellt werden. Die ersten nachweisbaren Spuren von Männergesang vereinen deren Zweck nächst dem Liede auch die Pflege der Geselligkeit war, finden wir erst im 17. Jahrhundert. In der allzeit sangesfrohen deutschen Schweiz, und zwar in Sanct Gallen, wurde im Jahre 1620 die „Singgesellschast zum Antlitz" gegründet, und im Jahre 1673 entstand in Greiffenberg in Hinterpvmmern ebenfalls ein Männer gesangverein. Im darauf folgenden Jahrhundert schien es, als ob England eine Heimstätte germanischen Sanges werden sollte, da um diese Zeit dort zahlreiche Vereine: Catchclub, Glceclub, Madrigal-Society u. s. w. aufblühten. In Deutschland setzte die Entwickelung jedoch erst vor 00 Jahren ein, und zwar mit der im Januar 1809 in Berlin durch Zelter erfolgten Gründung eines Männcrgesang- vereins, der sich nach seinem Stifter nannte. Dieser Verein nahm nur Compontsten, Berufssänger und Dichter als Mitglieder auf, uud unter Beschränkung auf solche ent standen auch in Frankfurt a. O. und Leipzig im Jahre 1815 die ersten Liedertafeln. Inzwischen hatte der Schweizer Componist Nägeli, von dem die Melodie des millionenfach gesungenen Liedes „Freut Euch des Lebens" stammt, von dem richtigen Ge danken des „Singe, wem Gesang gegeben" ausgehend, im Jnni 1810 in Zürich den ersten Männergcsangverein ge gründet, dem jeder vorwurfsfreie deutsche Mann beitreten konnte, der Lust und Anlage zum Singen in sich entdeckt zu haben glaubte. Auch in Berlin emancipirte man nch von der Abgeschlossenheit der Zelter'schen Liedertafel durch die von Berger und Klein im Jahre 1819 gegründete „Jüngere Liedertafel", -er bald ähnliche Gründungen in Königsberg, Magdeburg und Breslau folgten, während nach dem Leipziger Borbtlde im October 1821 die Gründung der Dessauer, und bald darauf die der Göt tinger und Hamburger Liedertafel folgten, und in Thü ringen sich zu Weida in Sachsen-Weimar der erste Ge sangverein constttuirte. Während dergestalt in Norddeutschland das SangeS- wesen, von Männern der Kunst und der Wissenschaft aus gehend, verhältnitzmäßig langsam aufblühte, vollzogen sich die Gründungen in der Schweiz und dem benachbarten Süddeutschland in schneller Folge. Besondere Verdienste erwarb sich um die Pflege des deutschen Liedes der Pfarrer Wcishaupt, der 1824 den Appenzeller Männerchor stiftete. Da- erste am 4. August 1825 zu Speicher gefeierte Gesangs fest diese» Vereine» wurde fyr die weitere Entwickelung dadurch bedeutungsvoll, daß die an demselben theilnehmen- den Länger die Einigung sümmtlichcr Gesangvereine von den Ufern des Züricher Sees zn einem größeren Verbände beschlossen, der sein erstes Fest bereits am 17. April 1826 zu Meilen abhiclt. Seit der 1824 erfolgten Gründung dcS Stuttgarter Liedcrkranzes blühten auch in Süddcutschland, besonders im sangesfrohen Schwaben, in großer Zahl die Lieder tafeln auf, die ihr erstes gemeinsames Fest Pfingsten 1827 in Plochingen abhicltcn, während im benachbarten Baden erst im Jahre 1844 eine derartige Feier zu Karlsruhe zu Stande kam. Besonders ehrenvoll waren die Debüts der rheinischen Gesangvereine. Der in Frankfurt 1828 gegründete Lieder kranz brachte cs bald zu einer hervoragcnden Stellung und erwarb sich das große Verdienst, daß er 1838 aus den Ueberschüssen eines Musikfestes die Mozartstiftung be gründen konnte, die an hoffnungsvolle musikalische Talente zwecks Studiums der Compositionslehrc auf je 4 Jahre verliehen wird. Dem schon in den zwanziger Jahren ge gründeten Aachener Verein dagegen war es beschicken, durch einen bei einem Brüsseler Wettkampfe errungenen Sieg dem deutschen Liede auch im Auslände Anerkennung zu verschaffen, während der Kölner Männcrgcsangvercin siegreich sein Panier nach England trug. Der in Reval 1823 gegründete „Singverein" war der erste auf russischem Bode«, dem 10 Jahre später ein zweiter in Riga folgte. In Oesterreich ging es derweil noch ganz still zu. Die neu erwachte Regsamkeit des deutschen Geistes war, auch wenn sic sich in harmlosen, von reiner Freude an der Kunst getragenen Liedern äußerte, nicht nach Mctternich's Geschmack, der, wo immer drei Deutsche bei einem Becher Weins ein frohes Lied sangen, Gefahr und Hochverrath witterte. In dem Heimathlandc der großen musikalischen Gentes, wie Mozart, Haydn und Schubert, wurde erst 1843 als erster von August Schmidt der Wiener Männergcsangverein ins Leben gerufen, dem im Jahre 1846 der der heurigen Feststadt Graz folgte. Die Tendenz, sich zu größeren Corporationen zu ver binden, die das moderne Leben beherrscht, machte sich auch unter den Gesangvereinen bemerkbar, die sich bei gelegent lichen Ausflügen mit ihren Nachbarn verbrüderten und in dauernder Verbindung zu bleiben wünschten. Man verbündete sich also und schritt zu gemeinsamen größeren Aufführungen. Anfangs war der hierfür aufgcbotenc Apparat ein denkbar einfacher und die Feier beschränkte sich nur auf die Dauer eines Tages. Aber bald erweiterten sich die Festprogramme so, daß sie nicht mehr an einem Tage erledigt werden konnten; ans Hunderten von Theil- nehmcrn wurden Tausende, denen die Bevölkerung der gastfreien Feststadt freudige Aufnahme bereitete. Die Ein nahmen wurden reichlicher; die Feste prunkvoller. Man erbaute für die Aufführungen großartige Hallen und suchte dem Festzuge durch fliegende Vercinsbanner und historische Gruppen ein besonder» künstlerische» Gepräge zu geben. I Gleichzeitig wurden die Feste zu Brenupuueren der nationalen Begeisterung, die sich in der vvrmärzlichen Zeit anderswo nicht bethätigen konnte. Zu besonders stürmi schem Ausdruck kam sie in den Elbherzogthümern Schles wig und Holstein, wo man im Liede zum Kampfe gegen das Dänenthum anseuertc und ivo auf dem Gciangscstc zu Schleswig 1844 das berühmte Lied „Schleswig-Holstein, mccrnmschlungcn" geboren ward. Andere großartige Feste fanden in diesen Jahren auch zu Würzburg, Lübeck, Gent, Köln, Cleve und Brüssel statt. Dann aber trat in Folge der Ereignisse von 1848/49 ein plötzlicher und anhaltender Stillstand ein. Erst im Jahre 1860 wurde gelegentlich des vom Co burger Sängerkranz veranstalteten Festes ein allgemeines Fest in Nürnberg beschlossen, das im darauf folgenden Jahre auch gefeiert wurde und zur Begründung eines „Allgemeinen deutschen Sängerbundes" führte, der eben jetzt in Graz sein sechstes Fest feiert. Ausweislich des Jahresberichtes von 1899 gehören diesem 68 Einzclver- bändc mit 3462 Vereinen und 100 470 Länger an, während die mit ihm verbundene Sängerbundstiftung über ein Ver mögen von 160 000 .4! verfügt, aus dessen Zinsen Ehren gaben für bedürftige Männergesangscompvnisten oder deren Hinterbliebene vcrthcilt werden. Der Verein, der sich im Jahre 1862 in Coburg cvnstituirte, hat bisher fünf große Feste, nämlich 1865 in Dresden, 1874 in München, 1882 in Hamburg, 1890 in Wien und 1896 in Stuttgart ge feiert, zu denen die Sänger nicht nur aus Deutschland und Deutsch-Oesterreich, sondern aus allen Wcltthcilen, wo Deutsche wohnen, herbciciltcn. Brachten diese Feste einst die Wünsche de? nationalen Sehnens zum Ausdruck, so spiegelt sich in ihnen heute vor Allem die Freude am Erreichten. Mit Recht paßt auf ihr Streben der Festgruß von Felix Dahn, in dem cs heißt: Man lebt vom Brode nicht allein und nicht allein vom Eisen; Man braucht zuweilen goldnen Wein, zuweilen goldnc Weisen. Für jenen wird der alte Rhein noch sorgen eine Weile: Daß deutsches Lied nicht roste ein — sorgt Ihr an Eurem Thcilc. Und taugen Euch die neuen nicht — nicht alle sind sie bieder — So singt, ch' Euch der Sang gebricht, die alten immer wieder I Von wahrer Lieb', von klarem Wein, von treuer Freundschaft Bande, Vom WaldeSgrün, vom Frühlingsschcin und — stolz — vom Vatcrlande, Denn ist auch nicht durch s Singen grad' das Vaterland genesen, Nt doch ein tapfrer Kamerad das deutsche Lied gewesen. Und dräuen Feinde um und um — soll's unS zum Schweigen bringen? Die Angst ist still; die Furcht ist stumm; der frohe Muth will singen! Fa! trotz der Feinde Hohn und Spott soll laut gesungen werden: Jni Himmel lebt der alte Gott und deutsche Kraft auf Erden.
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