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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020710029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902071002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902071002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderung 00.—, mit Postbesürderung 70.—. Äuvahmeschluß für Anzeige«: Ab end-Ausgabe: Vormittag- 10 Ahr. Morgen Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr, Anzeige« sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bi- Abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 86. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. Juli. Das socialdemokratische Parteiblatt sucht neuerdings Mieder mit der Behauptung zu Hetzen, daß in Deutschland die vermögenden Schichten der Bevölkerung viel zu wenig besteuert, dagegen die breiten Massen durch die Ver brauchssteuern ungebührlich belastet würden. Wie es dabei verfährt, mag an folgenden Beispielen gezeigt werden: Das Blatt erhebt schwere Vorwürfe gegen die deutsche Finanzwirthschaft aus dem Grunde, weil neben den Vcrbranchsabgaben im Reiche auch von den Einzel staaten noch 77 Millionen Verbrauchssteuern erhoben würden. Diese Angabe ist aber völlig irreführend. Die meisten Bundesstaaten erheben überhaupt keine Ver brauchssteuern. In der Hauptsache sind cs nur die drei süddeutschen Staaten und Elsaß-Lothringen, welche für eigene Rechnung Verbrauchssteuern, und zwar vornehm lich die Vraustener erheben. Aber in diesen Staaten werden die Verbrauchssteuern nicht eben einer ent sprechenden Rcichsabgabe erhoben, vielmehr fließt die Bicrsteuer ausschließlich in die Casse der Bundesstaaten, und diese entrichten dafür nach dem Matricularfuß Aus- gleichsbeträge an das Reich. Weiter wird darüber ge klagt, daß in Deutschland nur 22 Millionen Mark Erb schaftssteuer aufkommcn. Im Vergleich mit Krankreich oder England würden auf diese Weise den Reichen nicht weniger als 120 bis 130 Millionen Mark im Jahre ge radezu geschenkt. Auch hier ist die Gegenüberstellung des Ertrages der deutschen Erbschaftssteuern mit den englischen oder französischen völlig irreführend. Die Steuersysteme der deutschen Bundesstaaten sind bekanntlich überaus viel gestaltig, und in ihnen spielt demzufolge die Erbschaftssteuer eine sehr verschiedene Nolle. Manche Staaten erheben überhaupt Erbschaftssteuern nicht, oder, wie Preuße», nur solche von Erbschaften, welche nicht an Dcsccndenten oder Ascendeuten fallen, wieder andere, wie Elsaß-Lothringen und Hamburg, besteuern alle Erbschaften und erzielen aus der Erbschaftssteuer eine verhaltuißmäßig hohe Einnahme. In den Steuersystemen dieser beiden Bundesstaaten ist, wie in Frankreich und Großbritannien, die E r b s ch a f t s- steuer die einzige Form -er Besteuerung des Vermögens. In anderen Bundesstaaten aber wird ein Theil der Steuer direct nach dem Vermögen um gelegt, so namentlich in Preußen durch die Ergänzungs steuer. In Sachsen ist bekanntlich die Ein führung der Vermögenssteuer für 1904 vorgesehen. Will man daher französische und englische Steuer verhältnisse in Vergleich mit unseren stelle», so wird man z. B. in Preußen nicht die Erbschaftssteuer mit einem Er trage von 10 Millionen Mark allein der britischen und der französischen Erbschaftssteuer gegenüberslelleu dürfen, man wird vielmehr Erbschafts- und Vermögenssteuer zu sammen mit einem Ertrage von über 44 Millionen Mark zu jenen fremdländischen Stenern in Vergleich stellen müssen. Es ist klar, daß die Ergebnisse des Vergleiches dann ganz anders ausfallen werden, als nach dem social demokratischen Exempcl. Man wird vielmehr anerkennen müssen, daß auch in den meisten deutschen Bundesstaaten die Vermögen, mit Ausnahme der ganz kleinen, zur Genüge hcrangezogen werden. Geradezu lächerlich aber ist es, wenn das svcialdemokratischc Blatt auch noch darüber jammert, daß durch die Schutzzölle auf Holz und sonstige Erzeugnisse der Landwirthschaft die Ein künfte der Bundesstaaten aus ihrem Forst - uud D v - man en besitze vergrößert werden. Diese Mehrein nahmen kommen doch -er Gesammtheit der Steuerzahler zu Gute, welche, wenn jene fehlen, den Ausfall in Fon» von Steuern zu tragen haben würden. In den thüringi schen Kleinstaaten bildet der Ertrag der Staatsforsten be kanntlich eine der Haupreinnahmequellen. Würde dieser Er trag durch Beseitigung dcsZvllschutzes erheblich vermindert, so würden diese Staaten genöthigt sein, ihre ohnehin schon auf das Aeußerstc angespannten Einkommensteuern noch weiter beträchlich zu erhöhen, und zwar würden dann diese Staaten sämmtlich schon jetzt genöthigt sein, auch die ganz kleinen Einkommen zur Eiukommcnbestencrung heranzu ziehen, worunter die breiten, wenig wohlhabenden Schichten der Bevölkerung schwer zu leiden haben würden. Diese ganzeHetzcampagne ist daher auf durchweg unwahre Behauptungen hin unternommen, und es genügt, sie an der Hand der wirk lichen Thatsacheu zu beleuchten, um ihre völlige Richtig keit darzuthun. Nachdem es den Anstrengungen des Centrums geglückt war, im Licber'schen Wahlkreise St. Goarshausen die Eau- didatur deö klerikal-büudlcrischen Herrn v. Grabergzu hintertreiben, schien cs, als ob der Bund der Landwirthe überhaupt auf eine Eandidatur verzichten würde. Nun mehr ist aber, wovon schon kurz Notiz genommen, doch noch in der Person eines Herrn Brand eine eigene bünd- lerische Eandidatur ausgestellt worden, die als vierte zu den drei Eandidatureu der Natiouallibcralen, des Cen- trums und der Socialdemvkraten hinzutritt. Die Cau- didatur Graberg hätte dem Eeutrnm sehr gefährlich wer den können, denn als Katholik, Anhänger der Ccntrums- partci und Vorsitzender eines katholisch-agrarischen Ver bandes im Wahlkreise hätte Herr v. Graberg sicherlich eine große Anzahl katholischer Stimmen für sich gewonnen und dem ofsiciellen Eeutrumscandidatcn Dr. Dahlem erheb lichen Abbruch gethan. Mit der Eandidatur Brand aber sieht es ganz anders aus. „Husarenrittc" des Bundes der Landwirthe in klerikale Wahlkreise haben bisher noch keine Erfolge gezeitigt. Selbst wenn der Bund der Land wirthe, wie die Eentrumspresse behauptet, in diesem Wahl kreise sich der Protection eines Landraths zu er freuen haben sollte, so würde auch dies ihm nicht viel nützen, denn als im Jahre 1893 in Ceutrums- wahlkrcisen militärfrcundliche Eandidatureu von der Negierung unterstützt wurden, hat das Centrum dennoch keinen Nachtheil dadurch gehabt. Im Gegcnthcil: bei der etwas demokratisch angehauchten Be völkerung des Nassauer Ländchens kann es für das Ccn- trum unter Umstünden förderlich sein, wenn einer seiner Gegner sich gouvcrnemcntaler Protection erfreut. So kann die bündlcrische Eandidatur aller Voraussicht nach also nur den Erfolg haben, daß die bürgerlich-evangelische Bevölkerung des Wahlkreises sich spaltet und zum Theil für den nattonallibcralen, zum Theil für den bündlerischen Eandidaten stimmt. Da die evangelische Bevölkerung in diesem Wahlkreise ohnehin die „geborene Minderheit" ist — kaum 40 Proccut gegenüber mehr als M Procenr Katho liken —, so crgiebt sich klärlich, daß angesichts der durch den Bund der Landwirthe in die evangelische Bevölkerung lnneingctragcnen Spaltung die Möglichkeit, den Wahl kreis dem Eentrum zu entreißen, auf Null reducirt wird. In den Augen deS Eentrnms spiegelt sich die durch die bündlcrische Eandidatur geschaffene Lage laut „Germania" folgendermaßen: Diese Nachricht (von der Aufstellung der Eandidatur Brand- Netzbach) kann uns nicht mehr überraschen. Bekanntlich haben sowohl Herr b. Graberg als auch die „Rheinische Volksstimme" dem Bunde der Landwirthe nahegelegt, die Eandidatur deS Herrn >vr. Dahlem zu unterstützen, da dieselben die Ueber- zeugung gewonnen hatten, daß der Centrumscandidat den agrarischen Bestrebungen der christlichen Bauernvereine am nächsten stehe. Die „Dtsch. Tagesztg." hat dieses Ersuchen von den beiden ihr befreundeten Stellen zunächst in ausreichender Weise zurückgcwiesen, wobei aber zugleich in einer nicht mitz- zuverstchenden Weise die Mitglieder des Bundes der Land wirthe darauf hingcwicsen wurden, was sic ihrer „Würde" schuldig seien. Nun folgt darauf seitens der Leitung des Bundes der Landwirthe, wohl nicht ohne Einvernehmen mit dem Berliner Gencralcommondo desselben, die Abweisung in brüsker Form durch Aufstellung einer Sondcrcandidatur, ob wohl dieselbe vollständig aussichtslos ist. Aber sic richtet sich gegen das Ccntrum, und damit bleibt der Bund der Landwirthe seinen Tendenzen wie seiner Vergangenheit treu. Werden den katholischen Landwirthcn, die bisher mit dem Bunde der Landwirthe geliebäugclt haben, nicht cndlichdieAugenaufgchen? Im englischen Oberhause hat der Erste Lord der Admi ralität Earl vf Selborne über die Ueberflügelung Englands im Bau von Schnelldampfern Mit- theilungen gemacht, die durch ihre Unrichtigkeit bei dem ersten Beamten der Admiralität, also einem hervorragen den Sachverständigen, wahrhaft überraschen müssen. Lord Selborne sagte, das Zurückbleiben Englands im Bau sehr schneller Dampfer sei darauf zurückzuführcn, daß die aus wärtigen Staaten Staatsnntcrstützungcn in einem höheren Betrage zahlten, als sie England je in Erwägung gezogen habe,' solche Schiffe machen sich in commerzicller Beziehung nicht bezahlt und brauchten deshalb staatliche Zuschüsse. An dieser Erklärung ist einfach Alles grundfalsch; Deutsch land, tms hier allein in Betracht kommen kann, zahlt für seine Schnelldampfer keinen Pfennig Staatsuntcrstützung, auch nicht die Kreuzerprämien, die sich in England auf fast B/2 Millionen Mark belaufen; die englische transatlan tische Schifffahrt wird also vom Staate weit besser unter stütz!, als die deutsche. Selborne irrt ferner, wenn er incint, daß solche Schiffe — er zielt auf die neuen deutschen Schnelldampfer — sich in kommerzieller Beziehung nicht bezahlt machten und deshalb Zuschüsse brauchten. Wenn die Schiffe sich nicht bezahlt machten, so würden unsere großen Linien das wohl nach dem Bau des ersten großen Schnelldampfers „Kaiser Wilhelm der Große" sehr rasch erkannt haben und davon Abstand genommen haben, neue Bestellungen zu machen. Gerade auf das commerzielle Er- gebniß hin hat man aber die anderen Dampfer derselben Bauart, „Kronprinz" und den demnächst vom Stapel laufenden „Kaiser Wilhelm II.", bestellt, Bestellungen, die unsinnig wären, wenn man dabei nicht auf die Kosten käme. Darüber sollte eigentlich ein Erster Lord der englischen Admiralität unterrichtet sein. Bekanntlich ist jetzt in Südafrika die Arbeiterfrage ziemlich schwierig geworden. Man findet keine farbigen Arbeiter für die Minen, die Vereinigung der einzelnen Arbeiter giebt sich zwar alle Mühe, Arbeitskräfte zu be schaffen, allein es ist kein Angebot da, und schon denkt man an Einführung von Chinesen rc. Bisher widerstrebt man dieser Anregung überwiegend aus politischen Gründen und will nicht früher gelbe Arbeiter verwenden, als bis sich alle anderen Maßnahmen als unwirksam erwiesen haben. Vor läufig kann man trotz aller Bemühungen der Interessenten, neue Arbeitskräfte heranzuriehen, eher eineVerminderung der Minen arbeiter feststellen. Die letzte Hoffnung der Goldindustrie ist auf die durch Auslösung des Heeres allmählich frei werdenden Arbeitskräfte gerichtet. Wenn man auch nicht annimmt, daß diese durchweg für die Tbätigkeit in den Bergwerken in Frage kommen können, so hofft man doch, daß sie bei Unterneh mungen unterkommen werden, die gegenwärtig mit den Minen auf dem Arbeitsmarkt in Wettbewerb stehen. ES ist dagegen freilich zu bemerken, daß in Ländern mit farbiger Be völkerung nicht qualificirte Arbeit von den Weißen als unler ihrer Würde betrachtet wird, und daß der weiße Arbeiter einen Tagelohn von fünf Schilling erhält, während die Minenkammer beschlossen hatte, den eingeborenen Arbeitern einen Tagclohn von einem Schilling bis einen Schilling und zwei Pence zu bewilligen. Es liegt auf der Hand, daß die auch von Lord Kitchener warm empfohlene stärkere Ver wendung von Weißen in den Minen für die politische Ent wicklung des Landes von höchster Bedeutung wäre, aber sie vertheuert die Productionskosten so erheblich, daß man sich schließlich doch wohl zur Einstellung gelber Arbeiter ver stehen wird. Die schlechte Börseulage der Goldwerthe ist zum Theil mit auf die Arbeiterfrage zurückzuführen. Deutsches Reich. Berlin, 9. Juli, lieber die politische Lage, unter Berücksichtigung der Aussichten deS Zolltarifgesetzes, äußern die „Mittheil. f. d. VertraunSm. d. nat.-lib. Partei" sich wie folgt: „Unter welchen Zeichen diese Neuwahlen sich vollziehen werden, läßt sich heute noch nicht sagen. Der Schimmer einer Hoffnung, daß bis dahin die Grundlagen der künftigen HandrlLvertragspolitik im neuen Zolltarif geschaffen und die Umrisse der neuen Tarif verträge mit den Festlandstaaten sichtbar geworden sind, ist ja noch immer vorhanden. Aber die Schwierigkeiten, die hierbei zu über- winden sind, haben sich im Laufe der letzten Monate kaum vermindert. Insbesondere ist beute wie seit Jahren die Sachlage insofern un- verändert, als dem Torifwerk nicht nur eine oppositionelle Gruppe im Wege steht, die grundsätzlich jeden Ausbau de- Schutze» der nationalen Arbeit verwirft, sondern eine ebenso starke, vielleicht noch mehr verbitterte Gruppe auf der entgegengesetzten Seite, die das Maß des Mehrgebotenen an Schutz für die landwirthschastlichrn Er zeugnisse für so unzulänglich erklärt, daß sie lieber gar nicht- als diese „kümmerliche" Gabe entgegennehmen will. Bleibt es dabei, daß das Tarifwerk den Kampf gegen zwei so intransigente Gruppen bestehen soll, so ist an eine erfolgreiche Durchführung dieses Kampfes nicht zu denken. Die Mittelparteien werden nicht ermüden wollen, im Lande die Idee der Verständigung zu vertreten. Aber sie werden klug thun, sich auf die erheblich größeren Schwierigkeiten vorzu bereiten, die im Innern daraus entstehen müssen, wenn ans der mittleren Linie eine ausreichend starke Vereinigung von besonnenen WirthjchaftSpolitikern aller Parteien nicht herbeizuführru ist." /?. Berlin, 9. Juli. (Noch einmal die Wahl in Bayreuth.) Wir haben bereits auf die große (um es höf lich auszudrückcn) Oberflächlichkeit der socialdemokra tischen Beurt Heilung der Bayreuther Ersatzwahl bin- gewiesen. Die „Sachs. Arbeiterztg." und der „Vorwärts" liefern einen erneuten Beweis dieser Oberflächlichkeit, indem sie behaupten, aus dem amtlichen Wahlergebnisse gehe her vor, daß bei den Freisinnigen die Entscheidung Feuilleton. Susanna. l4, Roman von B. Herwi. Nachdruck Unbotm. Drittes Capitcl. Kurze Zeit daraus wurde im Stadttheater von Königs berg ein neues Schauspiel von Franz Bärcnyolm gegeben. Der eifrig strebende Schriftsteller hatte inzwischen viele schöne Erfolge zu verzeichnen gehabt. Seine Arbeiten waren originell, zum Theil wirkten sie sensationell, dem modernen Strome folgend, der manche herrschenden Mächte, die Einen nannten sie „Götzen", die Anderen „Ideale", entthronte und mit sich riß, mit elementarer Gewalt. Was an ihre Stelle gesetzt wurde, waren ost nur Zerrbilder der Wahrheit, Phantome, jede Phantasie tödtcnde, naturalistische Gebilde. Bärcnholm, stets von seiner Klugheit geleitet, war einer der gemüßigten Neueren, der mit echtem dichterischen Sinn die actuellcn Momente erspürte, sic in packende, dramatische Form brachte, und ein großes Publicum, ohne cs zu ver letzen, dafür zu interessircn wußte. Das frisch fluthcnde Leben der Gegenwart gab ihm seine Stoffe, bei den Franzosen hatte er feine Technik un gemein verbessert, das neue Stück: „Nina Welten", sollte seine Erstaufführung in der Provinz erleben, ehe es den zu erhoffenden Sicgeszug durch die Hauptstädte antrat, der Dichter war selbst nach Königsberg gekommen, nm die letzten Proben zu leiten und der Vorstellung beizuwvhncn. Die im Publicum bekannt gewordene Anwesenheit des berühmten Dramatikers steigerte natürlich die ohnehin ganz hervorragende unruhige, sonderbare Bewegung im Hause, eine Bewegung, die gewöhnlich sogenannten inter essanten Premieren vorangeht. Das Theater war übervoll. Fröhliches Plaudern, lebhaftes Begrüßen, erwartungs volles Summen, Fächcrschlagen, Räuspern, dazwischen das Stimmen der Instrumente, Blnmenduft, Musterung der Toiletten, nun Aufklopfcn des Stabes . . . das Plaudern verstummt allmählich, die kleinen Dialoge: „O wie interessant wird es sein . . „Ob er vorgerufen werden wird . . ." „Es soll ein so schöner, blonder Mann sein" — ver stummen, ein kurzes, musikalisches Vorspiel, dauu geht der Vorhang auf. Kurz vorher waren Lessens in die große Prosccniums- loge eiugctretcn. Die alten Napsaucr Herrschaften mit Grita nahmen die Vordcrplätze ein, hinter ihnen saßen Achim, Kürst Nicolai und Friedrich von Lessen, der junge Vetter, der zu seinem großen Mißvergnügen bemerkte, daß Rosa und Elsbeth nicht mitgekommen waren. „Das wäre riskant gewesen beim Stück eines Mo dernen", hatte die Mutter auf sein Bedauern erklärt, „wenn es sich für die Kinder paßt, sollen sic es ein ander mal sehen." Die Handlung begann bald zu fesseln. Der geistvolle, junge Kritiker der maßgebendsten Zei tung saß mit hochgezvgenen Augenbrauen, die fein ge schnittenen Züge gespannt, lauschend da ... . „Prächtig aufgebaut", nickte er vor sich hin, „Disposi tion, Eypvsition ganz brillant . . Behaglich lehnte er sich zurück. Und behaglich, begierig, erwartungsvoll schauten auch die Anderen, hörten andächtig, theils erregt, theils sich be herrschend, sahen, wie sich dort auf der Bühne vor ihnen beim Lampenlicht ein Stück Menschenleben abspiclte, das augenscheinlich der kalten, klaren Wirklichkeit entnommen war, und den Verstand, wie das Gemüth gleichzeitig an regte. Nina Welten, ein junges, schönes, begabtes Mädchen, stand im Mittelpunkte der Handlung. Ihre Mutter, eine ehemals berühmte, alt gewordene und abenteuerlich angelegte Schauspielerin, war mit Nina und dem Neste ihres Vermögens nach der Riviera ge fahren, um letzteren, wenn möglich, bedeutend beim Spiel zu vergrößern und die Tochter durch eine glänzende Partie so vortheilhast wie möglich zu versorgen. Fortuna schien ihr nicht günstig gesinnt, aber auf Nina s holde, jungfräuliche Anmuth hatte sic nicht ver gebens gerechnet, ein österreichischer Gras verliebte sich in sie und trug ihr seine Hand an. Die immer mehr zn Tage tretende Unwürdigkeit der Mutter machte es der vor nehmen Familie unmöglich, ihre Einwilligung zu geben, der junge Gras wurde aus Reisen geschickt, das Verlöbniß gelöst, vor den Augen der Welt mit Leichtigkeit, denn Nie mand ahnte die Forderungen der Mutter, welche nach der stattgehabtenKatastrophe in einem Meere von Geld zn schwimmen und durchaus keine Spur von Aerger zu em pfinden scheint. Nina bekümmert, aber ahnungslos, bis ein Zufall i>r das Geheimniß des neuen Reichthums enthüllt . . . Su- sanna's Schicksal in veränderte Sphäre gelenkt, statt des leichtsinnigen Stiefvaters die genußsüchtige Mutter, statt des cingehandelten Geldes eine überaus kostbare Perlen schnur, hier wie dort der schmähliche Handel hinter dem Rücken des armen Mädchens abgeschlossen, hier wie dort innere, seelische Kämpfe, aber Nina kann Snsanna's ein fache Größe, muthige Energie nicht erreichen, ihre Lebens auffassung führt sie anderem Schicksal entgegen. Die Scene des dritten Actes, in welcher Nina erfährt, wie die Mutter an ihr gehandelt, war der Höhepunct des Schauspiels. Da gab es Hcrzeustöne von so wunder barer Naturtreuc, von so packender elementarer Gewalt, Sccnen vou so überwältigender Wahrhaftigkeit, daß die Zuschauer völlig cnthusiaSmirt waren und die entzückende Vertreterin der Hauptrolle, sowie den Dichter immer wieder hervorjubelten. Bärcnholm hatte nicht umsonst nach der Natur studirt, treue Beobachtung, musterhaftes Wiedergebcn hatten ihm zu dem Erfolge verhalfen. Der Dichter ging auf keinen versöhnenden Schluß aus, er zertheilt die sich verdichtenden Wolken nicht, die Schwäche des jungen, strebenden Weibes wird zur Muthlosigkcit, zur Verzweiflung — der Mutter, die nach reuevoller Zeit ihr armes Kind sucht, wird dasselbe ins öde Haus ge tragen, leblos aus den Fluchen gezogen, verloren für immerdar! Leise herabrieselnde heiße Thränen, lautes Weinen .. . bedeutsame Nervenzerrungen, die sich Überall bemerkbar machten, dann — wie ein tiefes Athcmholen — einen Augenblick Stille, der ein lebhafter Applaus folgte. Nur hier und da hatte der tragische Schluß Mißbilligung hervorgerufen. Besonders waren eS Damen, die sich mit dem unbe friedigenden Ende nicht einverstanden erklärten, da eS doch so leicht gewesen wäre, Alles versöhnend ausklingen zu lassen. . . Den tieferen Sinn des Stückes, sein Inhalt, der sich mit Erlebtem deckte — nur die Wenigsten konntcn's be- greifen und verstehen. In der Residenz hätten die Bühncnereigntfsc ja ganz anderes Interesse hervorgerufen, e- war ja auch Bären- holm's Absicht gewesen, eine Art Ehrenrettung für «u- sanna zu schreiben, und niemals hatte die Aufführung eines seiner Dramen ihn so mächtig erregt, wie beute. Fürst Nicolai, den die Aufführung al- Eingeweihter ebenso erschüttert hatte, wie die LessenS, sprach im Zwischenacte dem darüber hocherfreuten Dichter seine Bewunderung aus, durch ihu erfuhr Bärcnholm von der Anwesenheit der Familie, auf deren Kommen er aller dings gerechnet hatte. — Achim s Interesse wuchs von Scene zu Scene, schließlich erregte ihn die Entwickelung des Schauspiels derart, daß er sich ganz iu den Hintergrund der Loge flüchtete und dort in heftiger Leelcnqual das Stück verfolgte. Ein Gefühl — aus Abneigung und Dankbarkeit ge mischt — bemächtigte sich seiner, wenn er Bärenholm's ge dachte. Ging das nicht über die Befngniß des Dramatikers hinaus, Situationen auf die Bühne zu bringen, die das wirkliche, nackte, unbarmherzige Leben in seinem echten Realismus gezeitigt'? War es denn nicht Susanna, seine nie vergessene, so schwer ausgcgebenc, süße, arme Susanna, die dort stand, betrogen und verachtet, und so unschuldig dem wilden Strome preisgcgeben, seine nie vergessene, holde Braut, die mit gebrochenen Klügeln hilflos zur Erde sinken mußte, nachdem sie ihn gerufen, anfangs wie aus nächster Nähe, dann wie aus weiter, weiter Kerne? Und war es nicht, als schauten die Leute zu ihm hinauf in die Loge, als ahnten und wüßten sie den Zusammenhang, als fragten, als drohten sie? . . ." Dann hörte er Weinen, Schluchzen, dann sah er, wie Grita's blonder Kops sich neigte, wie sic die Augen tu dem fciueu Tuche verbarg, wie die Schultern convulsivisch zuckten. Aber ehe der Vorhang sich gesenkt, hatte sic sich schnell erhoben, war an seine Seite getreten, dort in der dunklen Ecke, in die kein Blick dringen konnte, in dieser Stunde mußte er Alles, Alles wissen. Wie wenig war cs, und wie bedeutsam, wie gewichtig jedes Wort. „Achim", sagte sie leise und schlang den Arm um seinen Nacken, „Achim, das Schauspiel, das Deinem Leben eine so große Wendung gegeben, endet anders, wie jenes auf der Bühne. Unsere Snsanna ließ sich vom Geschick nicht beugen, sic trug schwer an der unverdienten Last, aber ihr reiner Sinn, inre Liebe zur Arbeit, das heiße Streben, die Schuld deS Anderen durch eigene Kraft zn sühnen, das hielt sie aufrecht. Bärenholm wollte sie heute vcrthcidigen, aber sein Schluß ist schwach. Unsere Susanna lebt, lebt, Deiner würdig, mein Achim. . ." „Grita, Tu weißt von ihr? . . ." Er neigte seinen glühenden Mnnd auf die Hände der Schwester. „Ja, Achim, ich weiß eS, seitdem ich damals mit Euch
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