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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.07.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030702013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903070201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903070201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-02
- Monat1903-07
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Dabellarischer nnd Htsternsatz entsprechend -Sher. — Gebübren sür Nachweisung«, nM» Offertenannahme 98 (excl. Porto) Auuahmeschluß für Äuzeigeu: Abend-Ausgab«: vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeige« find stet« an die Expedition z» richte». Die Spedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abend« 7 llbr. Extra -lvei lagen (gesalzt), n«? mit oer Morgen-Ausgab«, ohne Postdefördenm, 8o.—> mit Postbeförderung 70^-> Nr. M. Donnerstag den ?. Juli l90L 97. Jahrgang. Zur Sekampsung der Sozialdemokratie. * In einem interessanten Artikel des „Schwäb. Merk.", der die Frage zu lösen sucht, ob bieSozialdemo- kratie oder das Zentrum der größere Feind sei, kommt der Verfasser zu dem Resultate, daß die Sozial demokratie gefährlicher sei, und zwar wegen ihrer offi ziell e n M o r a l, die er folgendermaßen charakterisiert: „Bekanntlich ist es einer der wundesten Punkte in der sozialdemokratischen Beweisführung, die gewaltigen Opfer des Staates und der Bourgeoisie" für die Arbeiterver sicherung. den Wählermassen irgendwie plausibel zu er klären und zu — verschleiern. In der ganzen sozialdemo kratischen Presse wird es sorgfältig verschwiegen, daß z. B. nach den Aufstellungen des Reichsversicherungsamtes im Jahre 1002 über 107 Millionen Mark Unfallentschä digungen an etwa 885 000 Personen, daß im gleichen Jahre etwa 111 Millionen Mark Invaliden- und Altersrenten an 755 000 Personen, daß endlich aus den Beständen der Versicherungsanstalten 1902 für Arbeiterwohlfahrtsein richtungen 323 Millionen Mark gezahlt wurden. Das steht in der ganzen Welt ohne gleichen da, die Sozialdemokratie hat stets geschloffen gegen diese Gesetze gestimmt, weil sie die Hebung der Arbeiter nicht will und nicht wollen kann,- denn sie nährt sich von der Unzufriedenheit. Nun galt es aber, vor den Wahlen -och ein Wort über diese Dinge zu sagen und den Wählern vorzureden, daß die Sozialdemokratie im Grunde arbeiterfreundlich sei. Der „Vorwärts" unterzog sich drei Tage vor der Hauptwahl noch schnell dieser peinlichen Aufgabe,- er führte den Be weis indirekt, indem er darlegte, daß Bamberger und Eugen Richter seinerzeit gegen den ersten Arbetterversiche- rungsentwurf gewesen seien. Das hat niemand geleugnet; es waren noch andere Leute dagegen, weil man die Sache für undurchführbar hielt. Das Argument aber, daß Bebel dieser Entwurf „nicht weit genug" ging und er des halb gegen ihn stimmte, ist uralt! Die Sozialdemokratie hat ja bet allen Arbeitcraesetzen die tollsten Forderungen erhoben, angeblich, weil die Vorschläge in den Entwürfen „nicht weit genug" gingen; in Wahrheit, um auch das ge ringere Maß von Wohltaten zu Fall zu bringen. Nach dem gesunden Menschenverstände, d. h. wenn es ihr wirklich auf die Wohlfahrt und nicht auf die Unzufriedenheit der Arbeiter ankäme, müßte sie stets wenigstens das an genommen haben, was eben zur Zeit gewährt werden konnte. Sie hat aber konsequent alle sozialpolitischen Ge setze in Bausch und Bogen abgelehnt! Daß übrigens der vorwärts" durchaus das Bewußtsein hatte, eine faule Sache zu verteidigen, zeigt schon der Umstand, daß er an Tatsachen weiter nichts anftthrte, sondern sich nur in den ödesten Schimpfereien gegen die bürgerlichen Parteien er ging; er sprach von dem „Gipfel der Verlogenheit", von der „geistigen Verödung und dem sittlichen Verfall" der Gegner, beschuldigte sie -es „frechsten und dümmsten Be trugsversuches" und rief zuletzt nach der Peitsche, rrm sich der Widersacher zu erwehren. Es spricht aber niemals für den moralischen Kern einer Bestrebung, wenn sie von dem offiziellen Organe der betreffenden Partei in diesem Tone verteidigt wird. Aber auch im Parlamente feierte die offizielle Moral der Sozialdemokratie wahre Orgien. Hier war Abgeordneter Stadthagen in allen drei Wintern der letzten Reichstagssession bemüht, die Arbeiterverstcherung des monarchischen Staats zu diskreditieren. Er war dreist genug, in der 67. Sitzung zu behaupten, daß den Unternehmern aus der Unfallver sicherung ein Gewinn von vielen Millionen Mark „in die Taschen fließt"! Er argumentierte also: Bei völliger Erwerbsunfähigkeit müßte eineRente in der vollenHöhe oes Lohnes gezahlt werden; es werden aber nur zwei Drittel gezahlt, also fließt ein Drittel dem Unternehmer in die Tasche; das macht für die Jahre 1806—99 durchschnittlich einen „Gewinn" von 80 Millionen. Kerner müßte die Be rufsgenossenschaft auch für die ersten dreizehn Wochen be zahlen; sie tut dies aber nicht, also verdient der Unter nehmer pro Unfall und Woche 20 macht wieder im Jahresdurchschnitt etwa 4 Millionen Mark Gewinn. Endlich erhält die Witwe etwa 20 v. H. des Verdienstes ihres Ernährers; da sie aber nach Stadthagen 100 v. H. erhalten müßte, so profitiert das Unternehmertum im Jahre hieraus rund 05 Millionen Mark. Ist das schon Wahnsinn, hat cS doch Methode! Abgeordneter Stadt hagen stellt hier unter mehrfachem logischen Salto mortalv zur Täuschung der Arbeitcrmaffen etwa die folgende Theorie auf: A. ist gesetzlich verpflichtet, an B. 75 zu zahlen. B. erklärt aber plötzlich, er wolle 100 haben. Da A. sich nun weigert, diese durch nichts gerechtfertigte Forderung zu erfüllen, und tatsächlich nur 75 zahlt, so fließt ihm, dem A., nach der Theorie Stadthagen ein Ge winn von 25 in die Tasche. Diese, mr-eheuerliche De duktion ist in der sozialdemokratischen Presse nirgends widerrufen worden; sie bedeutet aber nichts weniger, als daß die offiziellen Führer der „Arbeiterpartei" zum Zwecke der Aufhetzung der Arbeiter die Irreführung in aller Form zum politischen Prinzip erheben. Denn die „Beweisführung" Stadthagens gipfelte in folgendem Schlußeffekte: Da da» Unternehmertum aus den Unfällen einen baren Profit von vielen Millionen zieht, so hat e» ein direktes Interesse an der Vermehrung der Unfälle; es läßt darum die polizeilichen Schutzvor richtungen absichtlich außer Acht, um eine Steigerung der Unfälle und damit eine Mehrung feines Profit- zu er zielen! Wer's nicht glaubt, daß derartiges am Hellen lichten Tage im deutschen Reichstage ausgeführt werden konnte, der lese die amtlichen Sitzungsprotokolle vom 14. März 1901, vom 4. Februar 1002 und vom 27. Februar 1903 nach; denn Abgeordneter Stadthagen hat seine „Theorie" unver- droflen auch bei den Etatsberatungen für 1901 und 1903 vorgetragen, obwohl ihm wiederholt „Irrtümer" in den vorgebrachten Zahlen, wie auch die verzweifelte Logik seiner Ausführungen entgegengchalten worden waren. Das ist die Moral der offiziellen Sozialdemokratie! Sie behauptet trotzdem, Len Arbeitern Freund zu sein. In dessen haben ihre Vertreter selbst dafür gesorgt, daß diese Mär gründlich zerstört werde, indem sie in der Hitze deS Gefechts unbedachterweise den Schleier über die eigent- ltchcn sozialdemokratischen Motive lüfteten. Am 21. Ja- nuar 1901 war eS der sozialdemokratische Abgeordnete PöuS, der in aller Seelenruhe bekannte: „Die Arbeiter sind allerdings unzufrieden geworden, vornehmlich durch unsere Agitation", und am 13. Februar 1903 gab Abg. Albrecht auf den Vorwurf des Abg. Stötzel, die So- zialdemokratie wolle die Arbeiter nur unzufrieden machen, sofort zu: „Gewtß, die Zufriedenheit hat immer nur zur Versumpfung der Stagnation geführt!" Diese Eingeständnisse -er beiden sozialdemokratischen Vertreter besagen nichts mehr nnd nichts weniger, als daß die Un- zufriedenheit der Arbeiter das letzte und höchste Ziel der Sozialdemokratie ist. Es ist hiermit nicht — wenigstens nicht für die landläufige, bürgerliche Moral — vereinbar, wenn die Sozialdemokratie behauptet, sie habe die Wohl fahrt der Arbeiter im Auge. Wenn man die Arbeiter un- zufrieden machen und unzufrieden erhalten will, dann kann man nicht gleichzeitig deren Bestes wollen. DaS ist ein unlösbarer Widerspruch!" Der Verfasser erwirbt sich durch diese Beleuchtung der offiziellen sozialdemokratischen Moral unstreitig ein Verdienst; ein noch größeres aber würde er sich erworben haben, wenn er einMittel bezeichnet hätte, durch dessen Anwendung die Sozialdemokratie gezwungen werden könnte, mit dieser Moral zu brechen. Und eines dieser Mittel, vielleicht das wirksamste, liegt nicht fern. Was die sozialdemokratischen Redner im Reichstage an Verdrehungen zur Schürung der Unzufriedenheit leisten, wird ja nicht vorgebracht zur Aufreizung der übrigen Ab geordneten, sondern lediglich zum Fenster hinaus geredet, um der sozialdemokratischen Presse Stoff zur Verhetzung zu'lieferst. ES hat daher auch nur ganz ge ringen Erfolg, daß die Regierungsvertreter und anti sozialistische Abgeordnete die falschen Behauptungen der „Genoffen" im Reichstage widerlegen. Diese Wider legungen kommen in die sozialdemokratische Presse nur verstümmelt, und das Leserpublikum dieser Presse liest nur zum allerkletnsten Teile bürgerliche Blätter, die jene Widerlegungen ausführlicher mitteilen. Der „Vor wärts" und seinesgleichen können daher, ohne besorgen zu müssen, der Lüge überführt zu werben, getrost wieder- holen und weiter auSmalen, was die parlamentarischen Genossen zu diesem Zwecke geredet haben. Denn der offiziöse Dementierapparat wir- gegen die sozialdemokratische Presse verhältnismäßig selten in Be wegung gesetzt un- von der durch das Preßgesetz ge gebenen Möglichkeit zur Erzwingung der Auf nahme von Berechtigungen wird noch viel seltener Gebrauch gemacht. Sticht» aber würde unsere» Erachtens die sozialdemo kratische Hetzpresse vorsichtiger in der Verbreitung un wahrer un- aufreizender Behauptungen machen und nichts könnte die Leser solcher Blätter über deren wahre Natur besser aufklären, als wenn jeder solchen Behaup tung eine Berichtigung an derselben Stelle mög lichst auf dem Fuße folgte. Es nützt, wie gesagt, schlechter dings nichts, wenn Berichtigungen in offiziösen ober anderen Blättern erscheinen, denn diese kommen den sozialdemokratischen Lesern entweder gar nicht zu Gesichte oder sind ihnen von vornherein verdächtig. Diese Leser müssen die Berichtigung an derselben Stelle finden, an der sie die falsche und verhetzende Behauptung fanden. Auf ähnliche Anregungen ist bisher immer von be rufener Seite die Antwort gegeben worden, eS würde einen ungeheuren Apparat erfordern, wenn allen Ent stellungen und Lügen der sozialdemokratischen Presse mit dem Mittel deS Berichtigungszwanges entgegengetreten werden sollte, und -och würde dieser ungeheure Apparat wenig oder gar nichts nützen, denn die betreffenden Blätter würden auch an den Berichtigungen ihre Berdrehungsküuste üben und auf diese Weise das letzte Wort behalten. Darauf ist zu entgegnen, daß -aS letzte Wort nur der behält, dem man eS lassen will. Wird einmal einigen der verbreitetsten sozialdemokratischen Blättern gegen über der Berichtigungszwang konsequent in Anwendung gebracht un- jedem neuen BerdrehungSversuche eine neue Zwangsberichtigung entgegengesetzt, so werden schließlich diese Blätter denn doch de» „grausamen Spieles" müde werden. Dann kann man einige andere aufs Korn nehmen. Allzu ungeheuer braucht also der Berichtigungs-Apparat nicht zu werden. Und wenn er auch ein recht ansehnlicher wird werden müssen, was verschlägt das dem ungeheuren Anwachsen der Sozial demokratie und dem unsäglichen Unheil gegenüber, das von dem systematisch betriebenen VolkSbetruge der sozial demokratischen Presse auSgeht? Solchem Unheil, welches bas Bürgertum in seiner Presse nicht abzuwenden ver mag, vorzubeugen, ist eine Pflicht der RegicruugS- behörden de» Reiche» sowohl, wie der Einzel staaten. Eine sehr unangenehme, das geben wir zu, denn es gibt kaum etwas Widerwärtigeres, al» sich mit der sozialdemokratischen Presse herumzuschlagen. Aber wenn eS gilt, viele Tausende, ja Millionen von systematisch verhetzten Arbeitern und Mitläufern der Sozialdemo kratie vor weiterer und immer fieser fressender Ver giftung zu bewahren, so darf auch die Widerwärtigkeit einer Pflichterfüllung nicht als Vorwand für baS Gehen lassen bienen. Deutsche- Reich. * Leipzig, 1. Juli. Mit dem Ersuchen um Veröffent lichung geht un- folgende Zuschrift zu: Sehr geehrter Herr Redakteur! Der Vorstand de« Nrmenisch-Akadrmischen Vereine« zu Leipzig hat die Ehre, hierdurch Ihnen mitzuteilrn, daß derselbe von dem in Ihrem werten Blatte vom 1. d. M. (Abendausgabe) Nr. 329 erwähnten Glückwunsch« für die Wahlerfolge der Sozialdemokratie an den Vorstand der sozialdemokratischen Fraktion zu Berlin keine Kenntni« hat, und vrotrstiert deshalb gegen die Unterschrift „Armenische Studentenschaft." G. Karapetian, atuä. agr., Vorsitzender. C. Tamamschrff, aauck. weck., Schriftführer. Fenilletpn. Heimalkunft in Julius Mosens Werken. Betrachtung zu des Dichters 100. Geburtstage von Richard Merkel. Nachdruck verboten. Unter den Gebieten, auf denen die moderne Literatur sich betätigt hat, ist gewiß da» anziehendste und dankbarste das der „H e i m a t k u n st ". Ihr wendet in hohem Maße das Interesse des Tages sich zu. Jeder Gau, jede Provinz im deutschen Baterlanbe bat heute ein besonderes Organ für Hetmatkunst. Hat sie die Schriften von Peter Rosegger, Wilhelm von Polenz, Heinrich Sohnrey u. a. schnell beliebt werben lassen, so hat sie in FrenssenS Jörn Uhl ungeahnte Erfolge gefeiert. Was man indes heute Hetmatkunst nennt, was zur selbständigen Richtung innerhalb-der Literatur geworben ist und eigentlich damit aufhvrt, „Kunst" zu sein, daß es anfängt, Tendenz zu werden, das ist nicht neu. Es tritt ausgeprägt hervor auch in den Werken früherer Dichter, die, ohne eS zu wissen und zu wollen, Heimat kunst getrieben haben. Zu ihnen gehört Julius Mosen, der Sohn deS sächsischen BogtlanbeS, dessen 100. Geburtstag wir in diesem Jahre begehen. ES ist eine fruchtbare Aufgabe, die Werke dieses Dichters ein mal unter dem Gesichtspunkte der Hetmatkunst zu be trachten, wozu schon früher der bekannte Mosensorfcher, Professor vr. Zschommler zu Plauen i. B., in seinem Aufsatz über „Julius Mosens Leipziger Universität»« zett" (Unser Vogtland, Bd. 4) Anregung gegeben. Am 8. Juli 1803 ist Mosen in dem vogtländischen Kirchdorf Marieney bei OelSnitz al» Sohn des Kantor» geboren. An der Sette seines Vaters und Großvater» hat er in seiner Jugend die heimischen Wälder und Fluren durchstreift, dem Sange der Vögel gelauscht, im klaren Waldbach Forellen und Krebse gefangen und dann unter den rauschenden Fichten am Waldrand auf Berges höh' geruht und geträumt. Au» diesen Jugenbetnbrücken hat er die Heimat über alles lieb gewonnen und ihrer stets gedacht mit sehnendem Herzen, als er zwei Jahre seiner Studentenzeit im sonnigen Süden weilte und Italien mit seinem lachenden Himmel und seinen Kunst schätzen ihm das Rauschen der heimischen Fichtenwälder nicht ersetzen konnte, als er zu Leipzig in armseliger Klause und unter harten Entbehrungen auf sein juristi sches Staatsexamen sich vorbereitete, al» er zu Dresden seine AnwaltSpraxt» auSübte und im lieben Kreise ver- trauter Freunde feinem dichterischen Schaffen lebte, und vor allem, al» er von der Nordseeküste zu Oldenburg als Dramaturg am Resibenztheater wirkte und schließlich in schweren, langjährigen Leiben dahinsiechte. Heimatsehnen klingt darum durch Mosens Dichtungen, bald wie eine wehmütige Klage, bald wie eine Stimme des Trostes und der Freude, wie er von sich selbst in seiner ergreifenden Novelle „Ismael" (Bilder im Moose) sagt: „Wie gute Engel ziehen die Stimmen des Heimweh» mir überall nach, sie finden mich im Ge dränge de» Marktes, sie schleichen mir nach in das Theater und klingen oft mit einem einzigen Waldhornton Lurch das rauschenbste Konzert, wie aus tiefgrünem WaldeSbunkel zu mir her. Heimat? — welche Seligkeiten schließt nicht bas einzige Wort in sich! Ach, wir Männer der neuesten Zett haben die Heimat ver loren, deshalb sind wir auch alle so unglücklich! Heimat, Vaterland, Glauben und Frieden — das ist alles dahin! Dafür haben wir auch schöne Worte gefunden, reiben uns die Hände und sagen: „Unsere Heimat ist die Welt, unser Glaube die Freude und unser Friede — der Kampf!" Als ob nicht die Heimat bas Herz wäre, mit welchem wir die Freuden und die Leiben der ganzen Welt erst fühlen lernten! Als wenn nicht der Frieden des heimat lichen Leben» bi« Palme de» Kampfes sein sollte!" Hetmatsehnen, Heimatstimmung spricht sich auch in folgender Stelle au» dem „Ondtnenbtlb" au», die als einzelne» Beispiel für zahlreiche andere bienen möge: „Man muß erst ganz unglücklich sein, um zu erkennen, wie schön der gewölbte Himmel, das strömende Wasser, die wehenden Bäume, di« ganz« Natur ist! Nur im tiefste« Elend »ersteht «an ihr, Stimme . . mir ei» altes, gutes, aber doch wunderliches Mütterchen, das nur in Dämmerstunden und wenn e» ganz still in der Stube ist, seine waldsinnigen Märchen erzählt." Die Novelle „DaS Heimweh" ist erfüllt von des Dich, ters eigenem Hetmatsehnen, welche» ausklingt in jenem Lied „Aus der Fremde", einem Stück Heimatkunst sür sich, mit dem bekannten Anfang: „Wo auf hoben Tannenspitzen, Die so dunkel und so grün, Drosseln gern verstohlen fitzen, Weitz und rot die Mose blüh'n, Nach der Heimat in der Ferne Zög ich heute noch so gerne!" So weiß im „Kongreß von Verona", Mosens einzigem Roman, der deutsche Burschenschafter Arnold der glut äugigen Italienerin ein lieblich Märletn au» dem Bogt- landwald zu erzählen, von einem luftigen Gemach hoch oben im Fichtengeäst, und von den Eichhörnchen, die in Scharen am Stamm hinauf- und hinabhuschen. Dies Heimatsehnen wird dem Dichter der natürliche, unerschöpfliche Quell seiner Heimatkunst. Sie tritt zunächst uns entgegen in der Schilderung der Landschaft nnd de» landschaftlichen Lebens. Er trifft in immer neuen Zügen stets wieder das charakteristische Gepräge de» vogtländischen Heimatbildes. Wer je das Vogtland durchwanderte, der wird sich angeheimelt fühlen von der Schilderung eine» Tales, welches die Wanderer „in der Mitte einer grünen Rasenstrecke da» einsam ge- legene Gebäude, unfern eine» Teiches, welcher aus dichtem Birken- und Kichtengebüsch hervorblitzte, endlich gewahrten. DaS Tal war von steilen Bergwänden, auf welchen mancherlei Beeren, Kräuter und Waldblumen prangten, von zwei Seiten eingeschloflen. Auf den Gipfeln umher standen, wie riesige Wächter, hohe dunkle Fichten, welch« der ganzen Umgebung einen eigentüm- ltchcn Charakter friedlicher Abgeschlossenheit aufprägten." Auch da» Leben der Landschaft scheint immer das wiederzugeben, was der Dichter in den heimischen Wäl- -er» vnb Fluren erlauscht. „Geräuschlos gingen sie auf da» Quellengeriesel zu, und alsdann sich büchend, ge wahrten sie durch das Laub des Gebüsches, wie ein Rudel Rehe, voran das edelste und schlankste, mit oielzackigem Geweihe, hereinschritt. Mit scheuen, dunklen Augen hoben sie witternd die Köpfe, da sie aber nichts Unheimliches zu verspüren schienen, grasten sie umher." Namentlich aber ist es die heimische Vogelwelt, die dem Dichter zur Belebung der landschaftlichen Scenerie dienen muß. Dem Finken- und Wachtelschlag, dem Lerchen- und Ammernsang begegnen wir wieder und wieder in seinen Schriften, in denen alles singt und klingt von lustigen Vogelstimmen. Dann aber führt uns der Dichter auch hinein in die Häuser und läßt das Treiben der Menschen darinnen uns schauen. Er schildert das behagliche Leben im traulichen Schulhause, wo die Abendsonne freundlich durch die breiten Bohnenblätter in die Stube fiel. Wie stimmungs voll wird der Sonnabend Abend dargestellt, der schon den nahenden Sonntag verkündete: „Die ganze Woche war sür mich ein einziger Tag. Im hellsten un- unerfreulich sten Lichte stand mir die Mittwoche, al- Mittag, der Sonnabend aber al» Sonnenuntergang um so deutlicher vor den Augen, je öfter ich an diesem Tage mit meinem Vater hinausflüchtet« in das Freie, bis uns die Abend glocke wieder heretnrtef. Nun dunkelte der Sonnabend stille fort, und vom Gesimse funkelte heimlich schon der Sonntag in den blankgescheuerten Ztnngeschirren Her unter auf mich." Dieser letzte Satz läßt sich wohl dem Besten, was unsre Moderne geschaffen in Stimmung»^ Malerei, an die Seite stellen. Da mag» gar lustig hergegangen sein im Schulhause beim Kirmesschmauß, wo man an der „trefflichen Wein suppe, den blaugesottenen Forellen mit grüner Petersilie in den Mäulern und dem sanft gebräunten, fettriefenden Nierenbroten" sich gütlich tat. Wie echter Weihnacht», zauber, wie Tannengrün und Kerzenglanz, berührt un» die Weihnachtsschilderung des Dichters: „Mir ist, al» wenn ich an einem WcihnachtSmorgen vor Tagesanbruch durch die Ritz« eine» Fensterladen» hineinblickte in die bell erleuchtete Kinderstube und sähe die tausend bunten Sachen, den grünen Paradiesaarten mit de« Gchäfern und Lämmern und de« heilige» drei Könige» «f»
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