02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020711020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902071102
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902071102
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
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- Tag1902-07-11
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Zur Orientirung seien die wichtigsten Stellen des Artikels hier abgedruckt: „Mit einer überraschenden Plötzlichkeit ist die Idee einer etwaigen Veräußerung unserer ostafrikanischen Besitzungen an England an die Oesfentlichkeit getreten, also einer Thatjoche, deren Ausführung Las englische Reich in Afrika von der Nilmündung bis zum Cap der guten Hoffnung vollenden und damit Englands Macht ungeheuer er- weitern würde. Ziemlich gleichzeitig ist dieser Gedanke von zwei verschiedenen Seiten zur Erörterung gebracht worden. Die Meinung, daß wir vor einer colonialen Krisis ständen, wenn im Herbste die ostafrikanische Eisenbahn wieder vom Reichstage abgelehnt werden sollte, was bei der Stellung des Centrums zu dieser Frage sehr wahrscheinlich ist, findet besorgte Vertreter in parlamentarischen wie colonialen Kreisen. Wir können nur hoffen, Laß in dem drohenden Hinweise auf den etwaigen Verkauf einer unserer aussichtsvollsten Colonien nichts weiter als eine Verwarnung an den Reichstag oder ein Appell an das deutsche Volk liegen soll, seinen Vertretern das nationale Gewissen zu schärfen. . . . Und nun, wo wir zu hoffnungsvollen Anfängen einer colonialpolitischen Thätigkcit gekommen sind, sollten wir in einen Handel, bei welchem wir eben so wie vor zwölf Jahren der übervortheilte Partner sein würden, von dem Wenigen, was wir haben, noch eins der besten Stücke hingeben? . . . Wir können nur vom Standpunkte Les nationalen Interesses aus hoffen, Laß der Reichstag die Vorlage über die ostasrikanische Bahn im Herbste bewilligt und daß infolge dessen von einer Veräußerung Deutsch«Ostafrikas ernstlich überhaupt nicht mehr die Rede sein wird. Es wäre ein Jammer, wenn Dentschland sich in seine europäischen Grenzen verkröche, wie eine Schnecke in ihr Haus, wäh rend der Union Jack in einem Lande der Erde »ach dem anderen empor steigt und der Traum einer angelsächsischen Weltherrrschast seiner Realisirung bedenklich näher rückt. Sollten wir nun gar die englische Weltherrschaft noch fördern Helsen? Das deutsche Volk, welches seine Tüchtigkeit in einer fast zweitausendjährigen Geschichte wiederholt glänzend bewiesen hat, besitzt wahrlich VolkSkrast genug, eine weitausschauende Wettpolitik zu treiben, auch die Energie und der Opfermuth dazu werden nicht fehlen, wenn es nur an leitender Stelle festen Willen und ausdauernde Beharrlichkeit sieht. In Lieser Beziehung richten sich die Blicke der Nation vertrauensvoll auf den Kaiser, welcher sein Volk auf die Pfade der Wcltpolitik führte und ihm höhere Bahnen wies, hinaus über die Grenzen der bisherigen ausschließlichen Continentalpolittk. Daß diese Wege nicht mehr verlassen werden, Lara» mitzuarbeiten, ist heilige Pflicht eines jeden von glühender Liebe zu seinem Bolksthume erfüllten und auch an die Zukunft seines Vaterlandes Lenkenden deutschen Patrioten." Von waS für „zwei Seiten" eigentlich der Gedanke einer Entäußerung Deutsch-Ostafrikas erörtert worden ist, sagt die „Post" nicht, und das ist sehr schade, denn erst aus dieser Kenntniß der Quellen ist ein Urtheil über die Zuverlässigkeit und Bedeutung der Angelegenheit erlaubt. Die Unter lassungssünde der „Post" können wir aber zum Theil gut machen: die eine Seile ist der sreiconservalive Abgeordnete und frübere „Post"-Inspirator v. Zedlitz, der mit seiner Nauicnsunterschrift in einem sehr kostspieligen Blatte dcS Scherl'ichen Verlages die Abtretung unserer ostafrikanischen Colonie an England gegen irgend eine Entschädigung empfahl. Man begreift hiernach leicht, weshalb die „beiden Seiten" in dem freiconservaliven Blatte nicht namentlich genannt werden, und weshalb das Blatt die Sache sehr ernst nimmt: es bandelt sich dabei mit um das Nenommss seiner Partei. Wir freilich brauchen uns nicht zu dem hoch tragischen Tone der „Post" aufzuschwingen, da wir über dies die ganze Meldung nicht glauben können und nicht glauben wollen. Die Tage von Zanzibar und Helgoland kommen denn doch hoffentlich nicht wieder, dafür ist inzwischen Lehrgeld genug bezahlt worden. Wenn wir unö schon beeilt haben, die „Entrüstung" Englands über unsere Absichten auf das portugiesische Makao zu achten und schleunigst zu revociren und zu depreciren, so ist cö doch schließlich noch nicht nöthiz, aus lauter ritterlicher Hoch achtung colonialen Selbstmord zu begehen. Im Uebrigen möchten wir aber auch keinen Zweifel darüber lassen, Laß Versuche, auf diese sensationelle Art „das nationale Gewissen zu schärfen" oder Eiscnbahnpläne durchzudrücken, nicht nach unserem Geschmack sind. Der deutsche Jnristeutag, der im September dieses JahrcS in Berlin tagen wird, sicht sich vor eine Reihe hochbedeui- samer Aufgaben gestellt. Darunter ist eine der wichtigsten: die Prüfung der Nothwendigkeit einer Ttras- rcchtsrcform. Mit der Frage nun, ob ter Zeitpunkt für eilte solche Reform gekommen sei, beschäftigt sich Land gerichtsrath B o z >-Bielefeld in der neuesten Nummer der Zeitschrift „Das Recht" (Hannover, Helming), Im Gegen sätze zu LiSzl glaubt Bozi, daß diese Frage nicht schon um deswillen bejaht werden dürfe, weil die beiden Richlungcn, in die unsere heutigen Criminalistcn geschieden sind, sich in der Forderung zusammensinden, daß die Strafe nach der Ge sinnung dcS Thäters zu bemessen sei. Indem er vielmehr darauf hinweist, daß das Strafrecht tiefer als in kriminali stischen Jteen wurzele nnd mit der Biologie, Anthropologie, ja mit der gejammten Weltanschauung aufs Engste zusammen hänge, legt ec dar, daß cs gelle, den Zusammenhang an erkannter Mängel unseres Strafrechts mit jenen allgemeinen Principicn auszudecken, zu ermitteln, ob fick auch jene all gemeinen Anschauungen zu einem sicheren Boden sür den Ausbau veö Strafrechts vereinigen lassen. So sei cs — führt Bozi aus — unmöglich, die Frage, inwieweit cin Straf gesetz in der Definition specialisiren dürfe, zu entscheiden, ohne dazu Stellung zu nehmen, ob das Recht im Sinne der klassischen Schule als etwas u priori Gegebenes ober ob es mit der Anthropologie als etwas Veränderliches, aus den Erscheinungen des socialen Lcbens Erkennbares aufzufassen sei. Auch darüber müsse man sich schlüssig machen, ob man in dem Recht eine stetige oder unstetige Mannigfaltigkeit zu erblicken habe und ob man, aiomistischcn Anschauungen folgend, das strafbare Unrecht auflösbar in eine Summe bestimmier, scharf geschiedener Eiuzellbatbestänce anscben, oder ob man der Meinung huldigen wolle, raß die einzelnen Theile des Rechts ineinander übergingen und sich verhieilen wie die Grade einer Thermometerscala. Nachdem Bozi noch darauf aufmerksam gemacht hat, daß sich die Strafgesetzgebung auch zu den Problemen der Willensfreiheit und des Echuldbegriffs nicht glcichgiltiz verhalten könne, schließt er seine Aus führungen mit einer Warnung an die Juristen, daß sie ihren Einfluß aufs Spiel setzten, falls sie sich bei ten Berathnngeu über die Grundlagen des Strafrechts solchen Fragen ent zögen. In England haben zwei Vorfälle, die daS Militär und die Marine betreffen, peinliches Aufsehen erregt, um so mehr als die Verlheidigung Buller's gerade jetzt ein so eigen- thümliches Lickt auf das englische Kriegswesen geworfen bat. Der erste Fall betrifft die Maßregelung einer Anzahl Eadetten der Kriegsschule in Sandburst, die erstauu- licherweise das höchste Mißfallen in der Presse hervorgerufen Hal. In der genannten Kriegsschule sind Brandstiftungen vorgekommen. Da man die Thäter nicht herauSbckam, maßregelte man die Eadetten, weil sie sich weigerten, die schuldigen Kameraden anzugeben. DaS ist für jeden discipliuirten Menschen selbstverständlich. Für die Eng länder nicht. So sagt Lord Hugh Cecil in den „Times": „WaS würde gesagt werden, wenn man eine ähn liche Methode einfübren wollte und beispielsweise im Fall eines Mordes alle Einwohner des Distrikts oder der Straße, wo der Mord statlsand, nnsperrt, bis der Mörder bekannt geworden ist?' Dazu bemerkt der „Star": „Was gesagt werben würbe? Was würbe Venn gesagt, als wir dieselbe Strafmethobe in Südafrika zur Anwendung brachten? Würben dort nicht alle Einwohner eines Distriktes für das Vergeben irgend eines Unbekannten bestraft? Damals hat aber Jeder ein solches Vorgehen gut geheißen. Lord Roberts brannte für jeden Angriff auf die Eisenbahnlinie alle Häuser im Umkreise von 10 Meilen nieder. Diese Ver allgemeinerung der Strafe wurde damals von denselben Leuten gebilligt, die eine derartige Verallgemeinerung im Falle Sandhukst tadeln. Ob die Regierung klug gehandelt hat, darüber können wir uns kein Urtheil bilden, da wir von dem Fall zu wenig wissen. Eins wissen wir aber, und Las ist die Tbalsache, daß cin ernstes Einschreiten nothwendig war, um dem pöbelhaften Benehmen der jungen Herren in Sandhurst ein Ende zu machen. Fünf Brandstiftungen sind vorgelommcn. Ob eine andere Strafe angebrachter ge wesen wäre, als Relegation, können wir nicht beurtheilen. Jedenfalls war cs aber nothwendig, den Eadetten beizu bringen, baß die erste Pflicht des Soldaten die Disciplin ist. Die Brandstifter sind ohne Zweifel einigen Eadetten bekannt, und es erscheint uns nur zweifelhaft, ob es nicht besser gewesen wäre, die ganze Kriegsschule zu schließen, bis die Schulbigen sich meldeten oder ausgeliefert wurden. Wenn die Eadetten kein Ehrgefühl haben, so muß es ihnen bei gebracht werden." Jetzt ist die Angelegenheit auch im Ober hause zur Sprache gekommen. Dort kam Carrington auf das Verbalten der Militärbehörden zu sprechen. Er sagte, die Behörden hätten Unschuldige bestraft und verlangte Abänderung der in dieser Angelegenheit getroffenen Ent scheidung. Parlamentssekretär Raglan entgegnete, die Disciplin müsse gewahrt bleiben. Er bedauere, daß die Eadetten so wenig Rücksicht auf die ösfenilichc Meinung ge nommen hätten. Lord Roberts erkläre, es habe sich gezeigt, daß unter ten Eadetten ein Mangel an Disciplin herrsche. Unter diesen Umständen sei eme allgemeine Bestrafung noth- wentig geworden. Man dürfe auch nicht zulassen, daß die aus der Anstalt verwiesenen Eadetten eher dorthin zurück kehrten, als bis die Ursache des Feuers aufgeklärt sei. — Eine andere Unannehmlichkeit ist mit den Schiffs kesseln der Marine passirt. Es erklärt nämlich ein Bericht der Admiralitäts-Commission die Bellevillc-Röhrenkessel, wonnt 65 Schiffe der englischen Marine, darunter die neuesten und größten, ausgerüstet sind und wofür dem Patentinhaber Zehntausende von Pfund Sterling an Tantiemen bezahlt lind, für unbrauchbar. Es heißt, der Belleville-Kcsscl sei ein guter Dampferzeuger, so lange er neu ist, er nutze sich aber schnell ab und verlange dann eine sehr sorgfältige Behandlung. Der Umstand, daß der Wasserstand in den Röbren nicht genau zu erkennen sei, führe zu ernsten Un glücksfällen, da keine Art Röhrenkessel allen Anforderungen genügt. Die Commission empfiehlt, es sollten in Zukunft auf englischen Kriegsschiffen Röhrenkesscl mit Chlinderkesscln combinirt werden, wie dies auf deutschen Kriegsschiffen der Fall ist. Versuchsweise sollen in dieser Combination die vier gebräuchlichsten Arten Röhrenkessel verwendet werden, darunter auch der auf deutschen Kreuzern eingesührte Dürr- Kessel. Daß die englische Admiralität die Bclleville-Kessel so zahlreich eingeführt bat, ohne vorher durch Versuche die Brauchbarkeit ganz festzustellen, erregt Unwillen; doch wird angeführt, daß die französische und japanische Marine mit Belleville-Kesseln gute Resultate erzielt habe. — Neben dieser Kesselgeschichte wird das Morgan'sche Angebot, gegen Zahlung einer entsprechenden Entschädigung der englischen Avmiralität in Kriegszeiten das Versügungsrecht über die von dem amerikanischen Syndikat controllirlen britischen Handels schiffe einzuräumen, lebhaft besprochen. Im Allgemeinen ist man für das Angebot, nur der „Standard" will nichts von dem Angebote hören. Wer stehe, so meint das Organ, denn überhaupt sür eine Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen ein; wer vermöge zu sagen, daß Mr. Morgan oder seine Nachfolger in der Lage oder Willens seien, die Bedingungen zu erfüllen oder aufrecht zu erhalten. — Damit hat er sehr Recht. Deutsches Reich. Berlin, 10. Juli. (Polnisch als Versammlungs sprache.) Tie Polen haben im Westen der preußischen Monarchie, wo das Polenthum ebenfalls reißende Fortschritte gemacht bat, eine richterliche Entscheidung über die Zulassung der polnischen Sprache als VersanrmlungSsprache herbei geführt. Am 1. Februar dieses Jahres wurde zu Herne eine Versammlung des dortigen polnischen Turn vereins polizeilich verboten, weil die Berathungen in polnischer Sprache geführt werden sollten. Ein von polnischer Seite berbeigesührter Gerichtsbeschluß erklärte daS Polizei verbot für ungiltig, da die deutsche Sprache nicht als die ausschließliche Verhandlungssprache in öffentlichen Ver sammlungen anzusehen sei, und verurtheilte außerdem die Herner Polizeibehörde zur Tragung der Gerichtskosten, sowie zur Rückerstattung von 100 .4! an den polnischen Turnverein für dessen Auslagen zur Einberufung der (verbotenen) Versammlung. — Dieser Gerichtsbeschluß ist von großer politischer Bedeutung. Die Polen werden fortab daraus bestehen, daß sie in ihren Versammlungen nur polnisch sprechen, und so können wir es erleben, daß in der Reichs hauptstadt Berlin mit ihren 70 000 polnischen Einwohnern Feuilleton. Susanna. 15j Roman von B. Herwi. Nachdruck verbotrn. Auch ein Briefchen hatte sie schon geschrieben, an die deutsche Freundin, die so herzlich nach ihr gefragt, aber es war ihr doch sehr schwer geworden. So, mvn Prince, nun wissen Sie Alles, wir wollen in den nächsten Tagen nach Nenilly hinausziehen, dort ist reine, frische Luft und nm pnuvro Susanna kann im nahen Bois de Boulogne tüchtig spazieren gehen, sic meint zwar, das koste Alles viel zu viel, aber das ist ja Unsinn. Oh, wie groß und dick ist dieser Brief geworden, aber Sie haben mich ja so sehr darum gebeten, erst in der langen Depesche und dann in Ihrem Schreiben, und das war Alles schon in mir anfgcsammelt. Susanna weiß nicht, daß ich Ihnen das Alles so haar klein geschrieben, und nnn empfehle ich mich Ihnen als Ihre ganz ergebene Dienerin Berthe Rcnard." Grita hatte nur wenige Zeilen erhalten. „Ich danke Dir, Du Liebe", stand in dem kleinen Brief chen, „danke Dir für jedes gute Wort, das war eine süße Stimme aus der Jugendzeit, die so lange hinter mir liegt. Wie war es damals so schön, wie hell und klar und wolken los der Himmel, wie viel Sterne leuchteten mir, und dann . . . alles voll Gewölk, und das einzige Gestirn, das mir glänzte, meine Arbeitskraft, auch versunken, ich glaubte nicht mehr an mein Können, das war das Schrecklichste, aber heut scheint wieder die Tonne in mein Stübchen hinein, nnd gerade, als ich darüber so froh war, da kam Dein Brief, meine Grita, da fielen mir Paul Hense's tröstende Worte ein: „Dulde, gedulde Dich fein, über cin Stttndelein ist Deine Kammer voll Sonne." Wenn ich nur erst wieder kräftiger wäre, daß ich schaffen könnte, Muth und Kraft und den Glauben an sich, ... all dies zusammen zu ver lieren, das ist hart. Du milkst zu mir kommen, Grita, ja, geht denn das? Ach, wie das herrlich wäre! Mein kleines Pflegemütterchcn nimmt mir die Feder aus der Hand, und sagt: cs sei genug für heute. Gruß, innigen Gruß. Deine Susanna." Und weiter fuhren sic den Tag hindurch durch deutsche Gefilde, durch fränkische Gauen. Je näher sie der Weltstadt kamen, desto unruhiger war Achim. Anfangs still und in sich gekehrt, leuchteten seine Angen doch oft wie von innerer, freudiger Erwartung beseelt, dann kam cin verklärender Glanz über seine Züge, er trommelte voll Ungeduld an die Fensterscheiben und wieder und wieder vertiefte er sich in den Inhalt der Briefe. So war er allcrdiangs kein amüsanter Neiscgescll- schaftcr, aber Woronsow und Grita hatten sich so viel zn erzählen, daß sie es nicht entbehrten. Es war, als ob das gemeinsame Band, das sie an Su sanne knüpfte, auch ihre weiteren Interessen sympathisch beherrschte. Fürst Nicolai erzählte von seinem früheren Leben, seinen Reisen, seiner Natascha, auch daß er von Paris aus nach Territö fahren wolle, das theure Grab zu besuchen, „es wäre herrlich, wenn auch Sie dort einige Zeit verleben wollten", setzte er verbindlich hinzu, sich an Achim wendend. „Wie Susanne will", sagte dieser, „ich weiß nur das Eine, daß ich mich nicht mehr von ihr trennen möchte." Es war ein wunderbarer Herbstmorgcn, als die Reisen den in Paris ankamcn und beim Grand-Hotel vvrfuhreu. Die Bäume auf den Boulevards waren noch dicht be laubt, nur hin und her machten sich einzelne gelbe Blätter bemerkbar. Die Luft war rein und klar, reges Leben überall, wohin das Auge blickte . . . arbeitsfrohe Leute, Spaziergänger, elegant gekleidete Kinder mit ihren Bonnen . . . dann Fuhrwerke aller Art, von der einfachsten Karre bis zur elegantesten Eguipage, überall das nie rastende Kommen nnd Gehen der Weltstadt. Und die goldene Hcrbstsonne stieg höher nnd böher, bis ihre Strahlen wieder in das Stübchen der Rue Mont martre fielen, dort, fast unter dem Dach, wo das blaffe Mädchen saß und mit ihrer treuen Pflegerin plauderte . .. „. . . . Und nun denkst Du gewiß, ins petite, ich werde Dir die leuchtende, liebe Sonne absperrcn, v nein, die thut Dir gut, siehst Du, wenn ich den Divan so rücke, — kommen Sie, Elandine, helfen Sie 'mal cin wenig . . . so, nun scheint sic Dir nicht mehr in's Gesicht und erwärmt Dich doch. Ornml Oien, schimmern nicht die braunen Löckchen im Nacken wie Gold? Ah' und heut' hat sie sich einmal reizend coiffirt, ia potit« Oouguetto, daS gilt gewiß dem guten Doctor .... und daS Helle, schöne Morgen jäckchen .... ah, lächle nur, lächle nur . . . ." Und die kleine Madame Berthe nahm Snsen's Kovf in ihre welken, zerstochenen Hände nnd drückte einen leisen, zärtlichen Kuß auf die bleiche Stirn. „i?etilk> maman", sagte Suse dankbar, sie wußte, das hörte die Blumenmacherin so gern. „Mir isl's heut' wie Sonntag", setzte sie dann hinzu, „vorher, als die Fenster offen waren, läuteten die Glocken von St. Enstache, wie feierlich das herüber klang, mir ist rechte Ruhe in's Herz gezogen." „O, dann wird auch beut' das Poulet gut munden, das Elandine in den Halles gekauft hat, so zart und schön, und für gar kein Geld . . . ." „)ckai8 ^lruiamo!" unterbrach die Köchin die Rede. „Ostut", gebot Madame Berthe, „va ouvrir on sonne." Ein Gärtnerbnrschc war gekommen und hatte einen Korb Blumen gebracht, Veilchen und Reseden, die Sanna so liebte, und ganze Büsche weißer Nelken. Weiße Nelken! Es bewegte sic tief. Der Duft rief die Erinnerung doppelt lebhaft zurück. Nie war Achim ohne diese zarten Blüthcn zu ihr ge kommen, wer konnte hier etwas von ihrer Vorliebe dafür wissen .... vielleicht ein Zufall, daß eine ihrer Schüle rinnen .... richtig, Madame Berthe flüsterte draußen mit Jemand, die Thür war nicht ganz geschlossen, es klang wie eine tiefe Frauenstimme .... Susanne horchte, dann drückte sic ans die kleine Glocke, die vor ihr auf dem Tischchen stand. . . . „kotito maman", sagte sie, „ich darf ja Besuch haben, Doctor Lopard hat es erlaubt, ist's eins von den lieben Mädchen? . . . ." „Nein, nein, mon anxo, diesmal nicht. .. ." Die Alte zitterte vor Erregung, und wahrhaftig, da glänzten Thränen in den guten Augen .... „es ist cin anderer Besuch, aber Du mußt Dich nicht erregen, mon dijou .... eine Freundin . . . ." „Grita", schrie Susanne auf und erhob sich hastig von ihrem Ruhebett. „Grita." Schon war diese beim ersten Ruf der geliebten Stimme in's Zimmer gestürzt und hielt die Zitternde fest um fangen, so fest, als wollte sie sic nie wieder lassen. „Ja, meine Sanna", rief sie unter Lachen und Weinen — „ich bin bei Dir, endlich, endlich, ich verging ja vor Neid nnd Eifersucht, daß diese liebe, kleine Frau Dich allein pflegen sollte .... Du böses Mädchen, so alle Freundschaft in den Wind zu schlagen, keinem einen Wink zu geben,.... komm, lehne Dich an mich, so, nun gicb mir die liebe Hand, Gott im Himmel, wie dünne ist sie ge worden, da giebt's noch was Gutes zu pflegen, na, das wollen wir schon besorgen, Woronsow freut sich, wie ein Kind darauf . . . ." „Woronsow, der Gute, ist er hier?" Susanne fragte es leise, „Natürlich, aber er ist sehr ärgerlich über Dich, und deshalb ist er extra nach Paris gekommen, um Dir das zu sagen, indessen, sei ohne Sorgen, Liebling, zur Frau will er Dich nicht mehr, das hast Tu Dir leichtsinnig ver scherzt, er macht jetzt einer Anderen ganz enorm den Hof.... na, davon ein andermal. So, meine Sanna, nun trinke 'mal erst etwas Wein .... nicht wahr, Freude kann man schon ertragen, weißt Du, Mama pflegt immer zu sagen: „Freude ist ein Zaubcrsaft, neue Lust giebt neue Kraft." Ucbrigens läßt Mama Dich sehr grüßen und Papa auch, und sie hoffen Alle, Dich bald dort zu haben . . . ." „Mich, Grita, mich bei Euch? Aber das geht ja nicht." Sic schüttelte das Köpfchen. „O ja, es ginge schon, Sanna, aber weißt Du, ich ver stehe das nicht, Dir so recht zuzurcden, da mußt Du noch einen Anderen hören, Einen, der früher einmal große Macht über Dich gehabt hat, weil .... ja, Sanna, weil Ihr Euch liebtet, er durfte damals die kleine, fleißige Biene nicht in sein Haus führen, weil die glänzenden Drohnen ihn nmschwirrtcn und ihm den Käfig vergolden mußten, alte Satzungen hinderten ihn, dem Bienchen den Königssitz zu bereiten, aber der Drohne, der leichtsinnigen, ist cs zn eng geworden, stc ist davon geflogen in ferne Länder und kommt niemals wieder.... und nun, nun ist er niit mir gekommen, sich 'mal, mein Sannchen, er konnte mich doch auch nicht mit Woronsow allein reisen lassen .... nicht wahr, das siehst Du cin, und jetzt ist er da, dort, wenige Schritte von uns, sei stark, meine Susanne, er wartet auf ein Wort von Dir, er kann die Sehnsucht nicht mehr ertragen, v, sieh mich nicht so entgeistert an, ich treibe keinen Scherz mit Dir . . . ." „Susanne, meine geliebte Susanne", rief cs da von der Thür, „darf ich zu Dir?" Und „Achim", kam es leise, bebend von ihren Lippen, da war er schon zn ihr geeilt, da kniete er vor ihr, barg seinen Kopf in ihrem Lchvoß, dann sprang er auf, zog sie empor, hielt sic fest umfangen, küßte ihr Stirn und Wangen und Mund und dazwischen flüsterte er voll heißer Zärtlich keit: „Mein Lieb, mein süßes Weib, meine Sanna, meine arme, geliebte, nie vergessene Sanna." Leise war Grita hinausgcschlüpft, die Thür hinter sich zuzichend, bei diesem Wiedersehen war jeder Dritte über flüssig. Ihre Mission war erfüllt. „Es wird sic tödten", jammerte draußen die kleine Ma dame und rang die mageren Hände, „cs wird sic tödten." - Aber Grita hatte sie resolut »ungefaßt, in ihrer fröhlichen Stärke sie wie cin Kind vom Boden in die Luft gehoben,
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