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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.07.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030701029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903070102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903070102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-01
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Abend-Ausgabe 'cipüM Tag Mat! Druck und Beklag von E. Pol» io Leipzlp. Haupt-Filiale Dresden: Marteustraße SL. Fernsprecher Amt l Nr. I71S. Bez«gS-Preis in der Hauptexpedttton oder deren Ausgabe stelle» abgeholt: vierteljährlich ^tl S.—, bel zweimaliger täglicher Zustellung m« Hau est 8.7k Durch die Post bezogen für Deutsch land ». Oesterreich vierteljährlich 4.K0, für die ädrigen Länder laut ZeitungSpreiSllst«. Nrdaktion und Expedition: IohanniSgasse 8. Fernsprecher ik3 und SSS. Filialeapeditionea: Alfred Hahn, Bnchhandlg., UniversitStSstr.S, N. Lösche, Katharinenstr. 14» u. LöoigSpl. 7. Iiuvahmrschlnß für Anzeigen: Abend-AuSgab«: Vormittag» lO Uhr. Mvrgen-AuSgabe: Nachmittag» 4 Udr, Anzeigen sind stet» an di« Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags nnnuterbrocheu geöffnet voo früh 8 bis abend» 7 Uhr. Haupt-Filiale Serlie: T«el vumker, Herzgl. Bayr. Hofbuchhandlg, Lützowstraße 10 Kemffvrecher Amt VI Nr. »808 Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbeförderung ^ll 70.—. Anzeigen-Preis die Sgefpaltene Petitzeile 2S Reklame» unter dem Redatttou»strich (L gespalten) 7K vor den FamUieunach» rtchtrr. (kgrlpalten) SO Dabellarischer und Zifferusatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offerteuannahme LS H (excl. Porto). 97. Jahrgang. Mittwoch den 1. Juli 1903. aber nur der nationalliberale Kompromißkandidat, der Geb. RegierungSrat Schwabach-Berlin, ein Mann von durchaus gemäßigten Anschauungen, der ins besondere im Punkte der Handelsverträge sich völlig auf den Boden der Regierungsvorlage stellte, auf der Bild fläche erschien, wurde er der Gegenstand der gehässigsten, in jeder Beziebung unwahren Angriffe von der konservativen Seite her. Um ihn von vornherein bei den gemäßigten Kreisen, insbesondere auf dem Lande, unmöglich zu machen, wurde er konsequenter Weise nicht nur als Freisinniger verschrien, sondern direkt mit den Sozialdemokraten auf eine Linie ge stellt. Es liegt uns ein Flugblatt vor, das an demagogischen Ausschreitungen fast alles übersteigt, waS nach dieser Richtung hin bisher geleistet worden ist. Der verantwort liche Herausgeber ist der Wahlkreisvorsitzende des Bundes der Landwirte, AmtSvorsteher v. BurgSdorff-Marken- Dorf, Herrenbausmitglied und Fideikominißvesitzer, derselbe, der in einer öffentlichen Wahlversammlung ven Reichskanzler Grasen Bülow in der bekannten unflätigsten Weise ange griffen bat. In ähnlicher Weise fielen die kleinen Blätter über Herrn Schwabach her, in erster Linie mit das am Sitze des Landrats v. d. Marwitz erscheinende und durch Personal union mit dem amtlichen Kreisblatte verbundene „Seelower Wochenblatt". Und das alles zu Gunsten eines Kandidaten, der nach einer in öffentlicher Versammlung abgegebenen Er klärung eines Beamten des Bundes der Landwirte sich auf deren bekannte Forderungen verpflichtet und dem der Vorsitzende deS Bundes Herr v. Wangenheim in öffentlicher Erklärung das Zeugnis ausgestellt batte, daß er das vollste Vertrauen des Bundes besitze; eines Kandidaten, der in feinen Wahl reden die Regierung beschuldigte, sie wolle das Handwerk zu Grunde geben lassen. Die nationalliberale Partei wünscht nicht die Unterstützung des RegierungSapparateS bei den Wahlen; sie will auch keine offiziellen Kandidaturen, selbst wenn diese zu ibren Gunsten aufgestellt würden, aber sie er wartet, daß der Regierungsapparat nicht zu gunsten eines Kan didaten arbeite, der nicht nur bei der Kanalvorlage zweimal in der Fronde gegen die Regierung gestanden hat, sondern auch, waS die Reichspolitik anlangt, inbezug auf die Handels verträge und die MiitelstandSgesetz zebung zu den beiß- spornigstcn Gegnern der Regierung zu rechnen ist. Ist eS nun zu verstehen, daß nicht nur die AmtSvorsteher de» Bezirks, indem sie sich durchweg gegen di« von der Regierung auf gründ der Tarifvorlage abzu schließenden Handelsverträge aussprachen, sich mit Herrn Fetisch identifizierten, sondern daß auch der Land rat des Kreises LebuS, Herr von der Marwitz, der allerdings vorsichiiger Weise ohne seinen Amtscharakier den Wablausruf für Felsich mit unterzeichnet batte, in öffent licher Wahlversammlung für diesen eintrat? Dieses Ein treten der höchsten politischen Beamten des Bezirks hat das Resultat gezeitigt, das jeder verständige Politiker mit Sicher heit unter diesen Umständen erwarten mußte: der Wahlkreis ist so zu sagen den Sozialdemokraten in die Hande gespielt worden. Dafür wird sich die Reichsregierung bei dem Regierungspräsidenten v. Windheim unv seinen Unter gebenen zu bedanken baden. WaS soll man freilich von den politischen Beamten eines Staates erwarten, der die Oppo sitionellsten viefer Beamten die Treppen hinaufwirft und durch ven schroffen Gegensatz, in dem vie tönenden Reden seiner Leiter zu den höchst bescheidenen Taten stehen, schon seit einer Reihe von Jahren seinen Führerbernf im Reiche fast nur noch negativ dethätigt! Die rote Juternationalttät. Der „Vorwärts" veröffentlicht fast täglich Kundgebungen, die ihm aus dem Ausland« zuzegangen sind und in denen die Sozialdemotraiie wegen ihrer Erfolge bei den Reichst agswablen beglückwünscht wird. Die Kundgebungen geben den erneuten Beweis, daß die Sozialdemokratie sich mit Recht al- eine internationale Partei bezeichnet und baß in ihrer Znternationalität die tiefe Kluft, die sie von den bürgerlichen Parteien trennt, am lreffendsten in die Erscheinung tritt. Im allgemeinen geben sie zu Bemerkungen kaum Anlaß, denn fast ausnahmslos kehren in ihnen die nämlichen Redensarten wieder. Zwei von ihnen aber sind durch die Personen ihrer Unterzeichner der „Kreuzztg." so interessant, daß sie sich die Wiedergabe des Wortlautes nicht versagen kann. Sie lauten: Bern. Bravo zum herrlichen Wahlsieg. Es lebe die deutsche Sozial demokratie. Es lebe die internationale Solidarität! Gruppe jüdische und russische sozial demokratische Studierende in Bern. Leipzig. Au den Borstand der Sozialdemokratischen Fraktion zu Berlin. Zum glänzenden und gewaltigen Wahlsiege der deutschen Sozial demokratie senden wir unseren herzlichsten Gruß und Glückwunsch dem klassischen Vorkämpfer des internationalen Sozialismus. Hoch die Sozialdemokratie! Hoch die rote Jnternationalitätl Hoch die Völkersreiheitl Armenische Studentenschaft, Leipzig. WqS den ersten dieser beiden Glückwünsche betrifft, so muß er begreiflicher Weise der „Kreuzzeitung" zum Beweise für die „engen Beziehungen deS Judentums zur Sozial demokratie" dienen und wird auch von der spezifisch antisemi tischen Presse nach Kräften für ihre Zwecke auSgebeutet werben. AuS der zweiten Kundgebung entnimmt das konservative Berliner Blatt, „daß die in Leipzig studierenden Armenier, so weit sie organisiert sind, sich zur internationalen Sozialdemokratie bekennen. Hierin liegt unzweifelhaft ein recht bemerkenswerter Beitrag zur soge nannten armenischen Frage." UnS erinnert der Glück wunsch der armenischen Studentenschaft in Leipzig daran, daß unser« nationalsozialen Gegner de» „Kartellkaodi- dalen" bei der Stichwahl zu einer Erklärung gegen Moiteler sich nicht aufzmchwlngen vermochten. Da unter diesen Gegnern bekanntlich auch akademische Lehrer sich be fanden, so kann die Kundgebung der armenischen Studenten schaft nicht sonderlich überraschen. Tie Eiiklänkcr t» Somaltland. Obgleich die „Agencc HavaS" dabei beharrt, daß die englrichen Truppen in Somaliland eine schwere Niederlage erlitten haben, wird die Richtigkeit der Nachricht doch noch be zweifelt. Nach einer Mitleilung deS in Dschibuti erscheinenden französischen Blattes „Iiboutil" soll die angebliche Niederlage schon Ende Mai erfolgt sein. Ein Somali von Berber» habe erzählt, daß 20 englische Offiziere und 2000 Mann eingeborene Truppen bei Burao durch den Mullah gefangen genommen worden seien. Die Soldaten seien ent waffnet und freigelassen, die Offiziere aber sämilich gelötet worden. Dem englischen Oberbefehlshaber habe man Nase, Ohren abgeschnitten und der Mullah habe ihm dann höhnisch gesagt, er könne jetzt geben wohin er wolle und sich von einem seiner eigenen Aerzte pflegen lassen. Daß daS Telegramm der „Agence HavaS" auf diesen Mitteilungen beruht, ist doch kaum anzunebmcn, da das Blatt „Iiboutil" schon am 28. Juni in Marseille eingetroffeu war. Ueberdies ist in dem HavaS- Telegramm von 39 englischen Offizieren die Rede, welche um gekommen sein sollen, während nur 3 entkamen. — Der Spezial korrespondent de- „Daily Telegraph" teilt aus Bohotl« mit, daß dort ein Brief des Mullah einlief, den er durch zwei Frauen ins englische Lager schickte. Der Mullah fragt in diesem Schreiben, weshalb die Engländer eigentlich sein Land erobern wollten, da dieses doch absolut kein Gold, sondern nur Steine, Sand, abgestorbene Bäume, Ameisenbügel und Gelegenheit zum Kämpfen enthalte. Der Mullah soll ferner in dem Briefe zugeben, daß er viele Derwische ver lor. Er bietet die von ihm eroberten Maxrmgeschütze zum Austausch gegen Munition an und erklärt, daß er eventuell vie Munition aus anderer Quelle beziehen werde. Zum Schluß teilt er mit, daß er die Orte Burao und Berbers angreisen werde. Die englische Antwort lautete: „Wir wollen dein Land nicht. Lege die Waffen nieder und komme zu uns, wir werden dein Lebe« schonen." — Ueber die Lage telegraphiert derselbe Korre spondent, daß dieselbe heute schlimmer zu sein scheine, al» vor zwei Jahren. Der Mullah habe erklärt, in allen Richtungen Raubzüge unternehmen zu wollen und jede Karawane sei der Gefahr ausgesetzt, angegriffen zu werden. Mittlerweile haben die Abessinier fertig gebracht, WaS den Engländern nicht gelingen wollte, sie haben den Mullah, wenn die Nachricht sich bestätigt, eine empfindliche Niederlage beigebracht, worüber uns gemeldet wird: * London, 30. Juni. Das KriegSamt veröffentlicht eiue Depesche des dem abessinischen Heer« beigegebeueo Obersten Rochsort aus Bigaado vom 6. Juni, welche besagt, daß die Abessynier nach einem Gewaltmarsch am 31. Mai in der Nähe von Jeyd die Speerreiter des Mullah überraschten. Die Speerreiter seien nach schwachem Widerstande geflohen. Der Onkel des Mullah und 1000 Speerreiter seien getötet worden. Der ganze Biehvorrat, einschließlich 1000 Kamele, seien erbeutet worden. Infolge der Niederlage habe sich der Mullah mit seinen Fvßtroppen nach Gumburu gewandt. Die Abessinier bewegen sich nach den Wasserstatioueu deS Mullah zu, südlich der Linie Dscherlogubt-Galadt. Rußland und Japan. Als Bestätigung und Ergänzung unseres Leitartikel- in der Dienstag Abend-Ausgabe möge folgende Korre spondenz dienen: London, 29. Juni. Die hiesige japanische Botschaft hat alle Hände voll zu tun, um die Be fürchtungen zu zerstreuen, welche sowohl in den politischen als auch in den Handelskreisen Englands anläßlich deS Besuches des russischen Kr ie g s m i n i st e r s Ku - ropatkin entstanden sind. Es ist unzweifelhaft, daß der Besuch das in Japan gegen Rußland bestehende Miß trauen zu einem guten Teile beseitigt hat, besonders da noch vier Wochen vor dem Eintreffen des Ministers in der japanischen Presse plötzlich eine so heftige Agitation gegen Rußland wegen der Mandschureifrage ausgetreten war. An deren Stelle ist heute eine sehr milde Auffassung der russischen Absichten in Japan aufgetreten, und man wird nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß Kuropatkin der japanischen Regierung tatsächlich sehr weitgehende Zugeständnisse bezüglich Koreas gemacht hat. Schon Finanzminister Witte hatte nach seiner Reise durch Ostasien den Plan aufgestellt, Rußland möge sich noch aus 10 Jahre Friedenszeit im fernen Orient ein- sogleich aufzusuchen, die alte Freundschaft zu erneuern, die Zeit, da der grämliche Alte am Wasser sitzt, zu nützen. Flink kehrte der Bursche um, lief die Schlucht aus, dem Dorfe zu, wo die Steilfelsen zurückblieben, und grasiger Hang zur Bergstraße hinanzieht. Keck und ge wandt stieg Schorschl diesen Grashang hinan, erreichte die stark belebte, staubige Straße, und marschierte auf ihr, den herabrasselnden Fuhrwerken ausweichend, einem der Häuschen zu, welche die Ausläufer des oberen Dorfes bilden. In einem dieser Steinhäuser, verwittert und Sprünge zeigend, hat zur Kinderzett das liebe „Küchsl" gewohnt und wird wohl hoffentlich auch jetzt noch da Hausen. Fischnetze hängen am Häuschen, es stimmt also, hier muß der Forellenfischer mit Pelagia wohnen. Der spähende Blick gewahrte alsbald die wohlgepflegten Blumen vor den Fenstern, reine Vorhänge an den Zimmerscheiben, sauber gekehrt der Weg und Flur, alles auf die fleißige Hand eines ordnungsliebenden weiblichen Wesens deutend. Wo aber mag „Füchsl" stecken? Schorsch fühlt es, daß sein Herz bewegt ist, von Sehn sucht erfüllt, die Spielkameradin wiederzusehen und so herzlich wie nur möglich zu begrüßen. Dann aber geniert er sich in etwas; ist es denn nicht läppisch: ein ausgewachsener Bursche, der drei Jahre Militärdienst hinter sich hat und eine solche Sehnsucht zu einem Mädel, von dem er gar nicht weiß, wie es sich in -en langen Jahren entwickelt hat. Wenn die Kameraden von der Kompagnie ihn jetzt sehen würden, welch Gespött würde es absetzen. Unwillkürlich blickte Schorsch um sich und blieb dann unschlüssig vor dem Häuschen stehen. Die vorüberrasselnden Equipagen mit gaffenden Reisenden kümmern ihn nicht weiter, spottsüchtige Burschen sind nicht zu sehen, das Herz drängt wie die Zeit; vom Alten möchte sich Schorsch nicht erwischen lasten, also hinein marschiert, frisch und keck nach Kaiserjägerart. Einige Schritte, dann hielt der fesche Bursche inne; eS ist zu dämmerig im Flur, wie kann da die richtige Tür ge funden werden? Und totenstill dazu. Sollte trotz der offenen Haustür niemand anwesend sein? Schorsch rief: „He! Ist wer zu Haus?" Schritte raschelten nun im oberen Gaden und näherten sich der engen Holztreppe. Eine silberhelle, melodisch klingende Stimme antwortete mit einer Gegenfrage: „Ist wer drunten?" War es nun militärische Angewöhnung oder persön liche Eitelkeit, oder wollte Schorsch stolz seine Zugehörig. keit zur kaiserlichen Armee betonen, er antwortete laut und bündig: „Schorsch Hungerle, Oberjäger, erstes Kaiser jäger-Regiment, zweite Kompagnie, hier!" „Was willst?" Enttäuschung erfaßte den Bursch, die Röte der Verlegenheit schoß in seine Wangen. Den Empfang seitens der Jugendkameradin hatte Schorsch sich wesentlich anders, freundlicher, hübscher gedacht. Enttäuscht, schier beklommen, meinte -er Bursch: Kennst mich denn nimmer, Füchsl?" War es der Ton oder der Gebrauch des alten, schier vergessenen Spitznamens, in Pelagia erwachte jäh die Erinnerung an Schorschl und Kinderzeit, und wie der Sturmwind wirbelte das Mädchen die knarrende, schmale Treppe herab und rief frohlockend: „Schorschl! Bist es wirklich?!" „Aber freilich! Grüß Di' Gott, Füchsl, liebes Füchsl! Wie geht's dir denn? Ich bin wieder da!" „O, wie mich das freut! Mein Beschützer, der . . ." Pelagia hielt mitten im Satze inne. Auflachend rief der Bursch: „Sag' 's nur 'raus: der Ochsenschorschl! Macht gar nichts! Wir sind nun ein mal rinderne und kälberne Metzger, schlagen Ochsen im Sommer grab genug, das bringt Geld und ist keine Schänd'!" „Aber nein, gewiß nicht! Komm' herein, Schorschl, setz' dich! Wirst mir doch nicht den Schlaf hinaustragen wollen!" Pelagia öffnete die Tür zur kleinen Wohn stube und ließ den willkommenen Besucher eintreten. Im letzten Lichtschimmer der sinkenden Sonne konnte Schorsch »och sehen, wie hübsch und nett sich seine Jugend- freundin ausgewachsen hat. War Füchsl einst ein fast dick und unförmlich zu nennendes Kind mit übergroßem Kopf, Kälberaugen und brennrotem Haar, vor ihm steht jetzt ein Mädchen von schlankem Wuchs, mit knospenden Formen, etwas groß der von rotblonden Flechten um- rahmte Kopf mit entzückenden, sanft blickenden Reh augen, ein unnennbarer Zauber echter Weiblichkeit, jungfräulicher Liebreiz, Milbe und Sanftmut sind auS- gegoflen über dieses liebliche, schlichte Mädchen. In ehrlicher Bewunderung stammelte Schorsch: „Na, Füchsl, bist du aber nett 'worden! Ich sag's 's frei: zum Busseln sauber!" „Gleich bist still! Hast das dumme Gered vielleicht bei der Militär gelernt? — Du hast dich auch gut aus- gewachsen! Bist ein fescher Bursch 'worden!" ,^Haha! Jetzt schmeichelt die Dirn! Willst mir 'leicht einen Antrag machen?" Pelagia ward augenblicklich ernst und mahnte, solches Reden lieber zu unterlassen. „Sollst die Freud' am Wiedersehen nicht vergällen, Schorsch!" „Sei wieder gut, Küchsl! Ist ja nicht bös' gemeint! Also, da bin ich, spät genug ist es mir in den Sinn 'kommen, daß wir zwei uns von klein auf kennen un gern gehabt haben. Wenn du willst, halten wir auch jetzt wieder wie damals zusammen." ,-Das wird sich schwer machen lassen, Schorschl! Ich bin die arme Fischerstochter, du der Sohn —" „Aufhören oder ich bring' dich in den Regiments rapport!" ,M<as?" „Ja so! Na, mit der Militär hat es seine Ruh', bis zum nächsten Manöver. Also vom Unterschied zwischen reich und arm darfst nicht reden, Füchsl! Wir zwei bleiben uns gut wie ebedem. Und komm' ich dazu und muß ich mir eine aus dem Kittelvolk aussuchen zur Hochzeiterin, dann werd' ich dich fraaen." Jetzt ward Pelagia rot im Antlitz und unsicher in der Haltung. Draußen dunkelte es rasch, da die Sonne vor geraumer Zeit schon hinter die wuchtigen Berge gesunken war. Schorsch erinnerte sich an den Forellenfischer, der wohl nun bald in sein Häuschen zurückkehren werde, und nahm rasch Abschied von Pelagia, die verdutzt inmitten der Stube stehen blieb. Ist ihr doch manches im Gebaren des einsti gen Spielgenosten sonderbar, zum mindesten fremdartig, bald keck und schneidig, bald herzensgut und weich, der Abschied jäh, unvermittelt, übermütig das Gerede von Brautschau und Auswahl einer Hochzeiterin. Pelagia legte die Rechte auf die Brust, wie wenn sie die Gefühle zurückdränacn wollte. Darf eine arm« Fischerstochter die Augen erheben zu einem Sohne aus »ermöglichen» Hause? Nie und nimmer. Aber gern haben darf sie den Jugendfreund, in allen Ehren natürlich, so Schorschl von ibr überhaupt noch etwas wissen will. Schorsch stapfte die nun vereinsamte Schweizerstrabe hinab ins obere Dorf, vielfach von den Leuten, die vor den Häusern saßen oder standen, durch freundlichen Zu ruf begrüßt. Mauche Einladung zum „Hoaugast" (Helm garten, Besuchs wavd dem Burschen -u teil, doch Schorsch schützte Eile vor und hastete weiter, nm an der Straßen» kreuzung arg pressiert in das Gastlokal der „Alpenrose? Politische Tagesschau. * Leipzig, 1. Juli. NegiernngSbeamte und Sozialdemokratie Die offiziöse Presse, voran die preußische, wird nicht müde, dem deutichen Bürgertume allein die Schuld an den Wahlsiegen der Sozialdemokratie auizuhalsen. Daß das Bürgertum durch seine politische Lauheit und Zerfahrenheit einen wesentlichen Schuldanteil an den sozialdemokratischen Siegen trägt, kann nicht geleugnet werden; aber an der Tat sache, daß namentlich m Preußen politische Beamte, die anscheinend ebenso ohne Wahlparole gelassen worden waren, wie daS Bürgertum, diese Laube» und Zerfahrenheit noch vermehrt haben, ist leider nicht zu zweifeln. Den schlagendsten Beweis dafür liefern die Vorgänge im Wahlkreise Frankfurt a. O.-LebuS, der schon seit 10 Iabren durch die Sozialdemokratie gefährdet und bei den seitdem stattgefundeneu Wahlen, sowohl im Jahre 1893 wie 1898, lediglich mit Hülfe der LinkSliberaleu den bürgerlichen Parteien erhalten worden ist. Es wurde dies da durch ermöglicht, daß von vornherein ein den Mittelparteien angehöriger Mann, der Gutsbesitzer Harke, Mitglied der Reichspartei, als Kandidat der konservativen Parteien ausge stellt wurde. Aus diesen einigten sich >n der Stichwahl alle staatserhaltenden Elemente und schlugen den Sozialdemokraten. ES soll dahingestellt bleiben, ob nach Lage der Sache im nationalen Interesse nicht unter allen Umständen an der Person deS Herrn Haake batte festgebalten werden müssen. Daß Herr Haake auf eigene Faust wieder kandidiert hat, beweist jedenfalls zur Genüge, wie wenig zuverlässig die gegenteiligen Behauptungen der konservativen Partei leitung im Kreise gewesen sind. Von dieser Seite dielt man eben den Augenblick für gekommen, um den vom Bunde der Landwirte allgemein dekretierten Ruck nach rechts zu machen. Es wurde der Bau meister Fetisch ,u Carlin auf den Schild er hoben, ein Mana, der seit einem Menschenalter innerhalb und außerhalb des Parlaments als Vertreter der rückständig sten Anschauungen auf allen Gebieten hinreichend bekannt war. Nur der RegreruuzSpräsldrnl v. Windheim und die maßgebenden Persoaeu rar Wahlkreise Frankfurt - LebuS scheinen daS nicht gewußt zu haben, denn sonst wäre es nicht erklärlich, daß Herr v. Windbeim und eine ganze Reibe von RegierungSrälen sogar mit ihrem AmtScharakter den Wahl aufruf für Fclisch unterschrieben. Vergeben- haben die gemäßigten Politiker im Wahlkreise versucht, die Kandidatur Fetisch rückgängig zu machen, rndem sie daraus hinwiesen, baß durch eine lolch reaktionäre Kandidatur die für die Stichwahl maßgebenden Freisinnigen direkt ins Lager der Sozialdemo kratie getrieben würden; vergebens war eS auch, baß die Frei sinnigen selbst durch ihre kompetente Vertretung erkläien ließen, daß sie auch in der Stichwahl für Fetisch nicht ein treten könnten. Um nicht den Wahlkreis von vornherein der Sozialdemokratie auSzuaniworten, einigten sich die National liberalen mit den Freisinnigen auf einen Kandidaten, von dem man hoffen konnte, er werde trotz der offiziellen rechts konservativen Kandidatur eine genügende Anzahl gemäßigt konservativer Elemente auf sich vereinigen, um ihn in die Stichwahl zu bringen, in der Voraussetzung, daß dann wenigstens die ganze konservative Partei für ihn einireten werde. Nur so war der Wahlkreis noch zu retten. Sobald FeiiNletsn. H Hotel Alpenrose. Roman von Arthur Achleitner. - -.'.u twrukt nerboien. An den schönen Abenden dieses glanzvoll begonnenen Sommers litt cs den Burschen nicht in der qualmigen Schenkstube des Hotels, Schorschl wandelte nach Schluß der Arbeitszeit einsame Psade der Wildache entlang, tief hinein in die langgedehnte Schlucht, und im langsamen Wandeln dem Spiel und Nahrung haschenden Forellen zusehend, an denen die Wildache reich wie nicht leicht ein anderes Bergwasser ist. Auf solcher Wanderung traf Schorschl eines lichten Abends den Forellenfischer Humer Sepp bei der Arbeit in der Schlucht, und der Anblick des runzligen, mürrischen Alten rief sogleich die Erinnerung an frohe Kinderzeit und die Spielgenossin Pelagia wach. Hatte der kleine Schorschl sich doch bei jeder Gelegenheit zum Schützer der noch kleineren Fischertochter aufgeworfen, mit der rothaarigen Pelagia zu spielen, in die Berge zu klettern, dem Mädel, „Füchsl" genannt, Alpenrosen, Jochraute oder gar Gamsröserlen lPrunellen) zu bringen oder „Füchsl" einen Epheukranz aufs Haupt zu setzen, das war so recht Herzenssache des kleinen Schorschl gewesen. Da neben ein kräftig Verhauen der anderen, Knöpferlhosen tragenden Buben, wenn sie „Küchsl" wegen der roten Haare verhöhnten. An Pelagia hat Schorschl seit langem nicht mehr gedacht, „Füchsl" war vergessen worben. Nun aber gemahnt der alte Forellenfischer lebhaft an die Tochter, Schorschl ward es warm unterm Rupfenhemd, und hastig sprach er den Angel werfenden Fischer an: „Grüß Gott, Humer! Allweil fleißig! Beißen sie gut?" Im Getöse des Achenbaches hatte der alte Fischer das Nahen deS Burschen nicht gehört, gleichwohl zeigte Sepp sich nicht übirascht, blickte gelassen auf und schüttelte bann wortlos das stark ergraute Haupt. Schorschl kannte die Eigenart des mürrischen, wort kargen Fischers und gab dalzcr sogleich die Absicht auf, ihn zum Reden zu bringen. Gern hätte Schorschl freilich nach „Füchsl" gefragt, aber eine befriedigende Antwort ist nicht zu erhoffen. Dafür wird er klüger sein, Pelagia
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